Hintergrund: Die »Neuschwan-Steine« D er Bolide vom 6. April 2002 wurde von insgesamt zehn Kameras des Europäischen Feuerkugelnetzes photographiert. Aufgrund dieser seltenen Datenfülle ließen sich sowohl die Bahn des Meteoroiden um die Sonne als auch das Aufschlagsgebiet der Bruchstücke auf der Erde sehr genau berechnen. Im Rahmen intensiver Suchaktionen wurden in dem unwegsamen alpinen Terrain unweit des bayerischen Königsschlosses lohnt: Ein Richter am Augsburger Landgericht, das den Streitfall verhandelte, sprach den Himmelsstein allein dem Finder zu – zumindest in erster Instanz. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, denn der Bürgermeister von Reutte, Helmut Wiesenegg, veranlasste inzwischen die Revision des Falles am Oberlandesgericht München. In seiner Urteilsbegründung legte Richter Franz Wörz dar, dass es sich bei dem Meteoriten deshalb nicht um einen Schatz handele, weil dieser »nicht lange Zeit im Verborgenen lag«. Wäre dann also ein Meteorit, der erst zehn oder fünfzig Jahre nach seinem Fall gefunden würde, doch ein Schatz und müsste geteilt werden? Diese Argumentation bietet einen erheblichen Ermessensspielraum. Daher bedeutet das Urteil auch keineswegs Neuschwanstein drei Bruchstücke des Meteoriten mit einer Masse von insgesamt 6.22 Kilogramm gefunden. Mit »Neuschwanstein« gelang es weltweit erst zum vierten Mal, einen im Fall durch simultane Aufnahmen registrierten Meteoriten tatsächlich im Gelände zu finden! Die einzigartige wissenschaftliche Bedeutung dieser Meteorite begründete auch den enormen kommerziellen Wert der »Neuschwan-Steine«. D. H. Rechtssicherheit für alle Meteoritensucher. Bei einem nur etwas anders gelagerten Fall oder einer unterschiedlichen Bewertung der Fundumstände könnte das Urteil anders ausfallen. So einfach und klar, dass es »kein irdisches Recht für himmlische Güter« gibt und daher Meteorite stets dem Finder gehören, ist die Sachlage keineswegs. Dieter Heinlein Den Wortlaut des Augsburger Land­ gerichtsurteils vom 6. Juli 2007 finden Sie unter: www.suw-online.de/artikel/896719 Weitere Informationen Kristine Faust: Wem gehört Neu­ schwanstein?, Aviso 3/2003, S. 28 Bau des James Webb Space Telescope im Plan Nach elfjährigen Vorarbeiten sind alle Schlüsseltechnologien für den Nachfolger des Weltraumteleskops Hubble entwickelt, und der Bau ist in vollem Gange. Bereits kurz nach dem Start des inzwischen legendären Weltraumteleskops Hubble begann die Nasa im Januar 1996 mit der Planung eines Nachfolgeprojekts. Es wurden ehrgeizige Ziele gesetzt: größer, billiger, mit einer Reichweite bis zum Rande des beobachtbaren Universums. Wegen der hohen Rotverschiebungen, denen das Licht der fernsten Quellen unterworfen ist, konnte der Nachfolger nur ein großes Infrarotteleskop sein. Wichtige astronomische Entdeckungen des letzten Jahrzehnts waren bei der Definition des anfangs »Next Generation Space Telescope« (NGST) genannten Unternehmens nicht bekannt: die Dunkle Energie etwa, welche die Ausdehnung des Universums beschleunigt, die Planeten um andere Sterne, von denen wir inzwischen mehr als 200 kennen, oder die Ergebnisse der ultratiefen kosmologischen Durchmusterungen, die uns neue Einsichten in die früheste Strukturbildung im Kosmos lieferten. Erfreulicherweise wurde das Pflichtenheft für das NGST damals so weitsichtig geschrieben, dass es auch heute fast unverändert gültig ist. Die wichtigsten Ziele der neuen