Einführung: Die Psychologie zwischenmenschlicher Interaktionen

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Einführung: Die Psychologie zwischenmenschlicher Interaktionen
Zusammenfassung des ersten Kapitels von Soziale Interaktion und Kommunikation von Joseph P. Forgas. Vorwort von Joseph P. Forgas
Obwohl die überwiegende Anzahl an sozialen Interaktionen automatisch und unbewußt
vollzogen werden, kön­nen die daran beteiligten Prozesse äußerst komplex sein. In den
industrialisierten Massengesellschaften sind zwischenmenschliche Beziehungen sehr viel
komplexer , diffuser und spezialisierter als dies in früheren Zeiten der Fall war. Immer mehr
Menschen leiden unter Isolation und Einsamkeit. Auch im Berufsleben spielen "face to face"
In­teraktionen eine immer stärkere Rolle. Diese Tendenz wird sich durch die Verschiebung von
der Produktionsgesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft 1 wohl auch in Zukunft weiterhin
verstärken. (Berufsfelder in denen dies besonders deutlich wird sind z.B. Management,
Kranken­pflege, Medizin, Verkauf, Werbung, Sozialarbeit, Erziehung und natürlich
Psychologie.)
Obwohl unübersehbar ist, wie wichtig Interaktionskompetenzen in unserem modernen Leben
geworden sind, wissen wir über die Feinheiten sozialer Interaktionsprozesse noch wenig
Verläß­liches zu sagen.
Kapitel 1 gibt einen kurzen historischer Abriß und die Kapitel 2-6 beschäftigen sich mit der
Per­sonenwahrnehmung. Eine besondere Rolle spielt dabei die umgebende Kultur mit ihren
Stereo­typen und Personenprototypen.
Was ist Sozialpsychologie ? (Seite. 1-3)
Bereits in der Antike fragten sich Denker wie Platon und Aristoteles : Wie ist soziales Leben
möglich ? Solche Fragen beschäftigen uns auch heute noch, allerdings nicht auf dem Feld der
Philosophie. Die Sozialpsychologie versucht mit wissenschaftliche Methoden Antworten auf
diese Fragen zu finden.
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Die Sozialpsychologie untersucht, wie Menschen miteinander interagieren und wie ihre
Gedanken, Gefühle, Verhaltensweisen oder Intentionen durch die tatsächliche oder unterstellte
Anwe­senheit anderer beeinflußt werden. (vgl. Allport 1924)
Auch andere Wissenschaften beschäftigen sich mit Interaktionen zwischen Menschen.
- Soziologen - Funktionieren großer sozialer Systeme
- Sozialanthropologen - Sozialstruktur, Brauchtum, Kultur kleiner Gesellschaften
Doch von diesen Nachbardisziplinen unterscheiden sich die Sozialpsychologen in mindestens
zweierlei Hinsicht.
1. Quantifizierende Beschreibung und Experimentieren unter kontrollierten Bedingungen.
2. Die sozialpsychologische Interaktionsforschung ist psychologisch (und nicht sozial oder
kul­turell) orientiert.
Uns interessiert, welche Rolle psychologische Prozesse und Variablen spielen, wenn Menschen
auf bestimmte Weise miteinander interagieren, während die beiden anderen Disziplinen die
umfassenden kulturellen Zusammenhänge thematisieren.
Sozialpsychologie und gesunder Menschenverstand
(Seite. 3-7)
Zur erfolgreichen Teilnahme an sozialen Interaktionen gehört die Fähigkeit, das Verhalten
an­derer genau wahrzunehmen, zu interpretieren und vorherzusagen. Die Sozialpsychologie
be­schäftigt sich also mit allgemeinem, alltäglich beobachtbarem Verhalten, für das wir alle
"Experten" sind.
Welche Beziehung besteht zwischen Alltagswissen, naiver Psychologie und wissenschaftlich
betriebener Sozialpsychologie? Wissenschaftliche Hypothesen haben oft ihren Ursprung im
All­tagswissen, und das Alltagswissen wird oft von der wissenschaftlichen Erkenntnis
mitgeformt und verändert. Aufgabe der Sozialpsychologie ist es nun , solches "implizites"
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Wissen "explizit" zu machen, d.h. unter kontrollierten Bedingungen genau zu beschreiben. Die
Sozialpsychologie bedient sich dabei einer vielfältigen und ausgeklügelten Methodik wie :
systematische Beobach­tung, Fragebögen, Interviews, Feldstudien und Laborexperimente.
