Dr. Charlotte Glück-Christmann Stadtmuseum Zweibrücken Einführungsvortrag für den RC Homburg-Zweibrücken in die Doppelausstellung Die Eiserne Zeit: Heimatfront Westrich – Der Erste Weltkrieg (1914-1918) und Edmond Louyot (1861-1920) – Ein Maler zwischen Deutschland und Frankreich 28. November 2014, 18 Uhr, Stadtmuseum Liebe Freundinnen und Freunde, ich möchte hier in einer kurzen Einführung auf den geschichtlichen Hintergrund der beiden bewusst parallel gelegten Ausstellungen eingehen. Aufgrund der Platzverhältnisse in den Museumsräumen ist es für Sie sicher bequemer, wenn Sie meinen Ausführungen im Sitzen zuhören können. Danach werde ich mit Ihnen aber auch noch durch die Ausstellungen gehen und auf einige Exponate hinweisen. Edmond Louyot, ein Bauernsohn in dem kleinen lothringischen Dörfchen La Lobe, zwischen Metz und Pont á Mousson an der Mosel gelegen, war zehn Monate alt, als Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten und Außenminister von Preußen berufen wurde. Damit war der Samen gesät, aus dem der Erste Weltkrieg erwuchs, den George Kennan einmal als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete. Hatten die Liberalen beim Hambacher Fest, das bekanntlich in Zweibrücken vorbereitet wurde, davon geträumt, ein geeintes Deutschland mit einem parlamentarischen System zu schaffen, so war nun ein Ultrakonservativer preußischer Ministerpräsident, dessen maßgebliches politisches Ziel es war, Preußen zur europäischen Großmacht zu machen. Dem Parlamentarismus stand er grundsätzlich ablehnend gegenüber. Er war davon überzeugt: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden […] – sondern durch Eisen und Blut.“ – So begann die „Eiserne Zeit“ – man nennt Bismarck nicht umsonst den „eisernen Kanzler“. Mit „Eisen und Blut“ besiegte er 1866 den Konkurrenten Österreich-Ungarn und mit „Eisen und Blut“ schuf er dann auch das kleindeutsche Reich – ohne Österreich aber mit der Führungsmacht Preußen. Er proklamierte das Deutsche Reich am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles – und demütigte damit die Franzosen, die gerade einen schnellen Krieg gegen die deutschen Staaten verloren hatten. – Für den neunjährigen Edmond Louyot bedeutete es, dass er nun auf einmal Deutscher war. Lothringen, das seit dem Tod von Stanislaus Leszczynski 1766 zum französischen Staat gehört hatte, war nun ebenso wie das Elsass eine Kriegsbeute der Deutschen. Zum Militarismus im Kaiserreich Da dem Militär die Ehre zukam, das deutsche Reich erkämpft zu haben, genoss es im wilhelminischen Kaiserreich ein außerordentlich hohes Ansehen. Bereits eine Uniform genügte, um Respekt und Gehorsam zu erzeugen – sie kennen wahrscheinlich die Geschichte vom Hauptmann von Köpenick, die dies wunderbar veranschaulicht. Sie passierte 1906 in Berlin tatsächlich. Selbst der Kaiser lachte darüber. Im Deutschen Reich, aber auch in den anderen europäischen Nationalstaaten, wurden die Jungen zum Soldaten erzogen. Kriegsspiele beherrschten ihre Kindheit. Der Militarismus wurde bereits mit der Fibel den Schulanfängern vermittelt und durch Kinderuniformen und Matrosenanzüge nach außen dokumentiert (Vitrine 1). Wenn nicht Frieden, sondern Krieg gelehrt wurde, kann es da verwundern, dass die europäische Diplomatie den Krieg als den einzigen Ausweg aus der Juli-Krise des Jahres 1914 sah? Die Friedensbewegung steckte zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen. Nur wenige Pazifisten sahen im Krieg kein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. Zum Inbegriff der frühen Friedensbewegung wurde Berta von Suttner, die 1905 als erste Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Sie hielt übrigens am 14. August 1913 in Kaiserslautern einen von der Volkshochschule organisierten Vortrag über die Friedensbewegung in Nordamerika. Kaiserslautern war tatsächlich ein Zentrum der noch kleinen Friedensbewegung. Während diese im gesamten Deutschen