THOMAS RUFF Fotografien 1979 – heute 17. NOVEMBER 2001 - 13. JANUAR 2002 Zu der von Dr. Matthias Winzen, dem Leiter der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, kuratierten Ausstellung erscheint erstmals das von Valeria Liebermann erarbeitete und kommentierte Werkverzeichnis mit einem Überblick über alle 15 seit 1979 entstandenen Fotoserien von Thomas Ruff. Das Buch wird im Oktagon-Verlag, Köln, publiziert und enthält Texte von Per Boym, Ute Eskildsen, Valeria Liebermann und Matthias Winzen. Valeria Liebermann Fünfzehn Werkgruppen von Thomas Ruff (Auszug) Interieur Entstanden zwischen 1979 und 1983 Fotografiert mit Plattenkamera (Negativformat 9 x 12 cm), kleiner Blende (f:45) und langer Belichtungszeit (bis zu zwei Minuten) Fasziniert durch Aufnahmen von Eugène Atget und Walker Evans, die Thomas Ruff durch Bernd Becher kennengelernt hatte, beschloß er das häusliche Umfeld fotografisch zu bearbeiten, in dem seine Generation aufgewachsen war bzw. lebte. Neben Detailansichten seiner eigenen Wohnung in Düsseldorf fotografierte er während zahlreicher Aufenthalte bei seiner Familie im Schwarzwald verschiedene Innenräume, die er seit seiner Jugend kannte: Zimmer in seinem Elternhaus, in den Wohnungen seiner Verwandten und in den Elternhäusern seiner Schulfreunde. Später dehnte er seine Aufnahmeorte auf Innenräume aus, die denen des Schwarzwaldes entsprachen und die er bei Besuchen bei Freunden und Bekannten entdeckt hatte. Als Ziel setzte er sich, mit Hilfe der Aufnahmen das zu zeigen, was charakteristisch für diese Räume war. Jede Fotografie sollte einerseits möglichst sachlich und distanziert die Raumdetails wiedergeben, andererseits durch die Wahl des Ausschnittes die Stimmung und den Charakter des Raumes zusammenfassen und wie dessen Essenz wirken. Aus diesem Grund fotografierte er die Ansichten so wie er sie vorfand: mit dem vorhandenen natürlichen Licht und ohne Veränderungen an der Einrichtung der Bewohner. Nachdem die meisten Wohnungen seiner Verwandten und Bekannten Anfang der 1980er Jahre renoviert und dem Zeitgeschmack angepaßt worden waren, stellte er 1983 die Serie ein. Porträts Um 1980 begann sich Thomas Ruff erstmals mit dem Genre "Porträt" auseinanderzusetzen, einem Bildtypus, der zu dieser Zeit in der zeitgenössischen Kunst nur eine untergeordnete Rolle spielte. Neben Porträtaufnahmen der Düsseldorfer Band EKG, deren "Art-Direktor" er war, experimentierte er mit den verschiedenen Möglichkeiten des Porträts, sowie seinem Bildaufbau und betrieb intensive Studien zu dem Genre, um eine zeitgemäße Darstellung zu ermitteln. Er entschied sich für das Brustbild und eine möglichst neutrale Darstellungsweise, um das Gesicht des Porträtierten in den Mittelpunkt zu stellen, ohne jedoch eine psychologisierende Interpretation vorzunehmen. Die Personen sollten wie eine Gipsbüste fotografiert werden, da er davon ausging, daß die Fotografie nur die Oberfläche der Dinge wiedergeben kann. Bereits 1981 legte er die Bedingungen fest, unter denen die Aufnahmen entstanden: die Porträtierten mußten sich auf einen Hocker setzen und wurden dann mit einem ernsten, ruhigen Gesichtsausdruck in ihrer Alltagskleidung fotografiert. Jede Form emotionaler Beteiligung, wie Lächeln, Grinsen oder 'flirten’ mit der Kamera, wurde untersagt. Als Modelle für seine Porträts wählte er intuitiv Personen aus seinem eigenen Umfeld: gleichaltrige Freunde und Bekannte, die er von der Akademie oder dem Düsseldorfer Nachtleben