Vom Symptom zur Therapie

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CME Fortbildung
Sexuell übertragbare Infektionen
Mauritius
Vom Symptom
zur Therapie
Wolfgang Fuchs, Ricarda Wüstefeld, Adriane Skaletz-Rorowski, N. H. Brockmeyer
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert sexuelle Gesundheit als einen Zustand des körperlichen, emotionalen, mentalen und
sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität und nicht nur als
das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen. In Anbetracht dessen erscheint es umso wichtiger, Wissen um Diagnostik,
Therapie und Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen (STI)
sowie von deren möglichen Symptomen und Spätfolgen in das ärztliche Gespräch zu integrieren. Viele Patienten tabuisieren das Thema
„Sexuelle Gesundheit“ im Gespräch mit ihrem Arzt, ebenso wie es für
den Arzt ein mit Tabus besetztes Tätigkeitsfeld ist, sodass wichtige
Informationen über mögliche Ursachen von Symptomen – wie etwa
Fieber – nicht preisgegeben werden.
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Der Allgemeinarzt SH_CME/2015
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D
Der vorliegende Artikel bietet einen Überblick
über die wichtigsten STI und ihre Relevanz in
der allgemeinmedizinischen Praxis.
HIV
Erstmalig seit der AIDS-Epidemie in den 1980er
Jahren lassen sich weltweit sinkende Infektionszahlen bei HIV-Neuinfektionen und Mortalitätsraten verzeichnen. Dies ist einerseits
durch die Wirksamkeit der Präventionskampagnen zu erklären. Andererseits erhalten wesentlich mehr infizierte Patienten einen Zugang zur medikamentösen Therapie. Die in
den 1980er und 1990er Jahren – teils durch
starke Nebenwirkungen – belastenden und zu
Beginn der HIV-Epidemie auch nur palliativen
Therapiestrategien konnten in den vergangenen 20 Jahren deutlich verbessert und vereinfacht werden. Eine einmalige Tabletteneinnahme pro Tag zur Kontrolle der vormals tödlich
verlaufenden Infektion ist für viele Patienten
möglich. HIV ist zu einer chronischen viralen
Erkrankung geworden. Und immer mehr Patienten mit einer HIV-Infektion haben eine fast
normale Lebenserwartung. Die allgemeinmedizinische Gesundheitsversorgung ist gerade im
Hinblick sowohl auf die Früherkennung einer
HIV-Infektion als auch auf die alternden HIVPatienten die Basis dieser Versorgung.
Die primäre HIV-Infektion
Das klinische Bild einer primären HIV-Infektion
kann unterschiedlich verlaufen. Nach einer Inkuwww.allgemeinarzt-online.de bationszeit von einigen Tagen bis Wochen nach
HIV-Exposition treten erste Symptome in Erscheinung. Das Leitsymptom einer akuten HIVInfektion ist Fieber. Dies tritt in 80 % der Fälle
auf. Neben Hauterscheinungen – meist flüchtigen Exanthemen (rund 50 % der Fälle) – besteht
meist eine Allgemeinsymptomatik mit Abgeschlagenheit und Myalgien. Es kommt gehäuft
zu zervikaler und axillärer Lymphadenopathie
sowie Pharyngitis oder oralen Ulzerationen.
Fotolia
er Versorgungs-, Beratungs- und Aufklärungsbedarf ist hier erheblich, denn es geht
nicht nur um die Behandlung und Prävention
von STI, sondern um alle Aspekte, die eine gesunde Sexualität ermöglichen. In Deutschland
zeigt sich deutlich, dass dieser Bereich strukturell und personell unterversorgt ist, die Versorgungsangebote meist stark fragmentiert
vorliegen und für Patienten und selbst für Ärzte nicht immer transparent sind. Aus diesem
Grunde ist es wichtig, dass – wie bei anderen
schweren, nur multidisziplinär zu behandelnden Erkrankungen – nach dem Vorbild einer
ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung.
Zentren eingerichtet werden, damit die Patienten interdisziplinär versorgt werden können.
