SozialeProblemeosoziologischeTheorie und rnoderne Gesellschaften Axel Groenemeyer 1. Möglichkeiten und Perspektiveneiner SoziologiesozialerProbleme L Entstandenaus der Philosophieder Aufklärung und des Positivismuswird die Soziologie in ihren Anfiingen im 19. Jahrhunderthtiofig als ,Krisenivissenschaft"charakterisiert, deren genuinesThemenspektum in den Sclattenseitengesellschaftlichen Wandels gesehenwird. Mit der industriellen Revolution waren gesellschaftliche Modemisierungsprozesse verbunden,deren negativetAuswirkungen auf die Lebenspraxisnach neuenDeutungenund.vot allerg nach tösungen verlangtea.soziale Problemewaren im Kontext gesellsc{aftstheoretischer Perspektivennicht nur deutliche Indikatoren für gesellschaftlicheFehlentwickftmge:rund Krisen, sondem offenbartenauch die zentralenFunliilionsprinzipiengesellschaftlicherBeziehungen und Strukturen. vor dem Hintergrund der Aufklärungsbewegungund der politischenIdeale von Freiheit, Gleicbheit und Brüderlichkeit wurden Armut, Kinderarbeit, Kriminalität, Alkoholkonsum,Krankheit und psychischenstörungenin denunterensozialenKlassen- zusanrmengefaßt als ,,sozialeFrage"- r,r* zentalen Bezugspunktder Entwicklungsozialwissenschaftlichei Diszipinen. Eine Zusammsil[sssrrngverschiedenerproblemlagen unter d.em Konzept der ,,sozialenFrage" war insofern gerechfertigt, als die industriell kapitalistischeEntwicklung oder allgemeiner,der rapide sozialeWandel, als einheitlicheUrsacheder als problematischaufgefaßtenEntwicklungur gesehenwerdgnkonnte.Die Entwicklung desWohlfahrtsstaates schiendabeiauchder soziologischen Theorieals Garant für die Herstellunggesellschaftlicfter.Integratior5 und ,,sozialeProbleme"verloren ihre konzeptionelleSonderstellungfür die Gesellschaftsanalyse. Ihnen wurde fortan eher die Rolle pathologischerAusnahmeerscheinungen zugedacht,deren Thematisierungund Analyse allenfalls im Rahmender angewandtensoziologie gerechtfertigt und ansonsten eherin denFachhochschulbereich der Sozialarbeiioderdie Ausbildungsg?inge der klassischen Professionen zu gehörenscheint. Darüberhinaushandeltes sich bei der Kategorie,,,soziale Probleme"um einen Alltagsbegriff, in dem scheinbar völlig unterschiedlicheDinge zusammengefaßt werden, so daß sich die Frage stellt, ob es überhaupttheoretischheutzutagenoch sinnvoll ist, von einem einheitlichensoziologischenGegenstandsbereich sozialer 14 AxelGroenemeyer Problemezu sprechen.Tatsächlichwar lange unklar und strittig, worin der spezifische Erklärungsbeitag einer Soziologie sozialer Problemeüber die in der Forschung über einzelne soziale Problemehinaus bereits entwickelten Theorien und Methoden bestehensoll. HeuEutage ist für hochdifferenzierteGesellschafteneine Bestimmung sozialer Problemeauf der Grundlageeiner durch die kapitalistisch-industriellenProduktion verursachten,,sozialenFrage", von der alle Probleme abgeleitetwerden können, nicht mehr zu rechfertigen. Von einer SoziologiesozialerProblemekaruralsonicht erwadet werden, daß sie alle aktuellenund potentiellensozialenProblemeauf eine einheitliche Ursachenzurückführt. Die theoretischeEinheit des Gegenstandsberei cheseiner SoziologiesozialerProblemeist nicht in einer einheitlichenUrsache,sondern in einheitlichen Konsequenzenzu suchen:soziale Problemewären derurach diejenigengesellschaftlichen Tatbestlinde,Bedingungenoder Praxen,die Leiden und Störungenverursachenoder als solchesaufgefaßtwerden.Es muß also dasProblematische an gesellschaftlichenEntwicklungen, Stnrkturen, Institutionen und Praktiken zum Ttiemä gemachtwe1$en,um dann die Bedingungenzu analysieren, unter denendiese'zusozialeq das'hbintzu öffentlichenProblemenwerden. Die soziologischeDiägnosegesellschaftlicher Störungenund sozialerProbleme setzt.immerauchA.::naliinenüber einen,,ungestörten"oder ,,nomalen" Zustandder Gesellschaftvoraus.Allerdings ist es geradezuein Definitionsmerkrnalvon Gesellschaftenund sozialenBeziehungen,daß ihre Ordnungnicht stabil ist; Gesellschaft ist die permanenteEntwicklung geregeltersozialerBeziehungen.Damit ist es nicht nur grundsätzlichproblematisch,Ordnung zu bestimmen,sondem darüber hinaus auch noch wissenschaftlicheKriterien für eine Abgrenzungzwischen ,,normalem" und problematischemsozialenWandel anzugeben.Eine Soziologie, die sich mit problematischengesellischaftlichenBeding"ngen und Entwicklungen bescfuiftigt, unterliegt deshalbleicht der Neigung, von außenan sie herangetageneWerbnaßstäbeeiner .guten" geselschaftlichenOrdnungzu übernehmen,um darandann das Problematischean sozialenProblemenzu bestimmen. Geradeder unmittelbareBezugder SoziologiesozialerProblemezur Politik und der Rückgriff auf eine Kategorie des Alltagswissens,die an moralischenund ethischenStandardsgebildetwird, fordert von der Soziologieeine Klärung oder zumindest Reflexion der Frage nach ihrem eigenenStandort innerhalb der Gesellschaft heraus.Der Bezug der SoziologiesozialerProblemeauf gesellschaftlicheWert- und Moralvorstellungenführt also unmittelbar zu der'Frage, ob und inwieweit die Soziologie gegenüberden ThematisierungensozialerProblemein der Gesellschafteine eigenständige,wissenschaftlichangeleiteteAnalysebasisentwickeln kann, oder ob sie nur den gesellschaftlichenDefinitionen sozialerProblemeinnerhalb der Gesellschaftfolgen kann, weil sie selbstBestandteilebendieserGesellschaftist und gegenüber dem Alltagswissen keinen besonderenStellenwert beanspruchenkann. Damit ist die die Soziologieseit nahezuhundert Jahrenbeschäftigendeund immer wieder stittige Frage nach dem Wert- und Prodsbezugund damit auch nach der gesellschaftlichen Relevanzder Soziologieängesprochen. Soziologie sozialerProbleme 15 Das Konzept ,,SozialeProbleme"wird hier also,nichtals ein übergreifendesLabel für verschiedene]v{ängellagenin der Gesellschaftaufgefaßt,das verschiedene speziellenSoziologien(Kriminalsoziologie,Medizinsoziologie,Behindertensoziologie, Drogenkonsumsoziologieetc.) zusammenfaßt,auchwenn der Begriff geradein Handbüchemhäufig genausogebrauchtwird. Der Gegenstandsbereich einer Soziologie sozialerProblemeist auch als Zweig der angewandterlSoziologie,in dem die Produktion und Verrnittlung von Wissenüber konkrete gesellschaftlicheMißstände und über Aktivitäten zu ihrer Bewältigung im Vordergrund steht, nr eng gefaßt, 1983,S. 10). obwohldiesesaucheineAufgabeist (siehez.B. Stallberg/Springer Demgegenübersollen in diesemund den folgendenArtikeln sinige theoretische Bausteineund Perspektivenin programmatischerAbsicht entwickelt werden, die auffassoziologischenGegenstandsbereich ,,sozialeProbleme"als eigenstZindigen sen, an dem die zentralen Funktionsprinzipienmoderner Gesellschaftenauf verschiedenenEbenenanalysiertwerden können. Die Analyse der sozialenKonstitution sozialerProblememuß demnachsowohl die Entstehungs-und EntwicklungsbedingungensozialerProblemeals Fragenach den Prozessen und Bedingungender gesellschaftlichenStuktur und dessozialenWandelsthematisieren,als auch dessen Verarbeitungin der Entwicklung kultureller Muster, symbolischerSinnsystemeund gesellschaftlicherPraktiken. Die Frage nach der gesellschaftlichenund politischen VerarbeitungsozialerProblemeverweistdarüberhinausdirekt auf Problemeder gesellschaftlichen Steuerbarkeitund politischen Steuerungsfiihigkeitbzw. auf die FunktionsweisendespolitischenSysternsmodemerGesellschaftsn. 2. Was sind sozialeProbleme? Betachtet man die Inhaltsverzeichnisse einschlägigerHandbücheroder befragt das Alltagsbewußtseindanach,was sozialeProblemesind, so scheintdaseinzig gemeinsamezwischenihnen zu sein, daß es dabeium unerwänschte,elende,Ekel, Leiden, Scheußlichkeiten,Störungenund Kummer verursachendeDinge geht, die gleichwohl auch die Neugierdeund die Phantasieanregen.Was soziale Problemeunter soziologischerPerspektivegenau sind, worin denn das Problematischean ihnen liegt und wie man sinnvoll so verschiedenartigeErscheinungenwie Armut, Kdminalität, psychischeStörungenund Krieg unter eineKategoriezusammenfassen kann, gehörtzu den strittigenFrageneiner SoziologiesozialerProbleme. Betachtet man den Katalog gängigerDefinitionen sozialerProbleme,so fallen drei Aspekte oder Ebenender BestimmungsozialerProblemeauf: Erstensbeziehen sich sozialeProblemeauf bestimmtekonkretesozialeBedingungen,Strukturenoder Situationen,die als Störung,Widerspruchoder Funktionsproblemder Gesellschaft analysiertwerden können. Zweites Element der Definition ist die Wahrnehmung, Benennungoder sozialeKonstnrktion als sozialesProblem,und drittens beinhaltet die Bestimmung sozialer Problemedie Möglichkeit und Notwendigkeit von Veränderungender Situationund die Entwicklung von Gegenmaßnahmen und Politik.' L6 Axel Groenemeyer Soziologie sozialer Probleme L7 2.1 Soziale Probleme und soziale Situation ;$oziale'.Fiabtemerrslldjrtte,s-rniotenße{i4g111tgpq,dip du7.ch:a$iaqseh4frliche Analyseand aaf der Basts+vßsp41ghaftlrpfu9r W,ette;aft,,fir=weg$ch:llsl're.s :Wnhlbertnden schadtth identifaiert ,"rh"n." ''. 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(Sullivan/ThompsottaM,right/.orosd,$pädy: 1i980r.,$IoJ; : ' :::.::r': ,$ryia.ljßya!.laüqtil4:P.h:üngnqae,,iigl) gffierd.Sypppenryp4 (bit hin zur Geaellschqfßangehörigen u ntbeufrI::tif{ltt0|,in:1finr.|p*ewgnubn,,Eeeriträfhtlgep; 2.)öfcntliöh als ieröntlerungsbedtirftig ',G;Wfl8IqLil:t.i,iWW,,Pnö.s jiW:Wulinahnengemacht*"raen.,, qstatl!4in!gr1:,and:!).. ::: : : i ::::.:::: berg/Springbr,l98.3.;',$::,[4ri :::., :,,: .. :,:,:::::'.i . Die meisten Definitionen sozialer Probleme gehen davon aus, da3 soziale Bedingungen, Stukturen und Situationen allein noch keine sozialen Probleme konstituieren. Tatsächlich karur man im historischen Rückblick oder im Vergleich verschiedener Gesellschaften eine Vielzahl von Situationen, gesellschaftlichen Entwicklungen oder Praxen finden, die aus heutiger Sicht oder vom StandpunlC eines externen Beobachters ohne weiteres als äußerst problematiscfu nngesehen wiirden, die aber innerhalb ihres sozialen und historischen Kontextes keine gesellschaftliche Aufrnerksamkeit erfahren oder als Selbstverständli"tr1si1 hingenoillmen werden, wie z'8. Sklaverei, Ausrottung von Ureinwohnem, Apartheid oder Frauendiskriminierung. Genauso kann man eine Vielzahl sozialer Probleme aufzählen, denen eine ,,objektive" Basis in der behaupteten Forrn vollkommen fehlt, wie z.B. Hexenverfolgung oder die Kommunistenangst der fünfziger Jahre in denUSA. Infolgedessen wird in den meisten Definitionen davon ausgegangen, daß die Bestirnrngng eines sozialen Problems im wesentlichen nicht als gesellschaftliche Schadenskategorie, sonderr über seine soziale Defini.tion als Problem innerhalb der Gesellschaft zu erfolgen hat. Die soziale Situation, die Lebensbedingungen oder die Handlungsmuster sollten also nicht als Bestandteil der Definition sozialer Probleme aufgefaßt werden. Ob und inwieweit sie allerdings die Grundlage oder zumindest einen bedeutenden Einflußfaktor für den gesellschaftlichen Definitions- bzw' Konstrrktionsprozeß darstellen, ist strittig. Manchmal wird angenommen, daß soziale Probleme soziale Ursachen haben müssen (Henshel 1990), bzw. daß sie auf Enfwicklungen der Sozialstuktur und des sozialen Handelns zurückzuführen oder gar Entscheidungen zurechenbar sein müssen (Hellmann 1994). Diese Einschränkung ist allerdings nicht notwendig, wenn man daran festhält, daß soziale Probleme über die Vorstellung einer Veränderbarkeit konstituiert werden; soziale Probleme, gegen die oder deren Auswirkungen gesellschaftliche oder politische Maßnahmen entwickelt werden könnten, brauchen nicht unbedingt auch soziale Ursachen zu haben, wie z.B. Naturkatastuophen oder Klankheiten. Offensichtlich ist die Zuschreibung sozialer Ursachen auch eher ein Aspekt der Definition und Konstruktion als soziales Problem und keine feststehende Eigenschaft von Situationen und Zuständen' So dürfte es u'a' ganz entscheidend vom Stand der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung abh?ingen, ob soziale oder nichtsoziale Ursachen für soziale Probleme angenornmen werden. Ztdem ist in dieser Bestimmung implüit die Vorstellung enthalten, daß Probleme, die auf 18 AxelGroenemeyet, soziale Ursachenzurückgeführt.werdenkönnen, leichter zu kontrollieren sind als diejenigen,denen,,natürlichei"ursachenzugrundeliegen. Diese Idee ist allerdings völlig unbegrändet Tatsächlich sollte zwischeg der Definition als ,,sozialesProblem" und problematischengesellschaftlichenBedingungenund Entwicklungen unterschiedenwerden. Erst darurkann es zu einer empirischzu beantwortendenFrage gemachtwerden, ob und inwieweit den gesellschaftlichenKonstrrktionen ,,sozialerProbleme" ein schaden oder eine Funktionsstörungder gesellschaftlichenordnung zugrunde liegt. Nur so kann die soziologieauch,,scheinprobleme" identifzierenodergesellschaftlicheB,edingungen diagnostizieren, die als ,,latentesozialeProbleme"(noch) nicht in der Gesellschaftdefiniert oder als relevant erachtetworden sind. Gerade hierin kann dasbesonderePotentialund die gesellschaftlicheRelevanzeiner Soziologie sozialerProblemegesehenwerden,wenn nicht nur die Definitions- und Konstruktionsprozesse,,erfolgreich" etabliertersozialerProblemenachgezeichnetwerden, sonderndartiber hinaus analysiertwerden kann, unter welchen Bedingungen bestimmte problematischegesellschaftlicheBedingungennicht als relevante ,,soziale Probleme"thematisiertwerden. Die Bestimmungvon Situationen,PraxenoderBedingungenals Verursachervon Leiden oder als Grundlage'fürFunktionsstörungen ist allerdingsnur relativ zu spezifischen Sollzust?indenoder Idealvorstellungenmöglich; von daher erklärt sich die besondereBedeutungvon werten und Normen für die Analyse sozialerProbleme. ProblematischegesellschaftlicheBedingungensind also als Lebensbedingungen, Situationen.oderHandlungsformenaufzufassen,die gegenkollelrive normative Erwartunguroder'Werteverstoßen(vgl. Hellrnann1994;Lauünann1981).In diesem ginns sind Konflikte häufig die GrundlagesozialerProbleme. Die Erwarhrngsenttäuschungen müssendarüberhinausüber einenlitngerenZeitraumbestehen.Eherkurzfristigbedeutsame Ereignissestellenkein sozialesProblem dar; es geht vielmehr um sozialeSituationen,die als mehr oder weniger stabile gesellschaftlicheZuständeaufgefaßtwerden.Einzelereignissenkommt allenfalls eine symbolisbheBedeutungim Prozeßder Konstruktionund Definition als sozialesProblemzu. Ob es gelingt, darüber'hinausgehende Kriterien problematischergesellschaftlicher Bedingungenzu ermitteln,h?ingtdavon ab, inwieweit es überzeugendgelingt, die Werhnaßstäbeselbsttheoretischzu rekonstruierenund an gesellschaftlicheEntwicklungen zu binden. Eine grobe Orientierunghierfür wäre die Ermittlung von für bestimmteKulturen, Epochenund Gesellschaftsformationen grundlegendeund konstitutive Wertideenund Funktionsprinzipien"an derenVerleEung sozialeProbleme unabhängigvon den KonjunkturengesellschaftlicherThematisierungbestimmtwerdenkörurten(siehehierzu Groenemeyer1996). 2.2 SozialeProblemeals.soziale De/inition Hauptaspektder BestimmungsozialerProblemeist die kollektive Definition, darüber bestehtweitgehendEinigkeit. Strittig hingegenist, ob und in welcher Weise dieseDefinitionen aufkonkrete gesellschaftlicheBedingungenaufbauenoder ob so- SoziologiesozialerProblene 19 ziale Probleme unabhängig davon sozial konstruiert werden. Im ersten Fall steht die Frage nach den Bedingungen der Wahmehmung, Interpretation rurd Evaluation gesellschaftlicher Sachverhalte sowie die Beziehungen zwischen individuellem Erleiden und der gesellschaftlichen bzw. politischen Thematisierung als ,,sozialös Problem" im Zentrum einer Soziologie sozialer Probleme. Im zweiten Fall werden soziale Bedingungen als soziale Konstruktionen aufgefaßt, denen kein andossl $inn zukommt als der ihnen von den Gesellschaftsmitgliedem in interaktiven Prozessen zugeschriebene. Es geht dabei also nicht um Bedingungen der Wahmehmung und Deutung von sozialen Gegebenheiten, sondem diese werden erst in Prozessen kollektiven Verhaltens als Gegebenheiten geschaffen. Während in beiden Perspektiven die Konstitution sozialer Probleme als Prozeß kollektiven Handelns aufgefaßt wird, unterscheiden sie sich grundlegend in der Beurteilung der den Definitionsprozeß leitenden Werftnaßstäbe. In einer radikal konstruktivistischen Perspektive sind allein die Maßstäbe, die in den situativen Interpretationen, Interaktionen und Handhrngen der Gesellschaftsmitglieder zur kollehiven Durchsetzung von Definitionen sozialer Probleme zum Ausdruck gebracht werden, fiir die Bestimmung ausschlaggebend. In einer kritischen Perspektive, die den Konstitutionsprozeß im Kontext sozialer Stnrkturen und Institutionen verankert, wird demgegenüber der Wissenschaft, besonders der Soziologie, eine Korrektivrolle zugedacht, die es ermöglichen soll, die Deutungsmuster und Interpretationen der ,,öffenflichen Meinung" selbst in ihrem Bedeutungs- und Realitätsgehalt zu hinterfragen. In den meisten Definitionen sozialer Probleme ist die Bestimmung von Akteuren der Definitionsprozesse problematisch. So bleibt in der Regel ungeklärt, was mit ,,bedeutende Anzahl von Personen" oder als ,,Anzahl bedeutender Personen" gemeint ist. Schetsche(1996) unterscheidetz.B. acht Typen ,,kollektiver AtrJeure" im Hinblick auf ihre Motive (Werte, Interessen) ihrer sozialen Herkunft und politischen Bedeutung (S. 39ff.): Behoffene, Advokaten, ExpertenProfessionelle, Problemnutzer (Verbände, Parteien, Interessengruppen), soziale Bewegungen, Moraluntemehmer, Massenmedien und den Wohlfahrtsstaat. Diese kollektiven Akteure seken mit jeweils unterschiedlichen Defrnitionspotentialen verschiedene Ressourcen (Macht, Geld, Aufmerksamkeit) ein, um bestimmte Deutungsmuster und Sachverhalte in öffentlichen und politischen Arenen nt plaziercn. Sozialen Bewegungen und Massenmedienkommt hierbei eine besondereBedeutung zu, und ihnen ist bislang in den Forschungen zu Prozessen der Konstitution sozialer Probleme am meisten Aufmerksarnkeit gewidmet worden (vgl. Albrecht, ,,Massenmedienund soziale Probleme"; Karstedt, ,,SozialeBewegr ngen", in diesem Band). Entscheidend für die Konstitution sozialer Probleme ist die Art der Thematisienrng von Sachverhalten. Ein soziales Problem muß abgegrenzt, strukturiert und im gesellschaftlichen und politischen Raum definiert werden, und dazu muß es einen identifizierbaren Namen haben. Die Art der Defurition eines sozialen Problems ist dabei bereits ebenso Identifikation wie auch Grenzmarkienrng von Zuständigkeiten und Aktivitäten zu seiner Lösung, deshalb können soziale Probleme auch stategisch genutzt werden und sind häufig das Ergebnis von Interessendurchsetzungen, einge- 20 AxelGroenemeyer bettet in die mit ibnen verbundenenIdeologien. Damit sind soziale ProblemeBestandteil geseilschaftlicherAuseinanderseEungen und politischer Konflikte, in denen die Art und dasAusmaß'derThematisierungsozialerProblemeentwickeltwird. Eine keineswegsselbstverständliche Grundbedingungfür die Konstitution eines sozialenProblemsist die Definition einer Situation im Kontext kollektiver Zustlindigkeiten, die,direkt mit der Unterscheidungvon gesellschaftlichenBereichen in Zwar sind auch individuelle, ,,private ,privat* und ,,öffentlich'! zusammenhängen. Probleme" typischerweisein gesellschaftlicheBedingungen,Entwicklungen und Deutungeneingebettet gleichwohl müssensie erst in öffentliche Themenübersetzt werden, damit sie zu sozialenProbleme,nwerden körmen;hierfür hat Mills (1959) die Unterscheidung von,private touble" und,public issus"singeführt.Nicht jedes ,,pdvate Problem" läßt sich in ,public issues"tiberführen, z.B. weil institutionalisierte Werthaltungen,Ideologien oder Deutungsmustereine Interpretationin Kategorien des öffentlichen und politischen Diskurses sozialer Probleme erschweren oder gar unmöglich machen Die öffentliche,Thematisierung,,sozialerProbleme"nimmt ihren Ausgangspunkt an der Konsürrktion und Definition,von Sachverhalten,die Leiden oder Unbehagen verursachenund mit einer moralischenEntrüstung,Empörung oder einem Gefühl von Ungerechtigkeitverbundensind. DieseGefühlewerdenabernicht durch soziale Problemeheworgerufen,sondemeherumgekehrt,Situationenwerdenerst dadurch, daßsie ebendieseGeftihle hervomrfen,zu sozialenProblemen.Dieseraffektive Gehalt sozialer Problemeist integraler Bestandteileiner BestimmungsozialerProbleme, und die emotionaleEnergie,mit der sozialeProblemeaufgeladensind, kann neben der Anzahl sich betoffen zeigenderMenschen- als ein Indikator der Problemschwerefungieren:je heftiger die öffentlichen Reaktionen,als desto schwerwiegenderwird dasProblem,bewertet,(vgl. Tallman1976,S. 35ff.). Eine Mobilisierung und Sicherungvon Unterstützungfür bestimmteProblemanliegen erfordert daherhäufig eine Aktivierung dieser affektiven Anteile sozialer Probleme über eine Dramatisierung,Moralisierung und Produktion von Mythen (Gerhards1992;'Schetsche1996,S. 87ff.), die darnit eine Ressourcefür sfiategischeNutzungen im Prozeßder Durchsetzungvon Werthaltungen,Deutungsmuster und Interessender verschiedenen kollektiven Akteure darstellen. GrundlagedieserProzessesind auchhier wiederumdie in einer Gesellschaftverfügbarenkulturellen Muster,Werte und Ideologien.Mißständeund Ungerechtigkeiten werdennicht an:individuellenMaSstäbenund Wertvorstellungengemessen,sondern im Kontext lultureller Standardsverortet, desseakognitive wie auch affektive Aspel:tesich z.B. für modernewestlicheGesellschaften u.a. über die Monopolisierung von Gewalt und die,EntwicklungdesWohlfahrtsstaates im ,,Prozeßder Zivißsation"(Elias 1976)herausgebildet habenund immerwiederneuherausbilden. 2.3 SozialeProblemeundPolitik, Das Redentiber soziie Problemeimpliziert die Vorstellung,daßdie Situationnicht so seinmuß, sondemauchandersseinkönnte.In allen Gesellschaftensind Ereignis'se, Zuständeund sozialeBedingungenbekannt,die unerwünschtsind, Leiden und sozialerProbleme Soziologie 2l Kummer bedeutenoder Störungenverursachen.Aber nw wenn in einer Gesellschaft die Vorstellung einer gesellschaftlichenVer?inderbarkeitdieserZuständeverbreitet ist, kann man von sozialenProblemensprechen.Solangedie Lebensbedingrtngen und das Verhalten als Akte einer höherenMacht oder der Nahr angesehenwerden wird, sind sie und dadurcheine Veränderungdurch sozialesHandelnausgeschlossen mit keine sozialenProbleme.D.h. nicht, daßesz.B. in vormodernenGesellschaften gegeben Probleme einem Vorherrschenreligiöser Deutungsmusterkeine sozialen hat, sobaldMaßnahmengegenbestimmteVerhaltensmusteroder Situationenergriffen und institutionalisiertwurden,so war damit ein sozialesProblembetoffen' der SäAllerdingshat geradedie modemeGesellschaftimZtge von Prozessen Gevon kularisierung,der Aufklärung und der Rationalisierungdie ;,Gestaltbarkeit die kulturellen sellschaff' (EversA.