Sucht und andere psychische Störungen in Familien

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Sucht und andere
psychische Störungen in
Familien – Prävention und
Hilfen im Spannungsfeld
elterlicher psychischer
Störungen und Sucht.
Michael Klein, Köln
Sucht und andere psychische Störungen
in Familien – Prävention und Hilfen im
Spannungsfeld elterlicher psychischer
Störungen und Sucht.
Teil I – Vortrag:
1. Geschichte des Themas, klinische Beispiele
2. Konzepte, Ergebnisse, Prävalenzen
3. Besonderheiten bei Kindern drogenabhängiger Eltern
4. Konsequenzen elterlicher Suchtstörungen für die
psychische Gesundheit von Kindern
Teil II – Workshop:
5. Prävention, Frühintervention, Hilfen
(Beispiele von Best Practice – Modellen)
Vorbemerkung:
Suchtstörungen gehören
zu den wichtigsten und
häufigsten psychischen
Störungen – Die Frage
nach ihren
Auswirkungen auf die
Familie sollte Regel
und nicht Ausnahme
sein.
Sucht und andere psychische Störungen in Familien
– Prävention und Hilfen im Spannungsfeld elterlicher
psychischer Störungen und Sucht.
1. Geschichte des Themas, historische und
klinische Beispiele
Parentifizierung,
Familienkonflikte,
Beschämung 
„Addiction runs in
Families“  „Die
Generationengrenzen sind
alkohollöslich“
Mäßigkeitsbewegung,
Amsterdam, ca. 1880
Claudia Black (1969): Wahrnehmung
elterlicher, suchtbedingter Konflikte
Typische Lebenserfahrungen von Kindern
alkoholkranker Eltern (N= 115)
• 1. Nicht zu Freunden gehen, um nicht in die
Zwangslage zu geraten, diese zu sich nach Hause
einladen zu müssen, wo die Eltern sich
beschämend verhalten könnten.
• 2. In der Schule mit den Gedanken zu Hause sein,
was dort gerade Schlimmes passiert oder bald
passieren wird.
• 3. Andere Kinder beneiden oder eifersüchtig auf
diese sein, wenn sie Spaß und Leichtigkeit mit
ihren Eltern erleben.
• 4. Sich als Kind unter Gleichaltrigen isoliert,
abgewertet und einsam fühlen.
• 5. Sich von den Eltern vernachlässigt, bisweilen
als ungewolltes Kind fühlen.
Cork, M. (1969). The forgotten children.
Typische Lebenserfahrungen von Kindern
alkoholkranker Eltern (Cork, 1969)
• 6. Für die Eltern sorgen, sich um sie ängstigen,
insbesondere wenn die Mutter süchtig trinkt.
• 7. Sich um Trennungsabsichten oder vollzogene
Trennungen der Eltern unablässig Sorgen machen.
• 8. Als Jugendlicher die Eltern nicht im Stich lassen wollen
(z. B. nicht von zu Hause ausziehen können).
• 9. Die Eltern für ihr Fehlverhalten entschuldigen. Lieber
andere Menschen oder sich selbst beschuldigen.
• 10. Vielfache Trennungen und Versöhnungen der Eltern
erleben und sich nicht auf einen stabilen, dauerhaften
Zustand verlassen können.
• 11. Wenn der trinkende Elternteil schließlich mit dem
Alkoholmissbrauch aufhört, weiterhin selbst Probleme
haben oder solche suchen.
Nina, 12 Jahre, beide Elternteile alkoholabhängig
(Kinderseminare FK Thommener Höhe)
Kinder aus psychisch
dysfunktionalen Familien
Psychisch
kranke
Eltern
DrogenAlk.abh.
Eltern
abhängige
Eltern
Suchtkranke Eltern , z.B.
Verhaltenssüchte
Sucht und andere psychische Störungen
in Familien – Prävention und Hilfen im
Spannungsfeld elterlicher psychischer
Störungen und Sucht.
2. Konzepte, Ergebnisse, Prävalenzen
Familiale
Abwehrmechanismen
„Mein Kind hat nichts gemerkt“.
