Sucht und andere psychische Störungen in Familien – Prävention und Hilfen im Spannungsfeld elterlicher psychischer Störungen und Sucht. Michael Klein, Köln Sucht und andere psychische Störungen in Familien – Prävention und Hilfen im Spannungsfeld elterlicher psychischer Störungen und Sucht. Teil I – Vortrag: 1. Geschichte des Themas, klinische Beispiele 2. Konzepte, Ergebnisse, Prävalenzen 3. Besonderheiten bei Kindern drogenabhängiger Eltern 4. Konsequenzen elterlicher Suchtstörungen für die psychische Gesundheit von Kindern Teil II – Workshop: 5. Prävention, Frühintervention, Hilfen (Beispiele von Best Practice – Modellen) Vorbemerkung: Suchtstörungen gehören zu den wichtigsten und häufigsten psychischen Störungen – Die Frage nach ihren Auswirkungen auf die Familie sollte Regel und nicht Ausnahme sein. Sucht und andere psychische Störungen in Familien – Prävention und Hilfen im Spannungsfeld elterlicher psychischer Störungen und Sucht. 1. Geschichte des Themas, historische und klinische Beispiele Parentifizierung, Familienkonflikte, Beschämung „Addiction runs in Families“ „Die Generationengrenzen sind alkohollöslich“ Mäßigkeitsbewegung, Amsterdam, ca. 1880 Claudia Black (1969): Wahrnehmung elterlicher, suchtbedingter Konflikte Typische Lebenserfahrungen von Kindern alkoholkranker Eltern (N= 115) • 1. Nicht zu Freunden gehen, um nicht in die Zwangslage zu geraten, diese zu sich nach Hause einladen zu müssen, wo die Eltern sich beschämend verhalten könnten. • 2. In der Schule mit den Gedanken zu Hause sein, was dort gerade Schlimmes passiert oder bald passieren wird. • 3. Andere Kinder beneiden oder eifersüchtig auf diese sein, wenn sie Spaß und Leichtigkeit mit ihren Eltern erleben. • 4. Sich als Kind unter Gleichaltrigen isoliert, abgewertet und einsam fühlen. • 5. Sich von den Eltern vernachlässigt, bisweilen als ungewolltes Kind fühlen. Cork, M. (1969). The forgotten children. Typische Lebenserfahrungen von Kindern alkoholkranker Eltern (Cork, 1969) • 6. Für die Eltern sorgen, sich um sie ängstigen, insbesondere wenn die Mutter süchtig trinkt. • 7. Sich um Trennungsabsichten oder vollzogene Trennungen der Eltern unablässig Sorgen machen. • 8. Als Jugendlicher die Eltern nicht im Stich lassen wollen (z. B. nicht von zu Hause ausziehen können). • 9. Die Eltern für ihr Fehlverhalten entschuldigen. Lieber andere Menschen oder sich selbst beschuldigen. • 10. Vielfache Trennungen und Versöhnungen der Eltern erleben und sich nicht auf einen stabilen, dauerhaften Zustand verlassen können. • 11. Wenn der trinkende Elternteil schließlich mit dem Alkoholmissbrauch aufhört, weiterhin selbst Probleme haben oder solche suchen. Nina, 12 Jahre, beide Elternteile alkoholabhängig (Kinderseminare FK Thommener Höhe) Kinder aus psychisch dysfunktionalen Familien Psychisch kranke Eltern DrogenAlk.abh. Eltern abhängige Eltern Suchtkranke Eltern , z.B. Verhaltenssüchte Sucht und andere psychische Störungen in Familien – Prävention und Hilfen im Spannungsfeld elterlicher psychischer Störungen und Sucht. 