AUTONOMES LERNEN "Autonomes Lernen" definieren - 5 häufige Verwendungen des Begriffs Der Begriff "Autonomes Lernen" wird oft sehr unterschiedlich verwendet, es können folgende fünf Verwendungsmöglichkeiten und Sichtweisen beobachtet werden: 1. Autonomes Lernen sind... Situationen, in denen Lernende völlig selbstständig lernen 2. Autonomes Lernen ist... ein Bündel von Fertigkeiten, die erlernt und angewendet werden können 3. Autonomes Lernen ist... eine angeborene Fähigkeit (die in der Folge oft von Bildungsinstitutionen unterdrückt wird) 4. Autonomes Lernen ist... das Übernehmen von Verantwortung für das eigene Lernen 5. Autonomes Lernen ist... das Recht der Lernenden, die Richtung des eigenen Lernens zu bestimmen Von autonomem Lernen sprechen wir, wenn Lernende die zentralen Entscheidungen über ihr Lernen selbst treffen. Autonome Lernende entscheiden z.B. selbst: - dass sie lernen wollen, - wie sie beim Lernen vorgehen, - welche Materialien und welche Hilfsmittel sie zum Lernen verwenden, - welche Lernstrategien sie einsetzen, - ob sie allein oder mit anderen lernen, - wie sie ihre Lernzeit einteilen, - wie sie kontrollieren, ob sie erfolgreich gelernt haben. Die Lernenden selber sind es also, die ihr Lernen initiieren, es steuern und organisieren und es evaluieren. Eine Einschränkung des autonomen Lernens besteht darin, dass wir im Deutschunterricht an bestimmte Lehrziele – sei es durch Lehrpläne, Schulbücher oder andere Vorgaben – gebunden sind. Das bedeutet, dass keine absolute Beliebigkeit besteht. Wir können und wollen die Lernenden in unserem Unterricht auf das autonome Lernen vorbereiten und ihnen dazu die notwendigen Hilfen geben. Die Lernstrategien stellen die wichtigste Voraussetzung dafür dar. Diese enge Verknüpfung von Lernerautonomie und Lernstrategien stellt das Lernen lernen in den Mittelpunkt und gibt Anregungen für das Training von Lernstrategien, um letzlich die Autonomie der Lernenden aufzubauen und auszubauen. Eine Möglichkeit des autonomen Lernens ist auch das Sprachenlernen im Tandem. Voraussetzung hierfür sind zumindest Grundkenntnisse in Ihrer Zielsprache. Beim Sprachenlernen im Tandem arbeiten zwei Personen mit unterschiedlichen Mutter- bzw. Ausgangssprachen zusammen, um mit- und voneinander zu lernen. Unabhängig bzw. auch als Ergänzung zum Sprachunterricht können Sie mit einer Person zusammenarbeiten, deren Muttersprache Ihre Zielsprache ist und die wiederum Ihre Muttersprache lernt. Sie könnten z.B. mit Ihrem Tandempartner vereinbaren, sich 2 Stunden pro Woche zu treffen und jeweils 1 Stunde in jeder Sprache zu arbeiten. Das autonome Lernen ist in den 90ern oftmals zum Schlagwort reduziert worden, indem es oft mit anderen Konzepten verwechselt wurde. Little versucht eine Abgrenzung, indem er auflistet, was das autonome Lernen nicht ist: - es ist kein Synonym für Selbststudium, oder jegliches Lernen ohne LehrerIn; - autonomes Lernen bedeutet nicht einen Laisser faire Stil, sondern ein langsames Übernehmen von Verantwortung durch die Lernenden, die dies aber gemeinsam mit der Unterrichtenden erarbeiten; - autonomes Lernen ist keine Methode; - autonomes Lernen ist kein Muster, das einfach übernommen werden kann Im schulischen Kontext sind Formen wie das offene Lernen oder das Stationenlernen Beispiele für die Umsetzung des Konzepts der Autonomie. Was versteht man unter autonomen Lernen? Politische, biologische, philosophische Wurzeln Autonomes Lemen ist nicht nur einfach eine Modeerscheinung im Fremdsprachenunterricht, die bald wieder vorübergehen wird. Konzepte von Lernerautonomie sind sowohl in der Philosophie des Humanismus wie in allgemein gesellschaftlichen Idealen der Gedanken- und Handlungsfreiheit verwurzelt. Neuere Erkenntnisse aus der Neurophysiologie (wie Informationen - dazu gehört die Sprache - aufgenommen, verarbeitet und behalten werden) und Impulse aus der Philosophie, besonders von den Konstruktivisten, haben die pädagogische Diskussion beeinflusst und einen "erkenntnistheoretischen Wandel" eingeleitet: Lernen ist ein aktiver Prozess, den die Lernenden selbst gestalten und verantworten, die Rolle der Lehrenden kann nicht mehr die der Belehrenden und Wissen Vermittelnden sein . In der Pädagogik basiert Lernerautonomie auf Prinzipien, die schon in der Mitte