(Typischer Satz suchtkranker Elternteile)
Selbstwertdienliche Attribution
Scham- und Schuldgefühl als zentraler
intrapsychischer Prozess
Abwehr, Verleugnung, Verdrängung und
Aggression als zentrale Reaktionen
Was beeinflusst das Transmissionsrisiko
(erhöhend, abschwächend)?
(1) Dauer und Intensität der Exposition
(2) Schwere der elterlichen psychischen Störung
(3) Genetisches Risiko (Vulnerabilität)
(4) Alter des Kindes
(5) Stressbewältigungskompetenzen/Resilienzen
(6) Kranke/gesunde Modellpersonen (vor allem
Verwandte) im Umfeld
(7) Intermittierende Lebensereignisse
(8) Mangel an elterlicher Kompetenz (z.B.
Einfühlsamkeit, Wärme, sichere Bindung)
19. Oktober 2016
Epidemiologie von Suchtstörungen
14
FAS/FASD: Alcohol Exposure and
Phases of Embryo/Fetal Development
Coles, 1994
Ausgangslage und Fakten
In Deutschland leben:
2.65 Millionen Kinder, bei denen ein Elternteil eine
alkoholbezogene Störung (Missbrauch oder
Abhängigkeit) aufweist (Lachner & Wittchen, 1997; Klein,
2005)
ca. 40.000 Kinder mit einem drogenabhängigen Elternteil
d.h.: es geht insgesamt nicht um eine gesellschaftliche
kleine Randgruppe, sondern um eine substantielle
Gruppe von Kindern, die ein deutlich erhöhtes negatives
Entwicklungsrisiko aufweisen. Die gesunde Entwicklung
von Kindern suchtkranker Eltern ist ein prioritäres PublicHealth-Thema.
Prävalenzen
 Jedes 7. Kind lebt zeitweise (etwa jedes 12.
dauerhaft) in einer Familie mit einem
Elternteil, der eine alkoholbezogene Störung
(Abhängigkeit oder Missbrauch) aufweist
(Deutschland; Lachner & Wittchen, 1997)
 Jedes 3. Kind in einer alkoholbelasteten
Familie erfährt regelmäßig physische Gewalt
(als Opfer und/oder Zeuge) [Klein & Zobel,
2001]
 Suchtkranke Familien weisen gehäuft eine
„family density“ für Sucht- und andere
psychische Störungen auf
Prävalenzen
 Von den Kindern alkoholabhängiger Eltern
entwickeln ca. 33% bis 40% selbst eine
substanzbezogene Abhängigkeitserkrankung
(Sher, 1991; Windle & Searles, 1990; Klein,
2005; Zobel, 2006)
 Ein Drittel (teilweise überlappend mit dem
erstgenannten Drittel) zeigt psychische
Störungen (z.B. Ängste, Depressionen,
Persönlichkeitsstörungen)
Größte Risikogruppe
Kinder suchtkranker Eltern sind die größte bekannte
Risikogruppe zur Entwicklung eigener Suchtstörungen,
insbes. Alkohol- und Drogenabhängigkeit sowie
Verhaltenssüchte
(= suchtspezifische Auswirkungen)
Für alle anderen psychischen Störungen (z.B. Ängste,
Depressionen, Schizophrenien, Schlafstörungen,
Persönlichkeitsstörungen) weisen sie ebenfalls erhöhte
Risiken auf
(= Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von
Kindern)
Relative Wahrscheinlichkeiten (OR) für
Alkoholabhängigkeit bei Töchtern und
Söhnen von Eltern mit Alkoholstörungen
Elterliche
Probleme
mit Alkohol
Männliche Probanden
odds-ratio (OR) für
Alkoholabhängigkeit
Weibliche Probanden
odds-ratio (OR) für
Alkoholabhängigkeit
Nur Vater
2.01 **
8.69 ***
Nur Mutter
3.29 ***
15.94 ***
Beide
Elternteile
18.77 ***
28.00 ***
**: p<.01; ***: p<.001.
aus: Lachner & Wittchen (1997, 69).
