Milchstraße und Andromeda: Giganten auf Kollisionskurs

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BLICK IN DIE FORSCHUNG: KURZBERICHTE
NASA / ESA / Zolt Levay, Roeland van der Marel (STScI), Axel Mellinger
Milchstraße und Andromeda: Giganten auf Kollisionskurs
Forschern ist es gelungen, die Bewegung der Andromedagalaxie gegenüber dem
Milchstraßensystem genau zu messen. Das Ergebnis klingt bedrohlich. Ist es aber nicht.
D
as Schicksal unserer Galaxis ist be-
einander, viel­leicht nur wenige Millionen
»Ungefähr« genügt nicht
siegelt. Vermutet haben es die Astro-
Lichtjahre voneinander entfernt, überragt
Dem Prinzip nach ist eine Zu­kunfts­prog­
nomen schon lange, doch nun herrscht
die gegenseitige Anziehung ihrer Schwer-
no­se zur Bewegung einer Galaxie kein
Gewissheit: Unser Milchstraßensystem
kraft den expansiven Drang des Univer-
schwieriges Unterfangen. Ausgefeilte, seit
und sein Nachbar M 31, die Andromeda-
sums. Die Folge: Langsam aber bestän-
Jahren bewährte und immer weiter ver-
galaxie, werden dereinst ineinander stür-
dig driften beide Galaxien aufeinander
feinerte numerische Algorithmen über-
zen! Die Galaxien geraten damit zu Prota-
zu. Eine Mil­liar­den Jahre währende Reise
nehmen diese Aufgabe. Selbst die Berech-
gonisten eines gigantischen kosmischen
nimmt ihren Lauf, immer schneller und
nungen an sich sind im Prinzip eher um-
Schauspiels. Bis es so weit ist, verbleibt al-
schneller, bis die beiden Nachbarn am
fangreich als komplex – wären da nicht
lerdings noch etwas Zeit: etwa vier Milliar-
Ende schließlich zu einer großen ellip-
die Tücken der Diskretisierung quasi kon-
den Jahre (siehe Bild oben).
tischen Galaxie verschmelzen.
tinuierlicher Größen wie der Zeit und der
Kollidierende Galaxien – was wie ein
Ein solches Drama soll auch unserer
Materieverteilung. Zweifellos würde aber
kosmischer Super-GAU klingt, ist für die
Heimatgalaxie bevorstehen. Das behaup-
ein Numeriker die Aufgabe »Berechnung
Kosmologen nichts Ungewöhnliches. Im
ten Roeland van der Marel und seine
der künftigen Relativbewegung zweier
Gegenteil: Galaxienkollisionen prägten
Teamkollegen vom Space Telescope Scien­
Nachbargalaxien« als überschaubare He-
zu allen Zeiten das »Antlitz« des Uni­
ce Institute (STScI). Ihnen ist es gelungen,
rausforderung ansehen.
ver­sums – früher noch häufiger als heu-
durch die Kombination von aktuellen und
Neben einem Simulationsprogramm
te oder in Zukunft. Wie kommt es zu ei-
sieben Jahre alten Beobachtungsdaten des
sind dazu lediglich Anfangsbedingungen
ner sol­chen Kollision? Zwar dehnt sich das
Hubble Space Telescope die Bewegung der
erforderlich – also die Positionen, Orien-
Uni­ver­sum seit seiner Entstehung immer
Andromedagalaxie relativ zum Zentrum
tierungen und Anfangsgeschwindigkeiten
weiter aus und zieht die Galaxien mit sich
der Milchstraße zu bestimmen – und das
der beteiligten Galaxien. Das meiste da-
wie ein aufgehender Hefezopf die un­ver­
mit bislang unerreichter Präzision. Und
von lässt sich in Zeiten der satellitenge-
meid­li­chen Rosinen darin. Allerdings: Be-
darin, in der Präzision, liegt der Hund be-
stützten Astrometrie sehr zuverlässig be-
finden sich zwei Galaxien recht nahe bei-
graben.
stimmen. 2,5 Millionen Lichtjahre beträgt
20
Dezember 2012
STERNE UND WELTRAUM
SokönntederNachthimmelindreibisvier
MilliardenJahrenaussehen.Querzum
gewohntenBandderMilchstraßegesellt
sichdieinzwischensehrnahegekommene
Andromedagalaxie.InderIllustrationist
dieFormderGalaxiebereitsdurchden
GezeiteneinflussderMilchstraßeverzerrt:
Riesige,antennenartigeGezeitenarme
erstreckensichüberhunderttausend
LichtjahreinsAll.