Mis­sion bleiben (siehe auch SuW 8/2006, S. 26): (1) die Entdeckung der ersten Sterne und die Erforschung der Reionisation des Universums durch ihre Ultraviolettstrahlung (also des letzten großen Phasenübergangs im Kosmos nach der Rekombination des Urknall-Feuerballs zum neutralen Wasserstoffgas), (2) die Entwicklung von Ur-Galaxien zu den heutigen großen Galaxien, (3) die andauernde Entstehung von Sternen und Planetensystemen sowie (4) die Suche nach Exoplaneten und Anzeichen von Leben dort. Die seit Jahren gute Zusammenarbeit zwischen Nasa und Esa beim inzwischen in James Webb Space Tele­scope (JWST) umbenannten Observatorium wurde kürzlich auf der Pariser Luftfahrtschau auch vertraglich besiegelt (siehe SuW 8/2007, S. 18). Wichtiges Detail: Insgesamt zwanzig europäische Forscher werden langfristig am Space Telescope Science Institute arbeiten und für Betrieb und Nutzung des JWST mitverantwortlich sein. Das weite technische Neuland, das mit dem Hubble-Nachfolger beschritten werden musste, ließ sich durch Definition von zehn Schlüsseltechnologien übersichtlicher ordnen. Ein Beispiel: der 6.5-Meter-Hauptspiegel passt in keine Raketenspitze, er kann nur aus vielen kleineren Einzelspiegeln zusammengesetzt werden. Dazu muss der Hauptspiegel in gefaltetem Zustand gestartet und im Weltraum wie ein Regenschirm aufgespannt werden. Alle Einzelspiegel müssen anschließend so justiert werden, dass ein phasenrichtiges, beugungsbegrenztes Bild eines Sterns entsteht. Ähnliches ist mit dem segmentierten Hauptspiegel des Keck-Teleskops am Boden inzwischen erreicht, aber noch niemals im rauen und fernen Weltraum. Mit einem 1 : 6-Modell des aus 18 Einzelspiegeln bestehenden Hauptspiegels des JWST konnte der Nachweis dieser Entfaltungs- und Justiertechnik bereits erbracht werden. Das ist ein aufwendiges neunstufiges Verfahren, bei dem die Bilder eines der wissenschaftlichen Fokal­­ebenen­instrumente, Nircam, zur Steuerung des Bildaufbaus benutzt werden. Über das Bodenobservatorium mit seiner großen Rechenleistung wird auf viele Stellelemente auf den Rückseiten der 18 Einzelspiegel eingewirkt, bis aus 18 verstreuten und unscharfen Sternbildern ein einziges gestochen scharfes Bild entsteht. Die Glaubwürdigkeit einer solchen Technologie gilt dann als nachgewiesen, wenn ein vollständiger Versuchsaufbau unter simulierten Umgebungsbedingungen (Kälte und Vakuum des Weltraums) einwandfrei funktioniert hat. Schon jetzt sind alle zehn Schlüsseltechnologien des JWST ein Jahr vor dem ursprünglichen Zeitplan erfolgreich entwickelt. Sterne und Weltraum Oktober 2007 21 Esa Abb. 1: Anlässlich eines Arbeitstreffens in Dublin im Juni 2007 versammelte sich das JWST-Team von Nasa, Esa, der kanadischen Weltraumagentur und der beteiligten Industriefirmen vor einem originalgroßen Modell des James Webb Space Telescope. Die 18 Einzelspiegel für das Flugmodell befinden sich heute in verschiedenen fortgeschrittenen Stadien der Fertigstellung. Es beginnt jeweils mit einem wabenförmigen, fast 300 Kilogramm schweren Berylliumblock. Er wird durch Ausfräsungen auf der Rückseite um mehr als neunzig Prozent erleichtert, sodass ein steifes Fachwerk die Oberfläche stützt. Jeder der 1.3-Meter-Spiegel wiegt dann nur noch zwanzig Kilogramm. Ähnlich wie die Spiegelsegmente zum 6.5-Meter-Hauptspiegel aufgefaltet werden, muss auch der tennisplatzgroße Strahlungsschild entfaltet werden. Hier sorgen neue Federelemente