Konstellationen in
dysfunktionalen Familien (N= 8.629)
Die wichtigsten 9 ACEs sind:
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
(6)
(7)
(8)
(9)
Emotionaler Missbrauch
Körperliche Misshandlung
Sexueller Missbrauch
Emotionale Vernachlässigung
Körperlicher Vernachlässigung
Geschlagene Mutter
Elterliche Komorbidität
Elterliche Trennung und Scheidung
Elternteil im Strafvollzug
Dube et al., 2001
Kategorien widriger Kindheitserfahrungen
(adverse childhood experiences; ACE; Dube et al., 2001)
Kategorie widriger
Kindheitserfahrungen
Emotionaler
Missbrauch
Körperliche
Misshandlung
Sexueller
Missbrauch
Elterlicher
Alkoholmissbrauch
Kein Elternteil
Nur Vater
Nur Mutter
Beide Elternteile
Kein Elternteil
Nur Vater
Nur Mutter
Beide Elternteile
Kein Elternteil
Nur Vater
Nur Mutter
Beide Elternteile
Töchter Odds Söhne
%
Ratio
%
9.0
20.2
21.9
30.5
20.8
35.3
43.8
49.1
20.2
35.1
35.1
47.5
1.0
2.3
2.4
3.7
1.0
1.9
2.6
3.3
1.0
2.0
1.8
3.1
5.9
14.7
11.4
21.6
24.7
38.6
43.0
52.2
15.8
21.7
29.1
19.8
Odds
Ratio
1.0
2.5
1.8
3.9
1.0
1.8
2.1
3.1
1.0
1.5
2.2
1.3
Elterliche Angststörungen
Wiegand-Grefe et al., 2010, 155
Eltern mit Affektiven Störungen
Wiegand-Grefe et al., 2010, 152
Sucht und andere psychische Störungen
in Familien – Prävention und Hilfen im
Spannungsfeld elterlicher psychischer
Störungen und Sucht.
4. Besonderheiten bei Kindern
drogenabhängiger Eltern
Suchtkranke Eltern(teile)
bei Drogenabhängigen
Anzahl
Personen
54
Patientinnen in gemischten Drogentherapieeinrichtungen
191
Patienten in gemischen Drogentherapieeinrichtungen
59
Offene Drogenszene
56
Drogenabhängige in Therapie
34
Patientinnen im niedrigschwelligen Drogenentzug
Patienten im niedrigschwelligen
Drogenentzug
Drogenabhängige im niedrigschwelligen Drogenentzug
Drogenabhängige im niedrigschwelligen Bereich
männliche Drogenkonsumenten
68
102
501
651
51,0 % ein suchtkranker Elternteil
36,0 % ein suchtkranker Elternteil
54,2 % ein suchtkranker Elternteil
51,8 % ein suchtkranker Elternteil
41,2 % alkoholabhängige Mutter
48,5 % alkoholabhängige Mutter
58,8 % alkoholabhängiger Vater
45,0 % alkoholabhängiger Vater
22,2 % alkoholabhängiger Vater
10,3 % alkoholabhängige Mutter
Hanel, 1988
Hanel, 1988
Sickinger, 1994
Arnold & Steier,
1997
Hoffmann et al.,
1997
Hoffmann et al.,
1997
Hoffmann et al.,
1997
Mann & Kapp, 1997
Küfner et al., 2000
Relative Erkrankungsrisiken (OR) für Jugendliche in
alkoholbelasteten Familien [Lachner & Wittchen, 1997]
Elternteil mit
Alkoholdiagnose
Diagnose
Jugendliche
(N = 3021)
Odds ratio
Nur Vater
Nur Mutter
Beide
Drogenabhängigkeit
4.13
7.79
16.68
Nur Vater
Nur Mutter
Beide
Essstörung
2.12
2.95
2.87
Besonderheiten bei Kindern
methamphetaminabhängiger Eltern I (im Vgl. mit Kindern
alkoholabhängiger Eltern)
Die Schädigungen bei Kindern drogenabhängiger Eltern sind in
mehreren Bereichen gravierender als bei den Kindern
Alkoholabhängiger. Dies resultiert aus folgenden Gründen:
Die Kinder sind häufiger von der Abhängigkeit beider
Elternteile betroffen, da bei Drogenabhängigen ein
entsprechendes Partnerwahlverhalten viel üblicher ist als bei
Alkoholabhängigen. Dadurch können die negativen Effekte des
drogenabhängigen Elternteils nicht in ausreichendem Maß
kompensiert (kein „Buffering“-Effekt) werden.
