Pdagogische Aspekte des Freiwilligendienstes

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Josef Freise
Religiöse Konflikte in der Einwanderungsgesellschaft. Zu Hintergründen
und sinnvoller Umgangsweise 1
1. Einführung
Religiöse und religiös aufgeladene Konflikte im Kontext von Migration sind erst seit relativ
kurzer Zeit ein öffentliches Thema in Deutschland. Lange Zeit hat die deutsche Öffentlichkeit
kaum realisiert, dass die türkischen „Gastarbeiter“ muslimischen Glaubens sind; der
muslimische Glaube war vielleicht ein Thema in den Firmenkantinen bei der Frage, ob es
beim Mittagsmenu Alternativen zum Schweinefleischgericht gibt, wurde darüber hinaus aber
kaum bedeutsam. Spätestens seit dem 11. September 2001 ist der Islam ein Streitpunkt:
Zuwanderer muslimischen Glaubens definieren sich selbst zunehmend religiös, und Teile der
einheimischen community fragen, ob der Islam als Religion mit der westlichen Werteordnung
und der Demokratie kompatibel sei. Weniger offensichtlich sind Konflikte mit christlich
freikirchlichen Spätaussiedlern aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, die in einer
engen Bibelauslegung Anstoß an der Evolutionslehre nehmen und kreationistische
Vorstellungen in die Schulen tragen. Sie sind der Überzeugung, der biblische
Schöpfungsbericht sei wörtlich zu nehmen und Gott habe die Welt in sieben Tagen
erschaffen. Die jüdischen Synagogen in Deutschland wachsen, seitdem auf Initiative der
ersten frei gewählten DDR-Regierung unter de Maizière jüdische Kontingentflüchtlinge aus
der Sowjetunion ab dem Jahr 1990 nach Deutschland ausreisen durften. Jüdische Mitbürger
selbst beklagen den wachsenden Antisemitismus in Deutschland; Synagogen und andere
jüdische Einrichtungen stehen bei uns in Deutschland unter ständigem Polizeischutz.
Religiöse Konflikte mit den wachsenden jüdischen Synagogengemeinden sind nicht bekannt:
Was Juden und Muslime verbindet, ist das Schächten der Tiere, d. h. das Töten von Tieren
ohne Betäubung. Es wird ihnen durch gerichtliche Entscheide mit Ausnahmegenehmigung
unter bestimmten Bedingungen zugestanden. Auch die bei Juden und Muslimen religiös
verankerte Beschneidung der Jungen, die man säkular als Körperverletzung deuten könnte, ist
als rituelle Handlung respektiert. Die Beschneidung von Mädchen, die damit nicht
vergleichbar ist und als unmenschliche Verstümmelung gebrandmarkt und geächtet werden
muss, hat in den so genannten Hadithen, den von islamischen Gelehrten gesammelten
Überlieferungen, nur einen ganz schwachen Bezug und wird von islamischen Autoritäten
durchweg klar abgelehnt; die kulturellen Wurzeln, die insbesondere in Afrika liegen, müssen
durch Bewusstseinsbildung und durch Gesetze gekappt werden.
Religiöse Konflikte gibt es im Wesentlichen mit fundamentalistischen Ausrichtungen, die es
in jeder Religion gibt: bei Hindus und Buddhisten, bei den ultraorthodoxen Juden, bei
christlichen Sektierern und muslimischen Fundamentalisten. Im Folgenden werden zuerst
unterschiedliche Religionsformen und –ausrichtungen unterschieden. Danach werden die
Vorwürfe gegen den Islam vorgestellt und reflektiert, wie die religiösen und religiös
aufgeladenen Konflikte mit muslimischen Mitbürgern, die mehrheitlich einen
Migrationshintergrund haben, den entscheidenden Sprengstoff für Probleme im
gesellschaftlichen Miteinander darstellen. Diese Schwerpunktsetzung darf aber nicht darüber
1
Dieser Text entstand auf der Basis eines Vortrags auf der Tagung zu „Religion und Migration im Spiegel
politischer und sozialer Konflikte“. Die Tagung wurde organisiert von der Hessischen Landeszentrale für
politische Bildung in Kooperation mit dem Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt / Main,
der Katholischen Erwachsenenbildung Frankfurt / Main und der Evangelischen Stadtakademie Frankfurt, in der
die Fachtagung am 21.4.2007 stattfand.
hinwegtäuschen, dass auch im Christentum fundamentalistische Strömungen an Terrain
gewinnen. Dies gilt noch nicht so stark für Deutschland, aber hat in den USA erschreckende
Ausmaße. Der ehemalige Präsident und Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter weist in
seinem Buch „Unsere gefährdeten Werte“ (2006) auf den Fundamentalismus in der USRegierung hin. Die Neocons, die Neukonservativen, wie sich die Rechten in den USA nennen,
zu denen auch George Bush jun. zu zählen ist, kämpfen militant und aggressiv gegen
Abtreibung und Homosexualität und sehen Amerika als das Gelobte Land, das im Inneren mit
persönlichem Waffenbesitz und nach außen mit Kreuzzügen gegen Schurkenstaaten verteidigt
werden muss.
Solche extremen Gruppen instrumentalisieren die Religion. Es ist noch nicht ausgemacht, ob
dieser christliche Fundamentalismus von den USA nach Europa überschwappt und hier
ähnlichen Einfluss gewinnt, oder ob unsere europäische Tradition der Aufklärung hier ein
wirksames demokratisches Schutzschild darstellt. Wenn im Folgenden im Wesentlichen auf
den islamischen Fundamentalismus Bezug genommen wird, dann soll hier vorab nochmals
unterstrichen werden, dass Fundamentalismus kein spezifisch islamisches Phänomen darstellt.
2. Unterschiedliche Religionstypen: Religion ist nicht gleich Religion
Wenn wir von „Religion“ sprechen, müssen wir benennen, dass Religion Gutes und
Schlechtes bewirken kann. Religion kann das Beste im Menschen zum Tragen bringen und
Religion kann aber auch von Menschen missbraucht und verzerrt werden, so dass Menschen
andere zum Schlimmsten anstacheln, Hass säen und Krieg fördern.
