Teilchen, Wellen, mikroskopische Physik

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13
Teilchen, Wellen,
mikroskopische Physik
I
Inhalt
13.1
13.2
13.3
13.4
13.5
13.6
13.7
Das Photon . . . . . . . . . . . . .
Wellen und Teilchen . . . . . . . .
Spektren . . . . . . . . . . . . . .
Der Versuch von Franck und Hertz
Die Entdeckung des Atomkerns .
Grundzüge der Quantenmechanik
Teilchen in Potentialtöpfen . . . .
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M Einleitung
Die klassische Lichttheorie, besonders in ihrer vollendetsten Form als
Maxwell-Lorentz-Theorie der elektromagnetischen Wellen und ihrer
Wechselwirkung mit den atomaren Ladungssystemen, hatte eine ungeheure Fülle optischer Erscheinungen mit bewundernswerter Präzision
beschrieben. Brechung und Dispersion, Streuung, die ganze Vielfalt
der Polarisationserscheinungen bis hin zum Faraday- und Kerr-Effekt,
der optischen Aktivität und, etwas später, den feinsten Einzelheiten der
Ausbreitung von Radiowellen – all dies konnte die klassische Lichttheorie im Wesentlichen verständlich machen. Zum ersten Mal versagte
diese Theorie, als sie sich an die Erklärung der Emission und Absorption des Lichtes machte. Am einfachsten sollte die Emission durch
einzelne Atome sein. Warum hierbei nur bestimmte scharfe Frequenzen
ausgestrahlt werden und wo sie liegen, blieb völlig dunkel. Vereinzelte
Ansätze, wie Thomsons Atommodell (Kap. 14), erklärten zwar die Existenz der Spektrallinien, gaben aber völlig falsche Werte für ihre Lage.
Für sehr viele sich gegenseitig beeinflussende emittierende Teilchen,
wie z. B. im heißen Festkörper, speziell im ,,schwarzen“, schien die Lage
überraschenderweise günstiger: Ein kontinuierliches Spektrum folgte
wenigstens einigen Regeln der klassischen Physik, wie dem wienschen
Verschiebungsgesetz und dem Stefan-Boltzmann-Gesetz. Die Gesamtform der spektralen Energieverteilung jedoch entzog sich umso mehr
der klassischen Beschreibung, je genauer man sie ausmaß.
Bei dem Versuch, die Strahlungsgesetze zu erklären war Max Planck
auf das Wirkungsquantum h gestoßen, das sich als wichtigster Schlüssel
zum Verständnis der mikroskopischen Welt entpuppen sollte. Es erlaubt nämlich, den Bereich der klassischen Physik, wo unsere vielleicht
antrainierten, aber jedenfalls mit der Erfahrung im Einklang stehenden Vorstellungen von Teilchen und Wellen Gültigkeit haben, von der
Welt der mikroskopischen Objekte, der Welt der Quantenphysik zu unterscheiden. Dass mikroskopische Objekte mal mehr Teilchen-,
,,. . . der Dualismus zwischen zwei verschiedenen Beschreibungsweisen der
Wirklichkeit (Teilchen- und Wellenbild)
kann nicht länger als grundsätzliche
Schwierigkeit betrachtet werden, da es
. . . in der mathematischen Formulierung
keine Widersprüche geben kann.“
Werner Heisenberg,
Die Kopenhagener Deutung
der Quantentheorie (1963)
(Foto: Deutsches Museum München)
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13. Teilchen, Wellen, mikroskopische Physik
mal mehr Wellencharakter zeigen, mag unsere Vorstellung, unsere Intuition strapazieren – die Quantentheorie sagt alle damit
verbundenen Phänomene korrekt und widerspruchsfrei vorher. Ein
Dualismusproblem existiert in der Quantenphysik nicht.
