Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung

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ADS Titel 12.7.RZ
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Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung
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Fortschritte in der Diagnose und Therapie
2. überarbeitete Auflage
Herausgeber:
Michael Schulte-Markwort
Michael Zinke
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Seite 1
ADHS
Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung
Fortschritte in der Diagnose
und Therapie
2. überarbeitete Auflage
Herausgeber:
Michael Schulte-Markwort
Michael Zinke
ADHS-Broschüre-15.7.RZ_hs
15.07.2005
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Seite 2
IMPRESSUM
Herausgeber:
Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort
Direktor der Klinik und Poliklinik
für Kinder- und Jugendpsychosomatik
des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Dr. med. Michael Zinke
Pressesprecher des Berufsverbandes
der Kinder- und Jugendärzte, LV Hamburg
Tangstedter Landstraße 77
22415 Hamburg
Springer Medizin Verlag GmbH
Corporate Publishing
PD Dr. Beate Fruhstorfer,
Ulrike Hafner, Ursula Hilpert, Dr. Friederike Holthausen,
Sabine Jost, Dr. Claudia Krekeler, Dr. Christine Leist,
Katrin Stobbe, Sandra Thake,Teresa Windelen (verantwortlich)
Tiergartenstraße 17
69121 Heidelberg
Redaktionelle Mitarbeit: Ulla Satzger-Harsch, Ostfildern
ISBN 3-540-24442-5
SPIN 11380788
2. überarbeitete Auflage 2005
1. Auflage 2003
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der
Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung
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vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich gebührenpflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den
Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.
© Springer Medizin Verlag Heidelberg 2005
Printed in Germany
Mit freundlicher Unterstützung der Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Broschüre berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären
und daher von jedermann benutzt werden dürfen.
Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden.
Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
Titelgestaltung, Layout und Satz: grafische gestaltung buske, Heidelberg
Druck:Wörmann & Partner, Mannheim
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INHALT
➤ VORWORT ZUR 1. AUFLAGE
4
➤ VORWORT ZUR 2. AUFLAGE
5
➤ STAND DER FORSCHUNG
Was wissen wir heute über ADHS?
Manfred Döpfner, Köln
6
Fakten statt Mythen – die Ergebnisse der MTA-Studie
Peter Jensen, New York/USA und Ralf W. Dittmann, Bad Homburg, Hamburg
11
Neurobiologische Grundlagen eines pathophysiologischen Erklärungsmodells
Aribert Rothenberger, Tobias Banaschewski und Henrik Uebel, Göttingen
14
Versorgungssituation von ADHS-Patienten: Ergebnisse der bundesweiten
„Profil“-Studie
Michael Huss und Barbara Högl, Berlin
20
➤ THERAPIE
Multimodale Therapiekonzepte: Problembezogen intervenieren
Manfred Döpfner, Köln
24
Fortschritte in der Pharmakotherapie
Timothy Wilens, Boston und Ralf W. Dittmann, Bad Homburg, Hamburg
29
➤ INTERDISZIPLINÄRE KOOPERATION
Chaos im Kopf: ADHS-Kinder verstehen lernen
Elisabeth Aust-Claus, Wiesbaden
34
ADHS-Kinder fördern – Trainings- und Lernstrategien
Petra-Marina Hammer, Waldems
35
➤ ERWACHSENEN-ADHS
ADHS bei Erwachsenen
Michael Rösler, Homburg
37
➤ DISKUSSION
Fragen und Antworten zu ADHS
➤ KASUISTIKEN
41
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➤ AUSBLICK
Miteinander in einen konstruktiven Dialog treten
Michael Schulte-Markwort, Hamburg
➤ AUTOREN
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VORWORT
ZUR
1. AUFLAGE
Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort,
Hamburg
Auf dem Weg zu einem besseren Verständnis
von ADHS
Die Beiträge des vorliegenden Buches sind das Ergebnis einer Konferenz über ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), die Ende August 2002 in Hamburg stattgefunden hat.
An dieser Konferenz nahmen auf der einen Seite Wissenschaftler, Ärzte und Psychologen und auf
der anderen Seite Eltern und Lehrer teil. Obwohl nicht alle Veranstaltungen gemeinsam durchgeführt wurden, bestand für alle Gruppen Transparenz. Dadurch entstand zwischen den Experten und den Eltern bzw. den Lehrern ein neues Verständnis. Unser gemeinsames Ziel ist eine kritische Sicht der Forschungsergebnisse und eine verbesserte praktische Versorgung von Kindern
mit ADHS.
Das Thema ADHS ist in den vergangenen zehn Jahren mit einer unüberschaubaren Fülle
von Forschungsbemühungen untersucht und mit einer eben solchen Fülle von – teilweise widersprüchlichen – Erkenntnissen überflutet worden. Die hier vorliegenden Beiträge können und
wollen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie vermitteln allerdings einen kompakten
Überblick über die wichtigsten Dimensionen, wie Phänomenologie, Epidemiologie, Ursachenforschung sowie medikamentöse und psychotherapeutische Therapie.
Das Krankheitsbild ADHS und seine Behandlung spiegeln sich seit vielen Jahren in
einem in manchen Bereichen sehr emotionalisiert geführten Diskurs wider. Das Spektrum der
konträren Positionen reicht von der Hypothese einer primär psychogenen Verursachung bis hin
zu Warnungen vor der Behandlung mit Methylphenidat als Kunstfehler. Es ist nicht das Ziel des
vorliegenden Buches, diese Kontroverse zu unterdrücken, zu negieren oder ihr aus dem Weg zu
gehen. Das Ziel ist es, die Ergebnisse einer fundierten Forschung darzulegen. Dieser Ansatz beansprucht nicht, den alleinigen Zugang zur „Wahrheit“ zu besitzen, doch er kann lediglich in bester
wissenschaftlicher Tradition und nur mit einer ebenso fundierten Methodik widerlegt werden.
Diese Widerlegung fehlt bislang.
Verlierer der Kontroverse waren bisher häufig die Eltern und ihre betroffenen Kinder. In
der besonderen Verantwortung ihnen gegenüber muss ein neuer Dialog gefunden werden, der
weder ausgrenzt noch emotionalisiert. Allein eine sachliche Diskussion kann die Grundlage bilden für eine konstruktive Kooperation zwischen allen, die das Krankheitsbild ADHS besser verstehen, diagnostizieren oder behandeln wollen. Dazu möchte dieses Buch einen Beitrag leisten.
Dr. Michael Zinke,
Hamburg
Michael Schulte-Markwort und Michael Zinke, Hamburg, April 2003
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VORWORT
ZUR
2. AUFLAGE
Ein weiterer Schritt nach vorne zu einer besseren
Versorgung von Menschen mit ADHS
Die im Frühjahr 2003 erschienene Erstauflage der Broschüre ist mit großer Resonanz angenommen worden. Viele Leser waren begeistert, brachten die Beiträge doch eine umfassende und
zugleich gut verständliche Zusammenfassung der verschiedenen Dimensionen von ADHS. Seit
der Erstauflage ist einige Zeit vergangen, in der es erfreulicherweise weiteren Fortschritt in der
Versorgung von Patienten mit ADHS gab. Neue Erkenntnisse durch die bildgebende Forschung
untermauern die frühere Hypothese über die anatomischen Grundlagen der Erkrankung wie vor
allem definierte Defizite in den frontostriatalen Hirnarealen. Zudem bestätigte sich, dass ADHS
eine dimensionale Erkrankung ist und in Abhängigkeit vom Grad der Vulnerabilität und den
Umweltfaktoren mehr oder weniger stark zur Ausprägung kommen kann. In der Therapie der
Betroffenen wurde der Blick für komorbide Störungen geschärft, weiß man doch heute, dass sich
die zahlreichen Begleiterkrankungen gegenseitig beeinflussen und die Therapie erschweren
können.
Ebenso gibt es seit kurzem innovative pharmakotherapeutische Optionen in der
Behandlung von ADHS. Seit Ende 2002 in den USA und nun seit kurzem auch in Deutschland
bereichert Atomoxetin die Therapiepalette der Medikamente für die Indikation ADHS und eröffnet eine vergleichbar wirkstarke Alternative zu Methylphenidat. Das Medikament mit dem neuartigen Wirkansatz unterliegt nicht dem Betäubungsmittelgesetz und kann eine kontinuierliche
Wirkung über den ganzen Tag, den Abend bis zum nächsten Morgen ermöglichen. ADHS-Symptome sind schließlich nicht an eine Uhrzeit des Tages gebunden und gehen weit über die Schulstunden hinaus. Es sind gerade der Morgen und der Abend im Familienkreis, die von betroffenen
Eltern als besonders problematisch und belastend beschrieben werden. Dies belegen auch die
Daten der kürzlich von der World Federation for Mental Health (WFMH) durchgeführten internationalen Elternumfrage „Without Boundaries“.
Mit dieser aktualisierten Neuauflage möchten wir als Herausgeber den erzielten Fortschritten Rechnung tragen und Sie über neue Erkenntnisse informieren. Wir wünschen Ihnen
eine informative Lektüre und hoffen auf einen weiterhin konstruktiven Dialog von Eltern, Lehrern, Ärzten und anderen an der Versorgung von Patienten mit ADHS beteiligten Berufsgruppen.
Michael Schulte-Markwort und Michael Zinke, Hamburg, Juli 2005
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DER
FORSCHUNG
Was wissen wir heute über ADHS ?
Manfred Döpfner, Köln
Heinrich Hoffmann charakterisierte in seinem Buch „Der Struwwelpeter” erstmals den Prototypen eines impulsiven, unruhigen und unaufmerksamen Kindes. Mittlerweile – nach
mehr als 150 Jahren – stellen hyperkinetische Störungen wie ADHS zusammen mit Störungen des Sozialverhaltens die häufigsten psychischen Störungen im Kindesalter dar.
Die Kardinalsymptome der Störung sind eine verminderte Aufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität [1]. Die betroffenen
AufmerkF 90.0 Einfache
samkeits- + Hyper- + ImpulAufmerksamkeits- und
Kinder sind leicht ablenkbar und haben Schwierigkeiten, begonaktivität
sivität
störung
Hyperaktivitätsstörung
nene Tätigkeiten zu Ende zu führen und sich dauerhaft zu konsituationsübergreifend
F 90.1 Hyper+
kinetische Störung
zentrieren. So haben diese Kinder eine geringe FrustrationstoleStörung des Sozialverhaltens
des Sozialverhaltens
ranz, sie vermögen nicht, ihre Bedürfnisse lange aufzuschieben
Diagnosen nach DSM-IV
und reagieren schnell gereizt und wütend. Sie fallen durch ihre
AufmerkADHS:
samkeits- + Hyperaktivität /
Ruhelosigkeit, ihr ständiges Zappeln und Umherlaufen auf. Auf
Mischtyp
Impulsivität
störung
der anderen Seite charakterisiert sie auch eine Reihe positiver
situationsübergreifend
Eigenschaften. So sind die Kinder in der Regel offen, zugewandt
ADHS:
AufmerkVorwiegend
samkeits- – Hyperaktivität /
und voller Tatendrang. Sie sind begeisterungsfähig und oft sehr
Impulsivität
unaufmerksamer Typ
störung
situationsübergreifend
hilfsbereit.
AufmerkIm Laufe der Jahre wurde diese Diagnose mit unterschiedlichen
ADHS:
Hyperaktivität / – samkeitsVorwiegend hyperImpulsivität
störung
Begriffen wie Hyperkinetisches Syndrom (HKS), Minimale Cerebraaktiv-impulsiver Typ
le Dysfunktion (MCD), Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS) und
➔ Abbildung 1: Diagnose von ADHS nach
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) belegt.
ICD-10 bzw. nach DSM-IV [4]
Durchschnittlich sind 3% bis 6% aller Kinder im Alter von vier bis
16 Jahren betroffen. Die Häufigkeit variiert in Abhängigkeit vom
Geschlecht. Während in Feldstichproben durchschnittlich etwa 3% der Mädchen an dieser Störung leiden, liegt die Zahl der ADHS-auffälligen Jungen bei 9% [2]. In Klinikstichproben sind die Unterschiede in der geschlechtsspezifischen Verteilung mit etwa 6 : 1 noch
deutlicher ausgeprägt.
Diagnosen nach ICD-10
Diagnostische Kriterien ➤ Die Diagnose von ADHS ist zeitaufwändig und erfordert eine
enge Kooperation des Arztes mit den Eltern und der Schule bzw. dem Kindergarten. Die
Diagnose setzt voraus, dass die Symptome über einen Zeitraum von mindestens sechs
Monaten in einem Maß vorhanden sind, das dem Entwicklungsstand des Kindes nicht
angemessen ist. Die Auffälligkeiten müssen bereits vor dem sechsten Lebensjahr und in
mehreren Lebenssituationen (Familie, Kindergarten/Schule) auftreten.
Die Diagnose wird auf der Basis einer gründlichen Exploration von Eltern und Erziehern bzw. Lehrern vergeben. Fragebögen können dabei eine gute Orientierung geben, rei6
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chen jedoch nicht aus, um die Diagnose abzusichern. Wichtig ist eine fundierte differenzialdiagnostische Abgrenzung zu anderen Störungen wie zum Beispiel einer Lernstörung,
einer Intelligenzminderung oder einer Störung des Sozialverhaltens. Ebenso kann sich eine
hyperaktive Symptomatik durch Medikamente wie zum Beispiel Antikonvulsiva manifestieren oder auch in Form einer psychomotorischen Erregung bei affektiven Störungen und
Angststörungen auftreten. In etwa 70 % der Fälle, insbesondere bei schulischen Leistungsproblemen, ist eine Intelligenz- und Leistungsdiagnostik notwendig.
Operationalisierte Diagnosekriterien nach
ICD-10 und DSM-IV ➤ Hyperkinetische
Störungen sind keine kategorialen, sondern dimensionale Störungen, das heißt
die Grenzen zwischen auffälligem und
normalem Verhalten sind fließend und die
Symptome können mehr oder weniger
stark ausgeprägt sein. Dementsprechend
wird kontrovers diskutiert, ab wann von
einer Störung gesprochen werden kann.
In den beiden Klassifikationssystemen
ICD-10 und DSM-IV werden die diagnostischen Hauptkriterien unterschiedlich
kombiniert (➔ Abbildung 1, ➔ Übersicht).
Nach ICD-10 erfordert die Diagnose einer
Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung sowohl eine ausgeprägte Aufmerksamkeitsstörung als auch Hyperaktivität und Impulsivität. Nach den Diagnosekriterien nach DSM-IV müssen dagegen
bei ADHS nicht alle drei Merkmale zugleich
vorliegen. Vielmehr werden nach den
amerikanischen Diagnoserichtlinien folgende Subtypen differenziert [3]:
● Mischtyp einer Aufmerksamkeitsdefzit-/
Hyperaktivitätsstörung: Es liegen sowohl
eine Aufmerksamkeitsstörung als auch
Hyperaktivität und Impulsivität vor;
● vorherrschend unaufmerksamer Typ: Die
Aufmerksamkeitsstörung steht im Vordergrund, während Hyperaktivität und
Impulsivität nicht oder nicht hinreichend stark ausgeprägt sind;
● vorherrschend hyperaktiv-impulsiver Typ:
Hyperaktivität und Impulsivität domi-
➔ Übersicht: Symptomkriterien der hyperkinetischen Störung nach
ICD-10 und der Aufmerksamkeitsdefizit- bzw. Hyperaktivitätsstörung nach DSM-IV.
Aufmerksamkeitsstörung:
‹ ist häufig unaufmerksam gegenüber Details oder macht Sorgfältig-
keitsfehler bei den Schularbeiten oder anderen Arbeiten/Tätigkeiten
‹ kann die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spiel häufig nicht
aufrechterhalten
‹ führt Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann
‹
‹
‹
‹
‹
Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten nicht zu Ende
bringen
beschäftigt sich nur widerwillig mit Aufgaben, die eine länger
andauernde geistige Anstrengung erfordern
verliert häufig Gegenstände, die er/sie für Aufgaben oder Aktivitäten
benötigt
scheint häufig nicht zu hören, wenn andere ihn/sie ansprechen
kann Aufgaben und Aktivitäten nicht organisieren und strukturieren
wird häufig durch äußere Reize leicht abgelenkt
Hyperaktivität:
‹ zappelt mit Händen oder Füßen oder windet sich auf seinem Sitz
‹ verlässt seinen Platz während des Unterrichts oder in anderen
Situationen, in denen sitzen bleiben erwartet wird
‹ läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen
dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen ist nur ein
Gefühl der inneren Unruhe vorhanden)
‹ hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen
‹ handelt oftmals als wäre er/sie getrieben
‹ zeigt ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivität, das
durch die soziale Umgebung oder durch Aufforderungen nicht
durchgreifend beeinflussbar ist
Impulsivität:
‹ platzt häufig mit den Antworten heraus, bevor Fragen zu Ende
gestellt sind
‹ kann häufig bei Spielen oder Gruppensituationen nicht warten, bis
er/sie an der Reihe ist
‹ unterbricht oder stört andere häufig (z.B. platzt in die Unterhaltung
oder Spiele anderer)
‹ redet übermäßig viel, ohne angemessen auf soziale Beschränkungen
zu reagieren (in DSM-IV unter Hyperaktivität subsummiert)
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Ursachen
Prozesse
Ebenen
genetische Disposition
Störungen des Neurotransmitter-Stoffwechsels
(v.a. Dopamin) und andere zerebrale Störungen
Biochemie +
Neurophysiologie
Störungen der Selbstregulation
(mangelnde Hemmung von Impulsen)
• des Arbeitsgedächtnisses
• der Regulation von Affekt, Motivation
Neuropsychologie
Nahrungsmittelbestandteile?
Hirnschädigung?
und Aufmerksamkeit
• der Automation von Sprache
• Entwicklung von Handlungssequenzen
Hyperkinetische Symptome
• Aufmerksamkeitsschwäche
• Impulsivität
• Hyperaktivität
Zunahme an negativen
Interaktionen mit Bezugspersonen
ungünstige Bedingungen
in Familie /Schule
komorbide Symptome
• Leistungsdefizite
• aggressives Verhalten
• emotionale Störungen
Symptome
Interaktionen
komorbide
Symptome
nieren, während Aufmerksamkeitsstörungen
nicht oder nicht hinreichend stark ausgeprägt sind.
Von einer Aufmerksamkeitsstörung
ohne Hyperaktivität scheinen Mädchen
häufiger betroffen zu sein. Diese Kinder
sind eher hypoaktiv, sie wirken verträumt,
vergessen die kleinsten Anweisungen und
bringen kaum ein Spiel zu Ende. Da das
hyperaktive Verhalten fehlt, wird der Mangel an Konzentrationsfähigkeit oft übersehen und ADHS nicht erkannt.
Verlauf hyperkinetischer Störungen:
Hohe Persistenz bis in das Erwachsenenalter ➤ Bei ADHS handelt es sich um ein
chronisches Störungsbild, das von der
➔ Abbildung 2: Multifaktorielle Genese hyperkinetischer Störungen von
frühkindlichen Entwicklung bis in das
ADHS [2]
Jugend- und Erwachsenenalter persistieren kann. Da die genetische Prädisposition eine zentrale Rolle spielt, haben Kinder, deren
Eltern ebenfalls eine hyperkinetische Störung haben, ein erhöhtes Risiko, an ADHS zu
erkranken. Aber auch exogene Faktoren wie ein Nikotin- oder ein Alkoholabusus während
der Schwangerschaft zählen zu charakteristischen Risikofaktoren. Viele Kinder mit ADHS
sind bereits im Säuglingsalter auffällig mit einem sehr hohen Aktivitätsniveau. Entwickelt sich eine angespannte Atmosphäre mit negativen Eltern-Kind-Interaktionen, ist
das Risiko zur Persistenz der hyperkinetischen Symptomatik größer. Da ein allein erziehender Elternteil in solchen Situationen bedeutend rascher überfordert reagiert, ist das
Risiko von hyperkinetischen Störungen bei getrennt lebenden Eltern erhöht.
Das Spielverhalten von Kindern mit ADHS erscheint oft bereits im Kleinkindalter als
plan- und rastlos. Viele haben eine ausgeprägte Trotzphase und neigen dazu, mit Spielzeug destruktiv umzugehen. Neben der ziellosen Hyperaktivität und der geringen Spielausdauer fallen die Kinder im Vorschulalter auf, da sie extreme Wutausbrüche haben
und Grenzen bzw. Anweisungen kaum befolgen. Mit fortschreitendem Lebensalter und
steigenden Anforderungen in der Schule intensiviert sich die Problematik. Kinder mit
ADHS stören häufig den Unterricht, sie sind unruhig und rasch ablenkbar. Bei vielen
ADHS-Kindern machen sich bereits in den ersten Klassen Lernprobleme und Teilleistungsschwächen bemerkbar, sodass eine Umschulung bzw. eine Klassenwiederholung
unumgänglich ist. Aufgrund des aggressiven Verhaltens werden sie von Gleichaltrigen
oft abgelehnt; sie fühlen sich zunehmend isoliert und es entstehen Selbstwertprobleme.