Religionsphänomenologisch können religiöse Menschen in verschiedene Gruppen eingeteilt
werden. Die folgende Einteilung, die man sowohl auf Muslime als auch auf Christen beziehen
kann, trifft auch Aussagen über die Beziehung zu Menschen anderer Religionen. Als erste
Gruppe kann man die harten Traditionalisten benennen.
Sie sehen ihre eigene Religion als die einzig wahre an und die Welt wird erst dann gerettet,
wenn alle Menschen Anhänger der eigenen Religion geworden sind und sich zum wahren
Glauben bekannt haben. Andersgläubige werden als Ungläubige eingestuft und es wird der
Gesetzescharakter der Religion betont. Harte Traditionalisten sind nicht gleichzusetzen mit
gewalttätigen Extremisten, aber einige von ihnen sind für politischen Extremismus anfällig.
Die zweite Gruppe sind die gemäßigt traditionellen offenen Konservativen. Sie halten die
eigene Religion für die richtige und wahre Religion. Sie erkennen aber an, dass es auch in
anderen Religionen Wahrheit gibt. Ein Dialog mit anderen Religionen im gegenseitigen
Respekt der Personenwürde des anderen ist möglich.
Die dritte Gruppe kann als die Gruppe der Modernen, der religiösen Pluralisten bezeichnet
werden. Die religiöse Offenbarung wird als geheimnisvoll wahrgenommen. Letztlich ist Gott
verborgen und unser religiöses Wissen ist begrenzt. Wahrheit kann in jeder Religion gefunden
werden. Die verschiedenen Religionen haben eigenständige oder auch gleichwertige
Antworten auf die Offenbarung Gottes bzw. die Erfahrung der Transzendenz.
Zwischen den Gruppen gibt es fließende Übergänge. Traditionelle Konservative und moderne
Pluralisten unterscheiden sich u. a. in den Deutungen der heiligen Schriften: Konservative
halten stärker am Wortlaut fest und an Interpretationen aus der Tradition, während die
moderne Richtung die Zeitgebundenheit der heiligen Schriften betont. Konservative Christen
halten stärker an traditionellen vorgegebenen Formen des Gottesdienstes fest, während
moderne Christen mit neuen Gottesdienstgestaltungen experimentieren.
Diese schematische Unterscheidung von drei Religionstypen, wie sie von Mihciyazgan (2003)
und Knitter (1998) vorgenommen wird, hat notwendiger Weise stereotypisierenden Charakter.
Es gibt unterschiedliche Ausformungen einzelner Typen und sicher auch andere
Einteilungsmöglichkeiten. Man könnte als vierten Typ die „Kulturreligiösen“ hinzunehmen,
Menschen, die sich zwar einer Religion zuzählen, aber diese nicht praktizieren: Christen, die
allenfalls zu Weihnachten zum Gottesdienst gehen und Muslime, die sich ihrer Herkunft
bewusst sind, aber nicht regelmäßig beten oder fasten, aber durchaus Alkohol trinken.
Zu den einzelnen Religionstypen soll lediglich gesagt werden, dass Gläubige die Aufgabe
haben, einen harten Traditionalismus zu verhindern. Zwischen den stärker
traditionsbewussten Konservativen und den so genannten Modernen ist ein ständiger Dialog
darüber notwendig, was in der eigenen Religion unaufgebbar ist und was nicht mehr
zeitgemäß ist und verändert werden muss.
Welchen Religionstypen rechnen sich die ca. 3 Mio. Muslime sunnitischer, schiitischer,
alevitischer und anderer Glaubensrichtung in Deutschland zu? Die interne Pluralität der
muslimischen community in Deutschland ist bezogen auf die nationale, ethnisch-kulturelle
Herkunft, auf die sozio-ökonomische Situation, den Bildungsstand und die „religiöskomfessionelle“ Ausrichtung sehr groß. Der Bericht der Beauftragten der Bundesregierung
für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer
in Deutschland vom August 2005 betont: "Die große Mehrheit der Menschen muslimischen
Glaubens in Deutschland weist keine Nähe zum islamistischen Extremismus auf... Nach
Verfassungsschutzbericht gelten rund 1 Prozent der muslimischen Bevölkerung in
Deutschland als Anhänger islamistischer Organisationen. Von ihnen gehört der überwiegende
Teil zur Anhängerschaft von Mili Görüs und damit zur größten nichtstaatlichen türkischen
Organisation und nicht zum gewaltbereiten oder zum gewaltaufrufenden Spektrum" ((Bericht
2005, 228 f.). Genauere quantitative Untersuchungen liegen nicht vor, weil es im Islam keine
eingetragenen Mitgliedschaften und Mitgliederlisten gibt.
Wir können aufgrund qualitativer Studien vorsichtig schätzen:
- Nur eine äußerst kleine Gruppe von Muslimen zählt zum Spektrum derer, die zur
Gewalt aufrufen.
- Ein beträchtlicher Teil der Muslime in Deutschland dürfte sich als „Kulturmuslime“
ohne religiöse Bindung verstehen.
- Bei der Mehrheit der Muslime gibt es harte Traditionalisten, offene Konservative und
Moderne mit fließenden Übergängen. Die Anzahl der harten Traditionalisten, mit
denen die meisten Konflikte zu vermuten sind, ist nicht benennbar, aber sie scheint
zuzunehmen.
3. Konfliktfelder im Umgang mit dem Islam
Im Umgang mit dem Islam werden in der Öffentlichkeit immer wieder Vorwürfe erhoben, die
hier benannt und reflektiert werden sollen:
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Die islamische Rechtssprechung, die Scharia, so ein Vorwurf, sei nicht mit
demokratischen Lebensweisen vereinbar: Für einzelne Vergehen wie schweren Raub,
außerehelichen Geschlechtsverkehr und Alkoholgenuss werden Körperstrafen vom
Auspeitschen über das Abhacken von Händen und Füßen bis hin zur Hinrichtung im
Koran angeführt.
