Zeitschrift "Militärgeschichte" - RK

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Zeitschrift für historische Bildung
C 21234
ISSN 0940 – 4163
Heft 3/2004
Militärgeschichte
Militärgeschichte im Bild: Dienstgruppen
Unternehmen »Albion« 1917
Der Wehrbeauftragte
Schützenpanzer HS 30
Einmarsch in Afghanistan 1979
Militärgeschichtliches Forschungsamt
MGFA
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
durch Kapitän z.S. Dr. Jörg Duppler und
Oberst i.G. Dr. Hans Ehlert (V.i.S.d.P.)
Produktionsredakteur der
aktuellen Ausgabe:
Major Heiner Bröckermann M.A.
Redaktion:
Major Heiner Bröckermann M.A. (hb)
Hauptmann Agilolf Keßelring M.A. (aak)
Bildredaktion:
Dipl.-Phil. Marina Sandig
Redaktionsassistenz:
Richard Göbelt, Stud. Phil.
Lektorat:
Dr. Aleksandar-S. Vuletić
Layout/Grafik:
Maurice Woynoski
Anschrift der Redaktion:
Redaktion »Militärgeschichte«
Militärgeschichtliches Forschungsamt
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© 2004 für alle Beiträge beim
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Editorial
»Nicht Mensch, nicht Vieh! Auf´s Pferd gesetzte Infanterie!« So beschrieben
unsere Altvorderen die Dragoner. Konnte der Dragoner doch auf- und abgesessen kämpfen und war dabei genauso viel oder wenig geschützt wie seine
anderen Kameraden der Kavallerie. Unsere Panzergrenadiertruppe kennt
Ähnliches. Das »Heckklappenvieh« scheint da ganz nah an der alten Formulierung zu liegen.
Die Bezeichnung Panzergrenadiere wurde 1942 festgeschrieben, ebenso
wie der damalige Farbenwechsel von »rosa« zu »wiesengrün«. Die Reihenfolge und Gewichtung von Schutz, Feuerkraft und Beweglichkeit bestimmten durch die kurze Geschichte der Truppengattung hindurch den Einsatz
und die Fahrzeuge der motorisierten Infanterie. Von Geburt an stand die
Truppengattung dabei im Schatten ihres Nachbarn auf dem Gefechtsfeld: der
Panzertruppe. Das man sich als ein Verbund begriff, dafür sorgte nicht zuletzt
die durch die Bundeswehr institutionalisierte
Gemeinschaft der Panzertruppenschule in
Munster, wo Panzer-, Panzeraufklärungsund Panzergrenadiertruppe zusammengeführt wurden. Die überlieferte Anekdote
über das dortige Kunstwerk der drei steinernen Schildkröten, die ein Schelm rosa,
grün und goldgelb strich, zeigt wie sehr man
aber auf den kleinen Unterschied auf dem
Gefechtsfeld stolz war.
Foto: Stadt Munster
Der Panzer, im Ersten
Weltkrieg noch Unterstützungswaffe der Infanterie,
wandelte sich im Zweiten
5 SPz HS 30
Weltkrieg zur bestimmenim Deutschen
den Waffe des Blitzkrieges,
Panzermuseum
deren Erfolge die auf KraftMunster
wagen gesetzte Infanterie
ihrerseits ausnutzen sollte.
5 Standort Grundschule am Süllberg, Leihgabe der Bundeswehr
Im Gefecht gegen Panzer
bewährte sich vor allem der Panzer selbst. Das begleitende Sturmgeschütz in
Verbindung mit leicht gepanzerten Mannschaftstransportwagen der Grenadiere hatte nie die gleiche Kampfkraft aufzubieten.
Mit der Entwicklung der Hohlladung wurde der ohnehin nach oben offene
Schützenpanzerwagen (SPw) immer anfälliger für Beschuss. Doch eine Panzerung wie beim Kampfpanzer gab man dem SPw nicht. Schutz gegen Waffenwirkung bedeutete höheres Gewicht und damit eingeschränkte Beweglichkeit. Die Verwundbarkeit meinte man mit der höheren Beweglichkeit
wieder aufzuwiegen. Dieses Dilemma blieb der Panzergrenadiertruppe und
ihren jeweiligen »Gefechtsfeld-Taxis« erhalten.
Den Ideen eines Schützen-Kampf-Panzers, wie dem israelischen Merkhava,
folgte man in Deutschland nicht. Das Gespann Leopard – Marder bewährte
sich in Mitteleuropa. Für die Transformation der Bundeswehr stehen schon
neue Ideen parat. Bleiben wird dabei die Frage, wie das Problem der
Optimierung von Schutz, Feuerkraft, Beweglichkeit und Führung technisch
gelöst wird. Diese Ausgabe der Militärgeschichte bietet Ihnen diesmal einen
untauglichen Versuch aus der Geschichte an: den Schützenpanzer HS 30.
Die Redaktion der Militärgeschichte wünscht Ihnen eine interessante
Lektüre
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden
ISSN 0940-4163
Heiner Bröckermann M.A.
Major
Foto: Privatbesitz
IMPRESSUM
D i e
A u t o r e n
Inhalt
• Unternehmen »Albion«
Die erste »joint operation« deutscher Streitkräfte
• Kontrolle zum Schutz der
Soldaten
Dr. Gerhard P. Groß,
geboren 1958 in Mainz,
Oberstleutnant und Leiter
Teilbereich »Erster Weltkrieg«
im Forschungsbereich
»Zeitalter der Weltkriege«
am MGFA, Potsdam
Rudolf Josef Schlaffer M.A.,
geboren 1970 in Amberg/Bayern,
Hauptmann und Wissenschaftlicher
Mitarbeiter am MGFA, Potsdam
Dr. Dieter H. Kollmer,
geboren 1964 in Hamburg,
Major und Dozent für
Militärgeschichte an der
Offizierschule des Heeres, Dresden
Dr. Matthias Uhl,
geboren 1970 in Nordhausen,
Wissenschaflicher Mitarbeiter am
Institut für Zeitgeschichte/
Außenstelle Berlin
4
8
Der Wehrbeauftragte des
Deutschen Bundestages
• Der Schützenpanzer HS 30
Dichtung und Wahrheit
12
• Vor 25 Jahren: Der sowjetische
Einmarsch in Afghanistan 1979
16
• Service
22
Das historische Stichwort:
9. November 1914: Der Untergang des
Kleinen Kreuzers S.M.S. EMDEN
22
Medien online/digital
24
Lesetipp
26
Ausstellungen
28
Geschichte kompakt
30
• Militärgeschichte im Bild
Eine Stunde Null? Deutsche Soldaten als
Hilfstruppen der westlichen Besatzungsmächte
1945–1958
Dienstgruppen:
Ehemaliges Flugsicherungsboot
REIHERLEIN mit Unterscheidungszeichen
»International Cäsar« als
Doppelstander. (v.l.n.r.):
OLt (w) Großkurth, KKpt Pieper
und Divisionspfarrer
Foto: Wehrgeschichtliches Ausbildungszentrum
der Marineschule Mürwik
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe: Frank Gerlich, Freiburg im Breisgau; Oberst Dr. Winfried Heinemann, MGFA;
Dr. Rüdiger Wenzke, MGFA; Dr. Gerhard Wiechmann, Oldenburg
31
Unternehmen Albion 1917
Unternehmen »Albion«
Die erste »joint operation«
deutscher Streitkräfte
I
akg-images
m August 1914 trat das Deutsche
Reich in den Ersten Weltkrieg ein,
ohne seine See- und Landkriegführung aufeinander abgestimmt zu
haben. Der Kaiser war nicht in der
Lage gewesen, die ihm von der Verfassung zugewiesene Funktion des Obersten Kriegsherren auszufüllen und sich
gegen den Ressortegoismus von Armee
und Marine durchzusetzen. So legten
Armee und Marine unabhängig voneinander und ohne sich wechselseitig
zu unterstützen den Schwerpunkt ihrer
Kriegführung zwar in den Westen;
doch während die Flotte in der Nordsee eher defensiv auf die entscheidende
Schlacht mit der Royal Navy wartete,
suchte die Armee gemäß dem Schlieffenplan bewusst offensiv die Schlachtentscheidung in Frankreich.
Der Ostseeraum war für die deutsche Kriegführung nur ein Nebenkriegsschauplatz. Daher wurden dort
an der Ostfront zunächst nur schwache Verbände und in der Ostsee selbst
wenige und ältere Kreuzer und Panzerkreuzer eingesetzt. Beide waren
für größere Offensivoperationen nicht
ausreichend. Daher operierten sowohl
Heer als auch Marine unabhängig von-
4
einander eher defensiv. Eine neue Lage
entstand, als im Frühjahr 1915, nach
den Niederlagen an der Westfront, die
deutsche Oberste Heeresleitung (OHL)
den Schwerpunkt der Kriegführung an
die Ostfront verlagerte und eine Großoffensive gegen Russland eröffnete. Die
Ausweitung des taktischen Durchbruches durch das russische Stellungssystem von Gorlice-Tarnow zur strategischen Offensive im Mai beschleunigte
den seit einem Monat andauernden
Angriff im Baltikum. Die Marine unterstützte diesen auf Ersuchen des Oberbefehlshabers Ost, Generalfeldmarschall
Paul von Hindenburg, durch Küstenbeschießungen, während auf Wunsch
des Chefs der 2. OHL, General Erich
von Falkenhayn, ein Flottenverband
für mehrere Tage in den Rigaer Meerbusen vorstieß, um der Flankenbedrohung des Heeres durch Angriffe der
russischen Baltischen Flotte zu begegnen. Ende September war Kurland
besetzt und die operativen Ziele der
OHL erreicht. Die Armee ging entlang der Düna zur Verteidigung über.
Die geografische Lage des Baltikums
als Küstenregion hatte Armee und
Marine erstmalig gezwungen, gemein-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
same Operationsplanungen zu erarbeiten und ihr Vorgehen aufeinander
abzustimmen.
Mit der Besetzung Kurlands war aber
die Eroberung der Baltischen Inseln,
Ösel (Saaremaa), Moon (Muhu) und
Dagö (Hiiumaa), zu einer wichtigen
operativen Option für die Ostseestreitkräfte geworden. Dies umso mehr,
als der Flottenvorstoß in den Rigaer
Meerbusen gezeigt hatte, dass nur die
Besetzung der Inseln die Beherrschung
dieses Seegebietes ermöglichen sowie
den Schutz der Heeresflanke in Kurland gegen russische Heeres- und Marineverbände garantieren würde.
Erste Planungen
Vor diesem Hintergrund begann der
Admiralstab Ende 1915 mit Vorarbeiten für die Eroberung und dauerhafte
Besetzung der Baltischen Inseln. Da die
Marine ein solches Unternehmen ohne
die Beteiligung der Armee nicht durchführen konnte, versuchte der Admiralstabschef, Admiral Henning von Holtzendorff, die OHL für eine Unternehmung gegen die Inseln zu gewin-
das Landungskorps an Bord eines
Truppentransportdampfers
nen. General v. Falkenhayn lehnte eine
Eroberung der Baltischen Inseln jedoch
ab. Er suchte nun – 1916 – erneut die
Kriegsentscheidung im Westen. Aber
auch im Admiralstab lag der Schwerpunkt der Seekriegführung weiterhin
in der Nordsee, so dass das Interesse
an Operationen im Ostseeraum schnell
erlosch. Die Schlacht von Verdun (Februar bis Juli 1916) und die Seeschlacht
vor dem Skagerrak (31. Mai 1916)
sowie die Verteidigungskämpfe an der
Somme und in Galizien banden alle
verfügbaren Reserven. Da ohne Verstärkungen an eine Offensive im Baltikum nicht zu denken war, herrschte
an der See- und Landfront im Ostseeraum trügerische Ruhe. Der Stellungskrieg vor Riga fand sein Pendant im
Minen- und Kleinkrieg in der östlichen
Ostsee. Eine durch die russische Passivität möglich gewordene offensive
deutsche Gesamtkriegführung im Ostseeraum unterblieb. 1917 änderte sich
die Lage. Zum einen traten die USA in
den Krieg ein, zum anderen erschütterten revolutionäre Unruhen Russland.
Davon waren zunehmend auch die
russischen Streitkräfte betroffen. Die
Versuche der Ententemächte, aufeinander abgestimmt im Osten und Westen
die deutsche Front zu durchbrechen,
scheiterten. Als sich im Frühjahr 1917
die kurzzeitig gehegten Hoffnungen
auf einen Sonderfrieden mit Russland
zerschlugen, plante die 3.OHL unter
Generalfeldmarschall von Hindenburg
und General Ludendorff, durch gezielte
militärische Operationen Druck auf die
russische Regierung auszuüben.
In Gesprächen mit dem Admiralstab
sondierte der Erste Generalquartiermeister der OHL, General der Infanterie Erich Ludendorff, ab Mai 1917
die Möglichkeiten einer Beteiligung
der Marine an Operationen gegen die
Ålandinseln, Kronstadt oder Ösel. Der
Admiralstab lehnte eine Beteiligung
zwar nicht kategorisch ab, gab aber
zu bedenken, dass die Konzentration
von Seestreitkräften in der Ostssee
den uneingeschränkten U-Boot-Krieg
gegen Großbritannien negativ beeinflussen könnte. Wenn überhaupt, käme
nur eine Eroberung Ösels in Frage.
Diese lehnte Ludendorff ab. Er wollte
den russischen Zusammenbruch durch
die Besetzung der Ålandinseln beschleunigen. Für ihn waren im Gegensatz zum Admiralstab die Baltischen
Inseln nur ein nachrangiges Ziel. Die
OHL stellte daraufhin vorerst alle
weiteren Planungen einer gemeinsamen Operation ein und eröffnete am
1. September 1917 – ohne Beteiligung
der Marine – die Offensive gegen
Riga. Bereits zwei Tage nach Angriffsbeginn waren die Übergänge über die
Düna gewonnen sowie Riga genommen (siehe Militärgeschichte 1/2004).
Nach Beendigung der Kampfhandlungen wurde die Masse der Divisionen
nach Italien und an die Westfront verlegt. Als Ludendorff weiterhin an der
Besetzung der Ålandinseln festhielt
und der Marine Feigheit sowie mangelnden Offensivgeist vorwarf, erklärte
der Admiralstab am 8. September, die
Besetzung Ösels zur Vorbedingung für
ein Unternehmen gegen die Ålandinseln. Zur Durchsetzung seiner weitergehenden Ziele im Ostseeraum akzeptierte Ludendorff nun den Vorschlag
des Admiralstabes.
Die Marine ist nicht feige
akg-images
Ösel am 12. Oktober 1917 begibt sich
5 Generalfeldmarschall von Hindenburg und
General Ludendorff, nach einem Gemälde
von Hugo Vogel (1855–1934)
akg-images
3 Vor der Ausschiffung in der Tagga-Bucht auf
5 Vorbereitung zur Eroberung von Ösel,
Moon und Dagö vom 11. bis 20. Oktober
Warum sprach sich der Admiralstab
für diese aufgrund der starken Verminung riskante Unternehmung gegen
die Baltischen Inseln aus? Es ging nicht
wie immer wieder dargestellt um »sea
control« in der mittleren und östlichen
Ostsee. Auch die Verbesserung der seestrategischen Position in der Ostsee
sowie die Sicherung der lebensnotwendigen Versorgungen aus Schweden standen nicht im Vordergrund der
Überlegungen der Marineführung. Der
Admiralstab forcierte dieses riskante
Unternehmen, um dem aus Heereskreisen immer wieder geäußerten Vorwurf
der Feigheit zu begegnen, und zur Existenzsicherung der Marine im Gesamtgefüge des Kaiserreiches. Gleichzeitig
bot der Einsatz schwerer Überwasserstreitkräfte der Hochseeflotte die Möglichkeit, den Besatzungen der Flotte
nach den Gehorsamsverweigerungen
auf einigen Schiffen Anfang August
1917 eine sinnvolle Tätigkeit zu bieten.
Als wichtigstes Ziel verfolgte der
Admiralstab mit der Unternehmung
jedoch das Ziel, sich gegenüber dem
1917
Kommando der Hochseeflotte und
des Oberbefehlshabers der Ostseestreitkräfte (OdO) und deren beider partikularistischen Interessen als alleinige
Seekriegsleitung unterhalb des Kaisers zu etablieren. Dieser Absicht kam
der Vorschlag der OHL sehr entgegen,
dass – unter der Gesamtleitung des
Armeeoberkommandos 8 (General der
Infanterie Oskar v. Hutier) – zur See
der Chef des zu bildenden Sonderverbandes der Marine und an Land
der Kommandierende General des Landungskorps führen sollte. Denn damit
konnte der Admiralstabschef Holtzendorff die Führungsansprüche des Flottenchefs, Admiral Reinhard Scheer,
sowie des OdO, Großadmiral Prinz
Heinrich von Preußen, aus Anciennitätsgründen abweisen und einen Sonderverband unter Weisung des Admiralstabes bilden.
Hinsichtlich der Landungsoperationen und der noch nie geübten Zusammenarbeit von Marine und Armee
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
5
Unternehmen Albion 1917
Die Landung in der Tagga-Bucht und
die Nebenlandung bei Pamerot sollten überraschend im Morgengrauen
unter Artillerieunterstützung der Flotte
erfolgen. Nach Bildung eines Brückenkopfes durch starke Infanteriekräfte plante man die Ausschiffung der
Artillerie, Kavallerie und des schweren Gerätes.
Beginn der Operation
MGFA/Woynoski
5 Das Unternehmen »Albion«
1917
11.–15. Oktober
16.–20. Oktober
stellte das Unternehmen »Albion«
(kelt.-lat.-griech. Bezeichnung für England, als »perfides Albion« seit den
französischen Revolutionskriegen 1792
auch als Schmähwort im Gebrauch;
Anm. d.Red.) hohe taktische Anforderungen an die beteiligten Stäbe. Auf
russischer Seite erwartete die deutsche Führung starke Küstenbatterien
auf Ösel sowie etwa eine Infanteriedivision in ausgebauten Feldbefestigungen als Inselbesatzung. Zur See
rechnete man mit Teilen der russi-
6
Inmediatsvortrag-Berechtigung nicht aufgeführt
schen Baltischen Flotte, einigen britischen U-Booten und einer erheblichen
Minenbedrohung. Insgesamt schätzte
man die Verteidigungsstärke der russischen See- und Landstreitkräfte wegen
der revolutionären Umtriebe unter den
russischen Soldaten als gering ein.
Wichtigste Voraussetzung für das Gelingen des Unternehmens war die Überraschung. Um diese nicht zu gefährden, sollten die Anmarschwege trotz
der starken Verminung erst kurz vor
Operationsbeginn geräumt werden.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
Die schlechten Witterungsbedingungen erschwerten jedoch die Minenräumarbeiten und führten zu Zeitverzögerungen, die für Ausladeübungen
genutzt wurden. Angesichts der kritischen Lage an der Westfront in Flandern und der bevorstehenden Offensive in Italien drang die OHL, ohne
Rücksicht auf die noch nicht abgeschlossenen Minenräumarbeiten, auf
die baldige Durchführung des Unternehmens. Am 11. Oktober stach der
Sonderverband von Libau (Liepāja) aus
in See. Der Zeitdruck zwang den Führer
des Sonderverbandes die letzten Seemeilen ohne vorangehende Minenräumarbeiten zurückzulegen. Ab 12. Oktober um 05.30 Uhr erfolgte die Landung in der Tagga-Bucht unter dem
Feuerschutz der Schiffsartillerie. Nach
Bildung des Brückenkopfes begann
die Ausschiffung der Masse der 42.
Infanteriedivision. Die Nebenlandung
zweier Radfahrbataillone in Pamerot
verlief ebenfalls erfolgreich. Diese
stießen sofort ins Inselinnere und auf
Orrisar vor. Dort bildete die »Abteilung
Winterfeld« am Moon-Ösel-Damm einen weiteren Brückenkopf. Versuche
der russischen Baltischen Flotte, in
den Soelo-Sund vorzustoßen und die
Truppenanlandungen zu verhindern,
brachen im Feuer der deutschen Linienschiffe zusammen. Noch ohne Artillerieunterstützung begann nach Stabilisierung des Brückenkopfs in der
Tagga-Bucht am selben Tag der Vormarsch auf die Sworbe-Halbinsel und
Arensburg (Kuressaare). Die auf dem
Flugzeugmutterschiff »Sankt Elena«
stationierten Torpedo- und Jagdflieger
der Marine griffen ebenso wie Flugzeuge der Armee und Marineluftschiffe
in die See- und Landgefechte ein. Die
Kämpfe wurden überall schnell und
erfolgreich beendet. Nur die Abteilung
Winterfeld geriet bei Orrisar (Oris-
saare) in Bedrängnis, als russische Verbände versuchten über den Moon-ÖselDamm nach Osten durchzubrechen.