{owohry1987) institutionalisiert und damit Grundlagenfür die Konstitution sozialerProblemein besonderemMaße geschaffen;in diesemSiruresind soziale Problemedas Produkt modernerGesellschaften.Die kulturellen Werthaltungen,die ein aktives GestaltengesellschaftlicherZuständeermöglichen, sind durchauszwischenverschiedenenGesellschaften,aber auch innerhalb einer Gesellschaftzwischen verschiedenenGruppen unterschiedlich ausgeoder prägt. So weist z.B. Merton (1976, S. 18ff.) daraufhin, daß Gesellschaften auf die im Hinblick einer Gesellschaft auch Klassen oder Subkultureninnerhalb könwerden Verbreitung fatalistischerund aktivistischerWerbnusterdifferenziert für sozialeProbleme nen, womit jeweils unterschiedlicheThematisierungspotentiale verbundensind. Diese Überlegungendeutenein methodologischesProblemder Bestimmungsozialer Problemeüber öffentliche Meinung an: häufig zeigen geradediejenigen,die am gravierendstenvon sozialenProblemenbetoffeu sind, eher fatalistischeWerte, überlebenswichtigeRationalisierungenund eine starkeBetonungvon privaten Problemen des individuellen Nahraums,so daß eine Soziologie,die ihre Themenauswahl ausschließlichdarauf stätzt, leicht der,Gefahrerliegt, fehlendeProblematisiesoziologischnur an reproduzieren. und -ressourcen rungspotentiale kollekLebenslagen, stellen ein Bindegliedzwischen.sozialen SozialeProbleme geselldem politischen zwischen System bzw. und dem tiven Handlungsmustern von Konstitution und politischen Die Defurition Diskurs dar. schaftlichenund dem ist eine fundamentale und Konfliktparteien Themenund damit auchvon Konflikten Form politischer Macht und sozialer Kontrolle. Diese Macht bestehtnicht nur in direkter Beeinflussungvon Handlungen,sie funktioniert in diesemKontext darüber hinausüber alltäglichereFormender sozialenKontrolle von Informationen,Motiven und selbstAffekten, die bereits eine Artikulierung oder Nichtartikulierung sozialerProblememitbestimmen(vgl. Lukes1974). Soziale Probleme sind allerdings nicht nur gesellschaftlicheIssues,die in das politische Systemeingebrachtwerden;die erfolgreicheEtablierungvon Wertenund Interessenals soziale Problemeist vieLnehr auch an.die Mechanismenund Stukturen der Selektivität desjeweiligen politischen Systemsgebunden.So können sich jeweils unin z.B. Abhäingigkeitvon der Art der Therratisierungvon Sachverhalten politische Probleminwieweit ergeben, daraus Durchsetzungschancen terschiedliche 22 AxelGroenemeyer bearbeitungenetablierteRessourcenverteilungen oder die Verteilung neuerRessourcenbeteffen, ob kostenneutaleoderkostenintensiveLösungenoder neueOrganisationen oder Reorganisationen:notwendig werden,könntenetc. (siehehierzu ausführlicher Groenem€yer,,Die Politili sozialerProbleme"in diesemBand). Die verwaltungsm?ißige;.bürokratische Organisationsformstellt selbstein lnstrument des,Herausfilterns von,Interessenund ProAlemartikulationen dar. Auch hier etabliert sich Macht nicht unbedingtüber direkte Entscheidungsbeeinflussung, sondern viel tiefgreifender über Nichtbearbeitung,fehlendeZustZindigkeitenoder die Unmöglichkeit der Formulierungvon Issuesin bürokatisch zu verarbeitendenFormen:DieseArten von ,,non-decisioas!' (BachrachlBaratz 1970)sind häufig genauso bedeutsamfür.die Konstitution bzw..Nicht-Konstitution sozialerProblemewie die direLtereInteressenorganisation (vgl. windhoff-Höritier 1989;winter 1992).Auf der anderenSeitekörurenorganisationenausdempolitischenSystem(2.B. parteien, verwaltungseinheiten)selbstsozialeProblemekonstituieren, z.B. zrx Sicherungvon Ressourcenund Einfluß, so daß für fe1si1. vorhandeneLösungenim politischen System soziale,Problemeüber die Etablierungvon Diskursen in der Gesellschaft produziertwerden. Obwohl in modemenGesellschaftenmit einem Wohlfahrtsstaatdie Bewältigung sozialer Problemezumindestdem Anspruch nach iruner noch zu 4sn ysrrangigen Politikzielen zählt und dazu ein Arsenal von Institutionen,Organisationenund Mittel in einem Ausmaß entwickelt wurde, welchesdasjenigefräherer Zeitet bei weitem übersteigl scheinengleichzeitig immer neue soziale Probleme aufzutauchen. Außerdem.werdenoffenbar'viele,wenn nicht die meisten,wirklich gravierenden Problemeder Gesellschaft nicht gelöst.Diesesist nicht nur ein Problemder Steuerungsfiihigkeit und der SteuerbarkeitgesellschaftlicherrTeilsysteme durch die Politik, häufig führen die Pfoblernbewältigungenselbstzu neuenproblemen, z.T. mit anderenkollektiven Aliteuren oder Nicht-Akteuren als Hauptbetroffene.Soziale Problemesind offenbar nicht unbedingt dazuda gelöst zu werden, und politische Maßnahmenkönnen durchausandereFunktionen erfüllen oder Ziele verfolgen als ihre Programmatikin bezugauf die Bearbeitungsozialerproblemeangibt. Die Art der KonstituierungeinessozialenProblemskan:r zu einem objekt shategischerPolitik werden.So sichernnicht nur die bürokratischenMechanismendes Herausfilternsvon Ansprüchenund die Steuerungvon Konflikten und Konfliktparteien die ,,Handlungsflexibilität" des politisch-administativen Systems, sondem auch die Möglichkeit der politischen Beeinflussungoder schaffung spezifischer ,,kultureller'und moralischer Milieus sozialer Probleme" (Nedelmann 1986a, 1986b).Von daherbekommensymbolischeoderrhetorischeFormendespolitischen DiskurseseinebesondereBedeutungfür die Analysesozialerprobleme(vgl. Edelman 1988; Gusfield/lvlichalowicz I 984). Auch vor diesemHintergrundwird deutlich, daßeine Bestimmungsozialerprobleme allein über ihre Thematisierungin der öffentlichenMeinung Schwierigkeiten bereitet:wenn die öffentliche Meinung dasErgebnisder Durchsetzungsymbolischer Macht, stategischerIssuebildungen und der Massenmedien ist, so reflektierenso- SoziologiesozialerProbleme 23 ziologische Studien auf dieser Basis allenfalls das, was mächtige gesellschaftliche Gruppen problematisch finden (Hartj en i 977, S.10f')' Schiießlich sind die spezifischen Defi:ritionen sozialer Probleme auch über administative oder rechtliche Kategorien abgesichert, die nicht nur zu Ansprüchen berechtigen, sondern auch Eingriffe und Kontollen legitimieren und so Ressourcen absichern. Die Etablierung und Institutionalisierung gesellschaftlichet und politischer Mechanismen und Maßnahrnen in bezug auf soziale Probleme wirkt also auf die Thematisierung des sozialen Problems in vielfiiltiger Weise zurück (vgl. Gusfield 1981, 1939). Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die mit der Institutionalisierung von Problemlösungen verbundene Etablierung von Normalitätsstandards und Zumutbarkeitsschwellen. Die Soziologie sozialer Probleme muß in wesentlichen Teilen eine Geschichte ihrer sozialen Kontrolle sein. Im Folgenden werden die verschiedenen Aspekte und Probleme einer soziologischen Bestimmung und Analyse sozialer Probleme anhand der Theorieentwicklqg zu sozialen Problemen ausfiihrlicher diskutiert. Auch wenn die verschiedenen Definitionen sozialer Frobleme jeweils einige Forschungsfragen zu präferieren scheinen, so kann man dennoch davon ausgehen, daß gerade der Zusammenhang und die theoretische Integration verschiedener Fragen die Bedeutung einer Soziologie sozialer Protleme ausmachen: Erstens sind unter einer gesellschaffstheoretischen Perspektive die Bedingungen, Stnrkturen, Ursachen und sozialen Kontexte problematisierbarer Sachverhalte und sozialer Probleme zu klären. Zweitens erfordert die Analyse der sozialen Bedingungen und Prozesse, unter denen Sachverhalte zu sozialen Problemen als ,public issue" konstruiert werden, eine kultursoziologische und handlungstheoretische Perspektive. Drittens müssen diese Fragestellungen auf die Analyse der institutionellen Bedingungen und Prozesse bezogen werden, mit denen Reaktionen und Politiken erarbeitet werden. In diesem Siure stellt ,,soziale Probleme" für die Analyse sozialer Wirklichkeit ein Bindeglied zwischen gesellschaftlichen Bedingungen, individuellen Erfahrungen, kollektivem Verhalten und dempolitischen System dar' 3. SozialeProbleme und soziologischeTheorie Eine Schwierigkeit, die Entwicklung der soziologischen Thematisierung sozialer Probleme nachzuzeichnen,liegt u.a. darin, daß sie wissenssoziologischgnnz ähnlich zu behandeln ist wie ihr Gegenstand. Auch die Durchsetzung von Perspektiven und Theorien innerhalb der Soziologie kann als Konstitutionsprozeß von Paradigmen in einem spezifischen sozialen Feld untersuchtwerden. So müssenz.B. auch soziologische Ansätze einen identifizierbaren Namen haben, der gleichzeitig als prägnantes Abgrenzungskriterium fungieren kann und in das jeweils aktuelle, modische Vokabular paßt. Perspektiven, die sich einer prägnanten Etikettierung entziehen, haben es auch im Feld der Soziologie schwerer zu einem ,,soziologischenIssue" zu werden. 24 AxelGroenemeyer In diesem Sinne konstituiert und unterstützt die Soziologie verschiedeneDiskurse, mit deneneine bestimmtePerspektiveoder eine begrenzte Anzahl konkurrierenderPerspektivenfestgelegtsind, die Relevanzkriteriendarüberenthalten,worin ein sozialesProblem besteht,welche Aspekte als veränderbarnaheliegen,aber auch welche Art von Interventionenmöglich sind und welche Akteure daflir legitimerweiseeine Zuständigkeit erhaltenkönnen. Dadurch werdenjeweils bestimmte Politiken denkbarund sinnvoll, währendAlternativen weder im Horizont sinnvoller Möglichkeiten auftauchennoch legitimierbarsind. In der Regel sind in der Gesellschaftverschiedenekollektive Akteure mit unterschiedlichenkognitiven und moralischenWertvorstellungenbzw. Interessenan der ThematisierungsozialerProblemebeteiligt, die sich in Konflikten um die angemessene Behandlung eines sozialen Problems gegeneinanderabgrenzenund um die ,,bessere"Problemdefinitionund Jösung ringen. Diese verschiedenenDiskurse spannendasHandlungsfeldeinessozialeiProblemsau{ in dem sich möglicheAnsichten,Relevan"ql Praktiken,Interventionenund derenBewertungbewegenkönnen.Die Ennvickhrngdessoziologischen Diskursesüber sozialeProblemeist somit kaum ohne Bezug auf diesegesellschaftlichenAuseinandersetzungen zu rekonstruieren. Theorien sozialer Problemewerden hier also als kognitive schemataaufgefaßt, die über gesellschaftlicheThematisierungenin einemspezifischensoziohistorischenkulturellen Kontext entstandensind und sich über Auseinandersetzungen mit Prozessen sozialenWandelsihresGegenstandsbereichs, aberauchüberprofessionspolitische und institutionsspezifischeinfrastnrkturelle Bedingungenweiterentwikkeln. Dabei kann allerdings nur als grobe Generalisierungund in Abgrenzungzu alternativen Diskursen innerhalb oder zwischen verschiedenenGesellschaftenvon einem einhbitlichensoziologischenDiskurs sozialerproblemeausgegangen werden, es gibt allenfalls in sich weiter nt differenzierende,,domainassumptions".wenn im folgenden verschiedenetheoretischeAnsätze unterschiedenwerd.en,so ist diese Einteilung artifziell und soll nicht den Eindruck erwecken,als ob es sich hierbei um tatsächlichvöllig verschiedene oder sich gegenseitigausschließende Perspektiven handele.Allenfalls gibt es verschiedeneorientierungen und perspektivender soziologischenBehandlungvon sozialenProblemen,die sich allerdingsz.T. überschneidenund häufig nur aus Gründender eigenenprofilierung als gegeneinander abgrenzbardargeste[twerden.Darüberhinausunterscheidensich die theoretischen Entwicklungenin einzelnenBereichender SoziologiesozialerProbleme(Soziologie abweichenden Verhaltens,Kriminologie,Medizinsoziologieetc.)teilweisedeutlich von der allgemeinerensoziologie sozialerProbleme(vgl. Gerhardt1989; Haferkarrry1977;Pfohl 1994;StallbergL979,1981). während z.B. Rubingtonund weinberg 1971zwischenSozialpathologie, sozialer Desorganisation,wertkonfliktansaü, Ansatz abweichendenverhaltens und Labeling Ansatzunterscheiden (dem folgend auchAlbrecht 1977)und später(1995) noch einen kritischen und konstruktionistischenAnsatz hinzufügen, gibt es bei perspektive,die wertSpectorund Kitsuse (L977) nur eine funktional-normative Soziologie sozialer Probleme 25 konllikt-Schule und den konstnrktivistischenAnsak als Analyse von ,,claims-making activities". 3.1 Die Entwicklungder Soziologieals ,,Krisenwßsenschaft" einer SoziologiesozialerProbleme- Kriminalität, Devianz, Zwar sindGegenstände Krankheit, Armut, Krisen etc. - keine neuenPhänomene,ihte Thematisierungals ,,sozialeProbleme" ist allerdingsein Produkt der modemenGesellschaft.Entwicklungen der Arbeitsteilung oder der sozialenDifferenzierung,die Durchsetzungder und besondersProzesseder Industialisierung und UrbaniMarktvergesellschaftung die sich als Armut, Absierungführten zu gesellschaftlichenAnpassungsproblemen, weichung,Krankheit und Leiden bisher unbekanntenAusmaßesund Konzentation ausdräckten.Begleitet und vorangetieben wurden digseWandlungendruch kulturelle Entwicklungen, die im allgemeinenals Prozesseder Säkularisierung,Demolratisierung und der Entwicklung von aufklärerischen,humanistischenIdeen sowie einerneuenwissenschaftlichrationalenKosmologiebeschriebenwerden. Zusammenrnit den politischen Revolutionenim achtzehntenund neunzehnten Jalirhundertwurden dasElend und die Leiden der unterenKlassensichtbarund vor allen Dingen der Achtung für Wert befunden.Mit den Ideen des Humanismusund den politischen Ansprücheneiner,,Inklusign" aller wurde Armu! und Leiden nicht nicht veränderbarangesehen, mehr wie vorher als unausweichlich,gottgegeben-und sondernzum Thema der Politik und der Wissenschaften.Die Erfolge der naturwissenschaftlichenBeschäftigungmit technischenProblemen stimulierten auch die Entwicklung wissenschaftlicherPrinzipien der Analyseyon Gesellschaftund gesellschaftlicherVeräinderung.In diesemSinnewar die Beschäftigungmit sozialenProblemen und die Idee sozialerReform eine Basis für die Entstehungder Soziologie wie Psychiatieund Psychologie. und anderermodernenSozialwissenschaften Nebenden Arbeitenvon Karl Marx (1818-1881),die als Prototypeiner Soziowerdenkönneq muß als weiterereuropäischer logie sozialerProblemeangesehen Grändervaterder SoziologieEmile Durlüeim (1857-1917)genarmtwerden.Die Beschäftigungmit sozialenProblemenstandhier unter demAnspruchder Entwicklung Disziplin. Am eindringlichstenwurde diewissenschaftlichen einer eigenständigen sesProgrammam Beispielder klassischenStudieüber den Selbstmordvorgefiihrt, die zu einem Modell für die Analyse sozialerProblemewurde (Durkhekn 1897/ der Soziologieist die Verbinfür die Gränderväter 1983).Geradezucharakteristisch und empirischerAnalyse;nachMouzelis(1993) schienbei dung von theoretischer Beschäftigungmit allgemeiner diesenKlassikernder Soziologieeine eigenständige Theorieundenkbarund allenfallsalsPhilosophielegitimierbar. soziologischer SozialeProblemewurden in dieseneuropäischenSoziologietaditionenallerdings immer in Verbindung mit Fragen gesellschaftlicherEntwicklungen und in mit sozialenBewegungenanalysiert.Im zumindestimpliziter Auseinandersetzung Unterschiedetwa zur Entstehungssituationder Soziologie in Amerika wurden besondersin Deutschlandund Frankreich soziale Problemeeher als Funktions- und Folgeproblemeder gesellschaftlichenModemisierung,alq Indikatoren grundlegender Widersprücheund der Kdsenhaftigkeit der gesellschaftlichenEntwicklung the- 26 27 AxelGroenemeyer SoziologiesozialerProbleme matisiert.Die Auseinandersetzung erfolgte hier eher entlang der durch die soziale BewegungvorgegebenenOrientierungenauf eine grundlegendeallgemeineGesellschaftsreformund nicht auf die Bearbeitungeinzelnerisoliert zu betrachtenderkonkreter sozialerProbleme. Lektlich ist die Kategorie ,,sozialeProbleme"eine amerikanischeEntwicklung, die nur zögerlich ab Mitte der siebzigerJahrein Deutschlandrezipiert wurde (siehe Albrecht L977;Haferkamp1977;Stallberg1979,1981).Ein Ausdruckhiervonwar z.B.rdie Grändrrngder Sektion,,SozialeProblemeund sozialeKontolle" in der DeutschenGesellschaftfür soziolögie auf dem soziologentag1976 n Bielefeld. Währendin Europa mit der Trerurungvon allgemeinersoziologischerTheorie und angewandter Soziologieund der Spezialisierung in verschiedene Bindestrichsoziologien die Analyse sozialerProblemeeherin isohertenRandbereichenerfolgte, war die ,,socialproblems';Forschungin den usA weiterhin zenf;alerBestand.teilsoziologischerPraxisund prägtedort nacbhaltigerauchdie soziologischeTheoriebildung (Rose1971). Ein wesenflicher Grund für diese unterschiedlicheBehandlung sozialer Problemein der Geschichteder Soziologieist die unterschiedlicheBedeutungsozialer Bewegungenin den USA und in Europa.Im Gegensatzzu Europamit einer ausgeprägtenTradition der AuseinanderseEung mit sozialistischenund sozialdemokratischenArbeiterbewegungenhabenderartigesozialeBewegungenin den USA kaum eineRolle bei der Fornrulierungalternativergesellschaftlicherund politischer Konzeptionenvon Gesellschaftsreformgespielt. Vlrtto"lt waren soziale Bewegungen hier eherkruzlebig und thematischsehrviel engerauf konkreteMißst?indeund isolierte sozialeProblemebezogen.Eine Auseinandersetzung mit den in EuropakonfligierendenGesellschaftsmodellen des Liberalismus,Konsewatismusund Sozialismus hat aufgrunddesFehlensentsprechender sozialerBewegungenbei der Konstitutionder soziologiein denusA kaumBedeutungerlangenkönnen.Bash(1994, s. l07ff.) charakterisiertdie europäischeTradition der soziologie in Abgrenzung zur ,,social problem orientation" als ,,social movement orientation", die über die gesellschaftlichenAuseinandersetzungen im ausgehenden neunzehntenJahrhundert geprägtwurde. Ihre zenhalenMerknale sind: (a) eine Orieutierungeher auf kollektivistische Erklärungsprinzipier\ (b) eine eherpolitische, konflikttheoretischeFortschrittskonzeption,die kollektive Entwicklung in den Vordergrund stellt, (c) eine Orientierung auf die bedeutsameRolle kollektiver Akteure, insbesonderesozialer Klassenund sozialerBewegungen,bei der StnrkturierungsozialerPhtinomeneund (d) einebesondere BetonungdeshistorischenCharakters sozialerPhäinomene. Im Gegensatzdazu dominierte in der nordamerikanischenSoziologie zw Jahrhundertwendedie Refomrhaltungmit Bezugauf isolierte sozialeProbleme,verbundenmit einemphilosophischen'Pragmatismus. NachRose(1971)war die erstePhase einermoralisierenden und an Reform orientiertenSoziologie,die bis etwa 1920 datiert wird, durch das Bemühengekennzeichnet,unmittelbaxePraxisanleitungen für die Behebungkonkreter sozialerMißständeüber sozialeReforrnund sozialeArbeit zu entwickeln, ohne damit einen starkenwissenschaftlichenoder gar gesellschaftstheoretischen Anspruchzu verbinden. In Zuspitzung dieser Differenz auf die Frage'nach der unterschiedlichen Konzeptualisierung sozialer Probleme kann man sagen, daß in der europäischen soziologischen Entwicklungstradition die,,soziale Frage" als das soziale Problem im historischen und gesellschaftstheoretischen Kontext thematisiert wurde, wäihrend in der amerikanischen Soziologie die sozialenProbleme im Plural als diskrete, ahistorische ,,social affairs" gesehenwurden. Auch wenn sich im Laufe der zeit tn der amerikanischen Soziologie grundlagentheoretischePerspektiven stärker etablieren konnten, so blieb die soziologische Orientierung auf soziale Probleme weiterhin eine bedeutsame soziologische Aufgabenstellung. Diese instrumentelle, auf konkrete Reformprojekte ausgerichtete Orientierung der amerikanischen Soziologie war auch bestimmend bei der Etablierung der Society for the Study of Social Problems 1952 und ihrem offiziellen Publikationsorgan Social Problems in Abgrenzung zur stärker theoretisch oientierten American SociologicalAssociation(vgl. LeelLee L976,5.7). Gespeist wurde diese Orientierung der amerikanischen Soziologie dutch ihren spezifischen Entstehungskontext, den Hinkle und Hinkle (1954, S. 7ff.) als kulturelle'Hintergrundannabmen der amerikanischen Soziologie am Ende des neunzehnten Jahrhunderts beschrieben haben: (a) Glaube an natürliche Gesetze, die das Verhalten steuem, (b) Vertrauen in den sozialen Wandel, der svolutionär über eine Entwicklung der Individuen zu einem Fortscbritt führt, (c) Orientierung an pmgmatischen Interventionen der Verbessenrng und sozialer Refomr und (d) eine individualistische Konzeption von Gesellschaft. Im Zusammenhang dieser Weltanschauung war es möglich, sqziale Probleme als jeweils isolierte Ph?inomene aufzufassen und ohne Orientierung an umfassendere gesellschaftliche Entwickhrngen zu behandeln. Daneben wird auch der ahistorische Charakter der amerikanischen Soziologie hervorgehoben. Gerade in der Orientierung auf soziale Probleme wurde allerdings Geschichte nicht einfach ignoriert, sondem auf kuve Zeiteinheiten reduziert. ImZusammenspiel mit dem vorherrschenden lndividualismus ist Geschichte in den Analysen sozialer Probleme allenfalls als ,,Mikrogeschichte" relevant. Nicht epochale, historische Entwicklungen bildeten den Fokus, sondern Lebensgeschichten,Biographien und ,,abweichende Karrieren" sowie die Konzeptualisierung von ,,natural histories" sozialer Probleme, die in ihrem Zeithonzont kaum mehr als eine Generation umfassen. Zwar teten diese spezifisch amerikanischen Grundorientienrngen in der Soziologie besonders deutlich in bezug auf die Konzeptualisierung sozialer Probleme als Sozialpathologieund als soziale Desorganisationhervor, sie lassensich aber auch an den die Soziologie sozialer Probleme in den siebziger und ach%rgerJahren dominierenden konstruktivistischen Ansätzen aufzeigen. 