Vergleich der Dreiecksgeometrie in der Euklidischen und

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Vergleich der Dreiecksgeometrie
in der Euklidischen und Hyperbolischen
Ebene
Zulassungsarbeit
Lehrstuhl für Mathematische Methoden der Naturwissenschaften
Mathematische Fakultät
Universität Tübingen
von
Ulrike Zürn
Betreuer:
Prof. Dr. Frank Loose
Tag der Anmeldung:
16. Juni 2010
Tag der Abgabe:
17. November 2010
Erklärung
Ich erkläre, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig angefertigt und nur die ange”
gebenen Hilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach
anderen Werken, gegebenenfalls auch elektronischen Medien, entnommen sind, sind von
mir durch Angabe der Quelle als Entlehnung erkenntlich gemacht. Entlehnungen aus
dem Internet sind durch datierten Ausdruck der ersten Seite belegt.“
Tübingen, den 13.10.2010
Danksagung
Mein herzlichster Dank gebührt Professor Doktor Frank Loose für die eingehende Betreuung meiner Arbeit; insbesondere für all die investierte Zeit und die hilfreichen Korrekturen und Verbesserungsvorschläge. Auch danken möchte ich ihm für seine durch
seine eigene Wissbegierde hervorgerufene Inspiration, die mich der Geometrie ein erhebliches Stück näher gebracht hat, und für die Hilfsbereitschaft mit der er mich durch das
Schreiben der Arbeit begleitet hat.
Weiterer Dank gilt meinem Bruder Oliver und meinem guten Freund Florian, die mir
mit bemerkenswerter Geduld LATEX beibrachten bzw. bei meinen Fragen und Problemen
stets zur Seite standen.
Meinem Vater möchte ich für all die Hilfe in mathematischen Dingen, und ihm und
meiner Mutter für die grenzenlose Unterstützung in jeder Beziehung danken - ohne sie
wäre mein gesamtes Studium nicht möglich gewesen.
Inhaltsverzeichnis
1 Geschichte
3
1.1
Geometrie vor Euklid
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1.2
Euklidische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
1.2.1
Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1.2.2
Postulate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1.2.3
Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
1.3
Kritik an Euklid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
1.4
Absolute Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
1.5
Nicht-euklidische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
2 Axiomatik
12
2.1
Was ist Axiomatik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.2
Was wird von einem axiomatischen System verlangt? . . . . . . . . . . . . 14
2.3
Synthetische vs. Analytische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
2.4
Definierte Terme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
3 Geometrie in der Schule
3.1
Hyperbolische Geometrie in der Schule? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
3.1.1
Hyperbolische Geometrie, leicht gemacht . . . . . . . . . . . . . . . 22
4 Euklidische Geometrie
4.1
21
26
Axiome der Euklidischen Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
4.1.1
Inzidenzaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
4.1.2
Axiome der Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
4.1.3
Kongruenzaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
4.1.4
Stetigkeitsaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
4.1.5
Parallelenaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
5 Hyperbolische Geometrie
32
5.1
Das Poincaré-Halbebenenmodell der hyperbolischen Ebene . . . . . . . . . 32
5.2
Axiome der Hyperbolischen Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
5.3
5.2.1
Inzidenzaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
5.2.2
Axiome der Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
5.2.3
Kongruenzaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
5.2.4
Stetigkeitsaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44
5.2.5
Parallelenaxiom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
Hyperbolische Dreiecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
6 Dreiecksgeometrie
6.1
51
6.2
Absolute Geometrie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
”
Sätze, die in der euklidischen Geometrie gelten . . . . . . . . . . . . . . . 68
6.3
Sätze, die in der hyperbolischen Geometrie gelten . . . . . . . . . . . . . . 73
7 Konstruktionen im Poincaré-Modell
87
8 Schlussbetrachtung
93
9 Anhang
95
9.1
Umkehrung des Parallelenaxioms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
9.2
Äquivalenzumformungen zum Beweis von (I1) . . . . . . . . . . . . . . . . 97
9.3
Spiegelung an der imaginären Achse in der oberen komplexen Halbebene . 97
Literatur
98
Abbildungsverzeichnis
1.1
Anschauliche Darstellung des Parallelenaxioms von Euklid . . . . . . . . .
7
2.1
Winkelbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.2
Spezielle Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
3.1
Parallele Linien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
3.2
Asymptotisch parallele Geraden und der zugehörige Parallelwinkel . . . . 24
5.1
Hyperbolische Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
5.2
Kongruente Winkel in der Poincaré-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
5.3
Re z1 = Re z2 , aber z1 6= z2
5.4
Anordnungsaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
5.5
Kongruenz von Seiten und Winkeln in hyperbolischen Dreiecken . . . . . 44
5.6
Bijektion zwischen g und e
5.7
Nicht asymptotische Dreiecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
5.8
Einfach asymptotische Dreiecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
5.9
Zweifach asymptotische Dreiecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
5.10 Dreifach asymptotische Dreiecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
6.1
Kongruente Dreiecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
6.2
Scheitelwinkel α und α′ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
6.3
AC < BC ⇔ ABC < BAC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
6.4
6.6
3. Kongruenzsatz sss“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
”
4. Kongruenzsatz wws“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
”
Eindeutige Existenz einer Winkelhalbierenden . . . . . . . . . . . . . . . . 61
6.7
Addition und Subtraktion von Winkeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
6.8
Schnittpunkt der Winkelhalbierenden
6.9
Dreiecksungleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
6.5
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
6.10 Die Winkelsumme eines Dreiecks in der euklidischen Ebene. . . . . . . . . 69
6.11 Höhenschnittpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
6.12 Eulergerade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
6.13 Gemeinsames Lot der Grund- und Oberseite in einem Saccheri-Viereck . . 74
6.14 Die oberen Winkel eines Saccheri-Viereckes sind im hyperbolischen spitz. . 75
6.15 Winkelsumme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
6.16 Kongruenzsatz www . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
6.17 Gemeinsames Lot zweier ultraparalleler Geraden . . . . . . . . . . . . . . 79
6.18 Mittelsenkrechte der Strecke z1 z2 , mit Imz1 = Imz2 . . . . . . . . . . . . . 80
6.19 Mittelsenkrechte der Strecke z1 z2 , mit Imz1 6= Imz2 . . . . . . . . . . . . . 81
6.20 Die Mittelsenkrechten treffen sich in einem Punkt . . . . . . . . . . . . . . 82
6.21 Ultraparallele Mittellote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
6.22 Asymptotisch parallele Mittelsenkrechten eines hyperbolischen Dreiecks . 85
7.1
Konstruktion von Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
7.2
Konstruktion von Loten, Fälle 1 und 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
7.3
Konstruktion von Loten, Fall 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
7.4
Konstruktion von Mittelpunkt und Mittelsenkrechte . . . . . . . . . . . . 90
7.5
Konstruktion von Winkelhalbierenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
7.6
Gemeinsames Lot ultraparalleler Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
7.7
Gemeinsames Lot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
9.1
Umkehrung des Parallelenpostulats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
9.2
Abbildung nach Meschkowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
Einleitung
Insofern sich die geometrischen Sätze auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher,
”
und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit“ wird Einstein
in Meschkowskis Denkweisen großer Mathematiker zitiert.
Was soll man nun mit einer derartigen Aussage anfangen, unterlag man doch in all den
Jahren Schulmathematik der Ansicht, zu jeder mathematischen Problemstellung gäbe es
exakt eine richtige Lösung? Schüler lassen sich im Allgemeinen von der Annahme leiten,
Geometrie sei der leichteste Bereich der Mathematik, da man sich hierzu alles genau
vorstellen und aufmalen kann. Die Nachricht, dass eine Gerade beispielsweise gar nicht
unbedingt in Form einer geraden, in beide Richtungen unendlich weit verlängerbaren
Linie (und was heißt überhaupt gerade“ und unendlich“?) dargestellt werden muss,
”
”
würde bei ihnen tiefe Verwunderung auslösen. Ähnlich muss es auch den Mathematikern
im 19ten Jahrhundert ergangen sein. Jedoch wissen wir tatsächlich alle nicht, wie eine
Gerade ins Unendliche verlängert aussieht, da wir kein Bild vom Unendlichen“ haben
”
oder was dort passiert“.
”
Obwohl schon viel früher in der Geschichte geometrische Fragen angegangen und gelöst
wurden, ist es Euklid dem zugesprochen wird, derjenige zu sein, der eine beweisende
”
Geometrie begründete und über die Fundamente nachdachte.“ [Mes90] Allerdings soll
es, wie in Kapitel 1 dargelegt wird, weitere 2000 Jahre dauern, bis sich die Mathematiker
einig sind, Euklids Elemente nun richtig verstanden zu haben und den Inhalt und Wert
eines formalen Axiomensystems vollständig ergreifen zu können. Es ist schlussendlich
Hilberts Verdienst, dass fortan Geometrien neben der euklidischen akzeptiert werden
können, da er vermittelt, dass ein Axiomensystem ein wissenschaftliches Instrument ist,
das unter Umständen verändert und verschieden gedeutet werden kann. Er zeigt auf, dass
das Euklidische Axiomensystem lediglich eine Möglichkeit“ einer Geometrie ist; eben”
so wie diese möglich ist, folgt nunmehr auch die Möglichkeit der Nicht-Euklidischen
”
Geometrie.“ [Hil30] Die schon bei Euklid eingeführte Beweistechnik, synthetische oder
axiomatische Geometrie genannt, soll in Kapitel 2 vorgestellt werden. Sie unterscheidet
1
sich maßgeblich von der in der Schule und auch häufig in der Anwendung gebrauchten
Technik, der analytischen oder algebraischen Geometrie. Letztere Methode beruht stark
auf der Anschauung und führt das geometrische Problem auf ein algebraisches zurück es wird gerechnet und mit Formeln gearbeitet.
Ob sich die Aufnahme nichteuklidischer Geometrie in den Lehrplan an Gymnasien empfiehlt, wird in Kapitel 3 erwogen; es kann darüber keine rechte Einigkeit erreicht werden.
Denn die Entdeckung nichteuklidischer Geometrien mag zwar die eine oder andere Fragestellung gelöst haben; gleichzeitig wirft sie aber auch jede Menge neuer Fragen auf, die
Schüler nur in größere Verwirrungen stürzen könnte als dass sie konstruktivem Mathematikunterricht beiwirkt. Wie ist es möglich, dass es zu einer geraden Linie durch einen
nicht auf ihr liegenden Punkt mehr oder weniger als genau eine parallele Linie geben
soll? Welche Auswirkung hat die Änderung eines einzigen Axioms unter Beibehaltung
aller anderen Axiome innerhalb eines Axiomensystems? Welche Geometrie ist am ehesten zur Beschreibung der Wirklichkeit geeignet? Ist nun im Bereich Geometrie alles in
Frage zu stellen, was bisher als wahr gelehrt wurde?
Zwei verschiedene Axiomensysteme werden in den Kapiteln 4 und 5 vorgestellt: das euklidische und das hyperbolische. Die beiden Systeme unterscheiden sich auf den ersten
Blick kaum; bis auf ein einziges Axiom ist alles gleich. Dass diese kleine Änderung aber
eine beachtliche Umstrukturierung der Denkweise mit sich bringt, wird schon bei der
Angabe eines Modells deutlich, das die hyperbolische Ebene beschreiben soll. Geraden,
um bei diesem Beispiel zu bleiben, haben im hyperbolischen, je nach Modellwahl, ein
völlig ungewohntes Aussehen. Ebenfalls irritierend ist zunächst, dass die hyperbolische
Geometrie in der euklidischen Anschauungsebene dargestellt werden kann, obwohl es
sich doch um eine andere“ Geometrie handelt.
”
Kapitel 6 beinhaltet Sätze über Dreiecke, die allesamt mittels der axiomatischen Methode bewiesen werden. Dabei wird herausgearbeitet, welche Sätze bezüglich der Dreiecke
im Euklidischen, welche im Hyperbolischen, und welche sowohl in ersterem als auch in
letzterem gültig sind.
Obige Fragen werden im Laufe der Arbeit höchstens teilweise geklärt; ihre Beantwortung
ist mitunter auch nur individuell oder unter Einbezug philosophischer Gesichtspunkte
möglich. Es soll eher ein Vergleich zwischen der hyperbolischen und der euklidischen
Ebene, insbesondere bezüglich der Dreiecksgeometrie, gezogen und die Verwendung von
Axiomensystemen demonstriert werden.
2
1 Geschichte
Viele Jahrhunderte lang wurde Geometrie auf der Basis der Euklidischen Axiomatik
gelehrt. In seinen Schriften Die Elemente fasste der griechische Mathematiker Euklid
in Definitionen, Axiomen und Postulaten zusammen, was man zu dem Zeitpunkt von
der Geometrie wusste. Sein Werk stellte über mehr als 2000 Jahre hinweg das einzige
geometrische System dar und es schien undenkbar, dass auch völlig andere Geometrien
existieren könnten [Tru98]. Obwohl den Mathematikern an dem Euklidischen System
von Anfang an kleine Unstimmigkeiten auffielen und unermüdlich versucht wurde, diese exakt zu bestimmen und zu korrigieren, sollte es doch bis ins 19. Jahrhundert nach
Christus dauern, bis man die Problematik der Parallelen aufdecken und gewissermaßen
zufriedenstellend auflösen konnte; wenn auch auf andere Weise als zunächst erwartet. Gerade die intensive Beschäftigung mit Euklids Axiomen führte zu einem revolutionären
Verständnis von Geometrie und im weiteren Verlauf zur Begründung der nichteuklidischen Geometrie.
1.1 Geometrie vor Euklid
Wörtlich übersetzt bedeutet Geometrie Vermessung der Erde; und seit jeher stand es
offenbar im besonderen Interesse der Menschen, ein Gespür und ein Maß für Entfernung
zu entwickeln. Dass der direkte Weg zumeist der kürzeste ist, wurde intuitiv festgestellt;
zur gerechten Einteilung von Ländereien benötigte man Konzepte einfacher geometrischer Figuren wie Rechtecke, Quadrate oder Dreiecke. Ein geworfener Stein beschreibt
eine Parabel; fällt er ins Wasser, so bildet er Kreise; Baumstämme gleichen Zylindern,
usw. Geometrische Konzepte liegen also in der Natur, ohne dass man überhaupt genauer
darüber nachdenken müsste. Unbewusste Geometrie“ wird dieses Phänomen von Eves
”
bezeichnet. [Eve95] Es ist nicht genau zu sagen, wann sich die Geometrie zur Wissenschaft entwickelte; man mutmaßt jedoch, dass schon 3000 Jahre vor Christus klare Anzeichen zu einer wissenschaftlichen Betrachtung von Geometrie gefunden werden können.
3
Lange Zeit wurde in der Mathematik induktiv gearbeitet; das heißt, Gesetzmäßigkeiten
wurden aus Experimenten und Erfahrungen abgeleitet. Diese Mehode ist nicht unbedingt
hieb- und stichfest, wie ein kleines Beispiel zeigt: Der Winkelsummensatz im Dreieck
kann durch Messen und Addieren der Winkel im Dreieck schon gefunden werden. Doch
da man Messungenauigkeiten mit einbeziehen muss, kann nicht mit Sicherheit gesagt
werden, dass die Winkelsumme exakt 180◦ beträgt. Zudem kann nicht vom Speziellen
auf das Allgemeine geschlossen werden; daher gilt der Winkelsummensatz streng genommen nur für tatsächlich vermessene Dreiecke. Griechische Geometer stellten nun schon
einige hundert Jahre vor Euklid die Behauptung auf, dass geometrische Begebenheiten nicht durch empirische Erhebungen, sondern durch deduktives Argumentieren, was
später als synthetische Geometrie“ bekannt werden sollte, erklärt werden. Thales von
”
Miletus soll im sechsten Jahrhundert vor Christus der erste gewesen sein, mit dem die
deduktive Vorgehensweise in der Geometrie in Verbindung gebracht wird. Er begründete
seine Ergebnisse nicht durch Intuition und Experimentieren, sondern durch logisches Argumentieren. Obwohl die Griechen nachweislich weiter dieser Idee nachgingen, gelang der
eigentliche Durchbruch der synthetischen Geometrie erst nach Erscheinen der Elemente
von Euklid um 300 vor Christus. [Eve95]
1.2 Euklidische Geometrie
Euklids Werk Die Elemente, auf dem die Euklidische Geometrie basiert, wurde zu den
nach der Bibel am zweithäufigsten gedruckten Büchern der Weltgeschichte und hat die
Entwicklung der Wissenschaften so nachhaltig beeinflusst wie kein anderes [Mlo02]. Doch
Euklid hat die meisten der in den Elementen enthaltenen mathematischen Sätze nicht
selber entdeckt, sondern entnahm sie der damals schon umfangreichen antiken Tradition
der beweisenden Mathematik. Was war also überhaupt neu an Euklids Herangehensweise an mathematische, und insbesondere geometrische, Probleme?
Die von Euklid ausgehende anhaltende Prägung der Mathematik bestand darin, dass
er anhand eines von ihm aufgestellten Axiomengerüsts das verfügbare mathematische
Wissen in eine systematische Ordnung und damit die Geometrie in Form einer axiomatischen Theorie brachte [Gra04]. Am Anfang einer mathematischen Theorie stehen die
unbewiesen bleibenden Axiome. Dann folgen Sätze und deren Beweis, wobei in jedem
Beweis (außer den Axiomen) nur verwendet werden darf, was vorher bereits bewiesen
wurde.
4
Die Elemente beginnen mit der Angabe einer Reihe von Definitionen, Postulaten und
Axiomen. Mit den Definitionen versucht Euklid nicht, neue Begriffe einzuführen. Vielmehr sollen diese Definitionen etwas abgrenzen und beschreiben, das bereits existiert.
Zwischen Postulaten und Axiomen besteht ein fließender Übergang. Beide, sowohl Postulate als auch Axiome, werden bei den Beweisen als gültig vorausgesetzt. Der Unterschied
besteht darin, dass Axiome als sicher und nicht sinnvoll anzweifelbar gelten. Die Postulate hingegen werden zwar als höchst plausibel eingestuft, gelten aber nicht in gleicher
Weise als über jeden Zweifel erhaben [Scr05].
1.2.1 Definitionen
Euklid hält sich in seiner Abhandlung über die Geometrie seiner Zeit nicht lange mit
Einführungen und lyrischen Ausschmückungen auf. Ohne jede Vorrede beginnt er sogleich mit der Auflistung derjenigen Definitionen, die er für die Systematisierung der
Geometrie für wichtig hält:
1. Ein Punkt ist, was keine Teile hat.
2. Eine Linie breitenlose Länge.
3. Die Enden einer Linie sind Punkte.
In ähnlicher Weise gibt er in seinem ersten Buch insgesamt 23 Definitionen an, unter
anderem klärt er, was unter einem stumpfen oder spitzen Winkel verstanden wird oder
worum es sich bei einem gleichschenkligen Dreieck handelt.
1.2.2 Postulate
Postulate können als Möglichkeit zur Konstruktion von Gebilden“ [Sch97] betrachtet
”
werden; wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt ist ein Postulat eine Forderung - gefordert wird die Anerkennung einer These, die nicht bewiesen und somit akzeptiert werden
kann oder auch nicht.
Euklid formuliert fünf Postulate, von denen vier heutzutage in die so genannte Absolute
Geometrie mit aufgenommen werden. Das fünfte jedoch hat schon seit Jahrhunderten
für Missfallen gesorgt, wie eine genauere Betrachtung im Folgenden zeigen wird.
Gefordert soll sein:
1. Daß man von jedem Punkt nach jedem Punkt die Strecke ziehen kann,
5
2. Daß man eine begrenzte gerade Linie zusammenhängend gerade verlängern kann,
3. Daß man mit jedem Mittelpunkt und Abstand den Kreis zeichnen kann,
4. Daß alle rechten Winkel einander gleich sind,
5. Und daß, wenn eine gerade Linie beim Schnitt mit zwei geraden Linien bewirkt, daß
innen auf derselben Seite entstehende Winkel zusammen kleiner als zwei Rechte
werden, dann die zwei geraden Linien bei Verlängerung ins unendliche sich treffen
auf der Seite, auf der die Winkel liegen, die zusammen kleiner als zwei Rechte sind.
1.2.3 Axiome
1. Was demselben gleich ist, ist auch einander gleich.
2. Wenn Gleichem Gleiches hinzugefügt wird, sind die Ganzen gleich.
3. Wenn von Gleichem Gleiches weggenommen wird, sind die Reste gleich.
4. Wenn Ungleichem Gleiches hinzugefügt wird, sind die Ganzen ungleich.
5. Die Doppelten von demselben sind einander gleich.
6. Die Halben von demselben sind einander gleich.
7. Was einander deckt, ist einander gleich.
8. Das Ganze ist größer als der Teil.
9. Zwei Strecken umfassen keinen Flächenraum.
1.3 Kritik an Euklid
Euklids fünftes Postulat, das Parallelenpostulat, oder auch Parallelenaxiom1 , hat die
Mathematiker vieler Jahrhunderte immer wieder beschäftigt. Im Gegensatz zu den vier
anderen Postulaten zeichnet es sich durch seine Komplexität aus, und man glaubte,
dass es sich aus den anderen Postulaten herleiten und beweisen ließe, demnach also
kein unbeweisbares Postulat sondern eine Folgerung aus den Postulaten sei. Herbert
Meschkowski begründet diese Vermutung damit, dass die Umkehrung des Postulates
durchaus bewiesen werden kann.2 [Mes64]
1
2
Hier herrscht in der Literatur keine Einigkeit - beide Begriffe werden gleichwertig verwendet.
siehe Anhang
6
Abbildung 1.1: Anschauliche Darstellung des Parallelenaxioms von Euklid
Es sind einige äquivalente Formulierungen des Parallelenpostulates bekannt:
• Zu jeder Geraden g und zu jedem nicht auf g liegenden Punkt A gibt es genau eine
Gerade h, die durch A verläuft und zu g parallel ist.
• Zwei parallele Geraden g und h haben überall denselben Abstand.
• Wenn eine Gerade g eine von zwei parallelen Geraden h und i schneidet, so auch
die andere.
• Die Summe der Innenwinkel eines Dreiecks ist zwei Rechten gleich.
• Die Punkte, die auf einer Seite einer gegebenen Geraden in ein und demselben
Abstand von dieser liegen, bilden eine Gerade.
• Es gibt ähnliche Dreiecke.
• Es existiert mindestens ein Rechteck.
• Jedes Viereck mit drei rechten Winkeln ist ein Rechteck.
Efim Diese Äquivalenzen gelten genau dann, wenn man die euklidischen Axiome, insbesondere unter Einschluss des Parallelenaxioms, zugrunde legt, d.h. als gültig voraussetzt.
Es sollte sich herausstellen, dass das Missfallen am Parallelenpostulat unvorhergesehene Auswirkungen haben würde; letztendlich führte es zu der Erkenntnis, dass Euklid
mit seinen Elementen nicht, wie lange vermutet, die exakte Beschaffenheit der Realität
7
beschreibt. Meschkowski sieht in der Schwierigkeit, die die Mathematiker seit jeher mit
Euklids fünftem Postulat hatten, die Begründung der nichteuklidischen Geometrie; denn
wegen dieser Unzufriedenheit mit dem Parallelenpostulat sahen sich Generationen von
”
Mathematikern veranlaßt, Euklid zu verbessern durch einen Beweis dieses Satzes aus
den übrigen Axiomen und Postulaten. Das Scheitern dieser Bemühungen führte dann
zur Entwicklung der nichteuklidischen Geometrien.“ [Mes90] Schließlich formulierte der
deutsche Mathematiker David Hilbert im Jahr 1899 die Elemente noch einmal neu; sein
Axiomensystem ist es, das heute als Euklidische Geometrie gilt. Hilbert ging es darum,
Klarheit über Definitionen, Grundbegriffe, Grammatik und Sprache der Mathematik zu
schaffen und eine allgemeine Methode zur Betreibung von Mathematik zu entwickeln.
Qualitätsmerkmale seines Systems sind Unabhängigkeit, Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit.
Er unterteilt in drei Systeme von Dingen“:
”
• die Punkte (Elemente der linearen Geometrie)
• die Geraden (Elemente der ebenen Geometrie)
• die Ebenen (Elemente der räumlichen Geometrie).
Diese brachte Hilbert in seinen Axiomen in gegenseitige Beziehungen“ ( liegen“, zwi”
”
”
schen“, kongruent“,...). Wichtig und neu ist an Hilberts Ansatz, dass die Definitionen
”
fehlen; daher auch die Bezeichnung der Unterscheidung in Dinge“. Es wird nicht mehr
”
zwingend an die Anschauung appelliert, und Hilbert betont dass man statt Punkt“ oder
”
Gerade“ jederzeit Tisch“ oder Bierseidel“ sagen könnte. Die obige Benennung der drei
”
”
”
Systeme von Dingen begründet sich darin, dass sich die Geometrie am einfachsten im
euklidischen Anschauungsraum darstellen lässt - anhand von Punkten und Geraden kann
man sich geometrische Gebilde nun mal erfahrungsgemäß am leichtesten vorstellen. Es
ist jedoch wesentlich für die Geometrie, dass es zu Begriffen wie Punkt“ oder Gerade“
”
”
gar keine offiziell korrekte Definition gibt, sondern dass es sich um Abstraktionen handelt, die nur dadurch an Bedeutung gewinnen, dass sie zueinander in Beziehung stehen,
und das ist das eigentlich faszinierende an der Geometrie.3 Es ist das Ergebnis redlichen