der "Ratinger Straße" kannte. A. Porträts - farbiger Hintergrund Entstanden zwischen 1981 und 1985 fotografiert mit Plattenkamera (Negativformat 9 x 12 cm), einem Studioblitz mit Schirm, kleiner Blende (f:45) und kurzer Belichtungszeit Ziel der Serie war es, circa 100 Porträts im Format 24 x 18 cm anzufertigen, die - ähnlich einer Ahnengalerie - in einer Reihe gehängt werden sollten. Damit diese Reihe aufgrund eines immer gleichen Hintergrundes nicht zu eintönig wirkte, übernahm er ein Prinzip, das er bei seinen Recherchen entdeckt hatte. Das Cover einer wöchentlich erscheinenden Fernsehzeitschrift zeigte regelmäßig als vollformatiges Foto verschiedene TV-Stars vor einem bunten Hintergrund. Für seine Ausführung besorgte sich Thomas Ruff einfachen Fotokarton (ca. 50 x 70 cm) in verschiedenen Farben. Da er nicht selbst entscheiden wollte, welche Farbe zu welcher Person paßt, mußten sich die Porträtierten vor der Sitzung ihren Hintergrund selbst auswählen, vor dem sie in verschiedenen Blickwinkeln (en face, Profil, Halbprofil) fotografiert werden sollten. 1986 beschloß Ruff einige Porträts auch einem großen Format auszuführen, stellte aber rasch fest, daß hier die Farbe zu dominant wurde. B. Porträts - neutraler Hintergrund 1986 bis 1991, seit 1998: Porträts mit neutralem, hellem Hintergrund und meist frontaler Ansicht fotografiert mit Plattenkamera (4 x 5 inch), zwei Studioblitzen mit Schirm, kleiner Blende (f:45) und kurzer Belichtungszeit Zwischen 1984 und 1986 experimentierte Thomas Ruff immer wieder mit dem Format seiner Porträts, da er neben der "verkleinerten Wirklichkeit" (Format 24 x 18 cm) ein weiteres Bildformat suchte. Als er 1986 fünf Abzüge in der größten Breite des Fotopapiers herstellen konnte, entdeckte er, daß ein komplett neues Bild entstanden war. Durch die Vergrößerung wurde der Blick und der Ausdruck der Porträtierten intensiviert und gleichzeitig die visuelle Präsenz der Fotografie in den Vordergrund gerückt. 1991 mußte er die Serie einstellen, da das bisher benutzte Fotopapier nicht mehr hergestellt wurde. Das neue Fotopapier hatte einen so starken Farb- und Kontrastumfang, daß es für seine Porträts nicht mehr geeignet war. 1998 reizte ihn der Gedanke, neue Porträts zu machen, so sehr, daß er eine Testreihe begann, um in der Kombination des Films, des Entwicklungsverfahrens und des Fotopapiers ein Ergebnis zu erzielen, das seinen früheren Porträts entsprach. Einerseits wollte er über diesen Weg herausfinden, ob es legitim ist, sich selbst zu imitieren. Andererseits interessierte er sich dafür, ob die zu diesem Zeitpunkt 20 35 jährigen anders aussehen, als ihre Altersgenossen 10 oder 15 Jahre zuvor. Häuser Entstanden zwischen 1987 und 1991 fotografiert mit einer Plattenkamera (4 x 5 inch) auf optischer Bank, mit kleiner Blende (f:45) und einer Belichtungszeit zwischen 1/10 und 1 Sek Aufgrund der Erfahrungen, die Thomas Ruff bei der Serie 'Porträt’ gemacht hatte, konnte er eine Bildidee aufgreifen, die bereits bei der Arbeit an den "Interieurs" entstanden war: Außenaufnahmen von Gebäuden. Er wählte unspektakuläre, banale Gebäude der 1950er bis 1970er Jahre, die sich in Düsseldorf und Umgebung befanden. Um ungestört arbeiten zu können, fotografierte er diese früh morgens und in der Regel von Januar bis März, da zu dieser Zeit in Mitteleuropa ein einheitlich, grauer Himmel vorherrscht, der einen neutralen Hintergrund ergibt. Bei den Aufnahmen orientierte er sich an der sachlichen "Architekturfotografie" des Bauhauses und der Architekturfotografie der 1950er bis 1970er Jahre, die er von Postkarten kannte oder in Architekturbüchern aus dieser Zeit gesehen hatte. Aus diesem Grund beschloß er auch an zwei Häusern Retuschen vorzunehmen (Häu 01, Häu 08), damit sie seinen Vorstellungen entsprachen. Er folgte dabei dem Grundsatz "sowenig Retusche wie möglich, so viel wie nötig". Sterne Entstanden zwischen 1989 und 1992 Die Abzüge wurden direkt vom jeweiligen Negativ der ESO gefertigt. Die Titel entsprechen den astronomischen Koordinaten der ESO-Negative. Bereits als Schüler war Thomas Ruff gleichermaßen von der Fotografie wie der Astronomie fasziniert. So lag es für ihn nahe, den Sternenhimmel als Motiv für abstrakte Bilder zu nehmen, die er ab 1988 im Kopf hatte und die mehr oder weniger aus einer schwarzen Fläche mit vielen weißen Punkten bestehen sollten. Da er keine Möglichkeiten sah, mit der ihm verfügbaren fotografischen Ausrüstung die Qualität professioneller astronomischer Aufnahmen zu erreichen, beschloß er mit Originalkopien des 1212 Negative umfassenden Archivs des "European Southern Observatory" (ESO) zu arbeiten. Es handelt sich dabei um ein Konvolut wissenschaftlicher Aufnahmen des Sternenhimmels der südlichen Hemisphäre, die in den Anden mit einem Spezialteleskop (Schmidt-Spiegel) angefertigt wurden. Von diesen Negativen im Format 29 x 29 cm wählte Ruff Ausschnitte, nach denen die Abzüge gefertigt wurden. Er unterteilte die Sternenaufnahmen in sechs verschiedene Kategorien. 1. Aufnahmen von Vordergrundsternen mit normaler Sternendichte im Hintergrund 2. Aufnahmen von Vordergrundsternen mit größerer Sternendichte im Hintergrund 3. Aufnahmen von Vordergrundsternen mit anderen Galaxien 4. Aufnahmen von weiter entfernten Sternen 5. Aufnahmen von Sternen mit interstellaren Objekten und Gasnebeln 6. Aufnahmen der Milchstraße mit hoher Sternendichte Zeitungsfotos entstanden 1990-1991 in Zeitungen abgedruckte Fotografien mit Reprokamera (Negativformat 4 x 5 inch) in Farbe reproduziert Zwischen 1981 und 1991 sammelte Thomas Ruff über 2500 Zeitungsfotos aus deutschsprachigen Tages- und Wochenzeitungen. Es handelt sich um Abbildungen, die alle Sparten einer Zeitung widerspiegeln: Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur, Wissenschaft, Technik, Geschichte oder Zeitgeschehen. Die formale Erscheinung dieser Bilder wird nicht von künstlerischen Vorstellungen bestimmt, sondern nach redaktionellen Gesichtspunkten festgelegt. Sie dienen ausschließlich der Illustration eines Nachrichtentextes. Aus diesem "Archiv" wählte er schließlich 400 Bilder aus, die er ohne die erklärenden Bildunterschriften reproduzieren und jeweils in der doppelten Spaltenbreite des Ursprungsmediums (Maßstab 2:1) abziehen ließ. Mit diesem Vorgehen wollte er das Erscheinungsbild des "Zeitungsfotos" untersuchen und dabei herausfinden, was an Informationswert bleibt, wenn man das Bild von seiner Funktion trennt. Blaue Augen Entstanden 1991 In einer französischen Kunstzeitschrift wurde der Serie "Porträts" unterstellt, sie sei Kunst des "Sozialistischen Realismus", wenn nicht gar des Faschismus. Als Reaktion auf diesen Vorwurf ließ Thomas Ruff mit Hilfe digitaler Bildbearbeitung bei zwölf seiner Porträts die Iris in deren Augen durch die leuchtend blaue Iris eines anderen Modells ersetzen. Das Blau der Iris wurde zudem durch einen zusätzlichen Blaustich verstärkt. Herzog & de Meuron seit 1991 Aufgenommen in unterschiedlichen fotografischen Techniken, teilweise mit digitaler Bildbearbeitung verändert. 