13.1 Das Photon
Plancks Durchbruch zur Energieverteilung der schwarzen Strahlung
(Abschn. 11.2.3) öffnete den Weg. Das Energiequantum hν, das er fast widerwillig postulieren musste, wurde bald in vielen anderen Erscheinungen
wiedergefunden.
13.1.1 Entdeckung des Photons
,,Ich nehme mir die Freiheit, für dieses neue Atom, das kein Licht ist, aber
eine wesentliche Rolle bei jedem Strahlungsprozess spielt, den Namen Photon
vorzuschlagen.“
Gilbert N. Lewis,
Nature 118, 874 (1926)
Lange war die Beobachtung von Hallwachs ein Rätsel geblieben, wonach
die Energie der beim Photoeffekt ausgelösten Elektronen nur durch die
Frequenz des auslösenden Lichtes, ihre Anzahl nur durch die Intensität
dieses Lichtes bestimmt wird (Abschn. 8.1.2). Die klassische Lichttheorie hätte den entscheidenden Einfluss auf die Elektronenenergie von der
Lichtintensität erwartet. Einstein klärte dieses Rätsel auf sehr einfache
Weise (1905), indem er annahm, dass auch für die Elektronenauslösung
nur ganze Lichtenergiebeträge von der Größe hν (,,Lichtquanten“) zur Verfügung stehen, der gleiche Betrag, der nach Planck zwischen Oszillatoren
und Strahlungsfeld ausgetauscht wird. Dies führt zu Einsteins Gleichung
(8.2), die sich experimentell vollkommen bestätigt und eine unabhängige,
sehr präzise Messung von h ermöglicht. Deren Ergebnis stimmt genau mit
dem aus der schwarzen Strahlung überein.
Eine Photokathode, eingebaut in ein Zählrohr, das den Nachweis
einzelner Elektronen gestattet (Photomultiplier, Abb. 8.8), werde einer
sehr schwachen Lichtintensität ausgesetzt. Bei Kombination mit Verstärker und Lautsprecher erzeugt so jedes Photoelektron einen hörbaren
Knack. Die Folge dieser Knacke ist statistisch ebenso unregelmäßig
(Poisson-Verteilung) wie die Folge atomarer Ereignisse. Zwar lässt sich
das Zeitmittel voraussagen, z. B. die mittlere Anzahl der Knacke pro Minute – umso genauer, je länger der fragliche Zeitraum ist –, der Einzelakt
jedoch entzieht sich jeder Voraussage. Alle Versuche, den Elektronen einen
gewissen Wirkungsbereich zuzuschreiben, innerhalb dessen sie die in einer Lichtwelle stetig einströmende Energie gewissermaßen einsaugen, bis
sie den Vorrat gespeichert haben, den sie zur Auslösung aus dem Metall
brauchen, führen zu unlösbaren Widersprüchen. Die Energie des Lichtes
ist offenbar nicht kontinuierlich über die Wellenfront verteilt; vielmehr ist
sie in einer Art Lichtkorpuskeln oder Photonen konzentriert. Andererseits
sind die Wellen dadurch keineswegs abgeschafft. Dies zeigt schon die Tatsache, dass die Energie des Photons hν ist, also durch die Frequenz von
etwas Schwingendem bestimmt wird. Man muss dem Licht – und wie sich
später zeigte, auch den ,,echten Korpuskeln“ wie Elektronen oder Protonen – sowohl Wellen- als auch Quantennatur zuschreiben (Dualität des
Lichtes, Abschn. 13.2).