DasSchicksalderSonne:Derzeitumrundet
dasSonnensystemdasZentrumder
MilchstraßeaufeinerkreisähnlichenBahn
beieinerEntfernungvonrund27 000Lichtjahren(links).WenndieMilchstraßeund
derAndromedanebelinetwafünfMilliardenJahrenvollständigzueinerelliptischen
Galaxieverschmolzensind,wirddieSonne
möglicherweiseeineBahneinnehmen,auf
dersiezwischenextremnahenundsehr
fernenAbständenvomneuengalaktischen
Zentrumpendelt.
NASA / ESA / Ann Feild and Roeland van der Marel (STScI) / SuW-Grafik
der Abstand zwischen Andromeda und
mo Tony Sohn und seine Kollegen richte-
Sache bekommen. Denn als Vorlage für
Milchstraße. Auch die radiale Komponen-
ten das Teleskop dazu auf drei verschie-
einen Katastrophenschocker á la »Deep
te der relativen Bewegung (also von uns
dene Regionen innerhalb der Andromeda-
Impact« oder »Armageddon« würde das
weg oder auf uns zu) von M 31 ist aus Mes-
Galaxie und bestimmten darin tausende
kosmische tête-a-tête kaum taugen. Ei-
sungen der Rotverschiebung recht gut be-
von Sternpositionen gegenüber dem je-
gentlich ist sogar der aus unserer Erfah-
kannt: 110 Kilometer kommt uns Andro-
weiligen Hintergrund bestehend aus fer-
rungswelt entlehnte Begriff »Kollision«
meda in jeder Sekunde näher.
nen Galaxien. Die Wahl der drei Felder
fehl am Platz. Denn unter einer Kollision
Fehlt noch der tangentiale Anteil der
erfolgte nicht zufällig: Von allen drei Re-
verstehen wir gemeinhin etwas Abruptes
Bewegung – und eben darin lag die große
gionen existierten bereits HST-Daten aus
und vor allem Destruktives. Das englische
Herausforderung für die Forscher. Bislang
sieben Jahre alten Beobachtungen. Durch
Wort merging (Verschmelzen) beschreibt
kannte man nur recht ungenaue Ober-
Vergleich beider Datensätze und dank der
den Vorgang einer galaktischen »Kolli-
grenzen, die je nach Studie zwischen 200
hohen Auflösung der HST-Instrumente
sion« weit treffender. Das wird klar, wenn
und 60 Kilometer pro Sekunde rangierten.
gelang es, die Bewegung der Sternfelder
man die Zeitskala betrachtet, auf der sich
Sangmo Tony Sohn, Jay Anderson und Ro-
gegenüber dem Hintergrund zu bestim-
eine galaktische Kollision abspielt: Im Mo-
eland P. van der Marel vom Space Telesco-
men.
ment ihres Aufeinandertreffens, wenn al-
pe Science Institute gelang es nun als Er-
Was die Forscher am Ende fanden: Der
so ihre äußeren Regionen ineinander tau-
sten, hinreichend genaue Daten zu ermit-
Bewegungsvektor der Andromedagalaxie
chen, bewegen sich die Galaxien mit grob
teln. Doch wie misst man die Bewegung
zielt in der Tat in Richtung unserer Milch-
geschätzten 1000 Kilometer pro Sekunde
einer Galaxie quer über den Himmel?
straße. Damit gilt es als besiegelt, dass bei-
aufeinander zu. Die beiden Galaxienkerne
Schon die Geschwindigkeiten von Ster-
de Galaxien in ferner Zukunft kollidieren
wären dann etwa 50 000 Lichtjahre vonei-
nen der Sonnenumgebung zu ermitteln,
werden.
nander entfernt. Im idealisierten Fall ei-
fordert der Kunst der Astrometrie höchste
ner geraden Bewegung der beiden galak-
Präzision ab. Andromeda ist immerhin
MehrTanzalsKollision
hundert- bis tausendmal so weit von uns
Die Vorstellung einer Kollision zweier Ga-
etwa 16 Millionen Jahre dauern, bis bei-
entfernt wie die Sterne in unserer Umge-
laxien als kosmisches Ereignis epischen
de Kerne aufeinander träfen! Eine wah-
bung; die typische Reisegeschwindigkeit
Ausmaßes könnte die Fantasie von Hol-
re Zeitlupenkollision – wenn auch recht
einer Galaxie liegt jedoch nur um einen
lywood-Produzenten
rasch auf kosmischen Zeitskalen.
