Hirnforschung mit Makaken: Universität Bremen enttäuscht von

Werbung
Nr. 245 / 12. August 2009 SC
Hirnforschung mit Makaken: Universität Bremen zeigt völliges
Unverständnis über den erneuten Ablehnungsbescheid der Bremer
Gesundheitsbehörde
Fortschritte in der Epilepsie-Therapie werden blockiert / Tierschutzgesetz wird von der
Universität penibel eingehalten / Schaden für den Wissenschaftsstandort Bremen
Enttäuschung und Unverständnis: Das sind die Reaktionen der Universität Bremen auf den
abschließenden Bescheid (Widerspruchsbescheid) der Bremer Senatorin für Arbeit, Frauen,
Gesundheit, Jugend und Soziales, den Antrag von Professor Andreas Kreiter zur Genehmigung
seines Versuchsvorhabens mit den dazugehörigen Versuchen mit Makaken abzulehnen.
Nach Einschätzung der Universität zeigt der Bescheid, dass zentrale Ausführungen der
Wissenschaftler zu den Maßstäben für die Belastung der Makaken nicht sachgerecht gewürdigt
wurden. Die von der Behörde angelegten ethischen Maßstäbe müssten dann in der Konsequenz auch
das Ende der Privat- und Nutztierhaltung bedeuten und sind daher für die wissenschaftliche
Forschung nicht angemessen.
Irritiert ist man seitens der Universität zudem, dass die Gesundheitsbehörde einer konstruktiven
Anregung des Bremer Verwaltungsgerichtes vom Dezember 2008 nicht gefolgt ist. Das Gericht hatte
bei der mündlichen Verhandlung die mangelnde Kommunikation mit dem Wissenschaftler kritisiert und
vorgeschlagen, dass sich Uni und Behörde gemeinsam auf geeignete Fachgutachter verständigen, die
die Belastung der Makaken bei den Forschungen von Professor Kreiter einschätzen sollten. Die
Universität stand dieser Anregung uneingeschränkt positiv gegenüber. Leider hat die Behörde die
begonnene Zusammenarbeit nicht fortgesetzt. Rektor Professor Wilfried Müller: „Stattdessen bezieht
sich auch dieser Ablehnungsbescheid erneut auf Gutachten, die uns nicht bekannt sind und zu denen
wir auch nicht Stellung nehmen konnten.“
Für den Rektor der Universität ist die Entscheidung, die Tierversuche im Rahmen des
Forschungsprojekts „Raumzeitliche Dynamik kognitiver Prozesse des Säugetiergehirns“ nicht zu
genehmigen, aus drei Gründen völlig unverständlich.
1. Bei dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt von
Andreas Kreiter und seinen Universitäts- und Industriepartnern geht es um Forschung für den
Menschen, ganz konkret auch um Fortschritte in der Epilepsie-Therapie. Für diese Tierversuche gibt
es gegenwärtig keine Alternativen.
2. Alle Anforderungen, die sich aus dem geltenden Tierschutzgesetz ergeben, werden von Andreas
Kreiter und der Universität Bremen seit Beginn der Versuche vor zwölf Jahren penibel eingehalten.
Die Versuche sind – so wie das Gesetz es fordert – ethisch vertretbar. Das hat die vom Bremer
Gesundheitsressort nach dem Tierschutzgesetz selbst eingesetzte Kommission (nach § 15 TschG)
stets bestätigt. Die Tierhaltung an der Universität ist weltweit vorbildlich.
3. Das nationale und vor allem internationale Ansehen des Wissenschaftsstandortes Bremen wird
beschädigt, die politische Zuverlässigkeit des Landes in Frage gestellt. Die Fortsetzung der großen
Forschungserfolge – nicht zuletzt im Rahmen der Exzellenzinitiative – und das überproportional hohe
Einwerben von Drittmitteln werden gefährdet. Bundesweit befürchten Vertreter von Wissenschaft,
Wissenschaftsförderung und Wissenschaftspolitik, dass nicht mehr Fachexpertise, sondern Politik
über Forschungsinhalte und -methoden entscheidet.
