Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in den Strassenunterhaltsdiensten Merkblatt zur Biologie des Dunklen Goldafters Euproctis chrysorrhoea Dunkler Goldafter Euproctis chrysorrhoea 1. Beschreibung Falter Spannweite bei Männchen 26-32 mm, bei Weibchen 31-36 mm. Flügel, Thorax und Kopf rein weiss, Hinterleib vom 3. Segment an oberseits braun behaart. Afterbusch beim Männchen aus längeren goldbraunen Haaren, beim Weibchen aus einem dichten, glänzend goldbraunen Haarpaket. Flügel weiss, leicht gelblich, seidenglänzend, manchmal mit einigen schwarzen Flecken oder Punkten, v.a. im hinteren Winkel der Vorderflügel, am Zellende oder am Flügelaussenrand. Ei Kugelig, Durchmesser 0.7 mm, oben und unten leicht abgeplattet, Oberfläche glatt. Farbe glänzend, goldbraun. Raupe Erwachsene Raupe bis 45 mm. Grundfarbe graubraun, marmoriert. Die drei Brustsegmente orangerot gesprenkelt. Die daran anschliessenden Hinterleibssegmente mit einem breiten blauschwarzen Rückenband, das beidseits durch weisse Flecken begrenzt und ab dem 3. Hinterleibssegment mit einer feinen orangeroten Doppellinie unterteilt ist. Trichterwarzen auf den Hinterleibssegmenten 6 und 7 grell orange. Kopf und Bauchfüsse braunrot. Jeder Körperring trägt mehrere braunrote Warzen mit fuchsroter Behaarung. Die Haare rufen Juckreiz hervor und können zu Entzündung führen. Puppe Rund 15 mm lang, in einem durchscheinenden, bräunlichen Gespinst, in welches die Raupenhaare eingewoben sind. 2. Biologie/Ökologie Eigelege Das Weibchen legt die Eier in länglichen Gelegen, die es mit den goldbraunen Afterhaaren überdeckt, an die Äste und Zweige sowie an die Unterseite von Blättern. Bis zum Schlüpfen der Räupchen dauert es je nach Witterung 10 bis 20 Tage. Fassung 03.05.06 Seite 1 von 4 Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in den Strassenunterhaltsdiensten Merkblatt zur Biologie des Dunklen Goldafters Euproctis chrysorrhoea Raupe Die Raupen leben gesellig und bilden im Spätsommer dichte, weissliche Gespinstnester, die an den Zweigen der Nahrungssträucher zwischen Blättern befestigt und etwa 5-10 cm lang sind. Zur Erstellung der Nester werden die Blätter mit Gespinstfäden zusammengezogen. Nach einer vier- bis sechswöchigen Entwicklungszeit befinden sich die Raupen Ende September im 2. oder 3. Larvenstadium. Im Innern der Nester überwintern die jetzt rund 4 mm langen Räupchen eingerollt in ovalen Kammern einzeln oder in kleinen Gruppen bis zu fünft. Ein Raupennest enthält über ein Dutzend solcher Kammern oder 30-50 Räupchen. In besondern grossen Gespinsten überwintern sogar weit über 100 Räupchen. Die Raupen wärmen sich etwa ab März aussen auf den Nestern sitzend in der Frühjahrssonne. Zu diesem Zeitpunkt fressen sie die Knospen, danach das junge Laub und die Blüten. Später verlassen sie die Winternester. Sie kehren anfänglich zur Häutung oder bei schlechter Witterung in die Nester zurück. Nach der letzten Häutung verteilen sie sich und leben einzeln. Die Raupe galt früher als "Obstbaumschädling", namentlich an Apfel (Malus), Birne (Pyrus), Kirsche, Zwetschge und Pflaume (Prunus). Die Liste der Raupennahrungspflanzen ist sehr lang, umfasst jedoch ausschliesslich Laubgehölze. Befallsbilder und Erfahrungsberichte Im Winter 1992/93 war ein 1 km langer Abschnitt einer Hecke entlang der Autobahn bei Schüpfen BE stark mit Nestern befallen, nachdem sich die Population über 2 Jahre allmählich aufgebaut hatte. Ende Mai 1993 waren in einer Kernzone von rund 150 m alle bevorzugten Büsche von