Faktor drei bis fünf über der Geschwindig-
schon ein Meteorit die Menschheit an den
Doch ganz so einfach wird das Ereignis
keitsdispersion (Bandbreite der vorkom-
Rand ihrer Existenz bringen kann, was
nicht verlaufen. Mit hoher Wahrschein-
menden Geschwindigkeiten) innerhalb
erst könnte uns beim Zusammenprall un-
lichkeit werden sich beide Galaxien nach
der Milchstraße.
serer Heimatgalaxie mit einem ebenbür-
einer ersten Annäherung zunächst ver-
Mit seinen hochauflösenden Instru-
tigen Kontrahenten bevorstehen? Die ul-
fehlen und wieder voneinander entfer-
menten ist das Hubble Space Telescope
timative Apokalypse? Hoffen wir, dass die
nen, so das Ergebnis von numerischen Si-
für solche Aufgaben prädestiniert. Sang-
Macher Hollywoods keinen Wind von der
mulationen, die van der Marel und seine
www.sterne-und-weltraum.de
beflügeln.
tischen Kerne aufeinander zu würde es
Wenn
Dezember 2012
21
Kollegen auf der Basis der neuen Beobach-
einer Murmel von 1,4 Zentimetern Durch-
gungen, jedoch verändert es sich lang-
tungsdaten durchgeführt haben. Das Aus-
messer geschrumpft (ein Hundertmilli-
sam. Ein Umstand, der das Überleben
sehen der beiden Spiralgalaxien wird sich
ardstel ihrer wahren Größe) irgendwo in
unseres Sonnensystems garantiert: Die
dann bereits massiv verändern: Riesige in
Frankfurt am Main liegend, dann läge der
Wahrscheinlichkeit, dass im Zuge der Ga-
die Länge gezogene Gezeitenarme werden
nächste Nachbarstern unserer Sonne, Pro-
laxienverschmelzung ein massereicher
dann von der Nahbegegnung zeugen. Die
xima Centauri, mehr als 400 Kilometer da-
Stern der Sonne zu nahe kommt, und un-
Gravitation sorgt im Weiteren dafür, dass
von entfernt, zum Beispiel in Berlin.
ser Sonnensystem zerreißt, ist äußerst ge-
die Verschmelzungskandidaten kehrt ma-
Eine wesentliche Eigenschaft von Ga-
ring. Allenfalls die äußeren Planeten, Kui-
chen, sich abermals aufeinander zu bewe-
laxienkollisionen rührt her von der stoß-
pergürtel und die Oortsche Wolke am Ran-
gen und zuletzt verschmelzen. Ästhetisch
freien Dynamik, welche die Bewegungen
de des Sonnensystems könnten unter den
bedeutet ein solches Ereignis einen Ver-
der einzelnen Sterne charakterisiert. Diese
Einfluss naher Sterne geraten.
lust für das Universum: Aus den beiden
sind nämlich nicht alleine durch die Gra-
Um zu beurteilen, was mit dem Son-
ehemals majestätischen Spiralgalaxien ist
vitationskraft ihrer nächsten Sternnach-
nensystem als Ganzes geschieht, analy-
nun eine einzelne plumpe elliptische Ga-
barn beeinflusst, sondern vielmehr durch
sierten die Forscher um van der Marel die
laxie geworden.
das kollektive, großräumige Schwerefeld
Bahnen von simulierten Sternen, deren
aller Sterne, aller Gaswolken und aller
Ausgangspositionen etwa der aktuellen
Dunklen Materie der Galaxie. Daran än-
Position der Sonne in der Milchstraße ent-
dert sich auch nichts, wenn sie das Schwe-
sprachen. Ergebnis: 85 Prozent der Test-
Obwohl insgesamt mehrere Hundertmil-
refeld einer zweiten Galaxie, des Kolli-
sterne gerieten im Verlauf der Kollision
liarden Sterne an dem Prozess beteiligt
sionspartners, überlagert.
auf eine weiter außen gelegene Bahn um
Undwassolldannausuns
werden?
sein werden, wird es kaum zu Sternkolli-
Auch während der Kollision ist das Gra-
das neue galaktische Zentrum – und ha-
sionen kommen. Der Grund liegt an der
vitationspotenzial in der Sonnenumge-
ben damit das wahrscheinliche Schicksal
schieren Größe der Sternzwischenräume:
bung jederzeit glatt, das heißt, die Son-
der Sonne vorgezeichnet. Allerdings wird
Denkt man sich die Sonne auf die Größe
ne erfährt keine abrupten Beschleuni-
die Sonne nicht zwingend in dieser Distanz zum galaktischen Zentrum verharren. Anders als bei Spiralgalaxien können
die Sterne in elliptischen Galaxien Bah-
ZUMNACHDENKEN
nen sehr hoher Exzentrizität einnehmen.