Doch ADHS ist weit mehr als ein rein schulisches Problem. Die Symptome können sich
über den gesamten Tag und in allen Lebensbereichen zeigen. Das Familienleben ist durch
die Erkrankung i.d.R. extrem belastet. Oft beginnen erste Auseinandersetzungen bereits
beim Aufstehen und Anziehen. Die Konflikte setzen sich dann in der Schule fort, doch
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auch das Erledigen der Hausaufgaben und
➔ Hohe Belastung durch ADHS zu allen Tageszeiten
die Ablehnung durch gleichaltrige Kinder
Internationale Umfrage bestätigt Wunsch nach kontinuierlicher
in der Freizeit stellen Eltern und Kinder am
Symptomkontrolle:
Nachmittag vor massive Probleme. Abends
Mit welchen Problemen die Eltern eines Kindes mit ADHS tagtäglich zu
kommt es häufig zu Spannungen beim
kämpfen haben, zeigen die Ergebnisse einer internationalen Elternbefragung. Im Rahmen dieser von der World Federation for Mental Health
Abendessen und zu Schwierigkeiten beim
(WFMH) initiierten Umfrage wurden im Sommer 2004 insgesamt 766
Zu-Bett-Gehen sowie beim Ein- und DurchEltern aus acht Ländern befragt; alle hatten mindestens ein Kind mit ADHS.
schlafen. Viele Familien halten dem tägWenngleich die Studie nicht repräsentativ für Familien mit einem
lichen Druck durch die von morgens bis
ADHS-Kind ist, so zeigt sie doch, dass der Weg bis zur Diagnose lang ist:
Durchschnittlich dauerte es in Deutschland vom ersten Arztbesuch bis
abends andauernden Auseinandersetzungen
zur endgültigen Diagnose über zwei Jahre. Weniger als 40 % der Kinder
mit dem Kind nicht stand. Die Scheidungserhielten die Diagnose bereits innerhalb eines Jahres.
rate ist bei Eltern eines ADHS-Kindes dreimal
Zugleich machen die Ergebnisse klar, wie stark sowohl der schulische
höher als in der Normalbevölkerung [5].
Bereich als auch das familiäre Zusammenleben durch die Erkrankung
beeinträchtigt werden. Die meisten Eltern (81 %) halten den Morgen für
Da sich die motorische Unruhe im Judie schwierigste Phase des Tages. Doch auch am Nachmittag (76 %)
gendalter vermindert, unterlag man früher
sowie in den Abendstunden (67 %) fühlen sie sich durch den Stress mit
dem Trugschluss, die Störung würde sich
ihrem Kind stark belastet. Die befragten Eltern berichten, dass ihr Kind
von sozialen Aktivitäten ausgeschlossen wird, die Familienaktivitäten
mit der Zeit verringern. Doch heute weiß
massiv gestört sind, sie Probleme haben, Betreuungspersonen für ihr
man, dass sich zwar die Unruhe mit einer
Kind zu finden und auch ihre Ehe durch die Erkrankung negativ beeinhohen Regelmäßigkeit vermindert, die Aufflusst wird. Knapp vier von fünf Eltern sorgen sich um den schulischen
merksamkeitsstörung jedoch häufig persiErfolg (87 %) und die beruflichen Perspektiven (89 %) ihres Kindes.
Der Wunsch nach einer kontinuierlichen Besserung der ADHS-Sympstiert. Im Jugendalter gesellen sich dann
tome ist bei den Eltern groß. Eine ideale Therapie sollte die ADHSdurch das aggressive und dissoziale VerhalSymptome ihrer Vorstellung zufolge nicht nur während der Kindergarten oft weitere Probleme hinzu. Jugendliten- oder Schulzeit bessern, sondern über den ganzen Tag wirksam sein.
che mit ADHS haben ein hohes Risiko für
Die überwiegende Mehrheit der Eltern (71 %) wünscht sich eine anhaltende Besserung vom frühen Morgen bis in den Abend.
einen Alkohol- und Drogenmissbrauch und
sie sind häufig emotional auffällig, neigen
zu Selbstwertproblemen und Ängsten. Bei ein bis zwei Dritteln der betroffenen Kinder und
Jugendlichen persistieren erhebliche beeinträchtigende Störungen auch im fortgeschrittenen Lebensalter. Die Prävalenz von ADHS bei Erwachsenen wird mit 1 % bis 6 % veranschlagt [6]. Viele betroffene Erwachsene haben aufgrund der Störung eine niedrigere
Schulbildung als es ihrer Intelligenz entsprechen würde und etwa ein Drittel fällt durch
dissoziales Verhalten und eine antisoziale Persönlichkeitsstörung auf.
Breites Spektrum multifaktorieller Ursachen ➤ Generell wird eine multifaktorielle
Genese hyperkinetischer Störungen angenommen. Vermutlich entscheidet die genetische
Disposition über die Vulnerabilität, während psychosoziale Faktoren die Ausprägung und
den Verlauf beeinflussen können (➔ Abbildung 2). So scheinen trotz biologischer Merkmale letztlich auch Umweltaspekte darüber zu entscheiden, ob und wie stark sich die
Symptome phänotypisch ausprägen bzw. wie sich die Symptomatik im Laufe der Zeit entwickelt. Familiäre Belastungen, wie z. B. nur ein Elternteil und psychische Störungen der
Eltern, fördern ebenso wie andere belastende Lebensumstände das Auftreten von ADHS.
Heute geht man davon aus, dass eine Dysbalance im Neurotransmitterstoffwechsel
bei Kindern mit ADHS zu Störungen im Selbstregulationsprozess führt. Dadurch können
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STAND
Häufigkeit
bis 50 %
30 % – 50%
15 % – 20%
20 % – 25%
10 % – 25 %
10% – 30 %
Störung
oppositionelle Störung des
Sozialverhaltens
Störung des Sozialverhaltens
(ohne oppositionelle Verhaltensstörung)
affektive Störungen
(v.a. depressive Störungen)
Angststörungen
Lernstörungen, Teilleistungsschwächen
Tic-Störungen oder
Tourette-Syndrom
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FORSCHUNG
spontane Impulse nicht ausreichend gehemmt und die exekutiven
Funktionen nicht optimal ausgeführt werden. Das Arbeitsgedächtnis ist beeinträchtigt und es kommt zu Störungen von
Affekt, Motivation und Aufmerksamkeit. Viele Kinder haben Probleme mit der Automation von Sprache und es fällt ihnen schwer,
Handlungssequenzen zu entwickeln. Zusätzlichen komorbiden
Störungen in Form von Leistungsdefiziten, aggressivem Verhalten
und emotionalen Störungen wird so der Weg geebnet.
ADHS ohne komorbide Störungen eher die Ausnahme ➤ Die
typischen ADHS-Symptome bilden einen Risikofaktor für die Ent➔ Tabelle 1: Häufigkeit komorbider Störungen
wicklung sekundärer psychiatrischer Störungen und bei einem
bei Kindern und Jugendlichen mit hyperkinetiGroßteil der Kinder treten komorbide Störungen auf (➔ Tabelle 1).
schen Störungen von ADHS [2]
Mindestens 50 % der Kinder mit ADHS werden von den Eltern als
aggressiv und 40 % als sozial auffällig beschrieben. Setzt die Störung des Sozialverhaltens besonders früh ein und sind die Symptome ausgeprägt, ist das Risiko erhöht, dass die
Kinder in späteren Jahren substanzabhängig werden oder eine antisoziale Persönlichkeit
entwickeln. Bei mindestens 30 % der Kinder mit ADHS treten Lernstörungen bzw. Teilleistungsschwächen auf, wie z. B. eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder eine zentralmotorische Koordinationsstörung. Eine Tic-Störung manifestiert sich bei bis zu 20 % dieser
Kinder. Insbesondere bei Kindern, bei denen Hyperaktivität und Impulsivität dominieren,
besteht die Gefahr, dass auf den ersten Blick unauffälligere komorbide Störungen übersehen werden. Doch wie die Ergebnisse der MTA-Studie (Multimodal-Treatment-study of
Children with ADHD; siehe Beitrag von P. Jensen und R. W. Dittmann) zeigen, ist es für
die Therapieplanung unerlässlich, das Komorbiditätsprofil exakt zu erfassen. Doch gerade
bei Kindern mit einer komorbiden Störung gestaltet sich eine medikamentöse Behandlung
oft nicht einfach. Laut verschiedenen Fachinformationen bestehen bei Kindern mit ADHS
und bestimmten komorbiden Störungen wie motorischen Tics, schwerer Depression oder
Angsterkrankungen Kontraindikationen bzw. Warnhinweise für den Einsatz von Methylphenidat. Denn unter der medikamentösen Therapie mit Stimulanzien können sich diese
komorbiden Symptome in Einzelfällen verschlimmern. In der Mehrzahl der Fälle verändern
sich die komorbiden Störungen allerdings nicht, oder sie verbessern sich sogar.
1 Dilling H et al. (1991) Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD 10. Huber, Bern Stuttgart
Toronto
2 Döpfner M et al. (2000) Hyperkinetische Störungen, Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie, Band 1,
Hogrefe Verlag, Göttingen
3 Lehmkuhl G, Döpfner M (2002) Hyperkinetische Störungen. In: G. Esser (Hrsg.) Lehrbuch der klinischen
Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters (2. Aufl.) S. 172–196. Stuttgart
4 Döpfner M et al. (2000) Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten (THOP) (3. überarb. Aufl.). Psychologie Verlags Union, Weinheim
5 Brown et al. (1989) Journal of Learning Disabilities 22: 581–7
6 Wender PH et al. (1997) Attention deficit hyperactivity disorder in adults: A wide view of widespread
condition, Psychiat Ann 27: 556–62
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Fakten statt Mythen – die Ergebnisse
der MTA-Studie
Peter Jensen, New York, und Ralf W. Dittmann, Bad Homburg, Hamburg
Bis vor kurzem war nicht bekannt, welche Therapiestrategie – ob Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie oder möglicherweise eine Kombination von beidem – in der Behandlung
von Kindern mit ADHS den besten Erfolg verspricht. Genaueren Aufschluss gab erst die
Multimodal Treatment of ADHS (MTA)-Studie, in der die Wirksamkeit verschiedener Settings über mittlerweile 24 Monate miteinander verglichen wurde.
Eine angemessene Therapie von ADHS besteht aus mehreren Komponenten, die für jedes
Kind individuell zusammengestellt werden müssen. Die MTA-Studie konnte zeigen, welche Elemente eines multimodalen Therapiekonzepts besonderen Erfolg versprechen
[1, 2]. An der Studie, die vom National Institut of Mental Health initiiert wurde, nahmen
in den USA 579 Kinder mit ADHS (Alter 7–9 Jahre) teil. Die Patienten wurden in vier Gruppen randomisiert und nach folgenden Therapieregimen behandelt:
● medikamentöse Behandlung mit Beratung, Pharmakotherapie (Gruppe I);
● Verhaltenstherapie (Gruppe II);
● Kombinationstherapie aus medikamentöser und Verhaltenstherapie (Gruppe III) oder
● Standardtherapie, Routinetherapie (Gruppe IV).
Um die Behandlungsrealität angemessen widerzuspiegeln, wurden Kinder mit ausgeprägter Symptomatik und einer hohen Komorbiditätsrate eingeschlossen (➔ Abbildung 1).
Während weniger als ein Drittel der Kinder ausschließlich an
ADHS erkrankt war, zeigten 40 % der Kinder zusätzlich oppositioADHS ohne komorbide Störung
nelle Verhaltensstörungen, Angststörungen zeigten 34 %. Bei
Störung mit oppositionellem Trotzverhalten
Tic-Störungen
einem Teil der Kinder wurden additiv affektive Störungen diagnosAngststörungen
tiziert. Knapp 31 % der Kinder waren zuvor bereits mit StimulanStörung des Sozialverhaltens
affektive Störungen
zien behandelt worden.
Intensive Therapiestrategie auf dem Prüfstand ➤ Eine Standardtherapie (Gruppe IV) war definiert als die derzeit in der Praxis
niedergelassener Ärzte übliche Routinebehandlung. Hierzu konnte
sowohl eine Beratung als auch eine Pharmakotherapie zählen. Um
die pharmakotherapeutischen Effekte (Gruppe I) zu optimieren,
wurde die Dosis der Medikation (Methylphenidat) innerhalb von
vier Wochen bis zum bestmöglichen Effekt (Clinical Global
Impression 1 oder 2) auftitriert; durchschnittlich lag die Dosis bei
30,5 mg/Tag. Blieb der erwünschte Effekt aus, wurde eine alternative Therapieoption gewählt. Gegen Ende der Studie erhielten
31 %
40 %
11 %
14 %
4%
34 %
n = 579
➔ Abbildung 1: Komorbide Störungen der an
der MTA-Studie teilnehmenden Kinder
11
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STAND
Standardbehandlung
Kombinationstherapie
Verhaltenstherapie
Pharmakotherapie
3,0
mittlerer Score
2,5
2,0
1,5
1,0
0,5
0
0
100
400
200
300
Beobachtungszeitraum (Tage)
➔ Abbildung 2: Unaufmerksamkeit der Kinder
mit ADHS nach dem Urteil der Lehrer
Seite 12
DER
FORSCHUNG
73 % der Kinder in dieser Gruppe Methylphenidat, 10 % Amphetamin und insgesamt 1,6 % entweder Pemolin, Imipramin oder
Bupropion.
Die Verhaltenstherapie (Gruppe II) wurde in hoher Frequenz
durchgeführt und beinhaltete sowohl ein Elterntraining als auch
kindzentrierte Ansätze sowie Interventionen in der Schule. Pro
Kind waren 35 Sitzungen geplant, die zum Teil als Einzelsitzung,
zum Teil gemeinsam mit den Eltern bzw. als Gruppensitzung stattfanden.
Im Rahmen der 14-monatigen Studie wurden die Symptome
sowohl zu Beginn als auch nach drei sowie nach neun Monaten
bewertet. Um fundierte Daten über das langfristige Outcome der
Kinder zu erzielen, wurde ein insgesamt 10 Jahre umfassender
Nachuntersuchungszeitraum eingeplant. Mittlerweile liegen die
Ergebnisse der Follow-up-Untersuchung nach 14 und nach 24
Monaten vor.
Hoher Stellenwert der medikamentösen Therapie ➤ Die Ergebnisse der Studie unterstreichen den Stellenwert einer medikamentösen Therapie. Die Medikation war bezogen
auf die ADHS-Symptomatik in der Schule und in der Familie wirksamer als eine Verhaltenstherapie bzw. eine Standardtherapie. Obwohl sich die Symptomatik im Laufe der Zeit
in allen vier Behandlungsgruppen verbesserte, war die Pharmakotherapie hinsichtlich der
ADHS-Symptomatik sowohl in der Schule als auch in der Familie wirksamer als eine alleinige Verhaltenstherapie bzw. die Routinebehandlung.
So besserte sich die Unaufmerksamkeit der Kinder mit ADHS nach dem Urteil der
Lehrer im Laufe der Studie zwar in sämtlichen vier Behandlungsgruppen, doch war der
Erfolg bei den medikamentös behandelten Kindern deutlich größer als bei Kindern, die
eine Verhaltenstherapie bzw. eine Standardtherapie erhielten (➔ Abbildung 2). Selbst
wenn die Kinder zusätzlich zur medikamentösen Behandlung verhaltenstherapeutisch
behandelt wurden (Kombinationstherapie, Gruppe III), wurde die Unaufmerksamkeit nicht
stärker gebessert als unter einer alleinigen Pharmakotherapie.
Die soziale Kompetenz der Kinder nahm – nach Lehrerurteil – im Laufe der Behandlungsdauer deutlich zu. Doch auch hier erwies sich eine alleinige Verhaltenstherapie einer
medikamentösen Behandlung bzw. der Kombination von Pharmakotherapie und Verhaltenstherapie nicht als ebenbürtig. Dies bestätigte auch eine Bewertung durch die Klassenkameraden. Demnach waren die ADHS-Kinder mit einer kombinierten bzw. einer medikamentösen Therapie bei den Gleichaltrigen deutlich beliebter.
Immerhin 34 % der Kinder aus der Gruppe der Verhaltenstherapie wurden am Ende
der Studie als symptomfrei eingestuft (➔ Abbildung 3). Doch mit 68 % bzw. 56 % fiel die
Zahl der Kinder, die zum gleichen Zeitpunkt unter einer Kombinationstherapie bzw. unter
einer Pharmakotherapie als unauffällig (normalisiert) beurteilt wurden, größer aus (vs.
88 % der Kontrollen in der Klasse). Lediglich bei der Reduktion aggressiver und internalisierender Symptome und der Verbesserung sozialer Kompetenzen erwiesen sich die medi12
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kamentöse Behandlung und die Verhaltenstherapie als gleich wirksam.
DER
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Kontrolle
Kombinationstherapie
Pharmakotherapie
Verhaltenstherapie
Standardbehandlung
Patienten (%)
Kombinierte Therapie bei komorbiden
100
Störungen von Vorteil ➤ Die Ergebnisse
der Studie geben erstmals einen Anhalts88
80
punkt dafür, wie eine multimodale Behandlung zielgerichtet auf den individuellen
68
60
Patienten zugeschnitten werden kann (➔
56
Tabelle 1). So zeigte sich, dass verschiede40
ne Interventionsformen in Abhängigkeit
34
25
20
von der Komorbidität unterschiedlich wirksam sind. Patienten mit einer reinen ADHS0
Symptomatik erfordern demnach ein anderes therapeutisches Vorgehen als ADHSPatienten, bei denen zusätzlich komorbide
➔ Abbildung 3: Unter einer KombinationsStörungen vorliegen.
therapie bzw. Pharmakotherapie wurden mehr
Kinder als „unauffällig“ beurteilt
So sprachen Kinder mit ADHS und
Angststörungen (ohne oppositionelles Verhalten) gleichermaßen gut auf eine Verhaltenstherapie und auf eine Pharmakotherapie an.
Doch bei Kindern, bei denen ausschließlich ADHS-Symptome bzw. eine ADHS-Symptomatik (plus oppositionelles Verhalten), jedoch keine Angststörung, diagnostiziert wurde, besserten sich die Symptome am besten unter einer medikamentösen Therapie. Bei Kindern
mit multiplen komorbiden Störungen (Angststörungen und oppositionellem Verhalten)
wurden die besten Erfolge mit einer kombinierten Behandlung aus Pharmakotherapie und
Verhaltenstherapie erzielt.
Der Routinebehandlung eindeutig überlegen ➤ Die Studienergebnisse zeigen, dass sich
eine intensivierte Behandlung von Kindern mit ADHS lohnt. So waren die im Rahmen der
Studie (Gruppe I bis III) erzielten Ergebnisse deutlich besser als die Ergebnisse der ansonsten üblichen Standardtherapie (Gruppe IV). Dabei fiel der Therapieerfolg dieser Routinegruppe schlechter aus, obwohl auch zwei
Domäne
Drittel dieser Kinder medikamentös behandelt wurden. So wurde
ADHS-Symptomatik
die Medikation in dieser Gruppe oft zu niedrig dosiert, und es fanoppositionelles/
den deutlich seltener Kontakte der behandelnden Ärzte mit den
aggressives Verhalten
Kindern und ihren Eltern und auch mit den Lehrern statt.
Angststörung
Ergebnisse langfristig positiv ➤ Nach Ende der 14-monatigen
Behandlung ging der initiale Effekt zwar in einem geringen Ausmaß verloren, doch schnitten die Kinder, die zuvor medikamentös
bzw. mit einer kombinierten Therapie behandelt worden waren,
nach wie vor besser ab als Kinder, die ausschließlich eine Verhaltenstherapie oder eine Standardtherapie erhalten hatten.
soziale Kompetenz
Lernfähigkeit
Eltern-Kind-Beziehung
K
Ja
M
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
V
Ja
Ja
➔ Tabelle 1: Ist eine kombinierte Behandlung
(K), eine Pharmakotherapie (M) oder eine Verhaltenstherapie (V) erfolgreicher als die Standardbehandlung?
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STAND
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DER
FORSCHUNG
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deficit hyperactivity disorder. Arch Gen Psychiatry 56:1073–86
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3 Jensen PS et al. (2001) ADHD comorbidity findings from the MTA study: Comparing comorbid subgroups. J Am
Acad Child Adolesc Psychiatry 40:147–58
Neurobiologische Grundlagen
eines pathophysiologischen Erklärungsmodells
Aribert Rothenberger, Tobias Banaschewski, Henrik Uebel, Göttingen
Seit einigen Jahren häufen sich die Hinweise, dass zwischen Kindern mit ADHS und
gesunden Kindern vielfältige neurobiologische Unterschiede bestehen. Demnach ist ADHS
nicht nur mit genetischen Veränderungen, sondern auch mit strukturellen und funktionellen Gehirnanomalien und neuropsychologischen Auffälligkeiten assoziiert.