Der Islam, so eine weitere Meinung, sei nicht friedensfähig, weil er andere Religionen
letztlich nicht akzeptiere und zum Djihad, zum heiligen Krieg, aufrufe. Bei Abfall
vom Islam und bei Konversion vom Islam zu einer anderen Religion drohe die
Todesstrafe.
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Zentrales Problem sei die fehlende Gleichstellung der Frau. Im Erb- und
Scheidungsrecht werde die Frau benachteiligt; als Zeugin zähle das Wort einer Frau
weniger als das Wort eines Mannes, und das einseitige Recht des Mannes auf
Polygamie diskriminiere die Frau ebenso wie arrangierte Ehen oder gar Zwangsehen.
Der Zwang zum Tragen eines Kopftuches wird als Zeichen der Unterdrückung der
Frau gedeutet; das Schlagen der Frau werde im Koran gerechtfertigt. Im Konzept der
Ehre mit dem Zwang zur Jungfräulichkeit bis zur Ehe werde die Frau vom Mann
unterdrückt; Ehrenmorde als Konsequenz nach einem Bruch der Ehrvorstellungen
werden als Beweis für die Untragbarkeit des Islam angeführt.
Verstärkt werden Vorbehalte gegenüber muslimischen Mitbürgern durch
Alltagskonflikte wie die Weigerung von einzelnen muslimischen Eltern, ihre Kinder
am Sexualkundeunterricht oder am koedukativen Sport- und Schwimmunterricht oder
an Klassenfahrten teilnehmen zu lassen. Auf dem Hintergrund solcher Einschätzungen
wenden sich Bürgerinitiativen gegen Moscheebauten – wie in Köln die rechtsextreme
Initiative „Pro Köln“, die seit der letzten Kommunalwahl mit mehreren Abgeordneten
im Stadtrat vertreten ist.
Im Folgenden soll auf die einzelnen angesprochenen Punkte eingegangen werden.
Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Aspekte wie der Ehrenmord überhaupt
keine Basis im Islam haben, sondern rein kulturellen Ursprungs sind. Bei Ramallah
(Palästina) wurde im Jahr 2006 eine Christin von ihrem Vater getötet, weil sie einen Muslim
heiraten wollte, und so wenig, wie man sagen kann, dass das eine typisch christliche Reaktion
sei, kann man den Ehrenmord als typisch muslimisch kennzeichnen.
Die anderen genannten Phänomene sind weitestgehend dem harten Traditionalismus und dem
fundamentalistischen Islamismus zuzuordnen und nicht dem Islam schlechthin. Diese
Unterscheidung ist notwendig, um zu einer sinnvollen Umgangsweise mit solchen
Phänomenen zu kommen.
Im einzelnen ist bei den vorgetragenen Konfliktpunkten Folgendes zu bebrücksichtigen:
Von der Scharia, dem islamischen Recht, haben wir in Deutschland im Großen und Ganzen
nur pauschale und stereotype Vorstellungen. „Scharia“ bedeutet Weg und gemeint ist
ursprünglich der Pfad in der Wüste, der zur Wasserquelle führt. Der Koran ist die erste Quelle
der Scharia, dazu kommt die „Sunna“, die Lebenspraxis des Propheten Mohammed, mit den
Überlieferungen seines Handelns und seiner Aussprüche, die in den Hadithen gesammelt
werden. Aus der unüberschaubar großen Fülle dieser Hadithen filtern islamische Gelehrte
diejenigen heraus, die als echte Hadithen anerkannt werden. Die unterschiedlichen
Auffassungen der verschiedenen Rechtsschulen, die es von Marokko über Saudi-Arabien bis
nach Indonesien dazu gibt, sind hier nicht bekannt und auch die Vielfalt der
Reformdiskussion wird hier nicht rezipiert. Einzelne islamische Länder wie Tunesien und
Jordanien haben beispielsweise die Polygamie verboten. Grundsätzlich gilt, dass Regelungen
der Scharia nur in einem islamischen Land zur Anwendung kommen und dass sich ein
Muslim in einem Land, das ihm ein sicheres Aufenthaltsrecht gewährt, an die Gesetze dieses
Landes halten muss (Rohe 2001, 87).
Djihad, oft übersetzt als „Heiliger Krieg“, bedeutet zunächst einmal „Anstrengung“,
„Bemühung“. Von Islamisten wird der Begriff instrumentalisiert, während Islamtheologen
durchweg auf den friedlichen Charakter des Islam abheben: Gewalt und Krieg seien nur im
Ausnahmefall der Selbstverteidigung erlaubt. Wir können problemlos Parallelen zum
Christentum ziehen, das entgegen der gewaltfreien Botschaft des Neuen Testaments immer
wieder als Rechtfertigung für Kreuzzüge und gerechte Kriege instrumentalisiert wurde und
wird.
Auch für die Bestrafung eines Religionswechsels sehen moderne Islamtheologen keine Basis
im Koran. Die Verfolgung von Glaubensabtrünnigen in den kriegerischen
Auseinandersetzungen mit den heidnischen Mekkanern und nach dem Tode Mohammeds sei
als eine Ausnahmesituation zu sehen, weil hier das junge islamische Staatswesen um sein
Überleben kämpfte und der Kampf gegen die Glaubensabtrünnigen müsse als Fahnenflucht
oder Hochverrat eingeschätzt werden (Rohe 2001, 48 f.). Im Glauben gibt es keinen Zwang –
diese zentrale Aussage des Koran gilt auch für den Umgang mit Konvertiten. Es bleibt Gott
überlassen, wie er den Glaubensweg von Menschen beurteilt und ob er eine Strafe im Jenseits
ausspricht.