Bis zu 50 % der HIV-Neu­
infektionen werden
durch sexuelle Kontakte
mit ­Menschen im Stadium der frühen Infektion
erworben, in dem die Betroffenen noch nichts von
ihrer Infektion wissen­.
Die Symptome können einem gewöhnlichen
grippalen Infekt oder einer Mononukleose sehr
ähnlich sein. In Anbetracht dieser Tatsache ist
beim Vorliegen der geschilderten Symptome
eine entsprechende Risikoanamnese unerläss­
lich. HIV betrifft nicht nur junge Erwachsene.
Die Daten des HIV/AIDS-Registers des Robert
Koch-Instituts zeigen, dass 60 % der HIV-Neudiagnosen im Jahr 2011 bei Patienten im Alter
von 30 – 49 Jahren erfolgte.
Die akute Infektion wird in den ersten sechs
Monaten nach Ansteckung als frühe HIV-Infektion bezeichnet. Es kommt zu einer raschen
Vermehrung der HI-Viren im Wirt bis zu mehreren Millionen Viruskopien pro Milliliter Serum.
Patienten sind in diesem Erkrankungsstadium
hochinfektiös. Bis zu 50 % der HIV-Neuinfektionen werden durch sexuelle Kontakte mit Menschen im Stadium der frühen Infektion, in dem
die Betroffenen noch nicht von ihrer Infektion
wissen, erworben.
Die Latenzphase
Nach der primären Ansteckung tritt die Infektion
in ihre Latenzphase, die bis zu
▪▪▪▪▪▪▪▪▪ zehn Jahre anhalten kann. Die
Patienten bleiben infektiös. Körperliche Beschwerden bestehen
selten. Das unkontrollierte Persistieren des Virus führt jedoch
zu einer chronischen Immunaktivierung, sodass ein deut▪▪▪▪▪▪▪▪▪ lich erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und
Malignome besteht. Die vom HI-Virus infizierten T-Helferzellen (CD4-positive Lymphozyten)
sinken im Verlauf dieser Latenzphase von ihrem normalen Wert ab, bei Erwachsenen auf
600 – 1 200 CD4-positive T-Lymphozyten pro →
HIV-Symptome können
­einem gewöhnlichen grippalen ­Infekt oder einer Mono­
nukleose sehr ähnlich sein.
Der Allgemeinarzt SH_CME/2015
13
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µl. Je weiter die Helferzellen sinken, desto häufiger kommt es zum Auftreten von Infektionen.
Ab einer CD4-Zellzahl von 350/µl oder niedriger kommt es vermehrt zu Herpes zoster, Candida-Infektionen, Leukoplakien oder etwa chronischer Diarrhoe. Fällt die CD4-Zellzahl weiter,
treten opportunistische Infektionen wie Tuberkulose und schwere Infektionen, hervorgerufen etwa durch Kryptokokken, Cytomegalievirus oder Pneumocystis jirovecii, auf.
(zum Beispiel http://www.hiv-druginteractionslite.org) bewährt und ist daher unverzichtbar.
Therapieziel und Beginn der anti­
retroviralen Therapie
„Ziel der antiretroviralen Therapie (ART) ist es,
durch die Hemmung der HIV-Replikation infektionsbedingte Symptome zu unterdrücken, die
Krankheitsprogression zu vermindern, eine Rekonstitution der zellulären Immunität zu erreichen und die chronische Immunaktivierung mit
ihren resultierenden Entzündungsprozessen zu
reduzieren“ [AWMF-Leitlinie].
Therapiestrategien der HIV-Infektion
Die in den 1980er und 1990er teils sehr belastenden Therapiestrategien haben sich stark
vereinfacht. Gegenwärtig stehen sechs Substanzklassen zur Therapie der HIV-Infektion
zur Verfügung. Neben Protease-Inhibitoren
(PI) stellen nukleosidische (NRTI)­
und nicht-nukleosidische Re- ▪▪▪▪▪▪▪▪▪
verse-Transkriptase-Inhibitoren
(NNRTI) das Rückgrat der Therapie dar. Neuere Wirkstoffklassen
wie Integrase-Inhibitoren oder
Ko-Rezeptor­antagonisten (CCR5)
kommen ebenfalls zum Einsatz.