1990 wurde Thomas Ruff von Jacques Herzog und Pierre de Meuron gebeten, eines ihrer Gebäude für eine Präsentation auf der Architekturbiennale in Venedig (1991) zu fotografieren. Da er für dieses eine Foto nicht so weit fahren wollte, ließ er einen Basler Fotografen das Lager von Ricola in Laufen nach seinen Vorgaben fotografieren. Die verschiedenen ihm zugesandten Aufnahmen setzte er am Computer zu einem Bild zusammen. In der Folge entstanden weitere Aufnahmen, bei denen er einige Gebäude von Herzog & de Meuron in den unterschiedlichen Techniken fotografierte, mit denen er bereits gearbeitet hatte. Gleichzeitig begann eine Zusammenarbeit mit den Architekten für architektonische Projekte. Gemeinsam gestalteten sie die Fassade für die Bibliothek der Fachhochschule Eberswalde mit Zeitungsfotos aus der gleichnamigen Serie und die Passagen des Gebäudekomplexes "Fünf Höfe" der HypoVereinsbank in München mit Luftaufnahmen aus der Serie "Stereofotos". Nächte Entstanden zwischen 1992 und 1996 Fotografiert mit Kleinbildkamera, montiert auf einen Restlichtverstärker Nachtbilder des Kriegsgeschehens während des Golfkriegs (1990-1991), die von den verschiedenen Fernsehanstalten übertragen wurden, lenkten das Interesse von Thomas Ruff auf das Nachtsichtgerät. Ursprünglich zu militärischen Zwecken entwickelt, zeigt der Blick durch das Gerät mit Hilfe eines Restlichtverstärkers das Geschehen bei Nacht in einem grünlichen Licht. Fasziniert von der Technik und der Möglichkeit "Unsichtbares" sichtbar zu machen, besorgte er sich einen Restlichtverstärker für seine Kleinbildkamera und begann zunächst Hinterhöfe und Straßen in Düsseldorf und Umgebung zu fotografieren. Später dehnte er die Aufnahmen auf andere Orte aus. Da bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle entstandenen Aufnahmen gesichtet sind, ist die folgende Werkliste nicht vollständig. Stereofotos seit 1993 Je nach Aufnahmesituation mit verschiedenen Kameras (Negativformat 6 x 6 cm, 6 x 7 cm oder 4 x 5 inch) fotografiert. Über die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Apparaten und Techniken der Fotografie, welche ein Hilfsmittel der visuellen Wahrnehmung sein können, stieß Thomas Ruff 1992 auf die Stereofotografie. Sie verdeutlicht seiner Meinung nach, daß man mit dem Gehirn sieht und nicht mit den Augen. Zusätzlich ist die Stereofotografie für ihn ideal, um 'Reisefotografie’ zu betreiben, da stereoskopische Bilder eines fremden Ortes durch den 3-D Effekt die Illusion erzeugen, sich an diesem Ort zu befinden. Seine Aufnahmen zeigt er in einer speziell hergestellten Holzkiste, bei der die beiden Fotos über Spiegel betrachtet werden. Da Thomas Ruff bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle entstandenen Aufnahmen sichten konnte, ist die folgende Werkliste nicht vollständig. andere Porträts Entstanden zwischen 1994 und 1995 Fotografiert mit Plattenkamera (Diaformat 4 x 5 inch) Über eine 1992 durchgeführte Recherche zu 'Komposit-Gesichter’, stieß Thomas Ruff auf das 'Minolta-Montage-Unit’, eine Bildgenerierungsmaschine, die von einigen Landeskriminalämter in den 1970er Jahren benutzt wurde, um Phantombilder herzustellen. Mit dieser Maschine kann man vier Porträtfotografien mittels Spiegeloptik zu einem neuen Porträt zu verschränken. Hatte er zunächst beabsichtigt, Gesichter zu rekonstruieren, fand er es nun