Unter Feuerschutz des Linienschiffs
»Kaiser« drang die Flottille »Rosenberg« zur Unterstützung der Abteilung Winterfeld in die Kassar Wiek
vor. Die einbrechende Dunkelheit verhinderte aber die Feuerunterstützung
für die bedrängten deutschen Truppen. Die schwierige Lage konnte erst
am 14. Oktober bereinigt werden, als
gegen Abend erste Verstärkungen der
42. Infanteriedivision eintrafen.
Die deutschen Seestreitkräfte konnten, nachdem sie erst am 16. Oktober
die Minensperren in der Irbe-Straße
durchbrochen hatten und in den Rigaer
Meerbusen eingedrungen waren, die
Heeresoperation auf Ösel nicht wesentlich unterstützen. Erst am 17. Oktober
stieß ein gemischter Verband unter
Admiral Paul Behnke (ausgezeichnet
mit dem Orden Pour le Mérite am
31.10.1917) in den Moon-Sund vor.
Dort kam es zu einem Gefecht mit
schweren russischen Seestreitkräften in
dessen Verlauf das russische Linienschiff »Slava« von »König« und »Kronprinz« so schwer getroffen wurde, dass
es auf Grund geriet und von der Besatzung aufgegeben werden musste. Nach
weiteren Treffern durch deutsche Linienschiffe zogen sich die verbliebenen
russischen Seestreitkräfte zurück und
liefen nach Norden ab. Am 19. Oktober
verließen die letzten Schiffe der Baltischen Flotte das Seegebiet um die Baltischen Inseln.
Am 18. Oktober erfolgte über den
Moon-Ösel-Damm der Angriff auf
Moon. Gegen Abend waren die Russen
geschlagen und die Insel besetzt. Nach
erfolgreicher Landung auf Dagö am
12. Oktober wurde die Insel bis zum
20. Oktober erobert. Damit befanden
sich die Baltischen Inseln in deutschem
Besitz.
Ergebnis des
Landungsoperation
Die personellen Verluste waren für ein
Landungsunternehmen dieser Größenordnung gering. 201 deutsche Soldaten wurden während der Kämpfe verwundet; 210 Soldaten fielen – darunter
der Dichter Walter Flex. Die Mehrzahl
der Gefallenen – nämlich 156 – waren
Marineangehörige der Minenräumverbände. Dagegen fielen während der
Landkämpfe »nur« 54 Heeressoldaten;
weitere 135 wurden verwundet. Die
hohen Gefallenenzahlen der Marine
im Gegensatz zu denen der Armee
sind darauf zurückzuführen, dass die
russischen See- und Landstreitkräfte,
infolge der revolutionären Unruhen
ihre starken Stellungen nur schwach
verteidigten. Die Minengefahr blieb
aber ungeachtet der inneren Zustände
der russischen Streitkräfte weiterhin
extrem hoch. Die materiellen Verluste
der Marine waren daher nicht zu unterschätzen. Drei Großkampfschiffe hatten
Minentreffer erhalten, mehrere Torpedoboote und Minenräumboote waren
durch Minentreffer gesunken.
Folgendes Fazit der militärischen
Zusammenarbeit von Armee und Marine während der Vorbereitungen und
der Durchführung des Unternehmens
»Albion« lässt sich ziehen. Die taktisch-operative Zusammenarbeit funktionierte während dieser ersten größeren amphibischen Operation deutscher Streitkräfte – trotz der teilweise
beträchtlichen Unkenntnis über Taktik,
Waffensysteme und Organisation der
jeweiligen Schwesterwaffe – im Großen
und Ganzen gut. Die Unternehmung
offenbarte aber auch deutliche Mentalitätsunterschiede zwischen Armeeund Seeoffizieren. Diese sind nicht
zuletzt auf die Unkenntnis über Taktik,
Waffensysteme und Organisation der
jeweiligen Schwesterwaffe zurückzuführen. So fiel es z.B. Armeeoffizieren
schwer, die Auswirkungen des hohen
Technisierungsgrades der Marine auf
deren Einsatzgrundsätze zu verstehen. Im Kampf um eine einheitliche
Seekriegsleitung innerhalb der Marine
hatte der Admiralstab einen Erfolg
errungen. Versuche des Flottenkommandos und des OdO während des
Unternehmens »Albion«, die Leitungsbefugnisse des Admiralstabschefs in
Frage zu stellen, beantwortete der
Kaiser als Oberster Kriegsherr und
Oberbefehlshaber der Marine mit einer
kaiserliche Weisung. Diese stellte klar,
dass Befehle des Chefs des Admiralstabes mit unmittelbaren Befehlen des
Kaisers gleichzusetzen seien.
OHL und Admiralstab hatten mit der
Eroberung der Baltischen Inseln ihre
Ziele erreicht. Ludendorff hatte gegenüber den Russen mit geringem Kräf-
teansatz der Armee ein Zeichen gesetzt
und die Voraussetzungen für die Besetzung seiner eigentlichen Ziele im Ostseeraum, den Ålandinseln und Finnland, geschaffen. Die Marine hatte
durch fehlerlose Durchführung ihres
Einsatzes ihre Existenzberechtigung
unter Beweis gestellt. In Heereskreisen
war man mit dem Einsatz der Marine
zufrieden. Das Misstrauen gegenüber
der Marineführung und ihrer in der
Armee als zu defensiv empfundenen
Kriegführung war aber noch nicht überwunden. Ressortstreitigkeiten innerhalb der Marine und zwischen OHL
und Admiralstab belasteten die Zusammenarbeit von Armee und Marine auf
der operativ-strategischen Ebene bis
zum Kriegsende 1918 erheblich.
Die Einsatzverbände
Angesichts der russischen Seestreitkräfte
und der Minenverseuchung der Gewässer
um die Baltischen Inseln sowie der britischen Niederlage vor Gallipoli konzentrierte Holtzendorff mit dem III. und IV.
Geschwader zehn der modernsten Linienschiffe der Hochseeflotte in der östlichen Ostsee. Sie bildeten den Kern des
Sonderverbandes. Zu diesen Geschwadern traten die II. und VI. Aufklärungsgruppe, die U-Bootsflottille Kurland,
die II. und VI. Torpedobootsflottille,
die 7. Torpedoboots-Halbflottille, die
II. Minensuchflottille, die 8. MinensuchHalbflottille, eine Sperrbrechergruppe, die
Suchflottille der Ostsee, mehrere Kleinfahrzeuge und Luftschiffe sowie die Transportflotte hinzu. Eine eventuelle Beeinträchtigung des U-Boot-Krieges nahm der
Admiralstab in Kauf. Vizeadmiral Eberhardt Schmidt wurde die Führung des
Sonderverbandes übertragen. Dessen Aufgabe war der sichere Transport des Landungskorps, die Niederkämpfung feindlicher Küstenbatterien und der Kampf
gegen die russischen Seestreitkräfte. Das
A.O.K. 8 stellte unter Führung des Generalkommandos XIII. Reservekorps, Kommandeur General der Infanterie Hugo
von Kathen, die 42. Infanteriedivision als
Landungskorps. Diese wurde durch ein
Infanterieregiment, zwei Infanterie-Radfahrbrigaden, ein Sturmbataillon sowie
Artillerie-, Pionier-, Sanitäts- und Nachschubverbände verstärkt. Das Landungskorps umfasste insgesamt 24500 Soldaten sowie 8500 Pferde, 2500 Fahrzeuge
– mit Masse Pferdefuhrwerke – und 50
Geschütze.
n Gerhard P. Groß
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
7
Der Wehrbeauftragte
Kontrolle zum Schutz der
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages
A
m 12. November 1955, dem
Geburtstag des preußischen
Militärreformers Gerhard von
Scharnhorst, erhielten die ersten 101
Freiwilligen der Bundeswehr aus der
Hand des ersten Bundesministers für
(erst später der) Verteidigung Theodor
Blank ihre Ernennungsurkunden. Bereits am 26. März 1954 war die Erste
Wehrergänzung (Gesetz zur Ergänzung
des Grundgesetzes) in Kraft gesetzt
und danach die allgemeine Wehrpflicht in der Bundesrepublik eingeführt worden (Wehrpflichtgesetz vom
7.7.1956). Manche Wehrpflichtige, die
nun im April 1957 auf einem Kasernenhof standen und zum Dienst in
der Bundeswehr verpflichtet wurden,
mögen in der Erwartung ihres Grundwehrdienstes an das Bild des »Schleifers« Platzek aus dem populären Film
»08/15« gedacht haben. Platzek schikanierte die Rekruten in der Ausbildung. Es stellte sich daher für viele die
Frage: »Wie wird es mir wohl in der
Bundeswehr ergehen?« Anders als die
Rekruten des Wehrmachtswachtmeisters Platzek im nationalsozialistischen
Deutschland dienten die Rekruten der
jungen Bundeswehr in einem Staat mit
einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Durch die Binnenstruktur der
»Inneren Führung« – der Führungsphilosophie der Bundeswehr, die in
einer Person den Staatsbürger und
den Soldaten vereint – sollten nun
die Soldaten nach dem Leitbild des
»Staatsbürgers in Uniform« ausgebildet
werden. Parlamentarische Sicherungselemente trugen zudem die Gewähr
dafür, dass die Bundeswehrsoldaten
nicht von Typen wie »Platzek« ausgebildet und geführt wurden. Eines
der parlamentarischen Sicherungselemente sollte der Wehrbeauftragte des
Deutschen Bundestages sein.
n
Entstehung des Amtes
Über einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag bestand zwischen den
Bundestagsparteien in den fünfziger
Jahren keine Einigkeit. Während die
8
CDU-geführte Bundesregierung die
Aufstellung westdeutscher Streitkräfte
als notwendigen militärischen Beitrag
gegen die militärische Bedrohung aus
dem Osten, aber auch für die Einbindung der Bundesrepublik als souveränen Staat in die NATO betrachtete,
sah die größte Oppositionspartei SPD
hierin einen verhängnisvollen Schritt
zur endgültigen Teilung Deutschlands
zwischen West und Ost. Ein innenpolitisch tragfähiger Kompromiss ließ
sich nur durch eine Wehrverfassung
erreichen, welche die Soldaten mit parlamentarischen Kontrollmechanismen
vor Missbrauch durch militärische Vorgesetzte schützte.
Die neu zu schaffende westdeutsche
Armee musste im Nachhinein in die
seit 1949 bestehende Staatsverfassung,
das Grundgesetz, eingepasst werden.
Andererseits sollte in wenigen Jahren
eine Armee von etwa einer halben Million Mann aufgestellt werden, wie die
Bundesregierung ihren Bündnispartnern zugesagt hatte – eine Aufgabe,
die nur äußerst schwer zu lösen war
und schon allein deswegen zu Konflikten innerhalb der Streitkräfte führen
musste.
Neben der Schaffung des Verteidigungsausschusses einigten sich die
Bundestagsabgeordneten auf ein bis
dahin in der deutschen Verfassungsgeschichte einzigartiges parlamentarisches Kontrollinstrument für die Streitkräfte: das Amt des Wehrbeauftragten
des Deutschen Bundestages. Die Initiative erging dazu bereits 1951 von
Ernst Paul (SPD) aus, der während der
nationalsozialistischen Herrschaft nach
Schweden emigriert war. Seit 1915 gab
es dort das Amt eines Militärbeauftragten (»Militie-Ombudsman«), das
Paul für vorbildhaft für die künftigen
west/deutschen Streitkräfte hielt. Zu
Jahresbeginn 1954 entsandte der Deutsche Bundestag eine Studienkommission des Ausschusses für Fragen der
Europäischen Sicherheit – faktisch war
dies der Vorgänger des späteren Verteidigungsausschusses – nach Schweden, um sich über das Amt des Militär-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
beauftragten des schwedischen Reichstages zu informieren. Sie sollte dort
Einrichtungen studieren, die Orientierungspunkte für den demokratiegerechten Aufbau einer künftigen deutschen Truppe boten. Der Delegation
gehörte unter anderem auch der spätere Generalinspekteur der Bundeswehr Oberstleutnant a.D. Ulrich de
Maizière an. Die Kommission kam zu
dem Schluss, dass »die Grundgedanken
einer demokratischen Ordnung in der
schwedischen Armee mit solcher Konsequenz durchgeführt« worden seien,
»dass die schwedischen Einrichtungen
unter allen Umständen als wesentliches
Modell bei dem Neubau einer Wehrmacht benutzt werden können. Das
trifft insbesondere aus dem Grunde zu,
weil in Deutschland [...] der ernsthafte
Versuch gemacht wird, die Grundgedanken auch in der Ordnung der Wehrmacht zu verwirklichen.« Das Beispiel
Schweden diente fortan in der parlamentarischen Debatte als Vorbild für
die Verhandlungen um einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag.
Doch im Bundestag war die Einrichtung eines solchen Militärbeauftragten
umstritten. Das Für und Wider ging
durch alle Fraktionen. SPD-, FDP-,
aber auch einige CDU/CSU-Abgeordnete stimmten für den Wehrbeauftragten, während ein Großteil der CDU/
CSU-Fraktion dieser Institution eher
kritisch-abweisend gegenüber stand.
Deren Mitglieder befürchteten, dass
eine derartige Einrichtung das Vertrauensverhältnis zwischen den Vorgesetzten und Untergebenen in der Bundeswehr untergraben würde. Die anderen
Kontrollmöglichkeiten (z.B. der Verteidigungsausschuss, der Petitionsausschuss, die Regelung des Oberbefehls,
die Trennung von Armee und Militärverwaltung usw.) wurden als ausreichend zum Schutz der Soldaten angesehen.
Ein Kompromiss führte zu einer parlamentarischen Einigung, um die notwendige verfassungsändernde Mehrheit zu erreichen. Dieser war aber
nur mit den Stimmen der SPD und
Die Namensfrage:
Wehrmacht oder
Bundeswehr?
Der Name »Bundeswehr« für die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland war bei ihrer Gründung alles
andere als klar. Die Westdeutschen
Truppen wurden durch eine interne
Verfügung des späteren Generalinspekteurs Adolf Heusinger (1897–
1982) im Amt Blank (dem Vorläufer
des Bundesministeriums für Verteidigung) ab März 1955 in ihrer Gesamtheit als »Die Streitkräfte« bezeichnet.
Alle Anklänge an die Namen »Reichswehr« oder »Wehrmacht« sollten hierdurch vermieden werden. Im allgemeinen deutschen, aber auch internationalen Sprachgebrauch wurde
jedoch nach wie vor von der »Wehrmacht« gesprochen. Am 12. Juli
1955 standen sich im Sicherheitsausschuss die Anträge von Dr. Richard
Jaeger (CDU/CSU) und Dr. Erich
Mende (FDP) gegenüber: Während
die CDU/CSU mit dem Namen
Bundeswehr den defensiven Charakter der Streitkräfte zum Ausdruck
bringen wollte, bemängelte die FDP
»Bundeswehr« klänge zu sehr nach
»Feuerwehr«. Da keine Einigung in
Sicht war, wurde die Entscheidung
vertagt. Schließlich entschied sich
am 22. Februar 1956 der Verteidigungsausschuss des Bundestages
für die Bezeichnung »Bundeswehr«.
aak
FDP möglich. Beide Fraktionen wollten
aber das Amt des Wehrbeauftragten
geschaffen sehen. Die SPD bevorzugte
eigentlich ein spezielles parlamentarisches Misstrauensvotum gegen den
Verteidigungsminister. Als dies aber
nicht zu erreichen war, sollte zumindest
das Amt des Wehrbeauftragten eingerichtet werden. Unter der Führung der
beiden einflussreichen Verteidigungspolitiker Fritz Erler (SPD) und Richard
Jaeger (CDU/CSU) einigte man sich
Die Wehrbeauftragten
1959–1961
Generalleutnant a.D. Helmuth Otto von Grolman
(6.11.1898–18.1.1977), CDU.
Grolman war im Zweiten Weltkrieg u.a. Divisionskommandeur
und Chef des Generalstabes der Heeresgruppe Süd
1961–1964
Vizeadmiral a.D.
Hellmuth Guido Heye,
(9.8.1895–10.11.1970),
MdB (CDU) 1953–1961.
Heye wurde im Zweiten
Weltkrieg als Kommandant
des Schweren Kreuzers
»Admiral Hipper« mit dem
Ritterkreuz des Eisernen
Kreuzes ausge-zeichnet,
später wurde er Admiral
der Kleinkampfverbände.
1970–1975
Fritz-Rudolf Schultz,
(*19.2.1917), MdB (FDP)
1957–1975 wurde als
Führer eines Panzerregiments im Zweiten Weltkrieg mit dem Eichenlaub
zum Ritterkreuz des
Eisernen Kreuzes ausgezeichnet.
1985–1990
Willi Weiskirsch,
(1.1.1923–11.9.1996),
MdB (CDU) 1976–1985),
wurde als Obergefreiter
im Zweiten Weltkrieg
mehrfach verwundet; als
Publizist trat er u.a. mit
dem Buch »Nie wieder
Komiß! – Es muß alles
anders werden« hervor.
1995–2000
Claire Marienfeld,
(*21.4.1940), MdB (CDU)
1990–1995, Die erste
weibliche Wehrbeauftragte,
in ihrer Amtszeit erfolgte
die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts
zur Rechtmäßigkeit der
Auslandseinsätze der
Bundeswehr (12.7.1994).
1964–1970
Matthias Hoogen,
(25.6.1904–13.6.1985),
MdB (CDU) 1949–1964.
Hoogen wurde 1940 zur
Wehrmacht einberufen, zum
Reserveoffizier ausgebildet
und war nach Fronteinsatz
in der Feldgerichtsbarkeit
der Luftwaffe tätig.
1975–1985
Karl Wilhelm Berkhan,
(8.4.1915–9.3.1994),
MdB (SPD) 1957–1975.
Der Maschinenbauingenieur
und spätere Lehrer nahm
am Zweiten Weltkrieg teil
und war von 1969–1975
Parlamentarischer
Staatssekretär beim
Bundesminister der
Verteidigung.
1990–1995
Alfred Biehle,
(*15.11.1926), MdB
(CSU) 1969–1990,
nahm 1944/45 am
Zweiten Weltkrieg teil
und wurde verwundet.
Von 1982 bis 1990 war
er Vorsitzender des
Verteidigungsausschuss.
Seit 2000
Dr. Willfried Penner,
(*25.05.1936),
MdB (SPD) 1972–2000,
der heutige
Wehrbeauftragte.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
9
Fotos: Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages
Soldaten
Der Wehrbeauftragte
auf einen interfraktionellen Beschluss.
Nach einer erneuten Wehrverfassungsnovelle (Zweite Wehrergänzung) am
22. März 1956 begannen dann die Beratungen über die Gesetzesentwürfe über
den Wehrbeauftragten des Deutschen
Bundestages gemäß Artikel 45 b des
Grundgesetzes. Die SPD-Fraktion im
Deutschen Bundestag stimmte jedoch
im April 1957 gegen das von ihr selbst
immer geforderte Wehrbeauftragtengesetz, weil der Wehrbeauftragte nach der
Gesetzesvorlage der Regierung zwar
mit einer einfachen Mehrheit gewählt,
aber nur mit einer Zweidrittelmehrheit
abgesetzt werden konnte. Somit sei der
Wehrbeauftragte, so die Schlussfolgerung Erlers, dann eben nicht der Vertreter des gesamten Volkes, sondern lediglich einer Partei, also der Mehrheit von
CDU/CSU. Im angerufenen Vermittlungsausschuss einigten sich schließlich die Vertreter von Bundesrat und
Bundestag auf Wahl und Abberufung
des Wehrbeauftragten mit einfacher
parlamentarischer Mehrheit.
n
Vom Gesetz zur Person
Im April 1957 formulierte der Wehrexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Georg Kliesing wegweisend die
Anforderungen an die Person des
Wehrbeauftragten: »Die Persönlichkeit
allein ist entscheidend. Es handelt sich
um die charakterlichen und geistigen
Voraussetzungen. Wir verlangen vom
Wehrbeauftragten in erster Linie Aufgeschlossenheit für die staatspolitischen Anliegen unserer jungen Demokratie. Wir verlangen von ihm eine vertiefte Kenntnis der soziologischen, der
sozialpsychologischen und vor allem
der jugendpsychologischen Fragen unserer Zeit. [...]. Es kommt darauf an,
dass er aus seiner eigenen Lebenserfahrung heraus mit den Schwierigkeiten vertraut ist, mit denen die junge
Generation, die heute Soldat werden
muss, zu ringen hat.« Dieses treffende
Anforderungsprofil für den künftigen
Amtsinhaber setzte hohe Maßstäbe
für die Kandidatenauswahl. Solch eine
Person zu finden, sollte daher auch
zum Problem werden. Der Anwärter
musste charakterlich integer sein, der
Regierungspartei angehören oder ihr
zumindest nahe stehen, am besten
noch von der Opposition mitgetragen
werden, zugleich ein Wehrexperte und
10
Der Verteidigungsausschuss
Der Verteidigungsausschuss ist das
Gremium, das auf der Seite des Parlaments dem Verteidigungsministerium
und dessen nachgeordneten Bereichen, also den Streitkräften und der
Bundeswehrverwaltung gegenübersteht. Dem Verteidigungsausschuss
kommt als »Kern der parlamentarischen Kontrolle über die Armee«, in
der parlamentarisch-politischen Praxis und in der breiten Öffentlichkeit
grundlegende Bedeutung zu.