Die Kinder sind häufiger von Trennungen betroffen und
wachsen entsprechend häufiger bei nur einem Elternteil, in
der Regel die Mutter, auf.
Besonderheiten bei Kindern
methamphetaminabhängiger Eltern II (im Vgl. mit Kindern
alkoholabhängiger Eltern)
Die Kinder erleben im Zusammenhang mit den Konsumfolgen der Eltern und der
Beschaffungskriminalität mehr traumatische Situationen, z.B. Prostitution der Mutter,
Verhaftung des Vaters u.ä.
Die Kinder sind meist in ihren frühen Lebensjahren von der Abhängigkeit eines Elternteils
betroffen, was nach den Erkenntnissen der Entwicklungspsychopathologie ein stärkeres
Entwicklungsrisiko mit sich bringt.
Die Kinder erleben stärkere soziale Isolation und Ächtung, lernen weniger sozial förderliche
Verhaltensweisen und erleben sich dadurch insgesamt in ihrem Selbstwertgefühl als instabiler
und gefährdeter.
Besonderheiten bei Kindern
methamphetaminabhängiger Eltern III (im Vgl. mit Kindern
alkoholabhängiger Eltern)
Die Kinder leiden stärker unter sozialer Marginalisierung der
Familie, z.B. in Form von Armut, Arbeitslosigkeit, beengten
Wohnverhältnissen.
Durch die im Vergleich mit Alkoholabhängigen höhere
Komorbidität laufen die Kinder Gefahr, häufiger eine doppelte
Schädigung aufgrund des komplexeren Störungsbildes ihrer Eltern
zu erleiden.
In Einzelfällen, die klinisch durchaus bekannt und dokumentiert
sind, erleiden Kinder Vergiftungen durch psychotrope
Substanzen, die im Lebensumfeld der Eltern gewöhnlich den
Status der Normalität besitzen.
Aufgrund einer größeren Zahl von Frühgeburten und anderer
ungünstiger perinataler Effekte kann es zu verstärkten Problemen
beim Beziehungsaufbau („bonding“, „attachment“) zwischen Mutter
und Kind kommen. Die Kinder weisen häufiger ein schwieriges
Temperament auf, was bei den Eltern zu Überforderungs- und
Insuffizienzgefühlen führen kann.
Relevante Merkmale in Familien mit
Crystal-Meth-abhängigen Eltern (N=306)
Hohe Traumatisierungsquote der Elternteile in ihrer
Kindheit (> 60%); akute häusliche Gewalt in 37% aller
Fälle
Hohe Zahl suchtkranker Eltern (ca. 55%)
Durchschnittsalter der Eltern: 28.5 Jahre
Durchschnittlich seit 9.7 Jahren CM konsumiert
Durchschnittlich 1.9 Kinder, davon ca. 45% in
Fremdunterbringung
Durchschnittsalter der Kinder 6.3 Jahre
91% zuletzt nicht berufstätig
97% der Partner konsumieren auch CM
80% nasale Applikation von CM
75% multipler Substanzkonsum
50% längere Abstinenzphasen während der
Beratungszeit
Ergebnisse: Crystal-Meth und Familie-Studie mit Unterstützung des BMG (Klein, Dyba & Moesgen,
2015)
Verhaltensänderungen bei
Crystal Meth-abhängigen Eltern I
(N=306)
Irrationale Entscheidungen und Verhaltensweisen
Gereiztheit, Agitiertheit, geringe Frustrationstoleranz
Paranoides Denken
Gedächtnislücken, Konzentrationsprobleme
Stimmungsschwankungen
Lange Wach- bzw. Schlafphasen
Aggressiv, körperlich und verbal
Ergebnisse: Crystal-Meth und Familie-Studie mit Unterstützung des BMG (Klein, Dyba & Moesgen,