13.1 Das Photon
13.1.2 Masse und Impuls der Photonen; Strahlungsdruck
Ein Photon hat die Energie hν und bewegt sich im Vakuum mit der Geschwindigkeit c. Ein ,,richtiges“ Teilchen kann also das Photon nach der
Relativitätstheorie (Abschn. 12.2.6) nicht sein, denn jeder Körper sollte bei
der Geschwindigkeit c eine unendliche Masse annehmen (was natürlich
verhindert, dass er jemals diese Geschwindigkeit erreicht). Der einzige
Ausweg ist, dem Photon die ,,Ruhmasse“ Null zuzuschreiben. Erst bei
der Lichtgeschwindigkeit nimmt die Masse des Photons einen endlichen
Wert an. Bei dieser Geschwindigkeit gilt auch eine etwas abgeänderte Beziehung zwischen kinetischer Energie E kin und Impuls p: Bei v c ist
E kin = 12 mv2 , p = mv, also p = 2E kin /v, bei v ≈ c dagegen p = E kin /c
(Abschn. 12.8.2). Das Lichtquant mit der Energie hν hat also den Impuls
p=
hν h
.
=
c
λ
(13.1)
Damit wird z. B. die Deutung des Strahlungsdruckes, die in der klassischen
Theorie ziemlich kompliziert war, äußerst einfach.
In der elektromagnetischen Theorie kommt der Strahlungsdruck so
heraus: Die Welle falle auf ein Material mit der Leitfähigkeit σ, in dem
ihre Feldstärke E eine Stromdichte j = σ E erzeugt. Das Magnetfeld B
der Welle steht senkrecht auf E und damit auf j, also gerade so, dass die
Dichte der Lorentz-Kraft jB = σE B, die auf die Ströme und damit auf das
Material wirkt, maximal wird. Diese Kraft steht senkrecht auf E und B,
also in Ausbreitungsrichtung der Welle (Abb. 13.1). Aus der Kraftdichte
wird eine Kraft durch Multiplikation mit einem Volumen, also ein Druck
(Kraft/Fläche) durch Multiplikation mit einer Länge, oder besser durch
Integration der Kraftdichte σE B über die Eindringtiefe der Welle. Ein
schwach absorbierendes Material hat ein kleines σ (Abschn. 10.3.1) und
damit eine kleine Kraftdichte; dafür ist die Eindringtiefe 1/α groß (Absorptionskoeffizient α = σ/(nε0 c), Abschn. 7.4.7). Auf alle vollständig
absorbierenden Materialien wirkt so der gleiche Strahlungsdruck
∞
1
1
pStr =
σE B dx = σE B = nε0 cE B = nε0 μ0 cE H = I . (13.2)
α
c
0
Im Quantenbild ergibt sich der Strahlungsdruck pStr auf eine absolut
schwarze Oberfläche aus dem Impuls aller aufprallenden Photonen, bei einer reflektierenden Oberfläche aus dem doppelten Impuls, da die Photonen
ja zurückprallen – ganz analog wie beim Gasdruck. Druck ist Impulsübertragung pro Fläche und Zeit, Intensität I ist Energiefluss pro Fläche und
Zeit. Damit ergibt sich aus (13.1) sofort
pStr = γ
I
c
(13.3)
(γ = 1 für absolut schwarze, γ = 2 für ideal reflektierende Flächen).
Der experimentelle Nachweis des Strahlungsdruckes durch P. I. Lebedew ergab innerhalb der Beobachtungsfehler von etwa 20% Übereinstimmung mit dem theoretischen Wert.
j
E
F
H
Abb. 13.1. Der Strahlungsdruck als
Lorentz-Kraft: Das elektrische Feld
der Welle erzeugt Ströme j, die im
Magnetfeld H der Welle eine Kraft F
erfahren
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13. Teilchen, Wellen, mikroskopische Physik
680
Wenn der Impuls eines Lichtquants hν/c = h/λ ist und andererseits als
mc ausgedrückt werden kann, ergibt sich für die Masse
0°
m=
45°
135°
0,710
0,715
(13.4)
Dies wäre nach der Energie-Massenäquivalenz auch von vornherein zu erwarten gewesen. Dass dem Photon keine Ruhmasse zukommt, bedeutet,
dass es reine Strahlungsenergie ist. Auf Grund der Vorstellung, dass Photonen Masse haben, die mit ihrer Frequenz zusammenhängt, lassen sich
auch Effekte der allgemeinen Relativitätstheorie wie Rotverschiebung und
Lichtablenkung im Schwerefeld sehr einfach verstehen (Abschn. 12.10.2).
