Inhalt Vorgeburtliche Diagnose angeborener Herzfehler Renate Oberhoffer 1 Sprechstunde: Eltern fragen – Ärzte antworten 10 Seminarreihe JEMAH-Chat 11 Blaukind Claudia von Lehmden 12 Kinderseite 14 Spiel des Jahres 15 Nachrichten Aus den Gruppen Termine Das sollten Sie lesen Informationen auf Abruf Wir helfen herzkranken Kindern und ihren Eltern 16 18 21 22 22 23 Erscheint vierteljährlich Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten ISSN 1437-5184 Herausgeber: Deutsche Herzstiftung Vogtstraße 50 · 60322 Frankfurt am Main Telefon (0 69) 95 51 28-0 ·Telefax (0 69) 95 51 28-313 www.herzstiftung.de · [email protected] Spendenkonto der Kinderherzstiftung: Dresdner Bank Frankfurt Kto 90003503 · BLZ 500 800 00 Die Redaktion übernimmt keine Haftung für unverlangt eingesandte Texte, Manuskripte und Bildmaterial. Der Nachdruck und die elektronische Verbreitung von Artikeln aus Herzblatt ist nur mit Genehmigung der Redaktion möglich. Diese wird aber in der Regel gern erteilt. Prof. Dr. med. Renate Oberhoffer, Kinderklinik und Poliklinik der TU München 6 Lungenhochdruck schon beim Kind: Was tun? Hans Carlo Kallfelz Herzblatt Zeitschrift der Deutschen Herzstiftung 10. Jahrgang · März 2003 · Heft 1 Vorgeburtliche Diagnose angeborener Herzfehler Redaktion: Dr. Irene Oswalt (verantwortlich) Prof. Dr. med. Konrad Bühlmeyer Renate Horst Prof. Dr. med. Hellmut Oelert Layout: www.neufferdesign.de Produktionsleitung: Renate Horst Druck: PrintArt, Dannstadt Bildnachweis: Celestino Piatti (Logo); Sandra Feiniger (S. 18), Julia Flesch (S. 10), R. Herbert (S. 17), Heike Groh (S. 19, 20), JEMAHs (S. 11), Claudia von Lehmden (S. 12, 13), Jan Neuffer (S. 14, 15, 23), Heike Rhein (S. 16), Zoch Verlag (S. 15). Eines von 100 Neugeborenen leidet unter einem angeborenen Herzfehler. Herzfehler zählen zu den häufigsten Fehlbildungen überhaupt. Ihre Diagnose und Therapie erfordern das Fachwissen und die enge Zusammenarbeit von Kinderkardiologen und Kinderherzchirurgen. Die Medizin hat auf dem Gebiet der Neonatologie (Fachrichtung, die auf Neugeborene spezialisiert ist), Intensivmedizin bei Kindern und der Kinderherzchirurgie große Fortschritte gemacht, so dass viele angeborene Herzfehler bereits bei jungen Säuglingen erfolgreich behandelt werden können. Die meisten Kinder überleben, wenige bleiben krank und die Lebensqualität ist in der Regel gut. Das ist nur zu erreichen, wenn die Kinder im bestmöglichen Zustand operiert werden. Längerdauernde Phasen von Sauerstoffmangel oder Schockzustand bei einem herzkranken Neugeborenen verschlechtern die Prognose dramatisch. Im Zeitalter von Pränataldiagnostik oder gar Präimplantationsdiagnostik überrascht es, dass bei der Mehrzahl der Kinder mit angeborenen Herzfehlern die Diagnose erst nach der Geburt gestellt wird. Sie ist zwar vor der Geburt möglich, aber nicht Bestandteil der Mutterschutzrichtlinien, nach denen nur zu dokumentieren ist, ob das Herz des ungeborenen Kindes schlägt oder nicht. So bleibt die Herzdiagnostik vor der Geburt meist dem Zufall überlassen, wenn die Schwangere im dritten bis sechsten Monat einen sogenannten Fehlbildungsultraschall in Anspruch nimmt und dabei auf einen Arzt trifft, der spezialisiert ist auf die Diagnose von Herzfehlern vor der Geburt. Vorgeburtliche Ultraschalldiagnostik Ein niedergelassener Frauenarzt in Deutschland betreut pro Jahr im Schnitt 88 Schwangere bzw. führt in diesem Zeitraum 528 Schwangerschafts-Ultraschalluntersuchungen durch. Im statistischen Mittel wird er nicht einmal zwei angeborene Fehlbildungen des Ungeborenen pro Jahr zu sehen bekommen, seltene Anomalien wie Skelettfehlbildungen oder einen Nabelschnurbruch rein statistisch betrachtet sogar nur