Im Alltag hat sich zur Überprüfung einer möglichen
­Interaktion der Einsatz von
Interaktionsdatenbanken
­bewährt und ist daher unverzichtbar.
Die aktuellen Leitlinien empfehlen eine Kombinationstherapie
aus drei antiretroviral wirksa▪▪▪▪▪▪▪▪▪
men Substanzen, die gemeinsam eingesetzt werden. Retardformulierungen ermöglichen mittlerweile
Einzeltablettenregime (Singletablettenregime,
STR), die bei Therapieadhärenz die Infektion zu
einer chronischen Erkrankung mit fast normaler Lebenserwartung werden lassen.
Wechselwirkungen
Aus allgemeinmedizinischer Sicht ist das Wissen um mögliche Arzneiinteraktionen unverzichtbar. Inhibitoren und Induktoren des
Cytochromsystems können einerseits zu einem gefährlichen Absinken der antiretroviral wirksamen Konzentrationen der HIV-Medikamente führen. Andererseits kann es zu
toxischen Wirkstoffspiegeln anderer Arzneimittel durch die Blockade des Enzymsystems
kommen. Die Liste der interagierenden Substanzen ist lang und beinhaltet Antihypertensiva und Antiarrhythmika sowie neurotrope Substanzen, Lipidsenker, Protonenpumpenhemmer,
Antibiotika und Substitutionsmittel. Im Alltag
hat sich zur Überprüfung einer möglichen Interaktion der Einsatz von Interaktionsdatenbanken
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Der Allgemeinarzt SH_CME/2015
Die Einleitung einer ART sollte durch einen HIVerfahrenen Arzt erfolgen. Die deutsch-österreichischen Leitlinien empfehlen eine Therapieeinleitung ab 500 CD4-Zellen/µl. In der
Einleitungsphase kann es – je nach verwendeten Substanzen – zu passageren Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Diarrhoe kommen. Manche Substanzen zeigen
jedoch auch zentralnervöse Nebenwirkungen
und verursachen Schlafstörungen, z. T. mit halluzinogenen Träumen. Die Ausprägung der Nebenwirkungen kann individuell sehr variieren.
Das Absetzen einer neu eingeleiteten Therapie sollte jedoch nur nach Rücksprache mit einem in der HIV-Therapie erfahrenen Arzt erfolgen. Bei der Verordnung von Medikamenten zur
Symptomkontrolle ist auf mögliche Interaktionen (s. o.) zu achten.
Adhärenz
Der Therapieerfolg ist essenziell mit der Adhärenz der antiretroviralen Therapie assoziiert.
Kommt es durch unregelmäßige Therapieeinnahme zu Schwankungen der Me▪▪▪▪▪▪▪▪▪ dikamentenspiegel, kann dies
zur Resistenzentstehung führen. Bei nicht-nukleosidischen
Reverse-Transkriptase-Inhibitoren kommt es häufig nicht nur
zur Resistenz gegen den ungenau oder gar nicht eingenom▪▪▪▪▪▪▪▪▪ menen Wirkstoff, sondern durch
chemische Ähnlichkeit häufig
zur Resistenz gegen die gesamte Wirkstoffklasse, die somit zur Behandlung der HIV-Infektion
nicht mehr wirksam ist und dem Patienten nicht
mehr zur Verfügung steht. Studien zeigen einen
deutlichen positiven Zusammenhang zwischen
gutem psychosozialen Umfeld der Erkrankten
und höherer Therapieadhärenz. Dies ist gera-
In der Latenzphase der HIV-­
Infektion besteht ein erhöhtes
Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Malignome.
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Tabelle 1
Diagnostik und Therapie der Gonorrhoe (Deutsche STI-Gesellschaft)
Erkrankung
Bei ...
Standardtherapie
Alternativen
Diagnose
Gonorrhoe
Neisseria gonorrhoeae
Erwachsenen
unkomplizierte In­
fektion
urogenital, rektal,
pharyngeal
Vor Therapiebeginn
Kultur anlegen!