Auch Professor Reinhard X. Fischer, Beauftragter der Bremer Universitätsleitung für die
Makakenforschung, hat kein Verständnis: „Bei dem beantragten Forschungsprojekt geht es auch um
die Weiterentwicklung der Neuroprothetik, also auch um zukünftige moderne Hilfe für schwer
behinderte Menschen. Das Land Bremen verbaut sich mit der Versagung der Genehmigung die
Möglichkeit, einen international vorbildlichen Standard der Tierhaltung und Versuchsdurchführung
aufrecht zu erhalten. Es besteht die Gefahr, dass die Tierversuche unter wesentlich schlechteren
Bedingungen an einem anderen Ort durchgeführt werden, wenn es nicht noch einen gerichtlichen
Entscheid für die Genehmigung der Versuche für Herrn Kreiter gibt.“
Uni-Rektor Müller stellt sich uneingeschränkt hinter Andreas Kreiter. „Das Untersagen der international
anerkannten Forschungsarbeiten von Andreas Kreiter halte ich nach wie vor für einen unzulässigen
Eingriff in die grundrechtlich geschützte Wissenschaftsfreiheit. Die Universität Bremen wird alle
rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen – bis hin zum Gang vor das Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe.“
Zum juristischen Prozedere
Zum Hintergrund: Andreas Kreiter hatte im Frühjahr 2008 bei der zuständigen Bremer
Gesundheitsbehörde einen Antrag zur Fortführung der Forschungsarbeiten mit Makaken gestellt.
Gegen die Ablehnung des Antrags legte Kreiter Widerspruch ein, der jetzt mit dem Zustellen des
Widerspruchbescheids ebenfalls abgelehnt worden ist. Durch eine von der Universität gegen die erste
Ablehnung beim Verwaltungsgericht beantragte und ergangene einstweilige Anordnung konnte die
wissenschaftliche Arbeit mit Tieren bisher fortgesetzt werden. Nach der Entscheidung des
Verwaltungsgerichts vom Dezember 2008 dürfen sie jetzt noch zwei Monate weitergehen. Stichtag ist
nämlich die Zustellung des Widerspruchsbescheids.
Weiteres Vorgehen: Andreas Kreiter wird nun die folgenden Rechtsschritte einleiten: Er lässt durch
Klage beim Verwaltungsgericht Bremen die Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheids prüfen.
Parallel dazu wird Professor Kreiter beim Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung beantragen,
um seine wissenschaftlichen Arbeit mit Makaken fortzusetzen, bis die Klage vor dem
Verwaltungsgericht gegen den Widerspruchsbescheid entschieden ist. Die Behörde selbst hat
offenbar Zweifel an der Richtigkeit ihrer Entscheidung, da sie einräumt, ihr Vorgehen sei „bislang nicht
durch Rechtsprechung abgesichert“.
Zum Forschungsprojekt von Andreas Kreiter
Das Gehirn ist das wichtigste und komplexeste Organ der Menschen. Störungen in der Funktionalität
des Gehirns führen zu Erkrankungen und einschneidenden Veränderungen im Alltag, die sich direkt in
einem Verlust von Lebensqualität äußern. Ein weitverbreitetes Beispiel für eine solche Krankheit ist
die Epilepsie. Die Hirnforscher der Bremer Universität arbeiten seit Jahren daran, mehr über die
Funktionen und Dysfunktionen des Gehirns herauszufinden. Jetzt nahm das Projekt mit dem Titel
"Kabellose Erfassung lokaler Feldpotentiale und elektrische Stimulation der Großhirnrinde für
medizinische Diagnostik und Neuroprothetik" seine Forschungs- und Entwicklungstätigkeit auf. Dieses
interdisziplinäre Forschungsvorhaben wird im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) veranstalteten „Innovationswettbewerbs zur Förderung der Medizintechnik“ als
Transfer-Projekt zwischen der Grundlagenforschung und der Industrie gefördert.