90°
0,700 0,705
hν
E
= 2 .
2
c
c
λ/
13.1.3 Stoß von Photonen und Elektronen; Compton-Effekt
Abb. 13.2. Originalexperiment von
A. H. Compton, K α -Strahlung von Mo
fällt auf Graphit und wird unter
verschiedenen Winkeln zur Einfallsrichtung teils elastisch (ohne λ-Verschiebung), teils inelastisch (mit
λ-Erhöhung) gestreut. Die Zunahme der
λ-Verschiebung mit dem Streuwinkel
lässt sich nach keinem klassischen
Modell verstehen, folgt aber sofort aus
den Stoßgesetzen für ein Photon
Die Photonenvorstellung hat auch folgenden zunächst rätselhaften Effekt
aufgeklärt (s. Abb. 13.2, Compton, 1922): Monochromatische Röntgenstrahlung wird durch Materie gestreut, und zwar im Gegensatz zum sichtbaren Licht unter Vergrößerung ihrer Wellenlänge. Die Wellenlänge des
Streulichtes ist umso größer, je größer der Streuwinkel ϑ ist. Rückwärtsstreuung (ϑ = π) liefert eine Wellenlängenzunahme um 4,85 · 10−12 m =
0,0485 Å, unabhängig von der eingestrahlten Wellenlänge.
Compton deutete den Effekt als einen Stoßvorgang zwischen dem Röntgenphoton und einem Elektron der streuenden Materie. Ein solcher Vorgang wird durch
Energie- und Impulserhaltung vollständig charakterisiert, wenn der Streuwinkel ϑ
gegeben ist. Das Elektron kann vor dem Stoß als ruhend betrachtet werden. Seine
Energie und sein Impuls sind dem Photon entzogen worden:
hν − hν = kinetische Energie des Elektrons .
(13.5)
Die Impulsbilanz wird ausgedrückt durch Abb. 13.3. Die genaue Ausrechnung ist
elementar, aber ziemlich kompliziert. Eigentlich muss der Vorgang relativistisch
behandelt werden. Wir betrachten den Grenzfall, dass die Wellenlänge sich relativ
nur wenig ändert (was häufig zutrifft). Dann sind die beiden mit hν/c und hν /c
bezeichneten Vektoren in Abb. 13.3 praktisch gleich lang, und man liest aus den
rechtwinkligen Dreiecken ABD und ACD ab
hν
ϑ
1
mv =
sin .
2
c
2
Die kinetische Energie des Elektrons ist also (Vergleich mit (13.5))
C
hν⬘
c
A
φ
mυ
␽
hν
c
D
B
1 2 1 (mv)2
4h 2 ν2 sin2 (ϑ/2)
= hν − hν .
mv =
=
2
2 m
2mc2
Kürzen durch hν 2 liefert, wenn man beachtet, dass ν ≈ ν
1 1
ν − ν
2h
2 ϑ
sin
≈ −
=
2
ν
ν
mc2
ν2
oder in λ = c/ν geschrieben:
Abb. 13.3. Impulserhaltung beim
Compton-Effekt
λ − λ =
ϑ
2h
sin2 .
mc
2
(13.6)
13.1 Das Photon
Diese Formel gilt auch im allgemeinen Fall, nicht nur für ν ≈ ν. Das Experiment
bestätigt sie glänzend; speziell ist 2h/(mc) genau der für Rückstreuung gefundene
Wert von 0,0485 Å. Die Hälfte davon heißt auch Compton-Wellenlänge
λC =
h
= 0,0243 Å .
mc
(13.7)
Ein Photon, das die Wellenlänge λC hätte, besäße die Masse hν/c2 = h/(λC c) = m,
also die gleiche Masse wie das ruhende Elektron. Ein solches Photon würde
bei Rückwärtsstreuung seine Wellenlänge verdoppeln. Dies zeigt schon, dass die
nichtrelativistische Behandlung hier nicht angemessen wäre; nach den nichtrelativistischen Stoßgesetzen bleibt ein Teilchen, das ein massengleiches zentral stößt,
einfach liegen, was für ein Photon natürlich unmöglich ist.