”
Forschens in den über 2000 Jahren zwischen Euklid und Hilbert, daß es gute Definitionen
der Grundbegriffe gar nicht geben kann.“ [Mes90] Vielmehr muss sich die Mathematik
3
Nur durch dieses Verständnis von Geometrie ist schließlich möglich, die nichteuklidischen Geometrien
zu akzeptieren und zu verstehen.
8
damit begnügen, dass man sich zwar mit Hilfe eines Axiomensystems implizit“ geome”
trische Grundbegriffe definieren kann; diese müssen jedoch auf das Axiomensystem, das
man sich zugrunde legt, angepasst sein und ändern sich beim Wechsel des solchen.
1.4 Absolute Geometrie
Es hatte sich also im Laufe der Beschäftigung mit Euklids Elementen herauskristallisiert, dass das dort zugrunde liegende Axiomensystem durchaus vielen Ansprüchen
gerecht wird auch ohne dass sich der Verwender bewusst macht, wie ein solches System
eigentlich zu handhaben ist. Punkte und Geraden haben ein festes Bild im menschlichen
Verstand, und es fällt zunächst schwer zu akzeptieren, dass man sich davon zu lösen hat,
wenn man wirklich Geometrie betreiben möchte.
Hat man jedoch erst mal verinnerlicht, dass es außer dem euklidischen noch weitere
Axiomensysteme geben kann, so stellt man fest, dass der Teil der euklidischen Geometrie, der nur auf den ersten vier Postulaten Euklids basiert und das Parallelenpostulat
außen vorlässt, selbst schon Basis einer eigenen Geometrie ist. Man nennt sie die absolute Geometrie. Sämtliche Aussagen, die sich in ihr beweisen lassen, sind sowohl in
der euklidischen als auch in der hyperbolischen Geometrie gültig. [Kel81] Behilft man
sich einer mengentheoretischen Ausdrucksweise, so könnte man sagen, dass die absolute
Geometrie (oder besser, die in der absoluten Geometrie gültigen Axiome und Sätze) die
Schnittmenge von hyperbolischer und euklidischer Geometrie ist.
Die Axiome der absoluten Geometrie entsprechen denen der euklidischen (ebenso wie denen der hyperbolischen) Geometrie mit dem entscheidenden Unterschied, dass sich kein
Parallelenaxiom darunter befindet. Es gibt also in der absoluten Geometrie genau ein
Axiom weniger als in der euklidischen und hyperbolischen Geometrie, die sich ihrerseits
lediglich in der Beschaffenheit des Parallelenpostulats und den daraus resultierenden
Gültigkeiten unterscheiden. Wir werden sehen, dass dieser augenscheinlich eher kleine
Unterschied gewaltige Konsequenzen nach sich zieht, die für die einfache Vorstellungskraft nicht unerhebliche Herausforderungen darstellen. Entsprechend schwer fiel es den
Mathematikern im 19. Jahrhundert zunächst, Schriften über die Entdeckung der neuen
Geometrie Glauben zu schenken.
9
1.5 Nicht-euklidische Geometrie
Karl Friedrich Gauß war wohl der erste, der erkannte, dass das Parallelenaxiom nicht
mit Hilfe der übrigen Axiome beweisbar ist; er entdeckte, dass man eine widerspruchs”
freie Geometrie aufbauen kann, in der das Parallelenpostulat nicht gilt.“ [Føl88] Er
veröffentlichte seine Schriften dazu jedoch nicht. Beinahe zur gleichen Zeit und unabhängig voneinander erkannten die Mathematiker Nicolai Lobatschewski und Johann
Bolyai ebenfalls Systeme nicht-euklidischer Geometrie. Ihre Entdeckungen stellen die
Basis der hyperbolischen Geometrie, die für die Oberfläche eines Hyperboloids, also einer Fläche die wie ein Sattel gekrümmt ist, gilt. Wenig später sollte es zudem Bernhard
Riemann gelingen, eine andere nicht-euklidische Geometrie zu präsentieren; diese wird
elliptische Geometrie genannt und gilt für die Oberfläche einer Kugel oder eines elliptischen Körpers.
Gauß, Lobatschewski und Bolyai entdeckten also unabhängig voneinander die hyperbolische Geometrie. Nachdem Generationen von Mathematikern vergeblich versucht hatten,
das Parallelenpostulat aus den übrigen Axiomen herzuleiten, gelangten diese drei und
einige weitere Mathematiker um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jahrhundert
zu dem Schluss, dass Euklid doch richtig damit lag, den Satz über die Parallelen zu
den Postulaten zuzuordnen, da er nicht beweisbar ist. Als Konsequenz dieser Ansicht
”
ergab sich, daß die mit den indirekten Beweisen verbundene destruktive Absicht bei
der Verneinung des Parallelenpostulats aufgegeben wurde. Dies machte den Weg frei für
einen positiven und konstruktiven Ansatz.“ [Gar07] Die neue Idee war, das euklidische
Parallelenaxiom durch ein anderes, das euklidische verneinende, Axiom zu ersetzen und
zu überprüfen, ob sich damit eine von der euklidischen Geometrie verschiedene und eher
unanschauliche, dabei aber ebenso widerspruchsfreie Geometrie entwickeln ließe.
Zwei Formulierungen eines neuen Parallelenpostulates kristallisierten sich also heraus:
1. Zu einer Geraden g und einem nicht auf g liegenden Punkt P in einer Ebene
existieren mehr als eine Parallele von g durch P .
2. Zu einer Geraden g und einem nicht auf g liegenden Punkt P in einer Ebene
existiert keine Parallele von g durch P .
Der zweite Ansatz wird, wie oben bereits angesprochen, als sphärische oder elliptische
Geometrie bezeichnet und soll hier nicht näher betrachtet werden.
Obwohl Gauß, Lobatschewski und Bolyai sich beinahe zeitgleich mit ersterer Abwand-
10
lung des Parallelenaxioms beschäftigten, schenkte man den Schriften Lobatschewskis
und Bolyais, die vor den Entdeckungen von Gauß der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
wurden, zunächst keine große Beachtung; und dass Gauß seine Überlegungen zu einer
nicht-euklidischen Geometrie nicht veröffentlichte, liegt möglicherweise darin begründet,
dass er bereits damit rechnete, dass eine derartige Umwälzung der seit etwa 2000 Jahren geltenden Anwendung der euklidischen Geometrie nicht auf Verständnis und Akzeptanz stoßen würde. War doch die unmittelbare Folgerung aus der Verneinung des
Parallelenpostulats die Erkenntnis, dass neben der euklidischen Geometrie, in der das
Parallelenaxiom gilt, noch mindestens eine andere imaginäre Geometrie“ möglich ist,
”
in der es nicht gilt. Derartige Ideen schienen zeitgenössischen Geometern paradox und
”
wurden von ihnen mit Ironie abgetan.“ [Efi70] Man war nicht so ohne weiteres bereit
für eine solche Sensation in der Mathematik, und somit sprach man den Werken von
Lobatschewski und Bolyai erst dann die entsprechende Würdigung zu, nachdem man
nach Gauß‘ Tod in dessen Unterlagen ähnliche Erkenntnisse zur Möglichkeit einer nichteuklidischen Geometrie fand - ihm schenkte man durch seine große Bedeutung in vielen
Bereichen der Mathematik jedes Vertrauen.
Heute sind sowohl die euklidische als auch die nicht-euklidische (sei es die hyperbolische
oder die sphärische) Geometrie gültige mathematische Modelle des uns umgebenden
Raums. Coxeter stellt fest, dass [d]ie Frage, welche der beiden Geometrien wahr sei,
”
bedeutungslos ist, und dass es praktisch unmöglich ist zu entscheiden, welche der beiden
zur Beschreibung des astronomischen Raumes angemessener sei.“ [Cox63] Tatsächlich
ist es wohl nur eine Frage des individuellen Anspruchs und Blickwinkels - rein von der
Anschaulichkeit ist sicherlich jeweils die euklidische Geometrie nicht zu schlagen, und
daher beschränkt man sich in der Schule auf sie. Repräsentativ ist es Coxeter wichtiger
zu klären, ob die beiden Axiomensysteme in sich geschlossen logisch verträglich, also
widerspruchsfrei sind.
11
2 Axiomatik
Geometrie basiert auf abstrakten und komplexen Überlegungen. Hilbert leitet seine
Grundlagen der Geometrie mit folgenden Worten ein: Die Geometrie bedarf - ebenso wie
”
die Arithmetik - zu ihrem folgerichtigen Aufbau nur weniger und einfacher Grundsätze.
Diese Grundsätze heißen Axiome der Geometrie.“ Und aus diesen Axiomen sollen alle
geometrischen Sätze so abgeleitet werden, daß dabei die Bedeutung der verschiedenen
”
Axiomgruppen und die Tragweite der aus den einzelnen Axiomen zu ziehenden Folgerungen klar zutage tritt.“ [Hil30] Ein Kritikpunkt an Euklids Axiomensystem war die
Angabe von Definitionen, denn diese genügen nicht der logischen Exaktheit.“ [Fil93]
”
Euklids Definitionen erfordern ihrerseits weitere Definitionen wie Teile, Länge, Enden,
die nicht klar gefasst werden können; sie beschreiben vielmehr als dass sie definieren.
Wie lässt sich diese Problematik jedoch lösen? Grundlegende Objekte oder Relationen
müssen definiert werden, denn [e]rst wenn einige Grundbegriffe zur Verfügung stehen,
”
kann die Definition anderer Objekte auf die bekannte Weise erfolgen.“ [Fil93] Wie diese
Definition“ erfolgt, soll im Folgenden geklärt werden.
”
2.1 Was ist Axiomatik?
Sozusagen aus dem Nichts, also ohne auf klare und bekannte Begriffe zurückzugreifen,
Definitionen zu schaffen, erfolgt, indem man von den zu bestimmenden Objekten Eigenschaften fordert, postuliert. Diese geometrischen Axiome können von dem anwendenden Mathematiker je nach Belieben frei gewählt werden; welche Kriterien erfüllt sein
müssen, wird im nächsten Abschnitt erklärt. Bei der Untersuchung geometrischer Gebilde nimmt man sich zunächst zwei grundlegende Konzepte zur Hand, nämlich eine Menge
von Punkten und eine Menge von Geraden; hierbei muss jedoch beachtet werden, dass es
sich dabei lediglich um Konzepte, um Ideen, nicht aber um festgelegte Objekte handelt.
Diese beiden Mengen werden anhand eines Axiomensystems zueinander in Beziehung gebracht [Mil81]; erst dann nehmen die Elemente der Menge Gestalt an. Trudeau verwen-
12
det den Begriff primitive Terme, das sind die Grundbegriffe, die allem zugrunde liegen
und ohne Beziehung mittels Axiomen inhaltsleer sind. Axiome sind Grundaussagen über
die primitiven Terme, die diese erfüllen sollen und, für sich genommen, ebenfalls keine
Bedeutung haben. Begriffe, die anhand der primitiven Terme definiert werden können,
heißen definierte Terme; Sätze oder Theoreme werden nun aus den Grundaussagen, den
Axiomen, abgeleitet (deduziert) und bewiesen. [Tru98]
Beispiel: Die Objekte Punkte und Geraden können mittels der folgenden Forderungen,
Axiome, definiert werden.
Es existieren Punkte und Geraden; diese besitzen folgende Eigenschaften:
1. Geraden sind Mengen von Punkten.
2. Zwei voneinander verschiedene Geraden haben höchstens einen gemeinsamen
Punkt.
3. Zu zwei verschiedenen Punkten existiert genau eine Gerade, die diese beiden
Punkte enthält.
Der Grundgedanke bei der Betrachtung von Geometrie (oder besser gesagt, Geometrien),
ist laut Prof. Linhart der Universität Salzburg, dass man sich unter den Grundbegriffen wie Punkt“, Gerade“, Kreis“, rechter Winkel“ im Prinzip vorstellen kann was
”
”
”
”
man will, solange nur die Axiome erfüllt sind“, denn diese Grundbegriffe sind nur
”
”
1
durch die Gültigkeit der Axiome definiert.“ Somit untersucht man also jeweils nur
diejenigen Elemente aus Mengen, für die die zugrunde gelegten Axiome erfüllt sind. Dabei wird keine Aussage darüber getroffen, ob diese Axiome die reale Welt beschreiben
oder ob es sich nur“ um ein Gedankenkonstrukt handelt. [Mil81] Hilbert ist derjenige,
”
dem die neuartige Betrachtung von Axiomen zugesprochen wird. Kennedy zitiert Weyl,
der Hilberts Herangehensweise als metageometrische Ebene“ bezeichnet, und empfin”
det Hilberts Methodik als Konstruktion von Modellen.“ [Ken72] Denn die Betreibung
”
von Geometrie erfolgt insbesondere im Schulunterricht anhand von Modellen; so ist die
euklidische Zeichenebene ein zweidimensionales Modell mittels dessen euklidische Geometrie veranschaulicht werden kann; um die hyperbolische Ebene zu beschreiben behilft
man sich häufig der oberen Halbebene, die im Kapitel Hyperbolische Geometrie genauer
vorgestellt werden soll. Wichtig im Umgang mit Modellen ist, dass sie den primiti”
ven Begriffen“ ihre Abstraktheit nehmen und ihnen konkrete Formen verleihen; diese
1
Vorlesung Geometrie im SoSe 2008. Erhältlich unter http://www.sbg.ac.at/mat/staff/linhart/geom.pdf;
abgerufen am 07.09.2010.
13
genaue Bestimmung ist jedoch modellspezifisch, es handelt sich dabei also nicht um
allgemeingültige Definitionen dieser Begriffe, sondern lediglich um modellbezogene Interpretationen.
Wählt man sich nun ein Axiomensystem aus, anhand dessen man Geometrie betreiben
möchte, so fällt die Wahl häufig auf das durch Hilbert bereinigte“ Euklidische System.
”
Seit dem 19ten Jahrhundert ist allerdings bekannt, dass man auch eine andere Auswahl
an Axiomen zugrunde legen kann, die ebenfalls zu reichhaltigen Theorien führen, die
sich bedeutend von den euklidischen unterscheiden; insbesondere bietet sich da zum Beispiel die Alternative zu Euklids Parallelenpostulat an, die unter Einschluss der übrigen
euklidischen Axiome zur hyperbolischen Geometrie führt. [Mil81]
2.2 Was wird von einem axiomatischen System verlangt?
Natürlich ergibt es wenig Sinn, völlig willkürlich eine Sammlung von Axiomen aufzustellen. So sollte man der Definition von Punkten und Geraden im oben genannten Beispiel
nicht die Forderung hinzufügen, dass zwei Geraden sich mindestens zwei Mal schneiden;
das würde dem 2.Axiom widersprechen. Hilbert fordert zunächst von einem Axiomensystem, [w]enn sich die willkürlich gesetzten Axiome nicht einander widersprechen mit
”
sämtlichen Folgen, so sind sie wahr, so existieren die durch die Axiome definierten Dinge.
Das ist für mich das Criterium der Wahrheit und der Existenz.“ [Mes90]
Ein erstes Kriterium an ein Axiomensystem ist also Widerspruchslosigkeit. Dass sich
die Axiome innerhalb eines Systems nicht widersprechen lässt sich durch Angabe eines
Modells beweisen.
Ebenso wird Unabhängigkeit von einem Axiomensystem gefordert. Denn sobald eines der
Axiome von einem oder mehreren anderen abhängt, handelt es sich nicht mehr um ein
Axiom, sondern um ein Theorem oder einen Satz, zu dessen Beweis man die Grundlage
der Axiome benötigt. Die Axiome dürfen also jeweils nicht voneinander ableitbar sein,
sondern müssen für sich stehen.
Zuletzt muss vorausgesetzt werden, dass ein Axiomensystem eindeutig (bzw. vollständig)
ist. Das bedeutet, dass Modelle, auf die eine bestimmte Sammlung an Axiomen angewendet werden kann, im Wesentlichen gleich“ [Kn6] sein müssen. Mathematisch ausge”
drückt sollen die jeweiligen Beispiele isomorph zueinander sein. Dies wird gezeigt, indem
man für die zu untersuchenden Beispielebenen eine bijektive Abbildung findet, mittels
derer die eine Beispielebene in die andere Beispielebene abgebildet wird.
14
2.3 Synthetische vs. Analytische Methode
Über einen langen Zeitraum hinweg, bedienten sich die Geometer der synthetischen
”
Geometrie“, die auf einer axiomatischen Beweisführung begründet ist. Damit bezogen
sie sich offensichtlich auf das euklidischen Axiomensystem, denn dieses stellte die Grundlage der als gegeben zu nehmenden Tatsachen der Geometrie dar, die man somit zum
Beweis komplizierterer Sätze in der Geometrie verwenden durfte [Tru98].
Was jedoch heutzutage in der Oberstufe am Gymnasium gelehrt wird, unter dem Begriff
algebraische Geometrie“, entspricht der von René Descartes im 17ten Jahrhundert ein”
geführten analytischen Geometrie“, was zu der falschen Annahme führen kann, analy”
”
tisch“ und algebraisch“ seien Synonyme. Man sagt algebraisch, weil bei dieser Methode
”
Geraden und Kreise mittels algebraischer Gleichungen dargestellt werden.2 Analytisch
ist die Methode insofern, als dass gewissermaßen rückwärts gearbeitet wird: die zu beweisende Aussage wird in Teile zerlegt [...], die ihr logisch vorausgehen.“ [Tru98] Im
”
Gegensatz dazu wird beim synthetischen Beweisen deduktiv vorgegangen: separate Elemente (also Axiome oder bereits bewiesene Sätze) werden zusammengefügt und ergeben
insgesamt die zu beweisende Aussage [Tru98].
Bei der analytischen Vorgehensweise bedient man sich der Verwendung von kartesischen
Koordinaten; dies führt in der weiteren Entwicklung zur Vektorrechnung, die ebenfalls sehr gebräuchlich zur Vereinfachung und Vereinheitlichung analytischer Geometrie geworden sind [Tru98]. Die Einführung von Koordinatensystemen geht, wie bereits
erwähnt, auf den französischen Mathematiker Descartes zurück - dessen mathemati”
sche[r] Faulheit“ haben wir es zu verdanken, dass wir uns heute einem Schema bedienen
dürfen, mit dem das Beweisen geometrischer Sätze weniger strapaziös“ ist [Mlo02]. Ein
”
Punkt der reellen Ebene soll verstanden werden als ein Paar (a, b) reeller Zahlen, außerdem definiert man sich einen Abstandsbegriff (eine Metrik“), man beschreibt eine
”
Bewegung mittels einer Funktionsvorschrift, etc. [Ben97]
Die analytische Methode ist also oftmals praktischer als die axiomatische Methode, da
sie geometrische Aufgaben oder Probleme rechnerisch löst; der Vorteil ist, dass beim
”
analytischen Vorgehen [...] viele Beweise von gleicher Struktur [sind] - nämlich Rechnen mit Koordinaten.“ [Kn6] Die axiomatische bzw. synthetische Methode hingegen
soll ausschließlich auf den Axiomen basieren und es stellt eine nicht zu unterschätzende
Schwierigkeit dar, sich von den anschaulichen Vorstellungen zu lösen, die geometrische
2
Die analytische Geometrie führt jedes geometrische Problem auf ein algebraisches zurück.“ [Wey66]
”
15
Begriffe automatisch hervorrufen. Dafür erlaubt die axiomatische Methode, ihre An”
wendungsmöglichkeit [...] in außerordentlich weiten Grenzen zu erkennen.“ [Efi70]
Es ist von den Konventionen jahrelangen Gebrauchs in der Mathematik vorgegeben,
in welcher Weise sich Punkte einer Ebene bezüglich eines vorgegebenen kartesischen
”
Koordinatensystems durch zwei sie kennzeichnende Zahlen a, b, oder besser x1 , x2 , darstellen lassen und sie damit in die Rechnungen eben genau als Elemente des R2 eingehen.“ [Ben97] Benz erklärt im Folgenden, dass die Theorie des R2 nützliche Werkzeuge
für den Anwender sind, während der Theoretiker, der sich der axiomatischen Methode
annimmt, nicht zu definieren braucht was ein anschaulich gegebener Punkt ist oder wie
ein Koordinatensystem mit einer x1 - und einer x2 -Achse aussieht.
In der Schule wird das Koordinatensystem in der siebten Klasse eingeführt (zumindest an
Gymnasien in Baden Württemberg); bis dahin wird Geometrie ausschließlich auf axiomatischer Basis unterrichtet. Den Schülern ist dies nicht bewusst; die Axiome werden im
Schulunterricht nicht ausdrücklich formuliert, sondern als selbstverständlich angenommen. Erst mit zunehmender Erfahrung im Umgang der Schüler mit mathematischen
Inhalten werden sie an die analytische Methode herangeführt, welche zwar für Beweise
letztendlich die leichtere ist; es muss jedoch erst die Querverbindung hergestellt werden
zwischen Zahlen und geometrischen Gebilden.
2.4 Definierte Terme
Bevor wir zu der Vorstellung zweier Axiomensysteme, dem euklidischen und dem hyperbolischen kommen, ist die Einführung einiger Begriffe erforderlich, die sowohl in der
euklidischen als auch in der hyperbolischen Geometrie gebraucht werden - je nach verwendetem Axiomensystem können sie jedoch unterschiedliche Bedeutungen erhalten.
Man muss sich stets in Erinnerung bewahren, dass ein Axiomensystem ein wissen”
schaftliches Instrument [ist], dessen Objekte unter Umständen verschiedener Deutungen
fähig sind.“ [Mes90]
Was dann in der jeweiligen Ebene unter den Begriffen, angefangen bei Punkt über Linie,
Gerade bis Winkel, genau verstanden wird, hängt von der Auswahl des Modells ab. Im
Euklidischen liegt in dieser Ebene konventionell die R2 -Ebene zugrunde; für die Darstellung des Hyperbolischen habe ich das Halbebenenmodell nach Henri Poincaré gewählt.
Diese werden in den jeweiligen Kapiteln vorgestellt.
16
Definition 2.4.1. Zwei Punkte P und Q mit P 6= Q bestimmen eine Gerade
Definition 2.4.2. Eine Strecke AB ist eine Teilmenge der Geraden durch A und B
mit A und B als Endpunkten.
Definition 2.4.3. Ein Punkt B liegt zwischen zwei Punkten A und C, falls AB + BC =
AC gilt sowie B von A und C verschieden ist.
AB + BC bedeutet, dass man an die Strecke AB die Strecke BC anlegt. Es kann nun
eine Strecke AB auch wie folgt beschreiben werden: AB enthält alle Punkte der Geraden
durch A und B, die zwischen A und B liegen sowie die Punkte A und B selbst.
In der folgenden Arbeit habe ich, je nach individueller Zweckmäßigkeit, Winkel entweder
anhand von Punkten (z.B. BAC), Geraden (z.B. (g, h)) oder mithilfe von griechischen
Kleinbuchstaben (z.b. α) bezeichnet (siehe Abbildung). Die jeweilige Bezeichnung soll
nicht auf eine inhaltliche Bedeutung hinweisen.
Abbildung 2.1: Winkelbezeichnungen
Definition 2.4.4. Zwei Punkte P, Q liegen auf einer Seite einer Geraden g, wenn
die sie verbindende Strecke P Q die Gerade g nicht schneidet (also P Q ∪ g = ∅). Dagegen
liegt ein Punkr R auf der anderen Seite einer Geraden g als ein Punkt S, wenn die
Verbindungsgerade von R und S die Gerade g in einem Punkt schneidet.
Definition 2.4.5. Schneidet eine Gerade g zwei Geraden h und h′ , so heißen die Winkel (g, h) und (g, h′ ) die auf derselben Seite von g und entweder beide oberhalb oder
beide unterhalb von h bzw. h′ liegen, Stufenwinkel.
17
Als Scheitelwinkel bezeichnet man diejenigen Winkel, die einander an zwei kreuzenden
Geraden gegenüberliegen.
Liegen die Winkel auf unterschiedlichen Seiten von g und unterschiedlichen Seiten von
h bzw. h′ , so heißen sie Wechselwinkel - sozusagen Scheitelwinkel zum Stufenwinkel.
Bei zwei sich schneidenden Geraden (z.B. g und h′ ), bezeichnet man ein Paar benachbarter Winkel als Nebenwinkel.
Abbildung 2.2: Spezielle Winkel
Wenn eine gerade Linie, auf eine gerade Linie gestellt, einander
”
gleiche Nebenwinkel bildet, dann ist jeder der beiden gleichen Winkel ein Rechter.“
Definition 2.4.6.
[Euk97] Wir verabreden außerdem, die Winkel immer in einem solchen Maß zu messen,
”
◦
daß der rechte Winkel gleich [90 ] wird.“ [Coxe63]
Die Festlegung, dass ein rechter Winkel 90◦ betragen soll, lässt sich für beide Ebenen vertreten, da die Winkelmessung sich gegenseitig entspricht. 90◦ soll dabei keine
numerische Information beinhalten, sondern dient in gegebenen Fällen lediglich einer
einfacheren Ausdrucksweise.
Definition 2.4.7. Zwei Geraden g und h heißen senkrecht aufeinander, falls sie sich
in einem Punkt O schneiden, und an diesem Punkt rechte Winkel miteinander bilden.
Man schreibt dann g ⊥ h.
Definition 2.4.8. Sei P ein Punkt und g eine Gerade. Dann heißt eine Gerade h mit
P ∈ h und g ⊥ h Lot von P auf g, und der Punkt Q mit {Q} = g ∩ h heißt Fußpunkt
dieses Lotes.
18
Definition 2.4.9. Eine Gerade mAB heißt Mittelsenkrechte einer Strecke AB, falls
mAB den Mittelpunkt von AB enthält und auf der Geraden durch A und B senkrecht
steht.
Definition 2.4.10. Als Bewegungen werden Abbildungen der Ebene auf sich bezeichnet, die Abstände beliebiger Punktepaare unverändert lassen.
Eine wichtige Eigenschaft von Bewegungen ist, dass es sich bei Bewegungen um bijektive
Abbildungen handelt, die Winkel erhält; schlussendlich ist die Menge aller Bewegungen
eine Gruppe.
Definition 2.4.11. Falls A, B, C drei Punkte sind, die nicht auf einer Geraden liegen, so
heißt die Punktmenge, die aus den Punkten A, B und C sowie den Strecken AB, AC und
BC besteht, Dreieck ABC. A, B und C heißen dann Eckpunkte, und AB = c, AC = b
und BC = a sind die Seiten des Dreiecks. Des Weiteren bezeichnet α = CAB den
Winkel bei dem Punkt A, β = ABC den Winkel an B und γ = BCA den Winkel an
C.
Definition 2.4.12. Der Winkeldefekt in einem Dreieck beträgt 180◦ − (α + β + γ).
Anmerkung: In der euklidischen Ebene ist dieser Defekt = 0 und daher eine irrelevante
Größe. Dagegen ist die Winkelsumme im hyperbolischen Dreieck immer < 180◦ , daher
wird der Defekt definitiv > 0.
Während wir nun also konkrete Vorstellungen davon haben, wie sich diese Definitionen
in der euklidischen Ebene, wie wir sie kennen, veranschaulichen lassen, so müssen wir uns
für die hyperbolische Ebene erst ein entsprechendes Modell einprägen: Poincaré ersetz”
te die abstrakten Begriffe Gerade“ und Ebene“ durch konkrete Gebilde wie Kurven,
”
”
Oberflächen oder sogar Körper und formulierte die Axiome der hyperbolischen Geometrie
mit diesen neuen Begriffen. Das ist erlaubt, solange nur die Bedeutungen, die den Begriffen von den Postulaten zugewiesen werden, genau definiert und in sich schlüssig sind.
Man könnte beispielsweise den Nicht-Euklidischen Raum als die Oberfläche eines Zebras
darstellen und dabei die Haarwurzeln Punkte und die Streifen Geraden nennen - man
muss nur die Axiome widerspruchsfrei übertragen. Angewandt auf die Zebraoberfläche
würde das erste Postulat Euklids lauten: Gefordert soll sein, dass man von jeder Haar”
wurzel zu jeder anderen Haarwurzel den Abschnitt eines Streifens legen kann...“ [Mlo02]
Geometrie mithilfe des Musters eines Zebrafells zu betreiben ist nun nicht unbedingt die
19
herkömmlichste Methode (zweifelhaft, ob das Fell eines Zebras tatsächlich den hyperbolischen Axiomen entsprechen kann) - die tatsächliche Durchführung ist aber auch nicht