Zu den klassischen Aufgaben des
Verteidigungsausschusses gehört die
Beratung der ihm von Plenum überwiesenen Gesetzesentwürfe und Entschließungsanträge.
vor allem in der Lage sein, das Vertrauen der Soldaten zu gewinnen.
Erst 1959 konnte der erste Wehrbeauftragte sein Amt antreten. Die Bundeswehr dagegen war bereits knapp vier
Jahre im Aufbau und hatte schon die
ersten Bewährungsproben im Bereich
der Menschenführung hinter sich. Diese reichten von einfachen Beschwerden bis zum sogenannten Iller-Unglück
vom 3. Juni 1957, als bei einer Ausbildungsübung bei Kempten im Allgäu
15 grundwehrdienstleistende Soldaten
im Fluss ertranken.
Helmuth Otto von Grolman, ein
ehemaliger Generalleutnant der Wehrmacht, trat sein Amt als Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages am
3. April 1959 an. Für Grolman bestand
die Hauptaufgabe darin, eine Institution, die wie die Bundeswehr selbst ein
»Nachzügler« in der westdeutschen
Staatsverfassung war, in ein bereits etabliertes und funktionierendes politisches System zu verorten. Schon sein
erster Jahresbericht an den Bundestag
1959 brachte ihn und sein Amt in
Konfrontation mit dem damaligen Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß.
Seine Bewertung, wonach sich im abgelaufenen Berichtsjahr schon deutlich
alle zwangsläufig nachteiligen Folgen
des zu schnellen Aufbaus der Bundeswehr gezeigt hätten, wollte Strauß
so nicht hinnehmen und bestritt daraufhin die Kompetenz des Wehrbeauftragten zu solchen Feststellungen. Der
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
Ruf, die Zuständigkeiten des Wehrbeauftragten enger zu fassen, erschallte
lautstark vor allem aus den Reihen der
Regierung.
Dies sollte sich auch beim zweiten
Wehrbeauftragten, dem ehemaligen
Vizeadmiral Hellmuth Guido Heye
wiederholen. Der Jahresbericht 1963,
der nach Ansicht Heyes nicht die ihm
gebührende Aufmerksamkeit von Parlament, Verteidigungsausschuss und
Regierung fand, stellte eklatante Mängel im Bereich »Menschenführung«
und »Innere Führung« in der Bundeswehr fest. Heye entschloss sich daher
zu dem ungewöhnlichen Weg, sinngemäß den Bericht in der Illustrierten
»Quick« mit der Schlagzeile »In Sorge
um die Bundeswehr« 1964 zu veröffentlichen.
»Es ist bedauerlich, es aussprechen zu
müssen: Wenn wir nicht das Ruder
herumwerfen, entwickelt sich die Bundeswehr zu einer Truppe, wie wir sie
nicht gewollt haben. Der Trend zum
Staat im Staat ist unverkennbar.« Diese
Kernaussage Heyes, veröffentlicht in
der Illustrierten mit deutlichen Anspielungen auf das distanzierte Verhältnis
der Reichswehr zur Weimarer Republik, löste starke politische und gesellschaftliche Kontroversen aus. Seine
Ausführungen zeigten, dass die Innere
Führung in der Truppe nur unzureichend umgesetzt wurde und es noch
immer erhebliche Defizite in der Menschenführung gab. Infolge der hart
geführten Auseinandersetzungen trat
Heye im November 1964 zurück, offiziell aus gesundheitlichen Gründen.
Der Jurist und CDU-Bundestagsabgeortnete Matthias Hoogen wurde zum
Nachfolger Heyes gewählt. Es gelang
ihm, allmählich seine Kompetenzen
gegen den Widerstand des Verteidigungsministeriums zu erweitern. Neben seinem gesetzlichen Auftrag als
Kontrolleur sah er sich auch als Sachwalter der Bundeswehr gegenüber dem
Parlament sowie als Mittler zwischen
Armee, Politik und Gesellschaft. FritzRudolf Schultz setzte ab 1970 als vierter
Wehrbeauftragter die Vorarbeit Hoogens fort und wurde zum Motor der
Auseinandersetzung um die nach wie
vor strittige Kompetenzfrage zwischen
dem Amt des Wehrbeauftragten und
dem Verteidigungsministerium. Durch
seine Beharrlichkeit befasste sich der
Verteidigungsausschuss seit Anfang
Amtszeit (27. April 1990–
27. April 1995) Alfred Biehles
(CSU) dominierte neben der
Abwicklung der Nationalen
Volksarmee der DDR (NVA)
unter gleichzeitiger teilweisen Übernahme ihrer Soldaten in die Bundeswehr auch
die Feststellung der Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes deutscher Streitkräfte im
Rahmen kollektiver Sicherungssysteme. Auf die weitere Verwurzelung der »Inneren Führung« im Einsatz, wie
etwa auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, legte
die erste Frau im Amt, Claire
Marienfeld (CDU) ihr Augenmerk. Unter Willfried Penner
(SPD), der seit dem 11. April
2000 die Amtsgeschäfte führt,
kam zum Einsatz auf dem
Balkan der Auftrag in Afghanistan hinzu.
n
Wehrpflicht und
Wehrbeauftragter
Die Entstehung des Amtes des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages war nicht nur das Ergebnis einer
Konzession an die damalige Opposition, um die verfassungsrechtlich erforderliche 2/3-Mehrheit für die Zustimmung zur Wehrergänzung zu erhalten, sondern sie diente vor allem
dem Schutz der grundwehrpflichtigen
jungen Männer vor der Willkür von
Vorgesetzten. Die Funktion des Amtes
war eng mit der Wehrform verbunden, denn die Schutzbedürftigkeit der
Wehrpflichtigen wurde als wichtiges
Element dieser Institution gedeutet.
Diese Notwendigkeit sahen viele Abgeordnete parteiübergreifend. Der Wehrbeauftragte erweiterte im Laufe seiner
Entwicklungsgeschichte seinen Kontrollauftrag. Während der Früh- und
Aufbauphase (1955–1968) der Bundeswehr beschränkte sich seine Kontrolle
auf seinen Verfassungsauftrag: der Einhaltung der Grundrechte der Soldaten
und der Grundsätze der Inneren Führung. Seit 1968, als sich die Bundeswehr konsolidierte, begann sich der
Wehrbeauftragte vornehmlich auf Fürsorgeangelegenheiten und organisatorische Unzulänglichkeiten zu konzent-
Heinrich Bauer Smaragd KG
der siebziger Jahre, im Übrigen gegen
den Willen des Verteidigungsministeriums, mit einer Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes. Schultz´ Nachfolger im Amt Karl Wilhelm Berkhan
sollte aber erst der Erfolg der Novellierung zuteil werden. Berkhan war ein
»Vorzeigesozialdemokrat« und Weggefährte des profilierten SPD-Wehrexperten Helmut Schmidt, dem ersten SPDVerteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland und späteren Bundeskanzler. Er wurde am 19. März 1975
mit breiter parlamentarischer Zustimmung zum Wehrbeauftragten gewählt.
Berkhans Erfahrungen als Teilnehmer
des Zweiten Weltkrieges, seine Ausbildung zum und seine berufliche Tätigkeit als Pädagoge, seine Kenntnisse als
Reserveoffizier der Bundeswehr und
sein Sachverstand als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung (1969–1975)
unter Helmut Schmidt und Georg
Leber (SPD) ließen ihn zur »Idealbesetzung« für das Amt des Wehrbeauftragten werden. Im Jahre 1980 stellte
er sich als bislang einziger Wehrbeauftragter einer Wiederwahl und führte
seine Arbeit bis 1985 fort. Zu Berkhans
Verdiensten in diesem Amt gehörte
vor allem die Umsetzung der schon
genannten Novellierung des Wehrbeauftragtengesetzes im Jahre 1982, die er
aber interessanterweise als Staatssekretär im Verteidigungsministerium noch
zu verhindern versucht hatte. In der
Novellierung wurden die Stellung, die
Aufgaben und Befugnisse des Wehrbeauftragten konkretisiert, um die langanhaltenden Kompetenzstreitigkeiten
endlich zu klären. Es blieb bei der alleinigen Funktion eines »Hilfsorganes«
des Deutschen Bundestages und der
damit eindeutigen Zuordnung zum
gesetzgebenden Bereich. Es wurde aber
auch zweifelsfrei geklärt, in welchen
Fällen die Bundeswehr zur Auskunft
an den Wehrbeauftragten verpflichtet
ist. Auf das Wahrnehmungsproblem
der Jahresberichte in der Öffentlichkeit
wies Willi Weiskirch (CDU), Wehrbeauftragter seit dem 20. März 1985, hin.
Sie sind eben keine Zustands-, sondern Mängelberichte. In der medialen
Berichterstattung überwogen aber die
Verstöße gegen die Menschenführung
die Probleme im Fürsorgebereich. Eine
Rezeption, die auch unter den Nachfolgern erhalten bleiben sollte. Die
5 Titelblatt der Illustrierten Quick.
Wehrbeauftragtenbericht als Aufmacher
rieren. Damit blieb der Dualismus zwischen Verteidigungsministerium und
Wehrbeauftragtem erhalten.
Zwar scheint die Bedeutung des
Amtes in jüngster Zeit nicht mehr
so gewichtig zu sein, wie es für die
Aufbauphase der Bundeswehr gegolten haben mag, gleichwohl darf das
gesunkene öffentliche Interesse, das
sich zumeist nur noch auf die Veröffentlichung von gravierenden Verstößen
gegen die Menschenwürde aus dem
aktuellen Jahresbericht beschränkt,
nicht über die weitere uneingeschränkte Notwendigkeit diese Amtes
für die Soldaten der Bundeswehr hinwegtäuschen. Selbst bei einer eventuellen Abschaffung der Wehrpflicht würde
die Legitimation des Amtes bestehen
bleiben, denn eine Auswertung der
Eingabenverteilung nach Dienstgradgruppen in den bisherigen Jahresberichten zeigt deutlich, dass das Amt für
den Zeit- und Berufssoldaten genauso
wichtig war und ist wie für die Grundwehrdienstleistenden – gerade im Hinblick auf die weiter ansteigende Zahl
von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Auch in der laufenden Phase der
Transformation der Bundeswehr wird
das parlamentarische Kontrollinstrument »Wehrbeauftragter« wohl ausgleichend wirken können.
n Rudolf Schlaffer
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
11
Schützenpanzer HS 30
Der Schützenpanzer
HS 30
Dichtung und Wahrheit
A
m 5. Mai 1955 – also vor fast
genau 50 Jahren – wurde mit
dem Inkrafttreten der sogenannten Pariser Verträge die Bundesrepublik Deutschland Teil der NATO.
Insbesondere die Vereinigten Staaten
hatten seit 1950 auf eine bundesdeutsche Beteiligung an den Verteidigungsbemühungen der westlichen Demokratien in Mitteleuropa gedrängt. Nicht
nur die geopolitische Lage der Bundesrepublik entlang des Eisernen Vorhanges, sondern auch die Aussicht auf
rund 500 000 deutsche Soldaten zur
konventionellen Verteidigung waren
hierfür ausschlaggebend. Die politisch
Verantwortlichen in Washington hatten
während des Zweiten Weltkriegs großen Respekt vor der Kampfstärke und
Disziplin der deutschen Soldaten gewonnen. Darüber hinaus sollte die konventionelle Verteidigung Westeuropas
spätestens – so die Vorstellung der
Regierung Truman – ab 1953 maßgeblich durch die Europäer selbst sichergestellt werden. Die USA wollten sich
in der Hauptsache auf die atomare
Abschreckung konzentrieren. Folglich
verlangte Washington von Bonn als
Preis für den NATO-Beitritt eine sehr
schnelle Aufrüstung. Bis Ende 1959
sollten die zwölf aufzustellenden
westdeutschen Divisionen dem Bündnis unterstellt werden. Bundeskanzler
Konrad Adenauer (CDU) stimmte
dieser Forderung zu, obwohl er genau
wusste, dass dies einen schnelleren
Aufbau nötig machen würde, als ihn
die Wehrmacht von 1935 bis 1939 unter
wesentlich günstigeren Voraussetzungen geleistet hatte.
Ausgehend von einer konventionellen Verteidigung Mitteleuropas kamen
die militärischen Berater des ersten
Verteidigungsministers der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Blank
(CDU), zu dem Schluss, dass es im
12
Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zu einer großen Panzerschlacht
in der norddeutschen Tiefebene kommen würde. Für diese Auseinandersetzung brauchte man eine große Anzahl
gepanzerter Fahrzeuge. Kampf- und
Kanonenjagdpanzer, Flugabwehr- und
Aufklärungspanzer sowie Gefechtsstandfahrzeuge und natürlich Schützenpanzer. Auf der Grundlage der
Erfahrungen während des Zweiten
Weltkrieges an der Ostfront, hatte die
militärische Spitze im Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) sehr
genaue Vorstellungen von dem, was
der zukünftige Schützenpanzer der
Bundeswehr alles können sollte. Nur
leider gab es zu diesem Zeitpunkt weltweit noch nicht einen Schützenpanzer
mit der gewünschten Ausstattung. Das
einzige Fahrzeug, das den Vorstellungen der bundesdeutschen Planern
nahe kam, war der französische AMX
13-VTP. Dieser erschien aber den
Beschaffungsreferaten im BMVg mit
einem Stückpreis von umgerechnet
250 000 DM zu teuer.
Über diese hauptsächlich militärischen Aspekte hinaus gab es noch
andere wichtige Faktoren, die die
Beschaffung von Rüstungsgütern insbesondere in der Aufbauphase der
Bundeswehr beeinflussten. Mitte der
fünfziger Jahre befand sich die westdeutsche Wirtschaft in einer Phase der
Hochkonjunktur und die Unternehmen hatten wenig Interesse an Rüstungsaufträgen. Dies lag zum einen
an den hohen Entwicklungskosten für
militärisches Gerät, die üblicherweise
nur bedingt durch den Auftraggeber
gezahlt wurden, zum anderen an den
– u.a. aufgrund des bundesdeutschen
Rüstungsgüterexportverbotes – fehlenden internationalen Folgeaufträgen.
Insgesamt also ein unsicheres Geschäft,
auf das sich nur wenige Unternehmen
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
in einer Phase voller Auftragsbücher
einlassen wollten.
Dieses mangelnde Interesse an Rüstungsaufträgen in der deutschen Industrie eröffnete der Bundesregierung die
Möglichkeit für Kompensationsgeschäfte mit den bisherigen Schutzmächten Frankreich und Großbritannien, deren Volkswirtschaften sich in
einer tiefen Rezession befanden. In
Frankreich wurde u.a. der Schützenpanzer, kurz »Hotchkiss« bestellt. In
Großbritannien hingegen sollte der
Kampfpanzer »Centurion« geordert
werden. Diesem Geschäft kamen aber
die Amerikaner zuvor. Sie stellten
der jungen Bundeswehr im Rahmen
einer sehr kostengünstigen Militärhilfe
u.a. die Kampfpanzer M-41 und M-47
kostenfrei zur Verfügung. Dementsprechend mussten im Verteidigungsministerium neue Überlegungen angestellt
werden, wie die britische Industrie
an der Aufrüstung der Bundeswehr
beteiligt werden konnte. Eine Lösung
für dieses Problem bahnte sich an, als
die Schweizer Hispano Suiza Gruppe
dem BMVg 1955 einen Schützenpanzer anbot, der in Großbritannien bei
einer bis dahin nicht sehr bekannten
Firma namens British MARC gefertigt
werden sollte.
Aber nicht nur die Möglichkeit diesen Panzer in Großbritannien fertigen
lassen zu können und der Zeitdruck
durch die Zusagen der Bundesregierung an die NATO, sondern auch der
vorgeblich niedrige Anschaffungspreis
von ca. 170 000 DM wie auch die Ausstattung des Fahrzeuges, die den Wünschen der bundesdeutschen Beschaffer entsprach, führten zu einer schnellen – und wie sich später herausstellen sollte – überstürzten Entscheidung
für den so genannten Schützenpanzer,
lang Hispano Suiza HS 30, für die Panzergrenadiertruppe der Bundeswehr.
male haben:
4 volle Geländegängigkeit und
Vollkette;
BWB WTS
Der Preis für das Fahrzeug war von
großer Bedeutung, da aufgrund der
panzergrenadierstarken Struktur der
Bundeswehr nicht weniger als 10 680
Schützenpanzer angeschafft werden
sollten. Dementsprechend lag der veranschlagte Beschaffungspreis bei ungefähr zwei Milliarden DM. Der jährliche Verteidigungsetat betrug aufgrund
der ökonomischen Rahmenbedingungen und Vorgabe des rigiden Finanzministers Fritz Schäffer (CSU) nur konstante neun Milliarden DM. Bei einer
Investitionsquote von geschätzten 30%
des Verteidigungsetats hätte diese
einzelne Beschaffung fast den gesamten Rüstungsetat eines kompletten
Jahres verbraucht. Das BMVg musste
in den fünfziger Jahren aber nicht
nur Gefechtsfahrzeuge für die Kampftruppe beschaffen, sondern sämtliche
Ausrüstungsgegenstände, die Soldaten
für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen. Zudem mussten Kasernen, Flughäfen gebaut und sonstige Infrastruktur renoviert oder gänzlich neu geschaffen sowie Kleinfahrzeuge, Transportfahrzeuge, Fernmeldegerät, Kleinwaffen etc. angeschafft werden. Um mit
dem vorhandenen Budget so viel wie
möglich beschaffen zu können, war es
daher dringend notwendig, das entsprechende Gerät so kostengünstig wie
möglich zu erwerben.
Den Beschaffern des BMVg bot sich
folgendes Bild: weltweit gab es in der
Nachkriegszeit noch keinen Markt für
Schützenpanzer. Die Fahrzeuge der
Amerikaner und Briten waren bereits
über zehn Jahre alt und entsprachen in
der Technik dem Stand der dreißiger
Jahre. Der französische AMX 13-VTP
war den Verantwortlichen im BMVg zu
teuer. Der von der Ford Motor Corporation für die US-Streitkräfte neu entwickelte Schützenpanzer M 59 entsprach
aufgrund seines hohen Gewichts und
2,40m hohen Aufbauten nicht den
Vorstellungen der bundesdeutschen
Planer.
Im Herbst 1955 stellte Großbritannien
der Bundeswehr zunächst einmal 500
veraltete »Bren-Carrier« zu je 4000 DM
zur Verfügung. Mit diesem Fahrzeug
konnten vorübergehend die Einsatzverfahren der Panzergrenadiertruppe
geübt werden. Der zukünftige Standard-Schützenpanzer sollte aber nach
den Vorstellung der Bundeswehrführung folgende entscheidende Merk-
4 kraftschlüssiges, stufenloses
Getriebe bei mindestens
20 PS pro to Gewicht;
4 Rundumpanzerung mit
zweiflügeligem Heck, bei einer
max. Höhe von 160 cm ohne
Geschützturm;
5 Schützenpanzer HS 30
4 Platz für 10 Mann Besatzung sowie
eine 20mm Bordkanone und eine
Vernebelungseinrichtung.
Aus heutiger Sicht verwundert es
natürlich, dass dies genau die Anforderungen waren, die Hispano Suiza
während eines ersten Gesprächs mit
dem BMVg für seinen neu entwickelten Schützenpanzer HS 30 angab. Vermutlich hatte das Schweizer Unternehmen über Informanten die Daten zum
Anforderungsprofil im Vorfeld erfahren und nutzte dies nun in den Verhandlungen aus. Bevor der eigentliche
Beschaffungsvorgang näher beschrieben wird, sollen zunächst noch ein
paar Fakten über den heutzutage eher
unbekannten Herstellers des ersten
Schützenpanzers für die Panzergrenadiertruppe der Bundeswehr angeführt
werden.