Derzeit gibt es in Deutschland eine Gruppe ehemaliger Muslime, die ihre Abkehr vom Islam
und von der Religion insgesamt in Zeitungsanzeigen öffentlich machen. Sie beweisen Mut. Es
ist eine Tatsache, dass zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime in Deutschland
scheuen, ihre Konversion öffentlich zu machen. Sie befürchten gewaltsame Anschläge durch
fanatische Islamisten. Dass dies so ist, ist skandalös. Aber auch hier darf man nicht den
Muslimen etwas in die Schuhe schieben, was nicht von ihnen zu verantworten ist. Die
fanatischen Islamisten müssen bekämpft werden – ebenso wie rechtsextreme Fanatiker, die in
einigen von ihnen so genannten „befreiten Zonen“ dafür sorgen, dass Ausländer,
Andersfarbige, Homosexuelle sich dort nicht aufhalten; sie müssten mit gewaltsamen
Übergriffen rechnen. Allerdings muss sich die Mehrheitsgesellschaft sowohl der überwiegend
friedlichen Muslime, als auch der Christen und nichtreligiösen Menschen fragen, was sie tut,
um solche Übergriffe zu verhindern. In der Türkei haben Christen angesichts des
schrecklichen Anschlags auf einen Bibelverlag in Malatya, Ostanatolien, im April 2007 der
Regierung und der Öffentlichkeit vorgeworfen, sie schüre die Angst vor christlichen
Missionaren. Deshalb muss man fragen: Was tut die muslimische Community, um
Fanatismus und Sympathie mit Fanatikern gar nicht erst aufkommen zu lassen? Genau so ist
zu fragen: Was tun deutsche Politiker, Bürgermeister und Mitbürger in Kommunen, die von
Neonazis unterwandert werden, gegen den rechten Mob und gegen die Diskriminierung von
Migranten? Wenn insbesondere junge Muslime aus zugewanderten Familien das Gefühl
haben, hier in Deutschland nicht willkommen und Menschen zweiter Klasse zu sein, dann
wird damit möglicher Weise ein Grundstein für Fanatismus gelegt.
Die Unterdrückung der Frau im Islam ist ein komplexes Thema. Wenn der Koran nicht
buchstabengetreu fundamentalistisch gelesen wird, wenn vielmehr der Sinn der
Koranaussagen gesucht wird und eine Interpretation nach Zeit überdauernde Aussagen und
zeitgebundenen vorgenommen wird, dann kommen ganz erstaunliche Erkenntnisse zu Tage:
„Der Islam war seinem Wesen nach eine Botschaft, die als Gegenmodell zur Vorherrschaft
der Willkür und der Unterdrückung die Vernunft in die Sphäre des Denkens und die
Gerechtigkeit in die des sozialen Verkehrs etablieren wollte“ (Abu Zaid 1996, 63). Der Islam
hat die Rechtsstellung der Frau gegenüber der vorislamischen Zeit verbessert. Der Koran
gewährt erstmals der Frau ein – wenn auch beschränktes - Erbrecht. Im Sinne des Korans ist
es nach Abu Zaid, die im Koran vorgenommene Besserstellung der Frau weiterzuführen und
nicht durch eine buchstabengetreue Lesart den Korantext zu versteinern.
Zu großem Aufruhr führte die Entscheidung einer deutschen Familienrichterin, einer Frau die
Ehescheidung zu verweigern. Sie hätte wissen müssen, dass ihr marokkanischer Mann sie
schlage; das sei ihm durch den Koran erlaubt. Das Schlagen der Frau (und der Kinder) wird
von den islamischen Verbänden in Deutschland eindeutig abgelehnt. Die als Rechtfertigung
des Schlagens angeführte Koransure muss in historisch-kritischer Interpretation gelesen
werden: „Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie von Natur aus vor diesen
ausgezeichnet hat... Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, vermahnt sie, meidet
sie im Ehebett und schlagt sie“ (Sure 4, Vers 34). In einer Zeit, in der die Frau rechtlos war,
wird hier das Gespräch an die erste Stelle gesetzt und dann die Trennung, die – so eine
Interpretation – das Schlagen als letzter Ausweg überflüssig machen. Muslimische
Feministinnen übersetzen anders: „und schlagt einen anderen Weg ein.“ In historischkritischer Deutung erscheint auch die Polygamie in einem anderen Licht: Der Islam schränkt
bei seinem Entstehen die vorislamische Polygamie ein; im frühen Islam bedeutete Polygamie
für die vielen Frauen, die aufgrund der Kriege und des Männermangels keinen Ehepartner
fanden, sozialen Schutz vor Unversorgtheit. Die Koranaussage, dass der Ehemann jede seiner
Frauen völlig gleich und gerecht behandeln müsse, was faktisch unmöglich ist, deuten
Islamtheologinnen und -theologen als Hinweis auf die notwendige Überwindung der
Polygamie. Letztlich sei im Islam die Ablehnung der Polygamie angelegt, nur war die
Abschaffung noch nicht möglich. Hier lässt sich eine Parallele zum Christentum ziehen: In
den Briefen des Apostels Paulus finden sich Passsagen, die man als Unterdrückung der Frau
(„Die Frauen sollen im Gottesdienst schweigen“ 1 Ko 14, 34) deuten könnte. Aber seine klare
Aussage m Galaterbrief (3, 28) „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und
Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr seid alle ‚einer’ in Christus Jesus“ kann so gedeutet
werden, dass hier die völlige Gleichstellung angezielt ist, ohne dass damals schon alle
Schranken der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, zwischen Freien und Sklaven
aufgehoben werden konnten. Es war ein Fortschritt, dass Frauen und auch Sklaven am
Gottesdienst teilnehmen konnten, was auch Nachwirkungen für einen gleichberechtigteren
Umgang außerhalb des Gottesdienstes nach sich ziehen konnte.