der entscheidende Punkt in Mlodinows Aussage. Es geht lediglich darum zu verdeutlichen, dass man theoretisch wirklich viel Spielraum in der Wahl eines Modells hat (dies
gilt für die euklidische genauso wie für die hyperbolische Ebene); wichtig ist im Grunde
nur, dass die zugrunde gelegten Axiome darauf gelten.
20
3 Geometrie in der Schule
Wie konnte es geschehen, dass diejenige Geometrie, die über zwei Jahrtausende lang
als der Weisheit letzter Schluss galt, auf einmal Konkurrenz bekam? Es stellte sich die
Frage, ob die Lehre Euklids nun, da sie zumindest nicht mehr allgemein gültig war in
der Mathematik, als hoffnungslos veraltet abgehakt werden müsse. Ist dies ein Beispiel
dafür, wie Wissen durch den Fortschritt der Wissenschaften überholt und zunichte gemacht wird?
Offensichtlich kann diese Frage verneint werden. Denn auch heute stellt die euklidische
Geometrie noch die Grundlage der in der Schule gelehrten und angewendeten Gemetrie
dar, obgleich sich die Schüler dessen nicht explizit bewusst sind.
Ist es nun sinnvoll, hyperbolische Geometrie im Mathematikunterricht vorzustellen, wo
doch viele bereits mit der anschaulichen euklidischen Geometrie Schwierigkeiten haben?
Können Schüler im Allgemeinen etwas verstehen, das sie sich nur unter größerer Anstrengung vorstellen können? Darüber vermag der einzelne selbst entscheiden; jedoch ist es
durchaus möglich, die Inhalte der hyperbolischen Geometrie auf eine Weise darzustellen,
dass Schülern ein verständlicher Zugang geboten werden kann, der ihr Interesse und ihre
Wissbegier weckt.
3.1 Hyperbolische Geometrie in der Schule?
Jeder Lehrer muß notwendig etwas von der Nichteuklidischen Geometrie kennen; denn
sie gehört nun einmal zu den wenigen Teilen der Mathematik, die zumindest in einzelnen Schlagworten in weiteren Kreisen bekannt geworden ist; nach ihr kann daher jeder
Lehrer jeden Moment gefragt werden. [Kle68]
Dieses Zitat stammt von Felix Klein, einem deutschen Mathematiker des späteren 19.
Jahrhunderts, der einigen Beitrag zur hyperbolischen Geometrie geleistet hat. Nun ist
seine Auffassung darüber, dass jeder Mensch auf jeden Fall mit der hyperbolischen Geo-
21
metrie konfrontiert werden sollte, sicherlich nicht mehr richtig zeitgemäß. An deutschen
Gymnasien hat die hyperbolische Geometrie nach wie vor keinen festen Platz im Lehrplan. Klein lebte eben in genau der Zeit, in der gerade die Vorstellung zerstört worden
war, dass die Axiome Euklids einen unveränderlichen Rahmen für unsere Raumvorstellung bilden; er befand sich also mitten in der geometrischen Revolution“, und konn”
te sicher die Neuheit des geometrischen Denkens kaum genug lobpreisen. Heute hat
man einen klareren Überblick darüber, dass es für ein grundlegendes Verständnis von
Geometrie vollkommen ausreicht, sich auf die Behandlung der euklidischen Geometrie
zu beschränken; die hyperbolische Geometrie wäre höchstens ein Spezialgebiet, ein iTüpfelchen sozusagen, das man Schülern präsentieren kann.
Das heißt aber nicht, dass es keine Möglichkeiten gibt, die an sich komplexe hyperbolische
Geometrie auf vereinfachte Weise darzustellen, dass sie durchaus auch von denjenigen
Schülern eingesehen werden kann, denen höhere Mathematik eigentlich sehr fern liegt.
Abgesehen von den drei berühmten Modellen der hyperbolischen Geometrie, namentlich
dem Poincaré’schen Scheibenmodell, dem Poincaré’schen Halbebenenmodell und dem
Scheibenmodell nach Klein und Beltrami, findet man oft auch eine stark vereinfachte
Darstellung hyperbolischer Parallelen, anhand derer man sich der Erfassung dieser Geometrie, die man sich nicht ganz ohne weiteres vorstellen kann, erarbeiten kann. Besonders
in amerikanischen Lehrbüchern, die oft auch an Collegeschüler1 gerichtet sind, stößt man
zunächst auf die nun folgende Annäherung an die hyperbolische Geometrie.2
3.1.1 Hyperbolische Geometrie, leicht gemacht
Schülern, deren mathematisches Verständnis gerade in der Geometrie häufig auf Vorstellbarkeit oder am besten auf handfesten Zeichnungen basiert, wäre die hyperbolische
Geometrie sicher zunächst recht schwer nahezubringen, da man sich hier von alteingeses1
Amerikanische Colleges entsprechen in diesem Fall wohl am ehesten den deutschen Fachhochschulen;
meistens sind weiterführende Hochschulen damit gemeint, an denen der Abschluss des Bachelor erlangt
werden kann. Es ist jedoch anzumerken, dass die Amerikaner noch recht jung sind wenn sie mit dem
2
College beginnen - Zielgruppe der Collegebücher wären in etwa die 18 bis 22jährigen.
Beispiele hierfür sind Eves, College Geometry, in dessen Einleitung Howard Eves anspricht dass Lehrer
durch Vermittlung nichteuklidischer Geometrie versuchen sollten, die Schulgeometrie von der Flaute
ihrer momentanten Notlage“ zu retten und ihr etwas der ihr zueigenen Romantik, Schönheit und
”
”
Spannung“ zurückzugeben [Eve95], oder Trudeau, Die geometrische Revolution
22
senen Handhabungen lösen muss. Dass es zu einer Geraden mehr als eine Parallele geben
soll, die aber alle durch einen bestimmten Punkt, der nicht auf der Geraden liegt, gehen
sollen - das erscheint zunächst unmöglich, lernten wir doch, dass es zu einem gegebenen
Punkt und eine gegebene Gerade genau eine Parallele gibt, die durch den Punkt geht.
Behutsam könnte man mit der Präsentation dieses stark vereinfachten Bildes vorgehen:
Betrachten wir also eine Linie AB und einen Punkt P , der nicht auf AB liegt.
Abbildung 3.1: Parallele Linien
Die Geraden CD und EF sind beide parallel zu AB, was zunächst wie eine Falschaussage wirkt. Intuitiv würde man natürlich sagen, dass AB und EF sich bei ausreichender
Verlängerung beider Geraden recht bald schneiden würden; doch es handelt sich ja nach
wie vor um ein Modell, und wir müssen uns von unserer euklidischen Denkweise ein wenig verabschieden. Tatsächlich schneiden sich die beiden Geraden in dieser Abbildung ja
nicht; wir können also nicht einfach davon ausgehen dass sie es irgendwann tun werden.
Würden wir den Winkel DP F extrem verkleinern, sagen wir dass er lediglich noch
0, 000000005◦ beträgt. Dann wäre von der Neigung der Gerade EF kaum noch etwas
zu sehen, laut dem bloßen Auge wären die Geraden AB und EF auch im euklidischen
Sinne parallel obwohl sie es tatsächlich gar nicht sind - jedenfalls eben nicht im Euklidischen. [Tru98]
Ein erster Schritt in der Annäherung an die hyperbolische Geometrie ist es also, sich von
23
der bisherigen Definition des Begriffes parallel“ zu lösen; während im Euklidischen par”
”
allel“ bedeutet, dass zwei Geraden sich nicht schneiden und überall denselben Abstand
voneinander haben, so wird in der hyperbolischen Geometrie unterschieden zwischen
zwei Arten von Parallelität: Betrachten wir eine Gerade l, so nennt man diejenigen Geraden (wir werden sehen, dass es derer immer genau zwei gibt), die l gerade so noch
nicht schneiden, asymptotische Geraden; alle anderen Geraden, die l nicht schneiden,
heißen ultraparallele oder divergierende Geraden. Zu jeder Geraden gibt es unendlich
viele ultraparallele Geraden. Betrachten wir hierzu eine Gerade l und einen Punkt P ,
der nicht auf l liegt. Wir zeichnen zunächst wiederum das Lot p von P aus auf l. Sei
nun x eine Gerade durch P , die l nicht schneidet; dabei sei der Winkel, den x und P B
bilden so klein wie es nur geht so dass x und l sich gerade so noch nicht schneiden.
Definition 3.1.1. Der Winkel, den das von einem Punkt P aus auf eine Gerade l gefällte
Lot p mit einer zu l asymptotischen Parallelen x einschließt, heißt Parallelwinkel Π(p);
er hängt ab von der Länge von p (und zwar ist Π(p) umso kleiner, je größer p ist).
Trägt man diesen Winkel auf der x gegenüber liegenden Seite von p ein weiteres Mal ab,
so erhält man die Gerade y, die ebenfalls l gerade noch nicht schneidet; die Geraden x
und y sind dann die beiden asymptotisch parallelen Geraden zu l.
Abbildung 3.2: Asymptotisch parallele Geraden und der zugehörige Parallelwinkel
Alle Geraden durch P , die innerhalb des Winkels, den x und y miteinander bilden,
eintreten, sind ultraparallel zu l.
24
Satz 3.1.2. Die asymptotischen Parallelen durch einen Punkt bilden gleiche und spitze
Winkel mit der Senkrechten von dem Punkt auf die Gerade.
Zum Beweis sei verwiesen auf Trudeau, S.209 ff.
Satz 3.1.3. Der Parallelwinkel Π(p) hängt ab von der Länge von p: Es gilt
(a)p < p′ ⇔ Π(p) < Π(p′ ).
(b)p ∼
= p′ ⇔ Π(p) ≃ Π(p′ ).
Auch dieser Satz soll an dieser Stelle unbewiesen bleiben; der geneigte Leser findet den
Beweis in Hartshorne, S.375.
Anhand dieses Modells lassen sich viele in der hyperbolischen Ebene gültigen Sätze recht
anschaulich beweisen; für eine analytische Betrachtung jedoch wäre es ungeeignet. In dieser Arbeit dient es lediglich zur Demonstration, wie oben erwähnte Collegebücher ihren
Lesern (also im Idealfall Collegeschülern) einen oberflächlichen Einblick in die hyperbolische Geometrie bieten.
Es ist nach meiner persönlichen Einschätzung eher unwahrscheinlich, dass die hyperbolische (oder überhaupt die nichteuklidische) Geometrie Einzug in den Mathematikunterricht finden wird. Zu fern ist sie dem, was der bestehende Lehrplan für die geometrischen
Inhalte innerhalb der acht Jahre am Gymnasium vorsieht. Ich finde jedoch, dass man es
sich als Lehrer zumindest zur Aufgabe machen sollte, Schülern zu vermitteln dass es in
der Arbeit mit Geometrie nicht im eigentlichen darum geht, das Volumen eines Zylinders
oder die Höhe eines Dreiecks berechnen zu können. Der Schülermotivation wäre es sicher
dienlich wenn sie verstünden, dass ihre euklidische Geometrie, in der sie so schön rechnen können, auf Festlegungen aufgebaut ist, die zunächst getroffen werden müssen. Denn
dieses Verständnis würde offenbaren, dass die Geometrie keineswegs eine abgeschlossene Wissenschaft ist, in der die interessantesten Dinge bereits erkannt und abgehandelt
worden sind. Vielmehr ist zu erwarten, dass es im Laufe der Zeit immer mehr und immer aufregendere Schlüsse über Geometrie und ihren Bezug zur Beschaffenheit der Welt
geben wird.
25
4 Euklidische Geometrie
Ein Blick in die Schulmathematik zeigt, dass die euklidische Geometrie auch heute gelehrt und angewandt wird - sie hat den Status einer von vielen Raumformen, die sich
durch ihre Einfachheit auszeichnet. Sie ist ein trivialer Fall der zwei- und dreidimensionalen Geometrie. Doch was beinhaltet der Ausdruck Geometrie in der euklidischen
”
Ebene“ eigentlich? Dies soll im folgenden Kapitel geklärt werden.
Definition 4.0.4. Die Euklidische Ebene setzt sich zusammen aus einer Menge E
(üblicherweise, aber nicht zwingend, die Menge der Punkte der Ebene), einem System
G von Teilmengen von E (die in der Ebene liegenden Geraden), einer Teilmenge Z von
E × E × E (diejenigen Punktetripel (A,B,C), bei denen B zwischen A und C auf einer
Geraden liegt), einer Äquivalenzrelation ∼
= auf der Menge E × E (diejenigen Strecken
in der Ebene, die zueinander kongruent sind), und einer Äquivalenzrelation ≃ auf der
Menge {(P,Q,R) ∈ E × E × E : es gibt keine Gerade g mit P,Q,R ∈ g} (Kongruenz der
sich ergebenden Winkel wenn P,Q und R nicht auf einer Geraden liegen).
Dieses 5-Tupel, das aus (E, G, Z, ∼
=, ≃) besteht und die Axiome der Euklidischen Geometrie erfüllt, bildet die Euklidische Ebene.
4.1 Axiome der Euklidischen Geometrie
Wie bereits erwähnt orientiert sich die euklidische Geometrie heutzutage weitgehend an
Hilberts Axiomensystem. In seiner Einleitung schreibt Hilbert: Die vorliegende Untersu”
chung ist ein neuer Versuch, für die Geometrie ein vollständiges und möglichst einfaches
System von Axiomen aufzustellen...“ Er teilte seine Axiome in fünf Gruppen; diese sollen
im Folgenden vorgestellt werden.
4.1.1 Inzidenzaxiome
Die Inzidensaxiome werden auch als Axiome der Verknüpfung bezeichnet.
26
(I1) Durch je zwei verschiedene Punkte geht genau eine Gerade.
∀P, Q ∈ E : [P 6= Q ⇒ (∃!g ∈ G : P ∈ g ∧ Q ∈ g)].
(4.1)
(I2) Jede Gerade enthält mindestens zwei voneinander verschiedene Punkte.
∀g ∈ G
∃
P, Q ∈ g : P 6= Q.
(4.2)
(I3) Es gibt drei Punkte, die nicht alle auf einer Geraden liegen.
∃P, Q, R ∈ E : [∀g ∈ G : (P, Q ∈ g ⇒ R ∈
/ g)].
(4.3)
Die Formulierung der Axiome ist hier zunächst wörtlich, dann in mengentheoretischer
Schreibweise erfolgt.
4.1.2 Axiome der Lage
Die Axiome der Lage werden auch Anordnungsaxiome genannt.
(L1) Liegt ein Punkt Q zwischen zwei Punkten P und R, so sind P, Q, R drei verschiedene Punkte einer Geraden, und Q liegt dann auch zwischen R und Q.
(L2) Zu zwei Punkten P und R gibt es stets mindestens einen Punkt Q auf der Geraden
durch P und R, so dass R zwischen P und Q liegt.
(L3) Unter irgend drei Punkten einer Geraden gibt es genau einen, der der zwischen
den beiden anderen liegt.
(L4a) Ist g ∈ G, und liegen von drei Punkten P, Q, R sowohl P und Q als auch Q und
R auf derselben Seite von g, so liegen auch P und R auf derselben Seite von g.
(L4b) Ist g ∈ G, und liegen von drei Punkten P, Q, R weder P und Q noch Q und R auf
derselben Seite von g, so liegen P und R auf derselben Seite von g.
Mit anderen Worten teilt eine Gerade g die Ebene in zwei Gebiete Σg und Σ′g , die
Halbebenen“ genannt werden; zwei Punkte P und Q liegen genau dann in derselben
”
Halbebene, wenn sie auf derselben Seite von g liegen.
27
4.1.3 Kongruenzaxiome
Definition 4.1.1. Nach (I1) gibt es für zwei Punkte P und Q genau eine Gerade g, die
durch diese beiden Punkte gehen. Der Strahl S(P, Q) von P aus in Richtung Q sei die
Teilmenge von Punkten auf g, die durch den Punkt P begrenzt wird, sich aber über den
Punkt Q hinaus erstreckt.
S(P, Q) := {X ∈ g|X = P
oder
X=Q
oder
(P, X, Q) ∈ Z
oder
(P, Q, X) ∈ Z}
(4.4)
Definition 4.1.2. Seien AB und CD Strecken, und S(A, B) der von A ausgehende
Strahl durch B. Ist E der eindeutig bestimmte Punkt auf S(A, B) so dass BE ∼
= CD,
dann heißt AE die Summe von AB und CD: AE := AB + CD.
(K1) Seien P, Q Punkte und S(R, T ) ein Strahl mit Anfangspunkt R. Dann existiert
genau ein Punkt P ′ auf dem Strahl S(R, T ), so dass die Strecken P Q und RP ′
kongruent sind (in Zeichen: P Q ∼
= RP ′ ).
(K2) Für je zwei Punkte P und Q gilt P Q ∼
= QP . (Symmetrie der Streckenkongruenz)
(K3) Seien P Q und QR zwei Strecken auf einer Gerade g, wobei Q zwischen P und R
liegt, und P ′ Q′ und Q′ R′ zwei Strecken auf einer Geraden g ′ , wobei Q′ zwischen
P ′ und R′ liegt, und ist P Q ∼
= P ′ Q′ und QR ∼
= Q′ R′ , so ist auch P R ∼
= P ′ R′ .
(Additivität der Streckenkongruenz)
(K4) Seien P, Q, R drei verschiedene Punkte, die nicht auf einer Geraden liegen. Dann
gilt P QR ≃ RQP . Des weiteren gilt P QR ≃ P ′ QR′ für irgend zwei von Q
verschiedene Punkte P ′ ∈ S(Q, P ) und R′ ∈ S(Q, R).
(K5) Sind P, Q, R, X, P ′ 6= Q′ Punkte aus E, so dass die Punkte P, Q, R nicht auf einer
Geraden liegen und X nicht auf der Geraden durch P ′ und Q′ liegt, so gibt es
genau einen von Q′ ausgehenden Strahl S, so dass für alle Punkte R′ von S, die
von Q′ verschieden sind, P QR ≃ P ′ Q′ R′ ist und R′ auf derselben Seite der
Geraden durch P ′ und Q′ liegt wie X.
(K6) Sind P, Q, R, P ′ , Q′ , R′ Punkte aus E, so dass weder P, Q und R noch P ′ , Q′ und R′
auf einer Geraden liegen, und gilt P Q ∼
= P ′ Q′ , QR ∼
= Q′ R′ und P QR ≃ P ′ Q′ R′ ,
so gilt auch P R ∼
= P ′ R′ , QP R ≃ Q′ P ′ R′ und QRP ≃ Q′ R′ P ′ . (Dieses
Axiom besagt, dass zwei Dreiecke genau dann kongruent sind, wenn zwei ihrer
28
Seiten und der eingeschlossene Winkel kongruent sind. In der Schule lernt man
diesen Satz als Kongruenzsatz sws“.)
”
4.1.4 Stetigkeitsaxiome
Hilbert formulierte zwei Stetigkeitsaxiome, von denen ersteres auch als Archimedisches
Axiom, letzteres als Dedekind´sches Axiom bekannt ist.
(S1) Zu zwei beliebigen Strecken P Q und R0 T 0 gibt es stets eine natürliche Zahl n ≥ 1
und Punkte R1 , R2 , ..., Rn so dass gilt:
1. Die Punkte liegen auf dem Strahl S(R0 , T0 ),
2. P Q ∼
= Ri Ri+1
∀i = 0, ..., n − 1,
3. Ri liegt zwischen Ri−1 und Ri+1
∀i = 1, ..., n − 1,
4. T0 liegt zwischen R0 und Rn .
(S2) Sind alle Punkte einer Geraden so in zwei nichtleere disjunkte Teilmengen eingeteilt, dass zwischen zwei Punkten aus ein und derselben Teilmenge kein Punkt der
anderen Teilmenge liegt, so gibt es einen eindeutig bestimmten Punkt Q, der auf
jeder Strecke liegt, deren Endpunkte verschiedenen Teilmengen angehören.
4.1.5 Parallelenaxiom
Schließlich gehört das Parallelenaxiom, welches ja den entscheidenden Unterschied der
euklidischen zur nichteuklidischen Geometrie ausmacht, zu Hilberts Axiomensystem dazu. Seine Formulierung lautet:
(P) Es sei a eine beliebige Gerade und A ein Punkt außerhalb a: dann gibt es in der
durch a und A bestimmten Ebene höchstens eine Gerade, die durch A läuft und a
nicht schneidet.
Hilbert schließt als Erklärung an, dass das Parallelenaxiom (P) in Kombination mit den
vorhergehenden Axiomen zur Folge hat, dass es in einer durch diese Axiome bestimmten
Ebene zu einer Geraden durch einen nicht auf ihr liegenden Punkt genau eine Parallele
gibt: Nach dem Vorhergehenden und auf Grund des Parallelenaxioms erkennen wir, daß
”
es in der durch a und A bestimmten Ebene eine und nur eine Gerade gibt, die durch A
29
läuft und a nicht schneidet; wir nennen dieselbe die Parallele zu a duch A. [Hil30]
Nun haben wir also zu Beginn des Kapitels geklärt, wie eine euklidische Ebene aufgebaut
sein soll, und mit Hilberts Axiomensystem Bedingungen aufgestellt, die in dieser Ebene
erfüllt sein sollen. Um einzusehen, dass eine derartige Ebene überhaupt existiert und
andererseits aber nicht alle existierenden Ebenen euklidisch sind, sind drei Fragen zu
klären:
1. Unabhängigkeit: Benötigt man alle der Axiome, oder könnte eines der Axiome aus den restlichen Axiomen hergeleitet werden? Mit anderen Worten, sind die
Axiome sämtlich voneinander unabhängig? Da mit der hyperbolischen Ebene (die
im nächsten Kapitel behandelt wird) ein Beispiel eines Axiomensystems vorliegt, in
dem das Parellelenaxiom nicht gilt, ist dieses offensichtlich schon mal unabhängig
von den übrigen. Hilbert gibt außerdem ausführliche Nachweise dazu an, dass weder
Bestandteile verschiedener Axiomgruppen aus den jeweils voranstehenden Axiomgruppen abgeleitet werden können, noch hängen die einzelnen Axiome innerhalb
der Gruppen voneinander ab. (siehe hierzu Hilbert 1930, S.38ff.)
2. Widerspruchsfreiheit: Widersprechen sich die Axiome, möglicherweise nach einer langen Kette von logischen Schlüssen, gegenseitig? Wenn dies der Fall wäre,
würde keine euklidische Ebene, wie sie hier definiert ist, existieren. Hilbert zeigt die
Widerspruchsfreiheit seines Axiomensystems indem er aus den reellen Zahlen ein
”
System bilde[t], in dem sämtliche Axiome der fünf Gruppen erfüllt sind.“ [Hil30]
Auch bei Knörrer findet man dieses Beispiel der reellen Ebene R2 ; Punkte werden
mittels reeller Koordinaten angegeben: x = (x1 , x2 ∈ R2 ), Geraden sind von der
Form {(x1 , x2 ) ∈ R2 |ax1 + bx2 = c}, des Weiteren definiert er ein Skalarprodukt
und einen Längenbegriff, um die Äquivalenzrelationen ∼
= und ≃ anzugeben.
3. Vollständigkeit: Die Vollständigkeit (oder Eindeutigkeit) des euklidischen Axiomensystems kann gezeigt werden, indem bewiesen wird, dass die Beispiele für eine
euklidische Ebene bis auf Isomorphie gleich sind. Das bereits erwähnte Beispiel
der reellen Ebene ist also bis auf Isomorphie das einzige Beispiel einer euklidischen
Ebene. Knörrer formuliert hierzu folgenden Satz:
Satz 4.1.3. Seien (E, G, Z, ∼
=, ≃) und (E′ , G ′ , Z ′ , ∼
=′ , ≃′ ) euklidische Ebenen“. Dann
”
gibt es eine Bijektion F : E → E′ mit F (g) ∈ G ′ für alle g ∈ G, F −1 (g ′ ) ∈ G für
30
alle g ′ ∈ G ′ , so dass für alle P, Q, R, P1 , Q1 , R1 ∈ E gilt:
(P, Q, R) ∈ Z ⇔ (F (P ), F (Q), F (R)) ∈ Z ′
PQ ∼
=′ F (P1 )F (Q1 )
= P1 Q1 ⇔ F (P )F (Q) ∼
P QR ≃ P1 Q1 R1 ⇔ F (P )F (Q)F (R) ≃ F (P1 )F (Q1 )F (R1 )
Knörrer beweist diesen Satz nicht [Kn6], weist aber auf den Beweis bei Efimow hin;
dieser ist jedoch nicht besonders anschaulich und soll hier nicht weiter ausgeführt
werden.
31
5 Hyperbolische Geometrie
In der hyperbolischen Geometrie gelten beinahe dieselben Axiome wie im Euklidischen;
statt dem Zusatz des Axioms Für einen Punkt P , der nicht auf der Geraden g liegt, gibt
”
es höchstens eine Gerade durch P , die g nicht schneidet.“ wird jedoch ein gegensätzliches
Axiom eingeführt: Für einen Punkt P , der nicht auf der Gerade g liegt, gibt es mindes”
tens zwei Geraden durch P , die g nicht schneiden.“ [Kel81]
Im Umgang mit der hyperbolischen Geometrie, die mitunter auch als imaginäre Geo”
metrie“ bezeichnet wird, behilft man sich zumeist verschiedener Modelle aus dem Euklidischen für ihre Darstellung. Hier soll das Modell der oberen komplexen Halbebene nach
H.POINCARÉ vorgestellt werden; weitere Beispiele solcher Modelle wären die jeweiligen
Scheibenmodelle von BELTRAMI-KLEIN und Poincaré.
5.1 Das Poincaré-Halbebenenmodell der hyperbolischen Ebene
Henri Poincaré, ein französischer Mathematiker, Philosoph und Physiker entwarf zweierlei Modelle für die hyperbolische Ebene. Zum einen das Poincaré-Scheibenmodell, zum
anderen das Poincaré-Halbebenenmodell. Ich werde mich in dieser Arbeit auf die Vorstellung des letzteren beschränken.
Da letztendlich gezeigt werden soll, dass eine hyperbolische Ebene existiert in der dasselbe Axiomensystem gilt wie im Euklidischen, bis auf das Parallelenaxiom, benötigen
wir also, entsprechend der euklidischen Ebene, ein 5-Tupel (E, G, Z, ∼
=, ≃).
Als Punktemenge betrachten wir die obere Halbebene
H := {z ∈ C : Imz > 0}1
(5.1)
Dabei sollte unterschieden werden zwischen der Menge der eigentlichen Punkte“, welche
”
der Menge der euklidischen Punkte in dieser oberen Halbebene ausgenommen der be1
Diese obere Halbebene soll im folgenden immer mit Poincaré-Ebene“ bezeichnet werden, um sie von
”
der Einteilung in Halbebenen innerhalb des Modells abzugrenzen.
32
grenzenden x-Achse entspricht, und der Menge der uneigentlichen Punkte“, die aus den
”
euklidischen Punkten auf der x-Achse und dem Punkt unendlich“ besteht. Uneigent”
”
liche“ Punkte sind nicht Teil des Modells; sie werden lediglich als Hilfsmittel eingeführt,
wie vor allem im Kapitel Dreiecksgeometrie auffallen wird. Allgemein (also unabhängig
von der Wahl des Modells) sind die eigentlichen“ Punkte diejenigen Punkte, die im In”
neren des jeweiligen Modells liegen, während die uneigentlichen“ Punkte sich auf dessen
”
Rand befinden.
Das System G von Teilmengen von H besteht zum einen aus so genannten Halbgeraden,
die senkrecht auf der reellen Achse stehen (G1 ist das System der Mengen gα := {z ∈ H :
Re z = α}, wobei α ∈ R ); zum anderen betrachten wir Halbkreise in H deren Mittelpunkte auf der reellen Achse liegen (G2 ist das System der Mengen gx,r := {z ∈ H :
|z − x| = r}) mit x ∈ R und r ∈ R+ . Dann ist G := G1 ∪ G2 .
An dieser Stelle kann sogleich eine neue Definition von Parallelität angegeben werden.
Wir erinnern uns, dass es im Hyperbolischen asymptotisch parallele und ultraparallele
Geraden gibt:
Definition 5.1.1. Zwei Geraden heißen asymptotisch parallel, wenn sie keinen ei”
gentlichen“ Punkt gemeinsam haben, sich aber im Unendlichen treffen.
Zwei Geraden heißen ultraparallel oder divergent, wenn sie weder einen
”
eigentli-
chen“, noch einen uneigentlichen“ Punkt gemeinsam haben.
”
Es gibt also drei verschiedene Möglichkeiten, wie zwei Gerade in der hyperbolischen
Ebene zueinander liegen können:
• sie haben einen eigentlichen“ Punkt gemein, schneiden sich also innerhalb des
”
entsprechenden Modells;
• sie haben einen uneigentlichen“ Punkt gemein, schneiden sich also am Rand des
”
Modells und sind damit asymptotisch parallel; oder
• sie schneiden sich überhaupt nicht, sind also ultraparallel oder divergent.
33
Abbildung 5.1: Beispiele für asymptotisch parallele, ultraparallele und nicht parallele
hyperbolische Geraden
Als nächstes benötigen wir die Menge Z, welche die Beziehung zwischen“ beschreibt.
”
Auch diese besteht aus zwei Teilen: Wir setzen
Z1 := {(z1 , z2 , z3 ) ∈ H × H × H : Rez1 = Rez2 = Rez3 , z1 6= z3 , es gibt ein t, 0 < t < 1,
so dass z2 = tz1 + (1 − t)z3 }, und
Z2 := {(z1 , z2 , z3 ) ∈ H × H × H : Rez1 < Rez2 < Rez3 oder Rez1 > Rez2 > Rez3 , es gibt
ein g ∈ G mit z1 , z2 , z3 ∈ g}.
Zusammen erhalten wir die Menge Z = Z1 ∪ Z2 .
Um nun auch noch zwei Beziehungen anzugeben, die das 5-Tupel vervollständigen und
den Axiomen der absoluten Geometrie genügen, müssen wir eine Gruppe von Bijektionen, nämlich die gebrochen linearen Transformationen, angeben, anhand derer wir die
Kongruenz von Strecken und Winkeln definieren können. Hierzu ein kleiner Einschub zu
einer groben Vorstellung dieser Transformationen:
Gebrochen lineare Transformationen