2. Konzepte, Ergebnisse, Prävalenzen Familiale Abwehrmechanismen „Mein Kind hat nichts gemerkt“. (Typischer Satz suchtkranker Elternteile) Selbstwertdienliche Attribution Scham- und Schuldgefühl als zentraler intrapsychischer Prozess Abwehr, Verleugnung, Verdrängung und Aggression als zentrale Reaktionen Was beeinflusst das Transmissionsrisiko (erhöhend, abschwächend)? (1) Dauer und Intensität der Exposition (2) Schwere der elterlichen psychischen Störung (3) Genetisches Risiko (Vulnerabilität) (4) Alter des Kindes (5) Stressbewältigungskompetenzen/Resilienzen (6) Kranke/gesunde Modellpersonen (vor allem Verwandte) im Umfeld (7) Intermittierende Lebensereignisse (8) Mangel an elterlicher Kompetenz (z.B. Einfühlsamkeit, Wärme, sichere Bindung) 19. Oktober 2016 Epidemiologie von Suchtstörungen 14 FAS/FASD: Alcohol Exposure and Phases of Embryo/Fetal Development Coles, 1994 Ausgangslage und Fakten In Deutschland leben: 2.65 Millionen Kinder, bei denen ein Elternteil eine alkoholbezogene Störung (Missbrauch oder Abhängigkeit) aufweist (Lachner & Wittchen, 1997; Klein, 2005) ca. 40.000 Kinder mit einem drogenabhängigen Elternteil d.h.: es geht insgesamt nicht um eine gesellschaftliche kleine Randgruppe, sondern um eine substantielle Gruppe von Kindern, die ein deutlich erhöhtes negatives Entwicklungsrisiko aufweisen. Die gesunde Entwicklung von Kindern suchtkranker Eltern ist ein prioritäres PublicHealth-Thema. Prävalenzen Jedes 7. Kind lebt zeitweise (etwa jedes 12. dauerhaft) in einer Familie mit einem Elternteil, der eine alkoholbezogene Störung (Abhängigkeit oder Missbrauch) aufweist (Deutschland; Lachner & Wittchen, 1997) Jedes 3. Kind in einer alkoholbelasteten Familie erfährt regelmäßig physische Gewalt (als Opfer und/oder Zeuge) [Klein & Zobel, 2001] Suchtkranke Familien weisen gehäuft eine „family density“ für Sucht- und andere psychische Störungen auf Prävalenzen Von den Kindern alkoholabhängiger Eltern entwickeln ca. 33% bis 40% selbst eine substanzbezogene Abhängigkeitserkrankung (Sher, 1991; Windle & Searles, 1990; Klein, 2005; Zobel, 2006) Ein Drittel (teilweise überlappend mit dem erstgenannten Drittel) zeigt psychische Störungen (z.B. Ängste, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen) Größte Risikogruppe Kinder suchtkranker Eltern sind die größte bekannte Risikogruppe zur Entwicklung eigener Suchtstörungen, insbes. Alkohol- und Drogenabhängigkeit sowie Verhaltenssüchte (= suchtspezifische Auswirkungen) Für alle anderen psychischen Störungen (z.B. Ängste, Depressionen, Schizophrenien, Schlafstörungen, Persönlichkeitsstörungen) weisen sie ebenfalls erhöhte Risiken auf (= Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Kindern) Relative Wahrscheinlichkeiten (OR) für Alkoholabhängigkeit bei Töchtern und Söhnen von Eltern mit Alkoholstörungen Elterliche Probleme mit Alkohol Männliche Probanden odds-ratio (OR) für Alkoholabhängigkeit Weibliche Probanden odds-ratio (OR) für Alkoholabhängigkeit Nur Vater 2.01 ** 8.69 *** Nur Mutter 3.29 *** 15.94 *** Beide Elternteile 18.77 *** 28.00 *** **: p<.01; ***: p<.001. aus: Lachner & Wittchen (1997, 69). Konstellationen in dysfunktionalen Familien (N= 8.629) Die wichtigsten 9 ACEs sind: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) Emotionaler Missbrauch Körperliche Misshandlung Sexueller Missbrauch Emotionale