des 18.Jahrhunderts beschrieben und dann weiter entwickelt wurden (Reformpädagogik, John Dewey, Célestin Freinet, Maria Montessori, Paulo Freire usw.). Autonomes Fremdsprachenlernen ist keine Methode, schon gar keine einheitliche, es hat "ganz unterschiedliche Gesichter". In den verschiedensten Definitionen finden sich folgende Ansprüche an die Lernenden: - "die Fähigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen und weniger gesagt zu bekommen, was man zu tun hat" (Collins Cobuild 1987), - "der Wille und die Fähigkeit, Verantwortung des eigenen Lernens zu übernehmen" (Holec 1981), - "die Fähigkeit zur kritischen Reflexion, zum Fällen von Entscheidungen und zu unabhängigen Handlungsmöglichkeiten" (Little 1991). Um diese Fähigkeiten zu erwerben, eignen sich besonders kognitive Lernstrategien, wie den eigenen Lernprozess zu gestalten (to shape), den eigenen Lernprozess zu überwachen (to monitor), den eigenen Lernprozess auszuwerten (to evaluate). Damit wird ein weiterer wesentlicher Punkt des autonomen Lernens angesprochen: Es geht um eine analytische Sicht auf das Lernen und den Prozess des Lernens, und diese Sicht muss erlernt werden. Die Aufgabe der Unterrichtenden besteht darin, dies zu initiieren und zu vermitteln, also explizit zu machen. Als Synonym für autonomes Lernen wird oft der Begriff selbst gesteuertes Lernen verwendet. Bei beiden Lernformen wird der Lernzugang und die Lernorganisation selbst bestimmt. Little sieht den Unterschied darin, dass beim selbst gesteuerten Lernen der Lerner normalerweise allein arbeitet. Dieser Unterschied ist von Bedeutung: Beim autonomen Lernen spielt die Zusammenarbeit, die Kooperation mit anderen Lernenden eine wesentliche Rolle, besonders in der Theorie des Konstruktivismus. Übertragen auf die Lernstrategie Auswertung des eigenen Lernens bedeutet das, die Auswertung nicht nur individuell vorzunehmen, sondern den eigenen Weg mit den Wegen anderer Lernenden zu vergleichen, zu überdenken und eventuell zu revidieren - d. h. ein Lernprozess ist nach dieser Theorie dann besonders erfolgreich, wenn er in Gruppen stattfindet. Warum autonomes Lernen? Lernen in der Schule hat sich immer mehr vom Lernen außerhalb der Schule entfernt: Festgelegte Inhalte, Methoden, Lehrbücher usw. bestimmen den (Fremdsprachen-) Unterricht; Lehrende und Lernende sollen ausführen, was Lehrbücher, Lehrpläne, Lehrziele vorschreiben - also etwas, was andere für sie festgelegt haben. ln den 70er Jahren hat sich in Europa eine Gegenbewegung gebildet - das so genannte autonome Fremdsprachenlernen - , um sich auch im schulischen Fremdsprachenlernen von solchen "vorgefertigten Arrangements" unabhängiger zu machen. Es gibt verschiedene Gründe, warum autonomes Lernen zunehmend auch in den schulischen Unterricht Eingang findet. Gesellschaftliche Gründe Festgelegte Lebenswege gibt es in der Gesellschaft immer weniger. Darauf sollte auch Schule und Unterricht Rücksicht nehmen und sich von ausschließlich stark gelenkten festen Lernformen abwenden und sich zu offeneren Lernformen hinwenden, d. h. das "Lernen zu lernen" vermitteln. Die Fähigkeit, autonom weiterlernen zu können, ist in einer Zeit, die sehr schnell immer wieder neue Anforderungen stellt, unabdingbar- daher das Schlagwort vom "lebenslangen Lernen". Auch Fremdsprachen werden nicht für die Schule oder Abschlusstests gelernt, sondern um mit Menschen anderer Sprachen kommunizieren zu können. Lernpsychologische Gründe Lernende sind verschieden. Sie haben eine unterschiedliche Motivation, warum sie eine Sprache lernen wollen, sie haben unterschiedliche Fähigkeiten, eine Sprache zu lernen, sie haben eine unterschiedliche Art; etwas zu behalten und zu verarbeiten. Deshalb können nicht ein bestimmtes Lehrwerk und eine bestimmte Lehrmethode genügen, um Sprachen zu lehren und zu lernen. Deshalb erscheint es sinnvoll, im Unterricht mehr auf die genannten Faktoren und damit auf die Bedürfnisse der einzelnen Lernenden einzugehen bzw. sie zu berücksichtigen. Das fördert die Eigenständigkeit und erhöht die Motivation. Eine solche lndividualisierung des Unterrichts kann natürlich nur dann angestrebt werden und einen positiven Effekt auf das Lernen haben, wenn Autonomie in der entsprechenden Kultur als positiv eingeschätzt wird. Welche