Die Kernsymptome von ADHS betreffen die kognitive, die motorische und die emotionale Ebene. An der Ausprägung dieser Beeinträchtigungen scheint nach einem Modell von
Alexander et al. ein zerebral weit verzweigtes, neuronales Netzwerk miteinander verbundener Hirnregionen beteiligt zu sein [1]. Demnach regulieren fünf parallel organisierte
kortiko-subkortikale Regelkreise, in denen Neurone des Kortex, des Striatums, des Pallidums bzw. der Substantia nigra und des Thalamus funktionell miteinander verbunden
sind, die Sensomotorik, aufmerksamkeitskontrollierte Augenbewegungen, exekutive
Funktionen, Aufmerksamkeit verschiedener Art sowie Motivation, Emotion und Affektkontrolle (➔ Abbildung 1). Der präfrontale Kortex bildet eine funktionell den übrigen Kortexarealen übergeordnete Struktur, die der supervidierenden Verhaltensregulation dient
und über die neuronalen Regelkreise mit sensorischen, limbischen und motorischen Funktionseinheiten verbunden ist. Die mangelhafte Fähigkeit von Menschen mit ADHS, das
Verhalten zielgerichtet und flexibel zu steuern, scheint mit einer Dysfunktion im Bereich
dieser frontosubkortikalen Regelkreise, des präfrontalen Kortex und seiner Verbindungen
zu subkortikalen Strukturen, assoziiert zu sein. Dabei scheinen ADHS-Patienten zwar die
gleichen Knotenpunkte der neuronalen Netzwerke wie Gesunde zu besitzen, doch das
Netzwerk anders zu nutzen.
Frontosubkortikale Regelkreise werden vor allem durch dopaminerge und noradrenerge
Transmittersysteme reguliert [2]. Dopaminerge Zielgebiete sind insbesondere im präfrontalen Kortex, im Striatum und im limbischen System lokalisiert, während Noradrenalin im
Locus coeruleus und dem lateralen Tegmentum gebildet wird und breit gestreute, eher
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STAND
posteriore kortikale Zielgebiete beeinflusst.
Die Hypothese, dass katecholaminerge
Neurotransmittersysteme an der Pathophysiologie der ADHS wesentlich beteiligt
sind, wird durch pharmakologische, genetische und tierexperimentelle Befunde
gestützt.
DER
FORSCHUNG
supplementäre
motorische
Area
frontales
Augenfeld
dorsolateraler
präfrontaler
Kortex
lateraler
orbito-frontaler
Kortex
mesialer
orbito-frontaler
Kortex
Putamen
Caudatum
(Körper)
dorsolaterales
Caudatum
(Kopf)
ventromediales
Caudatum
(Kopf)
ventrales
Striatum
Globus Pallidus/
Substantia Nigra
pars Reticulata
Globus Pallidus/
Substantia Nigra
pars Reticulata
Globus Pallidus/
Substantia Nigra
pars Reticulata
Globus Pallidus/
Substantia Nigra
pars Reticulata
Globus Pallidus/
Substantia Nigra
pars Reticulata
Die genetische Prädisposition bildet die
Basis für die Entstehung von ADHS ➤
Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien
Thalamus
Thalamus
Thalamus
Thalamus
Thalamus
belegen, dass ADHS familiär gehäuft auftritt
und wesentlich durch genetische Faktoren
mitbestimmt wird. Heute geht man davon
➔ Abbildung 1: Fünf parallel organisierte kortiko-subkortikale Regelkreise
aus, dass 70 % bis 80 % der Verhaltensvasind an der Ausprägung der ADHS-Symptome beteiligt [1]
rianz auf erbliche Faktoren zurückzuführen
ist. Bis zu 18 % der Eltern von Kindern mit ADHS sind selbst von der Störung betroffen. Für
Geschwister von Betroffenen liegt das Risiko bei 10 % bis 35 % und ist damit vierfach erhöht [3]. Kinder von betroffenen Eltern sind sogar in bis zu 60 % der Fälle selber betroffen.
Doch die Tatsache, dass ADHS neurobiologische Ursachen hat, bedeutet nicht, dass
diese Störung nicht beeinflussbar ist. Zwischen der genetischen Basis und den psychosozialen und sozioökonomischen Komponenten bestehen mannigfaltige, derzeit allerdings noch
nicht bis ins Detail bekannte Wechselbeziehungen. Die Störung ist durchaus durch psychosoziale Interventionen beeinflussbar. Längst nicht alle Kinder mit einer entsprechenden
genetischen Prädisposition entwickeln letztlich ADHS.
Auch Umweltfaktoren in Form von prä- und perinatalen Problemen wie eine Exposition durch Toxine scheinen eine relevante Rolle zu spielen. Mütterliches Rauchen, Alkoholkonsum während der Schwangerschaft und eine chronische Bleivergiftung scheinen der
heutigen Vorstellung nach das Risiko, an ADHS zu erkranken, ebenso zu erhöhen wie
Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen oder ein niedriges Geburtsgewicht.
Dopaminerge Strukturen genetisch verändert ➤ Molekularbiologische Untersuchungen
unterstützen die Vermutung, dass verschiedene genetisch bedingte Abweichungen der dopaminergen Neurotransmission die ADHS-typische Dysfunktion, u. a. des präfrontalen Kortex,
bedingen (➔ Abbildung 2). Vermutlich ist ADHS sowohl pathophysiologisch als auch ätiologisch heterogen, das heißt an der Entstehung von ADHS sind verschiedene Gene beteiligt,
welche für die Funktion der dopaminergen Neurotransmission im frontostriatalen System
benötigt werden. Assoziationsstudien deuten darauf hin, dass insbesondere die Gene für den
Dopamin-D5-Rezeptor, den Dopamin-D4-Rezeptor, den Dopamin-Transporter und die Dopamin-ß-Hydroxylase in die Ätiologie der ADHS involviert sind.
So kodiert z. B. das 7-repeat-Allel wahrscheinlich einen Dopamin-Rezeptor (DRD4) mit
veränderter Struktur und einer verminderten Sensitivität für Dopamin [4]. Weitere genetisch bedingte Dysfunktionen scheinen den präsynaptischen Dopamin-Transporter (DAT)
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STAND
vorderes
Aufmerksamkeitssystem
präfrontaler
Kortex
Aufmerksamkeit
Impulsivität
Motorik
DER
FORSCHUNG
hinteres
Aufmerksamkeitssystem
hinterer parietaler
Kortex
vorderer
Gyrus cinguli
Pulvinar
oberer
Colliculus
Seite 16
zu betreffen, der bei ADHS-Patienten in
höherer Dichte bzw. gesteigerter Aktivität
vorhanden ist [5]. Neurochemisch führt
dies dazu, dass Dopamin wieder rascher
aus dem synaptischen Spalt in die präsynaptischen Nervenendigungen zurücktransportiert wird, sodass weniger Dopamin für die dopaminerge Neurotransmission zur Verfügung steht.
Unterschiede in der Neuroanatomie ➤
Kernspintomographische Untersuchungen
Dopamin:
belegen, dass die Größe der zerebralen
wesentliche Rolle bei
Antrieb und Motivation
Hemisphären bei Kindern mit ADHS um
etwa 5 % vermindert ist. Neben dem Fronventrales Tegmentum
Noradrenalin:
tallappen rechts, der um durchschnittlich
wesentliche Rolle bei
Locus coeruleus
8 % verkleinert ist, sind auch die BasalAufmerksamkeit
ganglien (6 %) und das Cerebellum (12 %),
➔ Abbildung 2: Störungen in den noradrenergen (rot) und in den dopamiinsbesondere der posterior-inferiore Vernergen Bahnen spielen eine Rolle bei der Ausprägung von ADHS [18]
mis (15 %), im Vergleich zu Menschen
ohne ADHS im Volumen vermindert. Ein weiterer Unterschied betrifft die für gesunde
Menschen charakteristische Links-Rechts-Asymmetrie, die bei den ADHS-Patienten weniger gut ausgebildet ist oder sogar ganz fehlt. Diese morphometrischen Befunde sprechen
für eine veränderte Entwicklung der strukturellen Gehirnorganisation und nicht für eine
spätere externe Schädigung. Denn die neuroanatomischen Unterschiede erscheinen
bereits früh und bleiben konstant erhalten und zwar unabhängig davon, ob die Patienten
mit Stimulanzien behandelt werden oder nicht.
Unterschiede in der Neurophysiologie ➤ Mittlerweile konnte eine ganze Reihe von neurophysiologischen Unterschieden herausgearbeitet werden:
● Entwicklungsverzögerungen plus Entwicklungsabweichungen im EEG/EP [6];
● verminderte kortikale neuronale Aktivität im frontalen, temporalen und parietalen
Kortex sowie im Cingulum [7, 8];
● verringerte neuronale Hemmung, aber höhere neuronale Aktivität in sensomotorischen Gebieten [9];
● verringerte neuronale Aktivität im Striatum [10];
● verringerte Fokussierung der elektrischen Gehirnaktivität auf motorischer und kognitiver Ebene [11].
Während gesunde Kinder in der Lage sind, ihre frontokortikalen Netzwerke effizient zu
aktivieren, können ADHS-Patienten die kortikale elektrische Gehirnaktivität weniger gut
aufgabenbezogen fokussieren und motorische Antworten schlechter hemmen [10]. Das
heißt, die Betroffenen arbeiten neuronal diffus und können weniger gut scharf abgegrenzte neuronale Muster bilden. Die Hirndurchblutung ist bei einem Kind mit ADHS im
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STAND
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frontalen Bereich weniger stark, im Bereich des motorischen Kortex dagegen besonders
intensiv. Die Ergebnisse neurophysiologischer Untersuchungen zeigen, dass Kinder mit
ADHS ein mangelndes motorisches Inhibitionsvermögen haben, von äußeren Stimuli
geleitet und antwortorientiert sind.
Suboptimale neuronale Netzwerke ➤ Menschen mit ADHS scheinen die neuronalen
Netzwerke anders zu nutzen als Menschen ohne ADHS. Aufschluss darüber brachten
funktionell-bildgebende Untersuchungen. Bush et al. untersuchten mithilfe der funktionellen Kernspintomographie, inwieweit unterschiedliche zerebrale Bereiche während
einer kognitiven Interferenzaufgabe (Stroop-Test) aktiviert werden. Dieser neuropsychologische Test erfasst insbesondere exekutive Funktionen, das heißt die Leistungs- und
Steuerungsfunktionen des Gehirns, die für Strategien zur Problemlösung, für das planvolle Koordinieren von Handlungssequenzen und die Hemmung unangemessener Verhaltensweisen verantwortlich sind. Die Ergebnisse lassen bei ADHS-Patienten eine zerebrale Dysfunktion vermuten. Denn anders als bei Gesunden wird der cinguläre Kortex bei
Menschen mit ADHS nur mangelhaft aktiviert und stattdessen auf andere Hirnbereiche
zurückgegriffen [12].
Heute geht man davon aus, dass Patienten mit ADHS im Laufe ihres Lebens eine
andere Vernetzung des Gehirns entwickelt haben, um bestimmte Aufgaben zu lösen. Im
Vergleich zu den neuronalen Strukturen von Menschen ohne ADHS scheint dieses
Netzwerk jedoch suboptimal zu sein. Diese mangelnde Leistungsfähigkeit des kompensatorischen Netzwerks zeigt sich um so deutlicher, je höher die Anforderungen werden. Steigt die Quantität oder auch die Komplexität der zu verarbeitenden
Informationen, kommt es im Vergleich zu gesunden Kindern zunehmend zu Leistungseinbußen.
0
p = 0,001
intrakortikale Inhibition (%)
Defizitäre intrakortikale Inhibition ➤ Mit einer weiteren Untersuchung erhielt man einen Hinweis auf die für Menschen mit
ADHS charakteristische verminderte Hemmung im motorischen
Kortex [13]. An der Untersuchung nahmen Kinder mit bzw. ohne
ADHS in einem Alter von acht bis 12 Jahren teil, und es wurde
sowohl bei den gesunden als auch bei den hyperkinetischen Kindern gemessen, wie stark die motorische Hirnrinde nach einem
transkraniellen Magnetstimulus gehemmt wird. Den Ergebnissen
zufolge ist die intrakortikale Inhibition bei Kindern mit ADHS
defizitär (➔ Abbildung 3). Daraus folgen Dysfunktionen in der Vorbereitung, Auswahl und Ausführung motorischer Abläufe im Sinne
einer beeinträchtigten motorischen Steuerung, Kontrolle und
Regulation motorischer Antworten. Der sowohl quantitativen als
auch qualitativen motorischen Überaktivität hyperkinetischer Kinder könnten demnach defizitäre intrakortikale Inhibitionsmechanismen im sensomotorischen Regelkreis zugrunde liegen. Nach
Gabe von Methylphenidat wird die Hemmung zwar verbessert,
p = 0,008
50
100
150
Gesunde
ADHS
ohne mit
Methylphenidat Methylphenidat
(10 mg)
➔ Abbildung 3: Unter Methylphenidat verbessert sich die defizitäre intrakortikale Inhibition
bei Kindern mit ADHS [12]
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STAND
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erreicht jedoch nicht den Wert von gesunden Kindern.
Dopamin-Aktivität nach
Gabe von Stimulanzien
Dopamin-Aktivität nach
Gabe von Atomoxetin
Noradrenerges Neurotransmittersystem
– für die kognitive Leistungsfähigkeit
mitentscheidend ➤ Noradrenerge Neurone sind an der Regulation der Vigilanz,
aber auch an der selektiven Aufmerksamkeit, der Orientierung und den exekutiven
Funktionen beteiligt [14]. Wichtige Hinweise auf eine mögliche Störung des noraPräfrontaler Striatum Nucleus
Präfrontaler
drenergen Systems bei Kindern mit ADHS
accumbens
Kortex
Kortex
geben pharmakotherapeutische Untersuchungen mit der neuartigen Substanz Ato➔ Abbildung 4: Als selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
moxetin. Das seit Ende 2002 in den USA
beeinflusst Atomoxetin indirekt auch die Dopamin-Aktivität im präfrontaund seit Dezember 2004 auch in Deutschlen Kortex, nicht aber die Dopamin-Aktivität im Striatum, das mit Tics
land zur Behandlung von ADHS zugelasseassoziiert wird, sowie im Nucleus accumbens, der mit dem Thema Sucht in
ne Medikament hemmt die WiederaufnahVerbindung gebracht wird [19]
me von Noradrenalin und verbessert
dadurch sowohl die für ADHS charakteristische Aufmerksamkeitsstörung als auch die
Hyperaktivität und Impulsivität [15]. Durch Regulation des noradrenergen Systems beeinflusst Atomoxetin indirekt auch die Dopamin-Aktivität im präfrontalen Kortex, nicht aber
im Striatum (abgeleitet von tierexperimentellen Befunden) (➔ Abbildung 4). Für die
ebenfalls noradrenerg wirkende Substanz Desipramin konnte gezeigt werden, dass sie bei
ADHS dazu beiträgt, die hirnelektrische Aktivität während einer kognitiven Leistung zu
fokussieren [14].
Weiteren Aufschluss geben tierexperimentelle Untersuchungen mit der ebenfalls
noradrenerg wirksamen Substanz Guanfacin [16]. Bei den mit Guanfacin (0,7 mg/kg)
behandelten Affen wurde die zerebrale Durchblutung im dorsolateralen präfrontalen Kortex aufgabenbezogen gesteigert und dadurch die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert.
Das noradrenerg wirkende Medikament scheint somit die Voraussetzung dafür zu schaffen, Aufgaben zielgerichtet durchzuführen.
Rolle des serotonergen Systems noch unklar ➤ Ob auch weitere Neurotransmittersysteme an der Störung beteiligt sind, ist noch offen. Diskutiert wird, ob auch das serotonerge System in die Ausprägung von ADHS involviert ist. So wurde gezeigt, dass der Serotoningehalt in den Thrombozyten bei ADHS-Kindern im Vergleich zu gesunden Kindern
erhöht ist. Darüber hinaus scheinen weitere Gene (z.B. 5-HTTLPR), die an der Ausprägung
des serotonergen Systems beteiligt sind, ebenfalls bei ADHS eine Rolle zu spielen [17].
Fazit ➤ Vermutlich führen unter anderem Dysfunktionen im anterioren und posterioren
Aufmerksamkeitssystem und in motorischen Regelkreisen dazu, dass bei Kindern mit ADHS
die frontokortikale Inhibitionsfähigkeit und exekutive Funktionen beeinträchtigt werden.
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Im Mittelpunkt stehen der heutigen Vorstellung nach Stoffwechselstörungen der beiden
Katecholamine Dopamin und Noradrenalin [18]. Diese Neurotransmitter besitzen keinen
spezifischen, isoliert zu betrachtenden Angriffspunkt, sondern modulieren die neuronalen
Netzwerke in verschiedenen Regionen des Gehirns. Das dopaminerge System steht insbesondere in enger Verbindung mit dem präfrontalen Kortex und dem anterioren cingulären
Kortex, während das noradrenerge System hauptsächlich mit dem posterioren parietalen
Kortex verbunden ist. Dies erklärt, wieso sich Methylphenidat, das in den Dopaminhaushalt eingreift, ebenso wie Atomoxetin, das in den Noradrenalinstoffwechsel involviert ist,
klinisch ähnlich auswirken. Ein optimal ausgewogenes noradrenerges System trägt vermutlich dazu bei, das Hintergrundrauschen zu minimieren, sodass die Signale präziser
erkannt werden können. Das funktionstüchtige dopaminerge System scheint dagegen die
Voraussetzung dafür zu schaffen, dass neuronale Bahnen gezielter genutzt werden.
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Versorgungssituation von ADHS-Patienten:
Ergebnisse der bundesweiten „Profil“-Studie
Michael Huss und Barbara Högl, Berlin
Um die medizinische und therapeutische Versorgungssituation von Kindern mit ADHS
beurteilen zu können, standen bislang kaum solide Daten zur Verfügung. Auf Initiative
des Bundesverbandes Arbeitskreis Überaktives Kind (BV AÜK) wurde deshalb in Kooperation mit der Abteilung für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindesund Jugendalters der Charité der Humboldt-Universität Berlin die ADHD-Profil-Studie
initiiert. Seit kurzem liegen erste Ergebnisse vor.
Um ein möglichst realitätsgetreues Bild der Lebenssituation von Kindern mit ADHS in
Deutschland zu schaffen, wurden in der ADHD-Profil-Studie praxisnahe Daten von ADHSKindern und ihren Familien generiert.
Bundesweite Befragung von Eltern ADHS-betroffener Kinder ➤ Basis der Studie war eine
bundesweite, retrospektive Befragung von Eltern mit betroffenen Kindern und Jugendlichen
bis zu einem maximalen Alter von 25 Jahren. Voraussetzung für die Teilnahme an der Studie
war, dass bei dem Kind/Jugendlichen die Diagnose ADS, ADHS, HKS oder MCD gestellt worden war und dass die Diagnose von den Eltern als Erklärung für die Verhaltensprobleme
akzeptiert wurde. Die Eltern füllten einen thematisch sehr breit angelegten Fragebogen aus,
der neben sozio-demographischen Daten des Kindes und seiner Familie, Angaben zu
Schwangerschaft, Geburt und Entwicklung einschließlich der Kindergarten-, Schul- und Ausbildungszeit umfasste. Erfragt wurden die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes/Jugendlichen,
die therapeutischen Strategien und die Auswirkungen von ADHS auf die Familie und auf
deren soziales Umfeld. Neben den typischen Problemfeldern wurden auch ausführlich die
positiven Eigenschaften der Kinder/Jugendlichen erfragt. Im Fall einer medikamentösen
Behandlung wurde die Dosis, Wirkung und Nebenwirkung der Medikation dokumentiert.
Dabei ging die Evaluation des Symptomverlaufs bewusst über vorgegebene Antwortmuster
hinaus; beispielsweise wurden die Eltern danach gefragt, welche innerfamiliären Strategien
zusätzlich dazu beigetragen haben könnten, die symptombezogenen Probleme zu verbessern.
Charakteristisches Muster positiver Eigenschaften ➤ Der hohe Rücklauf der anonym ausgefüllten Fragebögen bestätigte die Relevanz der Studie aus Sicht der Eltern. Insgesamt
nahmen in Deutschland 1.664 Probanden aus 1.428 Familien an der Profil-Studie teil. 40
Probanden wurden aus Altersgründen ausgeschlossen, sodass die Stichprobe letztlich 1.624
Probanden umfasst. Das durchschnittliche Alter der Kinder lag bei 12,5 Jahren und die
Geschlechterverteilung bei 4,5:1 (81,8 % Jungen und 18,2 % Mädchen). Hinsichtlich der
positiven Eigenschaften der Kinder ergab sich ein charakteristisches Muster. Besonders häufig schilderten die Eltern die Kinder als sehr ideenreich, offen, neugierig und besonders emp20
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findsam reagierend. Sie wurden als sehr ehrlich, großherzig und besonders tierlieb charakterisiert. Die motorische Unruhe fiel den betroffenen Eltern bereits in einem frühen Alter
der Kinder von zwei bis drei Jahren auf. Nach durchschnittlich ein bis zwei Jahren stellten
die Eltern erstmalig stark ausgeprägte Stimmungsschwankungen fest. Ab einem Alter von
im Mittel sechs Jahren wurden bei etwa 25% der Kinder vorübergehend zusätzlich motorische oder vokale Tic-Störungen bemerkt.