Vernachlässigung Körperlicher Vernachlässigung Geschlagene Mutter Elterliche Komorbidität Elterliche Trennung und Scheidung Elternteil im Strafvollzug Dube et al., 2001 Kategorien widriger Kindheitserfahrungen (adverse childhood experiences; ACE; Dube et al., 2001) Kategorie widriger Kindheitserfahrungen Emotionaler Missbrauch Körperliche Misshandlung Sexueller Missbrauch Elterlicher Alkoholmissbrauch Kein Elternteil Nur Vater Nur Mutter Beide Elternteile Kein Elternteil Nur Vater Nur Mutter Beide Elternteile Kein Elternteil Nur Vater Nur Mutter Beide Elternteile Töchter Odds Söhne % Ratio % 9.0 20.2 21.9 30.5 20.8 35.3 43.8 49.1 20.2 35.1 35.1 47.5 1.0 2.3 2.4 3.7 1.0 1.9 2.6 3.3 1.0 2.0 1.8 3.1 5.9 14.7 11.4 21.6 24.7 38.6 43.0 52.2 15.8 21.7 29.1 19.8 Odds Ratio 1.0 2.5 1.8 3.9 1.0 1.8 2.1 3.1 1.0 1.5 2.2 1.3 Elterliche Angststörungen Wiegand-Grefe et al., 2010, 155 Eltern mit Affektiven Störungen Wiegand-Grefe et al., 2010, 152 Sucht und andere psychische Störungen in Familien – Prävention und Hilfen im Spannungsfeld elterlicher psychischer Störungen und Sucht. 4. Besonderheiten bei Kindern drogenabhängiger Eltern Suchtkranke Eltern(teile) bei Drogenabhängigen Anzahl Personen 54 Patientinnen in gemischten Drogentherapieeinrichtungen 191 Patienten in gemischen Drogentherapieeinrichtungen 59 Offene Drogenszene 56 Drogenabhängige in Therapie 34 Patientinnen im niedrigschwelligen Drogenentzug Patienten im niedrigschwelligen Drogenentzug Drogenabhängige im niedrigschwelligen Drogenentzug Drogenabhängige im niedrigschwelligen Bereich männliche Drogenkonsumenten 68 102 501 651 51,0 % ein suchtkranker Elternteil 36,0 % ein suchtkranker Elternteil 54,2 % ein suchtkranker Elternteil 51,8 % ein suchtkranker Elternteil 41,2 % alkoholabhängige Mutter 48,5 % alkoholabhängige Mutter 58,8 % alkoholabhängiger Vater 45,0 % alkoholabhängiger Vater 22,2 % alkoholabhängiger Vater 10,3 % alkoholabhängige Mutter Hanel, 1988 Hanel, 1988 Sickinger, 1994 Arnold & Steier, 1997 Hoffmann et al., 1997 Hoffmann et al., 1997 Hoffmann et al., 1997 Mann & Kapp, 1997 Küfner et al., 2000 Relative Erkrankungsrisiken (OR) für Jugendliche in alkoholbelasteten Familien [Lachner & Wittchen, 1997] Elternteil mit Alkoholdiagnose Diagnose Jugendliche (N = 3021) Odds ratio Nur Vater Nur Mutter Beide Drogenabhängigkeit 4.13 7.79 16.68 Nur Vater Nur Mutter Beide Essstörung 2.12 2.95 2.87 Besonderheiten bei Kindern methamphetaminabhängiger Eltern I (im Vgl. mit Kindern alkoholabhängiger Eltern) Die Schädigungen bei Kindern drogenabhängiger Eltern sind in mehreren Bereichen gravierender als bei den Kindern Alkoholabhängiger. Dies resultiert aus folgenden Gründen: Die Kinder sind häufiger von der Abhängigkeit beider Elternteile betroffen, da bei Drogenabhängigen ein entsprechendes Partnerwahlverhalten viel üblicher ist als bei Alkoholabhängigen. Dadurch können die negativen Effekte des drogenabhängigen Elternteils nicht in ausreichendem Maß kompensiert (kein „Buffering“-Effekt) werden. Die Kinder sind häufiger von Trennungen betroffen und wachsen entsprechend häufiger bei nur einem Elternteil, in der Regel die Mutter, auf. Besonderheiten bei Kindern methamphetaminabhängiger Eltern II (im Vgl. mit Kindern alkoholabhängiger Eltern) Die Kinder erleben im Zusammenhang mit den Konsumfolgen der Eltern und der Beschaffungskriminalität mehr traumatische Situationen, z.B. Prostitution der Mutter, Verhaftung des Vaters u.