für glatte und ebene Flächen der fünf Isolatorschichten, die in den richtigen Abstand voneinander kommen müssen. Der Hersteller North­ rop Grumman garantiert einen »Licht­ schutz­faktor« von über einer Million, der die passive Kühlung des Teleskops auf – 240 Grad Celsius am Standort des Tele­ skops im Lagrangepunkt L2 erlaubt. Der Strahlungsdruck der Sonne auf diesen ungefähr 250 Qudratmeter großen Schild ist so bedeutend, dass jetzt eine einzige quadratmetergroße Trimmklappe Schwerpunkt-Abweichungen ausgleichen muss. 22 Sterne und Weltraum Oktober 2007 Dieses neue Element lässt das eigenwillige Design des JWST noch interessanter aussehen. Die Entfaltung von Spiegeln und Sonnenschild und das Ausfahren des Tele­ skops am Mast aus dem Satellitenteil heraus sind bereits erfolgreich simuliert und machen North­rop Grumman keine Sorgen: Mehr als 600 vergleichbare Entfaltungssysteme für andere Anwendungen hatten stets Erfolg. Um ganz sicher zu gehen, wird gegenwärtig untersucht, ob das JWST nicht doch einige »Andockhaken« für eine mögliche Wartungs-Mission erhalten soll… Sichtbar sein wird auch ein neuer Blendenring hinter dem großen Hauptspiegel. Er soll verhindern, dass von der Rückseite (also von der Sonne und der Erde) einfallende Strahlung über den Sekundärspiegel auf die Infrarotkameras in den Instrumenten gelangen kann. Bis zu einer Wellenlänge von zwölf Mikrometern sollte das JWST lediglich durch die natürliche Vordergrundstrahlung des Zodiakallichts in der Empfindlichkeit begrenzt sein. Bei längeren Wellenlängen führen die Wärmestrahlung des nur – 240 Grad Celsius warmen Teleskops und des Strahlungsschilds zu etwas schlechteren Grenz­ empfindlichkeiten. Eine besondere Herausforderung ist die Pulse-Tube-Kühlmaschine für die Infrarot-Kameras des Miri-Instruments. Für hohe Empfindlichkeiten im mittleren Infraroten (für Wellenlängen zwischen fünf und 28 Mikrometer) müssen die Kameras bei einer Temperatur von sechs Kelvin, also bei – 267 Grad Celsius, betrieben werden. Die Kompressorstufe auf dem Satellitenteil muss dann wegen der Entfaltung flexibel über 20 Meter mit dem Kühlkopf im Instrument verbunden werden. Wichtige Flugvorbereitungstests für geringe Vibrationsabstrahlung des Kompressors und Überleben der Startlasten hat der Kühler bereits bestanden. Wenn sein Einsatz über viele Jahre im JWST-Miri gelingt, werden solche mechanischen Tiefkühler in weiteren Mis­ sionen, wie Constellation-X und Terrestrial Planet Finder zum Einsatz kommen. Die Instrumente für das JWST Ebenso fortgeschritten ist die Entwicklung der vier wissenschaftlichen Instrumente, deren Flugmodelle im Jahre 2010 abgeliefert werden. Mit dem Verifika­ tionsmodell des Miri-Instruments beispielsweise beginnen noch in diesem Jahr Kalttests in einem Weltraum- und Tele­skop-Simulator im Rutherford-Appleton-Laboratorium in England. Dabei muss herausgefunden werden, wie die überaus komplizierte Optik von Kameras, Koronographen und Spektrometer, im warmen Labor justiert, ohne Verluste ihrer Leistungsfähigkeit bei einer späteren Temperatur von – 265 Grad Celsius betrieben werden kann. Eine der anspruchsvollsten Entwicklungen für das Nirspec-Instrument, das Microshutter Array für die gleichzeitige Messung vieler Galaxien, erfüllt jetzt bereits weitgehend die Anforderungen an Zuverlässigkeit und Vibrationsfestigkeit (Abb. 2). Nasa/GSFC/Esa Abb. 2: Das nur briefmarkengroße Micro­shutter Array im