Ceftriaxon 1,0 g i.v./
i.m. einmalig zusam­
men mit
Azithromycin 1,5 g p.o.
einmalig
ggf. regionale Resis­
tenzlage berücksich­
tigen!
Azithromycin ist bei
Schwangeren nicht zu­
gelassen!
urogenital/rektal:
Bei Kontraind. für i.m.Injektion und wenn i.v.
nicht möglich
Cefixim 800 mg p.o.
plus Azithromycin 1,5 g
p.o. jeweils einmalig
nur bei kulturell nach­
gewiesener Empfind­
lichkeit: Monothe­
rapie mit Cefuroxim
400 mg, Azithromycin 1,5, Ciprofloxacin
500 mg, jeweils p.o.
Kindern
Bei Neugeborenen und
Kindern < 50 kg KG
•• Ceftriaxon
20 – 50 mg/kg KG
(max. 125 mg) i.v./
i.m. einmalig
•• Nukleinsäureamplifikation (NAAT): Material:
Abstrich (urethral, zervikal, vulvovaginal, anal,
konjunktival, pharyngeal), bei Männern auch
Erststrahlurin)
Pharyngeal pos. NAAT-Ergebnisse mit 2.
Test bestätigen (NAAT mit anderem Target
oder mittels Kultur)
•• Kultur: Selektivmedien, 5 – 10 % CO2, 35 – 37 °C,
70 – 80 % rel. Luftfeuchtigkeit plus ggf. bioche­
mische/molekulare oder massenspektromet­
rische Identifizierung; Resistenzanalyse (Materi­
al: Abstrich wie für NAAT (s. o.))
•• Mikroskopie: Material: Abstrich (nur bei Män­
nern mit symptomatischer Urethritis sinnvoll)
Therapiekontrolle erforderlich (Klinik/Kultur
nach 3 – 7 Tagen (persist. Symptome), NAAT nach
zwei Wochen)
Vor Therapie sollte Gonokokken-Diagnostik (NNAT
und möglichst Kultur) erfolgen! Intrazervikale Kul­
tur bei Frauen verlässlicher, wenn während der Re­
gelblutung Abstrich entnommen wird!
Partnertherapie
e­mpfohlen!
Bei Kindern ≥ 50 kg KG
•• Ceftriaxon
0,5 – 1,0 g i.v./i.m.
einmalig
Gonoblennorhoe
Disseminierte
Gonokokken
infektion (DIG)
(Sepsis)
Neugeborenen
(Prophylaxe)
•• Notfall! Kalkulierte Therapie immer sofort
starten. Therapieoptionen wie oben; zu­
sätzlich Lavage mit reichlich 0,9 % Kochsalz­
lösung!
•• 1 % Silbernitrat (AgNO3) (Crede‘sche Prophy­
laxe) oder antibiotikahaltige Augentropfen
Erwachsenen
•• Ceftriaxon 1 g i.v. alle 24 Stunden, ≥ 7 Tage
Erwachsenen
Zur i.m.-Gabe wird 1,0 g Ceftriaxon-Pulver in
4 ml 1 %iger Lidocainhydrochlorid-Lösung ge­
löst. Injektion in ein oder zwei Portionen (re./
li.) tief intragluteal. Lidocain darf niemals intra­
venös appliziert werden!
de in Anbetracht der nach wie vor vorhandenen Stigmatisierung HIV-infizierter Patienten
und eines daraus resultierenden individuellen
Rückzugs ein therapiebeeinflussender Faktor.
Chronische virale Erkrankung
Die HIV-Infektion ist durch die derzeitigen Therapiestrategien zu einer gut kontrollierbaren
chronischen viralen Infektion geworden. Je früher mit einer antiretroviralen Therapie begonnen wird, desto komplikationsloser ist der weitere Verlauf und das Gesamtüberleben. Durch
die chronische Immunaktivierung besteht jedoch ein erhöhtes Risiko, an kardiovaskulären
Erkrankungen sowie Malignomen zu erkranken. Entsprechende Vorsorgeuntersuchungen
zur Früherkennung werden daher angeraten.