5 Bundeskanzler Adenauer und Verteidigungsminister Strauß vor einem Holzmodell des
Schützenpanzers HS 30 auf dem Truppenü-
Schützenpanzer HS 30 –
Der Hersteller
Die im Sommer des Jahres 1904 von
dem Schweizer Motoreningenieur Mark
Birkigt gegründete Aktiengesellschaft
stellte anfangs Motorräder, dann 1910
erste Personenkraftwagen her. In den
ersten Jahren seines Bestehens besaß
das Unternehmen eine Produktionsstätte im spanischen Barcelona und
eine im schweizerischen Genf. Hieraus entstand der Firmenname: Hispano Suiza. Während des Ersten Weltkriegs hielt sich Hispano Suiza mit
dem Bau von Motoren für französische
Kampfflugzeuge und der Produktion
einfacher Lastwagen für die französische Armee über Wasser. Der erste Versuch, sich im Bereich der Rüstungsgüterproduktion mit Nachdruck zu etablieren, scheiterte 1921 kläglich mit dem
bungsplatz Bergen-Hohne,
25. September 1958
Bau eines unförmigen Panzerwagens
für die französische Armee. Weltbekannt wurde der Schweizer Motorenbauer dann ab Mitte der zwanziger
Jahre mit dem Bau von Luxusautomobilen. Hispano Suiza war mit seinen
Modellen, so z.B. 1930 mit dem ersten
6-Zylinder-Pkw und 6500 ccm starken
H 6 B in dieser Zeit der Hauptkonkurrent von Rolls-Royce und des deutschen Unternehmens Maybach.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges
war der Markt für Luxuskarossen
vollkommen weggebrochen. Hispano
Suiza musste sich, wenn das Unternehmen überleben wollte, ein neues
Betätigungsfeld suchen. In dieser Situation kam der Geschäftsführung zugute,
dass das Unternehmen während der
dreißiger Jahre Nachbaurechte für eine
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
13
Schützenpanzer HS 30
bevorzugt Firmen Aufträge erhielten,
die durch ehemalige Offiziere aus den
Beschaffungsämtern der Wehrmacht
vertreten wurden. Diesen Sachverhalt
wiederum machten sich einige Firmen
zu nutze, um am Aufbau der Bundeswehr gewinnbringend partizipieren zu
können.
Der Beschaffungsvorgang
BWB WTS
Hispano Suiza hatte verschiedene
Hebel, mit denen das Unternehmen
ins Geschäft mit der Bundesrepublik
kommen konnte. Einerseits die Produktionsstätten in Großbritannien, in
denen der HS 30 gefertigt werden
sollte. Bonn hätte damit das Problem
der Kompensation des gescheiterten
BWB WTS
20-mm-Kanone der deutschen Firma
Rheinmetall erworben hatte. Dies wurden nun als Chance gesehen, daraus
Kapital aus der Aufstellung der bundesdeutschen Streitkräfte zu schlagen.
Die Schweizer waren jedoch nicht die
einzigen Interessenten. Viele Firmen
weltweit wollten an dem Milliardenumsatz zu partizipieren. Da die Geschäfte mit dem Bau von Luxuskarossen immer noch nicht angelaufen,
die meisten vorhandenen Patente veraltet und Kapital bzw. externe Geldgeber für große, dringend notwendige
Investitionen nicht vorhanden waren,
glaubte die kaufmännische Leitung des
Genfer Unternehmens mit während
des Zweiten Weltkrieges erworbenen
zusätzlichen Lizenzen gute Geschäfte
5 Schützenpanzer AMX-13
5 Schützenpanzer Bren Carrier
machen zu können.
Wie der erste Kontakt zwischen der
Hispano Suiza-Gruppe und dem bundesdeutschen Verteidigungsministerium zustande gekommen ist, lässt sich
heute nicht mehr genau nachvollziehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass
es sich um Beziehungen des NS-deutschen Geheimdienstes aus dem Zweiten Weltkrieg über Liechtenstein in die
Schweiz gehandelt hat. Weiter forciert
wurde dieser Kontakt dann insbesondere durch ehemalige Offiziere, die im
Heereswaffenamt der Wehrmacht tätig
gewesen waren. Diese gingen nun in
den Rüstungsabteilungen des BMVg
entweder als Lobbyisten, respektive
Berater, ein und aus – oder waren
dort sogar in verantwortlicher Position
tätig. Sie nutzten ihre ehemalige Stellung, ihre Beziehungen und ihr Fachwissen, um die Produkte der von ihnen
vertretenen Unternehmen mit Nachdruck den Verantwortlichen im Verteidigungsministerium anzubieten. Diese
Beziehungen führten dazu, dass insbesondere bei der Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen für das Heer
Centurion-Geschäftes lösen können.
Zudem hatten die Genfer gute Kontakte zu Hanomag und Henschel aufgebaut und diesen ehemaligen deutschen »Panzerschmieden« für den
zukünftigen bundesdeutschen Schützenpanzer bereits Nachbaurechte angeboten. Genau das lag im Interesse des
BMVg, denn mittelfristig sollten deutsche Ingenieure Kompetenzen im Waffenbau erhalten. Forciert wurde das
Geschäft zudem durch das sehr aggressive Verhalten der deutschen Lobbyisten für die Schweizer Aktiengesellschaft. Sie trieben das Geschäft ohne
Skrupel voran und informierten die
Genfer Zentrale stets über rüstungspolitische Entwicklungen in Bonn.
Wie bereits geschildert brauchte die
junge Bundeswehr so schnell wie möglich eine große Anzahl, kostengünstiger, aber trotzdem »eierlegender Wollmilchsäue« in Form von Schützenpanzern, die den Vorstellungen der für
den Aufbau der Panzergrenadiertruppe
Verantwortlichen im Bonner Verteidigungsministerium entsprachen. Genau
solch ein Fahrzeug behauptete His-
14
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
pano Suiza liefern zu können, obwohl
das Unternehmen noch keine Erfahrung im Panzerbau besaß. Es sei ihnen
sogar möglich, einen Schützenpanzer
billiger und effizienter zu bauen, als
alle anderen am Markt befindlichen,
seit Jahrzehnten im Panzerbau erfahrenen Anbieter. Noch bemerkenswerter
ist aber, dass die Verantwortlichen im
BMVg dies tatsächlich geglaubt haben.
Bereits im Mai 1956 wurde Hispano
Suiza ein Entwicklungsauftrag erteilt,
obwohl das Unternehmen zu diesem
Zeitpunkt nur unvollständige Konstruktionszeichnungen und vage Versprechungen vorweisen konnte. Umso
mehr verwundert es, dass in den folgenden Monaten schnell nacheinander
entscheidende Verträge abgeschlossen
wurden, die das BMVg für die nächsten
Jahre beim Schützenpanzerkauf an die
Schweizer »Möchtegern-Panzerbauer«
banden. Damit begann der nicht enden
wollende Ärger mit Hispano Suiza.
Bereits wenige Wochen nach der
Unterzeichnung der ersten Verträge
zeigte Hispano Suiza sehr deutlich
seine wahren Absichten bei dem
Geschäft mit dem deutschen Verteidigungsministerium. Es ging den Schweizern einzig darum, mit dem geringst
möglichen Aufwand einen maximalen
Gewinn zu erzielen. Offensichtlich
nicht an Folgeaufträgen der Bonner
Rüstungsabteilungen interessiert, setzten sie alles daran, die geschlossenen
Verträge weitestgehend zu eigenen
Gunsten auszulegen. Dabei half ihnen
stets das Geflecht von Abhängigkeiten
auf der Seite des Auftraggebers. Die
Bundeswehr musste so schnell wie
möglich aufgerüstet werden, das Geld
sollte in Großbritannien ausgegeben
werden, es gab keine den bundesdeutschen Anforderungen entsprechenden Schützenpanzer am Markt
und am schlimmsten für das BMVg:
Die geschlossenen Verträge ließen nur
einen sehr teuren Ausstieg zu.
Im Laufe des Jahres 1957 veränderte
sich dann die Situation grundlegend.
Franz-Josef Strauß (CSU) hatte im
Herbst 1956 das Verteidigungsministerium übernommen und den Charakter der Aufrüstung der Bundeswehr
umgewandelt: Statt der von der NATO
geforderten schnellen, rein quantitativen Aufrüstung der westdeutschen
Streitkräfte, wollte Strauß eine »Qualitätsarmee« schaffen. Sein Ziel war
BWB WTS
es, die jungen bundesdeutschen Streitkräfte mit dem besten und modernsten militärischen Gerät auszurüsten.
Im Rahmen der Veränderungen stieß
er auf die Verträge mit der Hispano
Suiza-Gruppe. Der neue Verteidigungsminister reagierte verärgert auf das
Geschäftsgebaren der Schweizer. Wiederholt brachte er dies zum Ausdruck.
Endgültig platzte Strauß der Kragen
im Sommer 1958, als er bei einer
Besprechung mit der Firmenleitung
von Hispano Suiza erläutert bekam,
dass der Konzern die Garantie für alle
mit dem Fahrzeug verbundenen Risiken übernehmen würde, nicht aber
für deren »Kriegstauglichkeit«. Wenig
später wurde ein Hinweis des Auftraggebers auf die Störanfälligkeit des
Schützenpanzers bei den Probeläufen
an der Panzertruppenschule in Munster von den Schweizern lapidar mit der
Bemerkung abgetan, dass die Truppe
dann vorsichtiger mit dem Fahrzeug
umgehen solle! Franz-Josef Strauß war
nun am Ende mit seiner Geduld und
wollte nur noch, »dass möglichst etwas
Brauchbares geschaffen wird«. Die
Geschäftsführung von Hispano Suiza
war für ihn als Geschäftspartner inakzeptabel geworden. Die Anzahl der
bestellten Panzer wurde in der Folgezeit nach langwierigen Verhandlungen von anfänglich 10 680 auf nur noch
rund 2800 reduziert. Nur 1089 HS 30
wurden schließlich in Großbritannien
bei dem Lizenznehmer Leyland produziert, die restlichen jeweils 806 bei
Hanomag und Henschel in der Bundesrepublik .
Die Bundesregierung versuchte, mit
dem Erwerb des HS 30 unterschiedliche Probleme auf einmal zu lösen.
Dadurch schuf sie jedoch neue Schwierigkeiten. Diese zu beseitigen dauerte
einige Jahre. Die fehlende Zahl Schützenpanzer wurde zunächst durch eine
Weiterentwicklung des amerikanischen
M 59 – den M 113 – ergänzt. Noch im
Winter 1958 gab das BMVg bei Hanomag und Henschel eine Studie für den
ersten originär westdeutschen Schützenpanzer in Auftrag. Daraufhin entwickelten verschiedene bundesdeutsche Firmen ein völlig neues Modell
den 1971 in die Bundeswehr eingeführten Schützenpanzer Marder. Die
an diesem Projekt beteiligten Unternehmen erhielten immer erst Entwicklungskosten erstattet, wenn sie die
4
Schützenpanzer M-59
Funktionstüchtigkeit des jeweils vorgelegten Bauteils nachweisen konnten.
Dies war eine der Lehren, die aus dem
gescheiterten HS 30-Projekt gezogen
wurden. Aber nicht nur der Beschaffungsvorgang wurde grundlegend verändert, auch die Kontrolle der Beschaffungsabteilungen wurde erheblich verbessert.
Schützenpanzer HS 30 –
Ein Beschaffungsskandal?
Der Erwerb des Schützenpanzers HS 30
beschäftigte die politische Landschaft
in der Bundesrepublik noch bis Anfang
der siebziger Jahre. Nachdem dieser
Vorgang Ende der fünfziger Jahre nur
eine »Kleine Anfrage« der SPD-Fraktion im Bundestag nach sich gezogen
hatte, führte die ohne Zweifel politisch motivierte Pressekampagne gegen Franz-Josef Strauß Mitte der sechziger Jahre noch einmal dazu, dass das
HS 30-Projekt in aller Breite in der
Öffentlichkeit aufgerollt wurde. Bernt
Engelmann, Rudolf Augstein und verschiedene andere Journalisten überregionaler Zeitungen untersuchten die
Ereignisse aus der Aufbauphase der
Bundeswehr so intensiv, dass sich der
Bundestag veranlasst sah, zu dieser
Thematik im April 1967 einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.
Die Spekulationen über den Ablauf
der Beschaffung wurden von Tag zu
Tag umfangreicher und abenteuerlicher. Neben glaubwürdigen und unbescholtenen Zeugen meldeten sich
Scharlatane und Geltungssüchtige zu
Wort, die es für den Ausschuss immer
schwieriger machten, die tatsächlichen Vorgänge herauszufiltern. Hauptzielscheibe dieses angeblichen Skandals wurde nun die »Große Koalition«
des amtierenden Bundeskanzlers Kurt
Georg Kiesinger (CDU) und hier besonders Franz-Josef Strauß, der mittlerweile das Finanzressort leitete. Einige
Journalisten warfen Strauß unverhohlen vor, sich an der HS 30-Beschaffung
bereichert zu haben. Dass dies nicht
der Wahrheit entsprach, belegen neueste Forschungsergebnisse. Im Zusammenhang mit der Beschaffung des
Schützenpanzers HS 30 kann man
ihm höchstens den Vorwurf machen,
dass er nicht gleich nach Amtsbeginn
als Verteidigungsminister den Auftrag
storniert hat. Zu diesem Zeitpunkt
waren die Probleme aber noch nicht
abzusehen, die dieser Beschaffungsvorgang mit sich brachte. Strauß ist es letztlich gewesen, der die betrügerischen
Machenschaften der Hispano Suiza
soweit wie möglich eingeschränkt hat
und die Beschaffung des HS 30 auf ein
Minimum reduzieren konnte.
n Dieter H. Kollmer
Literaturtipp:
Dieter H. Kollmer, Rüstungsgüterbeschaffung
in der Aufbauphase der Bundeswehr –
verdeutlicht am Bespiel der Beschaffung des
Schützenpanzers HS 30,
Stuttgart 2002 (= Beiträge zur Wirtschaftsund Sozialgeschichte, 93)
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
15
ullstein - AP
Einmarsch in Afghanistan 1979
5Lager sowjetischer Militärfahrzeuge am Rande des Flughafens von Kabul, Ende Dezember 1979
I
n der Nacht vom 25. zum 26. Dezember 1979 war die Luft über
dem Kabuler Flughafen erfüllt vom
Triebwerkslärm schwerer Transportmaschinen. Geruch von verbranntem
Gummi lag schwer über der Landebahn, ununterbrochen landeten und
starteten neue Maschinen der sowjetischen Luftwaffe. Aus den Rümpfen von
über 150 Militärtransportern quollen
mehrere tausend Fallschirmjäger der
103. Garde-Luftlandedivision, die als
Eliteeinheit der Sowjetarmee gefürchtet war.
Die sich rasch formierenden Kolonnen nahmen am Abend des 27. Dezembers 1979 Kurs auf Kabul mit der Aufgabe, wichtige strategische Punkte
der Hauptstadt Afghanistans zu besetzen. Eine Spezialeinheit des KGB eilte
in Richtung des Kabuler Regierungspalastes, um den amtierenden Präsidenten der Demokratischen Republik
Afghanistan, Hafizullah Amin, zu beseitigen und an seine Stelle den Moskau
treu ergebenen Babrak Karmal zu setzen.
Der den sowjetischen Fallschirmjägern entgegengebrachte Widerstand
wurde rasch und mit großer Brutalität
gebrochen. Bei der handstreichartigen
Besetzung Kabuls starben mehr als
80 sowjetische Soldaten, über 200 von
ihnen wurden verletzt, die afghanische
Zivilbevölkerung hatte mehr als Tausend Opfer zu beklagen.
Wenig später überschritten drei Divisionen der sowjetischen Armee mit
mehr als 45 000 Mann die Grenzen des
afghanischen Staates. Sie sollten die
7000 in Kabul gelandeten Fallschirmjäger unterstützen und weitere wichtige
16
strategische Punkte des Landes unter
ihre Kontrolle bringen.
Über diese Blitzaktion, die nicht nur
die sowjetische und afghanische Bevölkerung, sondern auch die gesamte
Weltöffentlichkeit überraschte, war in
den Zeitungen der UdSSR kein einziges Wort zu lesen. Erst am 29. Dezember 1979 veröffentlichte die sowjetische
Nachrichtenagentur Tass eine dürre
Pressemeldung über die Invasion in
Afghanistan.
Mit der handstreichartigen Besetzung Kabuls begann die Sowjetunion
den längsten Krieg ihrer Geschichte.
Mehr als zehn Jahre führte Moskau
einen unerklärten Feldzug gegen das
Volk Afghanistans, der über 15 000
sowjetischen Soldaten und unzähligen
afghanischen Männern, Frauen und
Kindern das Leben kosten sollte. Weitere hunderttausende ehemalige Sowjetsoldaten und Millionen Afghanen
sind in Folge des Krieges an Körper
und Seele mit den äußeren und inneren
Spuren der Kämpfe gebrandmarkt.
Während die UdSSR kurz nach dem
Rückzug ihrer Truppen (14. April 1989)
auf Grund der inneren Schwäche des
kommunistischen Systems auseinander
fiel, kam Afghanistan nicht zur Ruhe.
Ein jahrzehntelanger, blutiger Bürgerkrieg forderte weitere schwere Opfer
unter der Zivilbevölkerung. Erst nach
dem Sturz der Taliban-Herrschaft durch
eine von den USA geführte internationale Koalition von Streitkräften 2001
versucht das Land allmählich und durch
die Unterstützung einer internationalen
Friedenstruppe seinen inneren Frieden
zu finden, ein Prozess, dessen Erfolg
jedoch immer noch ungewiss erscheint.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
Vor 25 Jahren:
Der sowjetische
Einmarsch in
Afghanistan
1979
Vorspiel zur sowjetischen Invasion
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges
und dem Tod Stalins begann eine
Periode der Annäherung Afghanistans
an die Sowjetunion. Ausdruck des
veränderten Verhältnisses zwischen
beiden Ländern war ein Besuch des
sowjetischen Generalsekretärs Nikita
Chruschtschow in Kabul 1955. Daraufhin erhielt das Land Militärhilfe in
Höhe von 25 Mio. Dollar sowie eine
Zusage über die Entsendung sowjetischer Militärberater. Weiterhin sollte
ein sowjetischer Kredit über 100 Mio.
Dollar die wirtschaftliche Entwicklung
des Landes beschleunigen.
Afghanistan geriet damit entgegen
seiner offiziellen Neutralitätspolitik
immer mehr in den Sog des sowjetischen Machtbereichs. Vor allem die
afghanische Armee wurde von der
UdSSR zur ideologischen Infiltration
genutzt, da eine Vielzahl der afghanischen Kadetten jetzt an kommunistischen Militärakademien studierte. Mit
den Streitkräften Afghanistans verfügten die Sowjets im Laufe der Jahre
über ein Machtinstrument, das sie in
die Lage versetzte, bei gegebenem
Anlass auf die politischen Geschicke
des Landes einzuwirken.
Am 3. Juli 1973 stürzte Prinz
Mohammed Daoud Khan die Monarchie unter König Zahir Schah und
ernannte sich zum ersten Präsidenten
der neu proklamierten Demokratischen
Republik Afghanistan. Obwohl die
Regierung Daoud grundlegende politische, soziale und wirtschaftliche Reformen versprach, konnte sie auf
Grund der ökonomischen Schwäche
3
Die sowjetische Invasion
vom 24. bis 27. Dezember
1979
6
Ein sowjetisches
Panzerfahrzeug auf
Patrouillenfahrt in Kabul
MGFA/Woynoski
des Landes kaum tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft bewirken. Daoud, der sich zunächst stark
an die Sowjetunion angelehnt hatte –
1973 erhielt das Land 11,5 Mrd. Dollar
Wirtschafts- und Militärhilfe durch die
UdSSR –, begann allmählich die Gefahr
einer zu engen Bindung zu fürchten.
Seit 1975 versuchte er sich aus der
»brüderlichen« Umarmung Moskaus
zu lösen. Das gelang ihm auch zum
Teil. Er verminderte die Zahl der sowjetischen Militärberater von einigen
Hundert auf 35. Gleichzeitig suchte er
Unterstützung bei Staaten der Region
und Verbindung mit der westlichen
Welt, vor allem mit den USA. Damit
wurde die Regierung Daoud für die
Sowjets zu einem unsicheren Machtfaktor; sie musste »verschwinden«.