a b
 eine komplexe (2 × 2)-Matrix mit det A :=
Definition 5.1.2. Ist A = 
c d
34
ad − bc 6= 0, so nennt man die Abbildung ϕA , die gegeben ist durch
ϕA : C\{−d/c} → C (falls c 6= 0, sonst ϕA : C → C)


 az+b = 1 (a − ad−bc ) für c 6= 0
cz+d
c
cz+d
z 7→

az + b
für c = 0
d
d
eine gebrochen lineare Transformation oder Möbiustransformation.
Komplexe (2 × 2)-Matrizen A, deren Determinante detA ungleich Null ist, gehören
der Gruppe GL(2, C) an.
Insbesondere bezeichnet man die Menge der (2 × 2)-Matrizen A, deren Determinante detA gleich 1 ist, mit SL(2, R):





 a b

a b
 ∈ GL(2, C) : det 
 = 1; a, b, c, d ∈ R .
SL(2, R) := 
 c d

c d
Es kann gezeigt werden, dass Transformationen ϕA mit A ∈ SL(2, R) die obere
Halbebene H bijektiv auf sich selbst, und Elemente aus dem System G von Teilmengen von H wieder auf Elemente aus G abbilden. An dieser Stelle soll auf eine detailliertere Vorstellung dieser Beweise verzichtet werden; es sei auf die Ausführungen
von Knörrer in seinem Buch Geometrie verwiesen (vgl. Knörrer 1996, S. 104 ff).
Wird an einer Geraden aus G1 gespiegelt, so entspricht diese Abbildung der euklidischen Spiegelung an einer Geraden; wird hingegen an einer Geraden aus G2
gespiegelt, so handelt es sich um eine euklidische Spiegelung am Kreis, eine so genannte Inversion. Sei gx,a ∈ G2 mit gx,a = {z ∈ H : |z − x| = r}, so nennt man a
den Inversionspol und r den Inversionsradius. Es kann gezeigt werden, dass es sich
sowohl bei den euklidischen Geradenspiegelungen wie auch bei den Inversionen um
Bewegungen im Poincaré-Modell handelt; es lassen sich vier verschiedene Arten
von Bewegungen im Poincaré-Modell darstellen:
1. Verschiebungen entlang einer Geraden
2. Spiegelungen an Geraden aus G1
3. zentrische Streckungen
4. Inversionen an Geraden aus G2 , deren Inversionspole auf der reellen Achse
liegen.
35
Da sich Verschiebungen als Hintereinanderausführung zweier Spiegelungen, und
Streckungen als Hintereinanderausführung zweier Inversionen darstellen lassen (auch
das kann gezeigt werden, jedoch soll hier auf eine Präsentation der Beweise verzichtet werden), genügen sogar die Spiegelungen und Inversionen als Bewegungen
im Poincaré-Modell [Fill93].
Anhand dieser Gruppe von Abbildungen können nun die erforderlichen Kongruenzrelationen wie folgt definiert werden:
Die Kongruenz von Strecken wird beschrieben durch die Äquivalenzrelation ∼
= auf H×H:
(z1 , z2 ) ∼
= (z1′ , z2′ ) ⇔ es gibt
A ∈ SL(2, R)
mit
ϕA (z1 ) = z1′ ,
ϕA (z2 ) = z2′ .
Die Kongruenz von Winkeln wird beschrieben durch die Äquivalenzrelation ≃ auf der
Menge {(z1 , z2 , z3 ) ∈ H × H × H: es gibt kein g ∈ G so dass z1 , z2 , z3 ∈ g}:
(z1 , z2 , z3 ) ≃ (z1′ , z2′ , z3′ ) ⇔ es gibt
ϕA (z2 ) = z2′
und
A ∈ SL(2, R) so dass




ϕA (z1 ) ∈ S(z2′ , z1′ )



oder





ϕA (z3 ) ∈ S(z ′ , z ′ )
2 1
und
ϕA (z3 ) ∈ S(z2′ , z3′ )
.
und
ϕA (z1 ) ∈ S(z2′ , z3′ )
Abbildung 5.2: Kongruente Winkel in der Poincaré-Ebene [Kn6]
Eine entscheidende Frage ist zu klären: Auf welche Weise erfolgt die Winkelmessung in
H? Erfreulicherweise werden Winkel in unserem Modell auf euklidische Weise gemessen.
36
Winkel zwischen zwei Geraden g, h aus G2 entsprechen dem Winkel, den die Tangenten
an g und h in deren Schnittpunkt bilden; des Weiteren bestimmt man den Winkel zwischen g aus G1 und h aus G2 indem man den euklidischen Winkel zwischen g und der
Tangenten an h im Schnittpunkt von g misst.
Im Folgenden wird gezeigt, dass diese beiden Äquivalenzdefinitionen nun das 5-Tupel
(H, G, Z, ∼
=, ≃) vervollständigen, das alle Axiome der euklidischen Geometrie bis auf das
Parallelenaxiom erfüllt.
5.2 Axiome der Hyperbolischen Geometrie
Nachdem wir nun ein 5-Tupel derart bestimmt haben, dass es dem der euklidischen
Ebene entsprechen sollte, müssen wir zeigen, dass die Axiome der absoluten Geometrie
hierfür überhaupt gelten.
Wenden wir uns zunächst den Inzidenzaxiomen zu. Dazu ist noch anzugeben, was wir
unter den Ausdrücken der Punkt liegt auf der Geraden“, die Gerade geht durch den
”
”
Punkt“, usw. für hyperbolische Punkte und Geraden in unserer Halbebene verstehen
wollen. Es sei A ein nichteuklidischer Punkt, und a eine nichteuklidische Gerade, die
”
durch einen Halbkreis dargestellt wird ([...]) Wir wollen sagen, der Punkt A liegt auf der
(nichteuklidischen) Geraden a, wenn er im Sinne der Beziehungen in der Euklidischen
Geometrie auf dem euklidischen Halbkreis a liegt.“ [Efi70]
5.2.1 Inzidenzaxiome
(I1) zu zeigen: Für je zwei verschiedene Punkte z1 , z2 ∈ H gibt es genau ein g ∈ G, so
dass sowohl z1 als auch z2 auf g liegen.
Beweis. Es ist eine Fallunterscheidung vorzunehmen.
1. Fall: Re z1 = Re z2 In diesem Fall gibt es genau ein g ∈ G1 , das sowohl z1 als
auch z2 enthält, nämlich {z ∈ H : Re z = Re z1 }. Des weiteren gibt es kein
g ′ ∈ G2 so dass z1 , z2 ∈ G2 . Gäbe es nämlich ein solches g ′ , so gäbe es ein
x ∈ R so dass
|z1 − x|2 = |z2 − x|2 ,
d.h.
(Re z1 − x)2 + (Im z1 )2 = (Re z2 − x)2 + (Im z2 )2 .
37
(5.2)
Da Re z1 = Re z2 und Im z1 , Im z2 > 0, impliziert diese Gleichung Im z1 =
Im z2 , und somit ist z1 = z2 . Voraussetzung war aber, das z1 und z2 verschiedene Punkte sind.
Abbildung 5.3: Re z1 = Re z2 , aber z1 6= z2
2. Fall: Re z1 6= Re z2 In diesem Fall gibt es offensichtlich kein Element aus G1 ,
das sowohl z1 als auch z2 enthält, da alle Elemente aus G1 denselben Realteil
haben.
Sei nun g = {z ∈ H : |z − x| = r}, x ∈ R, r > 0, ein Element aus G2 . Dann
gilt:
z1 , z2 ∈ g ⇒ r2 = |z1 − x|2 = |z2 − x|2
Nach einigen Umformungen [siehe Anhang] erhält man x =
|z12 −z22 |
2(Re z1 −Re z2 ) ;
demnach sind x und r = |z2 − x| durch z1 , z2 eindeutig bestimmt.2
(I2) zu zeigen: Jedes g ∈ G enthält mindestens zwei Punkte.
Beweis. trivial, denn die Definition von Geraden in unserem Modell erfüllen diese
2
x ist der Schnittpunkt der Mittelsenkrechten auf die Verbindungsstrecke von z1 und z2 mit der reellen
Achse, und r ist der Abstand von x zu z2 .
38
Bedingung offensichtlich.
(I3) zu zeigen: Es gibt in H drei Punkte, die nicht alle auf ein und demselben Element
aus G liegen.
Beweis. Wir wählen z1 und z2 so, dass Re z1 = Re z2 , aber z1 6= z2 (z.B. z1 =
i, z2 = 2i). Nach (I1) liegen z1 und z2 dann auf einer eindeutig bestimmten Geraden
g := {z ∈ H : Re z = Re z1 }, g ∈ G1 dabei aber ausdrücklich nicht auf einem
Element aus G2 . Wähle nun ein beliebiges z3 so, dass Re z3 6= Re z1 (z.B. z3 = 1+i).
Dann liegt z3 also offensichtlich nicht auf g; da z1 und z2 aber zugleich auf keinem
gemeinsamen Element von G2 liegen, gibt es schlussendlich weder ein Element aus
G1 noch aus G2 , auf dem die drei Punkte z1 , z2 , z3 liegen.
5.2.2 Axiome der Lage
(L1) zu zeigen: Liegt ein Punkt z2 zwischen zwei Punkten z1 und z3 , so liegen z1 , z2 , z3
auf einer Geraden, sind paarweise verschieden, und z2 liegt auch zwischen z3 und
z1 .
Beweis. Liege z2 zwischen z1 und z3 .
1. Fall: Sei Re z1 = Re z2 = Re z3 , also z1 , z2 , z3 ∈ Z1 . Dann gibt es laut Definition von Z1 ein t, 0 < t < 1, so dass z2 = tz1 + (1 − t)z3 , und es ist z1 6= z3 .
Aus Re z1 = Re z1 = Re z3 folgt nach (I1), dass z1 , z2 , z3 auf einer eindeutig
bestimmten Geraden aus G1 liegen. Aus z1 6= z3 folgt wegen
z2 = tz1 + (1 − t)z3 = |{z}
t (z1 − z3 ) +z3 auch z2 6= z3 , also sind z1 , z2 , z3
| {z }
paarweise verschieden.
6=0
6=0
Offensichtlich liegt z2 außerdem auch zwischen z3 und z1 , denn wenn es ein t
gibt so dass z2 = tz1 + (1 − t)z3 , dann gilt für t′ = 1 − t: z2 = t′ z3 + (1 − t′ )z1 ;
also liegt z2 auch zwischen z3 und z1 .
2. Fall: Sei o.B.d.A. Rez1 < Re z3 ; da z2 zwischen z1 und z3 liegt, folgt dass
z1 , z2 , z3 ∈ Z2 und somit gilt Re z1 < Re z2 < Re z3 und es gibt ein g ∈ G2 mit
z1 , z2 , z3 ∈ g. Somit liegen die drei Punkte also schon mal auf einer Geraden.
Wegen Re z1 6= Re z3 6= Re z2 6= Re z1 sind z1 , z2 , z3 offensichtlich paarweise
verschieden.
39
Wegen Re z1 < Re z2 < Re z3 gilt andererseits Re z3 > Re z2 > Re z1 , was
laut Definition von Z2 soviel heißt wie dass z2 zwischen z3 und z1 liegt.
Dass (L1 - L3) auch in der hyperbolischen Ebene gelten, wird klar wenn man sich h als
irgendeine nichteuklidische Gerade durch einen Halbkreis mit dem Mittelpunkt x auf der
reellen Achse darstellt. Betrachten wir uns dazu eine euklidische Gerade e, die parallel
(im euklidischen Sinne) zu der reellen Achse ist; dann schneidet jede euklidische Gerade
durch x den Halbkreis h in einem Punkt z und die Gerade e in einem Punkt z ′ , den wir
als den dem Punkt z entsprechenden bezeichnen wollen. Sind dann a, b, c drei Punkte,
die auf dem Halbkreis h liegen, so liegt b als Objekt der nichteuklidischen Geometrie
zwischen a und c, falls in dem System der Punkte a′ , b′ , c′ , die auf der euklidischen Geraden e liegen und den Punkten a, b, c entsprechen, der Punkt b′ zwischen a′ und c′ liegt.
Abbildung 5.4: Die Anordnung von Punkten im Poincaré-Modell entsprechen
der Anordnung in der euklidischen Ebene.
Um zu zeigen dass auch die Axiome (L4a) und (L4b) gelten, definieren wir zunächst
Halbebenen in der hyperbolischen Geometrie.
Definition 5.2.1. Für g ∈ G1 definieren wir Σg und Σ′g durch
Σg := {z ∈ H : Re z > α} und Σ′g := {z ∈ H : Re < α} (falls g = {z : Re z = α}, α ∈ R
40
ist);
für g ∈ G2 definieren wir Σg und Σ′g durch
Σg := {z ∈ H : |z − x| > r} und Σ′g := {z ∈ H : |z − x| < r} (falls g = {|z − x| = r}
ist).
Für Geraden aus G1 liegen also diejenigen Punkte links der Geraden in Σ′g und rechts
der Geraden in Σg , und für Geraden aus G2 liegen diejenigen Punkte innerhalb des
Halbkreises in Σ′g und außerhalb des Halbkreises in Σg .
(L4a) zu zeigen: Liegen von drei Punkten z1 , z2 , z3 sowohl z1 und z2 als auch z2 und z3 in
derselben Halbebene Σg oder Σ′g , so liegen auch z1 und z3 in derselben Halbebene.
Anmerkung: Die Punkte z, z ′ ∈ H liegen auf der gleichen Seite einer Geraden g,
”
wenn z, z ′ ∈ Σg oder z, z ′ ∈ Σ′ .
Beweis.
1. Fall: Sei g = {Re z = α}, α ∈ R und o.B.d.A. z1 , z2 ∈ Σg , also
Re z1 , Re z2 > α. (Selbiges gilt natürlich für Re z1 , Re z2 < α.) Sind also Re z1
und Re z2 > α, und z3 liegt in derselben Halbebene wie z2 , so ist auch Re z3 >
α, und somit liegt z3 auch in derselben Halbebene wie z1 .
2. Fall: Sei g = {|z − x| = r}, x ∈ R, r > 0 und o.B.d.A. z1 , z2 ∈ Σ′g , also
{|z1 − x| > r} und {|z2 − x| > r}. (Ebenso könnte man den Fall |z1 − x| < r}
und |z2 − x| < r} betrachten.) Liegen nun auch z2 und z3 in derselben Halbebene, so gilt auch |z3 − x| > r}, und somit liegt z3 in derselben Halbebene
wie z1 .
(L4b) zu zeigen: Liegen von drei Punkten z1 , z2 , z3 weder z1 und z2 noch z2 und z3 in
derselben Halbebene Σg oder Σ′g , so liegen z1 und z3 in derselben Halbebene.
Beweis.
1. Fall: Sei g = {Re z = α} mit α ∈ R. Liegen z1 und z2 nicht in
derselben Halbebene, so gilt o.B.d.A. Rez1 > α und Rez2 < α. Da auch z2
und z3 nicht in derselben Halbebene liegen, gilt Rez3 > α, und damit liegen
z1 und z3 in derselben Halbebene.
2. Fall: Sei g = {|z − x| = r mit x ∈ R, r > 0. Da z1 und z2 nicht in derselben
Halbebene liegen, gilt o.B.d.A |z1 − x| < r} und |z2 − x| > r}. Nun liegen
41
auch z2 und z3 nicht in derselben Halbebene, also gilt |z3 − x| < r}, und
somit liegt z3 in derselben Ebene wie z1 .
5.2.3 Kongruenzaxiome
(K1) zu zeigen: Seien z1 , z2 , z1′ , z3′ vier Punkte in der Halbebende H mit z1′ 6= z3′ . Dann
gibt es genau einen Punkt z2′ ∈ S(z1′ , z3′ ) so dass z1 z2 ∼
= z1′ z2′ .
Beweis. Für z1 = z2 gilt z1 z2 ∼
= z1′ z2′
⇔
z1′ = z2′ .
Betrachte nun z1 6= z2 . Knörrer beweist in seiner Abhandlung über das PoincaréModell der hyperbolischen Ebene, dass es dann genau eine Abbildung ϕA gibt mit
A ∈ SL(2, R), so dass gilt
ϕA (z1 ) = z1′
und
ϕA (S(z1 , z2 )) = S(z1′ , z2′ )
[Kn6]; das ist die Aussage von Knörrers Proposition 29.3, auf die im folgenden
mehrfach zurückgegriffen wird.
Setze z2′ := ϕA (z2 ); somit liegt z2′ auf dem Strahl S(z1′ , z3′ ) und es ist z1 z2 ∼
= z1′ z2′ .
Dass es genau einen solchen Punkt z2′ gibt, wird klar wenn man einen weiteren
Punkt z2′′ auf dem Strahl S(z1′ , z3′ ) annimmt so dass z1 z2 ∼
= z1′ z2′′ ; dann gibt es nach
Definition der Streckenkongruenz eine Matrix B ∈ SL(2, R) so dass ϕB (z1 ) = z1′
und ϕB (z2 ) = z2′′ . Dann ist ϕB (S(z1 , z2 ) = S(z1′ , z3′ ). Laut Knörrers Proposition
29.3 ist eine solche Abbildung eindeutig; somit ist ϕA = ϕB und folglich z2′ =
z2′′ .
(K2) zu zeigen: Die Streckenkongruenz ist symmetrisch, d.h. für z1 , z2 ∈ H gilt, z1 z2 ∼
=
z2 z1 .
Beweis. Knörrers Proposition 28.3 besagt, dass es für zwei verschiedene Punkte
z, z ′ aus H eine (bis auf Multiplikation mit −1) eindeutig bestimmte Matrix A ∈
SL(2, R) gibt, so dass ϕA (z) = i, ReϕA (z ′ ) = 0, ImϕA (z ′ ) > 1. Wir können also
o.B.d.A. annehmen, dass z1 = i und z2 = it mit t > 0. Sei außerdem