Die Kopftuchdebatte soll hier nicht in extenso wiederholt werden; sie ist an verschiedensten
Stellen ausführlich geführt worden. Nur so viel sei gesagt: Ob es religiöse Pflicht ist, ob es
wünschenswert ist oder ob es völlig frei steht, als muslimische Frau ein Kopftuch zu tragen,
wird von den Rechtsschulen unterschiedlich gesehen. Frauen tragen das Kopftuch aus sehr
verschiedenen Gründen: aus religiösem Pflichtgefühl heraus, aus Protest, aus Zwang, aus
Selbstbewusstsein. 2
Das Phänomen der arrangierten Ehen oder gar der Zwangsehen muss als ein kulturelles
Phänomen angesehen werden; der Koran macht hier keine Vorschriften. Arrangierte Ehen
gibt es in vielen auch christlich geprägten ruralen Gesellschaften und waren auch bei uns in
Deutschland bis zur Industrialisierung durchaus verbreitet. Einen Bezug zur Religion gibt es
allerdings insofern, als arrangierte Ehen oft dadurch motiviert sind, dass junge Menschen
einen Ehepartner gleicher Religion finden und sich nicht in andersreligiöse Partner verlieben
sollen. Die freie Entscheidung der Partnerwahl und die Ablehnung der Minderjährigenehe ist
unter den muslimischen Verbänden in Deutschland Konsens. Bei der Frage der
religionsverbindenden Ehe sind eine größere Toleranz und Offenheit wünschenswert, ohne
dass hier übersehen werden soll, dass eine religionsverbindende Ehe für gläubige und ihren
Glauben praktizierende Christen und Muslime auch Belastungen mit sich bringt. Zu erinnern
ist auch hier an die eigene jüngere interkonfessionelle Problematik unter den Christen nicht
nur hier in Deutschland: In der katholischen Kirche hatten wir vor dem II. Vatikanischen
Konzil eine sehr rigide Regelung von interkonfessionellen Heiraten zwischen Katholiken und
Protestanten. Protestanten wurden gedrängt, katholisch zu werden. Sie mussten
unterschreiben, dass die gemeinsamen Kinder katholisch werden. Mit dem II. Vatikanischen
Konzil wurden Lockerungen in den Regelungen erreicht und es wäre zu wünschen, dass auch
für interreligiöse Heiraten menschenfreundliche Regelungen in Deutschland weiter entwickelt
2
Im Anschluss an eine Fachtagung, die die Katholische Fachhochschule Nordrhein-Westfalen mit dem
islamischen Verband DITIB durchgeführt hat, kam eine Kopftuch tragende junge Frau auf mich zu und fragte
mich: „Kann ich bei Ihnen an der Katholischen Fachhochschule mit Kopftuch studieren?“ Meine Antwort war:
„Entscheidend ist nicht, was Sie auf dem Kopf haben, sondern was Sie im Kopf haben. Und damit meine ich
nicht nur intellektuelle Fähigkeiten, sondern auch die Bereitschaft und Fähigkeit zu Dialog und Toleranz.“
werden. Interreligiöse Familien benötigen zweiseitige Begleitung und eine Beheimatung in
beiden Religionsgemeinschaften. Der jeweils Andersgläubige sollte als Gast den religiösen
Feiern und Gottesdiensten des Ehepartners beiwohnen können. Die teilweise sehr intensive
und im Leben erprobte Verständigungsarbeit in solchen christlich-muslimischen Familien
sollten wir wertschätzen. Wenn die Religion einen weniger großen Stellenwert für den Alltag
hat, scheint es zuerst weniger problematisch zu sein, über Religionsgrenzen hinweg zu
heiraten. Oft kommen aber die Probleme später doch, wenn der muslimische Mann z. B. wie
selbstverständlich erwartet, dass der neu geborene Sohn beschnitten wird, und wenn die
christliche Frau dann aus allen Wolken fällt, weil ihr Mann doch sonst gar nicht so religiös ist.
Religiös geprägte Alltagskonfikte gibt es zunehmend in Schulen: Mit wachsenden
Selbstbewusstsein gehen einige muslimische Eltern zunehmend auf Konfrontationskurs mit
den Schulen, an denen ihre Kinder unterrichtet werden, und fordern Rechte ein. Sie fordern
geschlechtergetrennten Sportunterricht, lassen ihre Kinder nicht mit auf Klassenfahrt gehen,
melden ihre Kinder an islamischen Festtagen vom Unterricht ab und boykottieren den
Sexualkundeunterricht. Für die Schulleitungen ist es oft nicht leicht Lösungen zu finden.
Gerichtlich ist muslimischen Schülerinnen bereits der geschlechtspezifische Sportunterricht
zugesichert worden und es wurden auch schon Schülerinnen von Teilen des
Sexualkundeunterrichts gerichtlich befreit. Eine solche Befreiung vom Unterricht wie auch
die Abmeldung von Klassenfahrten ist äußerst problematisch. Hier muss zuerst der Dialog mit
den Eltern gesucht werden. Es kann auch sein, dass die Art des Sexualkundeunterrichts
kulturell sensibel gestaltet und verändert werden muss (Freise 2005, 196-201); auch auf
Klassenfahrten kann auf stärkere Geschlechtertrennung geachtet werden. Zu klären ist immer
auch, ob religiöse Gründe nur vorgeschoben sind. Möglicher Weise tun sich Eltern schwer,
die Kosten für Klassenfahrten nicht aufbringen, schämen sich aber, dies so zu benennen. Wo
geschlechtergetrenntes Schwimmen in der Schule und in Schwimmbädern möglich ist, sollte
es als eine Möglichkeit eingeführt werden – auch unter einheimischen Frauen gibt es
bisweilen den Wunsch nach Zeiten für Frauenschwimmen. Wenn Frauen den Wunsch haben,
dass es zu bestimmten Zeiten geschlechtergetrennt Frauenschwimmen oder Frauensauna gibt,
steht dem nichts entgegen. Genau so sollte unsere Gesellschaft aber auch Gruppen die
Möglichkeit für FKK-Schwimmen zu bestimmten Zeiten geben. Es macht die Toleranz
unserer Gesellschaft aus, wenn wir beides ermöglichen. Aber religiös motiviertes
„muslimisches Frauenschwimmen“ in Hallenbädern einzuführen, wie dies an einigen Orten
geschieht, erscheint unangemessen. Wir kommen hier an Grenzen, die uns noch im
gesellschaftlichen Umgang beschäftigen werden: Was ist, wenn Eltern sichergestellt wissen
wollen, dass ihre heranwachsende Tochter nicht von Männern berührt werden soll, wenn
grundsätzlich geschlechtergetrennter Unterricht verlangt wird? Solche Forderungen werden
von extrem konservativen Muslimen vorgetragen, die möglicherweise dann eigene
muslimische Schulen einfordern werden, wenn ihre Forderungen nicht berücksichtigt werden.
