Sic et Non. Zeitschrift für Philosophie und Kultur. Im Netz. #5 2006

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Rezension: Petra Gehring, Was ist Biomacht [Petra Rogge: Bioökonomische Dissidenz]
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Sic et Non. Politische Philosophie [www.sicetnon.org]
Rezension
[Petra Rogge]
Bioökonomische Dissidenz
Petra Gehrings Suche nach Antworten auf die Frage »Was ist Biomacht?«
Petra Gehring: Was ist Biomacht? Vom zweifelhaften Mehrwert des Lebens.
Campus 2006. 240 Seiten, Hardcover. ISBN 3593380072. 24,90 Euro
Manchmal ist es gut, mit einem Hinweis anzufangen. Dieser hier lautet schlicht
und doch nicht einfach: »Wenn Biomacht heute als Mitmach-Ökonomie
organisiert ist und sich über biomedizinische, biorechtliche oder anderswie
biopolitische Alltagsangebote realisiert, so wäre es ein Schritt des Widerstandes,
die angebotenen Profite zu verweigern und also den Angebotscharakter in Frage
zu stellen.« Ginge es nicht um Biomacht, so könnte beispielsweise gemeint sein:
vom Auto auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen, weil der Zeitprofit,
den das Auto verspricht, vielleicht gar keiner ist. Jedenfalls nicht für alle und in
keinem Falle unbedingt. Der Gedanke lässt sich genauso auf Angebote aus der
Körperpflegeindustrie übertragen. Dem dort versprochenen Profit von Schönheit
und Gesundheit kann sich - zumindest teilweise - verweigern, wer der Ansicht ist,
weder faltenlos noch sonst irgendwie makellos sein zu müssen.
Nun schreibt die Autorin Petra Gehring, Philosophie-Professorin an der TU
Darmstadt, nicht gegen Autofahren und Körperpflege. Sie schreibt überhaupt
nicht gegen etwas, was zu tun oder zu lassen ist. Ihre Position ist nicht die einer
Gegnerin oder Befürworterin von Biomedizin oder Biotechnologie. Sie verstrickt
die Leser auch nicht in ethische Denkmuster, um ein Pro oder Kontra doch noch
irgendwie zu stützen. Aus ihrem Buch, das eine Überarbeitung bisheriger
Veröffentlichungen zu der Frage »Was ist Biomacht?« versammelt, spricht der
Vorschlag
zur
Reflexion
-
über
Herkunft
und
Gestalt,
Macht
und
Argumentationsweisen von Bioethik und Biopolitik. In den elf Kapiteln des
Buches sind daher auch keine Antworten auf die Frage nach der Biomacht zu
finden. Wohl aber werden spannende Wege aufgezeigt, auf die man bei der Suche
nach Antworten geraten könnte. Wer sich hier auf den Weg machen mag, dem
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#5 2006
Rezension: Petra Gehring, Was ist Biomacht [Petra Rogge: Bioökonomische Dissidenz]
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kann es durchaus hilfreich sein, das biomedizinische und biotechnologische
Profitversprechen befragend im Sinn zu halten.
Wenn
Körperstoffe
und
Biodaten
zirkulieren,
neue
Rechts-
und
Verwertungsverhältnisse entstehen, der lebende menschliche Körper zur
Ressource wird, interessant in ökonomischer Hinsicht, freigegeben zur
Optimierung und Reparatur; wenn Testverfahren Gewissheiten anbieten,
neurophysiologische Experimente den menschlichen Willen verorten und die
Eigentötung mit dem Tod durch Dritte amalgamiert, dann ist stets, so die
Autorin, »das Zugriffsmuster namens Biomacht« im Spiel. Jedes einzelne Kapitel
in Gehrings Buch veranschaulicht beispielhaft, dass es dabei nicht einfach um
Aspekte der Inbesitznahme und Kommerzialisierung des menschlichen Körpers
oder seiner Substanzen geht. Weder, dass der Einzelne Blut und Organe spendet,
die dann doch, den Marktgesetzen unterliegend, im Umlauf gehalten werden, ist
allein brisant. Noch, dass von Schwangeren Biodaten erfasst und ausgedeutet
werden oder Vaterschaftstests familiäre Verantwortung in die Hände der
Gendiagnostik
legen,
macht
allein
den
von
Gehring
angenommenen
»zweifelhaften Mehrwert des Lebens« aus. Wirklich bedenklich ist erst, dass sich
durch das Zugriffsmuster Biomacht auch das zu ändern scheint, »was ein
lebendiger Körper ist«. Werden die biomedizinischen Möglichkeiten erst
angewendet, so laufe ich, also mein individueller menschlicher Körper, Gefahr,
»anders behandelt, anders verwendet, anders wahrgenommen und anders
dargestellt« zu werden.
