Vorlesung 2: Sternentwicklung und Anwendungen

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Universität Konstanz
Theorie des Sternaufbaus
Vorlesung Astrophysik
(WS 2009/2010)
Achim Weiß
Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching
[email protected]
Teil 2:
Sternentwicklung und Anwendung
Entwicklung massearmer Sterne
< M/M⊙ < 2.5; insbesondere 0.8 < M/M⊙ < 1.5
0.1 ∼
∼
∼
∼
Auf der Hauptreihe
• lange Lebensdauer (Milliarden Jahre)
< 1.3M⊙ )
• zentrales Wasserstoffbrennen via pp-Ketten (M ∼
und CNO-Zyklus (in Sonne nur 1.5%)
< 0.2M⊙: kon• radiativer Kern, konvektive Hülle (M ∼
vektive Hülle bis Zentrum; voll-konvektive Sterne)
• allmählicher H-Verbrauch, schneller im Zentrum
(höheres T )
H-Profile, wie es sich in einem 1M⊙ Hauptreihenstern entwickelt
Die Hauptreihe:
Die Alter-Null-Hauptreihe (Zero-age main-sequence):
homogene Sterne, Energieerzeugung nur aus WasserstoffFusion
Entwicklung auf der Hauptreihe (und danach)
für M = 0.8 · · · 10 M⊙ .
Die Sonne
- ein Hauptreihenstern niedriger Masse
Solare Größen
Größe
d
M⊙
R⊙
g⊙
L⊙
Teff
~
X
Z
X&Y
t⊙
Wert
1.4959 · 1013 cm
Genauigkeit
10−8
1.989 · 1033 g
6.955 · 1010 cm
2.74 · 104 cm/s2
3.846 · 1033 erg/s
5779 K
Z/X = 0.0245
Z/X = 0.0165
O = 0.49, C = 0.30
N = 0.05, F e = 0.07
X = 0.713 Y = 0.270
4.57 · 109 a
10−3
3 · 10−5
10−4
±4.5 K
±0.0010
±0.03 ·
109
Quelle
Triangulation;
Radar & Laser
Kepler’s 3. Gesetz
Winkeldurchmesser
Solarkonstante
Stefan-Boltzmann
Photosph.;Meteor.
neueste Bestimmung
Sonnenmodel
Meteoriten
Bisherige Entwicklung
Vorhauptreihenentwicklung:
• Sterne entstehen aus kollabierenden Fragmenten
in sehr kalten Molekülwolken
• erben Zusammensetzung früherer Generationen,
vermischt mit dem interstellaren Medium
• steigender Druck führt zu Übergang zu quasihydrostatischer Kontraktion einer sphärischen Wolke
(Protostern)
• Virial-Theorem → Aufheizen und Zünden des nuklearen Brennens
• Zeitskala Vorhauptreihe: thermisch
• Entwicklung zunächst als kühler vollkonvektiver
Stern
• 107 a: Tc ≈ 8 · 106 K →CN-Gleichgewicht
• 3 · 107 a; pp-Ketten
• 4 · 107 a: ǫg ≈ 0 und L =
R
ǫn dm (ZAMS)
Hauptreihenentwicklung:
• Xc (t⊙) = 0.36 (50% des Vorrats)
• seit t = 0: L = 0.68L⊙ & Teff = 5600 K
• Tc & Pc um 7% & 30% gestiegen.
• ǫn : 98% pp-Ketten; 2% CNO-Zyklus
Sonnen-Neutrinos aus nuklearer Produktion
Solarer Neutrinofluss als Funktion der
Neutrinoenergie und Schwellenenergie der irdischen
Neutrino-Experimente
Das solare Neutrinoproblem (gelöst)
Solare Neutrinos - Vorhersage und Messung
Lösung: Neutrino-Flavour-Oszillationen (Mikhejev-SmirnovWolfenstein-Effekt)
e− -Neutrinos werden produziert und werden in Experimentent gemessen, aber beim Durchgang durch Sonnenmaterie (und auch durch Vakuum) Teil-Umwandlung
in µ- und τ -Neutrinos (messbar nur in SNO; 2 H2 OExperiment) ⇒ Defizit in Messung
Helioseismology
• Sonne schwingt in > 105 Eigenmoden
• p-Moden:
stehende
Druck/Schallwellen
• gedämpft, aber durch Konvektion angeregt
• charakterisiert durch n (radiale), l
(Winkel-), and m (Längen-) Modenzahl
• messbar durch Doppler-Beobachtungen der Spektrallinien
• Frequenzen um mHz (5-min.)