Nach dieser Theorie muss die Streuung mit dem Auftreten schneller gestoßener
Elektronen verbunden sein. Bothe und Geiger konnten durch Koinzidenzmessungen von Photonen und Elektronen die Gleichzeitigkeit von Streuung und Erzeugung
schneller Elektronen nachweisen. Energie, Impuls und Richtung dieser Elektronen
entsprachen ebenfalls genau der Theorie. Der Compton-Effekt beweist also überzeugend die Richtigkeit der Photonenvorstellung und die Gültigkeit von Energieund Impulssatz bei der Wechselwirkung zwischen Materie und Strahlung.
Bei niederfrequenten Photonen muss man anders rechnen, weil für sie fast alle
Elektronen schnell sind. Beim Stoß mit einem Elektron ändert sich ihre Frequenz
relativ um Δν/ν ≈ 2ve /c. Die Elektronen des intergalaktischen Plasmas mit etwa
107 K sollen nach Seldowitsch und Sunjajew so die leichte Anisotropie der 3 KUrstrahlung erzeugen, die der Satellit COBE (Cosmic Background Explorer) 1993
entdeckt hat (Abschn. 11.2.6 und Aufgabe 13.1.5).
Beispiel . . .
Warum wird bei sichtbarem Licht keine Compton-Wellenlängenänderung des
Streulichtes beobachtet?
Natürlich werden auch sichtbare Photonen an Elektronen gestreut. Die maximale
λ-Änderung dabei (für 180◦ -Streuung) ist die doppelte Compton-Wellenlänge,
also 0,048 Å, d. h. nur etwa 10−5 der einfallenden Wellenlänge. Die mechanische Analogie ist die eines sehr leichten Teilchens, das beim Stoß mit einem sehr
schweren ohne merkliche Impulsänderung zurückprallt. Das gilt für freie Elektronen. Bei Atomelektronen nimmt das ganze Atom den Impuls auf, und Δλ/λ
ist noch etwa 104 -mal kleiner. Dieser winzige Rückstoß ist aber die Ursache der
Lichtkräfte aus Abschn. 14.7.
13.1.4 Rückstoß bei der γ -Emission; Mößbauer-Effekt
Wenn ein Atom ein Photon emittiert, muss dessen Impuls h/λ durch einen
entgegengesetzt gleichen Rückstoßimpuls ausgeglichen werden, den das
Atom aufnimmt. Im Sichtbaren und UV ist dieser Rückstoß sehr klein und
hat erst bei vielen Emissionsprozessen einen merkbaren Einfluss, der bei
der Laserkühlung (Abschn. 14.7) ausgenutzt wird.
Anders im Bereich der γ-Strahlung, die von angeregten Kernen
emittiert wird. Ihre typische Energie-Größenordnung ist E ≈ 1 MeV =
1,6 · 10−13 J. Der entsprechende Impuls p = hν/c = E/c ≈ 10−21 kg m/s
ist schon imstande, einen Kern mit erheblicher Geschwindigkeit wegzuschleudern. Die kinetische Energie, die der Kern so aufnimmt, nämlich
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13. Teilchen, Wellen, mikroskopische Physik
682
Synchronisation
schwingende
Detektor
Quelle
Vibrator
Vielkanalanalysator
(γ-Spektrometer)
1
Relative Zählrate
h Δν = −E Kern = −
E2
h 2 ν2
=
−
,
2Mc2
2Mc2
d. h.