→
www.allgemeinarzt-online.de •• Klinik: Sepsiszeichen, gelenknahe Pusteln
•• Blutkultur mit Antibiogramm
Bei folgenden klinischen Indikationen sollte ein HIV-Test durchgeführt werden (vgl. auch BAG-Bulletin 2010: 264ff.):
•• Mononukleose-ähnliches Krankheitsbild
•• sexuell übertragbare Infektionen (Syphilis, Gonorrhoe,
Chlamydien, Lymphogranuloma venereum, Herpes genitalis,
Condylomata accuminata, Hepatitis A, B und C)
•• neurologische Krankheitsbilder (Demenz, Meningitis, Enzephalitis,
Fazialisparese, Polyneuropathie)
•• Hodgkin-Lymphom
•• mukokutane Läsionen mit Candida albicans, Herpes zoster
•• bei < 40-Jährigen: seborrhoische Dermatitis, orale Haarleukoplakie, unklare Exantheme, generalisierte periphere Lymphadenopathie, Analkarzinom,
Dysplasie der Cervix uteri
•• Wasting-Syndrom
•• Schwangerschaft
•• Blut-, Samen- und Organspende
•• AIDS-definierende Erkrankungen
Der Allgemeinarzt SH_CME/2015
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CME Fortbildung
Tabelle 2
Diagnostik und Therapie der Chlamydieninfektion
Erkrankung
Bei ...
Standardtherapie
Alternativen
Chlamydien
Chlamydia trachomatis
Serovare D–K
Urethritis, Zervizitis,
Pharyngitis, Proktitis
•• Doxycyclin 100 mg
2-mal tgl. p.o. 7 Tage (nicht bei Schwangeren)
Schwangerschaft
•• Azithromycin* 1,5 g
p.o. einmalig (Off-label-use)
•• Azithromycin* 1,5 g p.o. •• Nukleinsäureamplifikation (NAAT):
einmalig
Material: Erststrahlurin, Abstrich
(zervikal, urethral, vulvovaginal, anal,
konjunktival, pharyngeal)
Kontrolle mittels NAAT frühestens
•• Erythromycin 500 mg
sechs Wochen nach Therapiebeginn!
4-mal tgl. p.o. 7 Tage
Kindern
Kinder mit < 45 kg Körpergewicht:
•• Erythromycin 10 mg/
kg KG, 4-mal tgl p.o.
14 Tage
Kinder ab 8 Jahren oder
mit ≥ 45 kg Körpergewicht:
•• Azithromycin 1 g p.o.
einmalig
Serovare L1, L2, L3
Lymphogranuloma venereum oder (hämorrhagische) (Prokto)kolitis
•• Doxycyclin 100 mg 2x •• Azithromycin 1,5 g p.o.
tgl. p.o. ≥ 21 d
Tage 1, 8, 15
(nicht bei Schwangeren) •• Erythromycin 500mg
4-mal tgl p. o. 21 Tage
Inzision bei inguinaler
Abszedierung
Partnertherapie
­empfehlen! Diagnose
Bei Proktitiden bei MSM und HIV-Koinfizierten sollte eine L1-3-Infektion ausgeschlossen werden.
•• NAAT mit Genotyp-Bestimmung
bzw. Differenzierung von LGV- und
Non-LGV-Stämmen. Material: Erststrahlurin, Abstrich, Gewebe, Punktat
Therapiekontrolle unbedingt erforderlich!
* Bei Koinfektion mit M. genitalium besser Azithromycin p.o. über fünf Tage (Tag 1: 500 mg; Tage 2 – 5:
250 mg)
Gonorrhoe
Mauritius
Gebet zum
Heiligen
­Dionysis gegen die Franzosenkrankheit (Syphilis)
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Junge Erwachsene im Alter von 15 bis 25 Jahren erkranken am häufigsten an Gonorrhoe.