Anzahl an Patienten
Kinderpsychiater und Psychologen erst spät konsultiert ➤ Wie
Kinderärzte
Psychologen
Kinder- und Jugendpsychiater
erwartet, bestätigen die Ergebnisse, dass der Kinderarzt der pri700
märe Ansprechpartner ist (➔ Abbildung 1). Meistens wurden die
n = 1.624
600
Kinder dem Pädiater wegen Verhaltensauffälligkeiten erstmalig in
einem Alter von drei bis vier Jahren vorgestellt. Während bei eini500
gen Kindern bereits zu diesem Zeitpunkt die Diagnose ADS oder
400
ADHS getroffen wurde, erhielt nach Aussage der Eltern ein hoher
300
Anteil der Kinder noch keine diagnostische Einordnung. Es wurde
lediglich eine Störung des sozialen Verhaltens oder eine Entwick200
lungsverzögerung festgestellt.
100
Die Hemmschwelle der Eltern, wegen der ADHS-typischen
0
Symptome des Kindes einen Kinder- und Jugendpsychiater oder
1
5
10
15
20
einen Psychologen aufzusuchen, scheint hoch zu sein. So werden
Alter der Patienten (Jahre)
fachspezifische Ärzte und Psychologen erst deutlich später, in der
➔ Abbildung 1: Der Kinderarzt ist der primäre
Regel erst bei Auftreten von ernsthafteren schulischen Problemen,
Ansprechpartner
der Eltern von Kindern mit ADHS
konsultiert. Erst zu diesem Zeitpunkt, meist in einem Alter von sie(Mehrfachnennungen möglich)
ben bis acht Jahren, akzentuiert sich die ADHS-Diagnose. Eine frühe
und fruchtbare Kooperation von Kinderärzten mit Kinder- und Jugendpsychiatern und
Psychologen bleibt demnach auf einzelne Fälle limitiert und findet meist erst im Jugendalter statt. Kostbare Zeit, in der das Kind möglicherweise von einer wirksamen Therapie profitieren könnte, geht dadurch verloren.
Welche Rolle spielen die Geschwister? ➤ Mit zwei Kindern pro Familie lag die Zahl der
Kinder in den meisten betroffenen Familien über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Die
Ergebnisse der Studie belegen, dass ADHS familiär gehäuft vorkommt. Legt man für alle
Schulkinder eine Prävalenz von ca. 4 % ADHS-Betroffener zugrunde, so ist das Erkrankungsrisiko für ein Geschwister eines betroffenen Kindes mit 17,7 % um mehr als das Vierfache erhöht. Das Risiko steigt noch weiter, wenn mehr als ein Geschwister betroffen ist.
Bei zwei bereits betroffenen Kindern berechnet sich das Risiko für das dritte Kind mit
32,9 %. Bei drei erkrankten Geschwistern beträgt das Risiko für das vierte Kind sogar 57 %.
Handelt es sich um Folgen der Geburt? ➤ Die Frage nach Komplikationen in der Schwangerschaft wurde von 935 Eltern (57,5 %) bejaht und von 570 Eltern (35,1 %) verneint. 101
Eltern (6,2 %) konnten beispielsweise aufgrund von Adoption keine Angaben zu der
Schwangerschaft machen. Nur 18 Eltern (1,2 %) ließen die Frage unkommentiert. Charakteristische Geburtskomplikationen waren z.B. das Aussetzen der kindlichen Herztöne,
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Nabelschnurumschlingungen mit mangelnder Blutzufuhr, Kaiserschnitt im Sinne einer
Notmaßnahme. Da der in der Profil-Studie eingesetzte internationale Fragebogen zu Stärken und Problemen des Kindes (Strengths and Difficulties Questionnaire, SDQ) auch emotionale Probleme, Betragensprobleme und Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen abbildet,
konnte geprüft werden, ob die Geburtskomplikationen mit zusätzlichen Verhaltensauffälligkeiten im Sinne der Komorbidität in Zusammenhang stehen. Dabei ergab sich ein überraschendes Ergebnis: Nur in der Skala der emotionalen Probleme, die Niedergeschlagenheit, Traurigkeit, häufige somatische Beschwerden wie Bauch- und Kopfschmerzen, Nervosität, Ängste und allgemeine Sorgen erfasst, gehen Geburtskomplikationen mit signifikant höheren Werten einher. Bei Kindern, von denen über keine Geburtskomplikationen
berichtet wurde, liegt der Skalenwert der emotionalen Probleme bei durchschnittlich 4,09.
Lagen Geburtskomplikationen vor, war der Wert mit 4,65 signifikant höher. Die Zahlen
legen nahe, dass Geburtskomplikationen bei Kindern mit ADHS sehr häufig sind und das
Risiko erhöhen, neben ADHS auch emotionale Störungen zu entwickeln.
Charakteristika der frühkindlichen Entwicklung ➤ Der Anteil der Schreikinder ist im
ersten Lebensjahr auffallend hoch. Bei 47 % der Jungen und 40 % der Mädchen gaben die
Eltern häufiges Schreien an. Interessanterweise ließen diese Kinder die Krabbelphase häufiger als normal aus (p = 0,008). Schlafstörungen werden von den Eltern bei 42 % der
Jungen und 38 % der Mädchen angegeben. Dieser Anteil bleibt in den ersten drei Lebensjahren gleich hoch und nimmt dann im Verlauf der Entwicklung stetig ab. Mit dem Übergang in die Pubertät sinkt der Anteil der Kinder mit Schlafstörungen unter 10 %.
Der familiäre Hintergrund ➤ Neue Hinweise auf genetische bzw. sozial bedingte Belastungen ergaben sich bei der Auswertung zur elterlichen Schulbildung. Auffällig war der
durchschnittlich höhere Schulabschluss der Mütter im Vergleich zu den Vätern. Zwar
glichen sich diese Unterschiede bei Gegenüberstellung des beruflichen Werdegangs des
Vaters wieder aus, wobei vermutlich auch soziale Aspekte eine Rolle spielten. Möglicherweise kann dies als Hinweis auf einen genetischen Faktor und eine zu der damaligen Zeit
sicherlich nicht adäquat diagnostizierte ADHS gewertet werden.
Die Verhaltensprobleme der Kinder führten zu einer deutlichen Belastung der familiären
Strukturen und häufig wurde eine Trennung der Eltern dokumentiert. Aufschluss z.B. über das
Gefälle im Bildungsgrad, die berufliche Entwicklung der Eltern und über die Umstände, unter
denen eine Ersatzfamilie entstand, wird von der weiteren Auswertung der Daten erwartet.
Therapie: Pharmakotherapie am wirksamsten ➤ Die Mehrheit der Kinder (n=1.239) wurde
überwiegend mit Stimulanzien behandelt (Ritalin®, Medikinet®, D-Amphetamin, Ritalin®Retardpräparat und wenige Nicht-Stimulanzien), ein Teil erhielt eine Ergotherapie (n=799)
oder eine Verhaltenstherapie (n=582). Bei einigen wenigen Kindern wurde die medikamentöse Behandlung bereits in einem frühen Alter von drei Jahren begonnen. In der Regel dauerte die Pharmakotherapie mehrere Jahre an.
Obwohl es zur diagnostischen Abgrenzung von epileptischen Störungen und zur Einschätzung der Anfallsbereitschaft ratsam ist, vor der Stimulanziengabe ein EEG durchzufüh22
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ren, wurde diese Diagnostik nur bei etwa 67 % der Kinder realisiert.
Blutuntersuchungen erfolgten in der überwiegenden Mehrheit durch
Pädiater (ca. 95 %).
Die medikamentöse Therapie wurde von dem Großteil der Eltern
(84,1 %) als sehr effektiv eingestuft (➔ Abbildung 2). Allerdings sollte die medikamentöse Therapie idealerweise immer in ein multimodales Behandlungskonzept eingebettet sein. Mit 56,7 % wurde eine
Ergotherapie und mit 60,1 % eine Verhaltenstherapie von den Eltern
als sehr wirksam eingestuft. Eindeutig schlechter beurteilten die
Eltern dagegen die Effektivität einer analytischen Spieltherapie.
Nach Einschätzung der Eltern profitierten Jungen unabhängig
vom Lebensalter von der medikamentösen Behandlung. Im Unterschied dazu zeichnete sich bei Mädchen, bei denen erst in der Pubertät mit der Behandlung begonnen wurde, gehäuft eine ungünstige
Wirkung der Medikamente ab. Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine Fehlindikation bei primär pubertären Problemen.
guter Erfolg
kein Effekt
0,8 %
14,9 %
27,7 %
geringer Erfolg
Verschlechterung
0,6 %
9,8 %
3,0 %
1,9 %
2,1 %
11,9 %
35,7 %
29,5 %
36,3 %
56,7 %
Ergotherapie
n = 759
60,1 %
84,1 %
25,0 %
Verhaltenstherapie
n = 529
Pharmakotherapie
n = 1.044
analytische
Spieltherapie
n = 168
➔ Abbildung 2: Erfolge der unterschiedlichen
Therapieoptionen nach Elternurteil
Welche Rolle spielt die Kommunikation mit dem Lehrer? ➤ Die Ergebnisse der MTA-Studie hatten bereits gezeigt (s. Kapitel S. 11), dass der Erfolg einer medikamentösen Behandlung von Kindern mit ADHS bei einem engen Monitoring der Therapie besonders gut ausfällt. Der regelmäßige Austausch von Ärzten und Lehrern bildete dabei einen Teil dieses
Therapieregimes. Diesen Daten zufolge war die intensive Kommunikation von Ärzten und
Lehrern verglichen mit der Standardtherapie mit einem besseren Outcome der Kinder verbunden. Durch die im Rahmen der Profilstudie angewandte Propensity-Analyse wurde diese
Bedeutung der Lehrer-Arzt-Kommunikation weiter untermauert und es wurde gezeigt, dass
der Effekt der Medikation durch einen engen Austausch von Arzt und Lehrer deutlich
gesteigert werden kann. Wie die statistische Auswertung ergab, ist der enge Austausch des
Arztes mit dem Lehrer über die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Medikation in der
Schule einer der stärksten Prädiktoren für den Erfolg der medikamentösen Therapie. Die
häufige Rückmeldung über das Verhalten des Kindes in der Schule hilft dem Arzt, durch
eine optimale Dosierung der Medikation die Wirkung zu maximieren sowie Nebenwirkungen zu vermeiden. Zugleich erhält der Arzt Informationen über komorbide Erkrankungen
oder zusätzliche Problembereiche des Kindes, die möglicherweise ebenfalls therapiebedürftig sind. Weitere Faktoren für die positive Bewertung der Therapie durch die Eltern war die
Behandlung durch einen Kinder- und Jugendpsychiater, eine anhaltende Symptomkontrolle über die Schule hinaus sowie eine ausführliche Information der Eltern über den erwarteten Effekt hinsichtlich der Wirksamkeit.
Interessanterweise hing die Intensität der Kommunikation des Arztes mit dem Lehrer
nicht von den spezifischen Symptomen oder Problembereichen des Kindes oder zusätzlichen
komorbiden Störungen ab. Die einzige Variable, die das Verhalten des Arztes beeinflusst, war
das Geschlecht. Bei Jungen gab es häufigere Lehrer-Rückmeldungen über den Erfolg der
Medikation als bei Mädchen. Möglicherweise liegt dies daran, dass Aggressivität und Ungehorsam bei Mädchen in der Schule deutlich seltener auftreten als bei Jungen.
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THERAPIE
Ausblick ➤ Die aktuellen Ergebnisse der Profilstudie gewähren einen Einblick in die Lebenssituation von Kindern mit ADHS und eröffnen eine fundierte Datenbasis für die gesundheitspolitische Debatte um diese Erkrankung. Weiterführenden Aufschluss ergibt in absehbarer Zeit vermutlich die Validierung der Ergebnisse bei einer Subgruppe der Probanden
(SADS: Schedule for Affective Disorders and Schizophrenia for School Aged Children, Kreuzvalidierung). Da parallel in Österreich, der Schweiz und Frankreich vergleichbare Studien
durchgeführt wurden, besteht in Kürze die Möglichkeit, die europäischen Daten zu vergleichen.
1 Rowland AS et al. (2002) The epidemiology of attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD): A public health
view. Ment Retard Dev Disabil Res Rev 8 (3): 162–70
2 Harada Y et al. (2002) Psychosocial problems in attention-deficit hyperactivity disorder with oppositional
defiant disorder. Psychiatry Clin Neurosci 56 (4): 365–9
3 Huss M et al. (2003) Erste Ergebnisse der ADHD-Profil-Studie: Österreich und Deutschland im Vergleich.
Gemeinsamer Kongress der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Fachgesellschaften für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Wien, April 2003, Abstract S 146
Multimodale Therapiekonzepte:
Problembezogen intervenieren
Manfred Döpfner, Köln
Bei Kindern mit ADHS sind vielfältige Lebens- und Funktionsbereiche beeinträchtigt.
Daher fordern die Behandlungsleitlinien [1,2,3] eine multimodale Therapiestrategie unter
Berücksichtigung von Psychotherapie, psychosozialen Interventionen und Pharmakotherapie.
Bei einem Kind, das durch eine Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und Impulsivität
auffällt, liegen oft auch Schulleistungsstörungen und Probleme durch soziale Verhaltensstörungen vor. Neben einer negativen Eltern-Kind-Beziehung wird der Alltag des Kindes
auch durch schulische Misserfolge geprägt. Wegen der schwierigen Erziehungssituation
sind die Familien stark belastet. Nicht selten haben auch die Eltern psychische Probleme,
die bei der Therapieplanung nicht ignoriert werden dürfen.
Multimodales Therapiekonzept individuell konzipieren ➤ Die ADHS-Therapie basiert auf
einem multimodalen Konzept, das je nach individueller Symptomatik des Kindes aus verschiedenen Bausteinen besteht. Jede Maßnahme sollte gezielt in dem Lebensbereich ansetzen, in dem die Probleme dominieren – in der Familie, in der Schule, beim Spielen mit Freunden, beim Sport oder der sonstigen Freizeitgestaltung. Zugleich ist es wichtig, das Vorgehen
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THERAPIE
gezielt auf die individuelle Problematik des Kindes abzustimmen, das heißt auf die Aufmerksamkeitsschwäche, Impulsivität oder Hyperaktivität. Zu den einzelnen Elementen der Behandlung zählen:
● Psychoedukation und Beratung,
● medikamentöse Therapie,
● verhaltenstherapeutische Interventionen in der Familie
und in der Schule bzw. im Kindergarten,
● kindzentrierte Verfahren (z.B. Selbstinstruktionstraining),
● ergänzende Verfahren bei komorbiden Störungen.
Basis jeder therapeutischen Intervention ist die gründliche Beratung und Aufklärung [3].
Hinsichtlich der verhaltenstherapeutischen Intervention lassen sich eltern- bzw. familienzentrierte Verfahren, kindergarten- bzw. schulzentrierte Interventionen sowie patientenzentrierte Ansätze differenzieren. Patientenzentrierte Ansätze wie das Spieltraining
haben das Ziel, die Spielintensität des Kindes zu verbessern und seine Aufmerksamkeit zu
erhöhen. Bei Patienten im Jugendalter kann ein Selbstmanagement-Training dazu beitragen, eigene Ziele festzulegen und diese zu verfolgen. Während eine Eltern-Kind-Therapie
oder ein Elterntraining Strategien vermittelt, um problematische Verhaltensweisen in der
Familie zu vermindern, versuchen kindergarten- und schulzentrierte Interventionen, Verhaltensauffälligkeiten vor Ort zu verbessern.
Anteil der Patienten, die in
den einzelnen Behandlungsgruppen
erfolgreich behandelt wurden (%)
Stabiler Therapieerfolg durch flexible Intervention ➤ Der Erfolg eines flexiblen multimodalen Therapiekonzepts wurde in der Studie COMIS (Cologne Multimodal Intervention
Study) untersucht [3,7]. An der Studie nahmen 75 Kinder mit ADHS im Alter von sechs
bis zehn Jahren teil. Die Kinder waren normal begabt (IQ ≥ 85) und besuchten die erste
bis vierte Grundschulklasse. Nach einer ausführlichen Beratung erhielten die Kinder entweder eine Behandlung mit Stimulanzien oder eine Verhaltenstherapie. Je nach Erfolg
dieser Behandlung erfolgte eine alternative Therapiestrategie: Bei Kindern, bei denen sich
eine Stimulanziengabe oder eine Verhaltenstherapie als nicht ausreichend erwiesen
hatte, wurde eine medikamentöse
Behandlung mit Verhaltenstherapie komAnteil der Patienten mit geringfügigen indiv. Problemen (Indiv. Problem Checklist 0-3)
Anteil der Patienten ohne ADHS oder HKS-Diagnose mit ADS/ADHS
biniert. Das individualisierte multimodale
Anteil der Patienten ohne psychiatrische Diagnose (Symptom Checklist)
Therapiekonzept erwies sich bei Kindern
100
Verhaltenstherapie
Verhaltenstherapie
mit ADHS als erfolgreich (➔ Abbildung 1).
+ Pharmakotherapie
Die Eltern waren mit der Behandlung sehr
80
zufrieden, und die Studie wurde von nahe60
zu allen Kindern und ihren Eltern (90 %)
beendet. Bei etwa 30 % der Kinder, die
40
initial mit einer Verhaltenstherapie behandelt wurden, war dieser Therapieansatz
20
alleine nicht ausreichend und es erfolgte
eine zusätzliche Behandlung mit Stimu0
Elternurteil
Elternurteil
Lehrerurteil
Lehrerurteil
lanzien. Umgekehrt wurden bei etwa 80 %
der Kinder nach einer alleinigen Stimulan➔ Abbildung 1: Durch die Kombination der Verhaltens- mit der Pharmaziengabe zusätzliche verhaltenstherapeukotherapie verbesserte sich der Therapieerfolg deutlich [7]
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THERAPIE
Aufklärung und Beratung der Eltern und des Kindes / Jugendlichen
stark ausgeprägte situationsüber- Ja
greifende Symptomatik mit krisenhafter Zuspitzung?
Nein
Symptome auch bei optimalen
Arbeitsbedingungen mit
Therapeuten?
Nein/Ja
externale Auffälligkeiten
des Kindes in der Schule?
*
Pharmakotherapie
*
Selbstinstruktionstraining
*
Beratung der Lehrer
Intervention in der Schule
Nein
*
Ja
Ja
tische Interventionen als notwendig erachtet. Durchschnittlich
zeigten bis zu 57 % der Kinder am Ende der Behandlung nur noch
geringe hyperkinetische bzw. aggressive Symptome. Dieser Therapieerfolg blieb stabil bestehen: Nach dem Urteil von Eltern und
Lehrern waren die typischen ADHS-Symptome auch noch nach
dem sechs- und auch nach dem 18-monatigen Follow-up konstant gebessert.
Orientierungshilfe für das individuelle Vorgehen ➤ Bei der Entscheidung,
ob Medikamente oder psychotherapeutische Verfahren
Nein/Ja
*
zum Einsatz kommen, helfen die Leitlinien zur Diagnostik und The*
rapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und
externale Auffälligkeiten
Elterntraining
Ja
des Kindes in der Familie?
Intervention in der Familie
Jugendalter der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und JugendNein noch stark hyperkinetisch?
psychiatrie und Psychotherapie [2]. Der in ➔ Abbildung 2 dargeJa
Nein/Ja
*
stellte Entscheidungsbaum gibt eine Orientierungshilfe zur PlaKombination mit
Pharmakotherapie
nung einer multimodalen Therapie [4]. Eine medikamentöse
Therapie
komorbider
Ja
Behandlung ist immer dann indiziert, wenn die Symptomatik sehr
komorbide Störungen?
Störungen:
-Soziales Kompetenztraining
stark ausgeprägt ist und die weitere Entwicklung des Kindes
-Übungsbehandlung
-Einzel-/Gruppenpsychotherapie
gefährdet erscheint. Bei einer schwächeren Symptomatik lassen
* Bestandteil von THOP [6]
sich jedoch mit verhaltenstherapeutischen Techniken gute Erfolge
➔ Abbildung 2: Entscheidungsbaum zur multierzielen. Längst nicht immer sind die Kinder in der Lage, die wähmodalen Therapie von Schulkindern und Jugendrend der Therapie erlernten Strategien auf andere Lebensbereiche
lichen mit ADHS-Störungen [2]
zu übertragen und gleichermaßen in der Schule und in der Familie
anzuwenden. Den größten Erfolg versprechen deshalb verhaltenstherapeutische Interventionen, bei denen die Familie und die Schule integriert werden.
noch stark hyperkinetisch?