√
0 − t
.
A=
1
√
0
t
Dann ist ϕA (i) = it und ϕA (it) = i, und schlussendlich gilt z1 z2 ∼
= z2 z1 .
42
(K3) zu zeigen: Für je sechs Punkte z1 , z2 , z3 , z1′ , z2′ , z3′ , von denen z2 zwischen z1 und
z3 liegt und z2′ zwischen z1′ und z3′ gilt: Aus z1 z2 ∼
= z2′ z3′ folgt
= z1′ z2′ und z2 z3 ∼
z1 z3 ∼
= z1′ z3′ .
Beweis. Wegen Knörrers Prop. 29.3 kann man o.B.d.A. annehmen, dass S(z1 , z3 ) =
S(z1′ , z3′ ). Insbesondere kann man annehmen, dass z1 = z1′ = i, und somit S0 :=
{ti : t ∈ [1, ∞[}, also der von z1 = i ausgehende, gegen ∞ gehende Teil der
imaginären Achse, und z2 , z3 ∈ S0 . Es folgt, dass
z1 = z1′ = i
und
z2 , z2′ , z3 , z3′ ∈ S0
Nach Voraussetzung ist ja
z1 z2 ∼
= z1 z2′ .
= z1′ z2′ ∼
Daher sind auch z1 z2 und z1 z2′ kongruente Strecken auf S0 . Aus (K1) folgt, dass
z2 = z2′ ; ebenso folgt aus z2 z3 ∼
= z2 z3′ wiederum mit (K1), dass z3 = z3′ .
= z2′ z3′ ∼
Folglich ist z1 z3 ∼
= z1′ z3′ .
(K4) zu zeigen: z1 z2 z3 hängt nur von den Strahlen S(z2 , z1 ) und S(z2 , z3 ) ab.
Beweis. Diese Aussage folgt direkt aus der Definition von Winkeln im PoincaréModell.
(K5) zu zeigen: An jeden Strahl S kann ein vorgegebener Winkel z1 z2 z3 auf jeder Seite
in genau einer Weise angetragen werden.
Beweis. Wieder verwenden wir Knörrers Prop. 29.3 und betrachten o.B.d.A. den
Strahl S = S0 , also der Strahl, dessen Anfangspunkt z1 = i ist und der z2 , z3
enthält. Dann gilt wiederum nach derselben Proposition, dass es eindeutig bestimmte gebrochen lineare Transformationen ϕA , ϕB mit A, B ∈ SL(2, R) gibt, so
dass ϕA (z2 ) = ϕB (z2 ) = i, ϕA (S(z2 , z1 )) = S0 und ϕB (S(z2 , z3 )) = S0 . Dann sind
S(i, ϕA (z3 )) und S(i, ϕB (z1 )) die beiden eindeutig bestimmten Strahlen, die mit
S0 einen zu z1 z2 z3 kongruenten Winkel einschließen [Kn6].
(K6) zu zeigen: Sind von zwei Dreiecken z1 z2 z3 und z1′ z2′ z3′ zwei Seiten und der eingeschlossene Winkel kongruent, so sind auch die jeweils dritten Seiten und die beiden
weiteren Winkel in den Dreiecken kongruent.
43
Beweis. Seien z1 z2 z3 und z1′ z2′ z3′ zwei Dreiecke mit z1 z3 ∼
= z1′ z3′ , z2 z1 z3 ≃ z2′ z1′ z3′
und z1 z2 ∼
= z1′ z2′ .
Auch hier verwenden wir Proposition 29.3 und wählen o.B.d.A. z1 = z1′ = i und
z3 , z3′ ∈ S0 . Da laut Voraussetzung z1 z3 ∼
= z1′ z3′ ist, folgt aus (K1): z3 = z3′ .
Wegen (K5) können die Strahlen z1 z2 und z3 z2 in genau einer Weise auf die
”
andere Seite“ abgetragen werden; in unserem Fall, den wir ja ohne Einschränkung
betrachten dürfen, erfolgt diese Abtragung auf der anderen Seite die Spiegelung an
der imaginären Achse. Diese wollen wir mit σ bezeichnen. Es gilt σ(z) = −z. Für
z1 , z2 , z3 gilt o.B.d.A. z1 z2 ∼
= σ(z1 )σ(z2 ) und z1 z2 z3 ≃ σ(z1 )σ(z2 )σ(z3 ) (zum
Beweis siehe Anhang), wobei σ(z1 ) = z1′ (= z1 ), σ(z3 ) = z3′ (= z3 ) und σ(z2 ) = z2′ ;
daraus folgt unmittelbar, dass auch z2 z3 ∼
= z2′ z3′ , z1 z2 z3 ≃ z1′ z2′ z3′ und z1 z3 z2 ≃
z1′ z3′ z2′ ist.
Abbildung 5.5: Kongruenz von Seiten und Winkeln in hyperbolischen Dreiecken
5.2.4 Stetigkeitsaxiome
(S1) zu zeigen: Zu vorgegebenen Punkten z1 , z2 , z1′ , z2′ mit z1 6= z2 und z1′ 6= z2′ gibt es
eine natürliche Zahl n, so dass nach n-maligem Abtragen der Strecke z1 z2 auf dem
44
Strahl S(z1′ , z2′ ) der Endpunkt über z2′ herausragt.
Beweis. Wählen nach Knörrers Proposition 29.3 o.B.d.A. z1 = z1′ = i und z2 = it,
z2′ = it′ mit t, t′ > 1 und erhalten eine eindeutige Abbildung ϕA mit A ∈ SL(2, R),
für die gilt
ϕA (z1 ) = z1′
und
ϕA (S(z1 , z2 )) = S(z1′ , z2′ ).
Betrachten wir die Strecke zwischen ir und is für r > s > 0. Diese ist kongruent
zur Strecke zwischen i und it genau dann, wenn r = st. Dann ist nämlich mit

√
s 0

A=
0 √1s
ϕA (i) = is und ϕA (it) = its = ir; wegen (K1) ist t =
r
s
dadurch eindeutig
bestimmt. Daraus folgt, dass die Strecken zwischen i und it, zwischen it und it2 ,
. . . , jeweils kongruent sind. Es gibt aber für jedes t′ ein n ∈ N so dass tn > t′ .
(S2) zu zeigen: Sind die Punkte einer Geraden in zwei Teilmengen geteilt, so dass kein
Punkt der einen Teilmenge zwischen zwei Punkten der anderen Teilmenge liegt,
dann gibt es einen eindeutig bestimmten Punkt z auf der Geraden, der auf jeder
Strecke liegt, deren Endpunkte verschiedenen Teilmengen angehören.
45
Beweis. Wir betrachten o.B.d.A. die hyperbolische Gerade g = g0,1 = {z ∈ H :
|z| = 1}, und projizieren alle Punkte auf g vom Ursprung aus auf die euklidische
Gerade e := {z ∈ H : Im = 1}.
Abbildung 5.6: Bijektion zwischen g und e
Diese Projektion ist bijektiv und erhält die Zwischenrelation der euklidischen Ebene; da (S2) in der euklidischen Ebene gilt (wegen der Vollständigkeit von R), gilt
(S2) auch für unser hyperbolisches g und somit in der gesamten hyperbolischen
Ebene.
5.2.5 Parallelenaxiom
Bei der Beschreibung paralleler Geraden muss beachtet werden, dass zwei Geraden im
Hyperbolischen immer dann parallel sind, wenn sie keinen Schnittpunkt haben (selbiges gilt in der euklidischen Ebene natürlich auch; dort folgt jedoch aus dem Parallelenaxiom außerdem, dass parallele Geraden überall denselben Abstand voneinander
haben).3 [And05] Die Eigenschaft, dass zwei Parallelen überall den gleichen Abstand
voneinander haben, besitzen euklidische, nicht aber hyperbolische Parallelen.
Es bleibt zu zeigen, dass statt dem euklidischen Parallelenaxiom für unser Modell eine
entgegengesetzte Aussage gilt.
3
Anmerkung: Hierbei ist zu beachten, dass der Rand“ des jeweiligen hyperbolischen Modells nicht zur
”
Punktmenge dazugehört; im Fall der oberen Halbebene sind also Geraden, die sich auf der reellen
Achse dann doch schneiden, immer noch parallel, insbesondere sind sie asymptotisch parallel.
46
(PH ) zu zeigen: Ist g ∈ G eine nichteuklidische Gerade, z0 ∈ H ein Punkt in der oberen
Halbebene der nicht auf g liegt, z0 ∈
/ g, so gibt es unendlich viele Geraden g ′ ∈ G
mit z0 ∈ g ′ und g ∩ g ′ = ∅.
Beweis. Sei o.E. g := {z ∈ H :
Re z = 0}, Re z0 6= 0. Es genügt, diesen Spezi-
alfall zu zeigen um zu sehen, dass das hyperbolische Parallelenaxiom (PH ) für die
Halbebene H gilt.
Ist x ∈ R, r(x) := |z0 − x| und gx,r ∈ G2 , also
gx,r := {z ∈ H : |z − x| = r(x)},
so ist z0 ∈ gx,r . Des Weiteren ist gx,r ∩g = genau dann, wenn zum einen x und Re z0
das gleiche Vorzeichen haben, und zweitens r(x) < |x|. Aus letzterer Bedingung
folgt nämlich, dass auch (r(x))2 < |x|2 gilt. Dann ist
(r(x))2 = (Im z0 )2 + (x − Re z0 )2
= (Im z0 )2 + x2 − 2x Re z0 + (Re z0 )2
= x2 − 2x Re z0 + |z0 |2
Wegen (r(x))2 < x2 ist nun
x2 − 2x Re z0 + |z0 |2 < x2
⇔