3.2 Soziale Probleme als soziale und individuelle Pathologie Inspiriert durch Erfolge bei der Behandlung von Kranl*reiten durch Hygiene und Medizin lag die Organismusanalogie auch für soziologische Analysen von Gesellschaften nahe. Soziale Probleme sind dernnach Abweichungen von einem normalen, 28 Axel Groenemeyer ,,gesunden"Funktionierender Gesellschaft,die in Analogie zur damaligenAuffassung.in der Biologie und der Medüin,,als harmonischesZusammenwirkenund Funktionierenvon Teilsystemenangesehenwurde. GesellschaftlicheZuständekönnendemnacheindeutigals ,,gesund"oder,pathologisch",bestimmt werden(für eine ausfiihrlicheDiskussionsieheDavis 1975;Rubington/Weinberg1995, S. 15-52). Die einflußreichstenund gleicbzeitigam differenziertestenentwickeltenGrundlagen der organismusanalogie finden sich in der soziologiebei Herbertspencer(18201903),in der amerikanischen Versionbei William GrahamSumner(1840-1910). ,., ZenhalesMerlanal der Sozialpathologieperspektive ist die Bestimmungsozialer Problemeanhandmoralischerund norrnativer Kriterien, yon denen angenoilrmen wird, daß sie jeder,verntinftigeMensch nachvollziehenund anerkennenkönnen müßte.Deren ideologischenGrundlagenhat C. Wright Mllls 194: deutlich herausgearbeitetDas,rl-eitbild.derAnalyse,,wieauch der Reforrnbemtihungen orientierte sich an einer Idealisierungkleinstädtischer,an protestantisch-puritanisch religiösen, von weißen MittelschichtswertenbestimmtenLebensweise.Typischerweisewurden sozialeProblemein,Zusammenhangmit dem Leben in der Großstadtthematisiert. soziale Pathologienwaren so diejenigenHandlungen,die gegendie Ideale der Stabilität, der Nüchternheit,desPrivateigentums,gegendie Arbeitsmoralund den Geist desfreien Unternehmertums,gegensexuelleKeuschheitund die Solidarität der Familie und der Gemeindesowie gege:rdie Disziplinierung des willens verstießen (Lemert t951a, S. 5). Als Sammelbegriffe für Verhaltensweisen oder Lebensbedingrngen, die nicht den V"orstellungeneines,,gesunden"und ,,guten"Lebensentsprachen, wurden weder die moralischenGrundlagennoch das Problematischean sozialen Problemenzum Thernagemacht,sondemals allgemeinanerkanntvorausgesetzt. Auch wenn die Menpchenin Gruppen leben und Gruppen angehören,so bestimmt letztlich das Individuum mit seinenpersönlichenMotiven und Merkmalen dasVerhalten.Die Grundlagefür sozialeProbleme.und sozialePathologiensind im Kontext der sozialpathologischen Perspektiveindividuelle Krisen, f'ehlanpassungen, Demoralisierungoder.Desorganisation.Allerdings liegt es nahe,dieseebenfallsauf organischeUrsachenzurückzuführenund sozialeProblemeals Zeichen degenerierter und kranker Individuen aufzufassen.Eine besondereRolle spieltenhierbei Vorstellungenüber die vererbung abweichendenverhaltens, und in verbindung mit dem gegenEnde des 19. JabrhundertssehrverbreitetenAnsichten des Sozialdarwinismuserlangteneugenische VorstellungeneinegroßePopularität(vgl. castel 1983; Pfohl 1994,s. 137f.;Rafter 1988,1992).DieseAuI'fassungen hattenihre Blüte bis zum erstenDrittel des,zwanzigsten Jalrhunderts;aufgrunddesFehlenseiner empirischen Fundierung des erblichen CharaktersabweichendenVerhaltens, besonders aber durch die grausameRadikalisierungdieser vorstellungen in den KonzentationslagerdesNationalsozialismussind sie danachmoralischund politisch in Vemrf geraten.Allerdings karurder Dinfluß biologistischerund soziobiologistischerOrientierungendurchausbis heuteweiterverfolgtwerden,und sie gewinnenseit Mitte der achtzigerJahrebesondersbei der UrsachenerklärungabweichendenVerhaltenswieder an Boden(velleman/orford1984;walters 1992;wilson/Ilerrnstein1985). Soziologie sozialer Probleme 29 Eugenischeund biologistischeErkl?irungensozialerProblemebildeten allerdings bebei deiVerwendung desi(onzepts der Sozia$athologieeher die Ausnahme.So Handbücher Problems Social der Basis ideologischen zieht sich die Kritik an der Konzept von Mills (1943)aucheherauf ein umfassendes,lettlichehertheori_eloses soziale versch:iedene für Metaplrer Sarnmelbegriffoder von Sozialpathoiogie,dasals oder ,,angnd Desorganisation" mit synonym ,,sozialer ProblemeVerwendungfand Erklärungen 1945)' Sutherland (siehe auch wurde gewandterSoziologie"gebraucht theoretisc!9sModell zulreifen dabeiin aei neget nicht auf irgendeinkonsistentes nach allen Seiten ofeinem und Alltagsvorstellungen rück, sondem operierei mit fenenMultifaktorenansatz. In den fiinfziger Jahrengeriet dann das Konzept sozia$athologie außerMode und wich funktionalistischenKonzepteneiner sozialenorganisation auf der Basis Begrifflichkeiten, die eine ehertechnische,I"1- und moralfreie systemtheoretischer plrspektive versprachÄ. In Abgrenzungdagegengewa1l_derPathologiebegriffin der 3oziologie dann gegenende der sechzige-rJahrewieder 11 Bedeutung.Dabei eine R9lle,-alsT"F:ht der Anspruch spielte aber-wenigerdi" Orgaoismusanalogie Theorien.So habenTallman und handlungsleite-nder nach Entwicklung normatiä, in Abgrenzungvon sozialpathologie der den Begriff McGee(1971)vorgeschlagen, Problemezu sozialer Theorien normative für Soziologie einer empirischen,,,reinen wtinscheinen über Annahmen impliziter oder expliziter reservieren,die im Kontext Tallman 1957; (siehe Martindale argumentieren baren Zustand von Gesellschaft in der z.B. verstärkt, wieder neuerdings werden weise gleicher 1976,S. 10ff.). In gepopulär Perspektiven sozialwissenschaftliche Bewegung, kommunitaristischen zu glben versuchen macht, die mit wertsetzung"tt kl*" Handlungsanweisungen Phänomenezusoziale flir gesund/krank Kategorisierung die und dabei explizit auf I rückgreifen(Etzioni 995). Zentales Merkmal dieserPerspektivenist es, daß dasProblematischean sozialen Problemennicht zum Thema gemachtwird, sondemals absolut und gegeben Analysenallgemeinwird. versuche,z.B. über kulturvergleichende vorausgesetzt nicht überZusammenhang diesem in konnten zu objektivieren, verbindlicheWerte nur wemit die Bestimmungen, vagen zu sehr allenfalls letztlich zeugen.Sie fiihrten nig-klaren Begriffen wie ,,authentischeVerhaltensweisen"oder ,,wahreNatur der peisönlichkeif operierenmußten(vgl. z.B.Dreitzel l972;Kovalis 1964). Argument gegeneine an Konzeptenvon Gesundheitund Das schwerwiegendere Krankheit ausgerichteteSoziologiesozialerProblemeergibt sich aber aus der Relativität von Werten innerhalbeiner differenziertenGesellschaft.Viele sozialeBsdin: gegungen,die ,,Gesundheit"in einem Bereich der Gesellschaftmarkieren,haben iade eine ,,pathologie,'in anderenBereichenzur VorausseEung,so daß allein dadurch den mit medizinischenAnalogien operierendenModellen in,normativen Ansätzendie Basisentzogenist (Rosenquist1940).In diesemsinnekann essich allengefalls um eine vage vtetapher handeln,r'velmvon einer ,,lranken Gesellschaft" sie sind sprochenwird. SozialePioblemegibt esnx innerhalbvon Gesellschaften, sich und differenzierte gesellschaftlich auf in bezug sondern aiso nicht absolut, wandelndeWertideenzu bestimmen. 30 AxelGroenemeyer j.3 , SozialeDesorganisation als StörungoderZusammenbruchvon Regeln Mit der Jahrhu,ndertwende und verstärktnach dem erstenWeltkrieg beschleunigten sich in den USA die'Prozesseder Industrialisierungund Urbanisierungdurch tächnische Entwicklungen sowie iÄf,glge.vonMigration und Immigration in einem bislang unbekarurtenMaße. Die Bevölkerungsbewegungen umfaßten nicht nur die wellen der EinwanderungausEuropa,- 1930war ein Drittel aller weißenAmerikaner nicht in Amerika geboren- sondemauch die Schwarzenaus den Plantagenim süden und die der Landarbeiter.Diese Bewegungenführten in den sich rapide entwickelnden Städtennicht nur zu Konflikten zwischen den kulturellen Traditionen der verschiedenenetlnischen Gruppen,sondernauchzu einemZusammenbruchder bislang erlernten und akzeptiertenLebensorientierungen und einem Auflösen der taditionellen dörflichen oder kleinstädtischenMechanismensozialerKontrolle. Das Ausmaßder mit diesenEntwicklungenverbundenensozialenProblemewar mit einer am Individuum orientiertenPathologieperspektive nicht zu erfassen. Eine der zentalen Fragestellungeri'deramerikanischenSoziologiezur Jahrhundertwendewar die Erkftirung desHandelnsausder Natur oder der Kultur - ,,nature vs. nurhue". Im Unterschiedzur Perspektiveder Sozialpathologiewurde mit dem AnsaE der sozialen Desorganisationhier eindeutig Position zugunstender Kultur bezogen.Die damit verbundeneorientierung an Regelnund sozialerKontolle - ein KonzeSl das 1895 durch Edward A. Ross eingeführtworden wff -, bedeutetezudem die Möglichkeit der Konstituierung eines genuinenGegenstandes der soziologie in Abgrenzung zu anderenSozialwissenschaften und der Medizin. Mit dem Ansatz der sozialenDesorganislion konntendie Problemeder Gesellschaftin einer Art und weise definiert und analysiertwerden,für die die soziologie das notwendige Handwerkszeugbereitstellt(Rubington/Weinberg1995). SozialeProblemesind demnachIndikatorenoder ErgebniseinesVersagensvon Regelnund sozialerKontolle infolge von Prozessen zu raschensozialenWandels. HierausentstehteinerseitspersonaleDesorganisation, die sich als individuelleVerhaltensunsicherheit,Überlastungund Fehlanpassungmanifestiert und andererseits eine soziale Desorganisation,bei der die Absti-mmungder Regeln nicht mehr gewährleistetist. Hauptzentrum dieserPerspektive derSoziologie sozialerProbleme warzumindest bis etwa 1940Chicago, eineStadt,dieinnerhalb von 100Jahren voneinemkleinenDorfmit etwa200 Einwohnern zu einerDrei-Millionenstadt 1930anwuchs. Hierentstanden unterderPerspektive dersozialen Desorganisation einigederbedeutendsten, heutealsKlassiker bewerteten, empirischen Arbeitenzu verschiedenen soziale,n Problemen, wie z.B.W.I. Thomas; F. Znaniecki:ThePolishPeasant in EuropeandAmerica(1920);N. Anderson: TheHobo.TheSociologyof theHomeless TheUnadjusred Girl (1923);W.F.M. Man(1923);W. I. Thomas: Thrasher: The Gang.A $tudyof l3l3 Gangsin Chicago(1927);L. Wirth: The Ghetto (1,928); C.R.Sharr:TheJackroller (1930),Brothers in Crime(1938);E. FarisM.H.Dunham: MentalDisorderin UrbanAreas(1939);C.R. Shaw;H.D. McKay: JuvenileDelinquencyand UrbanAreas(9a\; W.F. Whyte: StreetComer Society(1943).Eine guteübersichthieran findet sich bei Faris (1967) (sieheauchdie Liste der Dissertationen in Chicagobei Harvey 1986,S.2t5ff.). Soziologie sozialerProbleme 31 Haupünerkrnal der soziologischenBeschäftig'rng mit sozialen Problemen in Chicago war ztt{at zunächstweniger die Entwicklung abstakter allgemeinersoziologischerTheorien,sondemdie empirischeAnalyse eng an der Wirklichkeit in den verschiedenenMilieus der Stadt.Dennoch wiuen und sind auch die theoretischen Arbeiten im Kontext der sozialenDesorganisation, wie z.B. C.H. Cooley, Social Organization(i909), R.E. Park/E.W.Burgess/R.D..McKenzie, TheCity (1925)oder W. Ogburn,Social Change(1922)und, allgemeinerG.H. Mead(1980),Geist,Identitöt und Gesellschaftaus der Sicht des Sozialbehaviorismus als grundlegende, schulenbildende Werkezu betrachten(siehez.B. DowneslRock(1988,Kap. 3). Währendbei CharlesH. Cooley die besondereBedeutungder Primärgruppenbeziehungenund ihre Kontrollfunktionenbetont wurden,zielt die Analyse von William Ogburndirekterauf die FolgenrapidensozialenWandels.SozialeDesintegration ist demnachüber das Auseinanderfallenoder die Desintegrationverschiedener Elemente oder Sphären der Kultur aufgrund unterschiedlicherEntwicklungsgeschwindigkeitenzu erklären.So entwickelnsich z.B. die Tecbnikund die damit verbundenenForrnender Arbeitsorganisationschnellerals die dazugehörigenkulturellen Orientierungen,und es kommt zu einem ,,cultural lag" und damit zum Zusammenbruchhandlungsleitender Regelnund normativerStnrkturen. Von der zugrundeliegendenArgumentationsfigurher ist diesePerspektivedem Anomiekonzeptvon Durkheim(1893/1988)verwand! auchwenn dort nicht nur der Pathologiebegriffverwendetwird, sondernsich über die dort vsrwendeteOrganismusanalogieauch eine Einordnungin den Ansatz der Sozialpathologierechtfertigen ließe. Hier stehenanomischeFolgen der Arbeitsteilung im Modemisierungsprozeß zur Erklärung gesellschaftlicher,,Pathologien'im Vordergrund,die sich in sozialen Problemenwie Depression,Armut Suizid oder Kriminalität ausdrücken.Anomie als soziale Desintegrationwird hier als ZusammenbruchsozialerNormen oder als Verlust handlungsleitenderPrinzipien und Kontollen infolge der zu raschenEntwicklung der Arbeitsteilungund der Wirtschaft beschrieben.WährendDurkheim in seinerUntersuchungzur Arbeitsteilung(1893/1988)sozialeDesintegrationals Anomie noch überwiegendin einemMangel an Integrationoder wechselseitiger Abstimmung der unterschiedlichenArbeitsfunktionensieht, d.h. überwiegendals stönrngenund Abstimmungsproblemevon Leistungszusammenhängen oder als Desintegration von Teilfunktioen, führt er bei der Analyse der Bedeutungsozialer Integration für dasAufheten sozialerProblemezwei verschiedeneDimensionenein, die als Integrationund Regulationbezeichnetwerden(vgl. zu denSchwierigkeiteneiner Unterscheidungdieser Dimensionenz.B. Pope 1976, siehe auch Albrecht 1987, 1994).So unterscheidet Durlüeim in der Studiezum Selbstrnord(1897/1983)den Aspekt der Identifftation in sozialenKontextenund den sie konstituierendenNormen (Integration) vom Aspekt der druch soziale Integration ausgeübtensoziale Kontrolle der Bedtirfnisse (Regulation). Der ,,altruistischeSelbstnord" karur bei einer starkenIdentifikation mit sozialenNonnen und emotionalenBindungen auftreten, wie es in Gemeinschaftenmit einer sozialenIntegration über eine einheitstiftende Wertorientierungerwartetwird. Der Verlust sozialerIntegration bzw. der Ausschlußausder Gemeinschaft ist in diesemFall an den Verlust der Identitätge- 32 Axel,Groenemeyer bunden.Als Gegentyphierzu kann der ,,egoistischeSelbstnord" aufgefaßtwerden. Hierbei ist die emotionale,Bindungund Identifikation mit sozialen Beziehungen eher gering, der Selbstnord letztlich eher eine Folge vereinzelnderIndividualisierung bzw. eines,,Kults der Persönlichkeif'. Mit dem,,anomischenSelbsünord"wird schließlich der mit sozialer DesintegrationeinhergehendeVerlust sozialer Orientierungenund sozialerKontrollen dör Bedtirfnissethematisiert.Anomie als soziale Desintegrationbezeichnethier dann dasFehlenoder VersageneinesSystemsmoralischer Orientierungen.Ein vierter Typus sozialerDesintegration,der durch ein Zuviel an sozialer Kontolle gekennzeichnetwerden könnte, taucht als ,,fatalistischer Selbstnord" nur,in einer Fußnoteauf. Eine ersteexplizite KonzeptualisierungsozialerDesorganisationim Kontext der amerikanischenSoziologie sozialerProblemefindet sich in der Untersuchungvon William L Thomasund.Florian Znanrecki,,ThePolish Peasantin Europeand America" (1920). Anhand von Briefen, Tagebüchernund anderenpersönlichenDokumentenpolnischerImmigrantenrekonstruiertensie die Auswirkungender Migration auf die individuellerJ:Handhurgsorientierungen. SozialeDesorganisationwurde hier defuriertals der schwindendeEinfluß sozialerRegelnauf dasVerhaltender Mitglieder einer Gruppe. Diese-Prozessedrücken sich in einer individuellen Desorientiemng aus, weil die gelerntenRegeln'und Normen in der ,,neuenWelf' nicht mehr funktionieren.Es fehlen sicherenorrnativeStandards,und damit verbundenentsteht die Haltung eines ,,anythinggoes", die gleichzeitig eine Unf?ihigkeitder effektiven Ausübung sozialerKontolle über die Mitglieder der Gruppebedeutetund so einen Übergang zu abweichendenVerhaltensweisen,die Entwicklung psychischerStönrngenund die Auflösung von Familienstnrkturenerleichtern. Aufbauend auf diese Ideen einer sozialenDesorganisationwurde das Konzept von Röbert,E.Park,EmestV. Burgessund RoderickD. McKenzie(L925)mit Konzeptender Ökologie verknüpft, um so besondersdie räumlicheVerteilung sozialer Probleme erklärbar zu machen.Entsprechendden Prozessender Konkurrenz und der Symbiose in der Pflarzenökologie wurden gut organisiertemenschlicheGemeinschaftenals,sozialeSymbioseaufgefaßt,in der sich die normativenStrukturen über die Mechanismender Verdrängungund Assimilation in einem Gleichgewicht stabilisieren.RaschersozialerWandelinfolge von Industialisierung, Urbanisierung und besondersvon Immigration störendiesesGleichgewicht.Die Störungenwerden als Invasion aufgefaßt, dre zu Konflikten um die kulturelle Dominanz in der Gemeinde führt und zunächsteinenZusammenbruchder normativenStnrktur und der sozialenKonhollen bedingt.,Erstim Laufe der Zeit wkd dann über Prozesseder Assimilation und Aliftommodationeine syrnbiotischeReorganisationder Gemeinde um eineneuedominanteOrdnungermöglicht, Aus diesenProzessender Invasion, des Konflikt, der Akkommodation und der Assimilation'ergebensich in Städten,patural axeas"von hoher und niedriger Belastungmit,sozialenProblemenund abweichendemVerhaltenentsprechenddesAusmaßesder durch sozialenWandelausgelöstenVerlinderungen.DiesesZonenmodell konzentrischerKreise um das ökonomischaktivste und expandierendeGeschäftszentrum bildete,im folgenden die Grundlagefür viele empirischeForschungenin SoziologiesozialerProbleme 33 verschiedenen Bereichen abweichendem Veilralten. Zu denbekanntesten zählen die klassischen Studien von clifford shaw, Henry McKay und Kollegen (1929) zur Jugendkriminalität, die in den nächsten Jahrzehnten für weitere städte in den usA wiederholt wurden (Sha#IrdcKay 1969) und die Grundlage für spezielle Reformprograrnme in den belasteten Gebieten bildeten (siehe als Überblicke z.B. Albrecht 1982, 1993; Byrne/Sampson 1986; Pfohl i994, S. 190ff.). Ebenfalls auf der Grundlage dieses ökologischen Modells sozialer Desorganisationwurde von Robert E.L. Faris und H. Warren Dunham (1939) in Chicago die Verteilung psychischer Störungen untersucht. Hintergrund des Ansatzes der sozialen Desorganisationist die Idee von Gesellschaft als eines sozialen Systems,dessenTeile miteinander koordiniert sind. Soziale Desorganisation bedeutet den Zusammenbruch oder die fehlende Abstimmung zwischen verschiedenenWertsystemen oder zwischen den Wertsystemen und der Sozialstruktru. Die Folge hiervon ist einerseits ein Schwächen der sozialen Kontolle und der sozialen Bindungen und andererseits eine mangelhafte Intemalisierirng der werte im Prozeß der Sozialisation, beides Aspekte, die in der weiterentwicklung als Theorie der difförentiellen Assoziation und als Kontrolltheorie z.T. sehr viel später erst zu zentalen Ansätzen der Erklärung abweichenden Verhaltens werden sollten. So liegt bereits im Konzept der sozialen Desorganisationdie Erklärungsebene eher auf Gruppenprozessen, die in Zusammenhang mit verschiedenen Formen abweichenden Verhaltens gebracht werden (siehe die gründliche Analyse bei Komhauser 1978,vgl. auch Bursik 1988). In Hinblick auf die Analyse sozialer Probleme ist das Konzept sozialer Desorganisation allerdings problematisch, weil es einerseits entweder zu eng konzipiert wird, insofern es nur ftir die Erklärung abweichenden Verhaltens sinnvoll verwendet und empirisch getestet werden kann, oder es bleibt auf einer deskriptiven Ebene, wo soziale Desorganisation selbst als soziales Problem aufgefaßt wird. Betachtet man die dynamischen Prozesse der räumlichen Verteilung sozialer Probleme, so wird der Stellenwert sozialer Desorganisation unklar, weil hier meistens Selektionsprozesse nicht klar genug von Verursachungsfaktoren gefuennt werden. So kann zwar einerseits soziale Desorganisationeine Ursache für des EntstehenabweichenderOrientierungen sein, allerdings köruren sich andererseits erhöhte Raten von Kriminalität oder psychischen Störungen in bestimmten Stadtgebietenauch dadurch ergeben, daß diese Gebiete bevorzugt von Personen,die bereits abweichendeOrientierungen haben, als Wohnort gewählt werden. Dann wäre soziale Desorganisation keine Ursache abweichenden Verhaltens, sondern eher eine Folge der Abweichung. Beide Erklärungshypothesenbrauchen sich zudem nicht auszuschließen,und die in ihnen posfulierten Prozesseder Sozialisation, Kontrolle und Seleltion können sich gegense! tig verstärken, was empirisch kaum adäquatgeprüft worden ist. Von sozialer Desorganisationkann man nur roden, wenn man die Bedingungen der sozialen Organisation und Ordnung bestimmen kann. Hier zeigte sich dann auch die größte Schwäche dieser Perspehive. So ist der analytische Stellenwert und die Bedeutung der sozialen Desorganisation unklar geblieben. Gerade in den empirischen Überprüfungen der klassischen Studien zeigte sich, daß soziale Desorganisa- 34 35 Axel Groenemeyer Soziologie sozialer Probleme tion typischerweise nicht von Aspekten sozialer Benachteiligung wie niedriger Schichtzugehörigkeit, Blldung und ethnische Zugehörigkeit getennt wurde. Auch wurde z.B. der Unterschied und die Beziehung zwischen sozialer Desorganisation und abweichendem Verhalten nicht hinreichend geklärt. Abweichendes Verhalten karur die Folge sozialer Desorganisationsein, g€nauso wie umgekebrt soziale Desorganisationdie Folge abweichendenVerhaltens sein kann. Cohen (1959) hat deutlich gemacht, daß sich abweichendesVerhalten an festgelegten Werten und Normen mißt, während soziale Desorganisation gerade das Fehlen dieser verbindlichen Handlungsregeln thematisiert. Tatsächlich ist abweichendes Verhalten häufig gerade nicht durch Desorganisation gekennzeichnet, sondem weist einen Grad der Organisation aufl der z.T. deutlich stuaffer und in der Verhaltenskontrolle effektiver ist als in anderen als konform angesehenenBereichen. Es ltißt sich auch kaum unterscheiden, wodurch soziale Desorganisation letztlich bestimmt sein soll, und wo die Grenze zwisbhen ,,nonnalem" und desorganisierendem sozialen Wandel liegt bzw. unter welchen Bedingungen soziale Desorganisation gaf, notwendigen sozialen Wandel einleiten kann. Bereits Durlüeim (1895/1984, S. 141ff.) hat am Beispiel der Kriminalität seine allgemeinen Regeln soziologischer Methode illustried, wonach die allgemeine Verbreihrng eines Phänomens und seine Begriindung in den Bedingungen des'Kollektivlebens als Kriterium für Normalität zu gelten haben. In diesem Sinne ist dan:r z.B. Kdminalität norrnal. In der Perspektive der sozialen Desorganisation der Chicagoer Schule war die Bestimmung des problematischen Charakters kein Thema, weil implizit von einem einheitlichen Wertsystem zur Bestirnmung von Ordnung ausgegangen wurde. Dies speiste sich allerdings aus den gleichen rückwärtsgewandten Ideologien, die bereits in bezug auf die Sozialpathologie kritisiert wurden (Mills 1943; Wirth 1940). Die Kriterien und Werhnaßstäbe, an,denen soziale Desorganisation von Stadtvierteln und Quartieren beurteilt wetden,.sind zumindest implizit meistens eher aus romantisierenden Vorstellungen dörflichen oder kleinstädtischen gemeinschaftlichen Zusammenlebens enülommen. Sie werden dem modemen Charakter von Städten als Formen eines pluralen und eher durch soziale Distanz gekennzeichneten Lebenszusammenhangnur selten gerecht. Betrachtet man die Bedeutung der Perspektive sozialer Desorganisation professionspolitisch als Beitag zur Entwicklung der Soziologie als eigenständigeWissenschaft mit genuinem Forschungsbereich, so kana man sagen, daß die Entwicklung eines verfeinerten theoretischen und methodischen Instrumentariums in Chicago zu einem Widerspruch zwischen unmittelbarer Reformorientierung und dem Versuch der Etablierung einer ,,reinen!' Grundlagenwissenschaftführte (Rose 1971). Mit der Ideen einer sozialen Desorganisationkorurte dem professionspolitischen Bedürfnis nach einer von praktischen Konsequenzen unabhängigen Forschung durchaus gedient werden, auch wenn in Chicago die unmittelbare Orientierung der Soziologen auf gesellschaftliche Reformprojekte stark ausgeprägt war. Allerdings wurde die empirische Analyse sozialer Probleme von den Fragen der praktischen Anwendung getennt; nicht mehr moralische Bewertung von Mißständen, sondern wissenschaftlich-objektive Analysen über die moralischen Bewertungen von Mißstäinden sollten die Soziologie bestimmen. Es wurde zur Aufgabe wissenschaftlicherSoziologie, die verschiedenen Wertsysteme in einer Gesellschaft neutal und