• Frequenzunterschiede im Bereich µHz
→ Beobachtungen tage-/monatelang
• erreichte relative Genauigkeit 10−5!
• daraus lassen sich mit hoher
Genauigkeit
der
Verlauf
der
Schallgeschwindigkeit
und
der
Dichte im Sonneninnern bestimmen
⇒ Vergleich mit Sonnenmodellen
Das Standard-Sonnenmodell
• volle Entwicklungssequenz von Vorhauptreihe oder
ZAMS bis zum solaren Alter
• Masse M⊙ und Alter t⊙ bekannt
• unbekannte Parameter: anfängliches Y , Z, sowie
αMLT (Konvektion)
• Zielgrößen: (Z/X)⊙ , Teff (t⊙ ), L⊙
• davon unabhängig vorhergesagt: rbcz , Y (t⊙), c(r)
• Input- (Mikro-) Physik; Standard (OPAL/OP κ
& OPAL/MHD EOS; neueste nukleare Reaktionsraten; Teilchendiffusion )
Vergleich der Schallgeschwindigkeiten
(cSSM − cseis)/cseis) für drei Standard-Sonnenmodelle
mit den älteren und höheren Z/X⊙ Werten (0.023),
sowie dem Unsicherheitsbereich der seismischen Schalgeschwindigkeit
Schallgeschwindigkeiten – neueste Ergebnisse
(cSSM − cseis)/cseis Standard-Sonnenmodelle mit alter
(Z/X⊙ = 0.0245) und neuer (Z/X⊙ = 0.0165) solarer
Metallizität.
Weitere Ergebnisse der Seismologie:
Tiefe der Konvektionszone, Heliumgehalt der Hülle,
Zentraltemperatur, Rotationsprofil, . . .
überall sehr gute Üebereinstimmung mit Sonnenmodell unter Verwendung der alten Häufigkeiten, schlechter
mit neuen Werten.
→ Theorie gut bestätigt, aber Problem der richtigen Häufigkeiten
derzeitige Sonnenstruktur
Anwendungen:
1. Sonnenmodell ist wichtigster Test für SternaufbauTheorie und -Programme
2. wesentliche Verbesserungen in Theorie für Opazitäten
und Zustandsgleichung
3. Diffusion (Sedimentation) findet statt und muss
in Modelle integriert werden
4. Unsicherheiten in Physik können durch seismische
Ergebnisse eingeschränkt werden. Dazu zählen:
(a) dynamische Effekte in der Konvektion
(b) Coulomb-Abschirmung bei nuklearen Reaktionen
(c) Emission von Axionen und anderen postulierten
Elementarteilchen
5. Nachweis der Neutrino-Oszillationen → Neutrinos
haben Masse
Nach der Hauptreihe
• Sterne entwickeln sich zunächst fast parallel zur
Hauptreihe
• biegen dann später ab zu kühleren Temperaturen
(Kern kontrahiert, Hülle expandiert)
• entwickeln sich auf nuklearer Zeitskala bei fast
konstantem L (“Unterriesen-Ast”) zum Beginn
des Riesenastes
Entwicklung eines massearmen Sterns im HRD
bis zur Spitze des Riesenastes
• und dann bis zur Riesenast-Spitze
(Entwicklung entlang der Hayashi-Linie, dem Ort
der kühlsten Sterne mit voll-konvektiven Hüllen in
thermischen und hydrostatischen Gleichgewicht)
• am Ende der Hauptreihe Ausbildung einer WasserstoffSchalenquelle um Kern
• innere Struktur von der Hauptreihe bis zur Spitze
des Riesenastes
(schraffiert: Energieproduktion; Wolken: Konvektion; punktiert: geänderte Zusammensetzung)
Auf dem RGB bis zum Zünden
des Heliums
• Entwicklung bestimmt durch Heliumkern-Masse:
L ∼ Mc7
• Dauer einige 108 Jahre
• Kern ist isotherm, aber Kontraktionsenergie und
Neutrino-Emission führen zu T -Maximum unterhalb Schalenquelle
• Kern zunehmend entartet; ρc → 105 · · · 106 g/cm3
• Tmax ebenfalls Funktion von Mc
• He zündet nicht-zentral bei Tmax ≈ 108 K
• He-Zünden wegen Entartung sehr dramatisch; für
kurze Zeit LHe > 106 L⊙
• entartetes Gas wird durch nukleare Energie nur
erhitzt → thermonukleares Weglaufen
• erst später Aufheben der Entartung und Expansion und Kühlung
Anwendung: Spitze des Riesenastes
wegen der Eigenschaften auf dem Riesenast:
• für alle Sterne zündet Helium bei ≈ demselben Mc ≈ 0.48 M⊙ und L!