x

x
|z0 |2 < 2x Re z0
<
|z0 |2
Re z0
für
Re z0 < 0
>
|z0 |2
Re z0
für
Re z0 > 0.
47
Diese Gleichung hat unendlich viele Lösungen; somit ist bewiesen, dass es in der
hyperbolischen Geometrie zu jeder Geraden unendlich viele Parallelen durch einen
Punkt gibt, der nicht auf dieser Geraden liegt.
5.3 Hyperbolische Dreiecke
In der hyperbolischen Geometrie wird unterschieden zwischen vier Arten von Dreiecken,
je nachdem ob von den Eckpunkten einer, zwei, drei oder auch keiner uneigentlich“ ist,
”
also entweder auf der x-Achse oder in Richtung der y-Achse im Unendlichen liegt.
Definition 5.3.1. Ein hyperbolisches Dreieck, dessen Eckpunkte alle drei eigentliche“
”
Punkte sind, heißt nicht asymptotisches Dreieck.
Abbildung 5.7: Nicht asymptotische Dreiecke
Definition 5.3.2. Hyperbolische Dreiecke, die einen, zwei oder drei Eckpunkte im Unendlichen liegen haben, heißen resp. einfach, zweifach oder dreifach asymptotische Dreiecke.
48
Abbildung 5.8: Einfach asymptotische Dreiecke
Abbildung 5.9: Zweifach asymptotische Dreiecke
49
Abbildung 5.10: Dreifach asymptotische Dreiecke
Durch Angabe eines Modells, in dem sämtliche Axiome der absoluten Geometrie und
außerdem die hyperbolische Version des Parallelenpostulats gelten, steht nun die Widerspruchslosigkeit der hyperbolischen Geometrie fest. Genauer gesagt ist die hyperbolische
Geometrie genau dann widerspruchsfrei (und damit denkbar), wenn die euklidsche Geometrie es ist.
50
6 Dreiecksgeometrie
Dreiecke liefern in der Elementargeometrie bereits jede Menge zu untersuchender Eigenschaften, wenn man sich nur auf die euklidische Ebene beschränkt. Horst Martini, der
in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts einen Artikel über Neuere Ergebnisse
”
der Elememtargeometrie“ veröffentlichte, bemerkt schon unter der Unterschrift Besondere Punkte und Geraden am Dreieck, dass die Fülle der Einzelergebnisse zu diesen
”
Teilgebieten der Dreiecksgeometrie nicht überschaubar ist.“ [Mar94] So wird eine Betrachtung von Dreiecken und ihren Eigenschaften natürlich umso umfangreicher, wenn
man auch noch Dreiecke in der hyperbolischen Ebene hinzunimmt und vergleicht, welche der Sätze rund ums Dreieck in beiden Ebenen gelten und wo Unterschiede liegen.
Es sei somit darauf hingewiesen, dass diese Arbeit keineswegs Vollständigkeit in diesem
Gebiet beansprucht - vielmehr handelt es sich lediglich um eine Auswahl verschiedener,
das Dreieck betreffender Eigenheiten.
6.1
Absolute Geometrie“
”
Sätze der Dreiecksgeometrie, die sowohl in der euklidischen als auch in der hyperbolischen Geometrie gelten, bezeichnet man häufig als Sätze der absoluten Geometrie, da
sie auf den Axiomen der absoluten Geometrie aufbauen, also weder das Parallelenaxiom
noch dessen Gegenteil zu ihrem Beweis benötigt werden.
Kongruenzsätze
Definition 6.1.1. Das Dreieck ABC heißt zu dem Dreieck A′ B ′ C ′ kongruent, wenn
AB ∼
= A′ B ′ ,
AC ∼
= A′ C ′ ,
α ≃ α′ ,
ist.
51
BC ∼
= B′C ′,
β ≃ β′,
γ ≃ γ′
(6.1)
Abbildung 6.1: Kongruente Dreiecke
Eine weitere Definition für kongruent lautet:
Zwei Punktmengen M1 und M2 , die im speziellen Fall Dreiecke oder andere geometrische
Figuren sein können, heißen zueinander kongruent, falls es eine Zuordnungsvorschrift ϕ
gibt, die M1 auf M2 abbildet.
Definition 6.1.2. Ist AB eine Strecke und P ein Punkt auf AB mit AP ∼
= P B, so
heißt P Mittelpunkt der Strecke AB.
Satz 6.1.3 (Mittelpunkt einer Strecke). Jede Strecke besitzt genau einen Mittelpunkt.
Beweis. Betrachte die Strecke AB. Dann gibt es nach (S2) einen Punkt P , so dass
AP ∩ P B = ∅. Nach Axiom (K1) existiert genau ein P ∈ AB, so dass gilt AP ∼
= P B.
Definition 6.1.4. Eine Strecke AB ist genau dann kürzer als eine Strecke CD, wenn
es auf dem von A ausgehenden Strahl S(A, B) einen Punkt E gibt, so dass AE ∼
= CD
mit E ∈
/ AB (Schreibweise: AB < CD).
Definition 6.1.5. Seien S(O, A) und S(O, B) zwei von einem Punkt O ausgehende
Strahlen durch die Punkte A und B. Liegt ein Punkt C zwischen A und B, so sagt
52
man, der Strahl S(O, C) liegt im Inneren desjenigen Winkels, den die beiden Strahlen S(O, A) und S(O, B) miteinander bilden. Der Winkel AOC heißt kleiner als der
Winkel AOB, wenn es einen Strahl S(O, D) im Inneren von AOB gibt so dass
AOC ≃ AOD (Schreibweise AOC < AOB).
Satz 6.1.6 (1. Kongruenzsatz: sws“). Gelten für zwei Dreiecke ABC und A′ B ′ C ′ die
”
Kongruenzen
AB ∼
= A′ B ′ ,
AC ∼
= A′ C ′
und
α ≃ α′ ,
(6.2)
so ist das Dreieck ABC dem Dreieck A′ B ′ C ′ kongruent.
Dieser Satz muss eigentlich nicht bewiesen werden, da er unter Hilberts Axiomensystem
bereits als Axiom (K6) formuliert ist. In Euklids Abhandlung der Elemente findet man
ihn jedoch als zu beweisender Lehrsatz:
Wenn in zwei Dreiecken zwei Seiten zwei Seiten entsprechend gleich sind
und die von den gleichen Strecken umfassten Winkel einander gleich, dann
muß in ihnen auch die Grundlinie gleich sein, das Dreieck muß dem Dreieck
gleich sein, und die übrigen Winkel müssen den übrigen Winkeln entsprechend gleich sein, nämlich immer die, denen gleiche Seiten gegenüberliegen.
[Euk97]
In der Schule wird der Satz genauso bewiesen, wie ihn auch Euklid vor über 2000
Jahren bewiesen hat:
Betrachte die beiden Dreiecke ABC und A′ B ′ C ′ , wobei AB ∼
= A′ B ′ , AC ∼
= A′ C ′
und α ≃ α′ . Es gibt eine Bewegung ϕ : E → E mit ϕ(A) = A′ und ϕ(AB) = A′ B ′ .
Wegen AB ∼
= A′ B ′ liegt nun der Punkt B genau auf dem Punkt B ′ ; ebenso stimmt
die Strecke AC überein mit der Strecke A′ C ′ , da der Winkel an A kongruent ist
zu dem Winkel an A′ . Die Punkte C und C ′ stimmen überein wegen AC ∼
= A′ C ′ ,
und schlussendlich gilt auch BC ∼
= B ′ C ′ , da die Endpunkte sich decken, und zwei
Punkte laut (I1) immer auf einer eindeutig bestimmten Geraden liegen. Somit sind
die beiden Dreiecke kongruent.
Dass dieser Beweis im Hyperbolischen ebenso gilt wie im Euklidischen, können
wir daran erkennen, dass an keiner Stelle eines der Parallelenpostulate verwendet
wird. Der hyperbolischen Beweis folgt zudem unmittelbar aus der Gültigkeit des
Kongruenzaxioms (K6) in der hyperbolischen Ebene.
53
Satz 6.1.7. Sind BAC und BAD sowie B ′ A′ C ′ und B ′ A′ D′ paarweise Nebenwinkel und BAC ≃ B ′ A′ C ′ , so gilt BAD ≃ B ′ A′ D′ .
Beweis. B ′ , C ′ , D′ können nach (K1) auf den jeweiligen von A′ ausgehenden Strahlen
o.B.d.A. so gewählt werden, dass gilt AB ∼
= A′ D′ . Aus
= A′ C ′ , AD ∼
= A′ B ′ , AC ∼
dem Kongruenzsatz sws“ folgt Kongruenz der Dreiecke BAC und B ′ A′ C ′ . Da BAC
”
und BAD Nebenwinkeln, liegt A zwischen C und D (und entsprechend A′ zwischen
C ′ und D′ ); aus der Kongruenz der Strecken AC ∼
= A′ C ′ und AD ∼
= A′ D′ folgt die
Kongruenz CD ∼
= C ′ D′ nach (K3), was wiederum Kongruenz der Dreiecke BCD und
B ′ C ′ D′ zur Folge hat nach sws“. Hieraus erhalten wir die Kongruenz der Winkel BDA
”
′
′
′
und B D A und der Strecken BD und B ′ D′ , also sind auch die Dreiecke BDA und
B ′ D′ A′ kongruent nach sws“ und es ergibt sich BAD ≃ B ′ A′ D′ .
”
Satz 6.1.8. (Folgerung) Scheitelwinkel sind zueinander kongruent.
Abbildung 6.2: Scheitelwinkel α und α′
Beweis. Mit den Bezeichnungen aus der Abbildung gilt, dass sowohl α als auch α′ Nebenwinkel zu β sind; es folgt unmittelbar die Kongruenz α ≃ α′ .
Satz 6.1.9 ( Schwacher Außenwinkelsatz“). Jeder Innenwinkel eines beliebigen Dreiecks
”
ABC ist kleiner als jeder nichtanliegende Außenwinkel.
Beweis. Es sei ABC ein beliebiges Dreieck. Wir beweisen, dass der Innenwinkel CAB
kleiner ist als der Nebenwinkel von CBA. Wir verlängern die Strecke CB über B
54
hinaus und bestimmen einen beliebigen Punkt Q auf dem erhaltenen Strahl S(C, B).
Zeigen wollen wir nun, dass CAB kleiner ist als QBA. Dazu suchen wir einen Punkt
P der im Inneren des Winkels QBA liegt so dass der Winkel P BA kongruent ist zu
CAB. Das Dreieck P BA hat also mit CAB die Strecke AB gemeinsam. Es sei D der
Mittelpunkt der Strecke AB, und P liege so, dass gilt CD ∼
= DP . Die Dreiecke ADC
und DP B sind wegen AD ∼
= DP und BDP ≃ ADC (Scheitelwinkel)
= DB, CD ∼
zueinander kongruent nach dem Kongruenzsatz sws“. Somit sind die Winkel CAB und
”
P BD zueinander kongruent. Nun ist noch zu zeigen, dass die Strecke BP innerhalb
des Winkels QBA liegt, denn damit wäre bewiesen dass der Winkel CAB kleiner ist
als QBA. D und P liegen auf derselben Seite von dem Strahl S(C, B), Q und P liegen
auf derselben Seite der Strecke BA, also liegt die Strecke BP innerhalb des Winkels
QBA.
Definition 6.1.10. Ein gleichschenkliges Dreieck ist ein Dreieck mit zwei kongruenten
Seiten; diese nennt man Schenkel. Die beiden Winkel, die diesen Seiten gegenüber liegen,
heißen Basiswinkel.
Satz 6.1.11 (Basiswinkelsatz). In einem gleichschenkligen Dreieck sind die Basiswinkel
gleich groß.
Beweis. ABC sei das Dreieck, AB und AC die gleichen Schenkel. Die drei Ecken erhalten
zusätzliche Namen, nämlich A = A′ ,
B = C ′,
C = B′
Dann gilt wegen AB ∼
= AC:
AB ∼
= AC ∼
= A′ B ′ ,
AC ∼
= AB ∼
= A′ C ′
und
BAC ≃ C ′ A′ B ′ ≃ B ′ A′ C ′
Nach Kongruenzsatz sws“ sind die Dreiecke ABC und A′ C ′ B ′ zueinander kongruent.
”
Daraus folgt
ABC ≃ A′ B ′ C ′ , d.h. ABC ≃ ACB.
Satz 6.1.12 (Beziehung größere Seite - größerer Winkel“). Ist ABC ein beliebiges
”
Dreieck, so ist die Seite AC genau dann kleiner als die Seite BC, wenn der Winkel
ABC kleiner ist als der Winkel BAC.
Mit anderen Worten: der größeren Seite eines jeden Dreiecks liegt immer der größere
Winkel gegenüber. Ebenso liegt dem größeren Winkel immer die größere Seite gegenüber.
55
Abbildung 6.3: AC < BC ⇔ ABC < BAC
Zum Beweis sei verwiesen auf Euklids Elemente [Euk97].
Satz 6.1.13 (2. Kongruenzsatz: wsw“). Gelten für die Dreiecke ABC und A′ B ′ C ′ die
”
Kongruenzen
AB ∼
= A′ B ′ ,
α ≃ α′
und
β ≃ β′,
(6.3)
so ist das Dreieck ABC dem Dreieck A′ B ′ C ′ kongruent.
Beweis. Es genügt zu zeigen, dass AC ∼
= A′ C ′ , denn dann kann der vorherige Kongruenzsatz sws“ angewendet werden.
”
Sei P ein Punkt auf dem Strahl S(A′ C ′ ), der von A′ denselben Abstand hat wie der
Punkt C von A, also sei AC ∼
= A′ P . Dann ist nach dem ersten Kongruenzsatz sws“ das
”
Dreieck ABC kongruent zum Dreieck A′ B ′ P . Sei α′′ der Winkel an A′ in dem Dreieck
A′ B ′ P . Dann ist α ≃ α′′ , da P ∈ S(A′ C ′ ). Nach Voraussetzung gilt aber auch α ≃ α′ ,
also ist α′ ≃ α′′ . Sei β ′′ der Winkel an B ′ im Dreieck A′ B ′ P ′ , so erhalten wir durch
selbiges Argument β ≃ β ′ Hilberts Kongruenzaxiom (K5) impliziert, dass das Antragen
von Winkeln an einem von einem Punkt ausgehenden Strahl eindeutig ist; die Punkte
C ′ und P gehören nun beide sowohl der Strecke B ′ P als auch der Strecke A′ P an, wobei
diese beiden Strecken aber nicht identisch sind (sonst wäre A′ B ′ P kein Dreieck). Aus
C ′ , P ∈ B ′ P ∩ A′ P folgt C ′ = P , und wegen AC ∼
= A′ C ′ . Damit
= A′ P folgt direkt AC ∼
sind die beiden Dreiecke ABC und A′ B ′ C ′ kongruent.
Satz 6.1.14 (3. Kongruenzsatz: sss“). Gelten für die Dreiecke ABC und A′ B ′ C ′ die
”
56
Kongruenzen
AB ∼
= A′ B ′ ,
AC ∼
= A′ C ′ ,
BC ∼
= B′C ′,
(6.4)
so ist das Dreieck ABC dem Dreieck A′ B ′ C ′ kongruent.
Beweis. Es genügt zu beweisen, dass o.B.d.A. die Winkel CAB und C ′ A′ B ′ kongruent sind, denn dann kann wiederum der Kongruenzsatz sws“ angewendet werden. Wir
”
nehmen zunächst das Gegenteil an. Nach Axiom (K5) gibt es dann einen Strahl S(A′ P1′ ),
der auf derselben Seite der Geraden durch A′ und C ′ liegt wie der Punkt B ′ und der
Bedingung, dass die Winkel CAB und C ′ A′ P1′ einander kongruent sind, genügt. Nach
unserer Annahme fallen die Strahlen A′ B ′ und A′ P1′ nicht zusammen.
Aufgrund des Axioms (K1) liegt auf dem Strahl S(A′ P1′ ) ein Punkt B1′ , für den AB ∼
=
A′ B1′ gilt. Weil nun AB ∼
= A′ C ′ und CAB ≃ C ′ A′ B1′ , gilt nach sws“
= A′ B1′ , AC ∼
”
′
′
′
∼
die Kongruenz der Dreiecke ABC und A B1 C . Hieraus folgt die Kongruenz BC = B1′ C ′ .
Aufgrund der Symmetrie und der Transitivität der Streckenkongruenz schließen wir aus
dem Vorhergehenden, dass die Seiten des Dreiecks A′ B1′ C ′ den entsprechenden Seiten
des Dreiecks A′ B ′ C ′ kongruent sind. Wie oben konstruieren wir ein Dreieck A′ B2′ C ′ ,
das auf der anderen Seite der Geraden A′ C ′ liegt und dieselben Eigenschaften besitzt;
also mit A′ B2′ ∼
= AC und B2′ A′ C ′ ≃ C ′ A′ B1′ . Wir betrachten nun
= A′ B ′ , A′ C ′ ∼
die Dreiecke A′ B ′ B2′ und C ′ B2′ B ′ . Aus der Kongruenz A′ B2′ ∼
= A′ B ′ erhalten wir nach
dem Basiswinkelsatz die Kongruenz der Winkel A′ B ′ B2′ und B ′ B2′ A′ , und analog die
Kongruenz der Winkel C ′ B2′ B ′ und B2′ B ′ C ′ . Aus diesen beiden Beziehungen und der
Transitivität der Winkelkongruenz schließen wir C ′ B2′ A′ ≃ A′ B ′ C ′ ; hieraus und aus
Kongruenzsatz sws“ folgt die Kongruenz der Dreiecke A′ C ′ B2′ und A′ B ′ C ′ , und damit
”
sind die Winkel C ′ A′ B ′ und B2′ A′ C ′ zueinander kongruent. Genauso kann gezeigt
werden, dass C ′ A′ B1′ ≃ B2′ A′ C ′ ist. Die letzten beiden Beziehungen widersprechen
aber der Eindeutigkeit des Winkelabtragens nach Axiom (K5), wir erhalten also einen
Widerspruch zu unserer Annahme, womit die Behauptung bewiesen ist. [Efi70]
57
Abbildung 6.4: 3. Kongruenzsatz sss“
”
Satz 6.1.15 (4. Kongruenzsatz: wws“). Gelten für die Dreiecke ABC und A′ B ′ C ′ die
”
Kongruenzen
AB ∼
= A′ B ′ ,
γ ≃ γ′
und
β ≃ β′,
(6.5)
so ist das Dreieck ABC dem Dreieck A′ B ′ C ′ kongruent.
Beweis. Wären die Seiten BC und B ′ C ′ zueinander kongruent, so bestünde Kongruenz
zwischen den beiden Dreiecken nach dem zweiten Kongruenzsatz wsw. In jedem Fall
kann man nach (K1) die Strecke BC auf dem Strahl S(B ′ , C ′ ) abtragen. O.E. liege
ein Punkt D auf S(B ′ , C ′ ), so dass gilt: BC ∼
= B ′ D. Betrachten wir nun die beiden
Dreiecke ABC und A′ B ′ D. Diese sind kongruent nach Kongruenzsatz sws“, und somit
”
′
′
′
′
′
′
gilt A DB ≃ ACB(= γ) ≃ A C B (= γ ). Dies widerspricht jedoch dem schwachen
Satz über Außenwinkel, nach welchem der Winkel A′ DB ′ als Außenwinkel des Dreiecks
A′ DC ′ größer sein müsste als der gegenüberliegende Innenwinkel A′ C ′ B ′ .
58
Abbildung 6.5: 4. Kongruenzsatz wws“
”
∼
Satz 6.1.16 (5. Kongruenzsatz: Ssw“). Sind ABC und A′ B ′ C ′ Dreiecke mit AB =
”
A′ B ′ , AC ∼
= A′ C ′ und ACB ≃ A′ C ′ B ′ , und dabei AB > AC (d.h., die der größeren
Seite gegenüberliegenden Winkel sind kongruent), so gilt ABC ∼
= A′ B ′ C ′ .
Beweis. Zu zeigen ist, dass die Seiten BC und B ′ C ′ zueinander kongruent sind; in diesem Fall kann wieder auf den ersten Kongruenzsatz sws“ zurückgegriffen werden, nach
”
welchem die Dreiecke dann kongruent sind.
Sei D ein Punkt auf dem von C durch B gehenden Strahl S(C, B), so dass CD ∼
= C ′B′.
Dann sind die Dreiecke A′ B ′ C ′ und ADC kongruent nach Kongruenzsatz sws“ und
”
′
′
∼
∼
daher gilt AD = A B = AB.
Annahme: Sei D ∈ BC. Wir betrachten das Dreieck ADB; dieses ist wegen AD ∼
= AB
gleichschenklig, und somit sind die Winkel ABD und BDA zueinander kongruent. Somit folgt aus der Voraussetzung AB > AC, und demnach AD > AC, nach dem Satz über
den Zusammenhang von größerer Seite und größerem Winkel, dass BCA > ABD.
Andererseits ergibt sich aus dem schwachen Außenwinkelsatz 6.1.9 BDA ≃ ABD >
BCA, was einen Widerspruch bedeutet.
Es gilt also entweder B = D oder B ∈ DC.
Annahme: Sei B ∈ DC. Nun sind die Winkel ADB und DBA zueinander kongruent.
59
Aus AB > AC, also wiederum auch AD > AC folgt DCA > ADC = DBA. Zugleich ist wegen des schwachen Aussenwinkelsatzes 6.1.9 DBA > DCA, womit wir
wieder einen Widerspruch erhalten.
Somit bleibt nur noch die Variante B = D übrig und damit ist C ′ B ′ ∼
= CB und die
Dreiecke ABC und A′ B ′ C ′ sind nach sws“ kongruent. [Fil93]
”
Schnittpunkte im Dreieck
Zu den Dreiecksseiten, -winkeln und -ecken gibt es verschiedene spezielle Linien, nämlich
Mittelsenkrechte, Winkelhalbierende, Seitenhalbierende und Höhen. In der euklidischen
Geometrie ist einiges über die Schnittpunkte dieser jeweiligen Linien bekannt; es bleibt
zu untersuchen, was davon im Hyperbolischen genauso gilt, was in veränderter Form
angegeben werden kann und was vollkommen anders ist.
Wir beginnen mit den Winkelhalbierenden; hier lässt sich lediglich ein abgewandelte
Form des aus der Schulmathematik bekannten Satzes über den Schnittpunkt der Winkelhalbierenden im Dreieck zur absoluten Geometrie zählen:
Definition 6.1.17. Sei ABC ein Winkel und S(B, D) ein von B ausgehender Strahl
durch D. Dann heißt S(B, D) Winkelhalbierende, falls ABD ≃ DBC.
Definition 6.1.18. Sind AB, BC verschiedene Strecken, die auf einer Geraden g (d.h.,
A, B, C ∈ g, nicht notwendigerweise AB ∼
= BC) so nennt man den von ihnen gebildeten
Winkel ABC gestreckten Winkel.
Satz 6.1.19. Jeder Winkel, der kein gestreckter Winkel ist, besitzt genau eine Winkelhalbierende.
Beweis. Sei AOB kein gestreckter Winkel; es gelte o.E. AO ∼
= OB. Wir verbinden die
Punkte A und B durch ihre nach (I1) eindeutig bestimmte Gerade und erhalten so ein
gleichschenkliges Dreieck nach dem Basiswinkelsatz, der besagt dass im gleichschenkligen
Dreieck die Basiswinkel (die in diesem Fall P AO und OBP heißen) gleich sind.
60
Abbildung 6.6: Eindeutige Existenz einer Winkelhalbierenden
Nun ist OP genau dann die Winkelhalbierende von AOB, wenn P der Mittelpunkt
von AB ist. Wir zeigen zunächst die Eindeutigkeit indem wir P als Mittelpunkt von AB
annehmen. Wegen OA ∼
= P B folgt die Kongruenz
= OB, OBP ≃ P AO und AP ∼
der Dreiecke AOP und OBP . Es gilt also P OB ≃ AOP , was zeigt, dass der Winkel
AOB halbiert wurde. Da jede Strecke genau einen Mittelpunkt besitzt, ist P , und
damit die Winkelhalbierende OP eindeutig bestimmt; Existenz folgt unmittelbar aus
der Existenz eines Mittelpunktes zu jeder Strecke.
Diese Feststellung ist leicht nachzuvollziehen im Euklidischen sowie bei hyperbolischen
Geraden, die sich in einem eigentlichen“ Punkt schneiden. Problematisch wird es dann,
”
wenn zwei hyperbolische Geraden sich entweder gar nicht oder aber in einem uneigent”
lichen“ Punkt schneiden; hierfür muß man die Vorstellung Winkelhalbierende“ ent”
”
sprechend verallgemeinern.“ Man kann sie allgemein so definieren: gegeben seien zwei
Geraden g1 , g2 die einen uneigentlichen“ Punkt gemeinsam haben bzw. sich gar nicht
”
schneiden. Dann gibt es immer eine und nur eine Gerade, zu der g1 und g2 symme”
trisch liegen. [D.h., würde man selbige Gerade als Spiegelungsachse benutzen, so würde
g1 in g2 übergeführt und andersrum.] Diese Gerade wird Halbierungslinie des Winkels“
”
(g1 , g2 ) genannt.“ [Lie23] Dass g1 und g2 symmetrisch zur Halbierungslinie hw liegen,
bedeutet dass sie sich in einem Punkt auf hw schneiden (g1 ∪ g2 ∈ hw ), und dass sie mit
hw zwei kongruente Winkel bilden ((g1 , hw ) ≃ (hw , g2 )).
61
Satz 6.1.20 (Addition und Subtraktion von Winkeln). Mit den Bezeichnungen aus
unten stehender Abbildung sei
(a) (Addition von Winkeln) BAD ≃ B ′ A′ D′ und DAC ≃ D′ A′ C ′ ; daraus folgt
BAC ≃ B ′ A′ C ′ .
(b) (Subtraktion von Winkeln) BAC ≃ B ′ A′ C ′ und DAC ≃ D′ A′ C ′ ; daraus folgt
BAD ≃ B ′ A′ D′ .
Definition 6.1.21. BAD heißt Differenz der Winkel BAC und DAC: BAD :=
BAC − DAC.
Abbildung 6.7: Addition und Subtraktion von Winkeln
Beweis. (von Satz 6.1.20) (b) Seien B ′ und C ′ so gewählt, dass AB ∼
= A′ B ′ und
AC ∼
= A′ C ′ ; dann folgt aus Kongruenzsatz sws“ die Kongruenz der Dreiecke ABC und
”
A′ B ′ C ′ und daher ABC ≃ A′ B ′ C ′ , ACB ≃ A′ C ′ B ′ und BC ∼
= B ′ C ′ . Hieraus
folgt aus Kongruenzsatz wsw die Kongruenz der Dreiecke ACD und A′ C ′ D′ , und damit
CD ∼
= C ′ D′ ; als Differenz kongruenter Strecken gilt dann BD ∼
= B ′ D′ . Wieder infolge des Kongruenzsatzes wsw folgt die Kongruenz der Dreiecke BAD und B ′ A′ D′ , und
schlussendlich gilt damit BAD ≃ B ′ A′ D′ .
(a) Verlängert man die Strecke durch A und B über A hinaus, so erhält man als Nebenwinkel zu den kongruenten Winkeln BAD und B ′ A′ D′ die Kongruenz DAE ≃
D′ A′ E ′ . Es folgt aus (b) die Beziehung CAE = DAE − DAC ≃ D′ A′ E ′ −
D′ A′ C ′ = C ′ A′ E ′ . Da CAE und C ′ A′ E ′ Nebenwinkel sind zu BAC und B ′ A′ C ′ ,
folgt die Kongruenz letzterer Winkel: BAC ≃ B ′ A′ C ′ .
62
An dieser Stelle soll ein Satz eingefügt werden, der anschaulich klar, aber dennoch nicht
selbstverständlich ist:
Satz 6.1.22 (Fällen eines Lotes). Es ist möglich, auf eine gegebene Gerade von einem
gegebenen Punkt aus, der nicht auf der Geraden liegt, das Lot zu fällen.
Dieser Satz gilt sowohl im Euklidischen als auch im Hyperbolischen; da der Beweis jedoch
nicht ohne die Verwendung von Kreisen auskommt, die in dieser Arbeit nicht explizit
definieren möchte, sei verwiesen auf den Beweis bei [Tru98] (S. 81).
Satz 6.1.23 (Winkelhalbierende). In einem Dreieck schneiden sich die Winkelhalbierenden der Dreieckswinkel in einem Punkt.
Beweis. Wir betrachten das Dreieck ABC; seien AW und BW die Winkelhalbierenden
der Winkel BAC und CBA. (Dass sich zwei Winkelhalbierende in einem Punkt W
schneiden ist klar; würden sie das nicht tun, so wären sie entweder beide senkrecht zu AB
oder die Winkel wären beide gestreckte, was beides nicht sein kann in einem Dreieck.)
Nun verbinden wir W mit C und zeigen, dass W C die Winkelhalbierende des Winkels
an C ist.
Abbildung 6.8: Schnittpunkt der Winkelhalbierenden
63
Dazu konstruieren wir zunächst die Lote von W aus auf die Dreiecksseiten; Fußpunkt E
liegt auf der Strecke BC, F auf der Strecke AC und G auf der Strecke AB. Da AW den
Winkel BAC halbiert, ist AW symmetrisch zu allen Punkten auf AB und AC. Insbesondere gilt W AG ≃ F AW . Außerdem ist W GA ≃ AF W = 90◦ , und aufgrund
der Kongruenzen W GA ≃ AF W , W AG ≃ F AW und der gemeinsamen Seite
AW gilt der Kongruenzsatz wws und die Dreiecke W GA und F W A sind kongruent.
Damit gilt insbesondere W G ∼
= W F und AW G ≃ F W A.
Analog gilt GW B ≃ BW E, da BW die Winkelhalbierende des Winkels CBA ist,
es gilt BGW ≃ BW E = 90◦ und W BG ≃ EBW , also sind die Dreiecke W GB
und EW B ebenfalls kongruent nach dem Kongruenzsatz wsw und es gilt W G ∼
= W E.
Demnach gilt also W G ∼
= WE ∼
= W F . Verbinden wir nun die Punkte E und F , so erhalten wir ein gleichschenkliges Dreieck W EF . Es ist F EW ≃ CEW − CEF , sowie
W F E ≃ W F C − EF C. Da die Winkel W F C und CEW beide 90◦ betragen,
sind also die Winkel CEF und EF C zueinander kongruent, das Dreieck F CE ist
gleichschenklig und es gilt EC ∼
= F C nach der Umkehrung des Basiswinkelsatzes.
Somit gilt also W E ∼
= F C und CEW ≃ W F C = 90◦ ; die Dreiecke
= W F , EC ∼
W EC und CF W sind daher nach dem ersten Kongruenzsatz sws“ kongruent. Somit
”
gilt schlussendlich W CE ≃ F CW , und damit ist W C Winkelhalbierende des Winkels
ECF .
Ergänzend soll auch der sehr schlichte Beweis des Satzes angegeben werden, den man in
Schulbüchern finden kann:
Beweis. Alle Punkte auf der Winkelhalbierenden wA haben den gleichen Abstand von
den Dreiecksseiten b und c, alle Punkte auf der Winkelhalbierenden wB denselben Abstand zu den Seiten a und c. Ihr Schnittpunkt W = wA ∩ wB hat deswegen denselben
Abstand zu den Seiten a und b. Er liegt auf einer der beiden Winkelhalbierenden zu den
Geraden a und b. Weil er von der Ecke C aus ins Innere des Dreiecks zeigt, liegt er auch
auf der Winkelhalbierenden wC . [Sch95]
Liebmann argumentiert für die hyperbolische Ebene kurz, dass die Halbierungslinien“
”
der Winkel α und β in einem einfach asymptotischen Dreieck (der Punkt C sei o.B.d.A.
ein uneigentlicher“ Punkt) sich schneiden in einem Punkt M , der von AC und BC
”
”
denselben Abstand hat, und die Halbierungslinie des Winkels der von M auf AC und
BC gefällten Lote ist Spiegel (Symmetrielinie) für AC und BC, geht also durch C. [Lie23]
64
Sonstige Sätze
Satz 6.1.24 (Umkehrung des Stufenwinkelsatzes). Werden zwei Geraden p und q von
einer dritten Geraden r geschnitten, so dass (p, r) ≃ (q, r), dann sind p und q parallel
zueinander.
Erinnerung: Parallel“ bedeutet nichts weiter, als dass sich p und q nicht schneiden.
”
Beweis. Es seien (p, r) und (q, r) kongruente Stufenwinkel an einer Geraden r; die
Punkte, an den p und q r schneiden heißen A und B resp.
Annahme: p und q schneiden sich in einem Punkt C (sind also nicht parallel), der
bezüglich r auf der Seite von p und q liegen möge.
Der Winkel (q, r) ist ein Innenwinkel des Dreiecks ABC, (p, r) ein Außenwinkel. Nach
Voraussetzung ist (p, r) ≃ (q, r), was ein Widerspruch zum schwachen Außenwinkelsatz 6.1.9 ist. Die Annahme, p und q schneiden sich in einem Punkt war also falsch;
somit sind sie parallel.
Satz 6.1.25 (Dreiecksungleichung). In jedem Dreieck sind zwei Seiten, beliebig zusam”
mengenommen, größer als die letzte.“
[Euk97] Im übertragenen Sinn heißt das soviel wie dass die gerade Verbindungsstrecke
zwischen zwei Punkten immer kürzer ist als jeder Streckenzug.
Beweis. Die Behauptung lautet also, dass in einem beliebigen Dreieck ABC mit den
Seiten a, b, c immer gilt: b + c > a, c + a > b, a + b > c. Es genügt, eine der drei
65
Ungleichungen zu zeigen; wir entscheiden uns für die erste und betrachten den von B
ausgehenden Strahl durch A. Dieser geht über den Punkt A hinaus; nach (K1) gibt es
auf ihm genau einen Punkt so dass gilt: AD = AC = b. Das Dreieck ACD ist daher
gleichschenklig und hat demnach gleiche Basiswinkel DCA ≃ ADC ≃ BDC. Da
DCB eine Verbreiterung des Winkels DCA ist, also DCB > DCA = ADC =
BDC, gilt nach dem Satz über die Beziehung des größeren Winkels zur größeren Seite,