ohne Partei zu ergreifen zu anüsieren. In diesem Sinne geht Rose (1971) davon aus, daß der Niedetgang einer reformorientierten Perspektive und die Kaniere des Konzepts ,,werhleutraler Objektivität" soziologischer Analysen in den USA direkt miteinander verbun-den sind und beides als eine Folge der Professionalisierungder Soziologie angesehen werden kann. Der rapide soziale Wandel betraf die verschiedenensozialen Gruppen in unterschiedlichem Ausmaß und führte in den zwanziger Jahren zu einer Neuorganisation der gesamten amerikanischen Sozialstruktur. Verlierer dieses Prozesseswaren Arbeiter und Arbeiterinnen in Industrie und auf dem Lande, kleine Farmer und Migranten. Gewinner waren die sich etablierenden neuen städtischen Mittelschichten der Professionellen, Angestellten und Manager, deren Orientierungen sich im Laufe det zwarniger Jahren gegenüber den atavistischen kleinbärgerlichen Ansichten, wie sie sich z.B. noch in den Temperenzbewegungenausdräckten,durchsetzenkorurten und zur döminanten Kultur wurden (siehe Groenemeyer, ,,Alkohol, Alkoholkonsum und Alkoholprobleme", in diesem Band). Die Perspektive sozialer Desorganisation entsprach durchaus den Problemperspektiven der neuen Mittelschichten, die über die neuen Formen der Arbeitsorganisation gewohnt waren, Probleme nicht mehr auf der Basis moralischer Imperative, sondern als rational zu planende Aufgabe anzusehen. In diesem Sinne entsprach der soziologische Diskurs über soziale Probleme auch veränderten intellektuellen kulturellen Milieus und ihrer Stellung in der urbanen Gesellschaftder USA. Das Konzept ist in den USA in den ftinfziger Jahren aus der Mode gekommen, nicht nur weil sich z.T. an der Kritik des Konzepts altemative Erklärungen sozialer Probleme entwickelt hatten und Chicago für die amerikanischen Soziologie an Bedeutung verlor, sondern auch weil über gesetzliche Einschräinkungen der Immigration und Reorganisationsprozesseder Gesellschaftder Gegenstandselbst an Evidenz eingebüßt zu haben schien. Trotzkonzeplioneller und theoretischer Schwächenfindet die Idee sozialer Desorganisation in diesem Sinne auch heute noch Verwendung, z.B. in bezug auf die Erklärung abweichenden Verhaltens in der Dritten Welt und im internationalen Vergleichsstudien (siehe z.B. die Studien von Clinard 1978; Clinard/Abbott 1976; Weinberg 1976). Für die Erklärung abweichenden Verhaltens wurde das Konzept allerdings weiterentwickelt und besondersdie sozialpsychologischenMechanismen der Vermittlung von desorganisierten Gemeindestruktursn auf Prozesse der externen und internen sozialen Kontrolle differenziert und so der empirischen Analyse zugäinglichgemacht (siehe Albrecht 1982; Byrne/Sampson 1986; Bursik 1988; kritisch dazu Bottoms 1994). Obwohl das Konzept sozialer Desorganisation der Chicagoer Schule für Untersuchungen von Ursachen abweichenden Verhaltens in Zusammenhang mit deren räumlichen Verteilung durchaus einen sinnvollen Beitag leisten l6ann, ist es mit der Frage nach einer Thematisierung des problematischen Charakters sozialer Probleme überfordert. Letztlich fehlte den Arbeiten zur sozialen Desorganisation der Chicago- 36 AxelGroenerneyer er Schule ein konsistenter,theoretischer und analytischerUnterbau,um tatsächlich die Organisationeiner Gesellschaftals sozialesSystemund damit auch die BedingungensozialerDesorganisation'als sozialesProblembestimmenzu können. So kommt z.B. Mills (1943) zu dem vernichtendenUrteil, daß die Arbeiten in dieser Perspektiveeine,,,occupationally fiainedincapacityto rise abovea seriesof ,cases"' demonstrieren.Eine überauseinflußreicheGrundlagefür diesetheoretischeFundierung entwickeltesich in den vierziger Jahrenin den USA mit dem Stnrkhrrfirnktionalismus. i.4 SozialeProblemeals Strulctur-und FunktionsproblemsozialerSysteme Bereitsder Ansatzder Sozialpathologie und erstrechtdie PerspektivesozialerDesorganisationverfolgten im Frinzip firnktionalistischeArgumentationen,auch wenn eine entsprechen{eBegrifflichkeit nicht entwickelt war. In bezug auf die Analyse sozialer Probleme fand diese ihre elaboriertesteFassungim Anschluß an Talcott ParsonsdurchRobertK. Merton(1971,1.976). 3.4.1 SozialeProblemeund funktionaleAnalyse In firnktionalistischerPerspektive,wirdvon der Grundannahmeausgegangen,daß die Gesellschaftaus verschiedpnenmiteinander interagierendenStnrkturen oder Teilsystemenbesteht die,jeweilsunterschiedlicheBeitäge für den Bestandund die Arbeitsweise des gesellschaftlichenSystemserfüllen. Spezifischekulturelle oder Handlungsmusterwerden im Hinblick auf ihre Funktionenbzw. objektiven Konsequenzenfür die Herstellung,oderWiederherstellungdes Systemgleichgewichts behachtet. Die Bestandserhaltungdes Gesamtsystems wird hierbei als vermeintlich neutale, d.h. von Wertsetzungenunabhängige,Bezugsgrößeder Analyse sozialer Systemeangenommen.,. Von zentaler Bedeutunghierfür ist:die Erfüllung theoretischbestimmter,,fiüktionalerErfordernisse".Nach ParsonsmußjedessozialeSystemvier Aufgabenzur Bestandserhalhurgerfiillor: Anpasslng an die externeUmwelt (adaptation), Integration der verschiedenen$ystemelementewie Werte, Rollen, Interessenund Motive der Mitglieder (integration),Erreichungkollektiver Ziele (goal attainment)vnd die fortgesetzteReproduktionund Kontolle der kulturellem Muster sowie die Reduktion von systemischenSpannungen(latency: pattern maintenance- tension reduction)(Parsons/Bales/Shils 1951).Auf der Grundlageeiner kybernetischen Perspektive aktivieren Spannungenund Abweichungen innerhalb eines sozialen Sy- sozialeKontrolle -, die dasSystemstemsverschiedeneAnpassungsmechanismen gleichgewichtsbeständigregulieren.In bezugauf abweichendes Verhaltensind diesesim wesentlichenSozialisation,ProfiUGratifikation,Überzeugungund als ultima rano ZwanglGpwalt.Auf institutioneller,Ebenekommen nebender Ökonomie den (2.8. der;Medizin),der Technologieund der Erziehungeinebesondere Professionen Rolle bei der rationalenLö_sungsozialerProblemezu (Parsons1939). Im Bemtihen,diese abstakten Prinzipien für gesellschaftlicheAnalysen zu nutzen, geht Merton im Urterschied zu Parsonsdavon aus, daß die Bedingungenund SoziologiesozialerProbleme 3'7 Mechanismen, mit denen soziale Systeme ihren Bestand und ihre Arbeitsweise sichern, nicht theoretisch vorab, sondern jeweils empirisch bestimmt werden müssen (Merton 1968). Ebenfalls im Unterschied zu Parsonswird zudem angenommen,daß soziale Integration nicht notwendigerweise auf das Gesamtsystem bezogen werden muß, sondern auch davon unabhängig für Teilsysteme untersucht werden ka::n. soziale Systeme können demnach durchaus langfiistig Bestand haben, auch wenn sie in bezug auf das Gesamtsystemdysfunktionale Konsequenzenhaben; soziale Integration ist also eher eine graduelle Eigenschaft sozialer Systeme. Mit diesen Ahnahmen wird versucht, die mit funktionalistischen Argumentationen verbundene Gefahr tautologischer Aussagen zu vermeide:r: explizit oder irnplizit gehen funktionalistische Analysen häufig automatisch davon aus, daß ein etabliertes Handlungsmuster oder eine Institution bereits deshalb fi.rnktionale Erfordenrisse für das soziale System erfüIlt, weil es etabliert ist, womit diese Argumentation gegen empirische Falsifizierung immunisiert ist. Zrtsätzlich erweitert Merton das Erklärungsschema um latente Funktionen, d.h. kulturelle oder Handlungsmuster können objektive Konsequenzen haben, die von den Aktewen nicht beabsichtigq nicht vorhergesehen oder durchschaut werden und erst über die soziologischeAnalyse manifest gemacht werden. Zenfralflir die empirische Analyse ist daher die Annahme funktionaler Aquivalente, d.h. verschiedene Institutionen oder Handlungsmuster können in bezug auf das soziale System gleiche Konsequenzenhaben. Aufgabe der Soziologie ist es zu analysieren,\ryarumsich gerade das vorgefi,rudene Muster etabliert hat. Dieses erfordert darur eine Kausalanalyse, die aber in dieser Perspektive nur sehr vage theoretisch angeleitet wird. Die unterscheidung zwischen frrnktionaler und kausaler Analyse ist wichtig, um der Gefahr teleologischer Erkläirungen entgegenwirken, wonach soziale Sachverhalte nicht aus den ihnen folgenden Konsequenzen erklärt werden können. Fär die Analyse sozialer Probleme sind in dieser Perspektive zvtei Aspekte von besondererBedeutung: Erstens können soziale Probleme sowohl positive wie auch negative Funktionen erfiillen und für verschiedene Gruppen oder Teilsysteme in der Gesellschaft jeweils unterschiedliche Konsequenzen haben. Zweitens besteht der Anspruch, soziale Probleme ohne Rückgriff auf a priori Wertentscheidungen aus der jeweiligen Organisation der Gesellschaftals Muster, die dysfunktional sind, bestimmen zu können und einer technischen Lösung zu zuführen. Eine derartige Diagnose impliziert einerseits die Vorstellung, soziale Probleme wären tatsächlich dazu da, gelöst zu werden und andererseits,daß sie auch tatsächlich bewältigt werden können. Dieses muß allerdings keinesfalls erwartet werden, und es sprechen gute Gründe dafür, daß diese Vorstellung sogar gänzlich falsch ist. Offenbar überleben Staatenund Gesellschaftennämlich auch, wenn sie die gravierendsten sozialen Probleme ungelöst lassen. Neben diesem eher empirischen Argument, das die Frage nach den Mechanismen des gesellschaftlichen Umgangs mit Problemen aufwirfq gibt es aber auch einige theoretische Argumente dafür, daß Gesellschaften ohne soziale Probleme nicht denkbar sind. Am bekanntesten hierfür ist die funktionale Argumentation von Dwlüeim (1895/1984) hinsichtlich der Kriminalität geworden. Demnach erfiillt das abweichende Verhalten und die darauf fol- 38 39 Axel Groenemeyer SoziologiesozialerProbleme genden gesellschaftlichen Reaktionen unverzichtbare Funktionen für den Bestand und das Funktionieren jeder Gesellschaft(vgl. Albrecht 1981; Cohen 1975;Phillipson 1982). So können über abweichendesVerhalten, bzw. über die daran anknüpfenden Reaktionen sozialer Kontolle, Grenzen des Erlaubten markiert und symbolisiert, die Solidarität innerhalb der Gruppe über die Konsürrktion eines gemeins€rmen Feindes gestärkt oder auch Spannungen abgebaut werden, abweichendes Verhaltens kann zudem notwendige Systemanpassrmgen einleiten und die Flexibilität in der Umweltanpassung sichern Die Frage nach den im einzelnen erfiillten manifesten und latenten Funktionen sozialer Probleme und ihren Mechanismen ist eine durchaus bedeutsame soziologische Fragestellung, die sehr viel über das Funktionieren modemer Gesellschaften erhellt. Prinzipiell kann aber hierdurch uur erklärt werden, warum bestimmte Probleme weiterhin existieren und wie sie sich entwickeln, aber nicht, warum sie entstanden sind. Klassische Beispiele für eine funktionale Analyse sind die historische Studie tiber die Puritaner von Erikson (1966) und die Untersuchung der Funktionen von Armut in den USA von Gans (1992, vgl. Groenemeyer, ,,Armuf in diesem Band). Eine Gesellschaft ohne soziale Probleme setzt voraus, daß alle Individuen einer Gesellschaft ihren jeweiligen Rollen und sozialen Regeln vollständig angepaßt wären, daß ein vollkommenes Gleichgewicht und eine widerspruchsfreie Organisation aller gesellschaftlichen Teilsysteme entwickelt werden körurte und daß damit jegliche Veränderung und sozialer Wandel sowohl als Realität wie auch als Wertidee aus der Weit geschaffen wäre. Letztlich bedeutete die Lösung aller sozialen Probleme also entweder die absolute Auflösung gesellschaftlichenLebens oder die Abschaffung jeglicher Individualität und Subjektivität, was auf das gleiche hinausliefe. In Abgrenzung zur';moralischen Perspektive der Sozialpathologie erhebt die strrkturfunktionalistische Theorie den Anspruch, soziale Probleme als Funktionsproblem sozialer Systeme objektiv und wertfrei bestimmen zu können. Dieses machte einen erheblichen Reiz dieser Theorie aus, paßte sie doch in ibrer Entwicklung gut in die Zeit der sich entwickelnden Wohlfahrtsstaaten des New Deals und der keynsianischen, rationalen'Wirtschaftsteuerung. Ihre Blüte in Zusammenhang mit der Ana$se sozialer Probleme erlebte si,e allerdings erst in den fünfziger und sechziger Jahren, als auf der Grundlage der von Merton (1938) formulierten und über Cohens Subkulturtheorie (1955) popularisierten Anomietheorie die verschiedenen groß angelegten Programme des ,,War against Poverty" begründet wurden. particular group or organization or community or society is disorganized in some degree, we meim. that the structure of statuses and roles is not as effectively organized as it, then and there, might be. This type of statement, then, amounts to a technical judgment about the workings of a social system. And each case requires the sociological judge to supply competent evidence that the actual organization of social life can, under attainable conditions, be technically improved (Merton 1971, S. 820). Während sich soziale Desorganisation auf eine fehlende Abstimmung im Arrangement von Rollen und Status bezieht und als Auseinanderfallen von Werten und Möglichkeiten ihrer Verwirklichung gefaßt werden, betrifft die Klasse des abweichenden Verhaltens Normverletzungen innerhalb von Rollen. Ein Schlüsselbegriff für die Analyse abweichenden Verhaltens ist Anomie, deren Bezug zu sozialer Desorganisation allerdings nicht genau geklärt ist. Im Prinzip bedeuten beide dasselbe: ein Ungleichgewicht von Systemen, entweder als Zusammentruch sozialer Organisation und verbindlicher Zielvorstellungen, deren unzureichende Institutionalisierung als Diskrepanz zwischen Zielvorstellungen und bereitgestellten Mitteln zur Zielerreichung oder ein gesellschaftlicher Zustand, in dem die Standards eines Systems weniger erfüllt werden, als es bei einer altemativen Arbeitsweise der Fall wäre. Nach Merton soll es sich bei der soziologischenBestimmung sozialer Probleme sowohl in bezug auf abweichendesVerhalten wie auch auf soziale Desorganisation um eine technische Analyse der strukturellen und normativen Funktionsbedingungen eines sozialen Systems und nicht um ein Problem der moralischen Bewertung handeln (vgl. die ausführliche Diskussion bei Albrecht 1977, L990; Kitsuse/Spector 1973). Auch wenn eingeräumt werden muß, daß soziale Probleme von unterschiedlichen Akteuren und Gruppen unterschiedlich definiert und beurteilt werden können, so sollen Funktionsbeeinträchtigungendoch von soziologisch geschulten Beobachterlnnen an Hand objektiver Kriterien festgestellt und damit auch unabhängig von Interpretationen und Bewerhrngen durch Beobachterlnnen und Betroffene als soziales Problem diagnostiziert werden können. Soziale Probleme sollen gerade nicht an ,,subjektiven" Interpretationen gebunden sein; die analyfische Unterscheidung zwi schen objektiven Kriterien und ,,subjektiver" Deutung eröffrret gerade die Möglichkeit der Kritik sozialer Problemdefinitionen. Bezugspunkt soll in jedem Fall die Bestandserhalhrngund das Gleichgewicht des sozialen Systems sein, d.h. von sozialer Desorganisation wird dann gesprochen, werur funktionale Systemerfordernisse nicht oder nur unzureichend erfüllt werden. Eine soziologische Analyse sozialer Probleme müßte zu deren Bestimmung aller.Wissen über die Funktionsweise sozialer dings über ein abgesichertes,fundiertes Systeme verfügen und gleichzeitig voraussagen köruren, daß es unter alternativen Bedingungen besser funktioniert. Mit dieser Bestimmung sozialer Desorganisation am Vergleichsmaßstab einer möglichen besserenFunktionsweise wird dann allerdings der vermeintlich neutrale Bezugspunkt der Analyse, die Bestandserhaltung des Systems, selbst zu einen theoretischen Problem, müßte doch entschieden werden, worin das bessereFunkfionieren liegen könnte und wem das bessereFunktionieren 3.4.2 Soziale Probleme und soziale Integration Die zentrale Charakterisierung sozialer Probleme als soziale Desorganisation sozialer Systeme im Sinne einer fehlenden Abstimmung verschiedener Teilsysteme oder -einheiten des sozialen Systems in einer strukturfunktionalistischen Perspektive faßt das klassische Zitat von Merton zusarnmen: ,,Social disorganization refers to inadequaciesor failures in a social system of interrelated statusesand roles, such that the collective purposes and individual objectives of its members are less fully reahzed than thev could be in an altemative workable svstem. ... When we sav that a AxelGroenemeyer SoziologiesozialerProbleme zugute kommt. Typischerweisebedeutetdie Lösung oder die Bearbeitungsozialer Problemein modernenGesellschaften,daßgeradedadurchsozialeProblemein anderen Bereichengeschaffenund andereGruppendavon betoffen werden, es also eherzu einerProblemverlagerung,dennzu einerLösungkommt. festhält, könnte eine soWenn man am Bezugsproblemder Bestandserhaltung ziologisch technischeDiagnosevon Funktionsproblemensozialer Systemernöglicherweiseauf dem Niveau von Teilsystemenangeben,welche Elemente, Handhurgsmusteroder Sbrrkturenmit welchen Konsequenzen(Funktionen) verbunden als sozialesProblem Konsequenzen sind, allerdingssetzteine,Bestimmung,dieser voraus,daß dasreibungsloseFunlctionierendes Systemsnicht geradeselbstdie UrsachedesProblemsist (Gouldner L974).Le%tlichgeht esalso auchdannnicht mehr um ein rein technischesProblem,sonderr durch die Wahl diesesBezugspunktsder Analyseist zumindesteine Wertentscheidungfür den Status-quoverbunden. Eine wichtige Aufgabe für die Soziologiebestehtdarin, nicht nur bereits etablierte sozialeProbleme,zuanalysieren,sondernbislangunbearbeiteteProblernlagen zu erkennen.Hierfür ryird"von Merton,die Unterscheidungzwischen latentenund manifestensozialenProblemen- in Analogie zu manifestenund latentenFunktio-- singefüht. Über die Analyse von Funktionsproblemenoder defizitären Be11s11 därfnisbefriedigungenin einer Gesellschaftkann die Soziologiedaztt beitragen,latenteProblemlagenzu erkennen,auchwenn sie in der Gesellschaftnicht oder noch rricht als.problematischinterpretiert worden sind. Im Gegenzugkönnen auch vermeintliche oder scheinbaresozialeProblemeals solcheerkanntund kritisiert werden,2.8.. indem die Soziologie zeigt, daß eine vermeintlich problematischenGegebenheitdie Bedärfoisbefriedigungund die Funktionsweisedes Systemgar nicht in der behauptetenWeisebeeintächtigt. Damit könnte die Soziologieein bedeutendeskritischesPotentialgewinnen,undzu einerLeitwissenschaftwerden,eineErwartung, die in den sechzigerJahrenin den USA und ab Ende der siebzigerJahreauch in Europa'zueiner erheblichenAusweitungsoziologischer Lebr- und Forschungskapazitätenund zur Aufrahme von Soziologlnnenin politische Reformkommissionen gefiührthat. Damit stellt sich dasProblemder Definition sozialerProblemeinnerhalbder Gesellsc-haftund derenBezugzur soziologischenAnalyse.Ohnehier auf die Einzelheiten der Argumentationvon Merton einzugehen,liegt es auf der Hand, daßbei Vorund GezwischenSoziologTnnsn üegeneiner Diskrepanzder Problemdefinitionen sellschaftletztlich die Soziologiedas nötige Wissen mitbringen soll, um latentein manifesteProblemezu überfiilren und scheinbareProblemeals solchezu entlarven (vgl. Albrecht1977,S, 150f.;Kitsuse/Spector 1.973,5.410f.). Allerdingsist die Soziologie bei der BestimmungsozialerProblemegeradeauf die Werte der Gesellschaftsmitgliederangewiesen,d.h. die empirische Feststellungeiner Diskrepanz zwischengesellschaftlich,geteilten Standardsund den Möglichkeiten ihrer Realisieerfolgen. rung muß über die ,,subjekfiven"Definitionen der Gesellschaftsmitglieder Dieseskarur- so auchdie Kritik von Manis (1974, 1976)- leEtlich zum Paradox führen, daß die öffentliche Meinung die Grundlagefür ein sozialesProblem abgibt. Solägez.B. soziologischkein sozialesProblemvor, wenndie Erwartungenbzw. die Werte der öffentlichen Meinung hinsichtlich einer rassistischen Diskriminierung mit der rassistischenWirklichkeit übereinstimmen. Es besteht somit keine Möglichkeit zu bestimmen, ob oder inwieweit mit den Standards, Werten oder Erwartung nicht Ideologien oder Idealvorstellungen zum Maßstab für soziale Problem erhoben werden (vgl. Albrecht 1977, S. 153). Verkomplizied wird dieses Problem noch, wenn man mit Merton (1976) eben nicht mehr von einem notwendigerweise einheitlichen Wertekanon in einer Gesellschaft ausgeht, sondern realistischerweise zuläßt, daß in differenzierten Gesellschaften die Interessen,Standardsund Werte für verschiedenesoziale Gruppen sehr unterschiedlich sind und häufig miteinander konfligieren. Darur kann sich Fall ergeben, daß innerhalb der öffentlichen Meinung nicht nur von verschiedenen Wertvorstellungen auszugehenist, sondern diese sich auch noch von den Perspektiven der Betroffenen unterscheidet, so daß es der Soziologie an ,,objektiven" Kriterien für die Feststellung einer Diskrepanz zwischen Standards und Realität gänzlich fehlt. Zusammenfassend kann man also sagen, daß das auch bei Merton grundlegende Konzept der sozialen Desorganisation und der Anomie vage bleibt und der Anspruch einer ,,technischen" Konzeption sozialer Probleme auf der Grundlage firnktionalistischer Annahmen kaum eingelöst werdep kann, ohne Bezug auf Wertentscheidungenzu nehmen. Wenn Merton (1971, S' 820) mit Blick auf die ältere Perspektive der sozialen Desorganisation konstatiert, daß ,diagnoses of social disorganüation are often little more than moral judgments", dann trifft dies zumindsst teilweise auch auf den Strukturfunktionalismus zu. Allerdings liegt hier der Bezugspunkt einer Bestimmung sozialer Desorganisatiol auf'der Ebene der Gesarntgesellschaft und nicht in den verschiedenenMilieus, was die Analyse erheblich erschwert und eine Einheitlichkeit von Gesellschaftvoraussetzt,die gerademodernen hochdifferenzierten Gesellschaftennicht angemessenist. Auch wenn notwendige vermittelnden Institutionen zwischen gesamtgesellschaftlicher Integration oder Desintegration und unterschiedlichen Milieus als Bezugspunkt der Analyse sozialer Probleme kaum thematisiert werden, so bietet diese Perspektive dennoch einen (erweiterungsbedürftigen) Ansatz, der allgemeine Bedingungen der Entstehung problematischer Bedingungen in der gesellschaftlichen Entwicklung thematisiert, die zur Grundlage von Problematisierungen gemacht werden kön:ren. Allerdings gibt Merton mit den Konzepten,,latenter" und,,scheinbarer" Probleme Fragestellungen vor, die sich einer Soziologie sozialer Probleme auch heute noch stellen und die nach wie vor ungelöst sind. Entsprechendder oben entwickelten Definition sozialer Probleme stellen Prozessesozialer Desorganisation oder sozialer Desintegration aber nicht unbedingt bereits soziale Probleme dar. Vielmehr sollten beide Aspekte - die soziologische Analyse sozialer Desorganisation bz'ry. Desintegration und soziale Probleme deutlich voneinander unterschieden werden. Nur in der Analyse der Beziehungen zwischen diesen beiden Aspekten können dann möglicherweise auch ,,latente" und ,,scheinbare"soziale Probleme identifiziert werden. 