Ja
Kombination mit
Pharmakotherapie
Indikationen zur Pharmakotherapie ➤ Eine medikamentöse Therapie ist nicht bei allen Kindern mit ADHS notwendig, doch bei Kindern mit schwerer Symptomausprägung meist unverzichtbar. Häufig werden erst durch eine medikamentöse Therapie die Ausdauer und die
Kooperation soweit verbessert, dass andere Behandlungsformen erfolgreich eingesetzt werden können. Eine medikamentöse Therapie sollte durchgeführt werden, wenn:
● aus den ADHS-Symptomen erhebliche Probleme in der Familie oder der Schule resultieren, sodass die weitere Entwicklung des Kindes gefährdet ist;
● sich die ADHS-Verhaltensauffälligkeiten durch andere Therapiemaßnahmen (z.B. Verhaltenstherapie) nicht ausreichend vermindern lassen.
Die Medikation verhindert vorübergehend die Symptomausprägung, ohne die Ursachen der
Störung dauerhaft zu beeinflussen. Das heißt, durch die Medikation können die Konzentrations- und Ausdauerfähigkeit verbessert und Verhaltensauffälligkeiten abgebaut werden.
Leistungsdefizite werden somit durch die medikamentöse Behandlung nicht direkt vermindert, doch die Behandlung schafft in vielen Fällen die Grundlage für einen besseren schulischen Erfolg. Eine medikamentöse Therapie für Kinder im Vorschulalter sollte nur erwogen
werden, wenn Elterntraining, flankierende Maßnahmen und eine Teilnahme an speziellen
Vorschuleinrichtungen nicht greifen.
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THERAPIE
Wirkweise von Stimulanzien ➤ Jede pharmakotherapeutische Therapie sollte immer in eine umfassende Beratung eingebettet und mit
der Erarbeitung verhaltenstherapeutischer Strategien zur Bewältigung von Alltagsproblemen kombiniert sein. Zur medikamentösen
Therapie ist Methylphenidat derzeit das Mittel der Wahl. Die Substanz zählt zu den Stimulanzien. Eine Gabe von Stimulanzien macht
körperlich nicht abhängig und erhöht nicht das Risiko eines späteren Drogenmissbrauchs. Um einem Missbrauch vorzubeugen, z.B. im
Umfeld der Patienten, müssen Stimulanzien allerdings per BTMRezept verordnet werden. Der Effekt von Methylphenidat beginnt
etwa 30 bis 45 Minuten nach der Einnahme und bleibt dann für
etwa zwei bis vier Stunden auf maximalem Niveau. Nach dem Wirkabfall können Reboundeffekte auftreten. Wegen der hohen interindividuellen Responsevariabilität muss die Dosierung der medikamentösen Behandlung in einem kontrollierten Behandlungsversuch individuell genau austitriert und die Höhe der Dosis regelmäßig überprüft werden. Die Behandlung ist nicht immer wirksam und kann in
seltenen Fällen mit Nebenwirkungen einhergehen.
➔ Übersicht: Das Programm THOP basiert
auf verschiedenen Therapiebausteinen
Arbeit mit den Eltern bzw. mit den Eltern
und dem Kind:
‹ Veränderung familiärer Bedingungen
‹ Veränderung der Eltern-Kind-Interaktion
‹ Verminderung der Verhaltensauffälligkeiten
in der Familie
Arbeit mit dem Kind:
‹ Beziehungsaufbau und Förderung von
Änderungsmotivation
‹ Aufbau von Spielintensität und -ausdauer
‹ Aufbau von reflexivem und konzentriertem
Arbeitsverhalten
‹ Verminderung von Verhaltensauffälligkeiten
Arbeit mit Erziehern und Lehrern:
‹ Veränderung der Interaktion mit dem Kind
‹ Verminderung der Verhaltensauffälligkeiten
in der Schule bzw. im Kindergarten durch
konkrete Interventionen
Atomoxetin – neue Alternative zu Stimulanzien ➤ Stimulanzien sind nicht bei allen
Patienten mit ADHS wirksam oder verträglich, ihre Wirkungsdauer ist begrenzt und einige
der Betroffenen empfinden die Tatsache als belastend, dass die Medikamente unter das
Betäubungsmittelgesetz fallen. Mit Atomoxetin steht zur Behandlung von ADHS eine neuartige Alternative zu den Stimulanzien zur Verfügung. Die Substanz ist zur Behandlung von
Kindern ab 6 Jahren und Jugendlichen zugelassen. Eine Weiterbehandlung ins Erwachsenenalter hinein ist möglich. Die Ergebnisse von Studien sprechen dafür, dass eine Einmalgabe am Morgen eine kontinuierliche Wirkung auf die Kernsymptome von ADHS besitzt und
zwar über den ganzen Tag, den Abend bis zum nächsten Morgen [8, 9].
THOP: Multimodales Therapieprogramm für Kinder mit ADHS ➤ Das im Rahmen der
Kölner Adaptiven Multimodalen Therapiestudie (CAMT) entwickelte verhaltenstherapeutische Therapieprogramm für Kinder mit Hyperkinetischem und Oppositionellem Problemverhalten (THOP) ist ein multimodales Interventionsprogramm, in dem entsprechend
der individuellen Symptomkonstellation verhaltenstherapeutische Interventionen mit
medikamentösen Maßnahmen kombiniert werden [5, 6]. Im Anschluss an die Diagnostik
wird mit den Eltern in mehreren Therapiestunden ein Störungskonzept und eine Problemdefinition erarbeitet. Es wird ein bio-psycho-soziales Krankheitsverständnis als
Grundlage der späteren Interventionsoptionen geschaffen.
Das Eltern-Kind-Programm aus 21 Bausteinen verknüpft familien- und kindzentrierte
Interventionen. Es eignet sich für Kinder im Alter von drei bis 12 Jahren (➔ Übersicht). Bei
den familienzentrierten Interventionen steht die Arbeit mit den Eltern im Mittelpunkt. Das
Kind wird je nach Behandlungsbaustein, Problematik und Alter unterschiedlich stark integriert. Die wichtigsten Elemente von THOP sind auch in dem Selbsthilfeprogramm „Wackel27
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THERAPIE
peter und Trotzkopf“ integriert [4], das begleitend zur medikamentösen Therapie eingesetzt
werden kann und dessen Wirksamkeit erst kürzlich nachgewiesen wurde [10]. Ziel dieser
Programme ist es, dysfunktionale Verhaltensmuster zu unterbrechen und eine positive
Eltern-Kind-Interaktion aufzubauen. Positive Spielinteraktionen tragen dazu bei, die Aufmerksamkeit auf positive Erlebnisse mit dem Kind zu richten. Im Rahmen von THOP wird
besprochen, wie man klare Regeln und Grenzen etabliert und wie effektive Aufforderungen
ausgesprochen werden. Um bestehende Verhaltensprobleme zu lindern, wird bei der Beachtung von Aufforderungen bzw. bei nicht störendem Verhalten eine positive Verstärkung eingesetzt. Falls dies ohne Erfolg ist, werden negative Konsequenzen besprochen. Gemeinsam
mit den Eltern werden so allgemeine Erziehungspraktiken vor dem Hintergrund verhaltenstheoretischer Konzepte auf eine spezielle Problematik angewandt. An zwei bis drei Kernproblemen, wie z.B. dem Erledigen von Hausaufgaben oder dem morgendlichen Trödeln, wird
gezielt versucht, das Verhalten der Kinder zu verändern.
Bei Problemen, die sich durch pädagogisch-therapeutische Interventionen nicht hinreichend vermindern lassen, werden spezielle verhaltenstherapeutische Methoden wie insbesondere Tokensysteme (Münzverstärkungsprogramme), Response-Cost-Systeme (Verstärker-Entzug) und Time-out (Auszeit) eingeführt.
Eine weitere Intervention, wie z.B. ein Spieltraining, dient dazu, bei Vorschulkindern die
Spielintensität und Spielausdauer zu verbessern, während ein Selbstinstruktionstraining
das reflexive und planvolle Verhalten von Kindern im Schulalter intensivieren soll. Ziel des
Selbstmanagements ist es, dem Kind Möglichkeiten der Selbstbeobachtung und Selbstkontrolle zu vermitteln. Analog zu diesem Eltern-Kind-Programm werden entsprechende Interventionen im Kindergarten und in der Schule aufgebaut.
1 Dulcan M (1997) Practice parameters for the assessment and treatment of children, adolescents and adults with
attention-deficit /hyperactivity disorder. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 36:85–121
2 Döpfner M, Lehmkuhl G (2000) Hyperkinetische Störungen (F90), in: Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von
psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter, 226–36. Deutscher Ärzte Verlag, Köln
3 Döpfner M et al. (2000) Hyperkinetische Störungen, Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie, Band 1, Hogrefe Verlag, Göttingen
4 Döpfner M et al. (2000) Wackelpeter, Trotzkopf. Hilfen für Eltern bei hyperkinetischem und oppositionellem Verhalten. Psychologie Verlags Union, Weinheim
5 Döpfner M et al. (1996) Das Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und opposiotionellem Problemverhalten (THOP) – Aufbau und Einzelfall-Evaluation. Z Kinder- Jugendpsychiat Psychother 24:145–63
6 Döpfner M et al. (2002) Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten, THOP (3. vollständig überarbeitete Auflage). Psychologie Verlags Union, Weinheim
7 Döpfner M et al. (2004) Effectiveness of an adaptive multimodal treatment in children with Attention Deficit
Hyperactive Disorder – global outcome. European Child & Adolescent Psychiatry, 13, suppl 1, I/117–I/129
8 Michelson D et al. (2002) Once-daily atomoxetine treatment for children and adolescents with attention deficit
hyperactivity disorder: A randomized, placebo-controlled study. American Journal of Psychiatry 159
(11):1896–901
9 Kelsey D et al. (2004) Once-daily atomoxetine treatment for children with attention-deficit/hyperactivity disorder,
including an assessment of evening and morning behaviour: A double-blind, placebo-controlled trial. Pediatrics
114 (1):1–8
10 Kierfeld F, Döpfner M (2005) Bibliotherapy: Efficacy of a self help program for parents of hard to manage preschool children: a randomized control group trial. Unpublished manuscript, Universität Köln
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Fortschritte in der Pharmakotherapie
Timothy E. Wilens, Boston und Ralf W. Dittmann, Bad Homburg, Hamburg
Neben der Beratung und den psychosozialen Interventionen nimmt die Pharmakotherapie
im multimodalen Therapiekonzept von ADHS eine zentrale Rolle ein. Derzeit gelten Stimulanzien wie Methylphenidat als Mittel der Wahl. Die neue medikamentöse Option Atomoxetin scheint Fortschritte in der Behandlung von ADHS zu versprechen.
Die Wirksamkeit einer medikamentösen Behandlung von ADHS wurde in mehreren kontrollierten Studien nachgewiesen. In einer prospektiven Studie an 100 Kindern mit ADHS erhielt
die eine Hälfte der Kinder ausschließlich Methylphenidat. Der andere Teil wurde mit einer
Kombination aus Methylphenidat und einer Verhaltenstherapie behandelt [1]. Nach zweijähriger Studiendauer konnte hinsichtlich der Lernfähigkeit, des Verhaltens sowie der sozialen Kompetenz der Kinder kein Unterschied festgestellt werden.
Stimulanzien in der kontroversen Diskussion ➤ Stimulanzien sind derzeit die am besten
untersuchte und am häufigsten verordnete Medikamentengruppe zur Behandlung von
ADHS. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen und eine jahrzehntelange praktische Erfahrung bestätigen die Wirksamkeit dieser Substanzen in der Behandlung von
ADHS-Störungen. Allerdings nahmen an den meisten kontrollierten Studien lediglich Kinder
im Schulalter teil. Für jüngere Kinder, Jugendliche und auch erwachsene ADHS-Patienten
besteht bislang nur eine geringe Evidenz für die Wirksamkeit.
Trotz der nachweislichen therapeutischen Erfolge wird der Einsatz von Stimulanzien
jedoch kontrovers diskutiert. So ließen ältere Untersuchungsdaten die Diskussion entstehen,
dass eine Behandlung mit Stimulanzien möglicherweise für eine Wachstumsretardierung der
Kinder verantwortlich sein könnte. Neuere Daten sprechen gegen diese Vermutung und
geben vielmehr Hinweise dafür, dass die Erkrankung selber eine Wachstumsverzögerung
induzieren kann. Ebenso wurde eine potenzielle Abhängigkeit von Stimulanzien diskutiert.
Doch aktuellen Studiendaten zufolge scheint sich das Risiko einer Substanzabhängigkeit
durch eine Behandlung mit Stimulanzien sogar zu vermindern. So belegt eine Metaanalyse
von sechs Studien unter Einschluss von über 1.000 Jugendlichen, dass sich das Suchtrisiko
durch eine frühzeitige Behandlung der ADHS-Symptomatik mit Stimulanzien um etwa die
Hälfte vermindert [2].
Stimulanzien: wirksam bei Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität ➤ Seit
mehr als 50 Jahren gibt es die Stimulanzientherapie. Die Wirksamkeit von Stimulanzien
umfasst das gesamte Spektrum der ADHS-Symptomatik, das heißt sowohl Unaufmerksamkeit und Impulsivität als auch Hyperaktivität. Sekundär wirkt sich die Behandlung auch positiv auf die soziale Interaktion der Kinder aus. Da oppositionelles und aggressives Verhalten
seltener auftritt, wird der Umgang mit Gleichaltrigen erleichtert und die Kinder sind besser
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THERAPIE
in der Lage, Freundschaften zu schließen [3].
Dadurch wird das Selbstbewusstsein und
das Selbstwertgefühl der Kinder gestärkt [4].
kognitive Symptomatik/Subskala
ADHS-Index
0
0
Auch hinsichtlich der kognitiven Leistungs-2
-2
-4
-4
fähigkeit macht sich eine Behandlung
*
-6
-6
*
*
bemerkbar. So bessert sich die Konzentra-8
-8
*
tionsfähigkeit und die Kinder führen ihre
-10
-10
*
*
-12
-12
Aufgaben mit höherer Wahrscheinlichkeit
Hyperaktivität/Subskala
oppositionelle Verhaltensstörungen/Subskala
0
0
ohne Unterbrechung zu Ende.
-2
-2
*
*
*
-4
-4
Die Wirkung von Stimulanzien ist dosis*
*
*
-6
-6
abhängig und der Effekt setzt ein, sobald ein
-8
-8
ausreichend hoher Wirkspiegel erreicht ist.
-10
-10
-12
-12
Diese Wirkung bleibt im Fall des sofort frei* p< 0,05
gesetzten Methylphenidats vergleichsweise
kurz, nur über 2 bis 4 Stunden, erhalten. Um
➔ Abbildung 1: Conners Parent Rating Scale – Atomoxetin verbessert
sämtliche für ADHS charakteristischen Symptome [6]
eine möglichst gleich bleibende Wirksamkeit
über den Tag zu erzielen, müssen die Methylphenidat-Tabletten zum Teil mehrmals täglich – ggf. auch innerhalb der Schulzeit – eingenommen werden. So genannte retardierte Darreichungsformen sind die neuesten Entwicklungen im Hinblick auf die Substanzfreisetzung. Mit diesen Retard-Präparaten gelang es, die
Wirkdauer durch eine veränderte Freisetzung von Methylphenidat durch ein Pellet- und
osmotisches Freisetzungssystem zu verlängern und so Schwankungen der Serumspiegel zu
minimieren. Je nach Präparat wird auf diesem Weg eine sechs- bis 12-stündige Wirkdauer
erreicht. Stimulanzien können mit einer Reihe von unerwünschten Wirkungen einhergehen.
Zu charakteristischen Nebenwirkungen von Methylphenidat zählen ein verminderter Appetit,
Insomnie, Kopfschmerz und gastrointestinale Beschwerden. In seltenen Fällen können unter der
Behandlung mit Psychostimulanzien motorische Tics und Spasmen auftreten. Etwa ein Drittel der Patienten spricht nicht auf Stimulanzien an oder toleriert diese Medikamente nicht.
Atomoxetin 1,2 mg/kg KG/Tag
Atomoxetin 1,8 mg/kg KG/Tag
durchschnittliche Änderung vom Ausgangswert
Plazebo
Atomoxetin 0,5 mg/kg KG/Tag
Verspricht Atomoxetin einen neuen Therapiestandard? ➤ Eine innovative und viel versprechende Substanz ist Atomoxetin, das seit November 2002 in den USA und seit Dezember
2004 auch in Deutschland zur Behandlung von ADHS zugelassen ist. Atomoxetin ist das bislang einzige Medikament für die Indikation ADHS, das nicht zu den Psychostimulanzien zählt
und nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt. Die neue Substanz ist für Kinder ab sechs
Jahren und für Jugendliche zugelassen; eine Weiterbehandlung mit Atomoxetin ins Erwachsenenalter ist ebenfalls möglich. Der neuartige Wirkstoff hemmt die Wiederaufnahme von Noradrenalin, einem Neurotransmitter, der bei der Regulation von Aufmerksamkeit und Impulskontrolle eine zentrale Rolle spielt und beeinflusst indirekt auch das dopaminerge System [5].
Basis der Zulassung von Atomoxetin bilden mehrere randomisierte, plazebokontrollierte
Doppelblindstudien [6,7,8]. Die Ergebnisse belegen einheitlich, dass sich die ADHS-Kernsymptome unter der Therapie mit Atomoxetin gegenüber Plazebo reduzieren. Entscheidende
Hinweise auf die Wirksamkeit von Atomoxetin lieferte u.a. eine Studie, an der 297 Kinder
und Jugendliche im Alter von acht bis 18 Jahren mit moderat bis schwer ausgeprägter ADHS30
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THERAPIE
durchschnittliche Änderung
vom Ausgangswert
Symptomatik teilnahmen [6]. Sie erhielten
Plazebo
Atomoxetin 1,2 mg/kg KG/Tag
entweder Atomoxetin (0,5 mg/kg KG/Tag,
Atomoxetin 0,5 mg/kg KG/Tag
Atomoxetin 1,8 mg/kg KG/Tag
1,2 mg/kg KG/Tag, 1,8 mg/kg KG/Tag) oder
Verhalten
Familienaktivität
21
21
Plazebo. Durch das neue Medikament
*
*
18
18
*
(1,2 mg/kg KG/Tag, und 1,8 mg/kg KG/Tag)
*
15
15
wurden sämtliche für ADHS charakteristi12
12
schen Symptome in relevantem Ausmaß
9
9
beeinflusst. Der ADHD-RS-Gesamtscore verminderte sich unter der Behandlung in sig6
6
nifikantem Ausmaß (-13,6 Punkte unter
3
3
1,2 mg/kgKG/Tag Atomoxetin vs. Plazebo
0
0
-5,8). Ein detaillierter Blick auf die Subscores
-3
-3
* p < 0,001
zeigt, dass sämtliche Kernsymptome von
ADHS dosisabhängig abnahmen. Wie die
➔ Abbildung 2: Child Health Questionnaire – es besteht ein positiver EinEvaluation mit der Conners Parent Rating
fluss durch eine Behandlung mit Atomoxetin auf die Aktivitäten der
Scale belegt, nahmen sowohl die kognitive
gesamten Familie [6]
Symptomatik bei ADHS als auch die Hyperaktivität und oppositionelle Verhaltensstörungen ab (➔ Abbildung 1) [6]. Parallel dazu verbesserte sich unter der Medikation das soziale und familiäre Verhalten der Kinder und Jugendlichen mit ADHS in relevantem Ausmaß. Dies belegt die Evaluation mit dem Child Health
Questionnaire, einem Fragebogen, der von den Eltern ausgefüllt wurde und in der Studie als
sekundäres Zielkriterium diente. Das psychosoziale Funktionsniveau, das heißt zum Beispiel
das Verhalten und die Teilnahme an Familienaktivitäten, verbesserten sich deutlich, wodurch
sich das familiäre Zusammenleben nach Angaben der Eltern stark entspannte (➔ Abbildung 2).
Die Affinität der neuen Substanz zu cholinergen, histaminergen, serotonergen und adrenergen Rezeptoren ist gering und das Nebenwirkungsspektrum bisherigen Studien zufolge
dementsprechend günstig [9]. Häufigste unerwünschte Wirkungen waren in den Zulassungsstudien Appetitmangel, Bauchschmerzen und Übelkeit. Typische Nebenwirkungen der
Stimulanzien wie Appetitverlust und Insomnie traten unter Atomoxetin deutlich seltener auf
[11]. Tics, die in seltenen Fällen durch Stimulanzien induziert werden, wurden bei keinem der
in Studien mit Atomoxetin behandelten Patienten festgestellt [12].
In einer Metaanalyse wurden Langzeitdaten aus über 15 Studien ausgewertet, in denen
Kinder und Jugendliche im Alter zwischen fünf und sieben Jahren eingeschlossen waren. Bei
203 Patienten mit einer Mindestexpositionsdauer von drei Jahren konnte gezeigt werden,
dass das Größenwachstum und die Gewichtsentwicklung der mit Atomoxetin behandelten
Kinder nach 36 Monaten den vorausberechneten Werten entsprachen [13].