2015)
Verhaltensänderungen bei
Crystal Meth-abhängigen Eltern II
(N=306)
Gefühle von Gleichgültigkeit dem Kind
gegenüber
Antriebsarmut, depressive Phasen
Vernachlässigung (Kind, sich selbst)
Ergebnisse: Crystal-Meth und Familie-Studie mit Unterstützung des BMG (Klein, Dyba & Moesgen,
2015)
Synopse der Verhaltensänderungen
bei Crystal-Meth-abhängigen Eltern
(N=306)
(1) Neuropsychologische Veränderungen:
Einschränkung der kognitiven Funktionen
(2) Affektive Verflachung
(3) Internalisierende Verhaltensprobleme:
Depressivität und Rückzug
(4) Psychotisches Erleben
(5) Unruhe, Impulsivität und Aggression
Ergebnisse: Crystal-Meth und Familie-Studie mit Unterstützung des BMG (Klein, Dyba & Moesgen,
2015)
Synopse der häufigsten Auswirkungen
und Verhaltensprobleme bei Kindern
von CM-abhängigen Eltern (N=306)
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
Vernachlässigungssymptome
Entwicklungsverzögerungen, Retardierungen
Sprach- und Artikulationsstörungen
Schlaf(rhythmus)störungen
Externalisierende Verhaltensprobleme, besonders
Jungen: Sozialverhalten, ADHS
(6) Internalisierende Verhaltensprobleme, besonders
Mädchen: Angst, Depressivität
(7) Parentifziertes Verhalten
(8) Persönlichkeitsauffälligkeiten (Frühformen von
PS?)
Ergebnisse: Crystal-Meth und Familie-Studie mit Unterstützung des BMG (Klein, Dyba & Moesgen,
2015)
Sucht und andere psychische Störungen
in Familien – Prävention und Hilfen im
Spannungsfeld elterlicher psychischer
Störungen und Sucht.
4. Konsequenzen für die psychische
Gesundheit von Kindern
Direkte und indirekte Effekte
können Kinder Suchtkranker betreffen
Direkte (substanzbezogene) Indirekte Effekte:
Effekte:
 Behinderungen und Retardierung durch
FAS(D)
Neonatales Abstinenzsyndrom
Retardierung durch andere
Substanzwirkung (z.B. Tabakrauchen)
Schädigung durch Alkoholvergiftungen
in Kindheit und Jugend
Familiale Gewalt
 Unfälle, Verletzungen
 Broken home
 Vernachlässiguung, Misshandlung,
Missbrauch
 Soziale Isolation, sozialer Abstieg
 Familiale Disharmonie
 Partnerprobleme
 Negative Familienatmosphäre
 Zahlreiche negative (kritische)
Lebensereignisse
 Leistungsprobleme in der Schule
Die besondere Rolle von
Persönlichkeitsstörungen
„Kinder von Eltern mit
Persönlichkeitsstörungen zeigen in einigen
Studien übereinstimmend die höchsten
Auffälligkeitsraten und den ungünstigsten
Entwicklungsverlauf… Mittlerweile kann
daher als gesicherter empirischer Befund
gelten, dass die Kinder von Eltern mit
Persönlichkeitsstörungen am stärksten
gefährdet sind“ (Wiegand-Grefe, Halverscheid & Plass, 2011,
17).
Elterliche Verhaltensstressoren für die
(psychische) Gesundheit von Kindern in
Familien: Risikotrias
Psychische Krankheiten
Suchtstörungen
Gewaltverhalten
Cleaver et al., 1999, 2012
Wegen der hohen Komorbidität von
Suchtstörungen und psychischen
Störungen (40% bis 80%) sind
kombinierte, abgestimmte Angebote für
Kinder aus allen derartigen
Familiensystemen besonders wichtig.