40 4l :'tf'-- , I 42 Axel Groenemeyer 3.5 Wert-undKulturkonflikt Das systemischeModell desStukturfunktionalismusbetontmit seinenAnleihen an die Kybernetikund die Biologie die Prozesseund Mechanismen,die die Arbeitsweise des Gesamtsystems regulieren und sichern.Der Schwelpunktliegt auf Reproduktion desSystemsund damit auf Konfomrität; Veränderungenund eine aktive Gestaltungdes Systemswird tendenziellals Devianz thematisierbar,erhalten aber den charakter der Ausnahme.Dieseshat dem Modell den vorwurf des utopismus eingebrachqweil Gesellschaftenin der Realitätgeradenicht als funktionaleEinheit, sondernüber Auseinandersetzungen und Konflikte der verschiedenen mehr oder wenigerorganisiertenGruppenfunktionieren(2.8. Dahrendorf1967).Es gibt keine sozialenProblemeder Gesellschaft, sondernntx in der Gesellschaft.SozialeIntegration ist weniger auf KonsensoderÜbereinkunftgegründet,sondernals ein prekäres Resultat der gesellschaftlichenAuseinandersetzung um Ressourcenund Macht anzusehen;Gesellschaftenund gesellschaftlicheInstitutionen werden über Zwang und Gewalt zusammengehalten. Die Grundlagenkonfiikttheoretischer'Perspektiven bei der AnalysesozialerProbleme liegen bei so unterschiedlichenGrändewäternder Soziologiewie Karl Marx und GeorgSimmel und entsprechenddifferenziertsind auch die Orientierungen,die als konflikttheoretischzusaürmengefaßt werden(siehez.B. Turner 1986).Neben ihrem Bezug auf Marx und Simrneleint sie im Prinzip nicht mehr als die Betonung divergierenderund konfligierenderInteressenund Werte in der Konstituierung sozialer Probleme.Darüber hinaus finden aber auch Prozessesozialer Ungleichheit, Ausbeutungund Macht als politische Grundlagevon Konflikten bei der Analyse sozialer Probleme Berücksichtigung.Kulturelle Differenzierungenund KonJükte sind nicht nur Grundlagefür das EntstehenproblematisierbarersozialerBedingungen, sondemsie sind vön zentaler Bedeutungfür denProzeßder Definition und öffentlichen Problematisierung,der damit zum spezifischenForschungsthemaeiner SoziologiesozialerProblemewird. 3.5.1 KulturelleDifferenzierungalsUrsachesozialerProbleme Bereits in den Arbeiten von Thomasund Znaniecki (1920) war die Idee enthalten, daß sozialeDesorganis4tionauchüber konfligierendeWertsystemezu beschreiben ist. Allerdings wurde darausnoch nicht der Schluß gezogen,daßabweichendes verhalten geradedadurchentstehenkann, daßdie RegelneinesanderenBezugssystems befolgtwerden.Ethnographischen Studien,wie z.B. W.F. WhytesStreetCorner Society (1943/1996),habengezeigt"daßvon einemZusammenbruch der Normenund Wertein den ,,desorganisierten Milieus" der Großstadtkeine Redeseinkann.Vielmehr bildeten sich hier eigene Werte- und Norrnensystememit Formen sozialer Kontrolle, die sehrviel rigider und effektiver funktioniertenals diejenigenin den als konform angesehenen Milieus. Viele der als soziale ProblemebezeichnetenSituationen und Verhaltensweisensind in bezug auf das spezifischeMilieu, in dem sie gezeigtwerden, keineswegsabweichend.Sie folgen den Mustern einer Subkultur, die von der sieumgebenenGesellschaft abweicht. Soziologie sozialer Probleme 43 Bei der Erklärung abweichenden Verhaltens kann also auf individuelle Eigenschaften der Akteure verzichtet werden, weil das Verhalten hinreichend über die Anpassung an (sub)kulturell und sozialstruktrxell differenzierte Muster in einer Gesellschaft beschriebenwird (Komhauser 1978; Sack 1971). Die dabei zum Tragen kommenden Mechanismen des Lernens und der sozialer Kontolle wurden als Theorie differentieller Assoziation von Sutherland (Sutherland/Cressey1939) und später von Akers (1973) zu bedeutsamenallgemeinen Erklärungsfiguren für abweichendes Verhalten weiterentwickelt. Auch wenn damit Ansätze eines Werhelativismus thematisiert wurden, so blieben sowohl die frühen Perspektiven des Kulturkonflikts der Chicagoer Schule wie auch die darauf folgenden Theorien abweichenden Verhaltens auf einer sozialpsychologischen Ebene der Anpassung von Individuen an eine pluralistische Umwelt. Die gesellschaftlichen Bedingungen und Mechanismen der Strukturierung von Wertsystemen wurden und werden dabei nicht thematisiert; von daher kann auch das Problematische an sozialen Problemen und abweichendem Verhalten nür vorausgesetzt,nicht aber zu einer eigenständigen Fragestellung gemacht werden' 3.5.2 Werte- und Kulturkonflikte im Definitionsprozeß sozialer Problem In seiner allgemeineren Orientierung in bezug auf die Bestimmung sozialer Probleme geht der Wertkonfliftlansatz auf Frank (1925) zurück und findet seine Ausformulierung bei Fuller (1937) bzw. Fuller und Myers (19a1a). Lo Unterschied zu Vorstellungen einer Bestimmung sozialer Desorganisation durch die Soziologie wird hier die besondere Bedeutung der gesellschaftlichen Definition sozialer Probleme hervorgehoben und damit die Unterscheidung von ,,objektiven" Bedingungen und ,,subjektiven" Interpretationen eingeführt: Soziale Probleme lassen sich nicht allein auf spezifische ,,objektive" soziale Bedingungen zurückführen, sondern bedürfen immer der ,,subjektiven" Bewertung, die das eigentlich Problematische an sozialen Problemen konstituiert. Das Verbindende zwischen verschiedenensozialen Problemen liegt allein darin, daß sie alle als unerwiinscht, belastend und veränderbar in der Gesellschaft definiert werden. Von daher muß eine Soziologie sozialer Probleme diesen Definitionsprozeß ins Zentrum der Analyse stellen. Die Beschreibung und Erklärung diesesProzessesmacht den besonderenGegenstandeiner Soziologie sozialer Probleme aus. Werte und Werturteile haben bei Fuller/lvlyers flir soziale Probleme eine dreifache Bedeutung: Erstens sind sie die Grundlage für die Bewerhrng bestimmter Sachverhalte, d.h. auf der Grundlage von Werturteilen werden bestimmte Phänomene als unerwtinscht und veränderbar definiert; zweitens können sie die Ursache für soziale Probleme abgeben, werur bestimmte Werte ein abweichendes Verhalten nahelegen, und drittens sind Werte die Grundlage für Konflikte über die Wahl von Lösungsmöglichkeiten für bereits definierte soziale Probleme. Damit lassen sich drei Gruppen von sozialen Problemen unterscheiden: ,Moralische Probleme" sind solche FäIle, bei denen sowohl die Definition eines Problems als auch die Entwicklung von Maßnahmen Gegenstand eines Wertkonflikts sind. Bei ,,ameliorativen Problemen" besteht zwar weitgehende Einigkeit über den Problemcharakter, aber es gibt Kon- 44 AxelGroenemeyer Soziologie sozialer Probleme flilJe über die zu entwickelndenMaßnahmen.Danebengibt es ,,physischeProbleme", die im eigentlichenSinnenicht als sozialeProblemeaufgefaßtwerden,da ihre Ursachennicht sozialerArt sind,z.B. Naturkatastrophen. SozialeProblemewerdenalso über die in der GesellschaftvorhandenenMeinungsnbestimmt:.,,^Social'problem are whatpeople think thqt are." (Fullerilvlyers l94lb; S. 320). Nicht 6is lsdingungen einesreibungslosen Funktionierenoder eines Gleichgewichtszustandes sozialerSystemebilden den Bezugspunktder Analyse sozialer Probleme, sondern die Entwicklung kultrueller Gruppen in einem Aushandlungsprozeß von Wertvorstellungen.Die BestimmungsozialerProblemeerfolgt vorfindbarenLaiennicht über die Soziologie,sondenrüber die in der Gesellschaft konzeptionenund die öffentlicheMeinung. Von daherist diesePerspektiveals ,plebiscitaryapproach(Westhues1973)oder ,,publicopinion approach"(Manis 1976) kritisiert worden, auch wenn die Bestimmungund Analyse der ,,objektiven" Basis sozialer Frobleme nach wie vor Aufgabe der Soziologiebleiben soll und so eher einedualeBestimmungsozialerProblemevorgenommenwird. von Werten Tatsächlichscheintbei diesemAnsatz eine Mehrebenenproblematik und Weltbildern durch. Einerseitssebt die Mobilisierung für ein spezifischesModell sozialer Probleme die Notwendigkeit zu seiner Legitimation in Form eines Rückgrifß auf möglichst weitgehendgeteilteWerte und Weltbilder voraus.So müssen soziale Probleme innerhalb einer Logik forrnuliert werden, die nicht nur auf möglichst weiteichendes Verständnisstößt, sondern derenZielichtung und angestrebteVeränderungUnterstätzungerfalren karur. Andererseitshandelt es sich allerdings um spezifischeModelle und Weltbilder kollektiver Akteure, die nicht allgemeingeteilt werden. So kann es auch als ein typischesMerkrnal sozialerProbleme angesehenwerden,daß die für einenkollektiven Akteur oder eine Gruppeoptimale Lösung eines sozialenProblemsfür einen anderenkollekliven Akteur gerade zu einemsozialenProblemwird (2.8. Arbeitslosigkeit). In den meistenFällen der TherratisierungsozialerProblemehandelt es sich tatsächlichbei diesenDifferenzenabernicht um Konflikte um grundlegendeWertideen, sondernum Konflikte um Prioritätenund, davon abgeleitet,um Konflikte um Ressourcen,in der Regeldurchausauf der BasisallgemeinergeteilterWertideen.Im Hinblick auf den Grad der in den Konflikten zum Ausdruck kommendenDifferenzen wert- oder interessenmäßiger Grundlagenmuß man also ehervon einemKontinuum zwischen Interessenkonkurenzen,also Konflilfen auf der Basis vollständig geteilter Grundorientienrngen(Prioritätenkonflikt, Konflikt um Ressourcenund Maßnahmen),und Konflikten als Kultukonflikt (,,clashof civilizations") ausgehen. Im dem von Fuller/IvIyersformuliertenModell desWert- und Kulturkonfliktansatzeswird allerdingsnicht odernur unzureichendanalysiert,wodurch sich öffentlicheMeinungenund Wertideenkonstituieren.Wedersind die genauensozialenund sozialskukturellenGrundlagender öffentlichenMeinung thematisiert,noch läßt sich angeben,wmlm offenbarbestimmteGruppenmit ibren Wertenund Interessengrößere Chancenhaben,ihre Definitionen sozialer Problemezu öffentlichen Themen und zur GrundlagepolitischerProgrammenwerdenzu lassen. . Die Fragestellungnach den Mechanismen und sozialen B6dingungen des prozesses, mit dem soziale Probleme zu einem öffentlichen Thema, definiert und klassifrziert und in politische Maßnahmen umgesetzt oder nicht umgesetztwerden, ist die Perspektive, die eine eigenständige Soziologie sozialer probleme neben der Beschäftigung mit eirzelnen Problemen im Rahmen einer Bindestichsoziologie (des abweichenden verhaltens, der Krankheit, der Armut etc.) rechtfertigt. von anderen sozialen Phänomenenund Themen der Soziologie unterscheiden sich soziale Probleme genau in ihrer evaluativen Komponente: sie existieren in der Gesellschaftvor dem.Hintergrund spezifischer Wertvorstellungen, Normerr und Standards und nicht ohne Rückgriff auf die an dem Prozeß der Thematisierung und Klassifizierung beteiligten Akteure. Hieraus ergeben sich zwei Forschungsperspektiven,die im prinzip mit jeweils unterschiedlicher Resonanz seit den sechziger Jahren die Soziologie sozialer Probleme beschäftigen: Erstensgeht es um die Frage der sozialen Konskuktion sozialer Problem€ in der Gesellschaft. Hierbei handelt es sich um die eher mikrosbziologische Beschäftigung mit den Methoden und prozessen der Entwicklung von wirklichkeit oder Wirklichkeitsdeutungen in einem interaktiven Prozeß. Damit werden sehr verschiedene Ansätze zusarnmengefaßt, die ihre wurzeln im symbolischen Interaktionismus und der Phänomenologie, sowie z.T. darauf aufbauend, in etlnomethodologischen, kognitivistischen und diskursanalyrischenPerspektiven haben. Daneben sind aber auch psychologischeund sozialpsychologischeAspekte aus Athibutions-, Streß- und Sozialisationstheorienrelevant, auch wenn deren methodologische Grundlage kaum mit den vorher genannten perspektiven kompatibel is! und sie bislang in der Soziologie sozialer Probleme eher eine Randposition eirurehmen (Emerson/\4essinger 1977;FiezelBar-Tal/carroll1979; Tallman 1976). Zweitens geht es um die Frage der öffentlichen Konstitution sozialer Probleme in einem politischen Prozeß. Diese Fragestellung ist als direkte Weiterentwicklung konflikttheoretischer und kritischer gesellschaftstheoretischerArgumentationen mit einer Betomrng von Prozessen der Macht Herrschaft und Gewalt konzipiert. Diese beiden Ansätze sind vielfache verbindungen eingegangen,und die Integration wissenssoziologischerund gesellschaftstheoretischerAnsätze kann als die gegenwärtig erfolgversprechendstePerspektive einer Soziologie sozialer Probleme angesehenwerden. 45 3. 6 Mikro soziolo gß che und akteurszentrierte p erspektiven Grundlegendes Element milrosoziologischer, handlungstheoretischer,akteurszentrierter oder konstruktivistischer Perspektivenist die Annahme, daß sich soziale probleme auf aktives, sinnhaftes Handeln von Akteuren zurückführen lassen. Soziale Probleme existieren demnach nicht als stabile Sachverhalte oder Sürrkturelemente einer Gesellschaft, sondern müssenüber die Formulierung von Ansprüchen und Beschwerden als ,,public issues" aktiv konstituiert werden. 46 Axel Groenemever 3.6.1 Symbolischer Interaktionismusund abweichendesVerhalten In den verschiedenenFeldern der Soziologie sozialer Probleme, insbesonderein der Kriminologie, der Medizinsoziologie und der Soziologie abweichenden Verhaltens entwickelt sich in den sechziger Jahren der symbolische Interaktionismus als Labeling Approach zu einer theoretischen Alternative gegenüber dem Stnrkturfunktionalismus. Als Verbindung aus den Ideen des Kulfukonflikts und lerntheoretischer Überlegungen der differentiellen Assoziation wurden die Prozesse der Normdefuritionen, der Normanwendung und deren Konsequenzen zv zenfalen Forschungsfragen. Abweichendes Verhalten, Krankheit, psychische Störung usw. werden als gesellschaftliche Kategorien aufgefaßt, die auf bestimmte Personen und Verhaltensweisen angewendet werden, Abweichung ist also eine Zuschreibung, die relativ zum jeweiligen Kontext zur jeweiligen Situation und zum Status der betroffenen Person erfolgt und keine feststehende Eigenschaft der Hantlungsformen selbst: ,,Gesellschaftliche Gruppen (schaffen) abweichendes Verhalten dadurch .., daß sie Regeln außtellen, deren Verletzung abweichendes Verhalten konstituiert, und daß sie diese Regeln auf bestimmte Menschen anwenden, die sie zu Außenseitem abstempeln. ... abweichendes Verhalten ist Verhalten, daß Menschen so bezeichnen." (Becker 196311973,S. 8). Becker knüpft damit auch wörtlich an die Formulierung von Fullerllvlyers (19a lb) an. Der Zusammenhang zwischen abweichendem Verhalten und sozialer Kontrolle wird also genau entgegengesetzt zur Position des Strukturfunktionalismus thematisiert: soziale Konholle ist keine Reaktion auf abweichendes Verhalten, sondern sie konstituiert erst das abweichende Verhalten. Die Grundideen dieser Perspektive waren bereits in den dreißiger Jahren voT Tannenbaum (1938) und in elaborierterer Fassung vom Lemert 1951 formuliert worden. Allerdings entwickelte sich erst in den sechziger Jalren ein gesellschaftliches und intellektuelles Klima, in dem diese Perspektive eine weitere Verbreitung finden konnte. Angesichts des Faschismus und des Krieges in Europa und später der Thematisierung einer Bedrohung durch den Kommunismus schien die mit der Labeling Perspektive verbundene Werhelativität nicht sehr athaktiv. Erst mit der Entstehung neuer sozialer Bewegungen und der sozialen Unruhen an den Universitäten gegen Ende der fünfziger und zu Beginn der sechziger Jalre in den USA schien es evident, daß die Zuweisung von Kategorien abweichenden Verhaltens nicht nur vom jeweiligen sozialen Kontext abhäingt, sondern ihnen auch eine politischc Bedeutung zukommen kann; schließlich waren viele Studentlnnen und Soziologlnnen über ihr Engagement in den sozialen Bewegungen selbst direkt von der Zuweisung und Aushandlung abweichender Labels betroffen (Pfohl 1994,S.348). lm Kontext dieses Ansatzes wurden zwei Themen als besondersrelevant angesehen: zum einen die Frage nach den Bedingungen und Prozessender sozialen Interaktionen, in denen abweichende Labels bestimmten Personenzugewiesen, diese ausgehandelt oder abgewehrt werden und zum anderen die Entstehung und historische Konstruktion der Labels oder abweichenden Kategorien selbst. Besonders die zweite Fragestellung ist unmittelbar relevant für die Analyse der Konstitution sozialer Probleme. Eine allgemeine prograrnmatische Ausformulierung fand diese Per- SoziologiesozialerProblene 47 spektive in dem viel beachtetenAufsatz von Blumer (1971), der genauso wie Bekker direkt an die Überlegungen von Fuller/Ivlyers anknüpft. Seine Hauptthese ist, daß ,,soziale Probleme hauptsächlich Resultate eines Prozesses kollektiver Definition sind" (1975, S. 102). Die Analyse sozialer Probleme wird damit in den Kontext einer Soziologie kollektiven Verhaltens gestellt. Werte, Ziele, Forderungen, Definitionen oder Bedärfnisse, die im Definitionsprozeß zurn Ausdruck kommen, müssen kollektiv artikuliert und z.T. gegen andere Werte und Definitionen durchgesekt werden. Hierbei spielen Prozesseder Organisierung von Werten und der Formierung von Interessen eine bedeutende Rolle. Gusfield (1963) hat vor diesem Hintergrund die Thematisierungsgeschichtedes Alkoholproblems als Ergebnis ,,s;nnbolischer Kreuzzüge" sozialer Bewegungen untersucht. Ebenfalls in diesem Kontext steht die Studie von Platt (1969) über die Konstituierung der Jugendkriminaütat ah soziales Problem. Von Becker (1963/1973) stammt der Begriff der ,,Moraluntemehmer" zur Kennzeic.bnung stategischer Interessendurchsetzungenim Prozeß der Etablierung des Marihuanaxauchens als soziales Problem (vgl. Dickson 1968; Galliher/Walker 1977). Wenn soziale Kontrolle abweichendes Verhalten konstituiert, so konnte anhand dieser Studien gezeigt werden, daß die Institutionalisierung von Instanzen sozialer Kontrolle selbst Mechanismen und Bedingungen folgen ftann, deren Bezug zum behaupteten Problem nur sehr vage oder überhaupt nicht gegeben ist. Dabei reflektieren diese Studien die in den sechziger Jahren vorherrschenden Ideen über den Ablauf politischer Prozesse:Macht wurde im wesentlichen als Durchsetzung organisierter Interessen verstanden, was die Frage auf die Mechanismen und Strategien der Interessenorganisierung und -durchsetzung lenkte. In diesem Sinne wird die Etablierung der Temperenzbewegungen bei Gusfreld und auch die Konstituierung des ,,Marihuana Tax Act" von 1937 bei Becker als Ergebnis einer Politik der Sicherung des Status und der Ressourcenbestimmter Bevölkerungsgruppen oder Organisationen analysiert (siehe auch Pfohl 1994, S. 370ff.). 3.6.2 Varianten des Konstruktivismus Mehr mit dem mikro- oder wissenssoziologischenGrundlagen der Konstitution soziaier Probleme beschäftigen sich Perspektiven,die st?irkerin einer phänomenologischenund ethnomethodologischenTradition entwickelt wurden. Während bereits im symbolischen Interaktionismus in der Folge von George Herbert Mead und Max Weber die besondere Bedeutung ,,subjektiver" Interpretation für das Handeln hervorgehoben wurde, gehen phänomenologischeAnsätze in der Tradition von Alfred Schütz davon aus, daß soziale Wirklichkeit und die Erfahrungen der Akteure über Typisierungen im Alltagshandeln jeweils erst konstruiert und mit Sinn gefüllt werden (siehe Grathoff 1989). Diese eher sozialphilosophischePerspektivewurde durch die Arbeit von Peter L. Berger und Thomas Luclrnann ,,Die soziale Konstruktion von Wirklichkelf' (196611969) als Wissenssoziologie formuliert und fand so eine breites Publikum. Ethnomethodologische AnsäEe haben die phänomenologische Perspektive in Richtung auf die Analyse sozialer Interaktionen im Alltag weiterentwickelt und versuchen die Regeln zu rekonstruieren, mit denen die Teilnehme- Axel Groenemeyer SoziologiesozialerProblene rlnnen an Interaktionen jeweils situativ Gesellschaft sbrrkturieren und Sinn aushandeln (siehe Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen 1973). Beide Positionen unterscheiden sich in bezug aufdie Einschätzung der Bedeutung sozialer Strukturen und Institutionen Der ,,sozialkonstruktivismus" bei Berger und Luckmann betont, daß soziale Stukturen, Institutionen aber auch Wissensbeständeüber das Handeln der Mitglieder in einer Gesellschaft sozial konstuiert und rekonstruiert werden. Diese sozial konstruierte Wirklichkeit fitt dann allerdings den Handelnden als Realität gegenüber und bestimrnt das weitere Handeln mit, d.h. gesellschaftliche Wirklichkeit erhält einen ,,objektiven" Charakter. Wichtige Konzepte sind in diesem Zusammenhang ,,Institutionalisierung", d.h. die Habitualisierung von Handlungsmustem und sozialen Rollen, ,,Legitimierung" und ,,Objektivierung" als Prozesse der Abstaktion und Kommunikation von Erfahrungen und Wissensbeständenüber die Sprache sowie ,,Internalisierung" als Grundlage der subjektiven Aneignung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Demgegenüber betont die Etlnomethodologie, daß gesellschaftlicher Realität keine ontologische Qualität zukommt, sondern sie jeweils in interaktiven Prozessenneu geschaffen und ausgehandeltwerden muß. Die Bedeutung und der Sinn bestimmter Außerungen oder Handlungen elgibt sich konsequenterweise nw über die jeweilige Situation und den jeweiligen sozialen Kontext und kann prinzipiell nicht als ;,Objektivietung" von externen Beobachterlnnen unabhäingig von den in der Situation Handelnden analysiert werden. Von diesen Perspektiven lZißt sich noch der kognitions- oder erkennüristheoretische ,,radikale Konstruktivismus'f unterscheiden, der besonders über die Systemtheorie Luhmarurs (1984) auch Eingang in die Soziologie gefunden hat (siehe Knorr-Cetiria 1989). Demnach kann aus prinzipiellen Grtinden jedes System, sei es biologisch, psychisöh oder sozial, nur als geschlossenes,,autopoietischesSystem" aufgefaßt werden. Es gibt keine Informationen aus der Umwelt die in das System hineindringen, vielmehr werden die Infonnationen innerhalb des System mit den dort vorhandenen Regeln konstruiert oder ,,selbst produziert" (S. Schmidt 1988, aufgezeigt haben und auch immer beispielhaft für den Ansatz aufgeführt werden, gelten meistens die Arbeiten von John I. Kitsuse und Malcolm Spector (Spector/ Kitsuse 1973, 1977) als theoretischeGrundlegung der ,,konstruktionistischen", ,,rekonstruktionistischen" ,,interaktionistischen" oder auch ,,subjektivistischen" Perspektive einer Soziologie sozialer Probleme (siehe z.B. Albrecht 1977, 1990; Schneider1985). Im Unterschied etwa zu Becker (1966) und Blumer (1971) gehen Spector/Kitsuse (1973, 1977) nicht davon aus, daß soziale Probleme als ,,Resultate"oder ,,Ergebnisse" von Definitionsprozessen innerhalb der Gesellschaft aufgefaßt werden können, vielmehr existieren soziale Probleme nur über und als diejenigen Aktivitäten, die sie zu etabliercn suchen: ,,as the activities of individuals or groups making assertions of grievances and claims to some putative conditions" (1973, S. 415, 1977, S. 75). Die Existenz sozialer Probleme hängt also von der dauerhaften Existenz von Gruppen ab, die bestimmte Bedingungen als Probleme definieren. Die Aufgabe einer Soziologie sozialer Probleme besteht darrn nt erklihen, wie ,,claims-rnaking activities" zustande kommen und aufrecht erhalten werden. Diese Aktivitäten als Forderungen, Beschwerdenund Protest beziehen sich auf Situationen, deren problematischer Charakter über diese Aktivitäten behauptet wird und dadurch zum Ausdruck kommt. Im Prinzip teilen damit soziale Probleme wesentliche Charakteristika sozialer Bewegungen bzw. können als solche analysiert werden (Mauss 1975, vgl. Karstedt, ,,SozialeBewegungen", in diesem Band; Troyer 1989). Die Aufgabe der Soziologie kann es hierbei nicht sein, die Angemessenheitoder die tatsächliche Existenz der behaupteten Phänomene zu prüfen. Dieses gilt auch fiir die Aktivitäten selbst, die nur insofern als ,,claims-making" z:tJanalysieren sind, wie sie als solche von den Akteuren aufgefaßtwerden. Der Soziologie kommt also keine privilegierte Rolle zu, vielmehr sind wissenschaftlicheErkennürisseselbst als Konstruktionen aufzufassen,die im Prozeß der Definition sozialer Probleme Verwendung finden können und insofem zu einem Teil des jeweiligen Problems werden (Aronson 1984;Restivo 1988). Während in der ersten Formulierung dieser Position (Spector/I(itsuse 1973) die ,,c1aims-making activities" vor dem Hintergrund von Gruppenwerten, Interessen, Erfahrungen und Macht analysiert werden sollen, werden diese in der späteren Version nur noch als Rechtfertigungen oder Rhetorik aufgefaßt, deren Gehalt soziologisch nicht mehr thematisiert werden kann (Best 1995; Lautrnann 1981). Die Analyse sozialer Probleme wird unter dieser Perspektive also weitgehend zu einer Analyse von Rhetorik und ,,counter-rhetorics" (Ibana/Kitsuse 1993) über soziale Probleme (vgl. Best 1987; Brulle 1994; Edelman 1977). Die von den Teilnehmerlnnen an Definitionsaktivitäten entwickelten Typisierungen und Diskursstrategien werden nicht daraufhin untersucht, wie sie unter bestimmten soziohistorischen Bedingungen produziert werden, sondem wie sie von den Teilnehmerlnnen verwendet werden, um eine Problemkonzeption auszudrtickenund Ressourcenzu mobilisieren (IbarraÄCtsuse1993, S. 24). Lokalisiert man den Beginn der wissenschaftlichen Popularität dieser extrem werfrelativistischen Position zeitlich mit dem Ende der siebziger Jahre, so erscheint 48 1ee2). In der SoziologiesozialerProtlemeist die Verbindungzu diesenallgemeinsoziologischenPerspektiveneherlocker und die Begrifflichkeit nicht einheitlich.Zwar wird im allgemeinendiagnostiziert,daß sich zumindestin den USA die Konstruktionspeßpeldiveals dominanterAnsatz durchgeseEthabe,allerdingswird dann eher von einem ,,konstuktionistischenAnsatz" gesprochenund sich verwinenderweise (so Sarbin/IGtsuse sogarexplizit gegenden Begriff ,,constructivist"ausgesprochen zu einer kaum Es ist mittlerweile Gusfield 1984). 