Solche Ergebnisse finden dann wieder Eingang in unser Alltagswissen. Zwischen
wissenschaftlicher Forschung und All­tagswissen besteht also eine
Interdependenzbeziehung
.
Wie eng die Beziehung von Alltagswissen und Sozialpsychologie ist, macht eine Studie von
Solom Asch am Beispiel der Konformität deutlich.
Diese Studie belegt, daß viele Menschen bereit sind , ein unverkennbar falsche Urteil zu
übernehmen, wenn es nur mit entsprechendem Nachdruck vorgetragen wurde. Die Schätzung
der Länge von Stri­chen wurde vom Experimentatorenteam dementsprechend manipuliert .
Diese Art der Forschung und deren Ergebnisse sind inzwischen so bekannt, daß sie unsere
All­tagstheorien über Konformität und Gruppendruck nachhaltig beeinflußt haben. Heutzutage
wäre eine solche Studie somit nicht mehr möglich. Das Alltagsverständnis von Konformität
stammt also aus dem Labor der Sozialpsychologen.
Sobald es darum geht , Aussagen über Sozialverhalten zu verallgemeinern haben wir jedoch
guten Grund unserem Alltagsverständnis zu mißtrauen. Es erscheinen uns je nach Perspektive
oft verschiedene Möglichkeiten als plausibel. Aber die Theorien und Erklärungen zu denen die
Forscher gelangt sind, gehen über unsere Alltagstheorien hinaus , denn der Wissenschaftler ist
bemüht, allgemeinere und gültigere Erklärungen zu finden. (Validität)
Soziale Interaktionen einst und jetzt : ein historischer Exkurs
(Seite. 7-9)
Den größten Teil Ihrer Geschichte haben die Menschen in einer kleinen überschaubaren
ver­trauten sozialen Umwelt gelebt. - Familie, Sippe, Stamm, Dorf
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Die Menschen waren einander vertraut ein Fremder war eine Ausnahme.
Wenn wir in unserem heutigen westlich industrialisierten Interaktionsmilieu in der Öffentlichkeit
einem vertrauten Gesicht begegnen ist dies eher die Ausnahme als die Regel. Die
Französische Revolution und die Philosophie der Aufklärung bereiteten den Boden für diesen
Wandel.
Welche Auswirkungen hat diese drastische Transformation von der kleinen überschaubaren
Gruppe zur Massengesellschaft? Wir alle stehen nun vor der Aufgabe , unser Leben unter völlig
neuen Bedingungen zu führen, an die uns anzupassen wir als Spezies Mensch nur sehr wenig
Zeit hatten. Wir teilen Leben, Vergnügen und Arbeit mit anderen Menschen, die nur selten
im­mer dieselben sind. Unser Sozialleben ist sehr differenziert und heterogen. Die Befreiung
von kommunalen Zwängen der Primärgruppe bedingt eine zunehmend mobilere und
unpersönlichere Ge­sellschaft.
Soziale Kompetenzen und Schüchternheit
(Seite. 9-11)
Die heute verlangten sozialen Kompetenten und Interaktionen sind um vieles komplexer als
dies unter den Bedingungen der Primärgruppe notwendig war. Unter diesem Gesichtspunkt ist
es wenig verwunderlich, daß soziale Interaktionen auch zu Problemen führen können - immer
mehr Menschen scheuen soziale Kontakte und leiden unter Schüchternheit. Wir alle kennen
Situationen die schwierig sind. Bewerbungsge­spräche, Auseinandersetzungen, die ersten
Minuten mit Unbekannten. Für manche Menschen sind jedoch auch alltägliche Interaktionen mit
einem solchen Streß verbunden. Solche Reaktionen haben wir mit dem Etikett Schüchternheit
belegt, von Zimbardo (1982) definiert als "Codewort für diejenigen Kräfte in jedem von uns und
für diejenigen gesellschaftlichen Zwänge, die uns - in engem Zusammenwirken - voneinander
isolieren. In diesem Sinne schließt Schüchternheit die Furcht vor (und Vorurteile gegenüber)
Menschen, die anders sind,, und vor sozialen Situationen die neu sind, ein".