Bindungsmuster bei psychisch kranken
Müttern (Cicchetti et al., 1995)
Erkrankung der Mut- Anteil unsicherer Binter
dung bei Kindern
schwere Depression 47%
leichte Depression
24%
bipolare Depression 79%
Schwere
Angster- 80%
krankungen
Alkoholmissbrauch
52% (davon 35% ambivalent)
Drogenmissbrauch
85% (davon 75% ambivalent)
In einer psychisch belasteten Familie zu leben,
bedeutet vor allem psychischen Stress: Alltagsund Dauerstress
Formen des Familienstresses und der
Stressverarbeitung (Schneewind, 2010):
(1) Duldungsstress („Ich kann dem Druck und Stress
nicht ausweichen, halte ihn aber nicht aus“)
(2) Katastrophenstress („Ich weiß nie, was passieren
wird. Das macht mir so viel Angst, dass ich
andauernd daran denken muss“)
(3) Bewältigungsstress („Auch wenn es schwer ist, ich
werde es schaffen und überleben“)
Haupterfahrungen der Kinder
suchtkranker Eltern:
Volatilität des Elternverhaltens
•Instabilität
•Unberechenbarkeit
•Unkontrollierbarkeit
•Gewalt (Zeuge u/o Opfer)
•Misshandlung, Missbrauch,
Vernachlässigung
•Verlusterlebnisse,
Diskontinuitäten
Maria (5), aus Helsinki
Hast Du manchmal Angst vor dem Vater?
Elternteil mit
Alkoholdiagnose
ja
nein
gesamt
Vater
75
(59.5%)
51
(40.5%)
126
Stiefvater
8
(66.7%)
4
(33.3%)
12
Kontrollgruppe
4
(6.6%)
57
(93.4%)
61
N= 251;11- bis 16-Jährige aus nicht klinischer,
repräsentativer Schülerstichprobe
Sucht und andere psychische Störungen in
Familien – Prävention und Hilfen im
Spannungsfeld elterlicher psychischer
Störungen und Sucht.
5. Prävention, Frühintervention, Hilfen
Ziele in der Arbeit mit Kindern aus psychisch
kranken und suchtbelasteten Familien
Frühintervention
Problem- und Ressourcenidentifikation
Nachhaltigkeit
Steigerung des Selbstwerts (Persönlichkeitsschutz)
Altersgerechte Psychoedukation
Umfassender Kinderschutz
Förderung der psychischen Gesundheit
Resilienzen für
Kinder von Suchtkranken I (nach Wolin &
Wolin, 1995)
• Ahnung, Wissen, Einsicht, z.B. dass mit der
drogenabhängigen Mutter etwas nicht stimmt
• Unabhängigkeit, z.B. sich von den Stimmungen in der
Familie nicht mehr beeinflussen zu lassen
• Beziehungsfähigkeit, z.B. in eigener Initiative
Bindungen zu psychisch gesunden und stabilen
Menschen aufzubauen
• Initiative, z.B. in Form von sportlichen und sozialen
Aktivitäten
Resilienzen für
Kinder von Suchtkranken II
• Kreativität, z.B. in Form von künstlerischem Ausdruck
•Humor, z.B. in Form von Ironie und selbstbezogenem
Witz als Methode der Distanzierung
•Moral, z.B. in Form eines von den Eltern
unabhängigen stabilen Wertesystems.
Merke: Neben der Individualresilienz (z.B. von
Kindern) ist die Familienresilienz zu fördern. Diese
betrifft die Stressresistenz des ganzen
Lebenssystems (z.B. durch Förderung gesunder
und heilsamer Rituale).
Ressourcenverstärker
 Gemeinsame suchtmittelfreie Zeit und Aktivitäten
 Suchtfreie Familienrituale („distinctive“)
 „Buffering Effekt“ durch nicht suchtbelastetes
Elternteil
 Geschwisterunterstützung
 Soziale Netzwerke im Umfeld der Familie
 Positive Lebensereignisse,
Bewältigungserfahrungen und –zuversicht schaffen
 Psychoedukation („Wissen und Verstehen“) für
Kinder und Jugendliche
Anforderungen an gelingende, effektive
Prävention
frühzeitig
nachhaltig
glaubwürdig
verhaltens- und verhältnisorientiert
informativ
evidenzbasiert  an ihrem eigenen Erfolg
orientiert
transgenerational, risikoorientiert  selektiv
„Keiner geht verloren“  inklusiv
Als Konkrete Hilfemaßnahmen für Kinder suchtkranker
Eltern auf sekundärpräventiver Ebene sollten folgende
Elemente erfolgen:
Frühzeitige Ansprache ohne Stigmatisierungseffekte
Kontinuierliche Gruppen- und Einzelarbeit
Verstandenwerden in der spezifischen Lebens- und Familiensituation als
KVA (Empathie)
Akzeptanz für Symptome
Wertschätzung der Lebensleistung des Kindes in der Suchtfamilie
Erlaubnis zum Sprechen von bisher Verschwiegenem
Vermeidung negativer Konsequenzen des Sprechens
Möglichst begleitende Elternarbeit
Abbau von Scham- und Schuldgefühlen
Bewältigung traumatischer Erfahrungen (z.B. im Bereich physischer
oder sexueller Gewalt)
Steigerung des Selbstwertgefühls
Förderung der Gefühlswahrnehmung (angesichts der Tabutrias „Sprich
nichts, fühle nicht, traue keinem!“ von Black, 1988).