1994,S. X; vgl. demgegenüber des KonVarianten unterschiedlicher noch zu überblickendenAusdifferenzierung der Sprache die Bedeutung auf struktivismus gekommen,besondersim Hinblick und gesellschaftlicher Strukturen und der Institutionalisierungund Objektivierung 1993; von Miller/I{olstein (vgl. z.B. die Beitäge im Sammelband Wissenbestände L. Schmidt1996). Obwohl bereits die obe;rgenanntenStudienvon Becker, Gusfield und Platt bereits in den sechzigerJahrendie sozialeKonsürrktion von Abweichungskategorien 49 50 AxelGroenerneyer' dreHypotheseplausibel,daßin demAusmaß,in dem espolitischschwierigeroder unmöglich wird, ,,objektive" Bedingungenzu ändern,die kulturellen und symbolischenAspektesozialerProblemean Bedeutunggewinnen(Nedebnann1986a,S. 17). Unter dieser konstnrktionistischenPerspektivewurde ein Vielzahl empirischer Studiendurchgeführt(sieheals Überblickez.B. Best 1995; Dreyer/Schade1992; Maynard i988; Schneider1985),und der Ansatzwurdezum zentalenFokustheoinnerhalb der Soziologiesozialer Probleme.Diese retischerAuseinandersetzungen gingen in zwei Richtungen:zum einenwurden methodologischeEinwändeformuliert, die sich auf eine nicht konsequenteoder widersprüchlicheArgumentationinnerhalb desAnsatzesbezogenund eine radikalereAnwendungkonstruktivistischer Perspektiveneinforderten(2.8. Woolgar/Pawluch1985b),zum anderenwurde insin Europadaraufinsistiert,daßesAufgabeder Soziologiebleibenmüsse, besondere der gesellschaftlichenund politischen Akgegenüberden Konstruktionsleistrurgen teureeine kritische Position einzunehmen,indem man derenHandlungenan gesellzurückbindet(2.8. Albrecht 1990;Best schaftlicheStrukturen,Werteund Interessen 1995;Haferkamp1987). konstrukWoolgarlPawluch(1985a) rekonstruierendie Argumentationsweisen tionistischer Fallstudien als dreistufrgenProzeß: Zuerct werden bestimmteBedingungen oder Handlungsweisenidentifiziert, die das Thema der Fallstudie bestimmen, dannwerdenverschiedeneDefinitionen bzw. Aktivitäten öffentlicher Rhetorik beschrieben,um dann schließlichin über dieseBedingungenoder Handlungsweisen einem dritten Schritt die Relativität der öffentlichen Definitionen in bezug auf die ,,eigentlich"konstantgebliebenenBedingUngenoder das,,eigentlich"unverändert gebliebeneAusmaßurid die Verbreitungder BedingungenoderHandlungsweisenzu betonen. Im Prinzip wird also in den konstrulctiouistischenFallstudien selektiv durchausauf ,,objektive" Bedingungenzurückgegriffen.Diese theoretischeInkonsistenzbezeichnensie als ,,ontologicalgerrymandering",die allerdingsals eine rhetorische $tategie sozial konstrrktivistischer Analysen unvermeidbarscheint (siehe L. Schmidt1991). Dahinter steckt die Fragestellung,ob soziologischeAnalysenund Theoriebilentwickelt dung prinzipiell nicht nur ,,wertfreil', sondernauch ,,voraussetzungsfrei" zu als Illusion werden können; sowohl das eine wie auch das anderescheint sich erweisen(Best1995,S. 343). Hierauswurden allerdingsunterschiedlicheKonsequenzenin bezugauf die theoretische Weiterentwicklungder konstuktivistischenPosition gezogen.Woolgar/ in Form einen,,rePawluch(1985a,1985b)selbsterwarteneinenErkennürisgewinn AnalysenübersozialeProbleme flexivenKonsürrktivismus",d.h.die soziologischen sollten alsTexte selbstzum GegenstandeinekonstruktivistischangeleitetenAnalyse werden (vgl. Jaworski 1994;L. schmidt 1996).Allerdings ist hiermit die Gefahr eines unendlichen Regressesverbunden, wenn dann wiederum diese Texte zur Grundlageder weiterenkonstruktivistischenAnalyse gemachtwerden.Ibana/Kitsuvor' se (i993) schlagenim Prinzip eine ähnlicheHinwendwrgzur Diskursanalyse Sozioso die um,,Rückf?illein Objektivismus"känftig zu verrneiden.Letztlich wird Soziologie sozialer Probleme 51 logie sozialer Probleme reduziert auf ein linguistisches oder erkenntristheoretisches Problem, und das Ziel der Entwicklung einer empirisch fundierten Theorie wird aufgegeben zugunsten eines theoretischen Projektes der Bewahrung einer internen Konsistenz der konstmktivistischen Position. Damit geraten die empirischen Forschungsfragendarxr gänzlich aus dem Blick (siehe die ausführlichereDiskussion bei L. Schmidt 1991,1996). Als eine andere mögliche Konsequenz innerhalb des Programms eines ,,strikten Konstnrktivismus" (Best 1995) deuten WoolgariPawluch (1985b) die Notwendigkeit verändertet ,,Textproduktion" an, die stärker die dialogische oder interaktive Form der Produktion von Tlpisierungen und Problemdefinitionen berücksichtigt. Im Prinzip läuft dieser Vorschlag auf eine mehr oder weniger geteue textuelle Reproduktion der Außerungen von Teilnehmerlnnen im Prozeß der Definitionsaktivitäten unter weitgehender soziologischer Enthaltsarnkeit hinaus. Eine andere Linie des konsürrktivistischen AnsaEes ignoriert weitgehend die Kritik einer ontologischen Vermengung von Analyseebenen zugunsten eindr stärkeren Orientierung an empirischen Analysen konkreter Problemlagen. Grundsätzlich wird hierbei die Möglichkeit einer ,,objektiven" Feststellung sozialer Probleme nicht negiert, wenngleich den ,,objektive" Bedingungen nur bedingten Einfluß auf die Defiaitionsaktivitäten zukommen soll. Best (1995) bezeichnet diese Orientierung als ,,kontextuellen Konstruktivismus", um damit deutlich zu machen, daß die Definitionsaktivitäten immer von bestimmten Personen(gruppen) in einem bestimmten historischen Kontext stattfinden. Hiennit wird eine konsüuktivistischen Position etikettiert, die in den meisten empirischenFallstudien zur Entwicklung sozialer Probleme zur Anwendung kommt (siehe z.B. die verschiedenenBeitäge im Sammelband von Best 1995 sowie GoodelBen-Yehuda1994). Unabhängig von den Diskussionen um eine Soziologie sozialer Probleme wird ein ähnlicher Ansatz auch von Pierre Bourdieu verfolgt In der 1993 veröffentlichten Studie ,,La misöre du monde" werden auf nahezu 1000 Seiten 58 Gesprächeüber Alltagsprobleme in verschiedenen Bereichen wiedergegeben und analytisch kommentiert. Hierbei werden interessanteEinsichten, besondersüber die Diskrepanzen zwischen ,,offiziellen" Definitionen sozialer Probleme und ihren Manifestationen im Alltag vermittelt, die in theoretisch angeleiteten soziologischen Analysen verloren gehen; allerdings wird ein Anspruch auf die Entwicklung verallgemeinerungsf?ihiger theoretischer Aussagen zur Entstehung und Entwicklung sozialer Probleme damit nicht verbunden (vgl. Bourdieu 1996; Fowler 1996; Grunberg/Schweisguth1996). Der grundsätzliche Vorteil dieser ,,moderaten" Version konstruktivistischer Perspektiven liegt darin, eine kritische Position gegenüber den Defuritionsaktivitäten einnehmen zu können und die Soziologie in die Lage zu versetzen,scheinbareund latente soziale Probleme zu benennen.Unklar bleibt allerdings, an welchen Kriterien dieseBewertung letztlich erfolgen soll, außer an den jeweils für die Soziologen und Soziologiruren selbst im Alltagsleben maßgeblichen, was den Umstand ignoriert, daß die Soziologlnnen durch ihre soziale Position und spezifische Lebenspraxis nicht unbedingt als typische Mitglieder des kulturellen Systems angesehen werden könaen (vgl. dazu Bourdieu 1996; Kitsuse 1975). Dadber hinaus wird das, was als 52 Axel Groenemeyer historischerund sozialerKontext kollektiver Definitionsaktivitätenbezeichnetwird, nicht genauerbestimmtoderrsystematisch in die soziologische Analyseeinbezogen, sondernaltein derjeweiligen empirischenAnalyseüberlassen. 3.6.3 Kanieremodellesozialer,Probleme Ein wichtigesHilfsmittel zur Rekonstruktionvon Prozessender Thematisierungund Definition sozialerProblemestellenKarrieremodelledar, die Entwicklungsprozesse als Sequenz typischer Handhrngsformenauffassen.Die Begriff einer ,,natural history" spielt bei allen Autorlnnen, die den KonstitutionsprozeßsozialerProbleme über sozialesHandeln erklären, eine wichtige Rolle, totzdem ist der theoretische Stellenvertdefjeweilsunterschiedlich konzipiertenKarrieremodelle vielfachunklar geblieben,und es zeigt sich eine erheblicheBeliebigkeit, was Anzahl und Zuschaitt der eilzelnen Phasen,StufenoderPeriodenbetrifft. Ausgehendvon einemBeispiel der Definition einer Wohnwagensiedlungin Defoit als sozialesProblementwickeltenFuller/Ivlyers(1941b)ein Karrieremodellmit den drei Stufen ,,Bewußtwerdung",,,Festlegungeiner Politik, ,,Reform" und ihre Lemert hat l95l diesesBeispielreanalysiertund kommt ztxnEr,,D,urchfiihrung". gebnis, daß in der Konstitution sozialer Probleme durchausStufen oder Phasen übersprungenwerdenkönnenodermehreregleichzeitig durchlaufenwerden,so daß eine eindeutigeIdentifizierung schwierig ist. Als Kommentar zum Karrieremodell von Fuller/Tvlyersfindet sich im gleichenHeft der American Sociological Review der VorschlageineszwölfstufigenKarrieremodells von Bossard(1941). Becker(1966)und Blumer (1971)schlagenjeweils ein fünfstufigesModell vor, wobei gegenüberdem Modell von Fuller/Ivlyersdie Phaseder Entstehungund Artikulation einesProblernbewußtseins weiter ausdifferenziertwird: l. das Auftauchen dessozialenProblemsbz.rv.d.erenWahrnehmung;2. dteLegitimierung dessozialen Problems,d.h. die öffenllichenAnerkennungals sozialesProblem;3. die Mobilisierung von'Handlungen und Handlungsstategienin politischen Auseinandersetzungen;4. die Erstelhrngeines offiziellen Handlungsplanes und 5. die Transformation des offiziellen Handlungsplanesin seinertatsächlichenAusführung @lumer 1975/ 1971,S. 106ff.;vgl. Hartjen1977,5.30f.).Demgegenüber werdenin demvierstufigen Modell von SpectorAGtsuse (1973) die Phasender Bearbeitungdes sozialen ProblemsinnerhalbdespolitischenSystemsausdifferenziert:1. Erzeugungeinesöffentlichen und politischen Streitgegenstandes; 2. Reaktionenbei offiziellen Organisationen,der VerwaltungoderöffentlichenInstitutionen;3. Aktivitätenim Hinblick auf dieseReaktionenoffizieller Stellenund der damit verbundenenUmformulierungen desProblems;4. Aktivitätenin Richtungauf die Veränderungdesgegenwärtigen SystemsderProblembearbeitung (vgl. Albrecht 1977,S. 166ff.). Mauss(1975)betontebenfallsstärkerden Prozeßder Auseinandersetzung zwischen offiziellen Institutionen und den Trägergruppendes sozialen Problems. In seinemffinfstufigen Modell wird nach dem Grad der Mobilisieruug von Anhäingerschaften für ein sozialesProblem differenziert. Im Unterschiedzum Modell von SpectorlKitsusewerden allerdingsmögliche EndphaseneinessozialenProblemsim Sinneeines,*A,blebens"oder ,,Verebbens"der Mobilisierung und der Untersti,itzung Soziologie sozialer Probleme 53 für das Anliegen heworgehoben und über kooptive und repressive Aktivitäten staatlicher Stellen erklärt. Eine konzeptionelle Entsprechung finden die Karrieremodelle sozialer Probleme z,T. rn empirischen Analysen zur Thematisierung von sozialen Problemen in Massenmedien und ihr Einfluß auf die politische Issuebildung. Ausgangspunkt hier war die Idee eines ,,Aufmerksamkeitszirkels" (,,issue attention circle'), d.h. Themen folgen in ihrer Bedeuhrng sowohl in den Massenmedien als auch für die Politik typischerweise einem Kreislaufmodell (Downs 1972): t. Vorstadium, in dem nur Experten ein Problem bekannt ist; 2. Alarmiede Problementdeckung und euphorischer Enthusiasmus in der öffentlichen Thematisierung; 3. Berechnung und Diskussion von Kosten und Nutzen der Problembearbeitung und damit verbundene Emüchterung in der öffentlichen Diskussion; 4. Absinken des öffentlichen Interessesam Problem; 5. Nach-Problemphase,in der das Problem von der öffentlichen und politischen Agenda verschwindet und anderen Themen in ihrer Bedeutung aufsteigen (als Überblick vgl. W. Parsons1995,S. 115ff.). Das zentrale Problem mit derartigen Phasenmodellen besteht daxin, daß sie zunächst keinerlei Erklärungswert besitzen, sie dienen zunächst nur einer beschreibenden sequentiellen Sürrkturierung der Konstitution sozialer Probleme. Allerdings können offenbar in empirischen Fallstudien die einzelnen Stufen häufig nur unter großen Schwierigkeiten rekonstruiert werden, so daß auch ihr heuristischer Wert bescbränkt scheint. So kommen z.B. Dreyer/Schade(1992) zum Ergebnis, daß keines von 13 historischen sozialen Problemen tatsächlich mit dem Stufenmodell von Spector und Kitsuse beschrieben werden kann. Vass (1986) versucht in einer Untersuchung über die Thernatisierung von AIDS das Modell von Fuller/Jvlyers anzuwenden und kommt zu dem Ergebnis, daß Entwicklungsphasen eines sozialen Problems meistens nicht deutlich abgrenzbar, sondem sehr stark miteinander verknüpft sind und kaum als isolierbare Stufen analysiert werden können. Darüber hinaus muß festgehalten werden, daß es sowohl Vorwärts- als auch Rückwäirtsbewegungenin der Thematisierungsgeschichtegeben kann, daß einzelne Phasenübersprungenwerden oder gar die gesamteEntwicklungsrichtung umgedreht wird. Der Vorteil von Karrieremodellen liegt darin, daß für die verschiedenenStufen oder Phasen jeweils unterschiedliche Erklärungsbedingungen und -mechanismen angenonmlen und analysiert werden können, die die Dynamik der Problemsntwicklung in jeweils spezifischer Weise bestimmen (vgl. Groenemeyer 1990; Hartjen 1977; Ross/Staines 1972; Schetsche 1996). Grundlage hierfür muß allerdings ein kontingentes Ablaufschema sein, das soziale Bedingungen nicht nur im Hinblick auf die Erklärung von Entwicklungsgeschwindigkeiten zuläßt, sondem unterschiedliche Entwicklungsrichtungen und -charakteristika einbeziehen kann. Ganz auf ein Prozeßmodell verzichten HilgarlrerlBosk (1988), in dem sie den Prozeß der Thematisierung sozialer Probleme in verschiedenen ,,Arenen" verorten, die sich durch jeweils spezifische Probleme, Konflikte, Ressourcenund Diskurse auszeichnen und die miteinander in vielfiiltige Beziehungen stehen. Da es bislang nicht gelungen ist, allgemeine, empirisch haltbare Karrieremodelle zu entwickeln, wäre hiermit zumindest ein heuristisches Instrumentarium benannt, das es erlaubt, 54 55 Axel Groenemeyer SoziologiesozialerProbleme kontingente Bntwicklungssequenzen sözialer Probleme durch verschiedene Arenen hindurch zu analysieren. Darüber hinaus erhebt das Arenenkonzept den Anspruch einer Integration verschiedener theoretischer Ebenen und Perspektiven, und es knüpft an Diskussionen über Netzwerkstnrkturen in der Politik an (vgl. Kitschelt 1980;Nedelmann 1986b;Renn 1992). ftann und muß dieses eine empirische Frage sein und darf nicht von vomhereia durch die Fragestellungausgeschlossenwerden. Selbst wenn man annimmt, daß kollektive Definitionsaktivitäten oder soziale Bewegungen zunächst unabhängig von den spezifischen, konkreten, sie später identifzierenden problematischen Sachverhalten entstehen,sich also quasi,,selbst erzeugen" (so Japp 1984), so karur das doch nicht bedeuten, daß es keine erklärenden sozialen Bedingungen für das Entstehen sozialer Bewegungen oder kollektiver Definitionsaktivitäten gibt. Der Prozeß der Entwicklung kollektiver Handlungen kann gemeinsame Zielvorstellungen generieren genausowie gemeinsameZielvorstellungen kollektive Handlungen ermöglichen können, in beiden Fällen ist ein Verzicht auf die Analyse erkläirender Ursachen für kollektiven Handeln nicht sinnvoll (Albrecht 1990, S. 13ff.). - Der Verzicht auf eine Analyse sozialstnrktureller Bedingungen, Erfahrungen, Interessenund Werten spiegelt sich in der Auswahl der untersuchtensozialen Probleme wider: es körmen aus prinzipiellen Gränden nur diejenigen Sachverhalte untersucht werden, die bereits mehr oder weniger erfolgreich als soziale Problemb thematisiert worden sind. Werur die Betroffenheit von problematischen Lebensbedingungen mit fehlender Ressourcenausstatilng und fehlender Thematisierungsmacht einhergeht, so kann dieses unter einer mikrosoziologischen Perspektive nicht zum Thema gemacht werden. Gerade auch über die Fähigkeit zur Nicht-Thematisierung oder zur Unterdrückung der Thematisierung problematischer Sachverhalte kann sich Macht ausdrticken, Die Perspektive der sozialen Konsürrktion sozialer Probleme könnte gerade diese Aspekte der,,versteckten" Macht aufdecken, werur Macht und Herrschaft systematisch einbezogen werden könnten. Durch die Überbetonung der Orientierung an den Sichtweisen der Akteure geraten die mächtigen politischen und staatlichenInstitutionen sowie die sozialstnrkturellenBedingungen der Bedeutungszuschreibungen und Situationsdefinitionen aus dem Blick. In empirischen Arbeiten zur Normgenese, z.B. von Becker (196311973),Gusfield (1963) oder Pfohl (1971) sind diese Fragen durchaus explizit thematisiert, allerdings um den Preis eines epistemologischen Bruchs in der Argumentation, indem auf ,,nicht konstruierte" Kontextbedingungen zurückgegriffen wird. - Aus den gleichen Grtinden fehlt es einer mikrosoziologischen konskuktivistischen Perspektive auch an einem Maßstab fiir die Bewertung der Schwere und Bedeuhrng sozialer Probleme: vom Prinzip her sind alle Definitionsaktivitäten gleich berechtigt und gleich bedeutsam. Gerade der Verzicht auf eine Orientierung an Kriterien außerhalb der an Definitionsaktivitäten beteiligten Akteure bedeutet so den Verzicht auf gesellschaftlicheund soziologische Relevanzkriterien. Ihren Ausdruck findet diese Orientierung u.a. ebenfalls in der Auswahl der Untersuchungsgegenstände: während die Analyse der öffentlichen Thematisierung gesundheitlicher Gefahren der Benutzung von Badewannen oder der Verzehr von Margarine, Hyperaktivität bei Kindern, Menopause oder Spielsucht als soziale Probleme von vornherein ihre Überzeugungskraft aus dem konstruierten Charakter dieser Sachverhalte zieht, gelten andere Probleme wie z.B. Alkoholprobleme, Drogenkonsum oder AIDS als Beispiele für die Problematisierung unter einer spezifischen professionellen Perspektive; selten oder gar nicht werden unter einer mikrosoziologischen 3.6.4 Grenzen einer Mikrosoziologie sozialer Probleme Der konstrrktivistische AnsaE gehört zu den wichtigsten Perspekliven einer Soziologie sozialer Probleme. Soziale Probleme .werden als Definitions- oder Typisierungshandlungen thematisiert, und sie existieren nicht unabhäingig davon als Lebensbedingungenoder Merkrnale von Lebenslagen.Diese Perspektivebetont also in besonderen Maße die milrosoziologischen oder handlungstheoretischen Aspekte der Entstehung und Entwicklung sozialer Probleme. Insbesondere wird hervorgehoben, daß soziale Probleme nicht ohne aktives Handeln entstehen und existieren, soziale Probleme also in diesem Sinne immer ,,gemachf'werden. Die Analyse sozialer Probleme wird so direkt an die Analyse sozialer Konfiolle gebunden, denn soziale Probleme werden erst über alrtives Handeln in Reaktion auf und in Interaktion mit bestimmten Sachverhalten und Handlungsforrnen als solche konstruiert. Die Rekonstruktion von Alctivitäten und Typisierungen, die soziale Probleme hervorbringen, zieltim wesentlichen auf die rhetorischen und diskursiven Mittel, die die Akteure einsetzen, aber nicht auf dessen Wahrheitsgehalt, sozialen Konsequenzen, Interessen oder damit verknüpften Werten. Einerseits erweitert sich hierdurch das Spektrum soziologischer Fragestellungen und ermöglicht zudem eine eigenständige Fragestellung, andererseits ergeben sich hieraus aber auqh die zentralen Kdtikpunkte und Verktirzungen, die letztlich zu einer ,,halbierten" Soziologie sozialer Probleme führen (Albrecht 1990): - Teilnehmerlnnen an Definitionsaktivitäten und sozialen Bewegungen suchen Unterstützung für ihre Position und versuchen zu überzeugen, von daher erklärt sich die besondere Bedeutung von Diskursstategien, Rhetorik und symbolischer PolitJk, die in der soziologischen Analysd der Entstehung und