Die urethrale Infektion tritt meist zwei bis sieben Tage (Inkubationszeit 3 – 14 Tage) nach Exposition auf und äußert sich in einer akuten
Urethritis mit weißlichem Fluor und Schmerzen in der Urethra. Bei Männern kann es zum
Auftreten des Bonjour-Tropfens kommen – ein
eitriges Sekret am Ostium urethrae. Die Symptomatik kann jedoch deutlich variieren. Bei
Frauen bleibt die Infektion häufig unbemerkt.
Bei Männern, vor allem jedoch bei Männern,
die Sex mit Männern haben (MSM), finden sich
vermehrt asymptomatische Infektionen des
Rektums und des Pharynx. Die fachgerechte
Verwendung von Kondomen schränkt die Übertragungswahrscheinlichkeit auf 40 – 70 % ein.
N. gonorrhoe besitzt einerseits durch chromosomale Modifikation und andererseits durch
Plasmide die Fähigkeit zur Resistenzbildung
gegen Antibiotika. Die Resistenzen können daher an nachfolgende Bakteriengenerationen
weitergegeben werden. In Deutschland ist die
Resis­tenzsituation nach der Änderung des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2001 schlecht
abgebildet. Neuere Studien zeigen jedoch bis zu
70 % Resistenzen gegen Chinolone in Deutschwww.allgemeinarzt-online.de
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Tabelle 3
Diagnostik und Therapie der Syphilis-Infektion
Erkrankung
Bei ...
Standardtherapie
Alternativen
Diagnose
Syphilis
Treponema
pallidum
Erwachsenen
Frühsyphilis (< 1
Jahr)
•• Benzathin-Penicillin G 2,4 Mio. 1-mal
i.m. (gluteal li./re. je
1,2 Mio. I.E.)
•• Ceftriaxon 2 g tgl. i.v. 10 Tage
(nur bei Penicillin-Allergie)
•• Doxycyclin 100 mg 2-mal
tgl. p.o. 14 Tage (nur bei Penicillin-Allergie, nicht bei
Schwangeren)
Erwachsenen
Spätsyphilis (> 1
Jahr)
oder unbekannter Infektionszeitpunkt
•• Benzathin-Penicillin
G 2,4 Mio 3-mal i.m.
(d. h. an den Tagen 1,
8 und 15; gluteal li/
re je 1,2 Mio. I.E.)
•• Ceftriaxon 2 g tgl. i.v. 10 – 14
Tage
•• Doxycyclin 100 mg 2-mal
tgl p.o. 28 Tage (nur bei Penicillin-Allergie, nicht bei
Schwangeren)
•• Erythromycin 500 mg 4-mal
tgl. p.o. 28 Tage
Kindern
Wie bei Erwachsenen mit angepasster Benzathin-Penicillin-G-Dosis: 50 000 IU/kg KG, Applikation i.m. (maximal Erwachsenendosis: 2,4 Mio. pro Applikation). Bei Penicillinallergie: Doxycyclin oder Erythromycin
Cave: Unter acht Jahren kein Doxycyclin!
•• Serologie: Material: Serum-Suchtest:
TPHA, TPPA, TPLA oder polyvalenter
Immunoassay
B
estätigung (alternatives Antigenkonzept!): z. B. FTA-Abs, IgM/IgG-Elisa
oder IgM/IgG-Westernblot
A
ktivität: Lipoid-Antikörper, treponemenspezifisches IgM
•• Nukleinsäureamplifikation (NAAT) bei
Epithelläsionen früher Infektionen,
Material: Abstrich, Gewebe aus Epithelläsion
•• Dunkelfeldmikroskopie bei Epithelläsionen früher Infektionen, Material:
Reizsekret aus Ulkus des Primäreffekts
oder aus nässenden Condylomata lata
K
linische Kontrolle und Follow-up-Sero
logie nach 3, 6, 9 und 12 Monaten!
HIV-Koinfektion
Stadiengerechte Therapie wie bei Nicht-HIV-Infizierten.
Ab Sekundärsyphilis erhöhtes Risiko einer Neurosyphilis < 300 CD4-Zellen/µl beachten! Ab Verdacht auf Neurosyphilis ohne Lumbalpunktion: wie Neurosyphilis behandeln!