An die Stelle Daouds wollte der
sowjetische Geheimdienst den Führer
der Parcham-Fraktion innerhalb der
afghanischen kommunistischen Partei,
Babrak Karmal, zu setzen. Er war ein
langjähriger Agent des KGB und deshalb dessen Favorit. Doch gelang es
dem sowjetischen Geheimdienst nicht,
sich gegen Leonid Breschnew durchsetzen. Der sowjetische Partei- und
Staatschef favorisierte den Generalsekretär der afghanischen kommunisti-
schen Partei und Chef der Khalq-Fraktion Mohammed Taraki. Dieser hatte
bei einem kurzen Treffen mit dem sowjetischen Parteichef einen so starken
Eindruck hinterlassen, dass Breschnew
ihn zum neuen Präsidenten Afghanistans bestimmte. Karmal wurde auf den
Posten des Botschafters in Prag abgeschoben.
Die reformorientierte, konservativ
neutralistisch ausgerichtete Regierung Daoud wurde im April 1978
durch einen Putsch von Kommunisten
und linksgerichteten Teilen der Armee,
mit Hilfe des KGB und des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU,
gewaltsam beseitigt. Dafür, dass der
Staatsstreich vom 27. April 1978, bei
dem Daoud und 1000 weitere Afghanen ihr Leben verloren, von den Sowjets geplant war, sprechen mehrere
Fakten. Seine Leitung erfolgte durch
sowjetische Militärberater, die in der
Botschaft der UdSSR in Kabul saßen.
Sie gaben auch den Mord am Parcham-Ideologen Mir Akbar Khaiber in
Auftrag, der zum auslösenden Moment
des Umsturzes wurde. Mit Hilfe von
Moskau treu ergebenen Offizieren
konnte die afghanische Armee zum
Putsch gegen Daoud bewegt werden.
Das entscheidende Bombardement zur
akg-images / AP
Erstürmung des Präsidentenpalastes
wurde von sowjetischen Piloten durchgeführt. Damit hatte die UdSSR den
»Abweichler« Afghanistan zunächst
wieder unter ihre Kontrolle gebracht.
Der Versuch des kommunistischen
Regimes, eine rasche soziale Umwälzung des afghanischen Gesellschaftsgefüges nach sowjetischem Vorbild zu
erreichen, musste auf Grund der inneren Gegebenheiten des Landes fehlschlagen. Die traditionell geprägten
Stammes- und Clanstrukturen und
die feudal geprägte Wirtschaftsordnung des Landes standen allen
raschen »Modernisierungsversuchen«
im Wege. Den entschiedenen Widerstand der Traditionalisten rief die
Regierung vor allem durch den Versuch
einer Landreform hervor. Sie hätte die
traditionellen Besitzstrukturen gänzlich aufgelöst. Der Erfolg der Landreform existierte lediglich auf dem Papier.
In Propagandaberichten der offiziellen
Presse tanzten Bauern vor Begeisterung, küssten ihre Urkunden über
den Landerhalt und schwangen rote
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
17
ullstein - AP
ullstein - AP
ullstein - ullstein bild
Einmarsch in Afghanistan 1979
Prinz Mohammed Daoud Khan
Hafizullah Amin
Mohammed Taraki
stürzte am 3. Juli 1973 die
Monarchie und ernannte sich
zum ersten Präsidenten der neu
proklamierten Demokratischen
Republik Afghanistan
Vizepremier,
Nachfolger von Taraki
nach dessen Ermordung
im September 1979
Generalsekretär der
afghanischen
kommunistischen Partei
und Präsident 1978/79
Fahnen. Doch die Wirklichkeit sah
anders aus:
»Es fehlte an allem anderen, was für
den Erfolg einer Agrarreform nötig
war, nämlich ordentliche Vermessung,
Hilfe und Beratung beim Betriebsaufbau, Werkzeuge, Saatgut, Düngemittel, Bildung von Genossenschaften
und Kredithilfe. [...] Das Ganze erwies
sich als Fehlschlag und wirkte eher
gegen als für das Regime. In der Landbevölkerung wuchsen die Zweifel, ob
die Maßnahmen wirklich in ihrem Interesse seien.«
Die kommunistische Führung des
Landes, deren Mitglieder untereinander zerstritten waren, erwies sich als
unfähig, die anstehenden politischen
Aufgaben zu lösen. Indessen förderte
die verfehlte Politik der Regierung die
Kräfte der muslimischen Opposition,
so dass eine Ablösung des kommunistischen Regimes immer wahrscheinlicher schien. Am 13. März 1979 brach in
der Provinz Herat ein Aufstand gegen
das Regime in Kabul aus. Dabei unterstützten Teile der afghanischen Armee
aktiv die Widerstandskämpfer. In der
Provinzhauptstadt Herat eroberten die
Rebellen im Handstreich das Polizeihauptquartier und das Gefängnis.
Danach begannen Kämpfe um die Garnison der 17. Infanteriedivision, welche
bereits nach kurzer Zeit zu den Mujaheddin (arabisch: Heilige Krieger) überlief. Zur gleichen Zeit entlud sich der
aufgestaute Hass der Bevölkerung auf
die örtlichen Vertreter des Regimes.
18
Die Antwort der Kabuler Regierung ließ nicht lange auf sich warten.
Vier Tage nach Beginn des Aufstandes
begannen Flugzeuge und Hubschrauber mit der Bombardierung der Stadt.
Gleichzeitig wurden loyale Truppenverbände zur Niederschlagung der
Rebellion in Marsch gesetzt. Der erdrückenden Übermacht konnte die Garnison eine Woche lang widerstehen,
danach fiel sie. Als die Regierungstruppen in das wiedereroberte Herat
einrückten, zogen Willkür und Terror
ein. Wahllos wurden Menschen verhaftet oder getötet. Den Kämpfen um
die Stadt fielen 25 000–30 000 Personen
zum Opfer und eine noch größere Zahl
von Menschen wurde verwundet.
Nach der Besetzung der Provinzhauptstadt verhängte die Regierung
das Kriegsrecht über Herat. Soldaten
und Geheimdienstleute durchkämmten systematisch die Häuser nach
versteckten Rebellen. Die Verhafteten
wurden häufig sofort erschossen oder
in die zahlreichen Gefängnisse verschleppt und dort gefoltert. Dem Aufstand von Herat folgten jedoch zahlreiche weitere bewaffnete Aktionen
gegen die Regierung in Kabul, so dass
diese sich selbst mit unverhülltem
Terror kaum noch an der Macht halten
konnte.
Deshalb erörterte das Politbüro der
KPdSU ab dem Frühjahr 1979 die Möglichkeiten einer militärischen Invasion
in Afghanistan, um dessen kommunistische Regierung weiter an der Macht
zu halten. Am 17. März 1979 trafen
sich Außenminister Andrej Gromyko,
der Sekretär des Zentralkomitees (ZK)
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
der KPdSU Andrej Kirilenko, Verteidigungsminister Dimitrij Ustinow,
Geheimdienstchef Jurij Andropow und
der Vorsitzende des Ministerrats Alexej
Kossygin, um über die prekäre Lage
in Afghanistan zu beraten. Auf der
Sitzung vertraten Außenminister Gromyko und ZK-Sekretär Kirilenko die
Position, dass ein Abfall Afghanistans
von der Sowjetunion auf keinen Fall
hingenommen werden könne und eine
militärische Intervention deshalb nicht
auszuschließen sei. Auch Kossygin und
Andropow wollten Afghanistan nicht
als sowjetisches Einflussgebiet verlieren, wiesen jedoch auch auf die Risiken eines bewaffneten Eingreifens für
die UdSSR hin. Demgegenüber verwies Verteidigungsminister Ustinow
darauf, dass die afghanische Führung
ein aktives Eingreifen der Sowjetarmee
in die Kämpfe zur Zerschlagung der
Opposition erwarte. Im Verteidigungsministerium seien deshalb bereits zwei
Varianten für den Einfall in Afghanistan ausgearbeitet worden.
Der erste Plan sah die Besetzung
Kabuls durch Fallschirmjäger der 105.
Luftlandedivision und eines motorisierten (mot.) Schützenregimentes, das
auf dem Luftweg dorthin verbracht
werden sollte, innerhalb von 24 Stunden vor. Gleichzeitig sollten die 68. mot.
Schützendivision und die 5. mot. Schützendivision über die Landesgrenze in
Afghanistan einfallen. Einen Zeitraum
von drei Tagen betrachtete Ustinow
für die Vorbereitung der Invasion als
ausreichend. Der zweite Plan sah nur
die Entsendung von zwei sowjetischen
Divisionen nach Afghanistan vor.
Die Pläne zur Invasion wurden während einer Inspektionsreise von General
Iwan Pawlowskij weiter präzisiert. Der
General weilte von August bis Oktober 1979 in Afghanistan, um die für
einen militärischen Einmarsch benötigten Informationen zu sammeln. Begleitet wurde er von einem Stab mit 63
hohen Offizieren, darunter elf Generälen. Weitere Aufklärung über die Verhältnisse in der afghanischen Armee
und im Staatsapparat erhielt er von den
mehr als 3000 sowjetischen Militärberatern, die sich seit 1978 in Afghanistan
befanden. Pawlowskij, Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte und stellvertretender Verteidigungsminister, hatte
bereits 1968 eine gleich geartete Inspektionsreise in die ČSSR unternommen
und im August 1968 die Truppen des
Warschauer Vertrages zur Niederschlagung des Prager Frühlings befehligt.
Jetzt waren Pawlowskijs »Erfahrungen«
wieder gefragt, denn in Kabul hatte ein
»afghanischer Alexander Dubček« das
Regierungsruder in die Hand genommen.
Im September 1979 stürzte Vizepremier Hafizullah Amin seinen bisherigen Lehrer Taraki und ließ ihn ermorden. Moskau sah über die Hinrichtung Tarakis hinweg und gratulierte
dem Putschisten zu seiner »Wahl«.
Die Führungsriege des KGB war sich
jedoch über das baldige Ende Amins im
Klaren. Ihre Quellen aus Kabul berichteten über eine wachsende islamische
Opposition gegen Amin, eine drohende
Rebellion innerhalb der Armee und
einen unvermeidbaren wirtschaftlichen
Zusammenbruch des Landes.
Amin, der selbst erkannte, in welcher gefährlichen Lage er sich befand,
versuchte, als Vertreter einer nationalistisch eingestellten Fraktion der Kommunisten, die verfahrene Situation im
Land zu überwinden. Dabei setzte er
sich auch über die bestehenden ideologischen Grenzen hinweg. Vor allem
war Amin bestrebt, die muslimische
Opposition an der Macht zu beteiligen
und so den inneren Konflikt im Land
zu beseitigen. Um dieses Ziel zu erreichen, stellte er dem Führer der Oppositionskräfte Gulbuddin Hekmatyar den
Posten des Premierministers in Aussicht und versprach die Landreform
zurückzunehmen.
Amerikanische Geheimdienst-Quellen bezeichneten ihn deshalb als »erbarmungslosen Marxisten aber auch als
Opportunisten, der gewillt ist die Seiten
zu wechseln, falls der Preis hoch genug
ist«. So verwundert es nicht, dass Amin
bereits im Februar 1979 gegenüber
dem US-Botschafter in Kabul, Adolph
Dubbs, antisowjetische Gefühle signalisierte und die Loslösung Afghanistans
von der UdSSR in Aussicht stellte.
Vor allem der nach der Machtergreifung Amins nach Moskau geflohene
radikale Kommunist Babrak Karmal
drängte deshalb auf seine Beseitigung.
Als Amin die sowjetischen Militärberater ausweisen wollte, war für Moskau
das Fass zum Überlaufen gebracht.
Zunächst jedoch erörterte das Politbüro die Möglichkeiten einer Beseitigung Amins ohne militärische Inter-
vention. Es beauftragte den KGB mit
der Ermordung Amins, um ein massives militärisches Eingreifen der UdSSR
zu verhindern. Für derartige Spezialaufgaben war innerhalb des sowjetischen Geheimdienstes die 8. Abteilung
der Verwaltung C der Auslandsaufklärung zuständig. Sie schlug Amins
Vergiftung vor. Doch dem Unternehmen war kein Erfolg beschieden, denn
Amin erwies sich als nicht weniger
vorsichtig als die italienischen Borgia.
Aus Furcht davor vergiftet zu werden,
wechselte er beständig Speisen und
Getränke, so dass der geplante Mordanschlag aufgegeben werden musste.
Zur gleichen Zeit begann Amin mit
seinen Versuchen zur Aussöhnung
mit der Opposition. Die sowjetischen
Agentenberichte, die daraufhin aus
Kabul in Moskau eintrafen, zeichneten
ein immer düstereres Bild der Lage.
Alle Denkschriften wiesen darauf hin,
dass an Stelle des kommunistischen
Regimes eine antisowjetische islamische Republik treten würde, wenn nicht
bald eine schnelle Beseitigung Amins
erfolge. Der erneute Appell zum militärischen Eingreifen kam von der Internationalen Abteilung der KPdSU. Sie
verwies darauf, dass die Sowjetunion
eine Abschaffung des Sozialismus im
benachbarten Afghanistan nicht hinnehmen könne. KGB und Außenministerium standen hingegen auf Grund
der zu erwartenden Verschlechterung
des internationalen Klimas einer groß
angelegten militärischen Aktion mit
Unbehagen gegenüber.
Operation »Sturm - 333«
Spätestens am 26. November 1979
fällte das Politbüro der KPdSU unter
der Regie Breschnews die endgültige
Entscheidung, Amin militärisch zu
beseitigen und gewaltsam die bestehende politische Lage in Afghanistan
zu Gunsten der UdSSR zu ändern.
Der Entschluss zur Invasion wurde
im engsten Führungskreis getroffen.
Daher erfuhren auch die damaligen
Kandidaten des Politbüros, Michail
Gorbatschow und Eduard Schewardnadse, erst aus Zeitung und Rundfunk
vom Einfall in Afghanistan. Das entscheidende Argument zur Durchführung der Aktion war: Die Verhinderung eines Sieges der islamischen Fun-
damentalisten über den Sozialismus
in Afghanistan. Ganz im Sinne der
Breschnew-Doktrin legte die sowjetische Parteiführung fest: »Die Folgen
eines solchen Schlages auf unser Prestige wären unvorhersehbar. Die Sowjetunion kann ein solches Risiko nicht
eingehen.«
Bereits am 29. November erfolgte die
Verlegung von Einheiten des 345. Garde-Luftlanderegimentes nach Bagram,
einen in der Nähe von Kabul gelegenen
Flughafen. Die dorthin verlegten Soldaten sollten ein sowjetisches Bataillon verstärken, das seit Juli 1979 auf
dem Militärstützpunkt stationiert war.
Am 6. Dezember 1979 befanden sich
bereits drei Elitebataillone in Bagram.
Zwischen dem 8. und 10. Dezember
trafen weitere Kampftruppen in einer
Stärke von 600 Mann ein, die zehn Tage
später nach Norden zum Salang-PassTunnel in Marsch gesetzt wurden. Dort
sollten sie den Schutz der strategisch
wichtigen Verbindung zwischen Kabul
und Termez übernehmen. Die Straße
diente später als eine der zwei Haupteinfallrouten der sowjetischen Invasionstruppen.
Ab Mitte Dezember begannen die
Sowjets ebenfalls mit der Stationierung
von Militäreinheiten auf dem Kabuler
Flughafen. Im zentralasiatischen Teil
der UdSSR wurden zwei Divisionen
auf Kriegsstärke gebracht. Um die notwendigen Kräfte für den beabsichtigten Lufttransport der Truppen aufzubringen, zog die sowjetische Luftwaffenführung im Gebiet um Moskau und
in Zentralasien starke Transportfliegerkräfte zusammen. Ebenso begannen
die Militärs mit der Verlegung von
Kampfgeschwadern aus dem Inneren
der UdSSR an die Grenzen der afghanischen Republik. Die als Eliteeinheiten geltende 103. Luftlandedivision aus
Witebsk in Weißrussland und die bei
Kirowabad in Aserbaidschan stationierte 104. Luftlandedivision wurden
in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.
Am 12. Dezember 1979 machten
westliche Beobachter die Stationierung
eines sowjetischen Kampfbataillons in
Kabul aus. Den Geheimdiensten der
USA blieben die Truppenbewegungen
der sowjetischen Streitkräfte an der
afghanischen Grenzen ebenfalls nicht
verborgen. Bereits am 19. Dezember
1979 warnte die Regierung Carter
einige Länder des westlichen Bündnis-
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akg-images / AP
Einmarsch in Afghanistan 1979
5 Zwei bewaffnete moslemische Rebellen
halten von Dach einen Hauses in Herat
Ausschau nach sowjetischen Truppen
ses vor einer möglichen sowjetischen
Invasion in Afghanistan.
Während in Kabul die Anwesenheit eines hohen, jedoch nicht identifizierbaren, sowjetischen Militärs als
letztes sicheres Zeichen der bevorstehenden Invasion gedeutet wurde, versuchte der sowjetische Geheimdienst
abermals das drohende Eingreifen der
Sowjetarmee in die inneren Geschicke
Afghanistans zu »verhindern«. Am 17.
Dezember 1979 wurde auf Präsidenten Amin ein Anschlag verübt, bei dem
dieser am Bein verwundet wurde. Bei
dem Attentat, hinter dem das KGB
als Drahtzieher stand, wurde der Chef
des afghanischen Sicherheitsdienstes
schwer verletzt. Damit war der afghanische Präsident zwar der aufmerksamen Augen und Ohren seines obersten
Leibwächters weitestgehend beraubt,
doch der sowjetische Geheimdienst
hatte sein beabsichtigtes Ziel, die Beseitigung Amins, nicht erreichen können.
Deshalb nahmen nun die sowjetischen
Militärs endgültig das Heft des Handelns in die Hand.
Amin selber zog sich nach dem
Attentat am 19. Dezember in den
Palastkomplex von Darulaman, sechs
Meilen südwestlich von Kabul, zurück.
Dorthin begleitete ihn seine Leibwache,
während acht Panzer und einige gepanzerte Mannschaftstransporter den dürftigen Schutz des Areals übernahmen.
Zu spät erkannte Amin, in welche aussichtslose Lage er sich manövriert hatte.
Das abgelegene Gelände von Darula-
20
man bot einem eventuellen sowjetischen Kommandounternehmen beste
Operationsmöglichkeiten. Deshalb beorderte er am 26. Dezember 1979 die
4. afghanische Panzerbrigade zu seinem Schutz nach Darulaman. Da jedoch
Vorauskommandos der Sowjets zu diesem Zeitpunkt schon in Kabul gelandet waren und alle Ausfallstraßen der
Stadt blockierten, hatten die regierungstreuen Truppen keine Chance
mehr, zu Gunsten des amtierenden afghanischen Präsidenten einzugreifen.
Die sowjetische Armee schloss bis
zum 23. Dezember alle logistischen
Vorbereitungen zur Durchführung des
Unternehmens »Sturm - 333«, so der
Codename, für die Besetzung Afghanistans, ab. Am 25. Dezember um
23.00 Uhr landeten die ersten Einheiten der 103. Luftlandedivision auf dem
Kabuler Flughafen. Nur wenig später
besetzten Kommandos die Flughäfen
von Shindand und Kandahar. Auch
auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram trafen laufend weitere Verstärkungen ein. Die Luftbrücke aus der UdSSR
lief zwei Tage lang rund um die Uhr.
Bis zum Morgen des 27. Dezembers
waren allein in Kabul über 7000 Soldaten samt Ausrüstung gelandet.
Die nach Afghanistan verbrachten
sowjetischen Einheiten waren von der
Militärführung zunächst in dem Glauben gelassen worden, bei der gesamten
Aktion handle es sich um eine Übung.
Gleichzeitig versuchten die Militärberater der UdSSR die afghanischen
Armee-Einheiten davon zu überzeugen, dass lediglich ein größeres sowjetisches Manöver stattfinde. Hieraus
lässt sich deutlich die Handschrift
von General Pawlowskij ablesen, der
bereits den Prager Frühling erfolgreich
bezwungen hatte.
Um die Landung der Truppen auf
dem Kabuler Flughafen nicht zu gefährden, ordneten die sowjetischen Militärinspektoren der afghanischen Panzertruppen, die rund um die Hauptstadt stationiert waren, den Ausbau der
Fahrzeugbatterien an, angeblich um sie
winterfest zu machen. Damit war in
den Tagen der sowjetischen Invasion
die afghanische Panzerwaffe lahmgelegt. Die Armee der Republik hatte
nun keine Möglichkeit die Luftlandungen der sowjetischen Truppen zu verhindern, obgleich einige Panzer auf
der Landebahn genügt hätten, um das
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sowjetische Unternehmen in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Auf
einem Empfang der sowjetischen Botschaft machten die Gastgeber die zahlreich geladenen afghanischen Offiziere mit Wodka betrunken und ließen
sie anschließend arretieren. Die von
ihnen befehligten Einheiten, wurden
von sowjetischen Truppen entwaffnet
und in ihren Unterkünften interniert.