Entwicklung sozialer Problerne ihren Niederschlag finden muß. Allerdings l?ißt sich an den produzierten Texten und Aktivitäten nicht ablesen, warum sie z.B. zu einem bestimmten Zeipunkt und in einem bestimmten sozialen Milieu oder Kontext entstehen und wodurch ihre Durchsetzungschancen bestimmt werden. Wenn zu deren Erkläirung auf Werte, Interessen und Erfahrungen zurückgegriffen wird, so können diese nicht mehr im Rahmen eines strikten Konstruktivismus, der allein auf situativer und textueller Ebene Erklärungen sucht, analysiert werden. Deutungsmuster, Werte und Interessen werden durchaus sozial konstruiert, aber in einem bestimmten historischen und sozialen Kontext, der zwar auch sozial konstruiert ist, aber den Akteuren in objektivierter Form, zum Beispiel mit Macht gegenüber titt. - Der Verzicht auf die Frage nach der Angemessenheit, den Konsequenzen und Folgen sich durchseEender Definitionen ist nicht gerechtfertigt. Wenn man annehmen will, daß gesellschaftliche Konstrukfionen sozialer Probleme von sozialen Bedingungen, Strukturen oder sie bezeichnende Handlungsmuster unabhängig sind, so 56 Axel Groenemeyer Konsbrrktionsperspektive Probleme wie ArÄut, Umweltverschmutzung oder Kriminalität behandelt (vgl. Steinert 198i, siehe.die Aufzählung von Fallstudien bei Pfohl 1994,S.394, Fn. 163). - Vor dem phänomenologischen Hintergrund der konsürrktivistischen Positionen ist alles, was wir über die Welt wissen, konstruiert, und es kommt darauf an, diese zu verstehen und nicht, sie zu bewerten. Von daher kommt der Wissenschaft auch keia besonderer Status zu; sie ist nur ein ,,claims-maker" unter anderen. Eine strikt konstruktivistische Perspektive ist allerdings gegen die hier vorgetragene Kritik immun, weil sie prinzipiell davon ausgeht, daß es sich hierbei um eine spezifische Rhetorik handelt, die auf die Überzeugungskraft eines argumentativen Rückgriffs auf vermeintliche ,,Objektivierung" baut. Im Hinblick auf ihre DurchseEung in öffentlichen Diskursen sind die Konstnrktionen aber durchaus nicht gleichwertig: auch wenn man davon ausgeht, daß z.B. soziologische oder allgemeiner, wissenschaftliche Analysen soziale Konstruktionen darstellen, so stellen sie doch Konstruktionen besonderer, in einer in historischen Prozessen gewachsenen Forrn dar, die sie mit einer höheren Überzeugungskraft und Legitimität ausstatten. Vor diesem Hintergrund ist zum Beispiel'zu erklären,,daßsoziale Bewegungen darauf dringen, daß der von ihr tlematisierte Sachverhalt ein ,,objektives" Problem sei und kein konstruiertes (siehe z.B. Knapp/\detz-Göckel, ,,Frauendiskriminierung", in diesem Band). - Damit soll auf ein Mißverständnis der konstruktivistischen Perspektive hingewiesen werden: Wenn soziale Probleme als soziale Konstruktionen thematisiert werden, so heißt diesesnicht, daß sie weniger ,,real" wliren (so z.B. Jones/lvlcFalls/Gallagher i989) oder daß es Sinn machen würde, von ,flur konstruierten" sozialen Problemen im Unterschied zu ,,wirklichen sozialen Problemen" zu sprechen (so z.B. Schetsche1996, S. 11). In der Tat ginge es nur dann um eine ,,Entlarvung" des ,,nur konstruierten" Charakters sozialer Probleme, wenn man den Wahrheitsgehalt oder die Interessengeleitetheit der Konstrukte nachweisen körurte. Dieses setzt allerdings gerade voraus, daß die Soziologie über eine Möglichkeit der Entwicklung von Walrheitskriterien unabhängig von den Konstnrktionen durch die Gesellschaftsmitgiieder verfüg! aber genau diese Möglichkeit wird in einer radikal konstruktivistischen Perspektive bestitten; Best (1995, S. 345) spricht in diesem Zusammenhang von ,,vulgar constructionism". Eine kritische Entlarvung eines ,,nur konstruierten" Charakters sozialer Probleme, d.h. der Nachweise von Scheinproblemen,geht über das Programm des milrosoziologischen, radikalen oder strikten Konstruktivismus hinaus (siehe z.B. Haferkamp 1987). Wir haben also die scheinbar paradoxe Situation, daß dem als konservativ gescholtenen Strulturfunktionalismus mit seiner Unterscheidungsmöglicbkeit von latenten/manifesten und echten/scheinbaren sozialen Problemen ein kritischeres Potential zukommt als dem mit einer kritischen Attittide angetretenen Definitionsansatz, der da6 sllsldings in leEter Konsequenz die Wirklichkeit in ihrer ungleichen Verteilung von Thematisierungschancen nur theoretisch reproduzieren kann. Methodisch wird so der kritisierte Positivismus über den Verzicht auf eine kritische Rolle der Soziologie gerade auf die Spitze getrieben. Soziologie sozialer Probleme 57 3.7 Konflikttheoretische und kritische Ansötze:SozialeProbleme zwßchen Macht und ldeologie Ausgangspunkt kritischer Analysen sozialer Probleme sind durchweg konflikttheoretische Grundannahmen,in denen soziale Probleme auf der Basis einer Ungleichverteilung von Macht und Herrschaft in Auseinandersetzungen und Konflikten konstituiert werden. Es handelt sich hierbei um einen Sammelbegriffverschiedener Perspektiven, in die allgemein konfliktttreoretische, marxistische, feministische und radikal multikulturelle Orientierungen eingehen und die sich jeweils in ihrer spezifischen Interpretation gesellschaftlicher Machtverhähnisse unterscheiden. Wichtige Gemeinsamkeit kritischer Perspektiven ist ihre explizit normative und politische Orientierung. Nicht notwendigerweise, aber sehr häufig, ist dieses mit einer direkten Anbindüng an soziale Bewegungen (Arbeiterbewegmg, Bärgenechtsbewegung, Studentenbewegmg, Frauenbewegung) gekoppelt, zumindest aber ist die Entwicklung kritischer Perspektiven sozialer Probleme unmittelbar mit dem Entstehep neuer sozialer Bewegungen in den sechziger Jahren zu erkläiren (Davis 1975, S. 197ff.; Pfohl 1994, S. 417ff.). In marxistischen Ansätzen werden soziale Probleme n Zusammenhang mit Klassenkonflikten und ökonomischer Ungleicbheit, in feministischen Absätzen in bezug auf patriarchale Machtverhältnisse und in radikalen multikulturellen Ansätzen in bezug auf rassistische und ethnische Diskriminierungen gesehen. Die in ihren Grundzügen im neunzehnten Jahrhunded entwickelte Position des historischen Materialismus von Karl Marx und Friedrich Engels ging davon aus, daß Entwicklungen der verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche letztlich über Entwicklungen der (Produktions-)Technologie und der Form der ökonomischen Beziehungen erklärt werden können. Die Grundlage gesellschaftlicher Konflilcte bilden Auseinandersetzungen zwischen der Klasse der Produktionsmittelbesitzer und dem Proletariat um die Teilhabe an gesellschaftlichenRessourcen.Macht und Herrschaft sind in diesem Kontext über die Stellung im Produktionsprozeß bestimmt und als Verfügungsmaclrt über die Produktion anzusehen. Die Grundlage der Entstehung verschiedener sozialer Probleme und die klassenspezifischeVerteilung der Betroffenheit konnte so als Resultat der Widersprüche kapitalistischer Wirtschaftsentwicklung einerseitsund den damit verbundenenpolitischen Klassenauseinandersetzungen andererseitsrmalysiertwerden. Im Kontext der ,,sozialenFtage" wurden also verschiedenesoziale Probleme auf einheitliche Ursachen der Entwicklung des politisch-ökononnschen Systems und der ökonomisch bedingten sozialen Ungleichheit zruückgefiihrt. Im Gegensatz zttrrt Strukturfunktionalismus sind soziale Probleme also nicht die Folge einer spezifischen und behebbaren Fehlentwicklung gesellschaftlicher Entwicklungen, in denen Ansprüche, Erwartungen und Realisierungschancen auseinanderfallen, sondern sie sind das Ergebnis des normalen Funktionierens kapitalistischer Gesellschaften aufgrund deren internen, unaufhebbaren Widersprüchlichkeit einer privaten Aneignung des gesellschaftlich produzierten Reichtums. Mit der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates, einer zunehmenden Versorgungssicherheit in bezug auf wichtige Güter und einer darauf aufbauenden Individualisie- 58 Axel Groenemeyer rung hat allerdings die relative Bedeutung klassenspezifischer Betroffenheiten sozialer Probleme und die Klassengebundenheit von Macht abgenommen, und es wurde zunehmend in Frage gestellt, ob das Zentrum der gesellschaftlichen Entwicklung überhaupt noch im ökonomischen System zu suchen ist (2.8. Habermas 1973; Beck 1986). In entwickelten modernen wohlfahrtsstaatlichen Gesellschaften teten neben den ökonomischen Bestimmungen sozialer Ungleichheit andere politisch vermittelte sowie geschlechtliche und kulturelle Differerzierungen deutlicher hervor, und eine Bestimmung und Analyse sozialer Probleme ist nicht mebr allein auf der Basis einheitlicher (ökonomischer) Ursachenzuschreibungen zu leisten. Mit der Verlagerung des Analyseschwerpunkts auf den Prczeß del Konstitution sozialer Probleme in öffentlichen und politischen Arenen wurde so auch in kritischen Perspektiven der Aspekt der Definitions- und Thematisierungsmacht stärker betont. Daneben gerät auch der Staat und die mit ihm verbundenen Instanzen, Institutionen und Organisationen stärker ins Blickfeld einer Soziologie sozialer Probleme. Im Unterschied etvfa zu der Perspektive des Kulturkonflikts (Fuller/Iv1yers t94ta), bei der von einer pluralistischen Gesellschaft ausgegangenwird, die jedem Wertrnuster oder jeder Kultur im Prinzip eine Durchsetzungschance einräumt, gehen i<ritische Konflikttheorien von einer strukturell fosdingten Ungleichheit des Zugangs zu Ressourcen und Macht aus. Dabei spielen unterschiedliche Werte allerdings kaum eine Rolle, sondem soziale Konflikte gehen von widersprüchlichen Interessen aus, die immer in bezug auf jeweils gruppentypische Handlungsfsdingungen und Normen ihrer Durchsetang analysiert werden, d.h. Interessen beziehen sich immer auf eine Position innerhalb einer Interesserrsfiuktur. Im Unterschied zum Ansatz des Kulturkonflikts werden die kollektiven Interessen oder Werte also nicht empirisch besfimmt, sondem sind über die Position der Al.teurlnnen innerhalb der Sozialstruktur als ,,objektive" Interessenlagem analysieren(vgl. Bemard 1981). Kennzeichnend für kritische Persp"ektiven ist damit die Möglichkeit eines Auseinanderfallensvon individuellen, empirisch meßbaren Interessenund den über die Position in der Sozialstnrktur bestimmten kollektiven Interessen. Diese können durch fehlende Information, ,,falschem Bewußtsein" oder fehlerhafte Interpretation der eigenen Situation ,,latenf' bleiben und möglicherweise erst unter der Annahme vollständiger Information und im Rahmen eines rationalen herrschaftsfreien Diskurses bewußt (gemacht) werden. Hieraus ergibt sich die besondere Bedeutung des Konzepts der ,,Ideologie" in kritischen Perspektiven. Im Zentrum der Analyse sozialer Probleme steht die Frage nach den Beziehungen zwischen den gesellschaftlichen oder makrosoziologischen Bedingungen der ungleichen Verteilungen von Ressourcenund Macht und den milrosoziologischen Bedingungen der Konstitution von Wissen und Ideologien über soziale Probleme. Es geht also in kritischen konllikttheoretischen Ansätzen um den Zusammenhang von Sozialstruktur, Wissen und Herrschaft. Macht wird nicht nur über die Kontolle von Ressourcen, die Beeinflussung von Entscheidungen oder über Gewalt ausgeübt, subtilere Formen der Macht beziehen sich auf die Konstitution von verinnerlichten Selbstverständlichkeiten des Wissens über gesellschaftliche Realitäten. Die Beziehungen zwischen Macht und Wissen SoziologiesozialerProbleme 59 köruren auf drei Ebenen analysiert werden: kognitiv, moralisch und körperlich (Pfohl 1994, S 410ff.). Auf der kognitiven Ebene werden Auffassungen und Erklänrngen über die Wirklichkeit entwickelt, die jeweils spezifischen historisch gewachsenen Rationalitätskriterien folgen. Hierbei handelt es sich um ein ,,natürliches" Wissen, das als kognitive Selbstverständlichkeitbehandelt wird und, meistens unhinterfrag! dem Alltagshandeln zugrunde liegt. Diese Konstrultionen von Wirklichkeit können allerdings durchaus verätrdert werden. In ähnlicher Weise funktionieren die Beziehungen zwischen Macht und Wissen auf der moralischen und körperlichen Ebene. Moralisches Wissen bezieht sich auf unhinterfragte Bewertung von Situationen und deren Abbildung in Affekte. So sind z.B. bestimmte Kategorien sozialer Probleme ,,automatisch" mit affektiven Reaktionen einer Empörung oder Ablehnung gekoppelt, noch bevor eine kognitive Reflexion möglicherweise zu einer and'erenBewerhrng der Situation kommt. Dieses ,,moralische Wissen" ist vielfach über körperliche Reaktionen unterstätzl Empörung, Ekel, Scham und Peinlicbkeit angesichtssozialer Probleme bezeichnen in diesem Sinne Beispiele flir Formen eines ,,körperlichen Wissen" über soziale Probleme (vgl. Elias 1976; Tumer 1987). Das Zusammenwirken dieser drei Ebenen konstituiert verirurerlichte Selbstverständlichkeiten eines ,,.Wissens"über soziale Probleme, in dem ihr Charakter als Ausdruck sozialer Ungleichheit und Ergebnis sozialer Konflikte nicht mehr sichtbar ist. Die Konstitution sozialer Problem wird also nicht nur über die Kontrolle der politischen Agenda oder die Beei:rflussung von Definitionsaktivitäten gesteuert, sondern darüber hinaus auch grundlegender über die Kontolle der Art und Weise wie Interessen, soziale Kategorien und selbst Gefühle konstruiert werden (vgl. Lukes 1974). In der marxistischen Diskussion hat Antonio Gramsci für die damit implizierte Form der Organisierung von Zustimmung und Legitimation als Verinnerlichung von Macht ohne Rückgriff auf Gewalt und Zwang den Begriff der ,,hegemonialen Herrschaft" eingeführt (vgl. Banett 1991, S. 51ff.). Eine Hauptquelle von Macht Klassen besteht demnach darin, eine spezifische Sicht der Welt zu einem dominierenden Wissen werden zu lassen. In Anlehmrng daran wurde von Connell (1987) in bezug auf das Geschlechterverhälürisund geschlechtstypischePerspektiven und Interpretationen sozialer Wirklichkeit das Konzept ,,hegemonialer Männlichkeit" geprägt. Im Unterschied zu klassisch orthodoxen marxistisch-lenistischenPositionen wird Ideologie also nicht mehr als ein über die ökonomische Basis bestimmtes ,,Klassenbewußtsein" bescluieben, sondem als Diskursform, die nicht mehr nur an Klassenpositionen gebunden ist und grundlegendere Wissensformen wie das Unbewußte, Bewertungen, Affekte und den Körper einbezieht: Ideologie betrifft die gesamte Handlungsorientierung, -fiihigkeit und -motivation, d.h. die ,,Subjektivität" von Akteurlnnen (vgl. Giddens 1983). Im Abgrenzung zur radikal konstuktivistischen Perspektive verweist allerdings der Ideologiebegriff auch darauf, daß die Interpretationen und Konstruktionen der Akteure durchaus ,,falsch" sein können, entweder als nicht der Wirklichkeit adäquat oder als interessengeleiteteKonstruktion, die den Kollektivinteressen widerspricht und zur Legitima.tion von Herrschaft beitägt. So ist Ideologie z.B. auch bei Haber- 60 61 Axel Groeneneyer SoziologiesozialerProbleme mas (1968) nicht von,Ideologiekritik zu trennen, rveil die Kennzeichnung von Ideen und Auffassungen als ideologisch impliziert, daß diese von sozial mächtigen Interessen geleitet sind und einem rationalen, herrschaftsfreien Diskurs nicht standhalten. Wissen wird dann als ideologisch bezeichnet, wenn es eine Legitimationsfunktion von Herrschaft erftillt oder erfüllen kann. Damit geht der kritische Ideologiebegriff auch über die wissenssoziologische Auffassungen in der Tradition Karl Mannheims hinaus, nach der jegliches Wissen über die Wirklichkeit durch die jeweiligen lokalen Kontexte und Erfahrungen:der Akteure beeinflußt wird. Die Keru:zeichnung von Perspektiven als ideologisch setzt allerdings die Möglichkeit einer externen, ideologiefreien Position voraus, von der aus Ideologien bestimmt und kdtisiert werden können. Für dieses Problem sind verschiedene Lösungen vorgeschlagen worden: Im orthodoxen Marxismus-Leninismus wird hierfür auf die Partei als Klassenorganisation verwiesen; ganz ähnlich wird in feministischen und radikalen multikulturellen Bewegr".gen häufig die für Kritik privilegierten Erfahrungen unterdrückter sozialer Gruppen (Frauen, ethnische Gruppen) hervorgehoben. Demgegenüber kommt in anderen Ansätzen der Wissenschaft eine besondere Rolle bei der Aufkltirung über Ideologienzu, sei es als Verweis auf die spezifischen Verfahrensregeln der wissenschaftlichen Wissensproduktion (so z.B. bei Manis 1976) oder über,die Annahme einer ideologiefreien Position der Intellektuellen (bei Mannheim). 41161dingsist die Gegenüberstellungvon Ideologie und Wissenschaft insofem problematisch, als Wissenschaft selbst zur Ideologieproduktion beihagen kann: Ideologie'ist keine Eigenschaft von Wissenssystemeq sondern von Aspekten innerhalb verschiedener Wissenssysteme. Von daher wird Ideologie sinnvollerweise über die in ihr zum Ausdruck kommenden partiellen Interessen identifiziert, die in einer historischen und empirischen wissenssoziologischen Rekonstnrktion der Entstehung und Entwickluüg analysiert werden können (vgl. Giddens 1983, S. 186ff.). Hierzu unterscheidet Giddens (1983, S. 193ff.) drei Hauptformen, mit denen in . modemen Gesellschaften Herrschaft ideologisch untermauert wird: über die Repräsentation partikularer Interesseneinzelner Gruppen als Universalinteresse,über die Negierung von Widersprüchen und Konflikten und durch die Reifikation oder Naturalisation von Wirklichkeit, d.h. durch die Negierung ihres Charakters als historische soziale Konsürrktion. Die ,,Medikalisierung sozialer Probleme" (Conrad/ Schneider 1980) könnte als eine ideologische Auffassung in diesem Sinne interpretiert werden, sofern mit dem Krankheitskonzept dessenpolitische, konfliktuelle und evaluative Grundlagen ,,verschwinden" und in eine individuell zu behandelnde Pathologie umgewandelt werden (Haines 1979, siehe auch Manning 1985). Für Fallstudien der ideologischen Konstruktion von Abweichungskategorien aus dem Bereich Krankheit/Gesundheit sei auf die Überblicke bei Armstong (1983) und Gerhardt (1989, S. 249ff.) verwiesen; für den Bereich der Stafrechtsnornen bieten Hester/Eglin (1992, S. 47ff,) eine ZusammenstellungeinschlägigerFallstudien. Die Funktion von Ideologien geht allerdings über die Legitimierung der Herrschaft einer sozialen Gruppe über eine oder mehrere andere hinaus. Häufig korrespondieren Ideologien mit Imperativen und Leitideen, die für das Funktionieren zentraler gesellschaftlicher kstitutionen von Bedeutung sind, wie z.B. in modernen Gesellschaften Auffassungen über PrivatheiVÖffentlicbkeit, Fortscbritt, Individualismus, Freiheit u.ä.. Ideologien über soziale Probleme bzw. über die ihrer Konstitution zugrunde liegenden Werte korrespondieren zudem mit über Traditionen vermittelte kulturellen Tiefenstrukturen oder Codes, deren z.T, religiöse Wurzeln sich über lange historische Zeiträume hadiert haben, wie z.B. grundlegende Arlffassungen über die Bedeutung von Arbeit, Gerechtigkeil Individuum. Allerdin$s stiften Ideologien auch soziale Kohäsion und Integration innerhalb einer Gesellschaft, indem sie Mitgliedschaften bestimmen und über Abweichungskategorien und 'erklärungen Kriterien der Inklusion und Exklusion vermitteln oder Feindbilder konstituieren, gegen die man sich moralisch verbändet. 3.8 Zusammenfassung:I4/erteund Interessen alsBezugspunlcteeiner Soziologie sozialer Probleme F,in zentralesProblem der soziologischenAnalyse sozialer Probleme liegt in $er Bestimmung dessen,was an sozialen Problemen problematisch ist. Die Soziologie sozialer Probleme beschäftigt sich also mit der Frage nach den Bedingungen und Prozessen, die bestimmte Phänomene in der Gesellschaft als störend und veräinderbar erscheinen lassen und Aktivitäten zu ihrer Veränderung veranlassen. Grundlage sozialer Probleme sind enttäuschte Erwartungen kollektiver Akterue mit strukturellen oder institutionalisierten Bedingungen, die vor dem Hintergrund spezifischer Wertideen und Interessen ,Notwendigkeiten" der Veränderung einer Situation zu einer öffentlichen Thematisierung bringen. In Arbeiten zur Soziologie sozialer Probleme ist es vielfach geübte Praxis, die Argumentation auf eine Kontroverse zwischen ,,subjektivistischen" und ,,objektivistischen" Ansätzen zu zuspitzen. Demnach lassen sich die Perspektiven und Theorien sozialer Probleme zwei allgemeinen Positionen zuordnen, die jeweils unterschiedliche Auffassungen über den Stellenwert und die Möglichkeiten der soziologischen Analyse ,,sozialer Probleme" beschreiben: In Ansätzen, die der Mertonschen Perspektive nahestehen,wird der Soziologie die Aufgabe (und Möglicbkeit) einer theoretischen und empirischen Reflexion gesellschaftlicher Schadenskategorien zugedacht, die den Konstnrktionen kollektiver Akteure in der Gesellschaft überlegen ist. Damit beansprucht die Soziologie mit ihren Analysen den Status einer ,,richtigen", ,,o,bjektiven"Diagnose problematischer gesellschaftlicherBedingUngen, an der dann die gesellschaftlichen Thematisierungs- und Mobilisierungsaktivitäten für ,,sozialeProbleme" in Hinblick auf ihre Angemessenheitund ,,Richtigkeit" überprüft werden können. Demgegenüber wird der Soziologie in interaktionistischen oder konstruktivistischen Ansätzen ausschließlich der Status eines kollektiven Akteurs neben anderenim Prozeß der Konstruktion sozialer Probleme zugedacht.Demnach untelscheiden sich soziologische Kategorisierungen nicht grundsätzlich von denen anderer kollektiver Akteure, und ihre ,,Richtigkeif' erweist sich nur an ihrer tatsächlichen Durchsetzungsf?ihigkeit im Mobilisierungsprozeß. Während die erste Position im Prinzip die Möglichkeit einer ,,sozialtechnologischen"Analyse und Lösung sozialer Probleme postuliert, geht die zweite Position von einem ,,Wertrelati- 62 Axel Groenerneyer SoziologiesozialerProbleme vismus" aus,,mit dem ablaufendeMobilisierungsprozessenur soziologisch begleitet werden können. Zwar scheint es mittlerweile unstittig, daß soziale Probleme über kollektive Akteure in die öffentliche und politische Arena gebracht werden müssen und so überhaupt erst als soziale Probleme konstituiert werden; es kann geradezu als ein Spezifikum einer soziologischen Beschäftigung mit dem Konzept n,sozialeProbleme" gelten, daß die zentale Fragestellung immer auf-die soziologische Rekonstruktion des Prozessesund der gedingungen hinausläuft, mit dem diese Kategorie als sozial bedeutsames Phänomen definiert worden ist. Strittig ist allerdings zwischen den hier referierten Perspektiven sowohl die Frage, ob den gesellschaftliche Thematisierungen sozialer Probleme sirurvollerweise eine ,,objektive" gesellschaftliche Basis zugeschrieben werden kann, als auch die Frage, ob soziologische Kriterien entwickelt werden können, an denen die Thematisierungsaktivitäten bewertet werden