NirspecInstrument dient der gleichzeitigen Messung vieler Galaxien. Durch Zehntausende elektrisch ansteuerbarer Spalte (0.1 Millimeter 0.2 Millimeter) wird das Licht von bis zu hundert ausgewählten Galaxien in den NirspecSpektrographen geleitet. Einprogrammiert ist ein Nasa-Logo. Man erkennt, dass sich bei diesem frühen Entwicklungsmodell noch nicht alle Spalte wie gewünscht öffnen lassen. Von deutscher Seite sind an der Instrumentenentwicklung vor allem das MaxPlanck-Institut für Astronomie in Heidelberg und die Firmen Astrium und Zeiss beteiligt, gefördert durch Esa und DLR. Parallel zum Bau der Geräte laufen die Vorbereitungen im Bodenobservatorium. Es ist im Space Telescope Science Institute in Baltimore angesiedelt, das gegenwärtig das Hubble-Weltraumteleskop betreibt. Das JWST wird dort aus dem gewaltigen Erfahrungsschatz mit seinem Vorgänger Nutzen ziehen. Manches wird einfacher: Die drei JWST-Instrumente haben ähnliche Kameras und ähnliche Beobachtungsmoden, die Sichtbarkeit der Objekte ist viel länger. Eine Herauforderung stellt dagegen noch die Datenauswertung des Multiobjekt-Spektrometers Nirspec und der neuen Koronographen dar. Die Studien zum Betrieb des JWST, der Eichung der Instrumente und der Datenauswertung sind bereits beeindruckend detailreich. Die Projektteams von Nasa, Esa, der Industrie und den wissenschaftlichen Instituten arbeiten gegenwärtig mit großer Leidenschaft auf ein Startdatum im Jahre 2013 hin. Die für Bau und zehnjährigen Betrieb notwendigen 4.5 Milliarden USDollar sind auf amerikanischer Seite gesichert. Die Ausgaben werden im Jahre 2008 den Höhepunkt überschreiten, danach werden zunehmend Mittel für andere Missionen verfügbarer. Europa ist am JWST mit 500 Millionen Euro beteiligt, darin ist der Start mit der Ariane-5 enthalten. Insgesamt sind das mehr als fünf Milliarden Dollar! Zweifellos ist das viel Geld. Aber man kann es auch freundlicher sehen: Über die 15 Jahre Bau- und Beobachtungszeit hinweg beteiligt sich jeder US-Bürger mit einem US-Dollar am JWST. Für uns Europäer ist es sogar noch günstiger. Sollte uns nicht eine kosmische Entdeckungsmaschine, die noch mächtiger sein wird als das berühmte Hubble-Teleskop, einen halben Euro im Jahr wert sein? Und das Geld wird ja nicht »in den Weltraum geschossen«, sondern landet überwiegend auf den Gehaltskonten der Mitarbeiter, die es in den Wirtschaftskreislauf zurückfüttern, für Haus, Auto, Urlaub und sonstige Dinge… Dietrich Lemke Wie repräsentativ ist unser Sonnensystem? Anhand einer umfassenden Suche nach Planetensystemen um junge Sterne in der Nachbarschaft der Sonne hat ein Astronomenteam festgestellt, dass derartige Systeme nicht wesentlich größer sind als unser eigenes Sonnensystem. Planeten mit einer größeren Masse als Jupiter kommen auf Umlaufbahnen, die größer sind als jene von Saturn, praktisch nicht vor. Bis Mitte der 1990er Jahre war unsere Sonne der einzige Stern, von dem wir wussten, dass er von Planeten umkreist wird. Da anderes Anschauungsmaterial fehlte, neigten die meisten Astronomen dazu, den grundlegenden Aufbau unseres Sonnensystems als allgemeines Modell auf andere möglicherweise existierende Planetensysteme zu übertragen. Dementsprechend erwartete man, relativ nahe an einem Stern kleine Gesteinsplaneten (analog zu Merkur, Venus, Erde und Mars) zu finden, während die äußeren Zonen von großen Gasplaneten (vergleichbar mit JuSterne und Weltraum Oktober 2007 23