alle 50 Jahre. Nach einer Studie an mehreren geburtshilflichen Abteilungen bzw. Kinderabteilungen der Region Wien wurde nur jede zweite Fehlbildung vorgeburtlich erkannt, bei den niedergelassenen Gynäkologen waren es sogar nur 22%. Nach Schätzungen werden in Deutschland lediglich 40 von 100 Fehlbildungen vor der Geburt diagnostiziert (Alle Angaben aus: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin, DEGUM, Der Kinderarzt, 1998). Welche Konsequenzen resultieren hieraus für eine Familie, bei der eine Risikoschwangerschaft besteht? Wann besteht ein erhöhtes Risiko für einen angeborenen Herzfehler beim Kind? Familien, in denen ein angeborener Herzfehler bereits vorgekommen ist – bei Vater, Mutter oder einem Kind –, werden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als 1:100 damit rechnen müssen, ein Kind mit einer Herzanomalie zu bekommen. Weitere Risikofaktoren sind Zuckerkrankheit und bestimmte rheumatische Erkrankungen bei der Schwangeren sowie Einnahme von Medikamen1 ten wie z.B. Lithium oder Drogen wie Alkohol, Kokain u.a. Leidet das Ungeborene unter einer Chromosomenstörung (z.B. durch Fruchtwasseruntersuchung diagnostizierte Trisomie 21) oder unter anderen Fehlbildungen, die das Herz nicht betreffen, liegt in bis zu 30% der Fälle auch ein Herzfehler vor. Mehrlingsschwangerschaften, durch bestimmte Methoden künstlicher Befruchtung entstandene Schwangerschaften, und Schwangerschaften mit zu wenig oder zu viel Fruchtwasser stellen ebenso Risikofaktoren dar wie Herzrhythmusstörungen des Ungeborenen. In all diesen Fällen ist die vorgeburtliche Ultraschalluntersuchung durch einen Experten der DEGUM zu empfehlen. Dem Arbeitskreis Fetale Echokardiographie der DEGUM gehören Frauenärzte und Kinderkardiologen an, die sich im Bereich der vorgeburtlichen Diagnose angeborener Herzfehler, der sogenannten fetalen Echokardiographie, besonders spezialisiert haben. Echokardiographie vor der Geburt Die fetale Echokardiogaphie ermöglicht die systematische Untersuchung des kindlichen Herzens bereits vor der Geburt. Mit Ultraschall sollten alle Abschnitte des Herzens im bewegten Bild auf ihre Struktur und Funktion untersucht werden. Herzrhythmus und Klappenfunktionen können durch zusätzliche Anwendung der gepulsten oder Farb-Dopplersonographie beurteilt werden. Seit ihrer Einführung Anfang der 80er Jahre hat sich die fetale Echokardiographie in erfahrenen Händen zu einem zuverlässigen Instrument entwickelt. Wenn auch manche Untersuchungsbedingungen nicht immer einen optimalen Blick auf das Herz des ungeborenen Kindes gestatten (z.B. mütterliches Übergewicht, große oder geringe Fruchtwassermenge), ist es in der Mehrzahl der Fälle möglich, entweder einen Herzfehler auszuschließen oder ihn zuverlässig zu erfassen. Fehlermöglichkeiten sind natürlich auch hier gegeben. Sie liegen u.a. in den nur milimetergroßen Strukturen begründet: So kann ein kleiner Kammerscheidewanddefekt leicht übersehen werden. Ebenso schwierig sind die Diagnosen Lungenvenenfehl2 mündung und Aortenisthmusstenose, auf die oft nur aus indirekten Hinweisen wie z.B. einem vergrößerten rechten Herzen, geschlossen werden kann. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass das Ungeborene noch mehrere Wochen Entwicklung vor sich hat, in der sich auch am Herz noch Veränderungen wie z.B. Klappenverengungen einstellen können. Eine erste Untersuchung im Zeitraum der 18. – 22. Schwangerschaftswoche und eine Verlaufsuntersuchung in der 28. – 32. Schwangerschaftswoche sind daher unbedingt zu empfehlen. Kann ein angeborener Herzfehler ausgeschlossen werden, bedeutet das für den weiteren Verlauf der Schwangerschaft eine enorme seelische Entlastung, insbesondere wenn die Familie bereits ein herzkrankes Kind betreut. Die Geburt kann dann am Wunschort, auch in einer kleinen Klinik ohne Kinderarzt, stattfinden. Wurde ein Herzfehler diagnostiziert, sollte ein erfahrenes Team die weitere Schwangerschaft, die Geburt und die Zeit unmittelbar danach überwachen. Betreuung von Schwangeren und Kindern Am Interdisziplinären perinatalen Mutter-KindZentrum der Technischen Universität (TU) München ist in den letzten Jahren ein Netzwerk zur möglichst schon vorgeburtlichen Betreuung von Kindern mit Herzfehlern entstanden. Regelmäßig findet eine entsprechende Ambulanz im Verbund von Kinderkardiologen, Pränatalmedizinern, Geburtshelfern und Neonatologen statt. Dabei arbeiten die Kinderklinik und die Frauenklinik der TU sowie das Deutsche Herzzentrum München, Klinik an der TU, zusammen. Wird ein Herzfehler bei einem Ungeborenen diagnostiziert, besprechen wir gemeinsam mit den Eltern die voraussichtliche Entwicklung, die nach der Geburt zu erwartenden Komplikationen und die Therapiemöglichkeiten. Frühzeitig werden Geburtsort und -art diskutiert und auch die Kinderherzchirurgen einbezogen. Regelmäßige Fallkonferenzen intensivieren den fachlichen Austausch. Zum Geburtszeitpunkt ist dadurch sichergestellt, dass alle beteiligten Fachdisziplinen über das erwartete Neugeborene mit Herzfehler informiert sind und die notwendigen Maßnahmen sofort eingeleitet werden. Die Familie hat sich zwar während der Schwangerschaft damit auseinandersetzen müssen, dass sie ein herzkrankes Kind bekommt. Aber sie konnte sich auf die Situation vorbereiten und wird nicht von ihr in den ersten Lebenswochen des Neugeborenen überrascht. Wenn nötig, kann auch bereits während der Schwangerschaft psychologische Hilfe in Anspruch genommen werden. Bei den meisten angeborenen Herzfehlern ist ein komplikationsloser Verlauf der Schwangerschaft und ein unauffälliges Wachstum des Kindes zu erwar- Abb. 1: 4-Kammerblick in der fetalen Echokardiographie - normal große linke Herzkammer, unterentwickelte rechte Herzkammer. Die rote Farbe zeigt, wie Blut in die beiden Kammern fließt. Die Lungendurchblutung dieses Kindes war ductusabhängig; unmittelbar nach der Geburt erhielt das Kind eine Prostaglandininfusion. ten. Die Geburt kann auf normalem Weg erfolgen; aus Sicht des Kinderkardiologen ist eine Entbindung durch Kaiserschnitt meist nicht nötig. Bei einigen Diagnosen ist auch die Entbindung in einem spezialisierten Zentrum nicht unbedingt erforderlich: Dazu gehören Kammerscheidewanddefekte, auch der sogenannte AV-Kanal sowie geringgradige Klappenverengungen. Die Diagnose sollte aber nach der Geburt durch einen Kinderkardiologen gesichert werden, der auch die weitere Betreuung übernehmen kann. 3 Abb. 2: Vorgeburtliches Bild einer sogenannten Herzektopie, d.h. Teile des Herzens (Pfeil) liegen außerhalb des Brustkorbs (gestrichelte Linie ) – in diesem Fall ist die Geburt per Kaiserschnitt nötig, um zu vermeiden, dass das Herz verletzt wird. Oft liegen sogenannte kritische Herzfehler vor, bei denen die Durchblutung von Körper- oder Lungenkreislauf nach Geburt vom Ductus arteriosus abhängig ist. Dieser stellt vor der Geburt eine natürliche Querverbindung von Körper- und Lungenschlagader dar und schließt sich normalerweise innerhalb weniger Tage nach Geburt. Bei extremen Verengungen oder gar Verschlüssen (Atresien) der Körper- oder Lungenschlagader, kann diese Querverbindung vorübergehend genutzt werden, um das Leben des Kindes zu erhalten. Dann erhält das Kind über eine Vene eine Infusion von sogenannten Prostaglandinen, die als körpereigene Hormone den Ductus arteriosus offen halten. Ist ein solcher Herzfehler vor der Geburt bekannt, wird die Infusion