Generator
Absorber
0,9
0,8
⫺4
⫺2
0
2
4
Geschwindigkeit der Quelle [mm/s]
Abb. 13.4. Einfaches Mößbauer-Experiment. Je nach der Relativgeschwindigkeit zwischen Quelle und Absorber,
hier realisiert durch Vibration der
Quelle, ist die (oft durch Kühlung
rückstoßfrei gemachte) Absorption verschieden stark. Der mit dem Generator
synchronisierte Vielkanal-Analysator
ordnet die Zählimpulse in die der jeweiligen Geschwindigkeit entsprechenden
Kanäle ein. Unten: 14 keV-Linie von
57 Fe, eine besonders schmale Linie
1
E Kern = p2 /(2M) = E 2 /(2Mc2 ) (M: Kernmasse), geht dem γ-Quant verloren. Dessen Frequenz erniedrigt sich um einen entsprechenden Betrag
Δν, der bestimmt ist durch
Dieser Effekt heißt Mößbauer-Effekt.
Er wurde von Rudolf Mößbauer 1958
im Rahmen seiner Doktorarbeit entdeckt (Nobelpreis 1961).
hν
Δν
.
=−
ν
2Mc2
(13.8)
Da Mc2 für Kerne mehrere GeV beträgt, ist die relative Verstimmung der
γ-Frequenz nicht sehr groß (weniger als 10−3 ). Die typischen γ-Linien sind
aber so scharf, dass trotzdem eine bedeutsame Konsequenz eintritt: Damit
ein anderer identischer Kern das γ-Quant absorbieren kann, muss seine
Frequenz in eine Absorptionslinie fallen, die identisch ist mit der Emissionslinie, wie sie ohne Rückstoß läge. Die Verstimmung durch den Rückstoß
reicht aus, um diese ,,Resonanzabsorption“ unmöglich zu machen.
Nun gelingt es aber, den Rückstoß zunichte zu machen, und zwar dadurch, dass man das γ-strahlende Atom in das Kristallgitter eines festen
Körpers einbaut. Dieses besitzt – ganz ähnlich wie ein einzelnes Atom –
diskrete Energiezustände, die verschiedenen Typen von Schwingungen im
Gitter entsprechen. Das Gitter kann also bestimmte Energiebeträge aufnehmen, andere nicht. Gehört zu den letzteren der Energiebetrag, den der
freie Kern bei der Emission nach den Stoßgesetzen als kinetische Energie aufnehmen müsste, so kann diese Energie von den Nachbaratomen,
d. h. von Schwingungen des Gitters nicht aufgenommen werden, sondern
nur als kinetische Energie vom ganzen Kristall oder Kristallit. Dessen
Masse ist aber im Vergleich zur Masse des Kerns so ungeheuer groß, dass
der Kern sich so verhält, als sei er vollkommen starr eingebaut. Damit
entfallen alle Effekte, die sonst durch die Rückstoß-Energie bewirkt werden, nämlich Linienverschiebung und -verbreiterung, und es wird eine
Linie von außerordentlicher Schärfe emittiert, die von einem gleichartigen
Kern, wenn auch er in ein Kristallgitter eingebaut ist, mit gleicher Schärfe
(oder Selektivität) absorbiert werden kann1 .
Die Spektrallinien im Bereich der γ-Strahlung, die man so erhält – in
Emission, wie auch in Absorption –, sind extrem scharf, ihre relative Halbwertsbreite (Δν/ν) kann kleiner als 10−13 sein. Mit gespeicherten Atomen
oder Ionen werden heute ähnlich geringe Linienbreiten bei optischen
Frequenzen erzielt. Der Rückstoß wird in diesem Fall von der Speicherapparatur aufgenommen, man kann vom optischen Mößbauer-Effekt
sprechen.