Daher könnte der Abstand der Sonne vom
Galaxien-Kollision
D
galaktischen Zentrum im Lauf der Zeit extrem schwanken (siehe Bild S. 21).
Menschen auf der Erde würden wegen
ass die Andromedagalaxie auf un-
arteten Ellipse, die sie direkt aufeinan-
der Trägheit des Geschehens von den ge-
ser Milchstraßensystem zuläuft,
der zu laufen lässt, beträgt die Zeit bis
schilderten Ereignissen wenig mitbekom-
zur Kollision: PK 1/2 (1/2)3/2 P.
men. Lediglich der Anblick des Himmels
ist schon lange bekannt. Große Unsicherheiten gab es bei der dazu senk-
dürfte in einigen Milliarden Jahren weit
rechten Geschwindigkeitskomponente.
Aufgabe 3: Berücksichtigt man die dy-
aufregender sein als heute, wenn die Ge-
Neue Untersuchungen belegen nun,
namische Reibung durch Gezeitenkräf-
stalt der mächtigen, dann deutlich sicht-
dass sie klein ist und beide Sternsys-
te, folgt eine Verschmelzungsdauer von:
baren Andromadagalaxie das nächtliche
teme in der Zukunft verschmelzen.
Aufgabe 1: Man schätze unter der An-
Firmament
2,34 sMW2
tfric –––– –––––3 ri.
ln L sM31
dominiert.
Unwahrschein-
lich ist allerdings, dass zu dieser Zeit überhaupt noch Menschen auf der Erde leben.
nahme einer unbeschleunigten Bewe-
Dabei sind sMW 130 km/s und sM31 Denn alleine bis zur ersten Nahbegeg-
gung eine Obergrenze für die Dauer bis
150 km/s die Geschwindigkeitsdisper-
nung zwischen den Galaxien wird es noch
zur Ankunft von M 31 ab, und zwar aus
sionen der Sterne in der Galaxis und in
etwa vier Milliarden Jahre dauern. Selbst,
ihrer gegenseitigen heutigen Distanz
wenn uns bis dahin keine hausgemachten
d 770 kpc und ihrer Annäherungsge-
M 31, und der typische Radius der Galaxien ist ri 30 kpc. Ein Maß für die
schwindigkeit y 109,2 km/s.
Kopplung ist L 23/2 sMW/sM31. Wie
schon vorher die Entwicklung der Sonne
lange dauert demnach der Verschmel-
zum Verhängnis werden: Bereits in etwa
zungsvorgang?
500 Millionen Jahren, davon gehen Son-
Aufgabe 2: Als zweite Annäherung be-
AMQ
trachte man das Aufeinandertreffen
Probleme den Garaus machen, wird uns
nenforscher aus, dürfte die Intensität der
der beiden Galaxien als Bewegung auf
Ihre Lösungen senden Sie bitte bis zum
Sonnenstrahlung so hoch sein, dass Was-
einer entarteten Kepler-Ellipse. Wür-
12.Dezember2012an: Redaktion SuW –
ser von der Erde verdampfen und jegli-
den die beiden sich umkreisen, betrüge
ihre Umlaufdauer P (4 p2 d3/(G Mg))1/2.
Zum Nachdenken, Haus der Astronomie,
ches Leben verschwinden wird.
Dabei ist ihre gemeinsame Masse Mg Heidelberg. Fax: 06221 528377.
HELMUT HETZNECKER ist promovierter As-
3,17 1012 M (M 1,989 1030 kg, G Einmal im Jahr werden unter den erfolgreichen Lösern Preise verlost: siehe S. 117
tronom und Autor mehrerer Bücher. Er ar-
6,6743 10 –11 m3 kg–1 s–2). Auf der ent-
MPIA-Campus, Königstuhl 17, D-69117
beitet heute als Wissenschaftsjournalist vor
allem im TV-Bereich.
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Dezember 2012
STERNE UND WELTRAUM
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