KJP Bindungsstörungen

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der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie
St. Annastiftskrankenhaus · Karolina-Burger-Straße 51 · 67065 Ludwigshafen am Rhein · www.st-annastiftskrankenhaus.de
Elterninformation zu Bindungsstörungen
Die Bindungsstörungen gehören nach der ICD 10-Klassifikation zu einer Gruppe
gestörter sozialer Funktionen. Man unterscheidet zwei Formen, eine gehemmte
und eine ungehemmte.
Sie entstehen vor dem Hintergrund häufig wechselnder Bezugssysteme und -personen innerhalb der ersten Lebensjahre in der Regel in Verbindung mit einer frühen
Vernachlässigung.
Deprivation: Kasper-Hauser-Syndrom
Symptome
Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters, auch "gehemmte Form" (ICD 10-F94.1)
Störungen der sozialen Funktionen
• Abnormes Beziehungsmuster zu Betreuungspersonen mit einer Mischung aus Annäherung und
Vermeidung und Widerstand gegen Zuspruch
• Eingeschränkte Interaktion mit Gleichaltrigen
• Beeinträchtigung des sozialen Spielens
• Gegen sich selbst und andere gerichtete Aggressionen
Emotionale Auffälligkeiten
• Furchtsamkeit
• Übervorsichtigkeit
• Unglücklichsein
• Mangel an emotionaler Ansprechbarkeit
• Verlust/Mangel an emotionalen Reaktionen
• Apathie
• "frozen watchfulness" ("eingefrorene Wachsamkeit")
Herausgeber: Dr. Jochen Gehrmann
Chefarzt Klinik für Kinder- u.
Jugendpsychiatrie u. Psychotherapie
September 2010 I bs
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Nach der Definition sollten die Störungen der sozialen und emotionalen Reaktionen in verschiedenen
Situationen bemerkbar sein.
Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung, auch "ungehemmte Form"
(ICD 10-F 94.2)
Störungen der sozialen Funktionen
• Abnormes Beziehungsmuster zu Betreuungspersonen mit einer Mischung aus Annäherung und
Vermeidung und Widerstand gegen Zuspruch
• Inadäquate Reaktionen auf Beziehungsangebote von Bezugspersonen
• Nicht-selektives Bindungsverhalten mit wahlloser Freundlichkeit und Distanzlosigkeit
• Gleichförmige Interaktionsmuster gegenüber Fremden
• Eingeschränkte Interaktion mit Gleichaltrigen
• Beeinträchtigung des sozialen Spielens
• Gegen sich selbst und andere gerichtete Aggressionen
Emotionale Auffälligkeiten stehen nicht im Vordergrund, aber kommen vor.
Entstehung
Als Ursachen einer reaktiven Bindungsstörung kommen vor allem Verwahrlosung und emotionale
Vernachlässigung im Kindesalter in Betracht. Die Bindungsstörung mit Enthemmung entwickelt sich
häufig im fünften Lebensjahr aus der erstgenannten Störung.
Eine britische Studie durch die Arbeitsgruppe um Sir Michel Rutter (London) an
rumänischen Adoptivkindern mit unterschiedlich langer Deprivationsdauer kommt zu
folgenden Ergebnissen:
Unter den rumänischen Kindern mit langer Deprivationsdauer vor der Adoption
lag die Häufigkeit schwerer Bindungsstörungen im Alter von sechs Jahren bei
30%.
Die reaktive Bindungsstörung (ICD 10-F94.1) tritt besonders bei jüngeren Kindern auf. Die Bindungsstörung mit Enthemmung (ICD 10-F94.2) entwickelt sich in der Regel aus der erstgenannten
Störung im fünften Lebensjahr.
Differentialdiagnose: Was ist noch zu beachten?
Für die Diagnose "Bindungsstörung" müssen bestimmte andere Störungen ausgeschlossen sein,
zum Beispiel psychosoziale Probleme als Folge von sexueller oder körperlicher Misshandlung im
Kindesalter und körperliche Probleme infolge von Misshandlung.
Herausgeber: Dr. Jochen Gehrmann
Chefarzt Klinik für Kinder- u.
Jugendpsychiatrie u. Psychotherapie
September 2010 I bs
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Diagnostisch sollte das Intelligenzniveau überprüft werden, zumal diesem auch in prognostischer
Hinsicht eine Bedeutung zukommt.
Wichtig ist auch die Unterscheidung vom Autismus, vom Asperger-Syndrom, von kognitiver Behinderung, von der schizoiden Persönlichkeitsstörung sowie von bestimmten Formen der Schizophrenie.
Bei beiden Formen der Bindungsstörung ist das Sprachvermögen anders als beim Autismus intakt,
im Unterschied zur kognitiven Behinderung ist die Intelligenz wie üblich ausgeprägt und es kommt
nicht zu Wahnvorstellungen wie bei der Schizophrenie.
Behandlung
Die entscheidende Intervention besteht darin, ein stabiles und förderndes Umfeld für die betroffenen
Kinder zu schaffen. Kinder mit frühen Bindungsstörungen stellen ihre erwachsenen Bezugspersonen
vor nicht zu unterschätzende Herausforderungen und diese benötigen daher selber häufig einer kontinuierlichen Beratung und Unterstützung z. B. durch einen Pflegekinderdienst oder eine Beratungsstelle.
Spezifische Psychotherapiemöglichkeiten scheiden meist aus. Spieltherapien bei kleinen Kindern
sind im Einzelfall unterstützende Maßnahmen, sollten aber stets die erwachsenen Bezugspersonen
eng einbeziehen. Isolierte Psychotherapien sind nicht hilfreich.
Bei besonders ausgeprägter expansiver Symptomatik z. B. mit regellosem bzw. aggressivem Verhalten kann eine medikamentöse Unterstützung z. B. mit Methylphenidat oder Risperidon sinnvoll sein.
In jedem Fall sind Geduld und möglichst viel Gelassenheit (verbunden mit einer niedrigen Kränkbarkeit) im Umgang mit bindungsgestörten Kindern sinnvoll!
Herausgeber: Dr. Jochen Gehrmann
Chefarzt Klinik für Kinder- u.
Jugendpsychiatrie u. Psychotherapie
September 2010 I bs
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