Reich nur ca. 10.000 Anhänger zählte, hatten die 540 Kriegervereine in der Pfalz 36.000 Mitglieder. Bertha von Suttner warnte einmal, dass „der nächste Krieg (…) von einer Furchtbarkeit sein [werde] wie noch keiner seiner Vorgänger“ – sie selbst erlebte es nicht mehr. Sie starb sechs Wochen vor Kriegsausbruch. Der für Herbst 1914 in Wien geplante Weltfriedenskongress fand nicht mehr statt. Zur Kriegsschuldfrage Wer oder was löste nun den ersten Welt umfassenden Krieg aus? Über diese Frage debattierten weltweit die Historiker lange und leidenschaftlich. Während seit den 1960er Jahren (Fritz Fischer) die Meinung überwog, vor allem das Deutsche Reich habe zum Ausbau seiner Großmachtstellung systematisch auf den Krieg hingearbeitet, sieht man die Kriegsschuldfrage heute differenzierter. Rein faktisch begann der Krieg mit der Kriegserklärung von Österreich-Ungarn an Serbien am 28. Juli 1914. Die Spannungen auf dem Balkan waren durch die Annexion von Bosnien und Herzegowina durch Österreich-Ungarn entstanden. Verschärft wurde der Konflikt durch die Ermordung des österreichischen Thronfolgers und seiner Frau am 28. Juni 1914 durch einen serbischen Nationalisten sowie ein kaum annehmbares Ultimatum, das ÖsterreichUngarn daraufhin an Serbien stellte. Das Deutsche Reich war vertraglich zur Bündnistreue gegenüber Österreich-Ungarn verpflichtet und erklärte am 1. und am 3. August den Bündnispartnern Russland und Frankreich den Krieg. Da Russland bereits am 30. Juli mobil gemacht hatte, wurde der Krieg von den deutschen Militärs als Notwehr dargestellt. Sie und nicht die Regierung trafen die Entscheidung zum Überfall auf Belgien nach dem schon lange vorhandenen Schlieffen-Plan. Dem Generalstab erschien die Gelegenheit zur Verwirklichung seiner Ziele günstig. Er rechnete aufgrund der militärischen Schwäche Frankreichs nur mit einem kurzen Krieg – wie 70/71. Mit dem Eingreifen Großbritanniens, das bereits bei der Staatsgründung von Belgien 1831 dessen Neutralität garantiert hatte, rechnete niemand. Der Kriegsausbruch war das Ergebnis eines beispiellosen diplomatischen Versagens auf beiden Seiten. Ausschlaggebend für die Entscheidungen waren die „Blankoschecks“, die Deutschland den Österreichern, Russland den Serben und Frankreich den Russen im Zuge ihrer Bündnispolitik ausgestellt hatten. Die Entscheidungsträger versäumten politische Möglichkeiten, da sie sich sicher waren, dass es irgendwann ohnehin zum Krieg kommen würde. Der säbelrasselnde Militarismus war zu Beginn des 20. Jahrhunderts kein deutscher Sonderweg, er herrschte auch in anderen Staaten. Der Krieg wurde von der ganzen Generation als legitimes Mittel zur Durchsetzung der eigenen nationalstaatlichen Interessen gesehen. In der Reichstagssitzung vom 4. August 1914 stimmten auch die vorher noch als „vaterlandslose Gesellen“ bezeichneten Sozialdemokraten bei nur zwei Enthaltungen für die Kriegskredite. Die ansonsten zerstrittenen Parteien schlossen einen „Burgfrieden“ und wollten 2 für die Dauer des Krieges ihre Auseinandersetzungen nicht mehr in die Öffentlichkeit tragen. Die unerwartet starke Geschlossenheit der Nation angesichts des als Notwehr deklarierten Krieges kommentierte Kaiser Wilhelm II. im Reichstag mit dem Satz: „Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche“. Der „heilige“ Krieg Auch die Kirchen schlossen sich dem innenpolitischen Waffenstillstand an. Schließlich waren Religion und Nationalismus unter Kaiser Wilhelm II. eine enge Verbindung eingegangen. Gerne bediente sich die staatliche Propaganda der Religion zur Überhöhung des Krieges aus Notwehr. Er wurde regelrecht zum Kreuzzug, zum „heiligen“ Krieg. „Gott mit uns“ stand auf den Gürtelschließen der Preußen, während auf den bayerischen Koppelschlössern „In Treue fest“ stand. Die Ideologisierung des Opfers fürs Vaterland Zur Überhöhung des Krieges führte auch die Ideologisierung des Opfers fürs Vaterland. Patriotische