Doch nicht alle Verbände der Armee
Afghanistans ließen sich derart einfach
überrumpeln.
Am 27. Dezember 1979 wurde Kabul
um 19.00 Uhr durch eine gewaltige Detonation erschüttert. Sowjetische Spezialeinheiten hatten durch die Sprengung
des zentralen Nachrichtenkomplexes
der Regierung das gesamte Kabuler
Telefonsystem lahmgelegt, um so den
organisierten Widerstand durch Präsident Amin erfolgreich zu verhindern.
Wenig später, um 19.15 Uhr, kündeten
rote Leuchtkugeln von der Einnahme
des Innenministeriums, damals Hauptquartier der afghanischen Polizei.
Zur selben Stunde, als Nachrichtenzentrale und Innenministerium gestürmt wurden, nahm eine bewaffnete
Kolonne vom Kabuler Flughafen aus
Kurs auf den Regierungspalast. Sie
wurde angeführt von einer KGB-Spezialeinheit, die unter der Befehlsgewalt
von Geheimdienst-Oberstleutnant Grigorij Borjanow stand. Die Vorauskommandos der 650 Mann starken Sondereinheit, zu denen auch die 154. Spezialabteilung des Militärnachrichtendienstes GRU – das so genannte muslimische Bataillon – gehörte, trugen afghanische Uniformen und ihre Fahrzeuge
waren mit Hoheitszeichen der Demokratischen Republik Afghanistan versehen. Als afghanische Soldaten die
Kolonne vor dem Regierungspalast
stoppten und kontrollieren wollten,
eröffneten die KGB-Einheiten sofort das
Feuer. Den anschließenden Sturm auf
den Präsidentenpalast leitete Oberstleutnant Borjanow persönlich. In der
im 2. Stock des Palastes gelegenen Bar
erschossen die Spezialeinheiten Präsident Amin und seine Geliebte. Danach
gab Borjanow den Befehl, alle Augenzeugen des Kommandounternehmens
zu liquidieren. Selbst immer noch
mit seiner afghanischen Uniform bekleidet, endete Borjanow vor den
Gewehrläufen sowjetischer Soldaten,
die geflissentlich seine Anordnung alle
4
Sowjetische Soldaten entlang des
Hauptverbindungsweges zwischen
Kabul und Jalalabad
Afghanen zu beseitigen, befolgten.
Neben Borjanow verloren weitere fünf
KGB-Angehörige und sechs Soldaten
des Militärgeheimdienstes ihr Leben.
Über 300 Angehörige der Leibwache
Amins kamen bei den Kämpfen um,
1700 Mann inhaftierten die Sowjets.
Zur selben Zeit war der Machtwechsel in Kabul bereits offiziell vollzogen.
Noch während der Kämpfe um Amins
Regierungssitz begann ein im usbekischen Termez gelegener sowjetischer
Sender auf der Frequenz von Radio
Kabul zu senden. Auf Grund seiner
starken Sendeleistung konnte er das
noch normal arbeitende Radio leicht
übertreffen und strahlte um 20.45 Uhr
eine auf Tonband aufgenommene Erklärung Karmals aus, der zum selben
Zeitpunkt von den Sowjets nach Kabul
geflogen wurde.
Karmal, der im September 1978 vom
Posten des Botschafters in Prag durch
seine politischen Gegner in Afghanistan abberufen worden war, hatte
eine Rückreise in die Heimat abgelehnt. Nach einem kurzen Aufenthalt
im tschechischen Marienbad gewährte
Moskau seinem neuen Favoriten im
afghanischen Spiel politisches Asyl.
Im Dezember 1979 war der Zeitpunkt
gekommen, wo Karmal mit seinen politischen Widersachern blutig abrechnen
konnte.
Durch das aus der Sowjetunion
ausgestrahlte afghanische Radioprogramm sollte die Bevölkerung des
Landes in dem Glauben gelassen werden, der Machtwechsel hätte sich in
aller Stille und ohne Gewaltanwendung vollzogen. Die Realität sah jedoch
anders aus. Seit 22.30 Uhr tobten in
der Innenstadt Kabuls schwere Kämpfe
zwischen den sowjetischen Invasoren
und Teilen der afghanischen Armee.
Besonders heftige Gefechte entwickelten sich um das Gelände des Kabuler
Rundfunks. Erst unter beträchtlichen
Verlusten gelang den sowjetischen Angreifern der Sturm auf das Gebäude.
Dann meldete das jetzt unter sowjetischer Regie geführte Radio Kabul, dass
Karmal neuer Staatspräsident sei. Um
akg-images / AP
03.15 Uhr verkündete der neue afghanische Rundfunk die Nachricht von
der »Hinrichtung« Amins.
In Moskau wurde unversehens aus
»Genossen Amin« ein »blutdürstiger
Agent des amerikanischen Imperialismus«. Karmal forderte die CIA und die
amerikanische Regierung auf, Dokumente über die Angelegenheit »Amin«
zu übergeben. Selbst innerhalb des
KGB begann man der Theorie Glauben
zu schenken, Amin sei während seines
Studiums an der Kolumbus-Universität in New York von der CIA als
Spion angeworben worden und habe
seitdem gegen sie Sache des »Sozialismus« gearbeitet. In diesem Licht
schien die Ermordung Amins gerechtfertigt, beseitigte Moskau doch »lediglich« einen gefährlichen Konterrevolutionär.
Nachdem die Hauptstadt des Landes unter die Kontrolle der sowjetischen Fallschirmjäger gebracht worden
war und die Verbindungswege im
Land dürftig gesichert schienen, überquerten am Morgen des 28. Dezembers
die 5. sowie die 108. mot. Schützendivision auf Pontonbrücken den Grenzfluss Amu-Darja. Die 201. mot. Schützendivision sowie mehrere selbständige Brigaden und Regimenter folgten
wenig später nach. Die eingesetzten
Truppen waren in aller Eile durch
die Mobilmachung von Reservisten
auf Kriegsstärke gebracht worden und
zum großen Teil mit veraltetem Kriegsgerät ausgerüstet. Für die Invasion
Afghanistans hatte die UdSSR keine
erstklassige Einheiten aus dem Zentrum Europas abziehen wollen. Deshalb wiesen die an der Invasion beteiligten sowjetischen Verbände einen
hohen Anteil von muslimischen Usbeken, Tadschiken und Turkmenen auf –
ein Fehler, der später durch den verstärkten Einsatz russischer Einheiten
behoben wurde. Die Muslime der
asiatischen Sowjetrepubliken hatten
sich für die Agitation der afghanischen Widerstandskämpfer überaus
empfänglich gezeigt.
Am 1. Januar 1980 standen bereits
30 000–40 000 sowjetische Soldaten in
Afghanistan, bis zum 20. Januar stieg
ihre Zahl auf rund 80 000 Mann. Damit hatte die Sowjetunion das Hauptziel ihrer militärischen Intervention
erreicht: Die drohende Beseitigung des
kommunistischen Regimes in Afghanistan war erfolgreich verhindert und
mit Karmal eine gefügige Marionette
Moskaus installiert worden. Nach den
Worten von Staats- und Parteichef
Breschnew verhinderte der Einmarsch
die »reale Gefahr, dass Afghanistan
seine Unabhängigkeit verlieren würde
und in einen imperialistischen militärischen Brückenkopf an unserer Südgrenze umgewandelt wird«.
Gleichzeitig konnte die Ausbreitung
der islamischen Revolution auf die
muslimischen Teile der UdSSR gestoppt werden. Denn wie 1978 Unruhen in Duschanbe zeigten, fielen die
fundamentalistischen Parolen aus dem
Iran bei den sowjetischen Muslimen
durchaus auf fruchtbaren Boden. Doch
auch ideologisch konnte die UdSSR
einen zweifelhaften Erfolg verbuchen.
Erneut war, entsprechend der Breschnewdoktrin, der Abfall eines kommunistischen Landes verhindert worden.
Zudem besaßen die sowjetischen Militärs, die seit dem Zweiten Weltkrieg
im Gegensatz zu den amerikanischen
und britischen kaum Kampferfahrung
hatten gewinnen können, jetzt ein ausreichend großes Experimentierfeld für
die Erprobung neuer Kriegstaktiken
und Waffen. Dafür sollte die UdSSR
allerdings im weiteren Verlauf des Krieges einen hohen Preis zahlen.
n Matthias Uhl
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
21
Das historische Stichwort
ullstein - ullstein bild
akg-images
Service
5 Kapitän z.S. Karl von Müller
9. November 1914
Der Untergang des
Kleinen Kreuzers
S.M.S. EMDEN
I
m Morgengrauen des 9. November
1914 schiebt sich der rammspornbewehrte Bug eines deutschen Kreuzers in die Refuge-Bay der DirectionsInsel. Das Eiland gehört zu den australischen Cocos-Keeling-Inseln, gut
1000 km westlich von Java/Indonesien
mitten im Indischen Ozean gelegen.
Der Kreuzer ist ein »Geisterschiff«, das
seit drei Monaten verzweifelt von britischen, französischen, russischen und
japanischen Seestreitkräften kreuz und
quer durch Ostasien gejagt wird. Sein
Name ist Emden, der Kommandant
Kapitän z.S. Karl von Müller. Vor dem
Krieg nannte man sie wegen ihres
schnittigen Aussehens den »Schwan
des Ostens«, doch 13 Wochen auf hoher
See ohne Dockmöglichkeit haben Schiff
und Menschen auf das Stärkste belastet
und verschlissen. An diesem Morgen
plant Müller einen neuen Streich gegen
das britische Empire: die Zerstörung
der hiesigen Überseekabel- und Funktelegrafenstation. So winzig die Insel an
sich ist: ihre Anlage ist eine der wichtigsten Kommunikationsschnittstellen
des Weltreichs. Um 06.00 Uhr rauscht
der Anker in die Tiefe, ein Landungszug von 3 Offizieren, 6 Unteroffizieren
und 38 Mann wird ausgesetzt. Doch
dann folgt ein fataler Fehler: Um Zeit
zu sparen, will die Emden während
der Operation Kohlen laden. Sie ruft
per Funk den Trossdampfer Buresk an.
Prompt meldet sich die britische Station und funkt den Eindringling an.
22
3 »S.M.S. Emden kapert im Golf von Bengalen
einen englischen Dampfer«.
zeitgenössisches Gemälde von Carl Schön
Als keine Antwort erfolgt, schlagen die
britischen Telegrafen Alarm. Störversuche der Emden scheitern …
Bis zu dieser Stunde hatte die Emden
eine nahezu beispiellose Karriere in
der modernen Seekriegsgeschichte gemacht. Als Teil des in Ostasien stationierten deutschen Kreuzergeschwaders
unter Vizeadmiral Graf Spee wurde sie
am 6. August 1914 zum selbstständigen
Kreuzerkrieg detachiert (d.h. entsendet), während das Geschwader selbst
in der Unendlichkeit der Südsee seinen
Weg nach Südamerika nahm, um vor
Argentinien und Brasilien den britischen Handel zu schädigen. Spees strategische Lage in Asien war ab dem
23. August 1914 nahezu aussichtslos:
Japan, hier die stärkste Seemacht, war
auf Seiten der Entente in den Ersten
Weltkrieg eingetreten und hatte alle
deutschen Hoffnungen auf einen effektiven Handelskrieg zerschlagen. Karl
von Müller machte aus der Situation
das Beste und erwies sich als geschickter – und glücklicher – Taktiker; mehrmals kreuzten überlegene britische
Kriegsschiffe seinen Weg und verpassten ihn nur knapp. Aber in einem Zeitalter ohne Luftaufklärung und Radar
war knapp daneben, wie noch im Zeitalter der Segelschifffahrt, auch vorbei:
ein Fühlunghalten durch Dritte war
kaum möglich. Die Emden brachte insgesamt 23 Dampfer auf, von denen 16
versenkt wurden. Am 22. September
1914 tauchte sie urplötzlich vor der ostindischen Hafenstadt Madras auf und
schoss die dortigen Öltanks in Brand.
Exakt fünf Wochen später, am 28. Oktober 1914, drang die Emden im Morgengrauen in den Hafen von Penang nord-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
östlich von Singapur ein und torpedierte den russischen Kreuzer Schemtschug. Als der französische Torpedobootszerstörer Mousquet der Emden
die Ausfahrt verwehren wollte, wurde
er zum Wrack geschossen, einige
Überlebende seiner Besatzung konnten
durch die Emden geborgen werden.
Der Überfall auf Penang löste in
den Schifffahrtskreisen Asiens erneut
Panik aus und verhinderte kurzfristig
die Ausfahrt der so genannten imperial
convoys von Australien nach Großbritannien, die das Mutterland des Empire
mit lebenswichtigem Weizen versorgen
sollten. Doch, Ironie der Geschichte:
gerade einer dieser Geleitzüge wurde
nun an diesem 9. November 1914
der Emden zum Verhängnis. Denn als
Müller die Cocos-Inseln ansteuerte,
ahnte er nicht, dass nur 50 Seemeilen
entfernt ein Konvoi unter Bewachung
auf dem Weg in den fernen SuezKanal war. Zufall? Schicksal? Mangelndes Glück? Ja und Nein. Kapitän von
Müller wurde ein Opfer der neuen
Funktechnologie – und dem Verlangen, eben gerade diese auszuschalten.
Die Hilferufe der britischen Station
wurden von den »Wachhunden« des
Geleitzugs empfangen. Sofort wurde
der australische Kreuzer Sydney, der
Emden an Geschwindigkeit und Feuerkraft weit überlegen, detachiert. Innerhalb von einer Stunde, zwischen 10.00
und 11.00 Uhr des 9. November 1914,
wurde die Emden zum hilflosen Wrack
geschossen und auf ein Riff gesetzt.
Von der gut 360 Mann starken Besatzung kamen 134 ums Leben, 116 gerieten am nächsten Tag in britische Gefangenschaft.
akg-images
5 Kleiner Kreuzer S.M.S. Emden
aus dem Fotoalbum v. A. Renard
(Kiel)
4 Nach dem Gefecht am
9. November 1914
Vom australischen Kreuzer Sydney
zum hilflosen Wrack geschossen
und auf ein Riff gesetzt
Die Geschichte der Emden könnte
hier zu Ende sein. Doch beispiellose
Popularität während des Ersten Weltkriegs wie auch danach erlangte sie
durch den Landungszug ihrer Mannschaft, die der Gefangenschaft entging. Nach der Zerstörung der Kabelund Funkstation besetzte Kapitänleutnant Hellmuth von Mücke mit seinen
Leuten den vor Anker liegenden Schoner Ayesha (sprich: Aischa) und segelte
nach Niederländisch-Ostindien (Indonesien). Dort wurde die Ayesha zur
Verwischung der Spuren selbst versenkt; die Besatzung wechselte auf den
deutschen Dampfer Choising über, auf
dem sie den Indischen Ozean durchquerte. Vor Hodeida im heutigen Jemen
ausgebootet, schlugen sich die EmdenMänner entlang des Roten Meers durch
das südliche Arabien, kämpften gegen
Beduinen und erreichten nach unendlichen Mühen schließlich die HedschasBahn. Von hier aus gelangten sie nach
Konstantinopel (heute: Istanbul).
Bereits Mitte 1915 wurden in
Deutschland Filmaufnahmen vom Empfang des Landungskorps in der
Hauptstadt des Osmanischen Reiches
gezeigt: Ein Vorzeichen der »Vermarktung« des sich rapide entwickelnden
Emden- und Ayesha-Mythos. Die Geschichte beider Schiffe wurde durch
eine geschickte deutsche Propaganda
zur populärsten Darstellung des Ersten
Weltkriegs; allein Kapitänleutnant von
Mückes Memoiren wurden weit über
eine halbe Million mal verlegt und
erschienen mehrmals auch in englischer Sprache, zuletzt im Jahr 2000. Bis
Ende der 1930er Jahre folgten zahlreiche Illustrationen, Jugend- und Kinder-
buchadaptionen. Schon 1914 wurde
in Japan ein Kurzspielfilm über das
Schicksal der Emden gedreht, 1932 und
1934 produzierte der deutsche Regisseur Louis Ralph zwei Spielfilme; im
zweiten traten sogar einige Besatzungsmitglieder auf.
Angesichts dieser Popularität verwundert es nicht, dass der Name
des Kreuzers innerhalb der deutschen
Marinen weiter verliehen wurde. 1916
wurde der Kleine Kreuzer Emden
(II) in Dienst gestellt. Er war an
mehreren Operationen gegen russische
und britische Seestreitkräfte beteiligt.
1925 wurde der neue Schulkreuzer der
Reichsmarine auf den Namen Emden
getauft, der mehrere große Auslandsreisen unternahm und dessen Mannschaft 1927 am Strandungsort der alten
Emden eine Gedenkfeier abhielt. 1932
»spielte« der Kreuzer in dem deutschen
U-Bootfilm »Morgenrot« (D 1933, R.:
Gustav von Ucicky) einen britischen
Panzerkreuzer.
Im Januar 1945 transportierte der
Kreuzer die aus dem monumentalen
Tannenbergdenkmal »evakuierten«
Sarkophage des Reichspräsidenten und
Generalfeldmarschalls von Hindenburg und seiner Gattin von Königsberg
(heute: Kaliningrad) nach Pillau (Baltisk). Bei einem Luftangriff im Kieler
Hafen im April 1945 wurde der Kreuzer stark beschädigt und außer Dienst
gestellt. 1959 lief in Hamburg das
Geleitboot (ab 1965 Fregatte) Emden
der Marine der Bundesrepublik
Deutschland vom Stapel, das 1983
durch die in Emden gebaute Flugkörper-Fregatte der Klasse 122 ersetzt
wurde, die heute noch in Dienst steht.
Karl von Müllers streng nach Prisenordnung geführter Krieg und die
korrekte und fürsorgliche Behandlung
seiner Gefangenen sicherten der Emden
auch beim Gegner ihre Popularität.
Der britische König Georg V. erlaubte
dem Kommandanten auch in der Gefangenschaft das Tragen des Degens.
1921 verlieh die preußische Regierung
den (preußischen) Überlebenden der
Emden (I) das Recht, an ihren Familiennamen »Emden« anzufügen; 1934
wurde diese Regelung durch Reichspräsident von Hindenburg auf alle
Familienmitglieder ausgedehnt. Die
«Emden-Familie« existiert noch heute
durch die Nachfahren der ursprünglichen Besatzungsmitglieder.
Die Emden (I) nahm das Schicksal
des gesamten Kreuzergeschwaders voraus: Exakt vier Wochen später, am 8.
Dezember 1914, unternahm Graf Spee
entgegen den ausdrücklichen Warnungen der Mehrheit der Kommandanten
seines Geschwaders einen Angriff auf
Port Stanley, den Haupthafen der Falkland-Inseln, um die dortige Funkstation zu zerstören. Bis auf die Dresden
sanken alle Schiffe des Geschwaders in
der nun folgenden Falklandschlacht. In
beiden Fällen war der Wunsch, gegnerische Kommunikationslinien zu zerstören, den Angreifern zum Verhängnis geworden.
Das auf dem Riff im Pazifik liegende
Wrack der Emden wurde zwar in den
1930er Jahren teilweise abgebrochen,
die unter Wasser erhalten gebliebenen
Reste stehen jedoch seit den 1980er
Jahren unter Denkmalschutz.
Gerhard Wiechmann
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
23
Medien online/digital
ullstein - Archiv Gerstenberg
Service
Der Dreißigjährige Krieg
1618–1648
tueller Forschungsbeiträge und -informationen (Artikel, Rezensionen, Sammlungsbeschreibungen, Volltexte); die
Bündelung von bestehenden themenrelevanten Internetressourcen; die Publikation von Quellen in elektronischer
Form als Beitrag zu einer sich wandelnden Kommunikationskultur in den historischen Wissenschaften.«
Namhafte Partner des Webprojektes
sind die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, die Bibliothek für Zeitgeschichte Stuttgart, die
Humboldt-Universität zu Berlin und
das Internetportal H-Soz-u-Kult – Kommunikation und Fachinformation für
die Geschichtswissenschaften –, die
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, die Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam e.V.
online
»D
aran erkenn´ ich meine
Pappenheimer!«, ließ der
Dichter Friedrich Schiller
in seinem Drama »Wallensteins Tod«
den berühmten Generalissimus sagen.