Cognitive Deconstruction: The Seven C´s:
“I didn´t Cause it.
Ican´t Control it.
I can´t Cure it.
But
I can help take Care of myself by
Communicating feelings
Making good Choices and
Celebrating myself.”
(aus: Children´s program kit, SAMSHA, 2003)
Konsequenzen
Für Kinder in suchtbelasteten Familien sind Maßnahmen
notwendig, die …
(1) früh einsetzen (Frühintervention)
(2) das vorhandene Risiko adäquat wahrnehmen und
bearbeiten (selektive Prävention)
(3) mehrere Generationen überblicken (transgenerationale
Prävention)
(4) umfassend und dauerhaft sind (Case Management)
(5) die ganze Familie einschließen (Familienberatung
und/oder –therapie)
(6) die Motivation zu guter Elternschaft und Suchtbewältigung
verknüpfen (Motivational Interviewing)
(7) die Resilienzen fördern bzw. entwickeln
(Ressourcenorientierung)
(8) regional und lebensweltorientiert sind
(Verantwortungsgemeinschaft)
Resümee
Die Evidenz, dass eine Ausweitung des
Hilfesystems auf die den Suchtkranken
umgebende Familie geschehen muss, ist
so deutlich, dass das Verharren in
ausschließlich individuumsorientierten
Konzepten einen gesundheits- und
versorgungspolitischen Fehler darstellt.
Ebenso dringend ist die routinehafte
Vernetzung der relevanten Hilfesysteme,
vor allem Jugendhilfe, Suchthilfe,
gesundheitliche Hilfen.
Bismarck´sche Sozialgesetzgebung ab
1885
Sucht und andere psychische Störungen in
Familien – Prävention und Hilfen im
Spannungsfeld elterlicher psychischer
Störungen und Sucht.
5. Beispiele von Best Practice –
Modellen: Ideen, Möglichkeiten, Konzepte
www.encare.info / www.encare.at/
www.encare.de
Trampolin: Modulinhalte
9. Positives Abschiednehmen
10. Eltern sensibilisieren und
stärken (Teil 1)
8. Hilfe und Unterstützung einholen
7. Verhaltensstrategien in der Familie erlernen
6. Probleme lösen und Selbstwirksamkeit erhöhen
5. Mit schwierigen Emotionen umgehen
4. Wissen über Sucht und Süchtige vergrößern
3. Über Sucht in der Familie reden
2. Selbstwert/positives Selbstkonzept stärken
1. Vertrauensvolle Gruppenatmosphäre schaffen
10. Eltern sensibilisieren und
stärken (Teil 2)
Ziele der Intervention
Kinder:
• Erlernen effektiver Stressbewältigungsstrategien
(Umgang mit Emotionen, Problemlösestrategien in der
Familie, Hilfesuchverhalten)
• Reduzierung der psychischen Belastung durch
Auflösung des Tabuthemas Sucht
• Erhöhung des Kenntnisstandes der Kinder zur
Wirkung von Alkohol/Drogen und dem Effekt von Sucht
auf die betroffene Person und deren Familie
• Erhöhung des Selbstwerts/Aufbau eines positiven
Selbstkonzepts
• Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung
Relevante Internetadressen
www.addicition.de
www.disup.de
www.kidkit.de
www.nacoa.de
www.encare.info bzw. www.encare.de bzw. www.encare.at
Referent:
Prof. Dr. Michael Klein
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen (KatHO NRW)
Deutsches Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP)
Wörthstraße 10
D-50668 Köln
Email: [email protected]
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