Bei einer möglicherweise dem Methylphenidat vergleichbaren Wirkstärke auf die ADHSSymptome scheint die neue Therapieoption der Forderung von Ärzten und Eltern nach einer
anhaltenden Symptomkontrolle besonders zu entsprechen [11]. Denn um die Lebenssituation
von Kindern mit ADHS umfassend zu verbessern, sollte sich die Behandlung nicht ausschließlich auf die Symptomatik innerhalb der Schulzeit konzentrieren. Unaufmerksamkeit,
Impulsivität und Hyperaktivität beeinträchtigen die Interaktionen des Kindes gleichermaßen
innerhalb der Familie, in der Schule und in der Freizeit. Mit Atomoxetin scheint es möglich,
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THERAPIE
Bupropion (200 mg)
Plazebo
60
Verbesserung am Studienende (%)
p < 0,02
50
40
30
20
10
0
die ADHS-Kernsymptome bereits bei einer nur einmal täglichen Einnahme anhaltend über den ganzen Tag zu reduzieren [7,14]. Nach
der morgendlichen Einnahme hält die Wirkung sowohl in der ersten
Tageshälfte inklusive der Schulzeit, aber auch am Nachmittag und in
den Abendstunden und sogar bis zum Morgen des kommenden Tages
an [7,14]. Neben der Aufmerksamkeit, der Impulsivität und der
Hyperaktivität bessern sich unter der Behandlung mit Atomoxetin
auch die sozialen Interaktionen des Kindes. Dadurch wird die Integration des Kindes in sein soziales Umfeld erheblich erleichtert und
zugleich die familiären Belastungen bedeutend reduziert [6]. Komorbide Störungen wie Tics, Angststörungen oder oppositionelles Verhalten stellen keine Kontraindikation für die Gabe von Atomoxetin dar.
Behandlungsdauer: 6 Wochen
Therapiealternativen bei Non-Respondern ➤ Neben Methylphenidat und Atomoxetin als den zur Behandlung von ADHS zugelassenen
Medikamenten liegen Wirksamkeitsnachweise für Bupropion und für
trizyklische Antidepressiva (TZA) wie Imipramin, Desimipramin und Nortriptylin vor. Nortriptylin (2mg/kg/Tag) wurde in einer doppelblinden Studie bei Kindern mit ADHS über bis zu
neun Wochen eingesetzt [15]. Durch die Behandlung mit dem trizyklischen Antidepressivum
wurde die ADHS-Symptomatik gemessen an der ADHS-Rating-Scale vermindert und eine
Responserate von 64 % erzielt. Wurden die Patienten anschließend erneut auf Plazebo
umgestellt, stieg der Symptomscore deutlich an.
Da die Wirkung von trizyklischen Antidepressiva oft mit einer deutlichen Verzögerung
eintritt, muss mindestens sechs Wochen behandelt werden, bevor der Therapieerfolg beurteilt werden kann. Da diese Substanzen die Noradrenalin- und Serotonin-Wiederaufnahme
hemmen und zugleich mit verschiedenen anderen neuronalen Rezeptoren interagieren, können eine Reihe von unerwünschten Wirkungen auftreten wie Gewichtszunahme, kardiale
Effekte und anticholinerge Störwirkungen. Daher ist besonders bei jungen Patienten ein sehr
enges Monitoring erforderlich.
Eine therapeutische Alternative bietet Bupropion, das antidepressiv wirkt und bislang
primär in der Raucherentwöhnung eingesetzt wird. Die Substanz wirkt sowohl auf den dopaminergen als auch auf den noradrenergen Neurotransmitterhaushalt. Für die Wirksamkeit in
der Behandlung von ADHS sprechen drei Studien unter Einschluss von 104 Kindern sowie
eine sechswöchige, offene, unkontrollierte Studie unter Einschluss von erwachsenen ADHSPatienten (➔ Abbildung 3) [16].
Neurobiologischen Erkenntnissen zufolge könnte auch der Neurotransmitter Serotonin in
der Entstehung von ADHS eine Rolle spielen. Dennoch fehlen bislang Hinweise, dass Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) wie Sertralin, Fluoxetin oder Citalopram bei ADHS
wirksam sind. Da SSRI jedoch in der Behandlung von Depression und Angststörung erfolgreich eingesetzt werden, kann bei ADHS-Kindern mit komorbiden Störungen eine Kombination von SSRI mit Stimulanzien sinnvoll sein.
Drei kontrollierte Studien zeigen, dass Clonidin (0,05 mg – 0,2 mg bis zu dreimal täglich)
eine therapeutische Alternative in der Behandlung von ADHS sein könnte [17,18,19]. Dieses
➔ Abbildung 3: Bupropion verbessert die
Symptomatik Erwachsener mit ADHS [16]
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Antihypertonikum scheint sowohl die Hyperaktivität, die Impulsivität als auch die Aggression
zu lindern, jedoch nicht die mangelnde Aufmerksamkeit zu beeinflussen. Positive Erfahrungen bestehen auch bei Schlafstörungen, die mit ADHS einhergehen. Allerdings kann die
Behandlung mit Clonidin mit einer Reihe von unerwünschten Wirkungen assoziiert sein wie
Sedierung, Kopfschmerz, Depression und ggf. einer Rebound-Hypertonie.
Für den Alpha-2-Agonisten Guanfacin, der einen ähnlichen Wirkmechanismus wie Clonidin besitzt, besteht bei ADHS eine geringere Evidenz der Wirksamkeit. Guanfacin scheint
eine höhere Wirksamkeit hinsichtlich der Aufmerksamkeitsstörung, jedoch einen geringen
Effekt auf die Hyperaktivität zu besitzen. Hinsichtlich des Nebenwirkungsspektrums ist
Guanfacin mit Clonidin vergleichbar, wobei aber weniger eine Sedierung, sondern eher Agitiertheit und Insomnie im Vordergrund stehen.
1 Abikoff H, Hechtman L (1996) in Jensen PS, Hibbs ED (eds.) Psychosocial treatment for child and adolescent disorders: empirically based approaches, 341–69, American Psychological Association, Washington DC
2 Wilens TE et al. (2003) Does stimulant therapy of attention-deficit/hyperactivity disorder beget later substance
abuse? A meta-analytic review of the literature. Pediatrics 111(1): 179–8
3 Zametkin AJ, Ernst M (1999) Problems in the management of attention-deficit-hyperactivity disorder. N Engl J
Med 340(1): 40–6
4 Barkley RA (1998) Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder: A Handbook for Diagnosis and Treatment. Guilford
Press, New York; Barkley RA et al. (1996) Psychological adjustment and adaptive impariments in young adults
with ADHD. Journal of Attention Disorders 1: 41–54; Cunningham CE et al. (1985) A developmental dose-response
analysis of the effects of methylphenidate on the peer interactions of attention deficit disordered boys. J Child
Psychol Psychiatry 26(6): 955–71
5 Bymaster FP (2002) Atomoxetine increases extracellular levels of norepinephrine and dopamine in prefrontal cortex of rates: a potential mechanism for efficacy in attention deficit/hyperactivity disorder. Neuropsychopharmacology 27:699–711
6 Michelson D et al. (2001) Atomoxetine in the treatment of children and adolescents with attention-deficit/hyperactivity disorder: a randomized, placebo-controlled, dose-response study. Pediatrics 108(5): E83
7 Michelson D et al. (2002) Once-daily atomoxetine treatment for children and adolescents with attention deficit
hyperactivity disorder: a randomized, placebo-controlled study. Am J Psychiatry 159(11): 1896–901
8 Spencer T et al. (1998) Effectiveness and tolerability of tomoxetine in adults with attention deficit hyperactivity
disorder. Am J Psychiatry 155(5): 693–5
9 Wernicke JF et al. (2002) Safety profile of atomoxetine in treatment of children and adolescents with ADHD.
J Clin Psychiatry 63 (12): 50–5
10 Michelson D et al. (2004) Relapse prevention in pediatric patients with ADHD treated with atomoxetine: a randomized, double-blind placebo-controlled study. J Am Acad Child Adolesc. Psychiatry 43(7): 896–904
11 Kratochvil CJ et al. (2002) Atomoxetine and methylphenidate treatment in children with ADHD: a prospective,
randomized, open-label trial. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 41(7): 776–84
12 McCracken JT et al. (2003) Improvement of ADHD by atomoxetine in children with tic disorders. Posterpräsentation AACAP, Florida, 14. – 19. Oktober 2003
13 Michelson D et al. (2004) Developmental outcomes of long-term atomoxetine treatment in attentiondeficit/hyperactivity disorder. Posterpräsentation AACAP, Washington DC, 20. – 24. Oktober 2004
14 Kelsey DG et al. (2004) Once-daily atomoxetine treatment for children with attention-deficit/hyperactivity disorder, including an assessment of evening and morning behaviour: a double-blind, placebo-controlled trial. Pediatrics 114(1)e1-e8
15 Prince JB et al. (2000) A controlled study of nortriptyline in children and adolescents with attention deficit hyperactivity disorder. J Child Adolesc Psychopharmacol 10(3): 193–204
16 Wilens TE et al. (2001) A controlled clinical trial of bupropion for attention deficit hyperactivity disorder in adults.
Am J Psychiatry 158(2): 282–8
17 Hunt RD et al. (1985) Clonidine benefits children with attention deficit disorder and hyperactivity: report of a
double-blind placebo-crossover therapeutic trial. J Am Acad Child Psychiatry 24(5): 617–29
18 Hunt RD et al. (1986) The therapeutic effect of clonidine in attention deficit disorder with hyperactivity: a comparison with placebo and methylphenidate. Psychopharmacol Bull 22(1): 229–36
19 Kurlan R et al. (2002) Treatment of ADHD in children with tics: a randomized controlled trial.
Neurology 58(4): 527–36
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ADHS
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INTERDISZIPLINÄRE KOOPERATION
Chaos im Kopf – ADHS-Kinder verstehen lernen
Elisabeth Aust-Claus, Wiesbaden
Auf den ersten Blick stehen bei Kindern mit ADHS zunächst Verhaltensauffälligkeiten
im Vordergrund, die sich durch beeinträchtigte Aufmerksamkeitsfunktionen und eine
mangelnde Impulssteuerung erklären. ADHS-Kinder haben darüber hinaus oft Wahrnehmungs- und Entwicklungsprobleme.
Über 10 Billionen Nervenzellen sorgen für das hochkomplexe, fein aufeinander abgestimmte neurobiologische System Gehirn. Obwohl das Gehirn lediglich 2% der Körperzellen umfasst, verbraucht es 20 % der gesamten Körperenergie. Das Gehirn sorgt für die Verarbeitung und das Abspeichern von Informationen sowie das Abrufen von Gedanken.
Was passiert bei ADHS? ➤ Bei Kindern mit ADHS läuft die Informationsverarbeitung im
neuronalen Netzwerk nicht optimal. Sie haben eine andere Art, Informationen aufzunehmen, zu sortieren, zu verarbeiten und abzuspeichern. Beinträchtigt sind besonders die Aufmerksamkeitsfunktionen und die Impulssteuerung. Der Aufnahmefilter für die Informationen und die Abläufe in der Verarbeitungszentrale Gehirn scheinen nicht optimal zu funktionieren. Die Informationsaufnahme erfolgt nur ungenügend. Das Sortieren der einzelnen
Informationen fällt Kindern mit ADHS sehr schwer. Bezogen auf das Verhalten der Kinder
werten wir dies als unaufmerksam, unkonzentriert und schnell ablenkbar.
Den Kindern fällt es schwer, den Überblick zu behalten und zwischen wichtiger und
unwichtiger Information zu selektieren. Da sich Kinder mit ADHS gegen unwichtige Reize
nur schlecht abschirmen können, kommen gleichzeitig und unsortiert viele verschiedene
Informationen an. Dies erklärt, warum die betroffenen Kinder sich von anderen Reizeindrücken besonders schnell ablenken lassen und oft zerstreut und vergesslich wirken. Sie
haben eine sprunghafte Aufmerksamkeit und eine schlechte Merkfähigkeit. Gelerntes ist
auf einmal wieder verschwunden und kann – insbesondere dann, wenn es wichtig ist –
nicht wieder abgerufen werden.
ADHS-Broschüre kostenlos anfordern
Wertvolle Tipps zum Umgang mit ADHSKindern gibt Eltern und Lehrer die Broschüre ADS/ADHS im Alltag, die vom Hamburger
Arbeitskreis herausgegeben wurde. In aller
Kürze finden sich dort praktische Tipps,
durch die sich viele Konflikte mit den Kindern sowohl Zuhause als auch in der Schule
vermeiden und eine positive Persönlichkeitsentwicklung fördern lassen. Die Broschüre kann angefordert werden beim:
Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS e.V.
Postfach 65 22 40, 22373 Hamburg, E-Mail:
[email protected]
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ADHS
Schlechtes Zeitgefühl, chaotische Vorausplanung ➤ Doch nicht
nur Arbeits- und Lernprozesse, sondern auch Gefühle und Handlungen werden strukturiert. Unser Verhalten wird ebenfalls durch
unsere Informationsverarbeitung u. a. auch mit Hilfe des Arbeitsspeichers gesteuert. Genau wie Buchstaben und Wörter verknüpfen
wir im Arbeitsspeicher Informationen mit Gedanken, Gefühlen und
Erinnerungen. Wir halten einen Moment inne, ehe wir reagieren.
Wir lenken unsere Gedanken und Gefühle durch Reflexion, sortieren diese, um gezielt zu reagieren. Der mangelnde Überblick von
Kindern mit ADHS schlägt sich nicht nur in Impulsivität, sondern
auch in einem schlechten Zeitgefühl, einer chaotischen Vorauspla-
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INTERDISZIPLINÄRE KOOPERATION
nung, einem mangelnden Einteilen von Arbeiten sowie in den Schwierigkeiten, sich in einer
Gruppe zu integrieren, nieder.
Kinder mit ADHS benötigen klare Informationen ➤ Kinder mit ADHS können alle Aufgaben besonders gut lösen, bei denen die Informationen möglichst klar und wenig diffus sind
und bei denen sie nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne benötigen. Doch dies sind nicht
immer die Anforderungen beim Lösen von Aufgaben in der Schule, sodass sie dort z.B. beim
Aufsatzschreiben oder bei Textaufgaben oft erhebliche Probleme bekommen. Da sie ihr Ziel
schnell aus dem Auge verlieren und ihnen systematisches, zielorientiertes Handeln schwer
fällt, müssen sie länger und härter trainieren, um ihre Intelligenz und ihre Begabungen in
entsprechende Erfolgserlebnisse umzusetzen. Bei sehr intelligenten ADHS-Kindern treten
die schulischen Probleme später, meist erst in der fünften bis siebten Klasse auf, wenn die
Anforderungen an adäquate Informationsverarbeitung höher werden und durch schnelles,
logisches Denken weniger gut zu kompensieren sind.
Wichtig ist es dabei, sich immer wieder klarzumachen, dass Kinder mit ADHS sich
durchaus bemühen, sich anders zu verhalten und auch bessere schulische Leistungen
erbringen möchten. Dennoch scheitern sie: Obwohl sie wollen, gelingt es ihnen nicht. Sie
spüren ihre eigenen Defizite und ihnen ist bewusst, dass sie die gestellten Erwartungen
nicht erfüllen. Das negative Feedback von Lehrern, Eltern und Mitschülern und die schlechten Schulnoten führen ihnen vor Augen, dass sie mit Gleichaltrigen in verschiedener Hinsicht nicht mithalten können. Dadurch sind sie zunehmend frustriert, fühlen sich oft verzweifelt und ihr Selbstwertgefühl wird im Laufe der Zeit immer schlechter – eine Negativspirale wird in Gang gesetzt.
ADHS-Kinder fördern: Trainings- und Lernstrategien
Petra-Marina Hammer, Waldems
Die ADHS-Symptomatik ist neurobiologisch bedingt, aber dennoch durch die Umwelt des
Kindes positiv beeinflussbar. Kompensation lässt sich erreichen, wenn sich die Umgebung
auf die besonderen Gegebenheiten von Aufmerksamkeitsdefizit, Impulsivität und abweichendem Aktivitätslevel einstellt.
Das ADHS-Kind braucht gut informierte Bezugspersonen. Hierbei sind an allererster Stelle
die Eltern zu nennen. Sie spielen die Hauptrolle im Alltag des Kindes. Denn sie sind emotional am stärksten beteiligt und haben den intensivsten Kontakt zu ihrem Kind. Weitere
wichtige Bezugspersonen sind Erzieher und Lehrer. Aber auch der Arzt und/oder Therapeut
kann auf die Verhaltensregulation Einfluss nehmen. Je mehr fachliches Wissen das Team
hat, welches das ADHS-Kind umgibt, um so eher kann eine positive Persönlichkeitsentwicklung erreicht werden. Wichtige Voraussetzung für eine gut funktionierende Teamarbeit ist,
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INTERDISZIPLINÄRE KOOPERATION
dass alle Beteiligten über Grundlagen, Verlauf, Symptomatik und Prognose von ADHS
gleichermaßen gut informiert sind.
Normale Erziehungstechniken wirken oft nicht bei ADHS-Kindern ➤ ADHS-Kinder sind
extrem im Verhalten, in ihren emotionalen Reaktionen und zeigen in der Regel Lernprobleme. Im Umgang mit den Kindern haben sich Eltern- bzw. Lehrertrainings bewährt, die dazu
beitragen, die Kompensation der ADHS-Symptomatik zu optimieren und die Interaktionen
zwischen Kind und Bezugsperson zu verbessern. Die Beratung der Bezugspersonen stützt
sich auf vier Säulen (➔ Übersicht).
In den meisten ADHS-Familien gelten Hausaufgaben und Lernen als der hauptsächliche Stressfaktor. Eltern und Lehrer können das ADHS-Kind unterstützen, indem sie gute
Voraussetzungen für zügiges Lernen schaffen. Der Schreibtisch bzw. der Ranzen sollte so
organisiert sein, dass das Kind den Überblick behält und zu allen Materialien schnellen
Zugriff hat. Hausaufgaben und wichtige Termine sollten immer schriftlich notiert werden.
Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit verhindern die tägliche Diskussion, wann mit dem Erledigen der Hausaufgaben begonnen
➔ Übersicht: Die Beratung von Eltern mit ADHS-Kindern stützt sich auf
wird. Das Abarbeiten der Hausaufgavier Säulen
ben sollte in kleinen Schritten erfol1. Beratung hinsichtlich der eigenen Verhaltenssteuerung zum positiven
gen. Bei Trödelverhalten hilft ein
Umgang mit dem ADHS-Kind:
Weckertraining. Dadurch merkt das
‹ Geduld haben und unter allen Umständen ruhig bleiben
‹ Worte im Erregungszustand nicht persönlich nehmen
ADHS-Kind, dass die Aufgaben nicht
‹ gelassen und direktiv reagieren bei Verweigerungshaltung
ewig dauern, sondern sich in einer
‹ liebevoll, gerecht, aber unbedingt konsequent sein
bestimmten Zeit erledigen lassen.
‹ selbst ein gutes Vorbild sein
2. Beratung hinsichtlich der eigenen Interaktionen mit dem ADHS-Kind:
‹ weniger reden – mehr handeln: Gesten sind sinnvoller als viele Worte
‹ keine Beleidigungen aussprechen wie: „Du bist blöd!“ Daraus kann das
Kind nichts lernen. Es lernt nur aus konkreten Anweisungen z.B.: „Du hast
das nicht korrekt geschrieben...“, “...die Aufgabe ist falsch berechnet.“
‹ Positivem mehr Beachtung schenken als Negativem: Lob trägt wesentlich
zur positiven Entwicklung des Kindes bei; über Kleinigkeiten ist hinwegzusehen, sonst besteht der Alltag aus einem ständigen Zurechtweisen des Kindes
‹ vorausplanen und vorausdenken, damit es gar nicht erst zur Eskalation
kommt
3. Beratung hinsichtlich der Methoden zur Förderung positiver Interaktionen:
‹ Struktur, Rituale und Konsistenz für den Tagesablauf geben dem ADHS-Kind
einen Rahmen, der ihm Sicherheit bietet
‹ Pflichten und Regeln sind aufzustellen, die am besten schriftlich fixiert
werden, um ein „das haben wir so nicht besprochen“ im Vorfeld zu vermeiden
‹ positive Verstärker, Ansporn und Ermutigung verändern Einstellungen und
auch Verhalten; Belohnungssysteme wie Punktepläne haben sich bewährt
4. Beratung zur Vermeidung von eigenem Burn-out durch das ADHS-Kind:
‹ Rituale mit dem Kind sind einzuhalten, um zusätzliche, nervenaufreibende
Auseinandersetzungen zu vermeiden
‹ Auszeit von dem Kind nehmen, z.B. ein Wochenende ohne Kind verbringen
und sich verbieten, über das Kind bzw. ADHS zu reden
‹ sich selbst etwas Gutes tun und neue Energie auftanken, um dem Alltag
mit dem ADHS-Kind wieder aufs Neue gewachsen zu sein
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ADHS
Die Stärken des Kindes erkennen
und fördern ➤ Befindet sich das
ADHS-Kind in einer Misserfolgsspirale, ist eine positive Persönlichkeitsentwicklung nicht möglich. Dem Kind
muss geholfen werden, die eigenen
Stärken zu erkennen. Auch das Lernen
in Form von Lernmotivation, Lernorganisation, Konzentration, Gedächtnis und Problemlösen sollte ganz
gezielt angewendet werden. Viele
ADHS-Kinder wenden dem Gegenüber nicht genügend Aufmerksamkeit
zu, welches vom anderen häufig als
unhöflich oder als Desinteresse
gedeutet wird. Ein soziales Kompetenztraining hilft Kindern mit ADHS,
normale Verhaltensregeln besser einzuhalten.