Darwin (1890) schrieb vor bereits über 100 Jahren
"Schüchternheit scheint davon abzuhängen, wie empfindlich jemand auf die - gute oder
schlechte - Meinung anderer reagiert."
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In einem großangelegten Forschungsprojekt zur Schüchternheit fand Zimbardo (1982) , daß
fast sich fast 40% der erwachsenen Amerikaner als schüchtern bezeichnen. Japan am
höchsten (60 %) am niedrigsten Israel (30%).
Zu den Situationen bei denen sich ein Gefühl der Schüchternheit am häufigsten einstellt sind
In­teraktionen mit Fremden, mit Angehörigen des anderen Geschlechts oder mit Menschen von
höherem Status.
Einem schüchternen Menschen fehlen bestimmte interaktive Kompetenzen, über die andere
Menschen verfügen. Das können
- perzeptuelle Kompetenzen sein (die korrekte Wahrnehmung von Menschen und
Situationen)
- kognitive Kompetenzen (die Fähigkeit zu richtigem und einfühlsamen Urteil)
- verhaltensmäßige Kompetenzen (zu wissen, was man in einer Situation zu tun und zu
sagen hat)
- affektive Kompetenzen (mit auf die Situation angemessenen Gefühlen reagieren) sein.
Ansätze zur Erforschung sozialer Interaktion
(Seite. 11-13)
Erklärungen für zwischenmenschliche Interaktionen können wir auf mindestens drei Ebenen
su­chen.
- 1. Der Makrosoziale Ansatz : Einstellungen und persönliche Verhaltensweisen werden von
den uns umfassenden sozialen, ökonomischen und politischen Systemen in erheblichem
Umfang bestimmt.
Idee des sozialen Determinismus, d.h. soziale Systeme und Normen sind die kausalen
Determi­nanten des individuellen Verhaltens.
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Faktoren wie soziale Klasse, Rasse, Einkommen, politisches System sind mitverantwortlich für
unsere sozialen Interaktionen.
- 2. Psychologischer Ansatz : Perspektive des Individuums.
Faktoren wie Erziehung, Intelligenz, äußere Erscheinung , individuelle Einstellungen oder
kommunikative Fähigkeiten kommt eine wesentliche Rolle zu.
- 3. Interaktionistischer Ansatz : Umfassende soziale Systeme (Ansatz 1) und individuelle
Per­sönlichkeiten (Ansatz 2) werden im Laufe der sozialen Interaktionen erst geschaffen
.
Vertreter des symbolischen Interaktionismus : Mead (1934), Cooley (1902) Stone und
Farbermann (1970).
Ordnung, Regelhaftigkeit und Vorhersagbarkeit aller großen sozialen Systeme hängen von den
gemeinsamen Erwartungen ihrer Mitglieder ab. Aber unsere Interaktionen mit anderen sind
auch Quelle unserer Selbsteinschätzung , unserer Persönlichkeit. In diesem doppelten Sinne
hielten die Theoretiker des Symbolischen Interaktionismus Interaktion für den Ursprung sozialer
als auch persönlicher Realitäten.
Als theoretischer Ansatz erscheint der Symbolische Interaktionismus am vielversprechendsten,
da er zwischenmenschliche Interaktionen nicht auf andere Prozesse reduziert.
Modelle menschlicher Natur und sozialer Interaktion
(Seite. 13-16)
Am naheliegendsten ist es (aber vielleicht auch am wenigsten hilfreich ist es ) menschliches
Verhalten als Ausdruck eines tief verwurzelten Bedürfnisses oder Triebes erklären. Allport
bezeichnet solche Ansätze als einfach und souverän , da sie alles menschliche Verhalten auf
ein einzige Prinzip zurückführen.
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Hedonismus, Tendenz des Menschen Unlust zu meiden und Lust zu suchen, ist seit Epikur bis
zu den modernen Lerntheorien ein sehr einflußreicher Erklärungsversuch für das menschliche
Sozialverhalten. Diese Idee hielt auch Einzug in das psychologische Denken. Die
Behaviori­sten, die Sozialverhalten mit Begriffen wie Belohnung, Verstärkung und Bestrafung
erklären stehen in Nachfolge der einfachen souveränen Hedonismustheorie.