• da Sterne danach schnell vom Riesenast wegwandern, klar definierte Spitze des Riesenastes
⇒ RGB-Spitze dient als Standard-Kerze und EntfernungsIndikator
umgekehrt:
• Entwicklung zu hohen Leuchtkräften wegen verzögertem
Zünden des He
• Grund: Kühlung des Kerns durch Neutrino-Emission
• daher: Neutrinoeigenschaften (z.B. elektromagnetisches Moment), die Kühlungsrate beeinflussen,
eingrenzbar
• durch Vergleich von theoretischer RGB-SpitzenLeuchtkraft mit Roten-Riesen-Ästen in Sternhaufen
bekannter Entfernung
• auch andere Kühlmechanismen (Axionen) untersuchbar
• wichtig: Bedingungen im entarteten Kern viel extremer als in Laboratorien erreichbar
→ Sterne als Teilchen-Laboratorien
Nach dem Riesenast - Heliumbrennphase:
• auf dem Riesenast schwacher Massenverlust (einige
0.1 M⊙ ) durch Sternwinde, beschrieben durch ReimersFormel:
Ṁ = −4 × 10−13η
LM R⊙
M⊙ /yr
R L⊙ M⊙
• Expansion des Kerns bis ρ ≈ 102 g/cm3 und ruhiges
He-Brennen im (konvektiven) Kern
• Ort im HRD: höheres Teff , niedrigeres L (≈ dasselbe für alle M )
→ Horizontal-Ast; Teff hängt von Rest-Hüllenmasse
ab (weniger = heißer)
• Entwicklung von Riesenast zum Horizontalast in
einigen Millionen Jahre
Farb-Helligkeits-Diagramm des
Kugelsternhaufens M68. Die Position des
Turn-Offs kann zur Altersbestimmung
verwendet werden.
Anwendung: Alter von Galaxien und des
Universums
Nach dem Horizontal-Ast:
• Ende des zentralen Helium-Brennens
• Helium-Schalenquelle um C/O-Kern und wie bisher
weiter außen H-Schalenquelle
• Entwicklung zu Riesen → Asymptotischer Riesenast (AGB) (s. Sterne mittlerer Masse)
• Verlust der restlichen Hüllenmasse, Verlassen des
AGB, Durchqueren des HRD zu heißen Teff , Abkühlen
zum Weißen Zwerg
Entwicklung der Sonne von der Hauptreihe bis zum
Weißen Zwerg (s. auch Sonnenfilm im “Cosmic Cinema” www.mpa-garching.mpg.de:~museum/museum)
Zwischenstand:
Abfolge der nuklearen Phasen
Alle Sterne folgen einer grundsätzlichen Entwicklungslinie:
• Kontraktion (nach Virial-Theorem) von Vorhauptreihe zu Hauptreihe
• Hauptreihenphase: Temperatur für zentrales Wasserstoffbrennen wird erreicht; langlebigste Phase
• Ende zentrales Brennen, da H verbraucht; Ausbilden einer H-Schalenquelle um Kern
• Entwicklung zu Riesen; Kontraktion des Kerns
und Erhitzung
• Erreichen der nächsten Brenntemperatur: Zünden
des Heliums
• zentrales Heliumbrennen (findet innerhalb ehemals
H-brennendem Kern statt) plust H-Schalenquelle,
die sich nach außen frisst
• Ende zentrales He-Brennen, Ausbilden einer HeSchalenquelle
• bei genügend hoher Masse: Kontraktion und Erhitzung des Kerns bis zum Zünden des Kohlenstoffs
• usw.
• Gründe: Virial-Theorem und Coulomb-Abstoßung
der Atomkerne, die immer höhere Temperaturen für die Fusion erfordern.
Entwicklung von Sternen mittlerer Masse
Grundlegende Eigenschaften:
< M/M⊙ < 8; untere Grenze: Zünden
• Masse: 2.5 ∼
∼
des He unter nicht-entarteten Bedingungen; obere
Grenze: Brennphasen nur bis C-Fusion werden erreicht.