4. Möglichkeiten des sinnvollen Umgangs mit religiösen Konflikten
Was ist zu tun, um einen sinnvollen Umgang mit religiösen und religiös aufgeladenen
Konflikten – insbesondere im Umgang mit Muslimen – auf den Weg zu bringen? Ganz
zentral ist Bildungsarbeit:
4.1 Intrareligiöse Bildung
Viele Muslime leiden darunter, dass sie nur wenig von ihrer eigenen Religion wissen, weil sie
keinen muslimischen Religionsunterricht hatten. Viele extrem konservative Vorstellungen
haben einfach auch mit Wissenslücken zu tun.
Die Besinnung auf die eigene Religion („intrareligiöse“ Orientierung) gibt Raum für die
eigene Positionierung. Religion führt Migranten in der Fremde zusammen und ermöglicht
Selbstvergewisserung. Diese Besinnung auf die eigene Religion muss als ein sehr wichtiger
Schritt zur Selbstfindung angesehen werden. Es muss der Raum geschaffen werden, dass
diese Selbstfindung in reflektierter Weise möglich ist. Islamischer Religionsunterricht und die
Errichtung von Lehrstühlen zur Islamtheologie sind dafür nötig. Natürlich müssen
Religionsunterricht an den Schulen und Islamtheologie an den Hochschulen unter staatlicher
Aufsicht und auf Deutsch stattfinden.
4.2 Interreligiöse Bildung
Der intrareligiösen Bildung muss die interreligiöse Bildung folgen. Bildungsarbeit ist nicht
nur Wissensvermittlung über das Lesen von Büchern und das Hören von Vorträgen, sondern
kann als ein Prozess sozialen Lernens dann besondere Früchte tragen, wenn Menschen über
ihre Lebenserfahrungen ins Gespräch kommen und sich in ihren Alltagswelten kennen lernen.
Während die schulische Didaktik der Weltreligionen den Kontakt zu fremden Religionen über
Texte herstellt, geht interreligiöse Bildung als ein Programm sozialen Lernens den Weg über
den direkten persönlichen Kontakt mit Menschen anderer Religion. Es werden Kontakte zu
Vertretern anderer Religionen hergestellt. In einigen Städten haben sich "abrahamische
Gruppen" mit Vertretern der drei auf Abraham fußenden Weltreligionen (Judentum,
Christentum, Islam) gebildet. Solche interreligiösen Teams mit je einem Vertreter von
Judentum, Christentum und Islam besuchen Schulen und religiöse Gemeinschaften, um auf
die gemeinsamen Wurzeln des Glaubens zu verweisen und für Verständigung, Toleranz und
Zusammenarbeit zu werben (Miksch 2005). Im Kölner Jugendzentrum Klingelpütz kommen
regelmäßig muslimische Jugendliche aus der Türkei, Bosnien und den Maghrebstaaten mit
christlichen einheimischen Jugendlichen und Kirchenvertretern zu Gesprächsabenden über
religiöse Fragen zusammen. Häufige Themen sind interreligiöse Heiraten, das Fasten, Sex vor
der Ehe, die Rechte muslimischer Mädchen, das Kopftuch sowie Erfahrungen von
Diskriminierung. Die über Jahre andauernde pädagogische Begleitung muslimischer
Jugendlicher nimmt die Identitätssuche der Jugendlichen einschließlich der religiösen
Dimension ernst und bildet präventiv einen Schutzwall gegen Gewaltbereitschaft und
fundamentalistische Einstellungen. Bettina Braun hat einen beeindruckenden Dokumentarfilm
(„Was lebst du?“) über vier Jugendliche aus diesem Zentrum gedreht, die sie zwei Jahre lang
begleitet hat.
4.3 Interreligiöser Dialog zum Abbau von Vorurteilen und von Diskriminierung
Nach einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2004 bringen 83% der befragten Deutschen
den Islam mit Terror in Verbindung. 81% halten Muslime für fanatisch und radikal und 70%
für gefährlich. Helmar Lutz und Rudolph Leiprecht kritisieren das dichotomisierende Muster
auch in Teilen der feministischen Bewegung, mit dem der islamische Mann als Feind der
Frauen stilisiert werde. Die Kopftuch tragende Muslima werde entsprechend als Opfer
wahrgenommen und ihr werde das Subjektsein abgesprochen. Dichotomisierende Bilder, also
Bilder nach dem Schwarz-Weiß-Muster, gibt es im Umgang mit dem Islam in zwei Varianten.
Die häufigere Variante ist die Islamphobie. Die andere Variante ist die nicht nur in
Sozialarbeiterkreisen durchaus auch bekannte undifferenzierte und unkritische Islamophilie.
Was wir brauchen, sind echte Empathie mit muslimischen Bürgern und authentische Klarheit,
die den gegebenenfalls notwendigen Konflikt nicht scheut. Dazu müssen wir aber zuerst
einmal persönliche Kontakte mit Muslimen schaffen und Muslime in ihren äußerst
unterschiedlichen Prägungen kennen lernen. Die moderne Vorurteilsforschung in den USA
untersucht Vorurteile bei Menschen, die sich selbst als liberal und nicht diskriminierend
einschätzen und die sich – aus der Mittel- und Oberschicht kommend - differenziert und
politisch korrekt ausdrücken können. Deutlichstes Kennzeichen für Vorurteilsanfälligkeit in
diesen Kreisen ist, so fand man heraus, die Kontaktvermeidung mit unangenehmen Gruppen
und die durchgängig negative Bewertung dieser Gruppen. Wie sprechen wir über Muslime?
Reden wir nur über sie oder auch mit ihnen? An muslimische Mitbürger und Mitbürger ist im
Gegenzug die Frage zu stellen, wie sie mit dem „Feindbild Christentum im Islam“ (SpulerStegemann 2005) umgehen und wie sie dem Unwissen und den Vorurteilen in ihren Reihen
gegenüber dem Christentum entgegentreten.