Beteiligt an dem Verbundprojekt sind innerhalb der Universität Bremen das Zentrum für
Kognitionswissenschaften (ZKW), das Institut für Mikrosensoren, -aktoren und -systeme (IMSAS), das
Institut für Theoretische Elektrotechnik und Mikroelektronik (ITEM) und das Institut für
Hochfrequenztechnik. Projektpartner außerhalb der Universität Bremen sind das Bonner
Universitätsklinikum mit der Abteilung für Epileptologie (Professor Christian E. Elger) und die Firma
Brain Products GmbH (Spezialist für Lösungen im Bereich der neurophysiologischen Mess- und
Forschungsgeräte). Begleitet wird das Projekt, wie schon die erfolgreiche Antragsstellung, von der
Bremer innoWi (Experten für die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft).
Anwendungsfeld Epilepsie
Ziel dieses anwendungsbezogenen Forschungs- und Entwicklungsprojektes ist es, die elektrische
Aktivität des Gehirns von Patienten über einen sehr langen Zeitraum sicher, zuverlässig und präzise
zu erfassen. Dieses Wissen würde es Medizinern beispielsweise ermöglichen, die Hirnaktivität von
Epileptikern rund um die Uhr über lange Zeit zu überwachen und vor einem nahenden Anfall zu
warnen beziehungsweise einen Anfall durch Rückkopplung (elektrischer Feedback oder BioFeedback) abzuschwächen oder ganz zu unterdrücken.
Anwendungsfeld Neuroprothetik
Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet für das zu entwickelnde kabellose Langzeit-Messsystem ist die
funktionelle Neuroprothetik. Das geplante System ist hier eine Schlüsselkomponente. Ziel der
Neuroprothetik ist es, die erfassten elektrischen Aktivitäten des Gehirns mit Einsatz von Computern in
Informationen über Aktionswünsche des Patienten zu konvertieren. Die gewünschte Aktion wird dann
durch einen Computer oder Roboterarm realisiert. So wird es für einen gelähmten Patienten
beispielsweise Wirklichkeit, seinen Durst selbstständig zu stillen, ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu
sein. Es soll ihm außerdem erlauben, mit seiner Umwelt zu kommunizieren, auch wenn ihm dies
bisher durch seine körperlichen Einschränkungen verwehrt war. Voraussetzung für eine solche
fundamentale Wiederherstellung von Autonomie und Lebensqualität von gelähmten Menschen ist ein
Langzeit verträgliches, stabiles und sicheres neurophysiologisches Messsystem mit hoher räumlicher
und zeitlicher Auflösung, das darauf ausgerichtet ist, Information für medizinische Anwendungen mit
dem Gehirn auszutauschen. Weiter müssen die Funktionsabläufe im Gehirn erforscht sein, aus denen
die Steuerungsinformationen entnommen werden.
Ein zentraler Teil dieses medizinischen Forschungs- und Entwicklungsprojektes sind Untersuchungen
an Makaken und Ratten, wodurch Gesundheitsgefährdungen für Menschen im Vorfeld
ausgeschlossen werden. Diese werden wesentlich dazu beitragen, eine von der Medizin dringend
benötigte Schnittstelle zu den Gehirnen von besonders schwer erkrankten Menschen bereitzustellen.
Das BMBF schreibt seit 1999 jährlich den Innovationswettbewerb zur Förderung der Medizintechnik
aus, um herausragende innovative Projekte zu fördern. Projektträger ist das Deutsche Zentrum für
Luft- und Raumfahrt. Die Kosten für das Gesamtprojekt werden sich auf knapp 1,8 Millionen Euro
belaufen. Über die vorgesehene Laufzeit von 36 Monaten werden davon 1,2 Millionen Euro der
Fördergelder an die Universität Bremen fließen. Das setzt allerdings voraus, dass für diesen Zeitraum
auch eine Tierversuchsgenehmigung vorliegt.
Weitere Informationen:
Universität Bremen
Prof. Dr. Reinhard X. Fischer (Beauftragter des Rektorats für Makakenversuche)
Tel. 0421/218-65160
E-Mail: [email protected]
Informationen zum Forschungsprojekt:
Universität Bremen
Zentrum für Kognitionswissenschaften
Prof. Dr. Klaus Pawelzik (Stellv. Direktor des ZKW)
Tel. 0421-218 62001
[email protected]
http://www.neurotec.uni-bremen.de
Herunterladen