Autoren hatten vorbereitet, was viele zu Beginn des Krieges bereitwillig gaben: ihr Opfer für das Vaterland – in Form des eigenen Lebens oder das des Mannes, der Söhne, der Arbeitskraft und in der Bereitschaft zum Verzicht. Selbst die Künstlerin Käthe Kollwitz (1867-1945) sah 1914 im Soldatentod ihres Sohnes ihr persönliches Opfer für eine heilige Sache. Erst die weitere Erfahrung des Krieges machte sie zur Pazifistin. Ihre 1937 geschaffene Plastik „Mutter mit totem Sohn“ bildet seit 1993 in vergrößerter Form den Mittelpunkt der „Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ in der Neuen Wache, Unter den Linden in Berlin. Es ist ein beeindruckendes Mahnmal für den Weltfrieden. Zogen die Soldaten wirklich mit einem „Hurra!“ in den Krieg? Von einer breiten Kriegsbegeisterung, wie häufig dargestellt, konnte keine Rede sein. Zwar äußerte sich vor allem das deutschnational geprägte Bürgertum vielstimmig positiv, doch die Landbevölkerung und Arbeiterschaft standen dem Krieg eher ablehnend gegenüber. Zukunftssorgen taten sich auf. Immer wieder gezeigte Filme oder Fotos mit jubelnden Menschen waren meist inszeniert und dienten der Kriegspropaganda. Der erste Massenvernichtungskrieg Mit dem Ersten Weltkrieg begann ein Zeitalter von Vernichtungskriegen, wie sie die Menschheit vorher nicht gekannt hat. Durch den Einsatz moderner Technik (Maschinengewehre, U-Boote, Bombenflugzeuge, Giftgas etc.) wurde ein ungeheures Vernichtungspotential freigesetzt. Der Krieg betraf nicht mehr nur die Soldaten an der Front, im Wahnsinn der Schützengräben des festgefahrenen Stellungskrieges an der Westfront, für die Verdun zu einem Symbol wurde, sondern auch die Zivilbevölkerung an der „Heimatfront“. Zum ersten Mal waren übrigens Menschen aus der Luft von Bomben bedroht. Sie finden in der Ausstellung zwei eindrucksvolle Augenzeugenberichte der ersten Bombardierung von Zweibrücken vom 9. August 1915. Diese Berichte gehören zu den kleinen Schätzen, die durch meinen Aufruf in den Zeitungen zusammengetragen wurden. Ich habe ja die Exponate nicht gezielt gesucht. Denken Sie nachher beim Rundgang daran, dass alles was in den Vitrinen liegt, von Bürgern hier als Leihgabe abgegeben wurde. Die Vitrinen sind zum Teil übervoll, aber ich wollte natürlich niemanden verärgern und das hätte ich getan, wenn ich etwas weggelassen hätte. 3 Die Heimatfront Der Erste Weltkrieg gilt als der erste totale Krieg, da weite Bereiche des zivilen Lebens den militärischen Anforderungen untergeordnet wurden. Sowohl die Soldaten an der Front als auch die Zivilisten an der Heimatfront mussten ihren Beitrag zum erhofften siegreichen Ausgang des Krieges leisten. Das Zusammenhalten von Heimat und Heer wurde durch Propagandaaktionen beschworen, die sich gezielt an Frauen und Schüler richteten. Die patriotisch-nationale Mobilisierung war notwendig, da man große Teile der Zivilbevölkerung benötigte, um den industrialisierten Krieg aufrecht zu erhalten. Erwartet wurde von der Zivilbevölkerung harte Arbeit, Opferbereitschaft und Kriegsfürsorge. Zeitgleich zur Einberufung der wehrtauglichen Männer riefen die Frauenverbände die Frauen zum patriotischen Dienst auf. Das bis dahin vertretene Geschlechterbild wurde beiseite geschoben ─ nach dem Krieg galt es übrigens dann sehr schnell wieder. Die Frauen mussten die Männer in der Arbeitswelt ersetzen und dadurch zum Sieg beitragen. Sie trugen die Hauptlast der Kriegswirtschaft sowohl in der Landwirtschaft, als auch der Industrie. Viele Arbeiterinnen mussten bei der Umstellung der Produktion auf Kriegswirtschaft harte körperliche Arbeit in Munitionsfabriken, Hütten- und Bergwerken, beim Straßen- und Eisenbau verrichten. Bereits am 14. August 1914 wurden mit dem sog. „Notgesetz“ die seit 1908 bestehenden Arbeitsschutzbedingungen für Frauen außer Kraft gesetzt. Nun konnten die Arbeitgeber wieder 12 statt 10 Arbeitsstunden erwarten, Nachtarbeit