Konsequenzen hat autonomes Lernen für den Unterricht? Die Einführung autonomen Lernens in den Fremdsprachenunterricht (sei es auch nur in einzelnen Unterrichtseinheiten) bedeutet Veränderung, bedeutet das Verlassen vertrauter Muster und Lernformen - hat also Konsequenzen für Sie als Unterrichtende, für Ihre Schülerinnen und Schüler und für das Lehrmaterial. Sollen die Lernenden mehr Verantwortung für ihr eigenes Lernen übemehmen, was ja ein Grundprinzip des autonomen Lernens ist, so verändert sich die Rolle derjenigen, die unterrichten: Sie sind weniger diejenigen, die Inhalte und Wissen vermitteln, als diejenigen, die den Lernenden ein Angebot machen, um ihnen das Lernen zu erleichtem, und ihnen Strategien vermitteln, wie sie ihren Lernprozess optimal organisieren können - eine Hilfe, die systematisch angeboten werden muss. Diese neue Rolle wird mit Begriffen wie Lernbegleiter, Organisator oder Manager beschrieben. Ihre Rolle als Unterrichtende im Fremdsprachenunterricht wird sehr viel schwieriger und komplexer, da Sie nun zwei Aufgaben haben: Einerseits vermitteln Sie die Sprache selbst und darüber hinaus vermitteln Sie Strategien zum "Lernen lernen" und müssen damit den Lernprozess für die Lernenden transparent machen. Little bezeichnet das als scaffold : ein Gerüst für den Lernenden, das es ihm erlaubt, von einem Schritt zum anderen zu lernen (also kleinschrittig), wobei gleichzeitig vom Unterrichtenden nur so viel Hilfe gegeben wird, dass der Lernende seine eigene Antwort auf die Fragen, die er hat, finden kann (also eine den Lernprozess fördernde Antwort). Da ein Prinzip des autonomen Lernens die Kooperation ist, ist es durchaus denkbar, dass Ihre Schülerinnen und Schüler auch diese Form einer Zusammenarbeit neu lernen müssen, d. h. es vermittelt bekommen müssen. Der angesprochene Wechsel von einem Unterricht, der eher lehrergesteuert ist, zu einem Unterricht, der lernerzentriert ist, wird nicht ohne Probleme sein. Auf Seiten der Lehrenden kann es "Konflikte zwischen den eigenen Überzeugungen und den in die Praxis umsetzbaren Möglichkeiten und Einschränkungen" geben. Solche Einschränkungen können in institutionellen Rahmenbedingungen liegen - etwa durch curriculare Vorschriften, Zeitprobleme und Prüfungen, die die Lernenden machen müssen. Sie müssen diese unterschiedlichen Aspekte abwägen und eine Entscheidung treffen, die Ihnen selbst und den Bedingungen, unter denen Sie arbeiten, gerecht wird. Das wird immer ein Kompromiss sein. Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit von Prüfungen und Tests sei das Europäische Sprachenportefolio erwähnt, eine Art europäisches Zertifikat, das den Lernenden hilft, "ihre in verschiedenen Sprachen erworbenen Kenntnisse selbst einzuschätzen und zu beschreiben, indem sie sie der gemeinsamen europäischen sechs stufigen Kompetenzskala des Europarates zuordnen". Hier wird der Versuch gemacht, Basisprinzipien des autonomen Lernens zu berücksichtigen. Im Alltag des Unterrichtens besteht die Gefahr zu vergessen, dass Lernende (in unserem Fall einer Fremdsprache) mit Vorkenntnissen und mit Erfahrungen in den Unterrichtkommen. Sie wissen um zeitliche, räumliche, kausale, textsortenspezifische und andere Tatsachen. Aber sie haben auch Erwartungen und Vorstellungen von dem, was Schule oder Unterricht ihnen "beibringt" und wie es ihnen vermittelt wird. Die Verlagerung auf autonomes Lernen kann diesen Erwartungen zuwider laufen. Die Beobachtung des eigenen Lernens und die Übernahme von Verantwortung für das eigene Lernen kann als ungewohnt, fremd erscheinen und auch das Lernen in der Gruppe kann eine neue Erfahrung bedeuten. Auch in diesen Bereichen muss der Lernende Neues lernen und ist dabei auf die Hilfe der Lehrenden angewiesen. Konsequenzen für das Lehrmaterial Mit der neuen Rolle der Unterrichtenden als Organisatoren/Moderatoren von Lernprozessen verbindet sich auch die Aufgabe, den Lernenden ein Angebot zu machen, man spricht von Modulen oder Unterrichtseinheiten. Lehrmaterialien sollten deshalb eher "als Ausgangsmaterial konzipiert sein, das zur Erweiterung und eigenen Recherche anregt und anleitet" Eine Hilfe für diese neue Rolle - vor allem für das Anbieten von authentischen Materialien bieten die neuen Medien, besonders das unerschöpfliche Internet.