Satz 6.1.12, für das Dreieck DBC: BD > BC, also b + c > a. [Per62]
Abbildung 6.9: Dreiecksungleichung
Satz 6.1.26 (Winkelsumme im Dreieck). Bei jedem Dreieck ist die Winkelsumme höchstens
gleich zwei rechten Winkeln.
Beweis. Annahme: Es gibt ein Dreieck ABC mit der Winkelsumme α + β + γ > 180◦ .
Dann verlängern wir die Seite BC = a über C hinaus mehrmals um sich selbst: BC ∼
=
CC1 ∼
= C1 C2 ∼
= ... ∼
= Cn−2 Cn−1 . (vgl. Perron 1962, S.25) In den Punkten C, C1 , C2 , . . . , Cn−1
tragen wir den Winkel β an; die Schenkel CA1 , C1 A2 , . . . , Cn−1 An werden alle derart
konstruiert, dass sie kongruent sind zu BA.
66
Nach der Abbildung hat es den Anschein, als lägen die Punkte A, A1 , . . . , An alle auf
einer Geraden. Dies kann nicht mit Sicherheit so angenommen werden. Jedoch sind nach
Kongruenzsatz sws“ die Dreiecke Ci−1 Ai Ci kongruent zu dem Ausgangsdreieck BAC,
”
mit i = 1, . . . , n (C0 = C); folglich sind die Strecken Ci Ai alle kongruent zu CA = b,
und die Winkel Ci−1 Ci Ai sind alle gleich γ. Wichtig ist nun zu bemerken, dass die
Winkelgrößen von Nebenwinkeln sich zu 180◦ (einem gestreckten Winkel ) ergänzen wie Euklid ja (ohne Verwendung des Parallelenaxioms (P)) in den Elementen beweist.1
Demnach gilt dann für die Winkel Ai Ci Ai+1 , dass sie gleich 180◦ − β − γ sind, so dass
auch die Dreiecke Ai Ci Ai+1 nach Kongruenzsatz sws“ alle kongruent zueinander sind.
”
∼
∼
∼
Folglich ist AA1 = A1 A2 = . . . = An−1 An .
Nun ist der Winkel ACA1 gleich 180◦ − β − γ, also wegen unserer Annahme α + β +
γ > 180◦ kleiner als α. Wegen dem Satz über die Beziehung zwischen der größeren
Dreiecksseite und dem größeren Dreieckswinkel, 6.1.12, ist in unserem Fall nun AA1 <
BC.
Betrachten wir die Strecke BCn−1 ; deren Länge ist gleich n · BC. Außerdem ist der
Streckenzug BAA1 A2 . . . An−1 An Cn−1 gleich BA + n · AA1 + An Cn−1 = 2 · BA + n ·
AAn . Wegen der Dreiecksungleichung, aus der folgt dass die gerade Verbindungsstrecke
zwischen zwei Punkten kürzer ist als jeder Streckenzug, gilt
n · BC < 2 · BA + n · AA1
1
Wenn eine gerade Linie, auf eine gerade Linie gestellt, Winkel bildet, dann muss sie entweder zwei
”
Rechte oder solche, die zusammen zwei Rechten gleich sind, bilden.“ [Euk97]
67
oder
n · (BC − AA1 ) < 2 · BA.
(6.6)
Wegen BC > AA1 ist die Länge BC−AA1 eine ganz bestimmte positive Zahl; wählen wir
also n groß genug, so ist obige Ungleichung 6.6 mit Sicherheit falsch, und damit haben wir
einen Widerspruch zu unserer Annahme, dass es ein Dreieck gibt mit α+β+γ > 180◦ .
Leider kommt dieser Beweis nicht völlig ohne die Idee der Längen- und Gradmessung und
den Umgang mit skalarer Multiplikation aus; ich bitte um eine intuitive Handhabung.
6.2 Sätze, die in der euklidischen Geometrie gelten
Satz 6.2.1 (Stufenwinkelsatz). Stufenwinkel an parallelen Linien sind kongruent.
Beweis. Wir betrachten zwei parallele Geraden g und h, die von einer dritten Gerade
f in den Punkten A und B geschnitten wird. Nun nehmen wir an, die Stufenwinkel
P AQ und P BR seien nicht kongruent. Dann muss wegen Eindeutigkeit des Winkelantragens (Axiom (K5) der euklidischen Geometrie) eine Gerade h′ existieren, die durch
B verläuft und mit der Geraden f einen zu P AQ kongruenten Winkel P BS bildet.
Da in der absoluten Geometrie die Umkehrung des Stufenwinkelsatzes gilt (zum Beweis
siehe z.B. [Euk97], §27), sind demnach die Geraden g und h′ parallel, was wegen der in
der euklidischen Geometrie gültigen Eindeutigkeit einer Parallelen zu einer Geraden im
Widerspruch dazu steht, dass wir mit h bereits die Parallele zu g durch B haben.
Des Weiteren beweist Euklid in seinem ersten Buch, dass Wechselwinkel an parallelen
Linien ebenfalls kongruent zueinander sind. Auf die Vorführung des Beweises wird hier
verzichtet; es sei verwiesen auf [Euk97](§29).
Satz 6.2.2 (Winkelsumme im Dreieck). Sind α, β, γ die drei Innenwinkel eines Dreiecks,
so gilt α + β + γ = 180◦
Beweis. Wir betrachten ein Dreieck ABC und ziehen die nach dem Parallelenaxiom
(P) eindeutig bestimmte Parallele zur Dreiecksseite c. Neben γ entstehen dadurch zwei
Winkel, die als Wechselwinkel ebenso groß sind wie α und β (Wechselwinkelsatz). α, β
und γ ergänzen sich zu einem gestreckten Winkel, also gilt:
α + β + γ = 180◦
68
(6.7)
Abbildung 6.10: Die Winkelsumme eines Dreiecks in der euklidischen Ebene.
Satz 6.2.3. Die Mittelsenkrechte einer Strecke A ist die Menge aller Punkte P , die von
A und B denselben Abstand“ haben, für die also gilt: AP ∼
= BP .
”
Beweis. Sei mAB die Mittelsenkrechte, und sei C der Mittelpunkt der Strecke AB. Sei
P ∈ mAB . Dann sind die Dreiecke ACP und ABC nach dem Kongruenzsatz sws“
”
BP
.
kongruent, und somit gilt AP ∼
=
Sei nun Q ein beliebiger Punkt mit AQ ∼
= QB. Nach dem Kongruenzsatz sss sind die
Dreiecke ACQ und QCB zueinander kongruent. Demnach gilt ACQ ≃ QCB, ACQ
und QCB sind beides rechte Winkel, und die Gerade durch Q und C ist die (eindeutig
bestimmte) Mittelsenkrechte der Strecke AB. Also liegt Q auf der Mittelsenkrechten.
Satz 6.2.4 (Mittelsenkrechte). In einem Dreieck schneiden sich die Mittelsenkrechten
der Dreiecksseiten in einem Punkt.
Erster Beweis. Seien l und m die Mittelsenkrechten der Seiten AB und BC eines Dreiecks ABC, respektive. Sei MAB der Mittelpunkt der Strecke AB, und MBC der Mittelpunkt von BC. Wir nehmen an, m und l treffen sich im Punkt O. (Anmerkung: Dass
zwei der drei Seiten sich in jedem Fall schneiden ist klar - ansonsten wären sie parallel
69
zueinander, was zur Folge hätte, dass auch die zugrunde liegenden Dreiecksseiten parallel wären. Zwei Dreiecksseiten schneiden sich jedoch per Definition in einem Punkt.) Zu
zeigen ist nun, dass auch die Mittelsenkrechte der Seite AC durch O geht.
Dazu werden zunächst die Dreiecke AOMAB und MAB OB betrachtet; diese sind zueinander kongruent nach Kongruenzsatz sws“. Somit ist AO ∼
= OB. Selbiges gilt für
”
die Dreiecke OMBC B und OCMBC ; auch diese sind kongruent nach Kongruenzsatz
sws“, daher ist OB ∼
= CO. Aufgrund der Transitivität der Streckenkongruenz (Axiom
”
(K3))folgt AO ∼
= CMAC , sind die Dreiecke AMAC O
= CO. Da außerdem gilt AMAC ∼
und MAC CO kongruent nach Kongruenzsatz sss, denn die Seite MAC O haben sie gemeinsam. Somit ist AMAC O ≃ OMAC C; die beiden Winkel zusammen ergeben π,
da sie sich zu einem gestreckten Winkel addieren. Demzufolge handelt es sich um zwei
rechte Winkel und damit ist gezeigt, dass die Strecke MAC O die Mittelsenkrechte von
AC ist.
Zweiter Beweis. (Aus der Schule) Sei mAB die Mittelsenkrechte auf der Strecke
AB, also der geometrische Ort aller Punkte, der von den Dreickseckpunkten A,B
denselben Abstand hat und sei mBC die Mittelsenkrechte auf der Strecke BC. Der
Schnittpunkt M = mAB ∩ mBC hat also den gleichen Abstand zu allen drei Ecken
A,B und C. Deswegen liegt er auch auf der Mittelsenkrechten mBC .
Definition 6.2.5. Fällt man auf den Dreiecksseiten die Lote, die durch die jeweils gegenüberliegenden Eckpunkte gehen, so heißen diese speziellen Lote Höhen.
Satz 6.2.6 (Höhen). In einem Dreieck schneiden sich die Höhen in einem Punkt.
Beweis. Ziehen wir durch die Ecke A eine Parallele a′ zur Seite a, durch B eine Parallele b′ zur Seite b und durch C eine Parallele c′ zur Seite c; diese existieren, da wir
uns nun in der euklidischen Geometrie befinden, in der das Parallelenpostulat (P) gilt.
Wir erhalten Schnittpunkte A = b′ ∩ c′ , B = a′ ∩ c′ und C = a′ ∩ b′ . Es sind drei
neue Dreiecke ACB ′ , BA′ C und C ′ BA entstanden, die alle drei parallele Seiten zu den
ursprünglichen Dreiecksseiten a, b, c haben und in einer Seite mit dem ursprünglichen
Dreieck übereinstimmen. Aufgrund der Wechselwinkelbeziehungen und der eingeschlossenen gemeinsamen Seite sind alle drei neuen Dreiecke kongruent zum Ausgangsdreieck
nach Kongruenzsatz sws“.2 . Daraus folgt: A ist die Mitte der Strecke B ′ C ′ , B die Mitte
”
2
Betrachte z.B. das Dreieck CBA′ in Abbildung 6.11: Aufgrund der Parallelität der Strecken c und c′
70
der Strecke A′ C ′ und C die Mitte der Strecke A′ B ′ . Die Höhen des Ausgangsdreiecks
sind deswegen die Mittelsenkrechten des großen Dreiecks A′ B ′ C ′ , und laut dem Satz
über Mittelsenkrechte schneiden diese sich in einem Punkt.
Abbildung 6.11: Höhenschnittpunkt
Definition 6.2.7. Die Strecken von den Seitenmittelpunkten eines Dreiecks zu den gegenüberliegenden Eckpunkten nennt man Seitenhalbierende. [MP09]
In der euklidischen Geometrie gilt der Satz, dass sich die Seitenhalbierenden in einem
Punkt schneiden:
Satz 6.2.8 (Seitenhalbierende). In einem Dreieck schneiden sich die Seitenhalbierenden
in einem Punkt.
Der Schnittpunkt der Seitenhalbierenden wird Schwerpunkt des Dreiecks genannt. Zum
Beweis dieses Satzes könnte man auf die Einführung von Ähnlichkeit und
Ähnlichkeitsabbildungen nicht verzichten; dazu wiederum sind die Strahlensätze und die
sind die Wechselwinkel A′ CB und ABC zueinander kongruent; ebenso gilt CBA′ ≃ BCA. Die
dazwischen liegende Seite a ist den Dreiecken ABC und CBA′ gemein; somit sind sie nach Kongruenzsatz sws“ kongruent zueinander.
”
71
Längenmessung relevant. Einen Beweis werde ich daher in dieser Arbeit nicht angeben;
ein schönes Ergebnis der Schnittpunktsätze in euklidischen Dreiecken soll jedoch erwähnt
werden, wenn es auch (aus selbigen Gründen) hier ebenfalls unbewiesen bleibt:
Satz 6.2.9 (Eulersche Gerade).
Der Schwerpunkt S eines Dreiecks, der Schnittpunkt
”
seiner Mittelsenkrechten M und sein Höhenschnittpunkt H liegen auf einer Geraden,
der Eulerschen Geraden.“
Abbildung 6.12: Eulergerade
Satz 6.2.10. Existieren zwei Dreiecke ABC und A′ B ′ C ′ , die in allen drei Winkeln
übereinstimmen und nicht kongruent sind, so gilt das euklidische Parallelenaxiom.
Beweis. Seien ABC und A′ B ′ C ′ zwei Dreiecke mit den Innenwinkeln α an A und A′ , β
an B und B ′ und γ an C und C ′ . Ferner seien B ′′ und C ′′ die nach Axiom (K1) eindeutig
bestimmten Punkte auf den Strahlen S(A′ , B ′ ) und S(A′ , C ′ ), so dass gilt A′ B ′′ ∼
= AB
und A′ C ′′ ∼
= AC. Dann sind die Dreiecke kongruent nach Axiom (K6). Die Winkel an B ′′
und C ′′ entsprechen also β und γ, was zur Folge hat, dass wir an den Strecken A′ B ′ und
A′ C ′ zueinander kongruente Stufenwinkel erhalten. Hieraus wiederum folgt nach der
Umkehrung des Stufenwinkelsatzes 6.1.24, dass die Strecken B ′ C ′ und B ′′ C ′′ parallel
zueinander sind und sich demnach nicht schneiden. Da sich sowohl die Winkel C ′ C ′′ B ′′
und γ als auch die Winkel C ′′ B ′′ B ′ jeweils zu gestreckten Winkeln addieren, hat das
Viereck B ′ C ′ C ′′ B ′′ eine Winkelsumme von 360◦ , was äquivalent ist zu der Aussage, dass
zwei Dreiecke mit einer Winkelsumme von 180◦ existieren, was wiederum äquivalent ist
zum euklidischen Parallelenaxiom. [Fil93]
72
6.3 Sätze, die in der hyperbolischen Geometrie gelten
Je nach Zweckmäßigkeit werden die Beweise in diesem Abschnitt entweder nach dem
stark vereinfachten Bild der hyperbolischen Geometrie, das im Kapitel Schule vorgestellt
wurde, oder in der Poincaré-Halbebene geführt und veranschaulicht. In ersterem Fall sind
die Punkte mit Großbuchstaben A, B, C, ... bezeichnet, in letzterem heißen die Punkte
z1 , z2 , ...
Es folgen nun einige vorbereitende Sätze, die den Beweis dazu einleiten, dass die Winkelsumme im hyperbolischen Dreieck weniger als 180◦ beträgt, was eine bezeichnende
Aussage über die hyperbolische Geometrie ist.
Ausgehend von der absoluten Geometrie stach ein Mathematiker, Mathematikprofessor
Gerolamo Saccheri (1667 - 1733) an der Universität Pavia, dadurch heraus, dass er den
stichhaltigsten Versuch eines Beweises des Parallelenaxioms unternahm. Ein zentraler
Gegenstand ist dabei ein spezielles Viereck, das bis heute seinen Namen trägt:
Definition 6.3.1. Ein Saccheri-Viereck ist ein Viereck, in dem zwei Seiten einander
gleich sind und eine der beiden anderen Seiten als gemeinsame Senkrechte besitzen. Die
gemeinsame Senkrechte heißt Grundseite, die ihr gegenüberliegende Seite heißt Oberseite, und die der Oberseite anliegenden Winkel heißen obere Winkel. [Tru98]
In der uns bekannten euklidischen Geometrie ist ein Rechteck definiert als Viereck mit
vier rechten Winkeln; im Euklidischen gilt, dass jedes Saccheri-Viereck ein Rechteck ist
und jedes Rechteck ein Saccheri-Viereck. Um diese Aussage zu beweisen, benötigt man
allerdings das Parallelenpostulat, und dieses steht ja in der absoluten Geometrie, die hier
verwendet werden soll, nicht zur Verfügung. Es ergibt sich die Frage, ob in der absoluten
Geometrie überhaupt Rechtecke existieren; wir werden sogleich sehen, dass dies nicht
der Fall ist.
Mit den Saccheri-Vierecken lässt sich zwischen der euklidischen und hyperbolischen Ebene hin und her jonglieren: Sie erfüllen in der einen Ebene Eigenschaften, die in der anderen nicht gelten und andersherum. So lässt sich zum Beispiel einerseits zeigen, dass
das euklidische Parallelenpostulat genau dann gilt, wenn die oberen beiden Winkel eines
(und damit jedes) Saccheri-Vierecks rechte Winkel sind; andereseits beweist man mit
der Annahme, dass die oberen Winkel eines Saccheri-Vierecks spitz sind, dass die Winkelsumme im Dreieck in diesem Fall weniger als 180◦ beträgt und man sich somit in der
hyperbolischen Ebene befindet.
73
Satz 6.3.2 (Saccheri-Viereck). In einem Saccheri-Viereck mit Eckpunkten A, B, C, D
sind die Winkel an C und D zueinander kongruent; des Weiteren ist die Strecke, die die
beiden Mittelpunkte der Strecken AB und CD verbindet (der so genannten Mittellinie),
senkrecht zu beiden Strecken.
Beweis. Sei ABCD ein Saccheri-Viereck, E der Mittelpunkt der Strecke AB und l das
Lot zu AB durch E. Da l demnach die Mittelsenkrechte der Strecke AB ist, liegen die
Punkte A, D auf der einen Seite von l und die Punkte B, C auf der anderen Seite. l muss
also die Strecke CD in einem Punkt F treffen. Wir verbinden die Punkte A und F und
F und B, und erhalten zwei nach dem Kongruenzaxiom (K6) kongruente Dreicke AEF
und BEF . Somit sind die Winkel F AE und F BE sowie die Strecken AF und F B
zueinander kongruent.
Abbildung 6.13: Gemeinsames Lot der Grund- und Oberseite in einem Saccheri-Viereck
Da wir an den Punkten A und B jeweils einen rechten Winkel haben, der durch die Strecken AF und F B an beiden Ecken gleich geteilt wird, stellen wir fest dass die Winkel
DAF und CBF ebenfalls kongruent zueinander sind. Anwendung von (K6) ergibt
wiederum die Kongruenz der Dreiecke DAF und CBF ; folglich sind die Winkel an den
Punkten C und D gleich, und F ist der Mittelpunkt der Strecke CD.
Schlussendlich impliziert die Kongruenz der zwei Dreieckspaare außerdem, dass die Winkel EF D und CF E kongruent und daher rechte Winkel sind. [Har00]
Hiermit lässt sich Folgendes zeigen:
74
Satz 6.3.3. Die Grundseite und die Oberseite eines Saccheri-Vierecks sind ultraparallel,
sie schneiden sich also nie.
Beweis. Betrachten wir ein Viereck ABCD mit Grundseit AB und Oberseite CD, wobei
E der von AB und F der Mittelpunkt von CD ist. (Diese Mittelpunkte existieren nach
6.1.3.) Verbinden wir die Mittelpunkte E und F , so folgt aus dem vorherigen Satz, dass
die Winkel DF E und CF E, ich nenne sie respektive β und α, rechte Winkel sind,
also α = 90◦ = β. Da auch die Winkel F EA und F EB nach obigem Satz zwei Rechte
sind, können wir Euklids Theorem I 28 anwenden, das besagt, dass wenn eine gerade
Linie (EF ) von zwei anderen geraden Linien (AB und CD) so geschnitten wird, dass
die innen auf derselben Seite liegenden Winkel zusammen zwei Rechte werden (oBdA
F EB und EF C), so müssen diese beiden geraden Linien (AB und CD) einander
parallel sind. (Euklid benötigt das euklidische Parallelenaxiom nicht zum Beweis dieses
Satzes - er gilt also auch im Hyperbolischen.) AB muss also entweder asymptotisch
parallel oder ultraparallel zu CD sein. Wäre AB asymptotisch parallel zu DC, so wäre
α der Parallelwinkel, den das von F aus gefällte Lot auf AB mit der zu AB Parallelen
bildet und wäre somit ein spitzer Winkel, was im Widerspruch dazu steht dass α = 90◦ .
[Eve95]
Satz 6.3.4. In der hyperbolischen Ebene sind die oberen Winkel eines Saccheri-Vierecks
spitze Winkel.
Beweis. Wir betrachten wieder ein Saccheri-Viereck ABCD. Es seien CX und DY die
asymptotisch parallelen Geraden zu AB duch C und D respektive. Aus 6.3.3 folgt, dass
CX und DY innerhalb der Winkel an C und D liegen müssen:
75
Abbildung 6.14: Die oberen Winkel eines Saccheri-Viereckes sind im hyperbolischen
spitz.
Sei E ein Punkt auf dem Strahl S(D, C), so dass C zwischen D und E liegt. Der
Außenwinkelsatz impliziert, dass ECX > EDY gilt. Da die Winkel BCX und
ADY Parallelwinkel sind zu Loten die jeweils von C und D aus auf AB gefällt werden,
müssen sie gleich groß sein, denn AD ∼
= BC, und der Parallelwinkel hängt ab von der
Länge des Lotes. Daraus folgt, dass BCE > ADE. Gleichzeitig gilt wegen 6.3.2,
dass ADE = BCD, und es folgt schlussendlich, dass BCD und somit auch ADE
spitze Winkel sein müssen.
Satz 6.3.5. Zu jedem Dreieck ABC gibt es ein Saccheri-Viereck, so dass die Summe
der beiden oberen Winkel dieses Vierecks gleich der Winkelsumme im Dreieck ABC ist.
Beweis. Sei ABC ein Dreieck, und D und E die Mittelpunkte der Strecken AB und AC
respektive. Man verbinde D und E, die Strecke DE wollen wir Mittellinie des Dreiecks
nennen, und fälle die Lote BF , AH, CG auf DE.
Abbildung 6.15: Saccheri-Viereck, dessen obere beiden Winkel zusammen so groß sind
wie die Winkelsumme des Dreiecks
Es gilt AD ∼
= DB, die Scheitelwinkel an D sind äquivalent und an F und H liegen jeweils
rechte Winkel, somit gilt nach Kongruenzsatz wws, dass die Dreiecke ADH und BF D
zueinander kongruent sind. Daraus schließen wir die Beziehungen DBF ≃ DAH. Des
Weiteren sind die Dreiecke AHE und CGE kongruent, woraus die Beziehung EAH ≃
ECG folgt. Außerdem gilt BF ∼
= CG. Das Viereck F BCG hat bei F und G
= AH ∼
rechte Winkel, somit handelt es sich um ein (umgedrehtes) Saccheri-Viereck. Die Winkel
76
des Vierecks an den Punkten B und C setzen sich zusammen aus den Winkeln des
Dreiecks an B und C plus jeweils Winkeln, die kongruent sind zu den beiden Teilen des
Winkels bei A, der durch die Strecke AG geteilt wird. Somit sind die Winkel bei B und
C des Vierecks zusammen so groß wie die Winkelsumme des Dreiecks. Also:
ABC + BCA + CAB = F BD + ABC + BCA + ECG
und es gilt CAB = F BD + ECG wegen der Kongruenzbeziehungen.
Setzen wir nun die Aussagen der Sätze 6.3.4 und 6.3.5 zusammen, so erhalten wir endlich
den Satz über die Winkelsumme im hyperbolischen Dreieck.
Satz 6.3.6. Die Winkelsumme in einem hyperbolischen Dreieck ist kleiner als 180◦ .
Beweis. Wir betrachten nochmals die Abbildung aus Satz 6.3.5; ABC ist das zu betrachtende Dreieck und F BCG ist ein Saccheri-Viereck. 6.3.5 besagt, dass die Winkelsumme
des Dreiecks der Summe der beiden Winkel in F BCG entspricht, die keine rechten Winkel sind. Es gilt also ABC + BCA + CAB = F BC + BCG. Aus 6.3.4 folgt,
dass F BC + BCG < 180◦ , da F BC < 90◦ sowie F BC < 90◦ . Wir erhalten
unmittelbar die Beziehung ABC + BCA + CAB < 180◦ .
Korollar 6.3.7. Die Winkelsumme jedes Vierecks ist kleiner als 360◦ .
Es kann nun gezeigt werden, dass im Hyperbolischen ein Kongruenzsatz gilt, der in
der euklidischen Ebene ungültig ist; während nämlich im Euklidischen zwei Dreiecke
mit gleichen Winkeln zunächst als ähnlich“ bezeichnet werden, da sie nicht unbedingt
”
kongruent sind, folgt im Hyperbolischen aus der Kongruenz dreier Winkel in einem
Dreieck zu den drei Winkeln in einem anderen Dreieck, so sind die Dreiecke kongruent.
Satz 6.3.8 (6. Kongruenzsatz: www“). Aus α ≃ α′ , β ≃ β ′ und γ ≃ γ ′ folgt, dass
”
die Dreiecke ABC und A’B’C’ zueinander kongruent sind.
Beweis. Wir betrachten die beiden Dreiecke ABC und A′ B ′ C ′ . Es gelte nun α :=
CAB ≃ C ′ A′ B ′ =: α′ , β := ABC ≃ A′ B ′ C ′ =: β ′ und γ := BAC ≃
B ′ A′ C ′ =: γ ′ . Wir wollen zeigen, dass dann wenigstens ein Paar korrespondieren-
der Dreiecksseiten kongruent zueinander ist, so dass man unmittelbar wws oder wsw
anwenden kann.
Annahme: Es sei o.B.d.A. CA ≇ C ′ A′ , und o.B.d.A. CA > C ′ A′ . Dann können wir auf
dem von C ausgehenden Strahl durch A nach (K1) einen Punkt A′′ abtragen, so dass
77
CA′′ ∼
= C ′ A′ ; an A′′ kann dann der Winkel α angelegt werden und ein von A′′ ausgehender Strahl unter dem Winkel α, der das Dreieck genau ein weiteres Mal in einem Punkt
B ′′ schneidet. B ′′ liegt zwischen B und C, denn zum Einen kann B ′′ nicht auf AC liegen
(was daran liegt, dass B ′′ auf einer Geraden liegt, die außerdem durch A′′ liegt; A′′ liegt
auf AC, somit kann die Gerade durch die Punkte A′′ und B ′′ die Strecke AC nicht in
einem weiteren Punkt schneiden), und zum Anderen ist A′′ B ′′ parallel zu AB, da die
Winkel α und CA′′ B ′′ := α′′ (den wir ja als α gewählt haben) kongruente Stufenwinkel
sind und nach der Umkehrung des Stufenwinkelsatzes, 6.1.24, die Parallelität der beiden Geraden impliziert. Es folgt die Kongruenz der Winkel α′′ und α′ , und wegen der
vorausgesetzten Beziehung α ≃ α′ ; es ergibt sich außerdem die Kongruenz der Dreiecke
CA′′ B ′′ und C ′ A′ B ′ aufgrund des Kongruenzsatzes wsw.
Abbildung 6.16: Kongruenzsatz www
Nun bilden die Strecken A′′ B ′′ und A′′ A einen Winkel B ′′ A′′ A; dieser ist Nebenwinkel
zu α′′ , und daher gilt α′′ + B ′′ A′′ A = 180◦ . Wegen α′′ ≃ α folgt auch α + B ′′ A′′ A =
180◦ . Nun gilt auch A′′ B ′′ C ≃ A′ B ′ C ′ = β ′ wegen der Kongruenz der Dreiecke
CA′′ B ′′ und A′ B ′ C ′ , und es ergibt sich die Beziehung A′′ B ′′ C ≃ ABC = β, da β ≃ β ′
nach Voraussetzung. A′′ B ′′ C und BA′′ B ′′ sind Nebenwinkel, daher gilt A′′ B ′′ C +
BA′′ B ′′ = 180◦ , und wiederum β + BA′′ B ′′ = 180◦ . Betrachten wir nun das Viereck
ABB ′′ A′′ ; es hat nach den bisherigen Ausführungen eine Winkelsumme von 360◦ . Laut
vorigem Korollar ist dies ein Widerspruch zu unserer Annahme, es folgt CA ∼
= C ′ A′ ,
und hieraus wiederum nach wsw die Kongruenz der Dreiecke ABC und A′ B ′ C.
78
Satz 6.3.9 (Gemeinsames Lot divergierender Parallelen). Sind zwei Geraden ultraparallel, schneiden sich also weder in einem eigentlichen, noch in einem uneigentlichen Punkt,
so besitzen sie ein gemeinsames Lot.
Beweis. Zum Beweis dieses Satzes ist es zweckmäßig, sich auf die im Kapitel Geome”
trie in Schule und Philosophie“ vorgestellte Darstellung zu stützen. Seien S(A, L) und
S(B, M ) zwei ultraparallele Strahlen. Wir bezeichnen sie der Einfachheit halber als Geraden AL und BM . Fällen wir nun von A aus das Lot auf die Gerade BM , so ist die
Behauptung bewiesen falls AB senkrecht ist zu AL.
Abbildung 6.17: Gemeinsames Lot zweier ultraparalleler Geraden
Sei nun AB nicht senkrecht zu AL, so nehmen wir an, L sei auf der Seite von AB, so
dass der Winkel LAB spitz ist. Nach Voraussetzung sind die beiden Geraden weder
parallel, noch schneiden sie sich; daher gibt es einen kleineren Winkel M AB derart,
dass AM parallel ist zu BM . Liegen drei Punkte B, C und D alle auf der Geraden
BM , so können wir auf das Dreieck ACD den Satz über Außenwinkel anwenden, 6.1.9,
anwenden und schließen, dass der Innenwinkel bei D größer ist als der Außenwinkel bei
C. Verschieben wir nun D so, dass die Länge der Strecke BD von 0 bis ∞ wächst, und
infolge dessen DAL von BAL bis M AL abnimmt, dann nimmt DBA von einem
rechten Winkel bis 0 ab.
Zu Beginn des Vorgangs gilt LAD < BDA, da LAB spitz ist; da aber LAM
positiv ist, dreht sich die Ungleichung letztendlich um. Somit muss es eine Zwischenlage
geben, in der gilt: LAD = BDA. Dies lässt sich durch Axiom (S2) einsehen, wobei
79
sich die Punkte auf der Strecke BM einteilen lassen in diejenigen die so liegen, dass für
sie gilt LAD < BDA, also die Punkte auf der Strecke DM , und diejenigen die so
liegen dass für sie gilt LAD > BDA, also die Punkte auf der Strecke BD. D ist
dann also der im Axiom (S2) angesprochene eindeutig bestimmte Punkt, der auf diesen
beiden Strecken liegt deren Endpunkte verschiedenen Teilmengen angehören. Für diesen
Punkt D erhalten wir zwei Dreiecke OEA und ODF , indem wir EF senkrecht zu BD
durch den Mittelpunkt O von AD zeichnen. Da diese Dreiecke kongruent sind, steht EF
nicht nur zu BD, sondern auch zu AL senkrecht.
Schnittpunkte
Nun soll anhand unseres Poincaré-Modells gezeigt werden, dass auch in der hyperbolischen Ebene jede Strecke genau eine Mittelsenkrechte besitzt. Dazu muss diejenige
Gerade gefunden werden, an der gespiegelt werden muss so dass alle Punkte, die auf der
Strecke liegen, auf Punkte der Strecke abgebildet werden.
Satz 6.3.10. Zu jeder Strecke z1 z2 gibt es genau eine Gerade m mit σm (z1 ) = z2 und
σm (z2 ) = z1 .
Beweis.
1. Fall: Imz1 = Imz2 .
Sei z1 = x1 + i · y1 und z2 = x2 + i · y2 . Die Mittelsenkrechte wird gefunden, indem
man z1 und z2 auf euklidische Art, also mittels einer geraden Linie, verbindet, und
eine dazu orthogonale Gerade konstruiert.
Abbildung 6.18: Mittelsenkrechte der Strecke z1 z2 , mit Imz1 = Imz2
80
In diesem Fall, wenn also z1 und z2 auf einer Höhe liegen, entspricht die Spiegelachse einer Halbgeraden m, die senkrecht auf der reellen Achse steht; also m ∈ G1 .
Es ist m : Rez =
x1 +x2
2 ;
σm entspricht also einer euklidischen Geradenspiegelung.
Es handelt
sich um eine gebrochen rationale Funktion mit zugehöriger Matrix