und die Gesundheit gefährdende Tätigkeiten verlangen. Viele Frauen waren der Doppelbelastung von Arbeit und Familie bei zunehmend schlechterer Ernährungslage nicht gewachsen. Dies mag dazu beigetragen haben, dass viele froh waren, als sie nach dem Krieg einen Teil der Last an die Männer zurückgeben konnten und freiwillig ihre Erwerbstätigkeit wieder aufgaben. Es waren aber nicht nur die Bauersfrauen und Arbeiterinnen, die die Kriegslast trugen. Unzählige Frauen aus der städtischen Mittel- und Oberschicht erklärten sich aus patriotischer Pflichterfüllung freiwillig zu sozialen Dienstleistungen, im Lazarett- und Fürsorgedienst, bereit. Im Reichstag wurde sogar eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen diskutiert. Die Mehrheit sprach sich allerdings gegen die Dienstpflicht für Frauen aus, da es der natürlichen Arbeitsteilung widerspräche. Es blieb daher beim Freiwilligendienst. Die Instrumentalisierung der Schulen Bereits in der Vorkriegszeit war die Schule bewusst zur Erziehung von System tragenden Untertanen eingesetzt worden. Im Krieg wurde die Schule nun neben der Gesinnungsbildung auch für die Kriegswirtschaft instrumentalisiert. Ich zitiere aus einem Flugblatt der Schulbehörde der Preußischen Rheinprovinz von 1915 – es richtet sich an Volksschüler, die alle unter 14 waren!: „Ihr seid dann auch Soldaten, die für das Vaterland kämpfen. Seht die Ackerfurche als euren Schützengraben, die Kartoffeln, die ihr legt, sind eure Kanonenkugeln, die Steine, die ihr von der Wiese wegholt, sind eure Granaten, und das Unkraut ist ein Feind, den ihr ausrotten müßt, mit Stumpf und Stiel.“ In diesem Sinne wurden Schüler für ihre kriegswichtige Aufgabe an der Heimatfront sensibilisiert und für verschiedene, meist sehr erfolgreiche Hilfs- und Sammelaktionen eingesetzt: Die Schulen organisierten Kulturveranstaltungen und Nagelungen für wohltätige Zwecke, sammelten Edelmetall, Altmaterial und Naturalien, sie warben sehr erfolgreich für die Zeichnung von Kriegsanleihen und leisteten Arbeitseinsätze in Schulgärten, Landwirtschaft, Industrie, Handel und Sanitätsdienst, in Kriegsküchen, Nähereien und Schreibstuben. Angespornt wurden die Schüler durch Auszeichnungen, Ehrenzeichen und patriotische Geschenke. Nicht nur durch diese vielen Dienste, auch durch zahlreiche nationale Schulfeiern: (Siegesfeiern, Kaisergeburtstage, Sedanstage, Hindenburg-Feiern) sowie Gedenkfeiern für 4 gefallene Lehrer und Schüler kam es zu sehr viel Unterrichtsausfall. In der so erzogenen Generation fand wenige Jahre später der Nationalsozialismus seine Anhängerschaft. Im Laufe des Krieges wurden von der „Heimatfront“ immer größere Opfer verlangt, um den Krieg durchhalten zu können. Die Parole vom „Siegfrieden“ wurde ausgegeben, da nur ein solcher die großen Opfer rechtfertigen könne. Die bis zuletzt genährte Siegespropaganda verhinderte trotz aussichtslosem Stellungskrieg die Einleitung von maßvollen Friedensverhandlungen. Als die Oberste Heeresleitung aufgrund der völlig aussichtslos gewordenen Lage am 29. September 1918 Waffenstillstandsverhandlungen forderte, waren alle Chancen für einen glimpflichen Frieden vertan. Nach dem am 11. November 1918 geschlossenen Waffenstillstand ging eine tiefe Depression durch die deutsche Bevölkerung. Die Dolchstoßlegende fiel auf fruchtbaren Boden. Der 75-jährige Krieg (1914 – 1939 – 1989) Die Geschichtsforschung betrachtet heute berechtigterweise den Zusammenhang der beiden Weltkriege. Zwischen dem Kriegsbeginn 1914 und dem Fall des Eisernen Vorhanges, 1989, mit dem die Folgen des Zweiten Weltkrieges endgültig überwunden waren, liegt ein dreiviertel Jahrhundert. Die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg und der „Diktatfriede“ von Versailles schufen in der Weimarer Republik eine politische Kultur, in der die Ideologie des Nationalsozialismus gedeihen konnte. Im Ersten Weltkrieg lagen auch die Ursachen für die