können. Hierzu wurde von Merton die Frage nach den Möglichkeiten der Diagnose und Analyse von ,,Scheinproblemen", ,,latenten Problemen" und altemativen Thematisierungsformen sozialsr Probleme aufgeworfen, die allerdings auf der Basis der konstruktivistischer Perspektivur gar nicht gestellt werden kann. Die Möglichkeit dieser Fragestellung ergibt sich aus einer Unterscheidung zwischen soziologisch analysiertenund diagnostiziertenproblematischenBedingungen, die als Probleme sozialer Desintegration und Desorganisation behandelt werden, und sozialen Problemen als spezifische Form der Aktivitäten kollektiver Akteure Erwartungsenttäuschungenzu problematisieren. Die Beziehung zwischen ,,sozialen Problemen" und,,problernatischen gesellschaftlichenEntwicklungen" ist dabei kontingent. Nur so ka:rn analysiert werden, daß es Thematisierungen sozialer Probleme gibt, denen möglicherweise keine problematischen gesellschaftlichen Bedingungen (mebr) zugrunde liegen, genauso wie es problematische gesellschaftliche Bedingungen gibt, die nicht oder noch nicht den Bedingungen entsprechendals ,,soziale Probleme" erkannt oder anerkannt sind. Tatsächlich wurden ,,soziale Probleme" und problematische gesellschaftliche Bedingungen in der Soziologie häufig entweder miteinander gleichgesekt, oder die Analyse wurde auf den Definitionsprozeß bereits erfolgreich identifizierter n,sozialerProbleme" beschränkt. Eine Soziologie sozialer Probleme ist mit den kulturellen Grundlagen von Gesellschaftenbeschäffigt, insofern kollektive Erwartungen an gesellschaftlichenWerten und Leitideen ausgerichtetsind. Dieser Wertbezug kommt in den hier referierten Ansätzen in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck, und seine problematische Behandlung hat die Soziologie sozialer Probleme als soziologischesUnternehmen lange Zeit obsolet werden lassenund in die als wissenschaftlichunergiebig angesehene Ecke angewandterSoziologie abgedrängt.Die ideologischen Grundlagen der frühen Sozialpathologen, die Orientierung am gesellschaftlichen Status-quo einer Bestimmung sozialer Probleme als sozialer Desorganisationoder als unreflektierte öffentliche Meinung und Laienkonzeption im Rahmen des Wert- und Kulturkonflikts können kaum eine soziologisch überzeugende Konzeptualisierung sozialer Probleme abgeben. Die lange Zeit herausragende Bedeutung des Stukturfunktionalismus mit sei nem Versprechen einer ,,technischen", an objektiven Kriterien und Funktionserfordernissen von GesellschaftenausgerichtetenAnalyse erklärt sich zum großen Teil aus dem Unbehagenmit normativen Ansätzen. Bei einer Bestimmung sozialer Probleme als Funktionsproblem wird die Orientierung an Wertvorstellungen zunächst negiert, um dann allerdings als empirisch zu bestimmender Tatbestand, an dem die Diskrepanz zu ihren Realisierungsmöglichkeiten gemessen wird, in die Analyse wieder einzugehen. Mit der empirischen Bestimmung aktueller Wertorientierungen als öffentliche Meinung ist allerdings ein Wertrelativismus verbunden, der in radikal konstruktivistischen Ansätzen auf die Spitze getieben ist, indem die rhetorischen und semantischen Aspekte der Diskurse über soziale Probleme zum zentalen Bestimmungsmerkmal gemacht werden. Dem wiederumbegegnen ein Teil der kitischen Ansätze mit einem explizit normativen Anspruch, der über die Orientierung an sozialen Bewegungen begrändet oder über als universell geltende Werte abgesichert'werden soll. Eine Orientienrng an öffentlicher Meimrng ermöglicht einer Soziologie sozialer Probleme die Rekonstruktion von Thematisierungskarieren und liefert so wichtige Erkenntnisse über Prozesseder Konstruktion und DurchseEung von Deutungs- und Wertrnustem über die Mobilisierung kollektiver Akteure in der Gesellschaft.Gerade die Thematisierung und Konstruktion sozialer Probleme als Prozeß verweist darauf, daß dieses immer in einem in spezifischer Weise institutionalisierten und sürrkturierten sozialen Kontext stattfindet, der - als Resultat vorangegangener Konstruktionen und Praktiken kollektiver Akteurlnnen aufgefaßt - den Akteuren aber in ,,objektivierter" Form als Handlungsressourceoder -beschrä:rkung gegenüberhitt. Dies wird in den Fallstudien auf der Basis eines ,kontextuellen Konstruktivismus" zwar durchaus gesehen,aber nicht theoretisch einbezogen,sondern der Bmpirie des Einzelfalls überlassen. Die Kriterien und Wertrnaßstäbe, an denen soziale Probleme identifiziert werden und an denen sich eine Mobilisierung aufhängt, werden bei der Konzeptualisierung und Analyse sozialer Probleme von den referierten Perspektivenin unterschiedlicher Weise einbezogen: - In Ansätzen, die mit dem Konzept einer Pathologie von Gesellschaftenarbeiten werden die Wertrnaßstäbeabsolut gesetztund als gegebenvorausgesetzt.Das Problematische an sozialen Problemen wird als evident angesehenund nicht analysiert. Diese normative Position gilt tendenziell in gleichem Maße für frühe Arbeiten der Chicagoer Schule, die das Konzept der sozialen Desorganisation verwenden und, aktueller, für kommunitaristische Positionen sowie teilweise auch flir kritische Perspektiven, die sich normativ an den Wertvorstellungen sozialer Bewegungen orientieren. Darüber hinaus ist allerdings ein Großteil der soziologischen Beschäftigung mit einzelnen, als soziale Probleme bezeichneteGegensttinde,z.B. in der Medizinsoziologie, Devianzsoziologie, Kriminologie oder Sozialpolitikforschung, in diesem Sinne als normative Position zu kennzeichnen. In der Regel wird in der problemaals evident vorausgesetzt.Im Vortische Charakter ihres Forschungsgegenstandes 63 64 Axel"Groenemeyer dergrund stehen dann eher Fragen nach Atiologie oder der Entwicklung und Bewerhrng von Maßnahmen sozialer,Kontolle auf der Grundlage gegebener und oftmals administativer Problemzuschreibungen. - Im Strukturfunktionalismus werden Wertideen als objektiv gegeben vorausgesetzt. Geteilte Norrnen und Werte sind in dreser objektivistischen Position die Grundlage gesellschaftlicher Integratior5 und sie werden zugunsten des Anspruchs einer eher technischen Funktionsbestimmung als empirisch gegeben behandelt und in funktionaler Beziehung zur Gesellschaftsstruktur analysiert. - Demgegenüber läßt sich der Wertkonlliktansatz und spätere Arbeiten der Chicagoer Schule und des synbolischen Interaktionismus, aus denen sich Ansätze des Labeling-Approach und diverse Subkulturtheorien entwickelten, als Wertkonfliktpositionkennzeichnen. Wertideen und Perspektiven der Thematisierung sozialer Probleme werden hier als Resultate eines konflikthaften Durchsetzungsprozesseskollektiver Akteure auf der Basis von Gruppeuinteressen behandelt, allerdings ohne diese Interessen selbst aufgesellschaftliche Entwicklungen und Stnrkturen zu beziehen. - Ist mit dieser Position bereits eine Tendenz zu einem Wertrelativismus gegeben, so wird dieser in konstruktivistischen Perspektiven auf die Spitze getieben, so daß man sie als wertrhetorische Position kennzeicbnen kann. Werlideen sind in dieser Position reduziert auf.eine moralische Rhetorik der Durchsetzung von Weltbildern, die soziologisch rekonstruiert und reproduziert, aber nicht kritisch analysiert werden körnen. - Dies gtlt z.T. auch für kritische Perspekliven, in denen entweder die Bedeutung von Wer,tideen grundsätzlich negiert wird und diese als ideologische Verschleierung von Interessen behandelt werden, wie z.B. im klassischen Marxismus, oder ihnen wird eine eigene Bedeutung zugeschrieben, die aber nicht ohne Rückgriff auf die Position ihrer Träger, und Trägerinnen innerhalb der gesellschaftlich Süuktur und der Entrvicklirng sozialer Bewegungen zu analysieren ist. Insofem treten je nach Perspektive eher der rhetorische oder der Konfliktcharakter in den Vordergrund. Das Kennzeichen des sozialen und politischen Charakters sozialer Probleme ist es, daß sie sich weder über technische Erwägungen noch über willkärliche Setzungen rekonstruiören lassen, sondern daß um die sie regulierenden Wertrnaßstäbe geshitten wird. Bereits Weber (192211988, S. 153) hat darauf hingewiesen, daß hierbei sowohl Interessen als auch Weltanschauungeneine Rolle spielen, die sich allerdings in einer historischen Rekonstruktion zum Thema soziologischer Analyse gemacht machen lassen, So sind die leitenden Wertideen als Maßstäbe der Wünschbaren und Norrnalitätsstandards als Maßstäbe des Zumutbaren gesellschaftlicher Zustände selbst soziale Konskuktionen, die über lange historische Entwicklungen tradiert werden und damit einen selbstverständliche Hintergrund der Thematisierung sozialer Probleme abgeben(vgl. Groenemeyer 1996,1997). Bereits die Notwendigkeit zur Mobilisierung für eine Veränderungsbereitschaft setzt den Möglichkeiten einer willktirlichen Interessendurchsetzung oder öffentlichen Thematisierung problematischer Sachverhalte Grenzen in verschiedenen Formen. Die öffentliche Thematisierung und Mobilisierung für soziale Probleme ist auf Legitimation angewiesen, die nur unter Rückgriff auf geteilte ,,Weltbilder" oder Soziologie sozialer Probleme 65 ,,kollektive Handlungsrahmet' nt eneichen ist. Der Begriff Weltbild umfaßt hier verschiedene Aspekte: die Konstnrktion sozialer Probleme beinhaltet zunächst zurmndest die werhnä3ige Unterscheidung von relevant/irrelevant und erwünschVunerwünscht. In diesem Sinne sind mit jeder Definition sozialer Probleme Wertentscheidungen verbunden, die sowohl Ansprüche rurd Rechte wie auch Kriterien der Zumutbarkeit leiten. Die Konstruktion sozialer Probleme erfolgt also über die Interpretation einer Diskrepanz zwischen an kulturellen Wertideen ausgerichteten normativen Erwartungen und den Erfahrungen mit gesellschaftlichen Sachverhalten. Grundlagen für die Thematisierung und Mobilisierung sozialer Probleme liegen dabei bereits auf der kognitiven Ebene der Konstuktion von Wissen und Bedeutung von Situationen. Hierbei spielen Interpretationen und Athibutionen von Ursachen und Zusammenhängen sozialer Situationen und Phänomenen eine Rolle, die einem möglicherweise als diffus belastend erlebten Sachverhalt erst Sinn geben und darüber vor allem auch die Zuschreibung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten ermöglichen. Damit eng verbunden sind affektive Aspekte, insofern problematische Bedingungen als ungerecht, empörend oder bedrohlich erfahren werden. Von zenhaler Bedeutung sind hier also Vorstellungen von Gerechtigkeit. Die öffentliche Mobilisierung und Legitimierung problematischer Bedingungen als soziale Probleme ist immer an die Wahmehmung einer Möglicbkeit zur Veräinderung gebunden, die z.B. nicht nur die Entwicklung entsprecheuder Orientierungen einer Veränderungsmögtichkeit und Gestaltungsbereitschaftvon Gesellschaft bei den Individuen voraussetz! sondern auch entsprechender Institutionen und Mittel, also eines gewissen Standes funktionaler Differenzierung bedarf. Dieser Zusammenhang zwischen kognitiven Interpretationen und moralischen und affeltiven Bewertungen kann mit dem Konzept der ,,Diskursforsration" umschrieben werden. So wäre die Thematisierung sozialer Probleme an die erfolgreiche Etablienrng von Problemdiskursen in der Öffentlichkeit gebunden. Die jeweilige Art der öffentlich thematisierten Modelle sozialer Probleme wird nur in seltenen Ausnahmef?illen von der gesamten Gesellschaft geteilt werden. Gerade aufgrund der Mobilisierungsnotwendigkeit durch kollektive Akteure werden soziale Probleme immer auf der Basis spezifischer Weltbilder konstruiert, die als Gruppenideologien gekennzeichnet werden können. Diese können bereits stabil durch die Konstitution der kollektiven Akteure vorgegeben sein (2.8. professionelle Gruppen, politische Parteien) oder sich erst im Laufe des Mobilisierungsprozesses konkretisieren (2.8, soziale Bewegungen). Allerdings werdsn die Weltbilder nur selten unmittelbar von anderen direkt oder indirekt betoffenen kollektiven Akteuren vollständig geteilt werden. Von daher ist der Erfolg oder Mißerfolg der Konsffuktion sozialer Probleme von der jeweiligen Akteurskonstellation abhängig. In diesem Sinne ist die Konstituierung sozialer Probleme auch als Konflikt zu analysieren. Die Mobilisierung für soziale Probleme ist damit an Ressourcengebunden und insofern spielen politische Prozesseder Entwicklung von Macht eine entscheidende Rolle, die sich allerdings nicht auf die unmittelbare politische Durchsetzung von lnteressen und Wertideen bescbränkt. sondern sich bereits auf der Ebene der Ver- 67 Axel Groenemeyer SoziologiesozialerProblerne breitung und Etablierung kultureller Diskurse-oder Weltbilder in ihren verschiedenen Aspekten manifestiert. Die öffentliche Thematisierung sozialer Probleme ergibt sich also nicht automatisch aus einer.Eigenlogik,;objeltiverr' Mängellagen oder der gesellschaftlichen Entfaltung moralischer,Diskurseauf der Basis geteilter Weltbilder, sondern erst über die macht- und interessengestützte Politik kollektiver Akteure, ihre politischen Ressourcen und institutionalisierten Handlungsmöglichkeiten. Allerdings konstituieren sich kollektive Akteure ebenfalls über die Existenz bzw. Entwicklung zumindest allgemein geteilter Weltbilder, die sich in gemeinsamen Interessen oder der Zuschreibung gemeinsamer Betoffenheiten ausdrücken müssen. Die Konstruktion sozialer Probleme setzt also die,Entw'icklung eines kollektiven Handlungsrahmens voraus: Auf der Grundlage geteilter Behoffenheiten im Sinne von Ungerechtigkeit, Empörung oder Bedrohung in bezug auf in bestimmter Weise wahrgenommene und interpretierte gesellschaftliche Bedingungen entwickeln sich Elemente einer kollektiven Identität und eine Handlungs- und Veränderungsbereitschaft. Die Voraussetzungen hierfif werden durch die Entwicklungen des Modeneisierungsprozesses geschaffen (2.B. aktivistische Orientierungen, politische und staatliche Institutionen) und kön'spezifischen kulturellen (nationalen, subkulturellen, nen insofern in ihrer jeweils historisch gewachsenen) Arrsprägung soziologisch rekonstuiert werden. Becker,H.S., 1963:Outsiders.Studiesin the Sociologyof Deyiance.. 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McAdam/Ir4cCarthylZald 1988, S.720). Das theoretische Prografirm der ,,Soziologie sozialer Probleme", das mit der kritischen, gegen die ,professionelle Ideologie der Sozialpathologen" (Mills 1943) gerichteten ,,epistemologischen Wende" durch Blumer (1971) und vor allem Spector und Kitsuse begann (Kitsuse/Speotor I 973; Spector/IGtsuse I 973, 1977), ist inzwischen offensichtlich paradigmatisch so fest verankert, daß es sich nahtlos in eine ,,sozialtechnologie" sozialer Probleme einfügen läßt (Gusfield 1981a). Zu diesem erstaunlichen Erfolg eines Paradigmas, dessen Verfechter soziale Probleme als eine Form kollektiven Verhaltens auffassen (Blumer 1971; Mauss 1975; SpectorÄ(itsuse 1973), dürften zwei parallele gesellschaftliche und wissenschaftlich-paradigmatische Entwicklungen in den vergangenen 20 Jahren beigetagen haben, die eng miteinander verknüpft sind. Mit der Theorie der ,,Mobilisierung von Ressourcen"wurde bei der Analyse sozialer Bewegungen eine neue Richtung eingeschlagen; deren Verheter (McCarthylZald 1987a, 1987b; Oberschall 1913; Za\dlfush Garner 1987) erklärten die bis dahin die Theorie kollektiven Verhaltens und sozialer Bewegungen bestimmende Frage nach der Beziehung zwischen strukturellen Bedingungen und problematischenLebenslagen einerseitsuqd der Entstehung sozialer Bewegungen andererseits für mell' oder weniger irrelevant. Vielmehr - so ihre These - schafft sich das ,,Angebot" der ,,Industrie sozialer Bewegungen" (social movement indushies, McCarthylZald 1987a) und der ,,Bewegungsorganisationen"(social movement organrzations, McCarthylZald I987a; ZaldlAsh Gamer i987) erst jene ,,Probleme" (grievances), die dann als Zielsetzung aufgegriffen werden: ,,Die Definition von Problemen (grievances) wird expandieren, um den finanziellen Möglichkeiten und dem Personal zu entsprechen,das zur Verfügung steht" (McCarthy/Zald 1987a; vgl. Gamson 1987, S. 6), womit das Aufteten von sozialen Problemen ,,keine Beziehung zu einer vorab existierenden gesellschaftlichen Problemstruktu (grievance structure) haf' (ebenda).Dieser auch als ökonomisch bezeichneteAnsatz mit seiner Betonung fzlMr 6b;o Die Deutsche Bibliothef - CP-Einheitsaufnahme #q( Handbuch so-iale Probleme / Günter Albrecht . . . (F[rcg.).'Westdt. Opladen ; \üriesbaden: Verl., 1999 n / ISBN 3-53r-r2i,1,7-o .- ., 6 J llZ /' u-p,,^ Ub 7 lnhalt Vorwort...... l. ; ' Bausteineeiner TheoriesozialerProbleme... ........................ 7 ................. l1 SozialeProbleme,soziologische Theorieund moderneGesellschaften.............. 13 SozialeProblemeund sozialeBewegrmgen .'...............11 DiePolitiksozialerProbleme..... ...........;......................i............ ll.. AusgewähltesozialeProbleme t ,l Alle Rechte vorbehalten @ Vestdeutscher Verlag GmbH, Opladenfüfiesbaden, 1999 Der \üestdeutscheVerlag ist ein lJnternehmen der Bertelsmann Fachin-formation GmbH, ffi Das 'Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalbder engenGrenzen desUrheberrechtsgeserzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässigund strafbar.Das gilt insbesondere frir Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungund Verarbeirungin elektronischenSystemen. / www.westdeutschervlg.de Höchste inhaltlichc und technische Qualität unserer Produkte ist unser Ziel. Bei der Produktion und Verbreitung unserer Bücher wollen wir die Umwelt schonen: Dieses Buch ist auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die Einschweißfolie besteht aus Polyäthylen und damit aus organischenGrundstoffen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe.freisetzen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürklc, Darmstadt Druck und buchbindcrische Verarbeitung: Druckerci Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISBN 3-531-12117-O ' : " " " " "...................132 "" AIDS alssoziales Problem....... ffi#äT:il*l=-*:Y':T:::* ,,,,,,, Drogengebrauch undDrogenabhängigkeit............ ........................ 319 Ethnische Minderheiten :......................337 Frauendiskriminierung ........................ 354 Freizeit- odereinBeispielftir fastbeliebigeproblemzuscbreibungon .............373 Gesundheit und Kranlüeit alssozialesProblem ......402 Gewaltin derFamilie................... .......419 Gewaltund Sport RechteRowdiesin rechterGesellschaft? ........434 Jugend .......462 Körperbehinderung ........487 Kdminalitätund Delinquenz alssoziales Problem....... ................. 507 PolitischeGewalt Rebellion,Revolution, Krieg ........... ............,.. 556 Pornographie .................. 575 Prostitution. .................... 590 Psychische Behinderung ...................... 609 SexuelleAuffülligkeit - Perversion .....632 SexuellerMißbrauchvon Kindem ......650 Sui2id........... ................... 667 Umweltprobleme............. .................... 680 Verkehr als sozialesProblemunterbesondererBerücksichtigung der SicherheitdesStraßenverkehrs .....699 6 fff. SoziafeProblemeund empirischeForschung................................727 Angewandte .................729 Sozialforschung und sozialeIndikatoren MethodischeProblemederErforschungsozialerProbleme..... .....768 Die AnalysevonZeiteihen 883 ................. Evaluationsforschung,....... .................. 907 V. Soziale Probleme, soziale Kontrolle und gesellschaftliche Intervention ...........919 KonzeptundFormensozialerIntervention. Helfer,HelfenundAltruismus SozialeDienstleistungsberufe und Professiorralisierung .............921 ............941 .....955 983 Sachregister. Autorinnen und Autoren ..................... 1011 Vorwort Soziale Probleme haben genauso wie auch die Soziologie sozialer Probleme immer eine Geschichte, die manchmal eher zufiillig verläuft, oft aber die Form einer Karriere annirnmt. Dies gilt auch für diesesHandbuch. Als 1976 auf dem Soziologentag in Bielefeld die Sektion ,,Soziale Probleme und soziale Konholle" in der Deutschen Gesellschaft flir Soziologie gegrändet wurde, gehörten Forschungen über soziale Probleme noch keineswegs wieder zum Kenrbereich der Soziologie. In Deutschland waren zu dieser Zeit noch nicht lange die clreißig Jahre ,,Wirtschaffswunder" vergangen, in denen eine Vielzahl sozialer Probleme über einen Ausbau sozialstaatlicher Maßnahmen anmindcst abgefedert wurden, was im öffentlichen und auch wissenschaftlichen Bewußtsein haufig mit ibrer L:ösung gleichgeseffi worden war. Von Ausnahmen abgesehen,wurden erst zu Beginn der siebziger Jahre soziale Probleme überhaupt wieder zu einem öffentlichen Thbma, zunächst über journalistische Arbeiten, dann aber auch zunehmend innerhalbider Soziologie. Wenn soziale Probleme überhaupt zum wissenschaftlichen Thema gemacht wurden, darur geschah dies überwiegend mit einer un:nittelbaren Anbindung an prakti sche Erfordernisse. So wurden in anderen Disziplinen einzelne Probleme immer thematisiert, wie z.B. in der Kriminologie und der. Sozialpolitikforschrurg, für die der Problem- und Praxisbezng geradent konstitutiv ist und die häufig auf zentale Konzepte und Perspektiven der Soziologie zurückgegriffen haben, oder in der Psychologie und Medizin, in die soziologische Perspektiven erst späirlich eingedrungen waren. Offenbar entstand in Deutschland erst Mitte der siebziger Jahre ein öffentliches Klima, in dem soziale Probleme grundlegender und auch soziologisch analysiert werden konnten. Einen besonderen Einfluß auf die soziologische Behandlung sozialer Probleme hatten dabei die us-amerikanischen Diskussionen und Kontoversen, die nun auch hier rezipiert wurden. Dementsprechend stand zu Beginn der Diskussionen in der Sektion ,,Soziale Probleme und soziale Kontolle" die Frage nach der soziologischen Bestimmung des Gegenstandsbereichsund dem Selbstverständnis einer soziologischen Analyse sozialer Probleme. Diese äberwiegend theoretisch geführten Diskussionen waren durchsus singebettet in den da:nals innerhalb der Soziologie vorherrschenden Theorienpluralismus und seine Suche nach Vergleichs' kriterien für Theorien. Nach dieser, gemessenam Ausstoß an Papieren'und Artikeln, produktiven Phase der Auseinandersetzung um den Sinn einer Soziologie sozialer Probleme und um ,,Objektivismus" und,,Konstruktivismus" innerhalb einer Soziologie sozialer Probleme sind diese Diskussionen Anfang der achEiger Jatue zumindest in Deutschland nahezu vollständig verebbt. Die Hauplprotagonisten der Diskussion wandten sich wieder der Analyse von Spezialproblemen oder allgemeineren Fragestellungen der Soziologie zu, ohne daß letztlich befriedigend erkläirt worden w?ire, worin denn