−1 x1 + x2
.
A=
0
1
2. Fall: Imz1 6= Imz2 .
z1 und z2 liegen auf der hyperbolischen Geraden g. Sie werden außerdem wiederum
auf euklidische Weise verbunden; die euklidische Gerade durch z1 und z2 schneidet
die reelle Achse im Punkt x. Von x aus wird die euklidische Tangente an den
Halbkreis gelegt, auf dem die Punkte z1 und z2 liegen; der Schnittpunkt ist mz1 z2 .
Abbildung 6.19: Mittelsenkrechte der Strecke z1 z2 , mit Imz1 6= Imz2
Die hyperbolische Gerade m aus G2 , also der Halbkreis mit Mittelpunkt x und
Radius mz1 z2 ist die Mittelsenkrechte zu z1 und z2 , denn Inversion an m bildet
die hyperbolische Gerade g auf sicher selber ab; da z1 , z2 und der Inversionspol
x auf einer euklidischen Geraden liegen, werden sie bei Inversion an m auf sich
selbst abgebildet.3 Hier entspricht σm also einer Inversion mit Inversionspol x und
Inversionsradius mz1 z2 .
3
Dies kann durch nähere Betrachtung von Inversionen am Kreis bewiesen werden; auf diese soll hier
jedoch, wie auch schon zuvor, verzichtet werden.
81
Der Satz über den Schnittpunkt der Mittelsenkrechten gilt im hyperbolischen in abgewandelter Form:
Satz 6.3.11. Schneiden sich zwei der drei Mittelsenkrechten in einem eigentlichen“
”
Punkt, so geht auch die dritte Mittelsenkrechte durch diesen Punkt. Sind zwei der Mittelsenkrechten divergent, so haben alle drei eine gemeinsame mittelsenkrechte Gerade.
Sind zwei der Mittelsenkrechten asymptotisch parallel, so ist auch die dritte Mittelsenkrechte asymptotisch parallel zu den anderen beiden.
Beweis. Betrachtet wird das Dreieck z1 z2 z3 ; a1 , a2 , a3 sind die Mittelpunkte der Strecken
z1 z2 , z2 z3 , z1 z3 respektive und m, l, n die entsprechenden Mittelsenkrechten.
1. Fall: l und m schneiden sich in einem Punkt.
Dann sei σ1 die Spiegelung für die gilt σ1 (z1 ) = z2 und σ1 (z2 ) = z1 , σ2 die
Spiegelung für die gilt σ2 (z2 ) = z3 und σ2 (z3 ) = z2 und σ3 die Spiegelung für
die gilt σ3 (z1 ) = z3 und σ1 (z3 ) = z1 . l und m schneiden sich in x, daher ist
σ1 (x) = σ2 (x) = x.
Zu zeigen ist, dass auch σ3 (x) = x.
Wir betrachten die Dreiecke z1 a1 x und a1 z2 x. Es ist z1 a1 ∼
= a1 z2 (da a1 der Mittelpunkt zwischen z1 und z2 ist), außerdem z1 a1 x ≃ xa1 z2 , und beide Dreiecke
haben die Strecke a1 x gemeinsam. Daher sind die beiden Dreiecke kongruent zueinander nach Kongruenzsatz sws“, und es folgt z1 x ∼
= xz2 .
”
Abbildung 6.20: Die Mittelsenkrechten treffen sich in einem Punkt
82
Analog sind auch die Dreiecke xz2 a2 und a2 z3 x kongruent zueinander und es folgt
xz2 ∼
= xz3 . Da die Streckenkongruenz nach Axiom (K3) transitiv ist, ist also auch
xz1 ∼
= xz3 ; damit gibt es nach der Definition von Streckenkongruenz in der hyperbolischen Ebene eine Abbildung ϕ mit ϕ(x) = x und ϕ(z1 ) = z3 .
Es gilt nun z1 a3 ∼
= xz3 , daher sind die beiden Dreiecke z1 xa3
= z3 a3 und xz1 ∼
und xz3 a3 kongruent nach dem Kongruenzsatz sss, denn die Seite xa3 haben beide
Dreiecke gemeinsam. Somit ist xa3 z1 ≃ z3 a3 x, was soviel heißt wie dass es eine
Abbildung σ gibt, für die gilt σ(a3 ) = a3 und σ(x) ∈ S(a3 , z3 ) und σ(z1 ) ∈ S(a3 , x)
oder σ(z1 ) ∈ S(x, z3 ) und σ(x) ∈ S(a3 , x). Wegen a3 z1 ∼
= a3 z3 ist der Punkt σ(z1 )
nach Axiom (K1) auf dem Strahl S(a3 , z3 ) eindeutig bestimmt, und zwar so, dass
gilt σ(z1 ) = z3 . Auch der Punkt σ(x) auf dem Strahl S(a3 , x) ist eindeutig bestimmt, da die Strecke a3 x den zwei kongruenten Dreiecken angehört; es gilt offensichtlich wegen σ(a3 ) = a3 dass σ(x) = x. Somit ist schlussendlich σ = σ3 (da z1
durch σ auf z3 abgebildet wird und damit der Voraussetzung für unsere gesuchte
Spiegelung enspricht), und es ist σ3 (x) = x.
2. Fall: l und m sind ultraparallel.
Das bedeutet zunächst, dass sie ein gemeinsames Lot p haben. Es ist zu zeigen,
dass p auch orthogonal ist zu n. Dazu fälle man die Lote z1 z1′ , z2 z2′ und z3 z3′ von
z1 , z2 , z3 aus auf p.
Mittelpunkt der Strecke z1 z2 ist a1 ; die Mittelsenkrechte m trifft im Punkt a′1 auf p;
entsprechend trifft die Mittelsenkrechte l der Strecke z2 z3 im Punkt a2 auf z2 z3 und
in a′2 auf p. Es gilt z1 a1 ∼
= a1 z2 ; die Winkel z1 a1 a′1 und z2 a1 a′1 sind kongruent
(jeweils ein rechter Winkel) da a1 a′1 die Mittelsenkrechte ist zu z1 z2 , somit sind
nach (K6) die Dreiecke z1 a1 a′1 und z2 a1 a′1 kongruent zueinander. Es folgen die
Beziehungen z1 a′1 ∼
= z2 a′1 und z1 a′1 a1 ≃ z2 a′1 a1 . Hieraus wiederum ergibt sich
(durch Subtraktion des Winkels z1 a′1 a1 bzw. z2 a′1 a1 von dem 90◦ -Winkel, den
die Strecke a1 a′1 mit p bildet) das Verhältnis z1 a′1 z1′ ≃ z2 a′1 z2′ , und nach dem
Kongruenzsatz wws sind die Dreiecke z1 a′1 z1′ und z2 a′1 z2′ kongruent zueinander. Es
folgt z1 z1′ ∼
= z2 z2′ .
Mittels selbiger Argumentation über a2 und a′2 erhält man z2 z2′ ∼
= z3 z3′ .
83
Abbildung 6.21: Gemeinsames Lot der Mittelsenkrechten eines hyperbolischen Dreiecks
Nun liegt mit z1 z3 z3′ z1′ ein Sacchari-Viereck vor, mit Oberseite z1 z3 und Grundseite
z1′ z3′ ; Satz 6.3.2 liefert, dass die Gerade n durch die Mittelpunkte von z1 z3 und z1′ z3′
ist senkrecht zu z1 z3 und z1′ z3′ .
Es ist also n, die Mittelsenkrechte von z1 z3 senkrecht zu p und somit ultraparallel
zu l und m.
3. Fall: m und l sind asymptotisch parallel.
Somit treffen sich m und l in einem uneigentlichen Punkt z. Es ist zu zeigen, dass
auch n durch z geht, damit also asyptotisch parallel zu m und l ist.
Offensichtlich kann n weder l noch m in einem eigentlichen Punkt treffen, denn
das würde uns wieder zu Fall 1 zurückführen und l und m müssten sich ebenfalls
in diesem Punkt treffen. Ebenso kann n weder zu l noch zu m ultraparallel sein,
sonst wären wir wieder bei Fall 2 angelangt und m und l wären auch ultraparallel.
Es bleiben zwei Möglichkeiten für die Lage von n übrig: entweder trifft n die
beiden anderen Mittelsenkrechten im uneigentlichen Punkt z, oder n trifft m und
l an deren jeweils anderen Enden“, d.h. die drei Mittelsenkrechten würden sich
”
in drei unterschiedlichen uneigentlichen Punkten treffen und somit ein dreifach
asymtotisches Dreieck bilden.
Wir wollen zeigen, dass dieser letzte Fall nicht eintreten kann.
Dazu betrachten wir ein Dreieck mit drei uneigentlichen Eckpunkten, zm , zl , zn und
zeigen, dass es keine Gerade gibt, die alle drei Seiten dieses Dreiecks schneidet. Sei
84
szm z.B. eine Gerade, die zm zn in s schneidet und zn zl in t. Verbinde t mit zm
und verlängere diese Gerade zu einem Punkt r. Nun liegt st innerhalb der Winkel
zn tzm und rtzl , ist daher ultraparallel zu zm zl und kann letztere Seite somit nicht
schneiden.
Als nächstes zeigen wir, dass es immer mindestens eine Gerade gibt, die alle drei
Mittelsenkrechten eines nicht asymptotischen Dreiecks schneidet. Sei α ≥ β und
α ≥ γ. Konstruiere einen Punkt u auf z2 z3 , so dass gilt β = z2 z1 u und v auf
z2 z3 , so dass γ = z3 z1 v. Betrachten wir nun die Dreiecke z2 a1 u und z3 a3 v (a1
und a3 sind die Mittelpunkte der Strecken z1 z2 und z1 z3 respektive), so sind diese
kongruent zueinander nach Kongruenzsatz wsw, und wir stellen fest dass u auf
der Mittelsenkrechten von z1 z2 liegt und v auf der Mittelsenkrechten von z1 z3 .
Es folgt, dass die Strecke z2 z3 alle drei Mittelsenkrechten des Dreiecks schneidet,
nämlich in den Punkten u, v und a2 (a2 ist der Mittelpunkt der Strecke z2 z3 .
Schlussendlich folgt, dass die Mittelsenkrechten eines Dreiecks mit drei eigentlichen
Punkten kein Dreieck mit drei uneigentlichen Punkten bilden kann. [Eve95]
Abbildung 6.22: Asymptotisch parallele Mittelsenkrechten eines hyperbolischen Dreiecks
Auch für die Höhen in einem hyperbolischen Dreieck gilt der Schnittpunktsatz der euklidischen Geometrie in abgewandelter Form:
Satz 6.3.12. Treffen sich zwei der drei Höhen eines hyperbolischen Dreiecks in einem
”
eigentlichen“ Punkt, so geht auch die dritte Höhe durch diesen Punkt. Sind zwei der
85
Höhen asymptotisch parallel, treffen sie sich also in einem uneigentlichen“ Punkt, so
”
geht auch die dritte Höhe durch diesen Punkt. Sind zwei der drei Höhen ultraparallel,
haben sie also eine gemeinsame Senkrechte, so ist auch die dritte Höhe ultraparallel zu
den beiden und teilt die gemeinsame Senkrechte.
86
7 Konstruktionen im Poincaré-Modell
Gerade, die durch zwei Punkte gegeben ist
1. Die Punkte z1 und z2 liegen vertikal übereinander (haben also, mittels Koordinaten ausgedrückt, denselben x-Wert).
Die Verbindungslinie zwischen beiden ist dann einfach die euklidische Halbgerade, die A und B miteinander verbindet und senkrecht auf der das Modell unten
abschließenden Achse (x-Achse).
2. Die Punkte z1′ und z2′ liegen nicht genau übereinander (haben also unterschiedliche
x-Werte).
Zunächst zeichne die euklidische Strecke z1′ z2′ , und die euklidische Mittelsenkrechte
p zu z1′ z2′ . p trifft die x-Achse in zm ; die z1′ und z2′ verbindende Gerade ist nun der
Halbkreis mit Mittelpunkt M und Radius zm z1′ (oder zm z2′ ).
Abbildung 7.1: Konstruktion von Geraden
87
Lot von einem Punkt aus auf eine Gerade
1. Fall: Die Gerade l ist eine euklidische Halbgerade.
Von dem Punkt z1 aus soll das Lot p auf l gefällt werden. Die Gerade l trifft die
x-Achse im Punkt zp ; zeichne den Halbkreis mit Mittelpunkt zp und Radius zp z1 ,
dabei handelt es sich um das Lot von z1 aus auf l. In diesem Fall ist es egal, ob
der Punkt z1 auf l liegt oder nicht. (Zur Erinnerung: Schneidet eine euklidische
Halbgerade, z.B. l, einen euklidischen Halbkreis p, so wird der Winkel gemessen
indem man am Schnittpunkt von l und p die Tangente zu p konstruiert und misst
den Winkel, den l mit der Tangenten bildet (in diesem Fall einen rechten).)
2. Fall: Die Gerade l′ ist ein euklidischer Halbkreis; das Lot p′ soll von dem auf l′
liegenden Punkt z1′ aus auf l′ gefällt werden.
Man zeichne die euklidische Tangente n an l′ , wobei n l′ im Punkt z1′ berührt. n
trifft die x-Achse im Punkt zp′ ; das Lot p′ ist der euklidische Halbkreis um zp′ mit
Radius zp′ z1′ . (Wie oben wird der Winkel den die beiden Halbkreise miteinander
bilden (der hier wiederum ein rechter sein soll) anhand der Tangenten gemessen.)
Abbildung 7.2: Konstruktion von Loten, Fälle 1 und 2
3. Fall: Die Gerade l′′ ist ein euklidischer Halbkreis; das Lot p′′ wird von dem nicht
auf l′′ liegenden Punkt z1′′ aus auf l′′ gefällt.
Hierzu muss zunächst eine Kreisspiegelung vorgenommen werden: man spiegelt den
Punkt z1′′ am Halbkreis l′′ und erhält als Spiegelpunkt z1′′′ . Nun konstruiert man
88
′′ . Als
die Mittelsenkrechte n′ zur Strecke z1′′ z1′′′ ; n′ trifft die x-Achse im Punkt zm
′′ und Radius z ′′ z ′′ ; p′′ ist
letztes zeichnet man den Halbkreis p′′ mit Mittelpunkt zm
m 1
das gesuchte Lot. (z1′′′ ist der an l′′ gespiegelte Bildpunkt von z1′′ , und beide Punkte
liegen auf p′′ ; p′′ wird also durch Spiegelung an l′′ auf sich selbst abgebildet und
ist somit orthogonal zu l′′ .)
Abbildung 7.3: Konstruktion von Loten, Fall 3
Mittelpunkt und Mittelsenkrechte
1. Fall: Die Punkte z1 und z2 liegen auf gleicher Höhe; zu konstruieren ist der Mittelpunkt zm der Strecke z1 z2 und die Mittelsenkrechte p dazu.
Es ist lediglich die euklidische Strecke z1 z2 zu zeichnen, und hierzu die euklidische
Mittelsenkrechte; diese ist dann eine hyperbolische Halbgerade und die Mittelsenkrechte p zum hyperbolischen Geradenabschnitt z1 z2 , und p trifft z1 z2 im Punkt zm .
2. Fall: Die Punkte z1′ und z2′ liegen nicht auf gleicher Höhe. Es soll der Mittelpunkt
′ des Segments z ′ z ′ und die zugehörige Mittelsenkrechte p′ gefunden werden.
zm
1 2
z1′ und z2′ liegen auf der hyperbolischen Geraden l; man zeichne zusätzlich die
euklidische Gerade n, die durch z1′ und z2′ gegeben ist und die x-Achse im Punkt zx
trifft. Nun konstruiere man das Lot p′ auf l, welches ein euklidischer Halbkreis mit
Mittelpunkt zx ist, indem man zunächst die Tangente t an das Kreissegment z1′ z2′
durch zx anlegt und dann einen euklidischen Halbkreis p′ durch den Berührpunkt
89
′ .
zt mit Mittelpunkt zx . Der Punkt zt entspricht dem gesuchten Mittelpunkt zm
Durch Inversion an p′ wird l auf sich selbst abgebildet; da z1′ und z2′ auf l liegen
und zugleich auf der selben euklidischen Geraden wie zx′ , werden sie aufeinander
abgebildet. Somit ist p′ die Mittelsenkrechte des Kreissegments z1′ z2′ .
Abbildung 7.4: Konstruktion von Mittelpunkt und Mittelsenkrechte
Winkelhalbierende
1. Fall: Die Punkte z1 , z2 , z3 bilden einen Winkel z1 z2 z3 ; zu diesem soll die Winkelhalbierende w konstruiert werden. Dabei liegen o.B.d.A. z1 und z2 auf einer
euklidischen Halbgerade, und z1 ist o.B.d.A. oberhalb von z2 . z3 liegt also nicht
auf der Geraden durch z1 und z2 , da sonst der Winkel 0 wäre; so aber ist z.B. die
Gerade durch die Punkte z2 und z3 zu konstruieren, welche im Punkt zw auf die
x-Achse trifft. Der euklidische Halbkreis mit Mittelpunkt zw und Radius zw z2 ist
die Winkelhalbierende w des Winkels z1 z2 z3 , denn Inversion an w bildet z2 z1 auf
z2 z3 ab und andersrum.
2. Fall: Die Punkte z1′ z2′ z3′ bilden einen Winkel z1′ z2′ z3′ ; die Punkte z1′ , z2′ , z3′ haben
alle paarweise unterschiedliche x-Werte (liegen also nicht auf einer gemeinsamen
euklidischen Halbgerade). Zeichne die euklidische Halbgerade b durch den Punkt
z2′ und wähle einen beliebigen Punkt zb auf b. Zeichne nun den euklidischen Kreis
d um zb orthogonal zum euklidischen Halbkreis durch die Punkte z2′ und z3′ .1 d
1
Kreise in der hyperbolischen Ebene sind nicht Teil dieser Arbeit; hier soll der Kreis auch nur zur
90
schneidet die Geraden durch z2′ , z1′ und z2′ , z3′ jeweils in den Punkten ze und zf .
Zeichne die euklidische Gerade e durch ze und zf . e trifft auf die x-Achse im Punkt
′ ; die Gerade w ′ orthogonal zu d mit Mittelpunkt z ′ ist die Winkelhalbierende
zw
w
des Winkels z1′ z2′ z3′ . d ist orthogonal sowohl zu z1′ z2′ als auch zu z2′ z3′ ; da außerdem w′ orthogonal ist zu d, werden ze und zf (die beide auf der euklidischen
′ liegen) durch Inversion an w ′ aufeinander abgebildet. Da SpieGeraden durch zw
gelung Winkel erhält, werden die Strahlen z2′ z1′ und z2′ z3′ bei Spiegelung an w′
aufeinander abgebildet. Somit bleibt z2′ bei Spiegelung an w′ fest und w′ ist die
Winkelhalbierende des Winkels z1′ z2′ z3′ .
Abbildung 7.5: Konstruktion von Winkelhalbierenden
Gemeinsames Lot ultraparalleler Geraden
1. Fall: Die hyperbolischen Geraden m und l liegen ultraparallel zueinander; dabei
ist o.B.d.A. l eine euklidische Halbgerade, m sei ein euklidischer Halbkreis. Wir
wollen das gemeinsame Lot p konstruieren.
l trifft im Punkt zl auf die x-Achse. Wir zeichnen einen Halbkreis mit Mittelpunkt
zl orthogonal zu m; dieser ist das gewünschte Lot zu l und m.
Konstruktionshilfe dienen.
91
Abbildung 7.6: Gemeinsames Lot ultraparalleler Geraden
2. Fall: Sowohl l′ als auch m′ sind euklidische Halbkreise. Das gemeinsame Lot p′
erhalten wir, indem wir einen beliebigen Kreis d oberhalb der x-Achse zeichnen,
der l′ und m′ jeweils zweimal schneidet, und zwar in den Punkten za , zb und zc , zd .
Nun zeichnen wir die Gerade n durch za und zb , und die Gerade q durch zc und zd .
n und q schneiden sich im Punkt ze . Wir zeichnen eine eulidische Gerade r durch
ze orthogonal zur x-Achse; r schneidet die x-Achse im Punkt zr . Das gesuchte
Lot p erhalten wir, indem wir einen Halbkreis mit Mittelpunkt zr orthogonal zu l′
konstruieren.
Abbildung 7.7: Gemeinsames Lot
92
8 Schlussbetrachtung
Ziel dieser Arbeit war es, sowohl das euklidische als auch das hyperbolische Axiomensystem vorzustellen, und verschiedene, uns aus der euklidischen Geometrie bekannte Sätze,
im Bereich der Dreiecksgeometrie daraufhin zu untersuchen, ob sie auch in der hyperbolische Ebene ihre Gültigkeit erhalten. Der augenscheinliche Unterschied der Axiomensysteme besteht darin, dass im hyperbolischen die Umkehrung des euklidischen Parallelenaxioms gilt; dies hat zur Folge, dass es in der hyperbolischen Ebene zu einer Geraden
nicht wie im euklidischen genau eine Parallele durch einen nicht auf dieser Geraden liegenden Punkt gibt, sondern unendlich viele. Da abgesehen vom Parallelenaxiom in beiden Systemen genau die gleichen Axiome gelten, ist es leicht einzusehen, dass sämtliche
Dreieckseigenschaften, bei deren Beweis das Parallelenaxiom nicht herangezogen werden
muss, auch in beiden Ebenen gelten. Diese Eigenschaften ordnet man der absoluten Geometrie zu.
Interessant wird es genau dann, wenn Sätze im Euklidischen nur mittels des Parallelenaxioms bewiesen werden können; offensichtlich können diese im Hyperbolischen nicht
einfach übernommen werden. Leichte Abwandlungen können teilweise jedoch schon ausreichen, um einen ähnlichen Satz wie im Euklidischen auch für das Hyperbolische zu
erhalten. Andererseits gelten aber auch Sätze in der hyperbolischen Ebene, die in der
euklidischen Ebene nicht wahr sind.
Augenmerk soll an dieser Stelle auch nochmals auf die verwendete Methodik gelegt werden. Es erfordert durchaus zunächst etwas Willensanstrengung, sich von der Anschaulichkeit der Geometrie zu verabschieden und zu akzeptieren, dass die Sätze der Geometrie
nicht aus der Anschauung, sondern nach logischen Regeln aus den Axiomen abgeleitet
”
werden sollen.“ [Fil93] Die Frage, ob dabei nicht der Bezug zur Realität verloren gehen
kann, ist nicht uninteressant: so entstand die nichteuklidische Geometrie nicht etwa aus
praktischen Bedürfnissen, sondern daraus, dass sich Mathematiker fortwährend mit dem
euklidischen System beschäftigten. Die außermathematische Verwendbarkeit der nichteuklidischen Geometrie entdeckte man erst später. In der Frage nach dem Bezug zur
93
Realität hängt die Antwort mehr oder weniger vom Auge des Betrachters ab - der forschende Mathematiker hat natürlich zunächst Interesse daran, Wege zu gehen die es so
noch nicht gibt und dabei zunächst nicht zu beachten, ob ein praktischer Nutzen gegeben
ist. Für den alltäglicheren Gebrauch ist es jedoch ein leichtes, sich das Axiomensystem
eben unter der Bedingung zu wählen, dass es den Gegebenheiten des realen Raumes
nicht widerspricht, und dass die aus der Anschauung bekannten geometrischen Sätze
mittels der Axiome abgeleitet werden können.
Glücklicherweise fanden die Mathematiker Beltrami, Klein und Poincaré einen Weg,
auch die hyperbolische Geometrie anhand verschiedener Modelle anschaulich darzustellen; dies erleichtert den Denkaufwand erheblich. Mithilfe dieser Modelle könnte man nun
auch die analytische bzw. algebraische Herangehensweise einleiten, und entsprechende
Abstandsfunktionen einführen, die in den jeweiligen Modellen gelten, die hyperbolische
Trigonometrie erläutern und sämtliche dazugehörigen Rechenregeln; kurz, man könnte
dazu übergehen, die hyperbolische Geometrie in Gleichungen und Formeln zu fassen.
Hierzu gibt es jede Menge Literatur; weiter soll hier auf die analytische Untersuchung
der hyperbolischen Ebene nicht eingegangen werden.
Verlässt man nun den Bereich der Dreiecke und weitet zudem die hyperbolische Ebene
zum hyperbolischen Raum aus, so steht man immer noch erst am Beginn der hochinteressanten Frage, welche Bedeutung die hyperbolische, allgemeiner noch: die nichteuklidische Geometrie für den Anschauungsraum unserer Welt hat. In dieser Hinsicht
ist es nämlich auch überaus reizvoll, den Begriff Hyperbolische Geometrie“ schon in
”
Schülerköpfen einzupflanzen; so ist nach Einstein und der allgemeinen Relativitätstheorie
der wirkliche“ Raum eben nicht euklidisch. Er ist gekrümmt sowie höher dimensional als
”
eine Beschreibung mithilfe euklidischer Geometrie noch möglich ist. Nach wie vor erfüllt
die euklidische Geometrie treue Dienste zur Beschreibung unserer nahen räumlichen
Umwelt, und wird hierfür sicherlich unersetzlich bleiben. Doch bei der Betrachtung sehr
großer sowie winzig kleiner Bereiche ist die Theorie falsch. Schülern das begreiflich zu
machen, würde unweigerlich in vielen starkes Interesse wecken; bekommen sie doch sonst
eher den Eindruck, in der Geometrie wäre bereits alles erkannt und ausgewertet worden.
Ein gehöriger Ansporn, der möglicherweise niemals erfüllt werden wird, könnte sein, eine allgemeine Geometrie zu finden, die Lösung zu sämtlichen geometrischen Problemen
bietet.
94
9 Anhang
9.1 Umkehrung des Parallelenaxioms
Unter der Voraussetzung dass das Parallelenaxiom gilt, lässt sich die Umkehrung desselben ohne weiteres beweisen. Eine alternative Formulierung des Axioms besagt ja, dass
die Winkelsumme im Dreieck gleich zwei Rechten ist. Somit lässt sich an einem Dreieck
ABS mit der Spitze bei S sofort ablesen:
α + β < 2R.
(9.1)
Abbildung 9.1: Umkehrung des Parallelenpostulats
[Mes64]
Uns geht es nun aber darum, auch ohne die Voraussetzung dass die Winkelsumme im
Dreieck 180◦ beträgt zu beweisen, dass α + β = 2R nicht gelten kann (womit dann
unmittelbar auch folgt, dass α + β > 2R erst recht nicht gelten wird); dann nämlich
haben wir gezeigt, dass die Umkehrung des Parallelenpostulats aus den vorangegangenen
Axiomen/Postulaten gefolgert werden kann.
Nochmal die zu beweisende Aussage:
95
Satz 9.1.1. Werden zwei sich schneidende Geraden (in der Abbildung 9.1 die Geraden
g1 und g2 ) von einer dritten getroffen (g3 ), so bildet die dritte Gerade mit den beiden
anderen innere Winkel (α und β), die zusammen kleiner sind als zwei Rechte.
Beweis. Betrachten wir das Dreieck in der Abbildung 9.1. Wir müssen zeigen, dass wenn
α + β = 2R oder β = α1 , dann können die Geraden g1 und g2 einander nicht schneiden.
Wir nehmen also an, g1 und g2 schneiden sich in S, und es gilt zudem α + β = 2R,
β = α1 . Zum Widerspruch wird diese Annahme, indem man zunächst den Mittelpunkt
M der Strecke AB, wobei A und B die Schnittpunkte der Gerade g3 mit g1 und g2
sind, ermittelt, und von M aus die Lote auf die Geraden g1 und g2 fällt. Man erhält
kongruente Dreiecke mit den Eckpunkten A, B, M und den jeweiligen Fußpunkten der
Lote. Wegen der Gleichheit der Winkel in kongruenten Dreiecken würde sich ergeben,
dass die Fußpunkte der Lote und M alle auf einer Geraden liegen müssen, was bedeuten
würde dass g1 und g2 zwei verschiedene, von S aus auf besagte Gerade gefällte Lote
wären; es lässt sich aber zeigen, dass von einem Punkt aus nur genau ein Lot auf eine
Gerade gefällt werden kann.
Abbildung 9.2: Abbildung nach Meschkowski
[Mes64]
96
9.2 Äquivalenzumformungen zum Beweis von (I1)
Wir betrachten g = {z ∈ H : |z − x| = r}, x ∈ R, r > 0}. Dann ist
z1 , z2 ∈ g ⇒ r2 = |z1 − x|2 = |z2 − x|2
|z1 − x|2 = |z2 − x|2 ⇔ (Re z1 − x)2 + (Im z1 )2 = (Re z2 − x)2 + (Im z2 )2
⇔ (Re z1 )2 − 2x Re z1 + x2 + (Im z1 )2 = (Re z2 )2 − 2x Re z2 + x2 + (Im z2 )2
⇔ (Re z1 )2 + (Im z1 )2 − (Re z2 )2 − (Im z2 )2 = 2x(Re z1 − Re z2 )
|z1 |2 − |z2 |2
⇔x=
2(Re z1 − Re z2 )
9.3 Spiegelung an der imaginären Achse in der oberen
komplexen Halbebene
Sei σ : H → H,
z 7→ −z die Spiegelung an der imaginären Achse. Dann gilt
(a) Sind z1 , z2 ∈ H, so sind die Strecken z1 z2 und σ(z1 )σ(z2 ) kongruent.
Beweis. trivial: Sei o.B.d.A. (Proposition 29.3, Knörrer) z1 = i und z2 = it mit t ∈
[1, ∞[. Dann ist σ(i) = i und σ(it) = it; die Kongruenz ist offensichtlich.
(b) Sind z1 , z2 , z3 drei Punkte aus H, die nicht auf einer Geraden liegen, so ist
z2 z1 z3 ≃ σ(z2 )σ(z1 )σ(z3 ).
Beweis. Wiederum betrachten wir z1 = σ(z1 ) = i und z3 = σ(z3 ) = it. Wegen Knörrers
Proposition 29.3 gilt dann σ(S(z1 , z2 )) = S(σ(z1 )σ(z2 )) und σ(S(z3 , z2 )) = S(σ(z3 )σ(z2 ));
nach der Definition der Kongruenz von Winkeln folgt unmittelbar, dass
z2 z1 z3 ≃ σ(z2 )σ(z1 )σ(z3 ).
97
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