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Die Funktionsweise von Mikroschaltkreisen im Gehirn zu verstehen, ist eine der größten Herausforderungen der
Biowissenschaften im 21. Jahrhundert. Eine Forschungsgruppe am Institute of Science and Technology in Gugging
hat mit einer neuen Entdeckung ein weiteres Puzzleteil zur Lösung dieser großen Frage hinzugefügt.
V on S onja D ries
Forschungsgruppe begründete, die die
Funktionsweise neuronaler Mikroschaltkreise untersucht.
Das menschliche Gehirn besteht aus
über 10 Milliarden Neuronen, die an
zahlreichen Kontaktstellen miteinander
in Verbindung stehen. Die Neuronen,
auch Nervenzellen genannt, sind darauf
spezialisiert, Informationen zu empfangen und diese teilweise auch an andere
Zellen im Körper weiterzuleiten. Die
Zellfortsätze (Dendriten) der Neuronen
empfangen Signale, der Zellkern integriert die verschiedenen Informationen,
die er von den Dendriten bekommt, das
Axon (ein Zellfortsatz) leitet die integrierte Information an andere Nervenzellen weiter. Die Verbindungen zwischen
den einzelnen Neuronen bilden Synapsen (siehe Grafik).
In einer umfangreichen Studie untersuchte Peter Jonas nun gemeinsam mit
Post-Doc José Guzmán, PhD-Student
Rajiv Mishra und dem mittlerweile an
der Universität in Seoul tätigen Sooyun
Kim diese Kommunikation zwischen
den Neuronen und machte dabei eine
überraschende Entdeckung: eine neue
Lernregel für die Vervollständigung von
Mustern.
Ma riana Ruiz Vill arr ea l
Am 1. Juni 2009 wurde auf dem Areal
der ehemaligen Nervenklinik Maria
Gugging bei Klosterneuburg das Insti­
tute of Science and Technology (IST Austria) eröffnet. Anspruch der interdiszi­
plinären Forschungseinrichtung, die mit
einem Gesamtbudget von 1,3 Milliarden
Euro öffentlicher Förderung bis zum
Jahr 2026 ausgestattet wurde, ist es,
­einige der besten Köpfe der Welt zu versammeln und wissenschaftliche Exzellenz in der Grundlagenforschung zu erlangen. Einer dieser Köpfe ist der deutsche Neurowissenschaftler Peter Jonas,
der 2010 ans IST wechselte und dort eine
Neuron: Nervenzellen im menschlichen Gehirn sind komplexe Gebilde, deren Kommunikationsweise untereinander noch immer nicht vollständig geklärt ist.
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Symmetrische Lernregel. Bisher hatte
man sich bei der Frage, warum Nervenzellen miteinander kommunizieren und
wie ihre Verbindung zustande kommt
an die STDP (Spike-timing-dependent
plasticity)-Regel gehalten. Sie besagt,
dass ein Neuron A kurz vor Neuron B ein
Signal übertragen muss, damit die Bindung zwischen ihren Synapsen verstärkt
wird. Wenn B vor A aktiv wird, würde das
laut der STDP-Regel zu einer Abschwächung der Verbindung führen. Professor
Jonas und sein Team kamen bei ihren Untersuchungen allerdings zu einem ganz
anderen Ergebnis.
In einem ersten Schritt wurden Proben aus dem Gehirn von 21–29 Tage
­a lten, kurz zuvor getöteten Ratten entnommen und präpariert. Die Proben
stammten aus dem Hippocampus, dem
Teil des Gehirns, auf den sich die For-
Das IST Austria rekrutiert seine Forschenden – von den Doktoratsstudierenden bis zu den Professoren
und Professorinnen – in der ganzen Welt und wählt sie ausschließlich auf Grundlage der Qualität
ihrer Forschungsarbeit und ihres Entwicklungspotenzials aus.
scher fokussieren wollten. Die Wissenschaftler führten verschiedene Messungen an den Präparaten durch und erkannten, dass es bei den von ihnen untersuchten Neuronen in jedem Fall zu
einer Stärkung der Synapsen kam, egal
in welcher Reihenfolge die Signalübertragung geschah. Um die Erkenntnisse
aus den Gehirnproben zu untermauern,
führte das Team Computersimulationen
durch und verglich das traditionelle Modell mit der neuen Lernregel. Tatsächlich
konnten Muster aus einzelnen Informationen besser wiederhergestellt werden,
wenn die neue symmetrische Lernregel
angewendet wurde.