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ERWACHSENEN-ADHS
ADHS bei Erwachsenen
Michael Rösler, Homburg/Saar
Noch bis vor wenigen Jahren galt ADHS als eine Erkrankung des Kindes- und Jugendalters. Doch wie man heute aufgrund von Verlaufsstudien weiß, kann ADHS bei bis zu
60 % der Erwachsenen in voller Ausprägung oder als Teilsymptomatik bestehen bleiben
[1]. Trotz dieser hohen vermuteten Prävalenz und dem oftmals mit dieser neurobiologischen Funktionsstörung einhergehenden hohen Leidensdruck sind adulte ADHS-Diagnosen verhältnismäßig selten. Dieses Missverhältnis könnte damit zusammenhängen, dass
ADHS im Erwachsenenalter selten isoliert beobachtet wird, sondern gleichzeitig eine
oder mehrere komorbide Störungen vorliegen. So wird ADHS oft erst dann erkannt, wenn
bereits eine andere komorbide Störung diagnostiziert wurde.
Durchschnittlich sind etwa 3 % der Erwachsenen von ADHS betroffen. Noch in der Altersgruppe der 50- bis 60-Jährigen kann ADHS zu relevanten Funktionsstörungen führen, wie
Einzelfallschilderungen zeigen [2, 3, 4]. In allen Lebensaltern besteht die zentrale psychopathologische Symptomatik aus Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität und Impulsivität:
●
Aufmerksamkeitsstörung: Durch die begrenzte Aufmerksamkeitsspanne haben Menschen mit ADHS beispielsweise Probleme, größere Informationsmengen zu lernen oder in
einer Besprechung über längere Zeit zu zuhören; lange Theaterbesuche, Lesen anspruchsvoller Literatur oder Schlange stehen werden gemieden. Zugleich bereitet es ihnen Mühe,
ihre Arbeit und andere Bereiche ihres Lebens planvoll zu organisieren. Ihre Arbeitsweise
ist oft ineffizient, sie sind vergesslich und neigen dazu, sich zu verzetteln. Oft schaffen
sie es nicht, ihre Aufgaben in der zur Verfügung stehenden Zeit zu erledigen.
●
Hyperaktivität: Die für Kinder mit ADHS charakteristische motorische Unruhe weicht
mit zunehmendem Lebensalter vielfach einer „inneren Unruhe“ beim Erwachsenen [4].
Daher haben manche Menschen mit ADHS einen starken Rededrang, andere ein hohes
Bedürfnis nach sportlichen Aktivitäten.
● Impulskontrolle:
Aufgrund der mangelnden Impulskontrolle kommt es immer wieder zu
überschießenden emotionalen Reaktionen. ADHS-Patienten neigen zu voreiligen Entscheidungen und das Abwarten fällt ihnen schwer. Ebenso charakteristisch ist eine
Affektlabilität und Stressüberempfindlichkeit, verbunden mit einem geringen Selbstwertgefühl.
Folgenreicher Verlauf ➤ Aufgrund der ADHS-Symptomatik ist das Funktionsniveau bei
Erwachsenen in unterschiedlichen Lebensbereichen oft deutlich vermindert [2, 4]. Insgesamt beobachtet man bei den Symptomen eine rückläufige Tendenz. Dies betrifft vor
37
ADHS
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ERWACHSENEN-ADHS
allem die Hyperaktivität und Impulsivität, während die Störungen
der Aufmerksamkeit in der Regel erhalten bleiben. Personen mit
ADHS erreichen gemessen an ihrem Begabungsniveau und im
Die Behandlung von ADHS im ErwachsenenVergleich mit gesunden Vergleichspersonen häufiger qualitativ
alter kann folgende Bausteine umfassen:
schlechtere Schul- und Berufsabschlüsse und sind vermehrt von
1. Beratung, Psychoedukation
Kündigungen und Arbeitsplatzwechseln betroffen [2, 4, 5]. Das
2. Medikamentöse Behandlung
Risiko sexuell übertragbarer Krankheiten und ungewollter
3. Psychotherapie, Gruppentherapie, Coaching
Schwangerschaften ist signifikant erhöht, soziale Beziehungen
werden weniger lange aufrechterhalten und Ehen bzw. Partner4. Einbeziehung der Bezugspersonen
schaften sind konfliktreich oder zerbrechen.
5. Selbsthilfegruppen
Darüber hinaus sind Erwachsene mit ADHS besonders anfällig
für alle Arten von Unfällen – in Beruf, Freizeit und Straßenver6. Therapie von komorbiden Störungen
kehr. Dabei ist die erhöhte Gefährdung für Verkehrsunfälle mit
ernsten Verletzungsfolgen einhergehend mit der generellen Neigung gegen Regeln im Straßenverkehr zu verstoßen, besonders eklatant [6, 7]. Erhöht ist
weiterhin die Gefahr für Delinquenz: Die Prävalenzrate für ADHS bei inhaftierten Straftätern liegt zwischen 14 % und 72 % [8].
Tabelle: Multimodales Therapiekonzept
bei ADHS
Hohes Risiko für Komorbiditäten ➤ Ähnlich wie im Kindesalter ist ADHS bei Erwachsenen mit einem erhöhten Risiko komorbider Störungen assoziiert. Langzeitstudien zeigen,
dass etwa die Hälfte aller erwachsenen ADHS-Patienten von mindestens einer komorbiden Störung betroffen ist [4]. Am häufigsten finden sich Drogenmissbrauch und Alkoholismus, antisoziale und emotional instabile Persönlichkeitsstörungen, daneben Angststörungen und affektive Erkrankungen einschließlich bipolarer Störungen. Die Rate an dissozialen Persönlichkeiten lag in prospektiven Studien bei Erwachsenen mit ADHS zwischen 12 % und 36 % [2]. Da Nikotin die ADHS-Symptome mildern kann, haben viele
Betroffene einen hohen Zigarettenkonsum.
ADHS-Diagnostik erfolgt klinisch ➤ Um den Besonderheiten der Symptomatik gerecht zu
werden, sind erwachsenenspezifische psychopathologische Kriterien elaboriert worden.
Erleichtert wird die Diagnostik der ADHS im Erwachsenenalter durch standardisierte Selbstbeurteilungsskalen, Fremdratinginstrumente und Interviews [9]. Im Mittelpunkt stehen
dabei:
● die retrospektive Einschätzung kindlicher ADHS-Symptome und des Störungsbeginns;
● die Erfassung der ADHS-Symptomatik beim Erwachsenen;
● die Überprüfung der diagnostischen Kriterien nach ICD-10 oder DSM-IV.
Idealerweise sollte das Interview mit dem Patienten durch eine Fremdanamnese (Eltern/
Lebenspartner) ergänzt werden. Als standardisierte Symptomskala eignet sich die WenderUtah-Rating Scale (WURS-k), bei der neben den Kernsymptomen Überaktivität/Ruhelosigkeit, Aufmerksamkeitsstörungen, Desorganisation und Impulsivität auch die bei ADHS häufig vorkommenden affektiven Begleitsymptome erfasst werden [2]. Empfehlenswert sind
auch die ADHS-Selbstbeurteilungsskala (ADHS-SB), die ADHS Diagnostische Checkliste
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(ADHS-DC), das Wender-Reimherr-Interview (WRI) und die Conners´ Adult ADHD
Rating Scale (CAARS) [10].
Reduktion der ADHS-Symptomatik
gemessen am CAARS-Gesamtscore
ERWACHSENEN-ADHS
32
30
28
26
24
22
20
18
16
14
12
10
0
Multimodale Therapie ➤ Eine Indikation
zur Behandlung liegt vor, wenn eine ADHSDiagnose mit entsprechendem Ausprägungsgrad der Symptomatik mit psychosozialen Beeinträchtigungen verbunden ist.
Eine medikamentöse Behandlung wirkt primär auf die Symptome Unaufmerksamkeit,
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Impulsivität und Hyperaktivität; durch
Kontrollen 1 – 4: Termine innerhalb von 10 – 18 Tagen
psychotherapeutische Verfahren können
Kontrollen 5 – 8: Termine innerhalb von 24 – 36 Tagen
Kontrollen 9 – 13: Termine innerhalb von 60 – 120 Tagen
zusätzlich Organisations- und Vermeidungsverhalten,
soziale
Interaktion,
➔ Abbildung 1: Durch die Behandlung mit Atomoxetin können die ADHSCoping-Strategien und Selbstwert beeinKernsymptome anhaltend gebessert werden [11]
flusst werden [2] (➔ Tabelle).
Die medikamentöse Therapie mit Psychostimulanzien gilt bei ADHS als Behandlungsstrategie der ersten Wahl [2]. Methylphenidat, das zur Behandlung von Kindern und
Jugendlichen mit ADHS zugelassen ist, kann bei Erwachsenen bei entsprechender Begründung off-label eingesetzt werden. In etwa einem Drittel der Fälle wird jedoch mit Stimulanzien keine oder nur eine unzureichende Wirkung erzielt [2].
Neue medikamentöse Behandlungsoption ➤ Das seit Januar 2003 in den USA und seit
März 2005 auch in Deutschland verfügbare Atomoxetin (Strattera®) eröffnet eine neue
Option zur Behandlung von Erwachsenen mit ADHS. Atomoxetin ist bislang das einzige
Medikament für die Indikation ADHS, bei dem eine Weiterbehandlung mit Atomoxetin bis
in das Erwachsenenalter hinein keinen Off-label-use darstellt. Die Wirksamkeit des selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmers auf alle ADHS-Kernsymptome konnte in
zwei großen klinischen Studien an Erwachsenen mit ADHS gezeigt werden [3]. Atomoxetin erwies sich darin als Plazebo signifikant überlegen und zugleich gut verträglich. Unter
der Behandlung besserten sich sowohl die Unaufmerksamkeit, die Unruhe als auch die
Impulsivität. Der Effekt der Behandlung war weitgehend unbeeinflusst durch Subtyp,
Alter oder Geschlecht der Patienten. Die anhaltende Wirksamkeit des neuen Medikamentes ist neben den Akutstudien durch die offene Anschlussbehandlung von zwei plazebokontrollierten Studien belegt. Im Rahmen dieser bis zu 97-wöchigen Weiterbehandlung
sprachen etwa die Hälfte aller 384 Patienten (47 %) langfristig auf die Behandlung an;
bei ihnen reduzierten sich die ADHS-Symptome gemessen an der CAARS anhaltend um
mindestens 30 % (➔ Abbildung 1). Durchschnittlich verminderte sich die ADHS-Symptomatik im Laufe der offenen Behandlungsphase um 33,2 % (29,2 vs. 19,5; p<0,001) [11].
Parallel zur Besserung der ADHS-Symptomatik profitierten die ADHS-Patienten von einer
gesteigerten Lebensqualität. Kontrollierten Studiendaten zufolge nehmen sowohl die Vitalität, die soziale Funktionalität, als auch die mentale Gesundheit signifikant zu und näherten
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ERWACHSENEN-ADHS
Gesamtscore mentale Gesundheit
soziale Funktionalität
mentale Gesundheit
Vitalität
emotionale Rolle
durchschnittliche Verbesserung
gegenüber dem Ausgangswert (LOCF)
6
*p < 0,001
*
5
*
*
4
*
*
3
sich bereits nach wenigen Wochen dem
Niveau der gesunden Kontrollpersonen an
(➔ Abbildung 2) [12].
2
1
0
➔ Abbildung 2: Parallel zur Besserung der ADHS-Symptome kann die
mentale Gesundheit von Patienten mit ADHS durch die Behandlung mit
Atomoxetin positiv beeinflusst werden [12]
Psychotherapie – Verhalten erkennen und
ändern ➤ Neben der Psychoedukation und
der Pharmakotherapie stellen psychotherapeutische Verfahren – vor allem die Verhaltenstherapie – den dritten Baustein des
multimodalen Therapiekonzepts dar. Darin
werden problematische Verhaltensweisen
identifiziert und besprochen und alternative
Strategien eingeübt. Die Betroffenen lernen,
mehr Kontrolle über ihr Verhalten zu erlangen. Eine wichtige Stütze ist vielen Patienten die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe und der Austausch mit Betroffenen.
Ausblick – eine bessere Zukunft für Menschen mit ADHS ➤ Die frühzeitige Diagnose
und die adäquate und individuelle Therapie bilden bei erwachsenen Patienten mit ADHS
die Basis für die Verminderung der ADHS-Symptomatik und die Verbesserung des psychosozialen Funktionsniveaus. Eine erfolgreiche Therapie kann sich positiv auf viele Bereiche
des alltäglichen Lebens erwachsener ADHS-Patienten auswirken, sie profitieren von
einem besseren Selbstwertgefühl und einer insgesamt höheren Lebensqualität.
1 Pliszka S (1998) Comorbidity of attention-deficit hyperactivity disorder with psychiatric disorder: an overview.
J Clin Psychiatry 59 [Suppl 7]: 50–8
2 Sobanski E, Alm B (2004) Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Erwachsenen. Der Nervenarzt 7: 697–716
3 Michelson, D et al. (2003) Atomoxetine in adults with ADHD: Two randomised, placebo-controlled studies.
Biological Psychiatry 53: 112–20
4 Wilens TE (2004) Attention-deficit/hyperactivity Disorder in Adults. JAMA 292(5): 619–23
5 Barkley RA, Fischer M, Smallish L, Fletcher K (2004) Young adult follow-up of hyperactive children: antisocial
activities and drug use. J Child Psychol Psychiatry 45: 195–211
6 Woodward L, Fergusson D, Horwood J (2000) Driving outcomes of Young People with Attentional Difficulties
in Adolescence. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 39: 627–34
7 Grützmacher H (2001) Unfallgefährdung bei Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung. Deutsches Ärzteblatt 98: 1898–1900
8 Vermeiren R (2003) Psychopathology and delinquency in adolescents: a descriptive and developmental perspective. Clin Psychol Rev 23: 277–318
9 Ebert D, Krause J, Roth-Sackenheim C (2003) ADHS im Erwachsenenalter – Leitlinien auf der Basis eines
Expertenkonsensus mit Unterstützung der DGPPN. Nervenarzt 10: 939–46
10 Rösler M et al. (2004) Instrumente zur Diagnostik der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
im Erwachsenenalter: Selbstbeurteilungsskala (ADHS-SB) und Diagnose Checkliste (ADHS-DC). Nervenarzt 75:
888–95
11 Adler L et al. (2003) Long-term treatment effects of Atomoxetine in adults with attention-deficit/hyperactivity disorder (ADHD). Posterpräsentation ECNP 2003, Prag
12 Adler L et al. (2004) Quality-of-life Assessment in Atomoxetine-treated adults patients with attention-deficit/hyperactivity disorder. Posterpräsentation AACAP 2004, Washington DC
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DISKUSSION
Fragen und Antworten zu ADHS
Was kann ein Lehrer tun, wenn ihm bei einem Schüler ADHS-Symptome auffallen?
Huss ➤ Lehrer und Erzieher sollten sich möglichst umfassend über ADHS informieren. Es
ist die Aufgabe des Lehrers, bei einem auffälligen Verhalten eines Schülers Kontakt mit
den Eltern aufzunehmen und sie zu motivieren, sich an einen erfahrenen Arzt zu wenden. Die Hinweise von Lehrern/Erziehern über die Ausprägung der Symptome sind für die
Abklärung der Diagnose sehr wichtig. Außerdem dienen die Beobachtungen in der Schule dazu, die Wirksamkeit therapeutischer Maßnahmen zu überprüfen.
Welche Rolle spielt der Kinder- und Jugendarzt bei der Behandlung von Kindern mit
ADHS? Zinke ➤ Die Hemmschwelle der Eltern, sich direkt an Kinderpsychiater oder
Psychologen zu wenden, ist groß. Daher ist der Kinder- und Jugendarzt für Eltern die
erste Anlaufstelle. Seine Aufgabe ist es, ADHS zu diagnostizieren und die Eltern über die
verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären. Zur Sicherung der Diagnose und
Therapieoptimierung sollten Pädiater frühzeitig mit Kinder- und Jugendpsychiatern
zusammenarbeiten.
Lässt sich ADHS auch neurobiologisch, aufgrund veränderter Neurotransmitterspiegel,
diagnostizieren? Rothenberger ➤ Nein, es gibt noch keinen neurobiologischen Test, um
die Diagnose ADHS zu sichern. Dies trifft auch auf alle anderen kinderpsychiatrischen
Syndrome zu. Die Diagnose beruht immer auf subjektiven Beobachtungen und Bewertungen.
Sind Schlafstörungen ein weiteres Merkmal der ADHS-Störung? Rothenberger ➤ Oft
haben ADHS-Patienten Schlafstörungen. Sie haben in der Nacht vermehrt motorische
Aktivität, z. B. periodische Beinbewegungen. Andere haben Atemprobleme oder ein
Apnoe-Syndrom. Außerdem haben sie mehr Schlafzyklen, das heißt sie schlafen länger
und sie haben mehr Wachphasen.
Wie sieht das optimale Therapiekonzept aus? Döpfner ➤ Ausgehend von einem diagnostischen Profil werden gemeinsam mit der Familie Therapieziele erarbeitet. Das individuelle Therapiekonzept hängt ab von den Problemen des Kindes und den Wünschen der
Familie. Zu den Bestandteilen eines multimodalen Konzepts zählen Psychoedukation und
Beratung, medikamentöse Therapie, kindzentrierte bzw. familienzentrierte Verfahren
sowie verhaltenstherapeutische Interventionen in der Familie, in der Schule bzw. im Kindergarten.
Wann ist eine Verhaltenstherapie und wann eine medikamentöse Behandlung sinnvoll? Jensen ➤ Eine initiale medikamentöse Behandlung wird empfohlen, wenn aufgrund
der ADHS-Symptome die weitere Entwicklung des Kindes gefährdet ist. Medikamente
sollten auch dann zum Einsatz kommen, wenn sich die hyperkinetischen Verhaltensauf41
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DISKUSSION
fälligkeiten durch andere Therapiemaßnahmen (z.B. Verhaltenstherapie) nicht ausreichend vermindern lassen. Die Ergebnisse der MTA-Studie (vgl. S. 9ff) belegen, dass der
Erfolg einer medikamentösen Therapie in der Regel deutlich größer ist als der einer alleinigen Verhaltenstherapie. Zu einer Kombination von Phamakotherapie und Verhaltenstherapie wird bei Kindern geraten, bei denen zusätzlich zu den ADHS-Symptomen aggressive Merkmale, eine Angststörung, eine Depression oder soziale Verhaltensstörungen vorhanden sind.
Ab welchem Alter kann eine medikamentöse Behandlung von ADHS beginnen?
Wilens ➤ Die ADHS-Medikamente sind in Deutschland ab einem Alter von sechs Jahren
zugelassen. Ab diesem Alter ist die Wirksamkeit von Stimulanzien gut belegt. Eine medikamentöse Behandlung kann im Einzelfall auch bei Kindern in einem Alter unter sechs
Jahren, wenn der Arzt dazu rät, sinnvoll sein.
Stellen neu entwickelte Medikamente wie Atomoxetin einen neuen Therapiestandard
dar? Wilens ➤ Atomoxetin ist eine viel versprechende Substanz für die Behandlung von
ADHS, die nicht zur Gruppe der Psychostimulanzien gehört. Sowohl die kognitiven Symptome von ADHS als auch die Hyperaktivität und oppositionelle Verhaltensstörungen werden nach bisherigen Studiendaten durch Atomoxetin verbessert. Atomoxetin erwies sich
in den Studien als gut verträglich. Anders als Methylphenidat, das bis zu dreimal täglich
eingenommen wird, genügt bei Atomoxetin voraussichtlich für die meisten Patienten eine
einmal tägliche Einnahme. Dadurch ist es möglich, über den ganzen Tag eine gleich bleibend gute Wirkung zu erzielen.