Was der Inhaber des Regiments für ein
Pappenheimer war, liest sich unter der
Adresse http://www.koni.onlinehome.de
ullstein - Archiv Gerstenberg
5
Gottfried Heinrich
Graf zu Pappenheim
4
Albrecht Wallenstein
so: »Gottfried Heinrich ... Pappenheim
besaß niemals Wirklichkeitssinn. Für
einen Oberbefehl fehlte ihm die nötige
Geduld und die Gabe, die Gesamtsituation objektiv zu erfassen. Andererseits
hatte er auch nicht das Zeug für eine
untergeordnete Stellung. Er war rücksichtslos gegen die Mannschaft, anmaßend und arrogant; – aber er war auch
der Abgott seiner Soldaten: der erste
beim Angriff und der letzte beim Rückzug. Um seinen unglaublichen Mut
rankten sich Legenden. Seine hundert
Narben, deren er sich rühmte und
das Muttermal, das zwei gekreuzten
Schwertern glich, bestätigten die Soldaten in ihrer Meinung.«
Einer vom Regiment Pappenheimer
zu sein, stand damals für unbedingten
Mut, Treue und Tapferkeit. Heute ist
die Bezeichnung »Pappenheimer« eher
mit der augenzwinkernden Einsicht in
menschliche Unzulänglichkeiten verbunden.
Die private Homepage »Wer war
wer im Dreißigjährigen Krieg« von
Klaus Koniarek enthält nicht nur 199
teilweise sehr ausführliche Biografien
von Persönlichkeiten des 17. Jahrhunderts, sondern bietet neben einem
Überblick über den Verlauf des Krieges
24
auch Detailinformationen zu Geld- und
Warenwirtschaft, Sittengeschichte und
zu den damals kämpfenden Armeen.
Eine Rubrik nimmt fünfzehn selbst
erstellte bzw. verlinkte fremde Stadtchroniken auf, wie die von Magdeburg
und Ingolstadt. Die Kartenrubrik und
das Literaturverzeichnis sind nicht so
üppig ausgefallen, was der Freude an
der Homepage jedoch keinen Abbruch
tut.
hb
dig
Themenportal Erster
Weltkrieg 1914 –1918
D
as historische Fachportal für
Geschichtswissenschaft im
deutschsprachigen Raum clioonline.de hat anlässlich des 90. Jahrestages des Beginns des Ersten Weltkrieges (1914–1918) ein spezielles Themenportal eingerichtet. Unter www.
erster-weltkrieg.clio-online.de bieten die
Betreuer Anke Winsmann, Vera Ziegeldorf und Thomas Meyer folgende
vier Bereiche an: »Bündelung vorhandener Informationsangebote durch
den Aufbau einer spezifischen Metasuchmaschine; die Veröffentlichung ak-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
Unter dem Oberbegriff »Themen«
werden Artikel, Bücher im Volltext,
Literaturberichte und Rezensionen zugänglich gemacht. Hier findet auch
der nur allgemein Interessierte gute
Aufsätze und Anregungen zur weiteren Lektüre. Die angebotenen Links zu
»Spezialsammlungen« und »Literatur«
sind dagegen vor allem für den interessierten Historiker von Bedeutung.
Unter »Chronologie« wird, angelehnt an die Enzyklopädie Erster Weltkrieg (siehe Militärgeschichte 1/2004),
ein detaillierter zeitlicher Verlauf des
Ersten Weltkrieges wiedergegeben.
Das ebenfalls empfehlenswerte
»Web-Verzeichnis« bietet sortiert nach
Forschungseinrichtungen, Institutionen, Nachschlagewerken, Portalen und
Katalogen, Materialien- und Quellen
eine sehr umfangreiche Sammlung von
Links für den historischen Forscher,
aber auch für den interessierten Internet-Surfer. Wer bislang Ton- und Bilddokumente vermisst hat, wird dabei
auf sonst nur schwer zu findende
Seiten stoßen.
hb
Die französische
Fremdenlegion
M
it den nahenden Gedenktagen zum Ende des Zweiten
Weltkrieges vor 60 Jahren
und angesichts der damals beginnenden Nachkriegszeit rückt auch die
Geschichte der französischen Fremdenlegion näher in unser historisches
Bewusstsein. Haben doch ehemalige
Soldaten von Wehrmacht und Waffen-SS und noch ungediente junge
Deutsche über die Werbebüros der französischen Besatzungsmacht in Deutschland den Weg in die Ausbildungslager
der Legion angetreten. Sie fanden aus
unterschiedlichsten Gründen den Weg
in die Fremdenlegion; gelandet sind
sie dann als Söldner in den Brennpunkten der Konflikte der Nachkriegswelt:
Indochina und Afrika.
Der Berufssoldat der Bundeswehr
Jürgen Joachim hat aus seiner Dienstzeit in Frankreich das Interesse für
diese wohl berühmteste Söldnerarmee
mitgebracht. Unter der Adresse www.
sidi-bel-abbes.de präsentiert er seine
technisch interessant gestaltete und
inhaltsreiche private Homepage über
historische und aktuelle Strukturen der
Fremdenlegion. Unter der Überschrift
»Die Fremdenlegion in der Vergangenheit« ist die Darstellung der Schlacht
von Dien-Bien-Phu mit einer bebilderten Chronologie besonders hervorzuheben. Gut gelungen ist auch die
Zusammenstellung von Wappen unterschiedlicher Regimenter und Kompanien mit begleitenden strukturhistorischen Angaben. Daneben findet
man eine detaillierte Auflistung von
Schlachten des 19. und 20. Jahrhunderts, an denen die Fremdenlegion
beteiligt war. Die »Literaturecke« bietet
eine umfangreiche kommentierte Übersicht zu Legionsliteratur unterschiedlichster Art.
hb
Marinegeschichte des
Zweiten Weltkrieges
eine sehr umfangreiche Darstellung der
Marinegeschichte des Zweiten Weltkrieges, die den Schwerpunkt auf technische Details legt. Kritische Fragen
zur Marine im Dritten Reich werden
dabei nicht beleuchtet. Wer das erwartet, ist hier nicht gut beraten. Es geht
vor allem um »Ingenieurleistungen«. In
den Unterkapiteln U-Boote, U-Bunker,
Geheimprojekte, Waffen- und Waffensysteme, Deutsche Kriegsschiffe, Operationen, Einheiten und Dienststellen,
Mannschaften und Seealltag werden
in unterschiedlicher Aufmachung viele
technische Details, interessante Fotos
und Risszeichnungen geboten. Einige
Informationen betreffen auch schon das
deutsche Kaiserreich und den Ersten
Weltkrieg (z.B. die Seeschlacht vor
dem Skagerrak 1916). Auch skurrile
Anekdoten fehlen nicht, wie die von
der 1941 aus dem Wasser gefischten
schwarzen Bordkatze Oskar, die als
»The Bismarck´s Cat« in die britische
Marinegeschichte eingegangen ist. Die
Buchempfehlungen unter Literatur
sind dagegen noch ausbaufähig.
hb
W
as aus der Begeisterung für
ein Computerspiel alles
werden kann, zeigt die Internetseite einer Gruppe von Silent
Hunter2-Spielern. Unter der etwas zu
viel versprechenden Adresse www.
deutsche-marinegeschichte.de findet man
gital
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
25
Service
Lesetipp
Bombenkrieg
D
as Thema Bombenkrieg hat Konjunktur. Im zeitlichen Abstand
von sechzig Jahren wird es zunehmend möglich auch die Bombardierung der deutschen Städte zu untersuchen. Die Historiker nennen das Historisierung: Die unmittelbare Betroffenheit vom Zweiten Weltkrieg ist im
öffentlichen Bewusstsein soweit gesunken, dass nun auch die »Opfer« in
einem »Volk der Täter« thematisiert
werden können – ohne, dass die Autoren sofort in die Rolle von Revisionisten gedrängt werden. Angestoßen
durch Jörg Friedrichs »Der Brand«
(siehe Militärgeschichte 1/2003) und
aufgrund der sich allerorts jährenden
Gedenktage der Bombenangriffe des
Zweiten Weltkrieges sind inzwischen
viele Publikationen zu diesem Thema
auf dem Markt:
Stephan Burgdorf und Christian Habbe (Hrsg.),
Als Feuer vom Himmel fiel.
Der Bombenkrieg in Deutschland,
München 2003. ISBN 3-421-05755-9;
253 S., 24,90 €
Für den Spiegel-Buchverlag haben Stephan Burgdorff und Christian Habbe
»Als Feuer vom Himmel fiel. Der Bombenkrieg in Deutschland« herausgegeben. Unter den insgesamt sieben Kapiteln »Der Luftkrieg über Europa«, »Hitlers Bombenterror«, Deutschland im
Feuersturm«, »Kriegsrecht und Moral«,
»Die Schlacht am Himmel«, »Leben in
Trümmern« und »Die Folgen der Zerstörung« finden sich jeweils bis zu
sechs Aufsätze. Diese kurzen Aufsätze
(fünf bis zehn Seiten) von Historikern
und Zeitzeugen bieten in ihrer Kürze
Einblicke in viele Bereiche rund um
den Bombenkrieg. Das Buch gibt weni-
26
ger Antworten als Denkanstöße, beschreibt das Phänomen Bombenkrieg
aber in zahlreichen Facetten. Ein beeindruckendes, aber dennoch ausgewogenes Buch.
Der großformatige Bildband »Brandstätten. Der Anblick des Bombenkriegs«
bewegt sich durch die teilweise sehr
eindrucksvollen Schwarzweißbilder
auf einer ganz anderen Ebene: der
durch Eindrücke gespeisten Gefühlswelt. Nachdem im Kapitel »Früher« die
später im Bombenkrieg zerstörte »heile
Welt« gezeigt wird, schocken in den
Jörg Friedrich,
Brandstätten.
Der Anblick des
Bombenkriegs,
München 2003.
ISBN 3-549-07200-7;
240 S., 25,00 €
Kapiteln »Angriff«, »Bergung«, »Trümmerleben« die Bilder von Trümmern,
Toten und verzweifelten Helfern. Hier
wird Krieg sehr konkret. Ob das Gezeigte zu weit geht, also moralische
Grenzen überschritten werden, ist
eine Frage des Geschmacks und des
Standpunktes. Durch dieses Buch soll
»die große Katastrophe unserer Zeitgeschichte in die deutsche Wirklichkeit zurückgeholt« werden. Diesem
Anspruch wird das Buch gerecht. Begreift man es als Erinnerungsbuch, so
hat dieses Buch eine wichtige Funktion. Doch wäre es schade, wenn durch
eine Emotionalisierung des Themas der
einsetzende Prozess der Historisierung
verkehrt würde.
aak
Spionage
W
er sich für die Welt der Geheimdienste interessiert, kommt an
diesem Lexikon nicht vorbei. Das einmalige Nachschlagewerk enthält nicht
nur rund 2000 Sachstichworte mit Geheimdienstbezug, sondern auch über
2000 Kurzporträts bekannter und weniger bekannter Agenten. Dem Leser
erschließt sich damit in kompakter
und sachlicher Form viel Wissenswertes über die verborgene Arbeit
der Geheimdienste vom Ersten Welt-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
Helmut Roewer,
Stefan Schäfer und
Matthias Uhl,
Lexikon der
Geheimdienste im
20. Jahrhundert,
München 2003.
ISBN 3-7766-2317-9;
527 S., 39,90 €
krieg bis in die Gegenwart. Schwerpunkte bilden insbesondere die deutschen Dienste, darunter die Abteilung
III b des Generalstabes der preußischen Armee, der Sicherheitsdienst des
Reichsführers SS, das Amt Ausland/
Abwehr der Wehrmacht, die bundesdeutschen Dienste und natürlich das
Ministerium für Staatssicherheit der
ehemaligen DDR. Da die Autoren
angesichts der Internationalität des
Geheimdienstgeschäfts jedoch keineswegs nur deutschlandzentriert recherchiert haben, finden sich im Buch
auch bisher oft nur schwer zugängliche
Informationen über die Dienste zahlreicher anderer Staaten, u.a. der USA,
Großbritanniens, Frankreichs, Italiens,
Polens, Russlands bzw. der Sowjetunion, Spaniens oder der Tschechischen Republik. Der lexikalische Inhalt
des Werkes erfährt mit 1465 Abbildungen und Organigrammen eine zusätzliche Bereicherung. Hunderte Literaturund Quellenhinweise geben darüber
hinaus dem wissenschaftlichen Nutzer
Anregungen für weitere Forschungen.
Rüdiger Wenzke
20. Juli 1944
P
eter Steinbach ist einer der bekannteren deutschen Autoren zur Geschichte des Widerstands gegen den
Nationalsozialismus. Aus Anlass des
60. Jahrestages von Attentat und Staatsstreichversuch hat er einige bereits
früher erschienene Aufsätze in einem
ansprechend gestalteten Band zusammengefasst und neu veröffentlicht.
Steinbach stellt konsequent die Vorstellung heraus, die Militärs im Widerstand hätten sich von Anfang an dem
Primat der Politik gebeugt. Nicht ein
Peter Steinbach,
Der 20. Juli 1944.
Gesichter des
Widerstands,
München 2004.
ISBN 3-88680-155-1;
352 S., 24,– €
Militärputsch, sondern die Wiedererrichtung des Rechtsstaats sei beabsichtigt gewesen – ein Gegensatz, der vielleicht nicht zwingend ist. Nach einer
Einführung (die 1984 erstmals erschien)
stellt Steinbach mehrere Protagonisten
des Widerstands in neun biografischen Skizzen vor. Vielleicht ist es seiner Grundthese geschuldet, dass darunter kein einziger Berufssoldat ist.
Der Band schließt mit einer Schilderung der nationalsozialistischen Verfolgung des Widerstands und einem einordnenden Schlusskapitel. Es geht in
diesem Buch nicht um neue Erkenntnisse oder Forschungsergebnisse, sondern um eine »auf die Verfassungsinhalte bezogene, wertgeprägte und zielorientierte Widerstandsdiskussion«.
Wer weniger historische Fakten und
kritische Analyse, und stattdessen eine
Einordnung des Widerstands als Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland sucht, dem sei dieser Band empfohlen.
Winfried Heinemann
Öffnungszeiten, Ansprechpartner und
ein Internetlink aufgeführt. Dass dies
nicht ein bloßer »Reiseführer des Grauens« ist, verhindert eine umfangreiche
Ergänzung mit Texten zu pädagogischen Erfahrungen und Empfehlungen. Sehr hilfreich ist auch der Teil
zu Organisation und Finanzierung der
Gedenkstättenfahrten. Hier haben die
Bearbeiter wertvolle Hinweise zu Institutionen der politischen Bildung und
der Jugendarbeit zusammengetragen.
Schließlich werden einige Projekte aus
der Praxis detaillierter beschrieben
sowie Literaturhinweise und Internettipps aufgeführt. Alles in allem ein
Handbuch, das auch über die Grenzen
Nordrhein-Westfalens hinaus nutzbringend in der Planung von Gedenkstättenbesuchen eingesetzt werden kann.
Klaus Ahlheim u.a (Bearb.),
Gedenkstättenfahrten: Handreichung für
Schule, Jugend- und Erwachsenenbildung
in Nordrhein-Westfalen, Schwalbach/Taunus
2004. ISBN 3-89974-111-0; 154 S.,
12.80 €
Historische
Bildung
unterwegs
Genozid
in Afrika
L
Z
ernen am Ort des historischen
Geschehens ist eine wichtige Ergänzung der politischen und historischen Bildung in den Streitkräften. Mit
dem neuen Führer werden nicht nur
Hinweise zu Gedenkstätten im Bundesland Nordrhein-Westfalen gegeben.
Über das bevölkerungsreichste Bundesland hinaus werden Gedenk- und Lernorte der Geschichte des »Dritten Reiches« in Deutschland, Polen und Tschechien beschrieben. Auf ein bis zwei
Seiten werden jeweils eine Gedenkstätte, deren pädagogisches Angebot,
hb
eitgeschichte entzieht sich oft der
genauen Betrachtung durch die
auf den ersten Blick positive Tatsache,
dass man ja selbst irgendwie dabei war
und noch Zeitzeugen befragen kann.
Wir stehen aber im »Dunkel des gelebten Augenblicks« (Ernst Bloch), wenn
es darum geht, Ursachen, Handlungsstränge und Folgen einer aktuellen Entwicklung zu beschreiben. Das preisgekrönte Buch des französischen Journalisten Jean Hatzfeld enthält Eindrücke und Zeitzeugenberichte von einem
Völkermord in Ruanda, der 1994 fast
Jean Hatzfeld,
Nur das nackte Leben.
Berichte aus den Sümpfen
Ruandas, Gießen 2004.
ISBN 3-89806-933-8; 251 S.,
19,90 €
unbemerkt von der übrigen Welt stattfand. Ein Glossar, eine Chronologie
und eine Abhandlung über Genozid
und kollektives Trauma helfen bei der
Einordnung des grausamen Inhalts.
In etwa zehn Wochen wurden mehrere hunderttausend Tutsi von ihren
Nachbarn und Mitbürgern vom Stamm
der Hutu ermordet. Genauere Opferzahlen sind immer noch nicht verfügbar. Treffender als Zahlen beschreiben
die Aussagen der Überlebenden das
Grauen. Dabei gibt Hatzfeld seinen
Kapiteln harmlose Namen und schildert jeweils zu Beginn friedliche Szenen
oder gibt landeskundliche Hinweise,
bevor er den Zeugen selbst die Beschreibung ihrer Erlebnisse überlässt.
Da werden der heutige Kaufladen in
der Hauptstraße von Nyamata und
seine Besitzerin Marie-Louise in den
wärmsten Farben beschrieben und im
nächsten Moment hat Marie-Louise
selbst das Wort und erzählt, wie ihr
Mann erschossen, ihre Schwiegermutter »zerfleischt« und ihr Hab und Gut
geplündert wurde. Sie selbst wurde
von ihrem Hutu-Nachbarn gerettet, der
aber auch ihr Geld und zwei Häuser als
Gegenleistung erhielt. Der Leser fragt
sich, was er im April 1994 eigentlich
selbst gemacht hat, wenn Marie-Louise feststellt: »Ich glaube auch, dass die
Ausländer vor lauter Mitleid gar nicht
wieder zu sich kämen, wenn sie all
das aus der Ferne sehen würden, was
wir während des Völkermordes erlitten haben. Deswegen betrachten sie es
auch lieber aus der Ferne.«
hb
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
27
Service
•Berlin
Der Bodensee-Wasserflug
1913 und Coverstory –
Kunst und Verpackung
Ausstellungen
S-Bahn: Stationen »Hackescher
Markt« und »Friedrichstraße«;
U-Bahn: Stationen »Französische Straße«, »Hausvogteiplatz« und »Friedrichstraße«;
Bus: Linien 100, 157, 200 und
348, Haltestellen: »Staatsoper«
oder »Lustgarten«
Mythen der Nationen. 1945
– Arena der Erinnerungen
Luftwaffenmuseum der
Bundeswehr
Groß-Glienicker Weg
14089 Berlin-Gatow
Telefon: (0 30) 8 11 07 69
Telefax: (0 30) 36 43 11 98
e-mail:
[email protected]
www.luftwaffenmuseum.de
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 17.00 Uhr
(letzter Einlass 16.00 Uhr)
25. Juni 2004 bis
9. Januar 2005
Namibia – Deutschland:
eine geteilte Geschichte.
»Widerstand – Gewalt –
Erinnerung«
Deutsches Historisches
Museum
Ausstellungshalle von
I.M. Pei
Hinter dem Gießhaus 3
10117 Berlin
Telefon: (0 30) 20 30 40
Telefax: (0 30) 20 30 45 43
www.dhm.de
täglich
10.00 bis 18.00 Uhr
25. November 2004 bis
13. März 2005
Verkehrsanbindungen:
ð
28
Deutsches Historisches
Museum
Ausstellungshalle von
I.M. Pei
Hinter dem Gießhaus 3
10117 Berlin
Telefon: (0 30) 20 30 40
Telefax: (0 30) 20 30 45 43
www.dhm.de
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr
2. Oktober 2004 bis
27. Februar 2005
Verkehrsanbindungen:
S-Bahn: Stationen »Hackescher
Markt« und »Friedrichstraße«;
U-Bahn: Stationen »Französische Straße«, »Hausvogteiplatz« und »Friedrichstraße«;
Bus: Linien 100, 157, 200 und
348, Haltestellen: »Staatsoper«
oder »Lustgarten«
•Delitzsch
Wege zur Freundschaft.