Oktoberrevolution (1917) und den Sieg des sowjetrussischen Bolschewismus, der zur Teilung der Welt nach 1945 führte. Statt bereits 1915 den verfahrenen Grabenkrieg an der Westfront zu beenden und in Friedensverhandlungen einzusteigen, schürte die deutsche Regierung in Selbstüberschätzung den Glauben an einen „Siegfrieden“ mit materiellen Zugewinnen. Aber auch die am Ende siegreichen Alliierten machten sich schuldig: Sie diktierten den Verlierern einen Frieden mit hohem Konfliktpotential und demütigten die Deutschen dadurch, dass diese die alleinige Kriegsschuld anerkennen mussten. Die erlittenen Entbehrungen und Opfer verloren damit für viele Kriegsteilnehmer und Zivilisten ihren Sinn, sie wurden psychisch anfällig für die auf dem Rassegedanken beruhenden Großdeutschland-Visionen der Nazis. Die durch den Versailler-Vertrag verursachte Wirtschaftskrise mit Inflation und hoher Arbeitslosigkeit machte es den demokratiefeindlichen Kräften leicht, die Schuld im System der Weimarer Republik zu suchen. Eine aggressive Propaganda richtete sich gegen die Politiker, die Waffenstillstand und Versailler Vertrag unterzeichnet hatten und gegen das Judentum als globalen Sündenbock. 1933 konnte Adolf Hitler die Ernte dieser Saat einfahren. Die Politik der NSDAP führte geradewegs in den Zweiten Weltkrieg, dessen Folgen erst 1989 überwunden wurden. George Kennan bezeichnet also zu recht den 1. Weltkrieg als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Der Krieg kostete weltweit ca. 17 Millionen Menschen das Leben, dazu kamen Millionen von Kriegsversehrten, Traumatisierten, Opfer der Spanischen Grippe, Witwen und Waisen. Und er legte die Grundlage für den Zweiten Weltkrieg, der noch mehr Opfer forderte. Der Erste Krieg wurde schon von den Zeitgenossen als ungeheuerer Zivilisationsbruch empfunden. Eine Zeit des Wohlstandes, des Handels und der offenen Grenzen in Europa ging in eine Zeit der Wirtschaftskrise über, die den Folgelasten des Krieges geschuldet war. Gab es überhaupt einen „Sieger“? Vielleicht: Die Frauen! Die Novemberrevolution fegte die alte Ordnung hinweg, am 12. November 1918 verkündigte der Rat der Volksbeauftragten das Wahlrecht für alle mindestens 20 Jahre alten Männer und Frauen. 82 % der wahlberechtigten Frauen gingen daraufhin zur Wahl der Nationalversammlung. Die Sozialdemokraten ließen ihr Frauenbild in Art. 109 der Weimarer 5 Reichsverfassung einfließen: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ Nach und nach öffneten sich die Universitäten für die Frauen. Dennoch hatte (und hat) die Frauenbewegung noch einen sehr langen Weg zur Gleichberechtigung zurückzulegen. Trotz des Kampfes der Frauenbewegung gegen die Zurückdrängung der Frauen aus der Arbeitswelt wurden meist nur die Frauen weiterbeschäftigt, die sich selbst ernähren mussten. Verheiratete Frauen haben erst seit 1977 in Deutschland das Recht ohne Erlaubnis ihres Ehemannes berufstätig zu sein. Gewiss kein Sieger war Edmond Louyot. Er ging 1919 in seinen Geburtsort La Lobe zurück, der durch den Versailler Vertrag gerade wieder französisch geworden war. Dort starb er 1920 als Franzose – und wurde auf beiden Seiten vergessen. Bis 2004 wurden seine Werke in keinem europäischen Museum gezeigt. In Frankreich galt er als Deutscher – in Deutschland als Franzose. Nachdem das Musée départemental Georges de La Tour in Vic-sur-Seille Edmond Louyot im Jahre 2004 eine Ausstellung widmete, werden seine Bilder dank der Initiative seines Großneffen Michel Louyot nun erstmals seit fast 100 Jahren wieder in Deutschland gezeigt. Die Wiederentdeckung des Künstlers ist ein Symbol für die zunehmende Annäherung der Nachbarländer Deutschland und Frankreich, Rheinland-Pfalz und Lothringen. Ich habe die Ausstellung deshalb bewusst als Beitrag zum grenzübergreifenden Dialog und kulturellen Austausch parallel zur „Eisernen Zeit“ umgesetzt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 6