Sicher kann man der Ansicht sein, dass es sich bei Daten, die beispielsweise für
Gesundheitspässe erhoben und zur Abfrage bereit- gehalten werden, nur um
abstrakte Informationen handelt. Mit der Autorin müsste man allerdings einen
Schritt weiter gehen und die erfassten Daten als Teil des eigenen Körpers
wahrnehmen. Dann wäre das »bisherige Sosein von Leiblichkeit« gefährdet, so
Gehring,
wenn
etwa
eine
Schwangere
sich
über
die
im
Mutterpass
dokumentierten Daten versteht. Denn der Pass fragt medizinische und soziale
Daten ab, die eine Wirklichkeit schaffen, zu der die Schwangere sich schließlich
verhält – so als seien erhöhte Blutzuckerwerte oder andere Risikofaktoren Teil
des schwangeren Körpers. Spitz spricht die Autorin denn auch von der
»Erschließung« der Schwangerschaft durch den Mutterpass. Schön hätte hier
auch der Begriff aus den Reihen des Bundesverbandes der Frauenärzte e.V.
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gepasst: die sprechen vom »Vorsorgefahrplan«, den immerhin 90 Prozent der
schwangeren Frauen brav einhalten, oder in Gehrings Worten »abarbeiten«. Bei
so viel unterstellter Systemkonformität, liegt die Frage nach dem »Warum tun
Frauen das, freiwillig?« recht nahe. Gehring gibt darauf keine Antwort, fast
scheint sie selbst ein wenig verwundert.
Folgt man der Autorin, dann scheint das »Zugriffsmuster Biomacht« so mächtig,
dass Schwangere, Kranke, ungewollt Kinderlose, Alte fraglos auf ein System sich
einlassen, dem der Körper bloß Daten-Körper, Stoff-Körper oder einfach nur
»Ding« ist. Wer hier mit der Autorin einig sein kann, dem werden in den
weiteren Kapiteln Stacheln gesetzt, die so leicht sich nicht wieder ziehen lassen:
Wem eigentlich gehören Körperstoffe und Biodaten? Dürfen die einfach so
genutzt werden? Kann man Eigentumsrechte geltend machen? Diese Stachel, die
sind das wirklich interessante an Petra Gehrings Buch. Keine Antworten, keine
Lösungen. Vielleicht doch, eine kleine Lösung - für jene, die das Profitangebot der
Biomedizin und Biotechnologie für sich überdenken mögen. Man stelle sich mit
der Autorin zunächst die Frage: »Wie technisch will ich meinen Körper im Alltag
erleben und kalkulieren müssen, indem ich mich auf Bio-Daten und
gerätegestützte Selbstkontrollen als Teil einer Therapiestrategie einlasse?« Wem
die Sache mit den Bio-Daten unterdessen etwas bedenklich vorgekommen ist,
dem könnte hierzu so etwas einfallen, wie die Ablehnung des Profitangebots aus
Gründen nicht vorhandenen Interesses. Ein Wagnis natürlich. Da bleibt auch
bioökonomischen Dissidenten nichts erspart.
Anhang:
Zur Person:
Petra Rogge, geboren 1962 in Hannover. Banklehre. Studium der Philosophie, Literaturund Kulturwissenschaften in Köln, Berlin und Hagen. Studien in medizinischer Ethik und
Beratungsforschung. Elternarbeit mit drei Kindern. Freie Autorin.
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