Bewegt man eine solche γ-Strahlenquelle mit einer Geschwindigkeit
von nur 3 cm/s (= 10−10 · Lichtgeschwindigkeit) vom Absorber weg oder
auf ihn zu (Abb. 13.4), so ist die Frequenz der Strahlung, wenn sie den
Absorber erreicht, durch Doppler-Effekt um 10−10 verändert, und sie wird
nicht mehr absorbiert. Durch Anwendung verschiedener Geschwindigkeiten lässt sich also die Frequenz der emittierten Spektrallinie (oder auch des
Absorptionsgebietes) um winzige Beträge messbar verändern, ohne dass
13.2 Wellen und Teilchen
die Linienschärfe verloren geht. Ebenso lassen sich winzige Veränderungen am emittierenden oder am absorbierenden Kern oder am Lichtquant
selbst feststellen.
Auf diese Weise haben R. V. Pound und G. A. Rebka 1960 gemessen,
dass sich die Frequenz eines γ-Lichtquants um den Faktor 5 · 10−15 verringert, wenn es sich im Schwerefeld der Erde um 45 m nach oben bewegt.
Es verliert dabei also die Energie hν · 5 · 10−15 . Das ist aber gerade diejenige Arbeit, die geleistet werden muss, um die Masse des Quants (hν/c2 ,
vgl. (13.4)) im Erdfeld um H = 45 m zu heben:
hν
gH = hν · 4,9 · 10−15 .
c2
Damit ist experimentell bewiesen, dass die Masse eines Lichtquants der
Schwere unterliegt.
13.2 Wellen und Teilchen
Licht ist zwar Welle, aber auch Teilchen, schloss Einstein aus dem Photoeffekt. Ein Elektron ist ein Teilchen, aber auch eine Welle, vermutete
20 Jahre später de Broglie, und bald wurde dies durch zahlreiche Versuche
bestätigt. Dieser Welle–Teilchen-Dualismus liegt der ganzen modernen
Physik zugrunde.
13.2.1 Materiewellen
In den ersten beiden Jahrzehnten unseres Jahrhunderts wurde klar, dass
das ,,klassische“ Bild von den Teilchen als immer weiter verkleinerten
Billardkugeln nicht imstande ist, das Verhalten des Atoms zu beschreiben. Schon die Tatsache, dass jedes Atom nur ganz charakteristische
Spektrallinien aussendet und absorbiert, an denen man sein Vorhandensein spektralanalytisch nachweisen kann, blieb ungeklärt. Hier halfen die
Überlegungen von Planck über die Wärmestrahlung (vgl. Abschn. 11.2.3)
und Einstein über den Photoeffekt (vgl. Abschn. 8.1.2) weiter. Das Licht
hat außer seinen Welleneigenschaften, die sich in Beugung, Interferenz
und Polarisation ausdrücken, auch einen Teilchenaspekt, der besonders
bei der Emission und Absorption zur Geltung kommt. Die Lichtwelle
regelt die Ausbreitung der Lichtteilchen (Photonen); bei der Wechselwirkung mit Materie können aber immer nur ganze Photonen erzeugt
oder vernichtet werden. Warum sollen Objekte, die bisher als Teilchen
betrachtet worden waren, nicht gleichzeitig auch Welleneigenschaften haben, fragte Louis de Broglie 1923. Dass man auf diese Welleneigenschaften
nicht früher experimentell gestoßen ist, muss an der außerordentlich kleinen Wellenlänge liegen. Wenn die Analogie zwischen Licht und Elektron
vollkommen wäre, müssten Frequenz und Energie auch beim Elektron
nach der Einstein-Planck-Gleichung E = hν zusammenhängen. Wir können hier noch nicht sagen, mit welcher Phasengeschwindigkeit sich die
Materiewellen ausbreiten. Nehmen wir an, sie sei c (was nicht allgemein
stimmt, vgl. Abschn. 12.8.2). Dann wäre die Wellenlänge λ = c/ν = ch/E.
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