• auf Hauptreihe: konvektiver Kern, radiative Hülle
• H-Fusion via CNO-Zyklus
• schneller Übergang von Hauptreihe zu kühlen Riesen
(thermische Zeitskala)
• Zünden des He bald nach Hauptreihe, da keine
wesentliche Neutrino-Kühlung
• nach Ende des zentralen Helium-Brennens zwei
dünne Schalenquellen um entarteten C/O-Kern
• Entwicklung entlang AGB, mit periodischen thermischen Instabilitäten in He-Schalenquelle (thermische Pulse)
Hauptreihenphase
konvektives Brennen im Zentrum: allmählicher Verbrauch von H im gesamten Kern
Lebensdauer:
< 9 · 108 a für ≈ 2.5 M⊙ bis ≈ 2 · 107 a für ≈ 8 M⊙
von ∼
(abhängig von Zusammensetzung)
Beispiel:
Entwicklung eines 5 M⊙-Sterns
Anwendung:
Während der Schleifen im He-Brennen sind die Sterne
instabil gegen radiale Schwingungen → Cepheiden.
Für diese besteht eine Perioden-Leuchtkraft-Beziehung
→ wichtigste Standardkerzen zur Bestimmung der Entfernung von Galaxien; Bestimmung der Hubble-Konstanten
(kosmologischer Parameter; Weltalter;
Wert: 74 ± 7 km/s/Mpc (1/s))
Interpretation des Hipparcos-FHD:
• Hauptreihe und Riesenast klar sichtbar
• “Roter Klumpen” (red clump) = langsamere zentrale Heliumbrennphase (längere Dauer; höhere
Aufenthaltswahrscheinlichkeit)
• verschiedene Zusammensetzungen, verschiedene
Sternalter → Breite der Äste und Streuung
• “Sterndichte” auf Hauptreihe ergibt sich aus anfänglicher
Massenfunktion (∝ M −2.5) und Beobachtungsgrenzen
Thermische Pulse auf dem AGB
• wichtigste Eigenschaft von Sternen mittlerer Masse
• thermische Instabilität in He-Schalenquelle
• regelmäßig wiederkehrende Leuchtkraftausbrüche;
Dauer: einige hundert Jahre; ruhige Zwischenphase: etliche tausend Jahre
• kurzfristig in Schalenquelle LHe ≤ 106 L⊙
• variierende konvektive Schichten
→ Mischen zwischen He-Brennzone und Wasserstoffhülle
→ Kohlenstoff an die Oberfläche; Wasserstoff in sehr
heiße Gebiete
• interessante Nukleosynthese mit Neutronen
→ Fusion der seltenen Erden (Ba, Sr, Te, La, Dy,
Pb, Ag, In, . . . Bi)
Leuchtkraftvariationen in einem 2.5M⊙ Stern auf
dem AGB:
4.5
4
3.5
3
805
806
807
Veränderungen der inneren Struktur in einem
2 M⊙ Stern:
Der s-Prozess
• Neutronenquelle:
12
C(p, γ)13N(β + ν)13 C → (p, γ)14 N or (α, n)16O
• benötigt C- und p-Mischen auf AGB
• wahrscheinlicher für Sterne mit niedrigerer Metallizität, niedrigerer Masse, in späteren thermischen
Pulsen
• Neutronen werden von “Saat-Elementen” in der
Eisengruppe eingefangen (kein Coulomb-Wall!)
• langsame (slow), sukzessive Neutroneneinfänge
konkurrieren mit schnellen β-Zerfällen
→ Entwicklung entlang des Tals der β-stabilen Isotope
Nach dem Asymptotischen Riesenast:
• Hülle wird schnell durch Superwind mit Ṁ ≈ 10−5 M⊙ /yr
(Strahlungsdruck auf Staubteilchen in sehr kühler
Atmosphäre; Teff ≈ 2500 K) verloren
• wenn fast die ganze Hülle verloren wurde → entwickelt sich Stern horizontal durch HRD zu heißem
Teff
• beleuchtet dabei u.U. ehemalige Hülle von innen
mit UV-Strahlung → Planetarischer Nebel
• und ehemaliger Kern wird wieder zu
Weißem Zwerg
Anwendung: Populationssynthese
Entfernte Galaxien sind nicht mehr in Einzelsterne
auflösbar; nur noch das “integrierte Licht” (Farbe,
Spektrum) ist messbar.
Populationssynthese ist der Versuch, diese integrierte
Information durch Aufsummierung der Farben/Spektren
einzelner Sterne zu reproduzieren.
Ziel: Bestimmung von Alter und Zusammensetzung
der unterschiedlichen Populationen einer Galaxie und
der Sternentstehungsrate
Notwendig: u.a. Sternentwicklungswege für verschiedene
Massen und Zusammensetzungen; hauptsächlich für
Sterne < 10 M⊙ .
Idealisiertes Ergebnis für eine Spiralgalaxie:
. . . und für eine elliptische Galaxie:
Ein illustratives Beispiel für eine aufgelöste, aber gemischte Population:
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