In unserer multireligiösen Gesellschaft haben wir die Möglichkeit solcher Begegnungen, aber
wir nutzen sie noch zu wenig. Die Shell – Jugendstudie 2002 kommt zu dem Schluss, dass
Jugendliche unterschiedlicher Religion zwar miteinander in den Unterricht gehen, aber kaum
Kontakte außerhalb der Schule zueinander haben (Deutsche Shell 2002, 126). Interreligiöse
Bildung in der Schule müsste intensiver die Lebenswelt der Schüler mit in den Blick nehmen.
Die Schule und auch die Schulsozialarbeit müssten die Begegnung viel stärker fördern.
Im Handbuch Interreligiöses Lernen (Schreiner / Sieg / Elsenbast 2005) werden
Handlungsansätze modellhaft vorgestellt: Verantwortliche einer Moschee sowie
ehrenamtliche Mitarbeiter/innen der katholischen und der evangelischen Gemeinde im
Stadtteil besuchen sich gegenseitig bei den Korankursen, dem Konfirmanden- und
Erstkommunionunterricht (Neuser 2005). Auch der Schule, der Schulsozialarbeit und der
Schulsozialpädagogik wächst die wichtige Aufgabe zu, über persönliche Begegnungen
Religion zu thematisieren, Unterschiede zu benennen, den kritischen Diskurs und den
gegenseitigen Respekt einzuüben.
Runde Tische in multireligiösen Stadtteilen können den Dialog fördern und präventiv eine
Konflikteskalation verhindern, die bei einem Moscheebau oder bei der Verteilung öffentlicher
Gelder droht.
Was die christlich-muslimischen Begegnungen an der Basis angeht, erleben Christen
muslimische Gastfreundschaft und Offenheit, wenn sie in Moscheegemeinden zu Gast sind –
am Tag der offenen Moschee am 3. Oktober oder bei Einladungen zum Fastenbrechen. Wenn
christliche Gemeinden Muslime zu Treffen in ihre Gemeinderäume und Kirchen einladen,
dann gibt es manchmal ein Zögern und eine Zurückhaltung.
5. Zukunftsperspektiven und Erwartungen
5.1 Erwartungen an muslimische Organisationen
Mit Blick auf die drei genannten Religionstypen (harte Traditionalisten, gemäßigte
Konservative und moderne Pluralisten) kann die Erwartung an muslimische Gemeinden und
Vereine formuliert werden, die konservativen und die modernen Muslime sollten den Dialog
innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaften so führen, dass der harte Traditionalismus und
Fundamentalismus keine Chance bekommt.
Es gibt drei Gründe, die den harten Traditionalisten verstärkten Zulauf in Deutschland
bescheren: Es ist ein Mangel an Bildung, die Diasporasituation und die Erfahrung der
Diskriminierung. Mangel an Bildung macht Menschen für klischeehaftes Denken in FreundFeindkategorien, für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus anfällig. Islamistischer und
christlicher Fundamentalismus sind religiöse Verpackungen dieser menschenfeindlichen
Ideologien; der Rechtsextremismus der Neonazis ist eine säkulare Variante desselben
Phänomens. Die Diasporasituation der Migranten kann dazu beitragen, dass man krampfhaft
an Traditionen festhält, die eigentlich überholt sind. Die Diskriminierung, die Menschen
ausländischer Herkunft leider zunehmend in Deutschland erfahren, trägt ebenso dazu bei,
dass Menschen sich hart machen, in Abwehrhaltung gehen und versteifen. Diskriminierung
liegt auch vor, wenn junge Migranten keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Auch das
kann ein Auslöser für religiösen Fanatismus sein. Migrantenorganisationen kommt hier eine
ganz besondere Aufgabe zu und es ist wichtig, dass hier ein innerreligiöser Diskurs stattfindet,
den die muslimischen Verbände ja durchaus schon führen. Wo immer er intensiviert werden
kann, sollte das geschehen.
Zu diesem innerreligiösen Dialog gehört auch die Bildungsarbeit bezüglich der umfassenden
Achtung der Menschenrechte. Johan Galtung (2000) hat deutlich gemacht, dass
Menschenrechte zum einen universell und unteilbar sind, zum anderen aber auch kulturell
gefärbt sind. In Deutschland müssen sich zugewanderte Menschen an die hier gültigen, in
Gesetze gefasste Menschenrechtsauslegungen halten. Das betrifft z. B. die Auslegungen der
Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Nichtdiskriminierung von homosexuellen
Menschen, die hier ihren Niederschlag in der Möglichkeit von eingetragenen
Lebenspartnerschaften findet. Eine Religionsgemeinschaft muss diese Lebensform der
homosexuellen Partnerschaft nicht gut finden, aber in unserer pluralistischen Gesellschaft
tolerieren und respektieren.
Zu den Menschenrechten gehört auch die Religionsfreiheit. Damit verbindet sich der
Wunsch, dass in der sich globalisierenden Welt nicht nur Moscheen in Deutschland, sondern
auch christliche Kirchen in islamisch geprägten Ländern gebaut werden können. Von
Deutschland aus wird mit Blick auf den Beitritt der Türkei in die EU sehr genau beobachtet,
welche Entwicklungen sich in der Türkei vollziehen und wie frei sich Christen dort entfalten
können. Können Christen beispielsweise in den Touristenzentren neue Kirchen errichten? In
anderen Ländern wie dem Sudan oder Saudi-Arabien können Christen ihre religiösen
Grundrechte oft nicht wahrnehmen und werden zum Teil sogar verfolgt. Hier gibt es die
Erwartung und Bitte, dass Muslime Länder übergreifend Einfluss innerhalb ihrer
Glaubensgemeinschaft auf diejenigen nehmen, die Christen diskriminieren und verfolgen.
5.2 Erwartungen an die einheimischen Nichtmuslime
Integration ist ein zweiseitiger Prozess. Migranten sollen sich in die Einwanderungsgesellschaft integrieren. Die Migranten müssen die deutsche Gesetzgebung respektieren und die
Umgangsformen im Alltagsleben bis hin zu den Behördengängen kennen lernen, um auf der
Basis dieser Kenntnis am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Integration stellt
aber auch Anforderungen an die Einheimischen und an die Politik. Die Förderung der
Integration beinhaltet auch, dass Migrantenvereine und – organisationen Zugang zu den
Finanzquellen der öffentlichen Hand in der Jugendhilfe, der Sozialarbeit und der
Bildungsförderung erhalten und so in unser deutsches System der Zivilgesellschaft integriert
werden. Bei der Vergabe dieser Zuschüsse kann und muss der öffentliche Geldgeber natürlich
die Standards der Geldvergabe (z.B. zu Gender mainstreaming) berücksichtigen und das ist
auch eine Möglichkeit, mit den beantragenden Gruppen in einen Dialog zu kommen.