Warum muss ADHS überhaupt behandelt werden? Wilens ➤ Kinder mit unbehandelter
ADHS haben ein hohes Risiko für einen ungünstigen Verlauf der Erkrankung sowie für
komorbide Störungen. Ihre schulischen Leistungen sind meist schlechter als es ihren
intellektuellen Voraussetzungen entspricht und oft müssen sie eine Klasse wiederholen
oder die Schule wechseln. Viele ADHS-Kinder werden von Gleichaltrigen abgelehnt, sie
geraten in eine Außenseiterrolle und bekommen Selbstwertprobleme. Überdurchschnittlich häufig stellen sich dadurch Begleiterkrankungen ein, wie Angststörungen und
Depressionen. Im Jugendalter haben sie ein hohes Risiko für einen Substanzmissbrauch
und vielen gelingt es nicht, erfolgreich eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren.
Selbst als Erwachsene haben viele Betroffenen sowohl in der Ehe und Familie als auch im
Beruf und im Freundeskreis massive Probleme.
Wie wirkt sich eine Stimulanziengabe hinsichtlich der Schulleistungen aus? Döpfner
➤ Durch die medikamentöse Therapie verbessert sich das Lernverhalten der Kinder. Sie
sind aufmerksamer, weniger unruhig und konzentrationsfähiger.
Haben Kinder, die mit Stimulanzien behandelt werden, ein höheres Risiko, davon
abhängig zu werden? Huss ➤ Nein, kontrollierte klinische Studien mit ADHS-Patienten
sprechen dafür, dass eine Methylphenidat-Therapie das Risiko eines späteren Substanz42
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DISKUSSSION
missbrauchs sogar vermindert. Dennoch fällt Methylphenidat unter das Betäubungsmittelgesetz und muss per BTM-Rezept verordnet werden, da es bei Gesunden missbräuchlich eingesetzt werden kann. Das Missbrauchspotenzial von Atomoxetin wurde ebenfalls
in Studien ausführlich untersucht. Wie dort gezeigt wurde, besitzt Atomoxetin keine
euphorisierenden oder amphetamin-ähnlichen Effekte und das Missbrauchspotenzial ist
gegenüber Plazebo nicht erhöht. Atomoxetin ist das bislang einzige Medikament für die
Indikation ADHS, das nicht zu den Psychostimulanzien gehört.
Welchen Einfluss hat eine Behandlung mit Stimulanzien auf das Risiko, später an
Morbus Parkinson zu erkranken? Rothenberger ➤ Hierzu gab es eine Reihe von Spekulationen, die jedoch nach dem heutigen Stand des Wissens nicht haltbar sind. Stimulanzien werden mittlerweile seit über 60 Jahren in der Therapie von ADHS eingesetzt, ohne
dass sich ein Hinweis auf ein erhöhtes Parkinsonrisiko ergab. In der Literatur wurde bislang kein Fall eines Methylphenidat-induzierten Parkinson-Syndroms beschrieben. Zudem
gibt es diesbezüglich keinerlei seriös begründete Annahmen, die auf Tierexperimente
zurückzuführen wären.
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KASUISTIKEN
➔ Kasuistik I
Erfolgreiche Umstellung auf Atomoxetin nach Nichtansprechen auf Methylphenidat
Dr. med. Andrea Caby, Fachärztin f. Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Marienkrankenhaus Papenburg-Aschendorf
Der knapp neun Jahre alte Junge hatte aufgrund der Aufmerksamkeitsstörung erhebliche Probleme in der Schule und
zwar sowohl hinsichtlich der Leistung als auch des Sozialverhaltens. Außerdem bestand eine erhebliche Ein- und Durchschlafproblematik. Nachdem er auf Methylphenidat nur unzureichend angesprochen und erheblich unter Appetitlosigkeit gelitten hatte, gelang durch die Behandlung mit Atomoxetin erstmals eine kontinuierliche Symptomkontrolle über
den gesamten Tag.
➤ Anamnese: Das Verhalten des Jungen in der Schule war von Anfang an schwierig. Die Eltern berichteten über
Konzentrationsschwierigkeiten und Aggressivität. Ab der dritten Klasse kam es zu einem zunehmendem Leistungseinbruch. Das Erledigen der Hausaufgaben war zeitaufwändig und anstrengend für die ganze Familie. In der
jüngeren Vergangenheit war er häufiger traurig, voller Selbstzweifel und zog sich zurück.
➤ Untersuchungsergebnisse: Der Junge hat ein durchschnittliches intellektuelles Leistungsvermögen
(K-ABC f. Kinder), zeigt aber Schwierigkeiten in Untertests, die eine hohe Aufmerksamkeit erfordern.
➤ Diagnose: Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (ICD 10 F90.1)
Anpassungsstörung mit verlängerter depressiver Reaktion (ICD 10 F43.21)
➤ Bisherige Therapie: Der Junge hatte bereits eine Ergotherapie und eine Entwicklungs- und Lerntherapie erhalten und an einer Psychomotorikgruppe teilgenommen. Im Alter von acht Jahren erfolgte ein medikamentöser
Behandlungsversuch mit Methylphenidat, was jedoch keine wesentliche Besserung brachte.
➤ Therapieumstellung: Im November 2004 stellten wir den Jungen auf Atomoxetin ein. Die Dosis des Medikamentes wurde einschleichend über vier Wochen erhöht (1. Woche 10 mg/d, 2. Woche 20 mg/d, 4. – 8. Woche 25 mg/d
Atomoxetin). Bei einem Körpergewicht von 35 kg erhält er heute als Dauerbehandlung 40 mg/d Atomoxetin.
➤ Therapieerfolg: Die motorische Unruhe wurde bereits ab der 2. Behandlungswoche reduziert. Der Junge war
weniger impulsiv, wirkte ausgeglichener und konnte sich besser konzentrieren. Ab der 4. Behandlungswoche verbesserte sich das Schlafverhalten und es stellten sich erste schulische Erfolge ein. Nach zwei Monaten waren die
schulischen Leistungen deutlich besser geworden, lediglich die Hausaufgaben sind manchmal noch schwierig. Er
hatte keine Probleme mehr beim Aufstehen oder Zubettgehen und malte keine schwarzen, sondern wieder farbige
Bilder. Das Medikament wurde von dem Jungen gut vertragen. Der mittags etwas verminderte Appetit wurde durch
eine höhere Kalorienaufnahme am Abend kompensiert. Die leichten Bauchschmerzen, die initial aufgetreten waren,
verschwanden nach wenigen Wochen.
➤ Diskussion: Atomoxetin, dass nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, zeichnet sich durch ein günstiges
Nebenwirkungsprofil aus. Bei einer nur einmal täglichen Einnahme bewirkt Atomoxetin eine anhaltende Symptomkontrolle über den gesamten Tag. Unserer Erfahrung nach spricht die Mehrheit von den MPH-Non-Respondern auf
Atomoxetin an. Dies bestätigte sich auch bei dem Jungen, dessen Situation sich durch das neue Medikament in den
unterschiedlichen Lebensbereichen verbesserte. Zugleich profitierte der Junge von einem antidepressiven Effekt.
Sowohl der junge Patient als auch die Familie sind mit der Medikation sehr zufrieden. Parallel zur medikamentösen
Therapie erfolgt eine familientherapeutische Begleitung sowie eine Hausaufgabenbetreuung.
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KASUISTIKEN
➔ Kasuistik II / Erfahrungsbericht
Über das Familienleben mit ADHS-Kindern
Monika Reif-Wittlich, Mutter dreier AD(H)S-Kinder, Vorstandsmitglied Juvemus e.V.
Durch die Aufmerksamkeits-Defizit-Störung unserer Kinder gestaltete sich unser Familienleben und vor allem der Kontakt mit unserer Umwelt oft schwierig. Erst nach Einleitung eines umfassenden Therapiekonzeptes, basierend auf einer
kontinuierlich und ganztägig wirksamen medikamentösen Einstellung, besserte sich die Situation der Kinder und der ganzen Familie.
In unserer Familie ging es stets turbulent zu. Unsere Kinder waren lebhaft, hatten ständig neue Ideen und nahmen für
ihre Unternehmungen die gesamte Wohnung in Anspruch. Wir arrangierten uns damit, nicht aber unser Freundeskreis,
der sich nach und nach zurückzog. Unverständnis, Ablehnung und Kritik aus unserer Umwelt belasteten unsere Familie stark. Aber ernsthafte Sorgen machten wir uns erst, als wir feststellten, dass unser Jüngster bereits als Baby gravierende Auffälligkeiten in seiner Entwicklung zeigte. In seinem gesamten Bewegungsverhalten schien er gehemmt
und lernte viele Dinge erst nach therapeutischer Unterstützung. Er bewegte sich unsicher und ungeschickt und erlitt
häufig Unfälle und Verletzungen. Ständig war er in Bewegung und meist auffallend laut. Allmählich entwickelte er
dazu Verhaltensauffälligkeiten in Form von extremer Unruhe, Angstzuständen und aggressiv scheinenden Reaktionen.
Mit all unseren Bemühungen, die Ursachen für die Schwierigkeiten zu ergründen, seine Verhaltensweisen zu verstehen und ihn in seiner Entwicklung zu fördern, schienen wir zu scheitern. Auch mit verschiedenen bereits seit Kleinkindalter angewandten Therapiemaßnahmen wie Ergotherapie, Logopädie und heilpädagogischer Behandlung konnten wir zwar eine Stabilisierung in Teilbereichen, aber keine enscheidende Verbesserung erzielen. In der Schule dann
störte unser Jüngster den Unterricht durch seine mangelnde Fähigkeit, ruhig und selbständig zu arbeiten, er war
schnell abgelenkt und oft unruhig. Auch Versuche, ihn in Sportgruppen zu integrieren scheiterten, da er sich nicht an
Regeln hielt, ständig umherlief und nie wusste, in welche Richtung er sich orientieren sollte.
➤ Wirksame Hilfe durch gezielte Therapiemaßnahmen
Erst eine qualifizierte, umfassende Diagnostik in einer spezialisierten Arztpraxis brachte nach fast sieben Jahren
ständiger Suche nach wirksamer Hilfe die Diagnose einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
mit Teilleistungsstörungen. Basis des daraufhin eingeleiteten umfassenden Therapiekonzeptes bildete die medikamentöse Einstellung. Diese wurde in der nun sechs Jahre dauernden Behandlung kontinuierlich seinen Defiziten und
dem Tagesverlauf angepasst und optimiert. Wichtig war dabei eine gleichmäßige Einstellung über den gesamten Tag,
das heißt in jeder Situation: Schule, Freizeit und Familienalltag. Wir erreichten dies anfangs durch vier bis fünf über
den Tag verteilte Medikamentengaben. Eine Erleichterung brachte die Umstellung auf länger wirksame Mittel, die
noch heute durch regelmäßige Arztkontakte, Rücksprachen mit Schule und Therapeuten kontinuierlich in ihrer Kombination und Dosishöhe abgestimmt werden.
Das individuell abgestimmte Therapiekonzept bewirkte bald erhebliche Fortschritte. Unser Sohn wurde insgesamt
ausgeglichener, baute Ängste ab, trat mit neuem Selbstbewusstsein auf, fand Freunde in der Klasse und konnte nun
auch an Aktivitäten mit Gleichaltrigen teilnehmen ohne dass es zu ständigen Auseinandesetzungen kam. Nachdem
es gelungen war, seine Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit durch den kontrollierten Einsatz von Medikamenten zu stabilisieren, zeigten auch weitere aufbauende Therapien wie z.B. zur Förderung seiner motorischen
Fähigkeiten oder zur Verhaltenssteuerung Erfolge.
➤ Endlich Stabilität nach Jahren der Hochs und Tiefs
Eine differenzierte Diagnostik und eine gezielte Therapie waren entscheidend für die Steigerung der Lebensqualität
eines jeden einzelnen unserer Familie, für mehr Harmonie im Zusammenleben und das Sichtbarwerden all der positiven und liebenswerten Eigenschaften, die so oft hinter der ADHS-Problematik verborgen bleiben.
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KASUISTIKEN
➔ Kasuistik III
Fallbeschreibung einer Behandlung mit Atomoxetin bei ADHS
Dr. med. Olaf Weiffenbach, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychatrie und-psychotherapie, Bad Homburg
Bei unserem 11-jährigen Patienten waren neben ADHS verschiedene komorbide Erkrankungen diagnostiziert worden.
Entscheidenden Therapieerfolg brachte erst die Umstellung von Methylphenidat auf Atomoxetin. Die neue Medikation
wirkte sich positiv auf die ADHS-Symptomatik sowie die komorbiden Störungen aus.
➤ Anamnese: Die Eltern des Jungen berichteten von Konzentrationsproblemen und plötzlichen Schwankungen von
einer ausgeglichenen Stimmung zu einer dysphorisch-gereizten Stimmungslage. Der Junge hatte Ängste, litt an
Zwangshandlungen und -gedanken und seine sozialen Kontakte gestalteten sich schwierig. Der Junge war ablenkbar,
hatte nur eine geringe Konzentrationsspanne und war motorisch unruhig.
➤ Testpsychologischer Befund: Im Hamburg-Wechsler-Intelligenztest erzielte der 11-Jährige einen Gesamt-IQ von
104–115. Allerdings zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen Verbal-IQ (120-133) und Handlungs-IQ
(82–98).
➤ Therapie: Nach der diagnostischen Abklärung wurde eine medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat sowie
eine Verhaltenstherapie vereinbart. Unter der Medikation konnte der Junge konzentrierter und ausdauernder arbeiten und die Schulleistungen besserten sich. Doch ab dem späteren Nachmittag kam es zu einem starken Rebound.
Der Junge wurde extrem reizbar und zeigte deutliche Stimmungsschwankungen. Selbst in den Arzt-Patient-Kontakten war seine Stimmung fast durchweg instabil und kippte plötzlich ins gereizt-dysphorische mit verbalen und
fremdaggressiven Attacken.
➤ Therapieumstellung: Wegen der Stimmungslabilität und der ausgeprägten Impulsivität wurde mit der Familie im
Frühjahr 2003 die Umstellung auf Atomoxetin besprochen. Vor der Umstellung wurde für zwei Wochen eine Medikamentenpause eingehalten. Die Einstellung erfolgte zunächst mit 25 mg Atomoxetin abends für eine Woche, dann
wurde die Dosis gesteigert. Nach vier Wochen erfolgte die Behandlung mit einer morgendlichen Einmalgabe von
50 mg Atomoxetin. Der Junge wurde unter Atomoxetin ruhiger und wesentlich zugänglicher. Er selbst beschrieb sich
als lockerer und konnte sich besser konzentrieren. Die Erregungsausbrüche nahmen mit zunehmender Behandlungsdauer in der Intensität und Dauer ab. Die anfängliche Müdigkeit und die Kopfschmerzen hörten nach einer Woche
auf. Die Schulleistungen blieben im oberen Leistungsbereich. Das Körpergewicht blieb konstant, die Laborwerte und
der EKG-Befund waren unauffällig. Die Lehrer bewerteten das Sozial- und Arbeitsverhalten nun mit der Note „gut“.
Tics und Zwangshandlungen traten nicht mehr auf.
➤ Fazit: Die Behandlung mit Atomoxetin wirkte sich sehr positiv auf die Situation des Jungen aus. Stimmungsschwankungen nahmen in ihrer Häufigkeit und Intensität ab und die soziale Interaktion verbesserte sich. Die Konzentrationsspanne wurde günstig beeinflusst, wodurch sich die schulischen Leistungen verbesserten und die in der
Verhaltenstherapie erarbeiteten Inhalte besser umgesetzt werden konnten. Die gute Verträglichkeit und die bei einer
einmal täglichen Gabe erreichte kontinuierliche Symptomkontrolle über den gesamten Tag bildeten die Basis für eine
gute Compliance. Insgesamt zeigte die medikamentöse Umstellung auf Atomoxetin positive Effekte auf die hyperkinetische Störung sowie die komorbiden Störungen.
(Dieser Beitrag wurde gekürzt nach einem Artikel aus Forum der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie 2004; 14 (3): 87–91)
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AUSBLICK
Miteinander in einen konstruktiven Dialog treten
Michael Schulte-Markwort, Hamburg
ADHS ist eine chronische Erkrankung, deren Prävalenz ebenso wie die Anforderungen
an die Diagnostik und Therapie heute besser eingeschätzt werden können. Nach wie vor
gilt ein multiätiologisches Modell, doch zwischenzeitlich wissen wir, die einzelnen
Bestandteile, wie die Bedeutung genetischer und neurobiologischer Aspekte, besser zu
gewichten.
Der Dialog aller an der Versorgung von Menschen mit ADHS Beteiligten ist in der vergangenen Zeit sachlicher geworden. In der Behandlung von ADHS können wir heute auf
manualisierte und damit überprüfbare Konzepte zurückgreifen. Eine adäquate medikamentöse Behandlung hat sich dabei als sehr effektiv erwiesen. ADHS ist nicht heilbar,
doch durch heutige Therapiekonzepte ist eine Besserungsrate von 70 % möglich, die den
betroffenen Kindern nicht vorenthalten werden darf! Heute stehen innovative Medikamente mit neuem Wirkmechanismus und Medikamente mit neuen Darreichungsformen
zur Verfügung. Doch die Therapie von ADHS erfordert nicht nur die Gabe eines Medikamentes, sondern eine differenzierte multimodale Therapie. Voraussetzung für den
Behandlungserfolg ist eine enge Kooperation von Eltern, Lehrern und Behandlern, wie es
der Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS* anstrebt. Durch die zunehmende Netzwerkbildung intensiviert sich derzeit erfreulicherweise die Zusammenarbeit von Kinder- und
Jugendpsychiatern, Pädiatern und anderen an der Versorgung von Kindern mit ADHS
beteiligten Berufsgruppen.
Dennoch bleibt vieles zu tun. Noch immer klafft in Deutschland eine deutliche zeitliche Lücke zwischen der ersten Vorstellung durch die Eltern beim Kinder- und Jugendarzt und dem Beginn einer fundierten Diagnostik und Behandlung. Und noch längst
haben wir nicht alles über diese Erkrankung verstanden und der Erfolg einiger Behandlungsformen ist noch nicht ausreichend überprüft. Um im Sinne der betroffenen Kinder
weiteren Fortschritt in der Behandlung von ADHS zu erzielen, müssen wir den konstruktiven Dialog fortführen und weiterhin entschiedene Forderungen an die (Gesundheits-)
Politik und die Versorgungssysteme stellen.
Die Atmosphäre der Konferenz (Hamburg, August 2002), die sämtliche Teilnehmer
und Referenten haben entstehen lassen, und die Fortschritte im Verständnis des Krankheitsbildes machen Mut und bieten eine Grundlage, das umzusetzen, was die betroffenen Kinder und ihre Familien benötigen.
* Hamburger Arbeitskreis ADS/ADHS, Postfach 652240, 22373 Hamburg
E-Mail: [email protected]
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AUTOREN
Dr. med Elisabeth Aust-Claus Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin,
OptiMind-Institut, Friedrichstr. 40, 65185 Wiesbaden
PD Dr. med. Tobias Banaschewski Leitender Oberarzt, Universitätsklinikum, Kinder- und
Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Von-Siebold-Str. 5, 37075 Göttingen
Prof. Dr. med. Dr. phil. Ralf W. Dittmann Psychosomatische Abteilung, UniversitätsKinderklinik Hamburg und Medizinische Abteilung, Lilly Deutschland GmbH,
Saalburgstraße 153, 61350 Bad Homburg
Prof. Dr. sc. hum. Manfred Döpfner Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und
Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Robert Koch-Str. 10, 50931 Köln
Dr. Petra-Marina Hammer Diplom-Psychologin,
Berliner Str. 4a, 65529 Waldems
Barbara Högl Arbeitskreis Überaktives Kind, Bundesgeschäftsstelle,
Postfach 410 724, 12117 Berlin
Dr. Michael Huss Oberarzt, Charité Virchow-Klinikum der Humboldt-Universität
zu Berlin, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und
Jugendalters, Augustenburger Platz, 13353 Berlin
Prof. Dr. med. Peter Jensen Columbia University/NYSPI, Center for the Advancement
of Children´s Mental Health, Child Psychiatry, 051 Riverside Drive # 78,
New York, NY 10032, USA
Prof. Dr. med. Michael Rösler Institut für Gerichtliche Psychologie und Psychiatrie,
Neurozentrum, Universitätskliniken des Saarlandes, 66421 Homburg/Saar
Prof. Dr. med. Aribert Rothenberger Direktor, Universitätsklinikum, Kinder- und
Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Von-Siebold-Str. 5, 37075 Göttingen
Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort Direktor der Abteilung für Kinder- und
Jugendpsychosomatik des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf,
Martinistr. 52, 20246 Hamburg
Henrik Uebel Assistenzarzt, Universitätsklinikum, Kinder- und Jugendpsychiatrie/
Psychotherapie, Von-Siebold-Str. 5, 37075 Göttingen
Prof. Dr. med. Timothy E. Wilens Dept. of Pediatric Psychopharmacology, Harvard
University, Massachusetts General Hospital, 15 Parkman St., Boston, MA 02114, USA
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ADS Titel 12.7.RZ
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