Bei neurologischen/psychiatrischen
Symptomen und/oder schwerer Immundefizienz (< 200 CD4-Zellen/µl):
Lumbalpunktion
Schwangeren
Stadiengerechte Therapie wie bei Nicht-Schwangeren,
bei Penicillinallergie: spezifische Immuntherapie, kein
Doxycyclin!
Ceftriaxon nur ausnahmsweise. Cave: Kreuzsensibilisierung!
s. o.
Neugeborenen
•• Penicillin G 200 000 – 250 000 IE/kg KG/Tag i.v.,
verteilt auf: 1. Lebenswo. = 2 Einzeldosen; 2. – 4.
­Lebenswo. = 3 Einzeldosen; ab 5. Lebenswo. 4 Einzeldosen. Kein Doxycyclin!
s. o., zusätzlich beim Kind:
zwei unabhängige IgM-Tests (z. B. 19S
FTA-ABS-IgM und Immunoblot-IgM),
Vergleich kindlicher und mütterlicher
Lipoid-AK-Titer (VDRL/RPR)
Syphilis
connata
Cave Herxheimer-Reaktion: Zur Prophylaxe Prednisolon 1 mg/kg KG p.o. oder
i.v. eine Stunde vor erster Penicillingabe
land. Ein Therapieleitfaden Gonorrhoe ist in Tabelle 1 dargestellt. Eine gezielte Sexualanamnese und entsprechende Probengewinnung von
Abstrichen ist beim Verdacht einer Gonorrhoe
unerlässlich. Die Generationszeit der Gonorrhoe beträgt weniger als 30 Minuten, so dass
von einer ungezielten antiinfektiven Therapie
vor Gewinnung der Abstriche zur Bakterienkultur und Nukleinsäureamplifikation (NAAT/
PCR) abzuraten ist.
Komplikationen
Im Rahmen einer Gonorrhoe kann es zur Perihepatitis mit passagerem Anstieg der Transaminasen sowie in sehr seltenen Fällen zur
disseminierten Gonokokkensepsis kommen.
Eine weitere Komplikation stellt der Morbus
Reiter – eine Symptomtrias mit reaktiver Arthritis, Konjunktivitis (Iritis) und Urethritis nach
stattgehabter Infektion – dar. „Can’t see, can’t
www.allgemeinarzt-online.de pee, can’t climb a tree“ dient als Merksatz dieses Krankheitsbildes, das bis zu zwei Jahre nach
Infektion und in seltenen Fällen auch chronisch
verlaufen kann.
Chlamydia trachomatis
Chlamydien sind obligat intrazelluläre Bakterien, die, ähnlich
▪▪▪▪▪▪▪▪▪
der Gonorrhoe, zu entzündlichen, jedoch nicht eitrigen Infektionen der Urethra führen.
Chlamydia trachomatis stellt
weltweit die häufigste STI dar. ▪▪▪▪▪▪▪▪▪
Bis zu 40 % der Patienten zeigen
Doppelinfektionen von Chlamydien und Gonorrhoe. Neben den Erregern der unkomplizierten
nicht-gonorrhoischen Urethritis, durch Genovare D – K verursacht, treten vor allem die Genovare L1 – L3, die Erreger des Lymphogranuloma
venereum, vermehrt in Erscheinung. Das Lym-
Chlamydieninfektionen
stellen die häufigste STI dar.
→
Der Allgemeinarzt SH_CME/2015
17
CME Fortbildung
phogranuloma venereum ist eine in drei Stadien verlaufende Infektion der Lymphbahnen
und -knoten, sowie der Genitalschleimhaut.
Mauritius
Da Chlamydieninfektionen in bis zu 20 % als
Koinfektionen gemeinsam mit N. gonorrhoe
auftreten, sollte bei passender Anamnese mit
Syphilis
 online
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rezeptivem analen Sexualkontakt (auch durch
Sextoys) und positivem Chlamydien-Nachweis
mittels Nukleinsäureamplifikation (NAAT) eine
weiterführende Differenzierung hinsichtlich
des Genotypus in einem Referenzlabor durchgeführt werden. Die Diagnostik der Chlamydieninfektion allgemein sollte mittels Nukleinsäureamplifikationsverfahren (NAAT) erfolgen
(vgl. Tabelle 2). Zumeist ist dies in einer Probengewinnung gemeinsam mit N. gonorrhoe
möglich. Für junge Frauen unter 25 Jahren besteht die Möglichkeit, eine Screeninguntersuchung auch ohne aktuelle klinische Beschwerden durchführen zu lassen.