Integration meint nicht Assimilation, die vollständige Anpassung bei Aufgabe der
Herkunftsidentität.
Wir brauchen neben der interkulturellen Öffnung auch eine interreligiöse Öffnung unserer
Gesellschaft. Muslime müssen die Chance bekommen, an unseren Schulen und Hochschulen
ihre Religion kennen zu lernen, und zwar nicht nur über aus dem Ausland eingeflogene
Imame, sondern durch hier ausgebildete Lehrer, Professorinnen und Professoren.
Eine weitere generelle Erwartung insbesondere an die nichtreligiösen Menschen und Gruppen
in unserer Gesellschaft ist ein Verständnis dafür, dass Religion als ein wichtiges Fundament
für ethisches Handeln in der Gesellschaft wahrgenommen wird und dass religiöses Leben
nicht als Privatsache einzelner Menschen gesehen wird, sondern als ein Baustein für eine
humane Gesellschaft. „Die Rückkehr der Religionen hat große Bedeutung und stellt ein
Potential der Identitätsbildung und Solidarisierung dar“ (Riesebrodt 2000, 14). Zunehmend
wird sich die säkulare westliche Gesellschaft bewusst, dass sie ihr ethisches Fundament nicht
aus sich heraus entwickelt hat. Moralisches Handeln als unbedingtes Sollen lässt sich nur von
einem Absoluten her begründen (Knitter 1998, 136 f). Es gibt keine Beweise für die
Richtigkeit religiöser Wahrheiten, aber Hinweise darauf, dass religiöse Weltdeutungen
ethische Kraftreserven beinhalten, die die Gesellschaft braucht, um ihr Handeln nicht der
Marktlogik von Gewinn und Profit zu überlassen. Der katholische Theologe Johann Baptist
Metz hat immer wieder auf die Ausweglosigkeit verwiesen, in die die Prozesse der
„eskalierenden Individualisierung“ (Metz 1997, 190) in unserer Gesellschaft treiben. Die
Abkoppelung von religiösen, freiheitsrettenden Traditionen hat nach Metz strikt
dysfunktionale Wirkungen. Metz analysiert die kulturellen Bedingungen der globalisierten
Industriegesellschaften dahingehend, dass sie „über eine Logik des Marktes bzw. des
Tausches kaum hinauskommen“ (Metz 1997, 191). Fremdes Leid werde dann nicht mehr
wahrgenommen, obwohl doch der Universalismus christlicher Prägung gerade darin seinen
Ursprung habe, dass es überhaupt kein Leid gibt, das uns nichts angeht (Metz 1997, 182 ff.).
Wenn Religion als wichtiges Fundament für ethisches Handeln in der Gesellschaft
wahrgenommen wird, dann sollte es auch einen staatlich geregelten, deutschsprachigen
Islamunterricht überall da in Deutschland geben, wo muslimische Kinder zur Schule gehen.
Die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland setzen sich für einen solchen
islamischen Bekenntnisunterricht an deutschen Schulen ein.
Wir haben uns als deutsche Gesellschaft noch nicht wirklich auf den Islam und auf die
muslimischen Mitbürger eingelassen. Wenn wir das tun, dann muten wir uns viel zu. Wir
werden Fremdheitserfahrungen machen, die verunsichern: Wo gilt es, Fremdes zuzulassen,
wo müssen wir konfrontieren, wenn wir der Auffassung sind, hier werden Grundlagen unserer
Werteordnung infrage gestellt, wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Toleranz
gegenüber nichtreligiösen Menschen usw. Wenn wir uns dieser Zumutung stellen, kann es
sein, dass wir durch die Konflikte hindurch dann doch auch die Erfahrung machen, bereichert
zu werden und voneinander zu lernen.
Literaturverzeichnis:
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Main
Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland 2005: hrsg. von der
Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Berlin
Carter, Jimmy 2006: Unsere gefährdeten Werte: Amerikas moralische Krise. München /
Zürich
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Freise, Josef 2005: Interkulturelle Soziale Arbeit. Theoretische Grundlagen
Handlungsansätze - Übungen zum Erwerb interkultureller Kompetenz. Schwalbach /Ts.
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Knitter, Paul F. 1998: Die Zukunft der Erde. Die gemeinsame Verantwortung der Religionen.
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Mattis, Jürgen 2005: Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit als Orte religiösen Lernens. In:
Schreiner, Peter / Sieg / Ursula / Elsenbast, Volker: Handbuch Interreligiöses Lernen.
Gütersloh, 496-507
Metz, Johann Baptist 1997: Zum Begriff der neuen Politischen Theologie: 1967-1997. Mainz
Mihciyazgan, Ursula 2003: Tradition und Kritik. Zu Erziehungs- und Bildungskonzepten im
Islam. In: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie. Der Evangelische Erzieher 55. Jg., 124136
Miksch, Jürgen 2005: Abrahamische Teams. In: Schreiner, Peter / Sieg, Ursula / Elsenbast,
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Neuser, Bernd 2005: Gemeinde als Handlungsfeld interreligiösen Lernens. In: Schreiner,
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Riesebrodt, Martin 2000: Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der „Kampf
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Rohe, Mathias 2001: Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. Rechtliche Perspektiven.
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Schreiner, Peter / Sieg / Ursula / Elsenbast, Volker 2005: Handbuch Interreligiöses Lernen.
Gütersloh
Shell Deutschland Holding (Hrsg.) 2006: Jugend 2006. Eine pragmatische Generation unter
Druck. Frankfurt am Main
Spuler-Stegemann, Ursula (Hrsg.) 2005:
Bestandsaufnahme. 3. Auflage. Freiburg
Feindbild
Christentum
im
Islam.
Eine
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