Exzellenz in der Wissenschaft. Die Entdeckung der Forschungsgruppe scheint
auf den ersten Blick nur ein Detail in
der komplexen Gehirnforschung zu sein,
und man fragt sich vielleicht, welche
Auswirkung die Erkenntnisse der ISTForscher auf unsere Gesellschaft haben
können. Doch genau diese Frage sollte
man sich bei Grundlagenforschung nicht
stellen. Sie soll allein durch wissenschaftliche Neugier angetrieben werden und
nicht durch das Ziel,
einen technischen oder
wirtschaftlichen Fortschritt zu bewirken.
Gr undlagenforschung
ist nicht zweckgebunden, sondern soll, wie
der Name schon sagt,
die Grundlage für Forschungen in verschie-
denste Bereiche bilden und Wissenschaftlern ein besseres Verständnis davon geben, wie die Welt funktioniert.
Dennoch lässt sich ein konkreter
­Nutzen aus dem hier vorgestellten Forschungsergebnis prognostizieren. Kenntnisse über die Kommunikationsregeln
für bestimmte Synapsen im Hippocampus könnten uns, so Peter Jonas, letztendlich erlauben zu verstehen, wie höhere Gehirnfunktionen in den Schaltkreis
des Gehirns implementiert werden und
wie diese Funktionen bei neurologischen
und psychiatrischen Erkrankungen gestört werden.
Genau diese grundlegenden Entdeckungen will das IST auch in Zukunft
fördern. Derzeit sind am Institut in Gugging etwa 45 Professoren und Professorinnen sowie etwa 500 Forschende tätig.
Bis 2026 soll die Zahl der wissenschaftlich arbeitenden Personen doppelt so
hoch sein und das IST ein Forschungszentrum von Weltrang werden. Leistungen wie die der Jonas-Gruppe geben
­A nlass zur Vermutung, dass dieses Ziel
nicht zu hoch gesteckt ist.
n
Der weltweit anerkannte und
ausgezeichnete Neurowissenschaftler Peter Jonas (55)
konzentriert sich in seiner
Forschung auf die synaptische
Übertragung im Gehirn.
IS T A ustria
Wie Nervenzellen kommunizieren
Lernen heiSSt Veränderung. Bis heute
bildet die Hebb’sche Lernregel die Grundlage für fast alle neuronalen Lernverfahren. Die 1949 vom kanadischen Psychologen Donald Hebb in seinem Werk „The
Organization of Behaviour“ postulierte
Hypothese besagt, dass Lernen auf einer
verbesserten Kommunikation zwischen
zwei Nervenzellen basiert. Sein berühmter Merksatz „Neurons that fire together,
wire together“, also „Neuronen, die gemeinsam feuern, haben eine Verbindung“,
will sagen, dass je häufiger ein Neuron A
gleichzeitig mit einem Neuron B aktiv
ist, umso bevorzugter werden die beiden
Neuronen in Zukunft aufeinander reagieren. Hebb bildete mit seiner Forschung die
Grundlage für das Prinzip der neuronalen
Plastizität. Sie bezeichnet die Fähigkeit
von Synapsen und Nervenzellen, sich
zwecks Optimierung laufender Prozesse
in ihrer Anatomie und Funktion anzupassen. Die Verbindungen verändern sich
also bei Vorgängen wie dem Lernen.
Die Jonas-Gruppe fokussierte sich bei
ihrer Studie auf eine bestimmte Region
im Gehirn, nämlich die CA3-Region
des Hippocampus, die eine wesentliche
Funktion für die Speicherung und den
Abruf von räumlichen Informationen
innerhalb des Gehirns innehat. Sie hat
die Fähigkeit, aus unvollständigen Informationen Erinnerungen wiederherzustellen, indem sie Aktivitätsmuster
zwischen den Nervenzellen vervollständigt. Die Wissenschaftler des IST untersuchten nun die Verbindung zwischen
den Nervenzellen und deren Intensität
genauer.
IST Au stria
wissenschaft
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