Syphilis
Dr. med. univ.
Wolfgang Fuchs
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Ruhr-Universität Bochum
44791 Bochum
Facharzt für Allgemeinmedizin
interessenkonflikte:
Der Autor hat keine deklariert.
18
Die Syphilis (Lues) ist eine Infektionserkrankung
mit dem Spirochäten-Bakterium Treponema
pallidum und wird vor allem durch direkten
sexuellen Kontakt übertragen. Die Erkrankung
lässt sich in vier Stadien einteilen. Im ersten
Stadium – ca. drei bis vier Wochen nach der
Ansteckung – zeigt sich häufig ein Primäraffekt im Sinne eines schmerzlosen Ulkus mit
Lymphknotenschwellung. Dieses gerötete Geschwür befindet sich häufig am Penis, am Introitus vaginae, im Dammbereich, anal, aber
auch oral, und sondert gelegentlich eine farblose Flüssigkeit ab. Ca. ab diesem Zeitpunkt
Der Allgemeinarzt SH_CME/2015
reagiert ein TPHA-Test (Treponema-PallidumHämagglutinationshemmtest) im Blut positiv.
Da die Geschwüre unbehandelt nach vier bis
sechs Wochen abheilen, bleibt ein Arztbesuch
nicht selten aus.
Im Stadium zwei, ca. acht Wochen nach der
Ansteckung, können sich disseminierte Papeln
(Syphilide) über das gesamte Integument ausbreiten, die nach ca. zehn Wochen wieder abheilen. Auch die Handinnenflächen und Fußsohlen können hierbei befallen sein. Zudem
klagen die Patienten häufig über ein allgemeines Krankheitsgefühl mit Müdigkeit, Fieber, generalisierter Schwäche und Abgeschlagenheit.
Es können auch breite, weiche Papeln im Genitalbereich auftreten, die sogenannten Condylomata lata. Insgesamt berichten die Patienten über wenig bis keinen Juckreiz.
Drei bis fünf Jahre später (Tertiärstadium) haben sich die Erreger im gesamten Körper ausgebreitet und auch viele innere Organe sind befallen, z. B. Herz, GI-Trakt, Muskeln, Blutgefäße
(cave: Aortenaneurysma) und Knochen. Häufig sind hier sogenannte Gummen (schmerzhafte Knoten) unter der Haut zu beobachten.
Bei ca. einem Fünftel tritt zehn bis zwanzig
Jahre später das vierte Stadium (die Neurosyphilis) auf. Hierbei kommt es zu einer chronischen Entzündung des zentralen Nerven­
systems. Häufig ist eine progressive Demenz
ein Hauptsymptom.
Zur Diagnose stehen einige Tests zur Verfügung: TPHA, VDRL (Veneral Disease Research
Laboratory, Verlaufskontrolle) und der FTA-Abs
(T. pallidum-Antikörper-Fluoureszenztest, Bestätigungstest). Der direkte Erregernachweis
gelingt über die Dunkelfeldmikroskopie. Als
Therapie kommen in den Frühstadien 2,4 Mio.
IE Benzathin-Benzylpenicllin i.m. zum Einsatz.
Zur Prophylaxe einer Jarish-Herxheimer-Reaktion auf Penicilline sollten zudem 50 – 100 mg
Prednisolon p. o. verabreicht werden (vgl. Tabelle 3). Weiter fortgeschrittene Stadien sollten über einen längeren Zeitraum am besten
im Rahmen eines stationären Aufenthaltes
behandelt werden. Bei einer positiv getesteten Syphilis-Infektion muss eine Meldung an
das Robert Koch-Institut erfolgen.
▪ →
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