ä. Die Kinder sind meist in ihren frühen Lebensjahren von der Abhängigkeit eines Elternteils betroffen, was nach den Erkenntnissen der Entwicklungspsychopathologie ein stärkeres Entwicklungsrisiko mit sich bringt. Die Kinder erleben stärkere soziale Isolation und Ächtung, lernen weniger sozial förderliche Verhaltensweisen und erleben sich dadurch insgesamt in ihrem Selbstwertgefühl als instabiler und gefährdeter. Besonderheiten bei Kindern methamphetaminabhängiger Eltern III (im Vgl. mit Kindern alkoholabhängiger Eltern) Die Kinder leiden stärker unter sozialer Marginalisierung der Familie, z.B. in Form von Armut, Arbeitslosigkeit, beengten Wohnverhältnissen. Durch die im Vergleich mit Alkoholabhängigen höhere Komorbidität laufen die Kinder Gefahr, häufiger eine doppelte Schädigung aufgrund des komplexeren Störungsbildes ihrer Eltern zu erleiden. In Einzelfällen, die klinisch durchaus bekannt und dokumentiert sind, erleiden Kinder Vergiftungen durch psychotrope Substanzen, die im Lebensumfeld der Eltern gewöhnlich den Status der Normalität besitzen. Aufgrund einer größeren Zahl von Frühgeburten und anderer ungünstiger perinataler Effekte kann es zu verstärkten Problemen beim Beziehungsaufbau („bonding“, „attachment“) zwischen Mutter und Kind kommen. Die Kinder weisen häufiger ein schwieriges Temperament auf, was bei den Eltern zu Überforderungs- und Insuffizienzgefühlen führen kann. Relevante Merkmale in Familien mit Crystal-Meth-abhängigen Eltern (N=306) Hohe Traumatisierungsquote der Elternteile in ihrer Kindheit (> 60%); akute häusliche Gewalt in 37% aller Fälle Hohe Zahl suchtkranker Eltern (ca. 55%) Durchschnittsalter der Eltern: 28.5 Jahre Durchschnittlich seit 9.7 Jahren CM konsumiert Durchschnittlich 1.9 Kinder, davon ca. 45% in Fremdunterbringung Durchschnittsalter der Kinder 6.3 Jahre 91% zuletzt nicht berufstätig 97% der Partner konsumieren auch CM 80% nasale Applikation von CM 75% multipler Substanzkonsum 50% längere Abstinenzphasen während der Beratungszeit Ergebnisse: Crystal-Meth und Familie-Studie mit Unterstützung des BMG (Klein, Dyba & Moesgen, 2015) Verhaltensänderungen bei Crystal Meth-abhängigen Eltern I (N=306) Irrationale Entscheidungen und Verhaltensweisen Gereiztheit, Agitiertheit, geringe Frustrationstoleranz Paranoides Denken Gedächtnislücken, Konzentrationsprobleme Stimmungsschwankungen Lange Wach- bzw. Schlafphasen Aggressiv, körperlich und verbal Ergebnisse: Crystal-Meth und Familie-Studie mit Unterstützung des BMG (Klein, Dyba & Moesgen, 2015) Verhaltensänderungen bei Crystal Meth-abhängigen Eltern II (N=306) Gefühle von Gleichgültigkeit dem Kind gegenüber Antriebsarmut, depressive Phasen Vernachlässigung (Kind, sich selbst) Ergebnisse: Crystal-Meth und Familie-Studie mit Unterstützung des BMG (Klein, Dyba & Moesgen, 2015) Synopse der Verhaltensänderungen bei Crystal-Meth-abhängigen Eltern (N=306) (1) Neuropsychologische Veränderungen: Einschränkung der kognitiven Funktionen (2) Affektive Verflachung (3) Internalisierende Verhaltensprobleme: Depressivität und Rückzug (4) Psychotisches Erleben (5) Unruhe, Impulsivität und Aggression Ergebnisse: Crystal-Meth und Familie-Studie mit Unterstützung des BMG (Klein, Dyba & Moesgen, 2015) Synopse der häufigsten Auswirkungen und Verhaltensprobleme bei Kindern von CM-abhängigen Eltern (N=306) (1) (2) (3) (4) (5) Vernachlässigungssymptome Entwicklungsverzögerungen, Retardierungen Sprach- und Artikulationsstörungen Schlaf(rhythmus)störungen Externalisierende Verhaltensprobleme, besonders Jungen: Sozialverhalten, ADHS (6) Internalisierende Verhaltensprobleme, besonders Mädchen: Angst, Depressivität (7) Parentifziertes Verhalten (8) Persönlichkeitsauffälligkeiten (Frühformen von PS?) Ergebnisse: Crystal-Meth und Familie-Studie mit Unterstützung des BMG (Klein, Dyba & Moesgen, 2015) Sucht und andere psychische Störungen in Familien – Prävention und Hilfen im Spannungsfeld elterlicher psychischer Störungen und Sucht. 4. Konsequenzen für die psychische Gesundheit von Kindern Direkte und indirekte Effekte können Kinder Suchtkranker betreffen Direkte (substanzbezogene) Indirekte Effekte: Effekte: Behinderungen und Retardierung durch FAS(D) Neonatales Abstinenzsyndrom Retardierung durch andere Substanzwirkung (z.B. Tabakrauchen) Schädigung durch Alkoholvergiftungen in Kindheit und Jugend Familiale Gewalt Unfälle, Verletzungen Broken home Vernachlässiguung, Misshandlung, Missbrauch Soziale Isolation, sozialer Abstieg Familiale Disharmonie Partnerprobleme Negative Familienatmosphäre Zahlreiche negative (kritische) Lebensereignisse Leistungsprobleme in der Schule Die besondere Rolle von Persönlichkeitsstörungen „Kinder von Eltern mit Persönlichkeitsstörungen zeigen in einigen Studien übereinstimmend die höchsten Auffälligkeitsraten und den ungünstigsten Entwicklungsverlauf… Mittlerweile kann daher als gesicherter empirischer Befund gelten, dass die Kinder von Eltern mit Persönlichkeitsstörungen am stärksten gefährdet sind“ (Wiegand-Grefe, Halverscheid & Plass, 2011, 17). Elterliche Verhaltensstressoren für die (psychische) Gesundheit von Kindern in Familien: Risikotrias Psychische Krankheiten Suchtstörungen Gewaltverhalten Cleaver et al., 1999, 2012 Wegen der hohen Komorbidität von Suchtstörungen und psychischen Störungen (40% bis 80%) sind kombinierte, abgestimmte Angebote für Kinder aus allen derartigen Familiensystemen besonders wichtig. Bindungsmuster bei psychisch kranken Müttern (Cicchetti et al., 1995) Erkrankung der Mut- Anteil unsicherer Binter dung bei Kindern schwere Depression 47% leichte Depression 24% bipolare Depression 79% Schwere Angster- 80% krankungen Alkoholmissbrauch 52% (davon 35% ambivalent) Drogenmissbrauch 85% (davon 75% ambivalent) In einer psychisch belasteten Familie zu leben, bedeutet vor allem psychischen Stress: Alltagsund Dauerstress Formen des Familienstresses und der Stressverarbeitung (Schneewind, 2010): (1) Duldungsstress („Ich kann dem Druck und Stress nicht ausweichen, halte ihn aber nicht aus“) (2) Katastrophenstress („Ich weiß nie, was passieren wird. Das macht mir so viel Angst, dass ich andauernd daran denken muss“) (3) Bewältigungsstress („Auch wenn es schwer ist, ich werde es schaffen und überleben“) Haupterfahrungen der Kinder suchtkranker Eltern: Volatilität des Elternverhaltens •Instabilität •Unberechenbarkeit •Unkontrollierbarkeit •Gewalt (Zeuge u/o Opfer) •Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung •Verlusterlebnisse, Diskontinuitäten Maria (5), aus Helsinki Hast Du manchmal Angst vor dem Vater? Elternteil mit Alkoholdiagnose ja nein gesamt Vater 75 (59.5%) 51 (40.5%) 126 Stiefvater 8 (66.7%) 4 (33.3%) 12 Kontrollgruppe 4 (6.6%) 57 (93.4%) 61 N= 251;11- bis 16-Jährige aus nicht klinischer, repräsentativer Schülerstichprobe Sucht und andere psychische Störungen in Familien – Prävention und Hilfen im Spannungsfeld elterlicher psychischer Störungen und Sucht. 5. Prävention, Frühintervention, Hilfen Ziele in der Arbeit mit Kindern aus psychisch kranken und suchtbelasteten Familien Frühintervention Problem- und Ressourcenidentifikation Nachhaltigkeit Steigerung des Selbstwerts (Persönlichkeitsschutz) Altersgerechte Psychoedukation Umfassender Kinderschutz Förderung der psychischen Gesundheit Resilienzen für Kinder von Suchtkranken I (nach Wolin & Wolin, 1995) • Ahnung, Wissen, Einsicht, z.B. dass mit der drogenabhängigen Mutter etwas nicht stimmt • Unabhängigkeit, z.B. sich von den Stimmungen in der Familie nicht mehr beeinflussen zu lassen • Beziehungsfähigkeit, z.B. in eigener Initiative Bindungen zu psychisch gesunden und stabilen Menschen aufzubauen • Initiative, z.B. in Form von sportlichen und sozialen Aktivitäten Resilienzen für Kinder von Suchtkranken II • Kreativität, z.B. in Form von künstlerischem Ausdruck •Humor, z.B. in Form von Ironie und selbstbezogenem Witz als Methode der Distanzierung •Moral, z.B. in Form eines von den Eltern unabhängigen stabilen Wertesystems. Merke: Neben der Individualresilienz (z.B. von Kindern) ist die Familienresilienz zu fördern. Diese betrifft die Stressresistenz des ganzen Lebenssystems (z.B. durch Förderung gesunder und heilsamer Rituale). Ressourcenverstärker Gemeinsame suchtmittelfreie Zeit und Aktivitäten Suchtfreie Familienrituale („distinctive“) „Buffering Effekt“ durch nicht suchtbelastetes Elternteil Geschwisterunterstützung Soziale Netzwerke im Umfeld der Familie Positive Lebensereignisse, Bewältigungserfahrungen und –zuversicht schaffen Psychoedukation („Wissen und Verstehen“) für Kinder und Jugendliche Anforderungen an gelingende, effektive Prävention frühzeitig nachhaltig glaubwürdig verhaltens- und verhältnisorientiert informativ evidenzbasiert an ihrem eigenen Erfolg orientiert transgenerational, risikoorientiert selektiv „Keiner geht verloren“ inklusiv Als Konkrete Hilfemaßnahmen für Kinder suchtkranker Eltern auf sekundärpräventiver Ebene sollten folgende Elemente erfolgen: Frühzeitige Ansprache ohne Stigmatisierungseffekte Kontinuierliche Gruppen- und Einzelarbeit Verstandenwerden in der spezifischen Lebens- und Familiensituation als KVA (Empathie) Akzeptanz für Symptome Wertschätzung der Lebensleistung des Kindes in der Suchtfamilie Erlaubnis zum Sprechen von bisher Verschwiegenem Vermeidung negativer Konsequenzen des Sprechens Möglichst begleitende Elternarbeit Abbau von Scham- und Schuldgefühlen Bewältigung traumatischer Erfahrungen (z.B. im Bereich physischer oder sexueller Gewalt) Steigerung des Selbstwertgefühls Förderung der Gefühlswahrnehmung (angesichts der Tabutrias „Sprich nichts, fühle nicht, traue keinem!