bereits im Kreißsaal veranlasst. Das sollte in einem Zentrum erfolgen, in dem sowohl Neonatologen als auch Kinderkardiologen arbeiten. Im Allgemeinen ist der Zustand dieser Kinder so gut, dass sie für einige Tage in unmittelbarer Nähe der Mutter bleiben können. Täglicher Kontakt und Stillen sind selbstverständlich. Der Operationszeitpunkt wird gemeinsam mit dem operativen 4 Zentrum festgelegt. Dieses Zentrum sollte über Erfahrungen bei der Operation und der Versorgung von Säuglingen nach der Operation verfügen. Manchmal ist das Kind trotzdem unmittelbar nach der Geburt in einem solchen Zustand, dass es eine Atemhilfe braucht oder künstlich beatmet werden muss. Auch in diesem Fall ist wesentlich, dass ein Neonatologe bei der Geburt anwesend ist. In schwierigen Situationen, z.B. bei einem vorzeitigen Verschluss des Foramen ovale oder bei hypoplastischem Linksherzsyndrom, muss unmittelbar operiert werden. Auch eine Pumpschwäche des Herzens, z.B. bei extremer Verengung der Aortenklappe, kann sofortige Intensivmaßnahmen und eine Klappensprengung erfordern. Wird ein besonders kritischer Zustand des Kindes nach der Geburt erwartet, kann durchaus auch einmal ein Kaiserschnitt in Nachbarschaft des kardiochirurgischen Operationssaals notwendig werden. Aus diesen Gründen sollte bei bestimmten angeborenen Herzfehlern wenige Tage vor der erwarteten Entbindung noch einmal durch eine Echo- Abb. 3: Vorgeburtliches Bild eines vergrößerten kindlichen Herzens innerhalb des Brustkorbs (gestrichelte Linie). Das Herz ist von Flüssigkeit umgeben (Pfeil), die Lungen sind an den Rand gedrängt – nach der Geburt muss mit Kreislaufund Lungenproblemen gerechnet werden. Ursache war eine Herzmuskelentzündung des Ungeborenen. kardiographie das Herz des Ungeborenen untersucht werden. Auch bedrohliche Herzrhythmusstörungen sollen hier kurz angesprochen werden: Ein dauerhaft zu schneller Herzschlag von z.B. 230 Schlägen/Minute wird dazu führen, dass das Herz des Ungeborenen hochgradig in seiner Funktion gestört ist. Vor 15 Jahren versagte oft dann das Herz mit Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum, Brustkorb und Haut, und das Kind starb in der Gebärmutter. Heute stehen für die Therapie eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung. Diese können je nach Dringlichkeit dem Ungeborenen direkt über die Nabelschnur durch eine Venenpunktion verabreicht werden. Eine Therapie der Mutter, der man Medikamente spritzt oder Tabletten gibt, erreicht das Kind auch über die Plazenta. Die Erfolgsraten sind hoch, so dass diese Kinder meist ohne Komplikationen und ohne Herzrhythmusstörung geboren werden. Die fetale Echokardiographie ermöglicht die frühe Diagnose oder den Ausschluss angeborener Herz- fehler und von Rhythmusstörungen sehr zuverlässig. Eine intensive Zusammenarbeit von Kinderkardiologe, Geburtshelfer, Neonatologe und Kinderherzchirurg ist für die optimale Betreuung der Schwangeren und ihres Kindes entscheidend. Die Entbindung in einem erfahrenen Zentrum trägt zur Verbesserung der Prognose bei. Längere Transporte eines Risikoneugeborenen sind ungünstig. Nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neonatologie sollte ein Kind, das nach der Geburt auf ein spezialisiertes Zentrum angewiesen ist, dorthin bereits vor der Geburt, d.h. im Bauch der Mutter, transportiert werden. Je mehr die Eltern eines Kindes mit einem angeborenen Herzfehler sich schon vor der Geburt die Möglichkeiten spezialisierter Zentren zunutze machen, desto besser sind die Aussichten. Heute leben Tausende von Erwachsenen nur deshalb, weil Untersuchungsverfahren und Therapien angeborener Herzfehler in den letzten Jahrzehnten so große Fortschritte gemacht haben. 5