Macht, Autorität, Kontrolle als einfache souveräne Erklärung. Vertreter dieser Richtung sind die
Philosophen Nietzsche
oder Machiavelli .
Altruismus : Bestreben Gutes zu tun. Erklärung warum Menschen kooperieren und einander
helfen. Nach Dawkins (1976) kann altruistisches Verhalten - im Sinne der Evolutionstheorie bis zur Selbstaufopferung einen biologischen Sinn haben, wenn es letztlich dem Überleben
de­rer dient die uns ähnlich sind. (Sicherung des eigenen genetischen Potential).
Rationalismus : Mit der Französischen Revolution diese souveräne und einfache Theorie an
Bedeutung gewonnen. Der Mensch trifft seine Entscheidungen die sein Sozialverhalten
betref­fen in vernünftiger, die möglichen Alternativen und Konsequenzen abwägender Manier.
Psychoanalytischer Ansatz .Vielleicht eine Reaktion auf die Dominanz des Rationalismus zu
Beginn unseres Jahrhunderts. Emotionen und Irrationalität dienen der Erklärung menschlichen
Verhaltens. Freuds Vorstellungen
einer Ich-Abwehr, die den Umgang mit
bedrohlicher Infor­mation zu einem dynamischen, motivierenden Prozeß macht, hat man sich
bei der Erforschung von Interaktionsprozessen mit Gewinn bedient. (vgl. Kap 5).
Wissenschaftliche Theorien über menschliche Interaktion
(Seite. 16-17)
Mit dem Entstehen der wissenschaftlichen Psychologie gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wurde
die Vorherrschaft solcher einfachen und souveränen Ansätze gebrochen. 1908 erscheinen zwei
wichtige Veröffentlichungen:
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William Mc Dougall (1908) vertritt eine individualistische, psychologische Position und
be­haup­tet, daß dem Sozialverhalten eine Vielzahl von Trieben wie Neugierde,
Selbstbestäti­gung oder Abneigung zugrunde liegt.
Ross (1908) war soziologischer orientiert: er vermutet in sozialen Prozessen wie Imitation,
Suggestion und Konformität die Kräfte, die unsere interaktiven Verhaltensweisen formen.
1924 gilt als eigentliches Geburtsjahr der Sozialpsychologie als eigenständige, experimentelle
und wissenschaftliche Disziplin. Allport (1924)
Theoretische Richtungen:
- Behaviorismus : Verhalten wird durch von außen erfolgende Belohnung und Bestrafung
kon­trolliert.
Verplanck (1955) zeigte in einer Untersuchung, daß " meinungsäußerndes Verhalten" durch
syste­matische Bekräftigung (z.B. "da haben Sie vollkommen recht") dramatisch an Häufigkeit
zunimmt.
Allerdings neigen die Behavioristen dazu, die aktiven und kreativen inneren Prozesse, die unser
Sozialverhalten auch beeinflussen, zu vernachlässigen.
- Gestaltpsychologie : Diese Schule beschäftigt sich vornehmlich mit inneren Prozessen
und Repräsentationen. Solomon Asch
- Feldtheorie : Lewin folgt mit seiner Feldtheorie der Gestaltpsychologie ähnlichen
Überlegun­gen. Für ihn wird unser Sozialverhalten in erster Linie davon determiniert, wie wir
unseren Le­bensraum zu einem gegebenen Zeitpunkt subjektiv wahrnehmen und erfahren.
- kognitive Richtung : Aus dieser Sicht ist Personenwahrnehmung im Grunde ein Prozeß
der Informationsintegration. Dieser Ansatz hat in den letzten Jahrzehnten beträchtlich an
Bedeutung gewonnen. (vgl. Kap. 4)
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Natürlich bestehen neben diesen Hauptströmungen noch eine Vielzahl an anderen Theorien
und Ansätzen. Keine Sichtweise besitzt ein absolutes Monopol. Die Sozialpsychologie ist eine
multi-theoretische
Wissenschaft.
Forgas verfolgt das Ziel, Ergebnisse empirischer Untersuchungen zusammenfassend
darzustel­len und zu diskutieren. Ein universelles Modell oder eine umfassende Theorie fehlt
bislang (noch).
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