Ausgewählte Zeugnisse
der deutsch-amerikanischen Beziehungen
1507 bis 1995
Heeresunteroffizierschule I
Feldwebel-Boldt-Kaserne
Fw-Boldt-Str. 1
04509 Delitzsch
Telefon: (0 34 20) 27 70
Täglich geöffnet,
Besuch von Nichtangehörigen der Bundeswehr nach
Absprache möglich
14. September bis
1. Dezember 2004
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
•Dresden
Zwischen Arsenal und Moderne. »Hinterlassenschaften
aus fünf Jahrhunderten« und »Deutsche Militärgeschichte
1945 bis 1970«
Militärhistorisches Museum, Olbrichtplatz 3, 01099 Dresden
Telefon: (03 51) 82 30, Telefax: (03 51) 8 23 28 05
e-mail: [email protected]
www.MilHistMuseum.de
Dienstag bis Sonntag
09.00 bis 17.00 Uhr
Dauerausstellung
Verkehrsanbindungen:
Parkplatz am Museum;
öffentliche Verkehrsmittel:
Linien 7, 8, 91 bis Haltestelle
»Militärhistorisches Museum«
•Hamm
Pharao siegt immer –
Krieg und Frieden im
Alten Ägypten
Gustav-Lübcke-Museum
Neue Bahnhofstraße 9
59065 Hamm
Telefon: (0 23 81) 17 57 14
Telefax: (0 23 81) 17 29 89
email:
[email protected]
www.hamm.de/gustav-luebcke-museum/
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 7,00 €,
ermäßigt: 5,00 €
21. März bis
31. Oktober 2004
Verkehrsanbindungen:
Das Museum liegt in
unmittelbarer Nähe des
Hauptbahnhofs
•Hildesheim
mit Buslinien 21, 61, 62
bis »Lutherkirche«
Aufstand des Gewissens.
Militärischer Widerstand
gegen das NS-Regime
1933 – 1945
•Osterholz
Scharmbeck
Deutsche Jüdische
Soldaten
Nachschubschule
des Heeres
Rathaus Hildesheim
Markt 1
31154 Hildesheim
Telefon: (05 11) 32 73 63
Telefax: (05 11) 3 63 28 45
e-mail:
[email protected]
Montag bis Freitag
8.00 bis 18.00 Uhr
3. bis 15. Dezember 2004
•Ingolstadt
125 Jahre Bayerisches
Armeemuseum –
Zeugnisse deutscher
Geschichte
Neues Schloss und
Reduit Tilly
Paradestraße 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (08 41) 9 37 70
Telefax: (08 41) 9 37 72 00
e-mail:
[email protected]
www.bayerischesarmeemuseum.de
Dienstag bis Sonntag
8.45 bis 16.30 Uhr
15. Juni 2004 bis
28. März 2005
ð
Walther Rathenau
Verkehrsanbindungen:
Nächstgelegene Bushaltestellen: »Roßmühlstraße/
Paradeplatz« oder »Rathausplatz«
• Koblenz
Verkehrsanbindungen:
mit der Deutschen Bahn bis
Bahnhof »Ehrenbreitstein Bf,
Koblenz«, auf die Festung
gelangt man von dort mit
einem Sessellift (Fahrzeiten:
täglich 9.00 bis 17.50 Uhr)
Der Traum vom Fliegen
•Osnabrück
Landesmuseum Koblenz
Festung Ehrenbreitstein
56077 Koblenz
Telefon: (02 61) 9 70 30
Telefax: (02 61) 70 19 89
e-mail:
[email protected]
www.landesmuseumkoblenz.de
täglich
9.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 2,00 €,
ermäßigt: 1,50 €
1. Juli bis
14. November 2004
ð
Aufstand des Gewissens.
Militärischer Widerstand
gegen das NS-Regime
1933 – 1945
Graf Stauffenberg
Gymnasium Osnabrück
Gottlieb Planck Straße 1
49080 Osnabrück
Telefon: (05 41) 3 80 31
Telefax: (05 41) 3 80 31 39
Montag bis Freitag
8.00 bis 16.00 Uhr
1. bis 26. November 2004
Verkehrsanbindungen:
Vom Hauptbahnhof mit
der Buslinie 51 bis
Haltestelle »Magdalenenstraße«, mit Buslinie 71
bis »Welhornstraße«,
ð
Lucius D. Clay Kaserne
27711 Osterholz
Scharmbeck (b. Bremen)
Telefon: (0 47 95) 94 20 26
13. Oktober bis
17. November 2004
•Rastatt
Gegen Diktatur –
demokratischer Widerstand in Deutschland
1933 – 1945 / 1945 – 1989
Erinnerungsstätte für die
Freiheitsbewegungen in
der deutschen Geschichte
Schloß Rastatt
Herrenstraße 18
76437 Rastatt
Telefon: (0 72 22) 77 13 90
Telefax: (0 72 22) 77 13 97
e-mail:
[email protected]
www.erinnerungsstaetterastatt.de
Dienstag bis Sonntag
9.30 bis 17.00 Uhr
Eintritt frei
30. September 2004
bis 9. Januar 2005
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
29
17. November 1994
Geschichte kompakt
Spion »Topas« verurteilt
Am 17. November 1994 verurteilte das Düsseldorfer Oberlandesgericht den
ehemaligen DDR-Spion Rainer Rupp (Deckname »Mosel«, ab 1979»Topas«)
zu 12 Jahren Haft wegen schweren Landesverrates.
Rainer Rupp, aufgewachsen in der Nähe von Trier, war schon 1968 als Student der Volkswirtschaft von der DDR-Staatssicherheit (Stasi) in Mainz angeworben und als »Kundschafter« der Hauptverwaltung A (HV A) mit langfristiger Perspektive aufgebaut worden.
1974 bekam er eine Stelle in der Politischen Abteilung des NATO-Wirtschaftsdirektorates und 1977 nahm er seine Agententätigkeit auf. Bis 1989 übermittelte Rupp aus dem
NATO-Hauptquartier Brüssel rund 10 000 zum Teil hochbrisante Dokumente nach OstBerlin. 1993 wurde »Topas« mit seiner Ehefrau Christine-Ann (»Türkis«), die im NATOSicherheitsbüro als sein »Schutzwall« tätig war, verhaftet. Wohl auch weil das Paar drei
Kinder hatte, wurde Christine-Ann Rupp nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. 1998
appellierten 40 Prominente an Bundespräsident Roman Herzog, Rainer Rupp zu begnadigen. Ende des Jahres wurde Rupp in den offenen Vollzug verlegt und 2000 vorzeitig aus
der Haft entlassen.
Rainer Rupp ist neben dem Kanzleramtsspion Günter Guillaume der bekannteste DDRAgent. Quellen sprechen von insgesamt ungefähr 300 Verurteilungen wegen DDR-Spionage und 800 Verfahrenseinstellungen gegen Zahlung von Bußgeldern bis 200 000 DM.
hb
16. Dezember 1944
Heft 4/2004
Service
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Ü Vorschau
Der äußerste Norden Europas lag im 20. Jahrhundert im Interessengebiet Deutschlands.
Der nördliche Ostseeraum war gerade in
militärischer Hinsicht für das Deutsche Reich
von Bedeutung. Als Folge des Zusammenbruchs des Zarenreiches gegen Ende des
Ersten Weltkrieges veränderte sich die Landkarte gewaltig. So entstand im Norden im
Jahr 1917 ein neuer selbständiger Staat: Finnland. Eine wesentliche Rolle spielte hierbei
das Deutsche Kaiserreich:
Beginn der Ardennenoffensive
»Soldaten der Westfront! Eure große
Stunde hat geschlagen! Starke Angriffsarmeen sind heute gegen den AngloAmerikaner angetreten. Mehr brauche
ich Euch nicht zu sagen. Ihr fühlt es
alle: Es geht ums Ganze! Tragt in Euch
die heilige Verpflichtung, alles zu geben
und Übermenschliches zu leisten für
5
unser Vaterland und unseren Führer!
US-Soldaten der 7th Armoured Division im heftig
Der Oberbefehlshaber West, gez. Gerd
umkämpften St. Vith, Jahreswende 1944/45
von Rundstedt, Generalfeldmarschall«.
Dieser Tagesbefehl spricht nicht von ungefähr von übermenschlichen Leistungen, denn
was Rundstedt hier forderte, war selbst seiner Ansicht nach unrealistisch.
Die Offensivplanungen stellten eine magere Variante des »Sichelschnitt-Planes« von
1940 dar: Die gemeinsame Front der Briten und US-Amerikaner sollte durchbrochen,
dadurch die nach Hitlers Meinung schon brüchige Koalition der Gegner aufgelöst und
in Folge dessen den deutschen Truppen der freie Rücken für den »Endsieg« im Osten verschafft werden.
Rundstedt und der mit der Offensive beauftragte Generalfeldmarschall Walter Model
wussten, dass Hitlers Idee der »großen Lösung« eines Angriffs von Monschau–Trier durch
die Ardennen über Namur–Liege bis nach Antwerpen in sieben Tagen illusorisch war,
planten aber trotzdem die Operation mit über 200 000 Mann. Hitler hatte Model am Vorabend der Offensive zwei Seiten Anweisungen geschickt, die mit der Bemerkung schlossen: »Wenn diese Grundsätze für die Führung der Operation befolgt werden, ist ein großer
Erfolg sicher.«
Nach Anfangserfolgen wurde aber schnell deutlich, dass nicht einmal die Zwischenziele an der Maas erreicht werden konnten. Logistische Fehlplanungen gingen sogar von
der Eroberung der alliierten Treibstoffbestände für das Erreichen des Angriffszieles aus.
Solche Eroberungen gelangen jedoch nicht. Vielmehr kam es unterwegs allein wegen des
Betriebsstoffmangels fast zum totalen Verlust der Panzerwaffe.
Da die Luftüberlegenheit längst bei den Alliierten lag, wurde bereits in der Planung das
schlechte Wetter zur Bedingung des deutschen Vormarsches. Weihnachten 1944 klarte es
jedoch auf und die alliierten Bomben- und Tieffliegerangriffe setzten wieder ein. Ende
Dezember war das Scheitern der Offensive unübersehbar. Am 2. Februar 1945 standen
die deutschen Truppen wieder in ihren alten Stellungen; die operative Reserven waren vernichtet, 77 000 alliierte und 90 000 deutsche Soldaten waren gefallen. Nach dieser letzten
großen Offensive wurde das Deutsche Reich weiter in seinen selbstverschuldeten Untergang gerissen.
hb
ullstein - LEONE
30
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
5 Finnische Freiwillige der 2. Kompanie des
Königlich Preußischen Jägerbataillons Nr. 27
Foto: Bertil Olofsson/Krigsarkivet, Stockholm
Auf abenteuerlichen Wegen trafen ab 1915
junge Männer, meist Studenten in Deutschland ein, um durch preußischen Drill auf
eine spätere Rolle als Freiheitskämpfer gegen
Russland vorbereitet zu werden. Die jungen
Finnen formten ein eigenes Bataillon, das
Königlich Preußische Jägerbataillon Nr. 27,
das unter anderem an der nördlichsten
Stelle der deutschen Ostfront im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde. Was führte diese
jungen Männer freiwillig auf einen preußischen Truppenübungsplatz? Schließlich waren preußische Kasernenhöfe nicht gerade als
Hort der Freiheit bekannt! Was versprach sich
die deutsche militärische Führung davon,
Untertanen des russischen Zaren gegen eben
diesen einzusetzen? Was waren die strategischen Ziele im Ostseeraum? Was forderte der
Kaiser, was plante die Marine und was tat
die Heeresleitung?
In der nächsten Ausgabe der Militärgeschichte werden die deutschen militärischen
Beziehungen zum hohen Norden Europas
thematisiert, die sich im selben Jahrhundert
in unterschiedlichen Zeiten höchst unterschiedlich gestalteten.
aak
Militärgeschichte im Bild
Eine Stunde Null?
Deutsche Soldaten als Hilfstruppen der
westlichen Besatzungsmächte 1945–1958
A
ls am 8. Mai 1945 die Wehrmacht kapitulierte und der
Krieg in Europa endete, bedeutete dies keineswegs das Ende ihrer
Existenz: offiziell wurde sie erst am 20.
August 1946 aufgelöst und bis dahin
blieben auch ihre Organisationsstrukturen teilweise erhalten. Noch während dieser Übergangsphase begannen die westlichen Besatzungsmächte
Großbritannien, USA und Frankreich
aus deutschen Kriegsgefangenen und
Freiwilligen Hilfskräfte zu rekrutieren.
bände unter Beibehaltung alter Einsatzstrukturen mit deutschen Booten, Uniformen und Rangabzeichen eingesetzt.
Es durften sogar Orden und Ehrenzeichen getragen werden, sofern diese
keine nationalsozialistischen Embleme
enthielten. Später wurde eine blaugefärbte britische Uniform mit abgewandelten Dienstgradabzeichen eingeführt. Als der Deutsche Minenräumdienst am 31. Dezember 1947 aufgelöst
wurde, endete für gut 16000 Angehörige ein eigentümliches Wehrverhält-
5 Minensuchboot Skorpion (SK), erbaut 1942 als R 120 für die Deutsche Kriegsmarine,
ab 1945 bei der GMSA Foto: Wehrgeschichtliches Ausbildungszentrum der Marineschule Mürwik
Sie beseitigten Kriegsfolgen (Kampfmittelräumung, Reparatur militärischer Einrichtungen und der Infrastruktur allgemein) oder übernahmen
Bewachungsaufgaben und entlasteten
so die Besatzungstruppen, welche nach
und nach demobilisiert wurden. Diese
so genannten Dienstgruppen aus deutschen Kriegsgefangenen wurden ab
Herbst 1945 unter den Bezeichnungen
FA (Formation auxilaire) in der französischen, Labor Service (LA) bzw.
Labor Service Units (LSU) in der amerikanischen und GSO (German Service
Organization) in der britischen Zone
geführt.
Die bekannteste und effektivste
Einrichtung dieser Art war der Deutsche Minenräumdienst (German Mine
Sweeping Administration = GMSA).
Nur eine Woche nach der Kapitulation
wurden die Befehlsverhältnisse zwischen dem weiterhin existierenden
Oberkommando der Kriegsmarine
(OKM) und dem britischen Flottenkommando geregelt. Bis November
1945 wurden diese Minenräumver-
nis: sie waren keine Kriegsgefangenen
gewesen, sondern besaßen den Status
des »Surrendered Enemy Personal«,
also von Feindpersonal, welches sich
ergeben hatte. Reste des GMSA fanden
sich ab dem 1. Januar 1948 im Minenräumverband des Zollgrenzschutzes
Cuxhaven wieder, welcher nach erneuter Reduzierung ab Juli 1951 in die
Labor Service Unit B(ravo) integriert
wurde, die dem Commander US Naval
Advance Base Weser River in Bremerhaven unterstand. Ein Teil des Personals trat außerdem in den gerade
gegründeten Bundesgrenzschutz (See)
über. Nach der Aufstellung der Bundeswehr wurde 1956 der Großteil der
Labor Service Unit B (60 Offiziere und
520 Unteroffiziere und Mannschaften)
von der jungen Marine der Bundesrepublik Deutschland übernommen.
Auch an Land hatte sich zwischenzeitlich die Struktur der Dienstgruppen verändert. So stellten die US-Streitkräfte für militärpolizeiliche Dienste
wie die Bewachung von Sammelplätzen für Kriegsmaterial, Gebäude,
Messen, Versorgungs- und Nachschublager Gruppen auf, die im Februar 1947
direkt dem Office of Provost Marshal
(Militärpolizei = MP) unterstellt und
einheitlich uniformiert und bewaffnet
wurden. Hieraus ging im November
1947 die Industrial Police Division
(Industriepolizei) hervor, die 1949 noch
9000 Mann umfasste, allerdings nicht
nur Deutsche, sondern auch so genannte displaced persons, hauptsächlich ehemalige polnische Zwangsarbeiter, die nicht in das nun kommunistische Polen zurückkehren wollten. Die
Industriepolizei wurde 1950 aufgelöst
und in die Labor-Service-Wacheinheiten integriert.
Der am 25. Juni 1950 ausgebrochene
Koreakrieg führte zu einem starken
Ausbau der Hilfstruppen (die 1952
immerhin ca. 80000 Mann umfassten),
um alliierte Ressourcen für den Einsatz in Ostasien freizusetzen. So zählte
1953 das britische Kontingent 28000
Mann, die kaserniert untergebracht
waren und sich aus Arbeits-, Transport-, Wachspezialverbänden, RoyalAir-Force- und Traffic- Controllgruppen zusammensetzten. Die LSU in
der amerikanischen Besatzungszone
verfügten sogar über Pionier- und
Panzerinstandsetzungseinheiten.
Zwischen 1945 bis zur endgültigen
Auflösung 1958 waren mehrere zehntausend ehemalige deutsche Offiziere
und Soldaten aktiv für die Besatzungsmächte tätig. Im März 1955, kurz vor
der Aufstellung der Bundeswehr, dienten noch etwa 54000 Mann in den
Dienstgruppen und ein Teil von ihnen –
vorzugsweise Spezialisten für amerikanisches Kriegsgerät – wurde anschließend von der neu aufgestellten Bundeswehr übernommen.
Gerhard Wiechmann
Literaturtipp:
H.-L. Borgert, W. Stürm, N.Wiggershaus,
Dienstgruppen und westdeutscher Verteidigungsbeitrag. Vorüberlegungen zur Bewaffnung
Der Bundesrepublik Deutschland, Boppard/Rh.
1982 (=Militärgeschichte seit 1945, 6)
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2004
31
Marineschule Mürwik
N E U E P U B L I K ATIONEN DES MGFA
Rolf Hobson,
Maritimer Imperialismus.
Seemachtideologie, seestrategisches
Denken und der Tirpitzplan 1875 bis 1914.
Aus dem Englischen übersetzt von Eva
Besteck. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen
Forschungsamt, Potsdam, und dem
Institut für Verteidigungsstudien, Oslo,
München: Oldenbourg 2004; X, 388 S.
(= Beiträge zur Militärgeschichte, 61)
ISBN: 3-486-56671-7
Preis: 34,80 €
Auf breiter Quellen- und Literaturgrundlage wendet sich die Arbeit von
Rolf Hobson der Frage nach den maritimen Verteidigungsbedürfnissen
des Deutschen Reiches zu und gelangt dabei zu einer neuen Deutung
der deutschen Flottenrüstung vor dem Ersten Weltkrieg.
Der Autor bezieht die mit dem Zeitalter des ›industrialisierten
Volkskrieges‹ sich rapide verändernden politischen, technologischen,
wirtschaftlichen und völkerrechtlichen Bedingungen in seine
Untersuchung mit ein. Er richtet ein besonderes Augenmerk auf
den Aspekt des Seerechtes, das als Ausdruck des realen maritimen
Kräfteverhältnisses in der Dreiecksbeziehung zwischen den beiden
Kriegsparteien und den Neutralen dem Gebrauch von Seemacht als
Instrument eines Wirtschaftskrieges Schranken auferlegte.
Hobson gelingt der Nachweis, daß sich aufgrund einer selektiven
Rezeption des Navalisten Mahan das ursprünglich militärisch begründete Kalkül der deutschen Flottenrüstung zu dem in sich widersprüchlichen Abschreckungskonzept der Risikoflotte wandelte, welches mit
zuvor schon gewonnenen Einsichten unvereinbar war.
Der vergleichende Blick auf parallele Ausprägungen des Navalismus
in Rußland und in Österreich-Ungarn unterstreicht den Befund, daß
das Besondere der Wilhelminischen Seerüstung nicht in einer
›innenpolitischen Krisenstrategie‹, lag, sondern in der dem Staatssekretär Admiral Tirpitz eigenen ›politischen‹ Deutung der Seemacht.
Albert Hopman,
Das ereignisreiche Leben
eines ›Wilhelminers‹.
Tagebücher, Briefe, Aufzeichnungen
1901 bis 1920.
Im Auftrag des Militärgeschichtlichen
Forschungsamtes, Potsdam.
Hrsg. von Michael Epkenhans,
München: Oldenbourg 2004, XII, 1231 S.
(= Beiträge zur Militärgeschichte, 62)
ISBN: 3-486-56840-X
Preis: 49,80 €
Die wissenschaftliche Edition der
Tagebücher, Briefe und Aufzeichnungen
von Vizeadmiral Albert Hopman
(1865–1942), einem der ranghöchsten
Admirale der Kaiserlichen Marine, erlaubt
einen tiefen Einblick in den Alltag eines
Marineoffiziers in den ersten zwei
Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.
Darüber hinaus ermöglicht sie es,
wichtige außen- und marinepolitische
Entscheidungen in den Jahren vor 1914
und während des Ersten Weltkrieges
nachzuzeichnen.
Hopmans Aufzeichnungen, vor allem
seine Schilderungen führender
Persönlichkeiten wie Wilhelm II.,
Tirpitz und Bethmann Hollweg,
bestätigen einmal mehr in höchst
anschaulicher Form die These vom
»polykratischen Chaos« an der Spitze
des Deutschen Reiches.
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