den mittlerweile erwachsenen Raupen kahl gefressen. Dabei konnte die unterschiedliche Beliebtheit der Nahrungspflanze beobachtet werden: Mit mehreren Überwinterungsnestern pro Strauch befallen waren nur Wildrosen und Weissdorn, zu praktisch 100%. Zwei einzelne Nester fanden sich auf zwei Sträuchern von Schwarzdorn. Es ist anzunehmen, dass ursprünglich nur diese drei Straucharten mit Eiern belegt worden sind. Nach Kahlfrass von Rosen und Weissdorn wichen die Raupen auf Hartriegel aus, dessen Büsche auch vollständig kahl gefressen waren, aber keine Nester enthielten. In dritter Priorität wurden der Wollige und der Gemeine Schneeball befallen. Etliche Sträucher waren fast kahl gefressen, die Raupen sassen zu Tausenden auf diesen Sträuchern. Der Schwarzdorn wies, abgesehen von den beiden mit Nestern belegten Büschen, nur ganz lokal Kahlfrass auf. Eine Schwarzerle in der Kontaktzone zu einer kahl gefressenen Rose war von Raupen zwar befallen, ihre Blätter waren aber nur ganz vereinzelt angefressen. Überhaupt nicht befressen und auch nicht von Raupen besetzt waren alle Sträucher des Pfaffenhütchens und der Heckenkirsche. Die Büsche dieser beiden Arten standen wie grüne Insel inmitten der kahl gefressenen Strauchgerippe. Die Begehung der teilweise kniehohen Grasvegetation unter den Büschen führte an den Beinen zu unangenehmem Juckreiz, der mehrere Stunden anhielt. Nachdem sich die Raupen bis Anfang Juni alle verpuppt hatten, dauerte es knapp fünf Wochen, bis die kahl gefressenen Büsche durch neu spriessende Blätter wiederum vollständig belaubt waren. Dieser Schutzmechanismus der Bäume und Sträucher ("Johannistrieb") sorgt dafür, dass ein Kahlfrass überstanden wird. Bereits im kommenden Jahr war die Population von Euproctis chrysorrhoea an dieser Stelle ohne menschliches Eingreifen vollständig zusammengebrochen. Massenvermehrungen werden in der Regel innerhalb von 2-3 Jahren durch natürliche Mechanismen, wie Parasitoide, Raubfeinde oder Pilz- und Viruserkrankung (Polyederkrankheit) gestoppt. Von Ausnahmen zu dieser Regel können Strassenmeister und Autobahnwerkhöfe aus dem Raum Bern/Fribourg berichten. Die ansässigen Goldafter-Populationen brechen nicht zusammen, sondern verbleiben seit Jahren auf hohem Niveau am gleichen Ort. In der Gemeinde Kirchberg kann der örtliche Strassenmeister René Wälchli von einem Birnbaum berichten, der 4 Jahre in Folge kahl gefressen wurde - inklusive der jeweils nachgewachsenen Johannistriebe. Fassung 03.05.06 Seite 2 von 4 Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in den Strassenunterhaltsdiensten Merkblatt zur Biologie des Dunklen Goldafters Euproctis chrysorrhoea Im Falle von Eichen gab es in den letzten Jahren (1994-2000) mehrere Beobachtungen aus dem Mittelland, wo kapitale Bäume im Mai/Juni vollständig kahl gefressen waren. In allen Fällen waren aber die Bäume bereits im Juli wieder vollständig belaubt. Puppe Die Verpuppung erfolgt in einem durchscheinend, gelblichen Gespinst (Kokon) einzeln oder, vor allem bei Massenauftreten, in Gruppen als eigentliche Puppennester an den Zweigen der Nahrungspflanze. Die Puppenruhe dauert je nach Witterung 2-3 Wochen. Falter Die Falter sind nachtaktiv. Am Licht erscheinen fast nur die Männchen, und zwar meistens erst nach Mitternacht. Bei Störung können die Falter mit einem Totstellreflex reagieren. Dabei lassen sie sich fallen, krümmen den Hinterlieb nach unten und bleiben auf der Seite liegen. Die Behaarung des Abdomens enthält einen toxisch wirkenden Stoff (Histamin). Jahreszeitliche Entwicklung Die Falter fliegen von Ende Juni bis Mitte August, im Seeland wurde als frühestes Flugdatum der 1.7., als spätestes der 14.8. notiert, bei Somazzo im Südtessin der 5.7. bzw. der 5.8. Die ersten Raupennester können ab Ende August gefunden werden. Anfang Juni des folgenden Jahres sind die Raupen verpuppungsreif. Ei- und Puppenstadium dauern jeweils 2-3 Wochen, im August für die Eier und im Juni für die Puppen. Im Verlauf von 12 Monaten ertwickelt sich eine Faltergeneration vom Ei bis zum adulten Falter. Es ergeben sich Perioden mit erhöhter Gefahr für Unterhaltsarbeiten (rot) und günstige Zeiten für Bekämpfungseingriffe (blau). Lebensräume Der Dunkle Goldafter bewohnt vorzugsweise Buschgebiete in offenem Gelände wie Hecken, Alleen, Obstgärten, Einzelbäume und reich gegliederte Waldränder sowie die Strauchgesellschaften im Bereich der Walliser Felsenheide. Fassung 03.05.06 Seite 3 von 4 Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in den Strassenunterhaltsdiensten Merkblatt zur Biologie des Dunklen Goldafters Euproctis chrysorrhoea Im Mittelland ist er seit Beginn der neunziger Jahre zu einer Charakterart der mit Büschen und Bäumen bepflanzten Strassen- und Autobahnböschungen geworden. Hier neigt er vorübergehend an jeweils eng begrenzten Stellen zu Massenvermehrungen, wobei er Sträucher und Bäume entlang den Autobahnen, manchmal sogar deren begrünten Mittelstreifen befällt. Verbreitung Die Art ist mit Ausnahme des Nordens in ganz Europa, in Nordafrika, der Türkei und bis nach Persien verbreitet. Euproctis chrysorrhoea wird in der ganzen Schweiz gefunden und steigt an warmen Stellen im Wallis und im Tessin regelmässig bis gegen 1000 m Höhe auf. Die höchstgelegenen Beobachtungsstellen von Faltern liegen auf 1300 m. Die Angabe "überall häufig", wie sie in älteren Schmetterlingswerken zu finden ist, gilt allerdings heute keineswegs mehr. Die Art ist nicht nur im Mittelland und im Jura stark zurückgedrängt worden (Biozideinsatz). Sie wird auch an anderen Stellen oft über Jahre hinweg überhaupt nicht mehr gesehen. Es bleibt abzuwarten, ob die neuerdings im Mitteland beobachteten lokalen Massenvermehrungen entlang von Strassen und Autobahnen eine dauerhafte Erholung der Populationen dieser in der Schweiz während mehr als 50 Jahren nur noch selten festgestellten Art bedeuten. Die Verbreitungsschwerpunkte des Dunklen Goldafters sind schematisch dargestellt. Die gemeldeten Vorkommen werden vom CSCF (Centre Suisse de Cartographie de la Faune) erfasst, sind auf deren Kartenserver (www.cscf.ch) einsehbar und werden sporadisch in aktualisierter Form auf www.nationalstrassen.ch übertragen. Gefährdung Zusammen mit drei anderen, für den Menschen harmlosen Arten wird der Dunkle Goldafter in älteren Schmetterlingsbüchern immer wieder als "berüchtigter Obstbaumschädling" aufgeführt. Alle vier Arten haben in unserem Jahrhundert in der Schweiz dasselbe Schicksal erlitten: Infolge des massiven Biozideinsatzes an Obstbäumen in Landwirtschaftsgebieten sowie in Obst- und Privatgärten sind sie stark zurückgedrängt worden. Baumweissling und Wollafter sind im Mittelland und Jura heute praktisch ausgestorben, der Ringelspinner ist selten geworden. Euproctis chrysorrhoea scheint unter ihnen als einzige Art noch - oder neuerdings wieder - in der Lage zu sein, gelegentlich und örtlich eng begrenzt Massenvermehrungen hervorzubringen. Die Art kann trotz starkem Rückgang also nicht als gefährdet eingestuft werden. Fassung 03.05.06 Seite 4 von 4