“ von Black, 1988). Cognitive Deconstruction: The Seven C´s: “I didn´t Cause it. Ican´t Control it. I can´t Cure it. But I can help take Care of myself by Communicating feelings Making good Choices and Celebrating myself.” (aus: Children´s program kit, SAMSHA, 2003) Konsequenzen Für Kinder in suchtbelasteten Familien sind Maßnahmen notwendig, die … (1) früh einsetzen (Frühintervention) (2) das vorhandene Risiko adäquat wahrnehmen und bearbeiten (selektive Prävention) (3) mehrere Generationen überblicken (transgenerationale Prävention) (4) umfassend und dauerhaft sind (Case Management) (5) die ganze Familie einschließen (Familienberatung und/oder –therapie) (6) die Motivation zu guter Elternschaft und Suchtbewältigung verknüpfen (Motivational Interviewing) (7) die Resilienzen fördern bzw. entwickeln (Ressourcenorientierung) (8) regional und lebensweltorientiert sind (Verantwortungsgemeinschaft) Resümee Die Evidenz, dass eine Ausweitung des Hilfesystems auf die den Suchtkranken umgebende Familie geschehen muss, ist so deutlich, dass das Verharren in ausschließlich individuumsorientierten Konzepten einen gesundheits- und versorgungspolitischen Fehler darstellt. Ebenso dringend ist die routinehafte Vernetzung der relevanten Hilfesysteme, vor allem Jugendhilfe, Suchthilfe, gesundheitliche Hilfen. Bismarck´sche Sozialgesetzgebung ab 1885 Sucht und andere psychische Störungen in Familien – Prävention und Hilfen im Spannungsfeld elterlicher psychischer Störungen und Sucht. 5. Beispiele von Best Practice – Modellen: Ideen, Möglichkeiten, Konzepte www.encare.info / www.encare.at/ www.encare.de Trampolin: Modulinhalte 9. Positives Abschiednehmen 10. Eltern sensibilisieren und stärken (Teil 1) 8. Hilfe und Unterstützung einholen 7. Verhaltensstrategien in der Familie erlernen 6. Probleme lösen und Selbstwirksamkeit erhöhen 5. Mit schwierigen Emotionen umgehen 4. Wissen über Sucht und Süchtige vergrößern 3. Über Sucht in der Familie reden 2. Selbstwert/positives Selbstkonzept stärken 1. Vertrauensvolle Gruppenatmosphäre schaffen 10. Eltern sensibilisieren und stärken (Teil 2) Ziele der Intervention Kinder: • Erlernen effektiver Stressbewältigungsstrategien (Umgang mit Emotionen, Problemlösestrategien in der Familie, Hilfesuchverhalten) • Reduzierung der psychischen Belastung durch Auflösung des Tabuthemas Sucht • Erhöhung des Kenntnisstandes der Kinder zur Wirkung von Alkohol/Drogen und dem Effekt von Sucht auf die betroffene Person und deren Familie • Erhöhung des Selbstwerts/Aufbau eines positiven Selbstkonzepts • Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung Relevante Internetadressen www.addicition.de www.disup.de www.kidkit.de www.nacoa.de www.encare.info bzw. www.encare.de bzw. www.encare.at Referent: Prof. Dr. Michael Klein Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen (KatHO NRW) Deutsches Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP) Wörthstraße 10 D-50668 Köln Email: [email protected]