interessanter artifizielle Gesichter zu konstruieren, die nicht existieren, aber trotzdem vorstellbar sind. Diese Form der Bildmanipulationen, die in der Geschichte der Fotografie immer wieder vorkommt sei es mit Doppelbelichtung, Retusche, diversen Dunkelkammertechniken oder inzwischen mit der digitalen Bildbearbeitung -, wollte Ruff aufgreifen, ohne eine dieser Techniken zu benutzen. Das Bild sollte vor der Kamera entstehen und mit nur einer Aufnahme festgehalten werden. Er lieh sich daher von der Polizeihistorischen Sammlung in Berlin eine "Minolta-Montage-Unit" und kombinierte jeweils zwei seiner Porträts zu einem neuen Porträt. Das durch den Apparat entstandene neue Bild benutzte er als Vorlage für den Siebdruck. Retusche Entstanden 1995 Fotografien aus medizinischen Büchern in Farbe reproduziert und anschließend mit Eiweißlasurfarbe handkoloriert. Eine Farbfotografie von Sophia Loren, die Ruff 1995 in einer Ausstellung in Venedig gesehen hatte, machte ihn aufmerksam auf eine Darstellungspraxis, die so alt ist, wie die Fotografie selbst: das Kolorieren von Fotografien. Hatte man bei dem Foto von Sophia Loren einen Star durch die zusätzliche Farbe "verschönt", ging es ihm darum, diese Praxis auf zehn Porträts anzuwenden, die er in einem alten medizinischen Lehrbuch gesehen hatte. Mit Eiweißlasurfarbe "schminkte" er die Porträts, in dem er ihnen Lidschatten, Rouge und Lippenstift "auflegte". Plakate seit 1996 Mit digitaler Bildbearbeitung erstellte Montagen. Aktuelle politische Ereignisse führten 1996 bei Thomas Ruff zu einem verstärkten Interesse an politischer Kunst. Angeregt durch Arbeiten von John Heartfield und russische Propagandaplakate der 1920er und 1930er Jahre entwickelte er die Werkgruppe "Plakate", die er aus vorhandenem Bildmaterial collagierte. Er benutzte dabei bewußt eine für 1996 anachronistische Bildpraxis, allerdings mit einer modernen Bildgenerierungstechnik, der digitalen Bildbearbeitung des Computers. nudes seit 1999 Pornofotos aus dem Internet mit digitaler Bildbearbeitung verändert. Um 1998 begann Ruff sich einerseits mit Aktfotografie zu beschäftigen und andererseits mit computergenerierten, abstrakten, stark gepixelten Bildern zu experimentieren. Eine InternetRecherche zum Genre der Aktfotografie lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Bereich der InternetPornographie. Die im World Wide Web gezeigten Bildern weisen aufgrund der schlechten Auflösung (72 dpi) eine Struktur auf, die der ähnelte, mit der er bereits experimentierte. Er beschloß die Technik, die er bei den Pixelbilder erarbeitet hatte, auf die pornographischen Bilder des Internet zu übertragen und bearbeitete sie so, daß die Pixelstruktur gerade noch sichtbar blieb. Er setzte Bewegungsunschärfen und andere Weichzeichner ein, variierte teilweise die Farbigkeit oder entfernte störende Details. Die Auswahl der Vorlagen wurde nach kompositorischen Gesichtspunkten wie Bildaufbau, Lichtführung, Farbigkeit oder Körperinszenierung getroffen. Mit den 'nudes’ wollte er ein möglichst breites Spektrum der heutigen sexuellen Phantasien und Praktiken abbilden, die im Internet von Profis und Amateuren unter Kategorien wie zum Beispiel 'Babes’, 'Blond’, 'Cheerleader’, 'Gay’, 'Group’, 'Anal’, 'Fetisch’, 'Nylon’, 'Bondage’ oder 'Hardcore’ annonciert werden. l.m.v.d.r. seit 1999 Unterschiedliche fotografische Techniken, teilweise mit digitaler Bildbearbeitung verändert. 1998 wurde Thomas Ruff von Julian Heynen gebeten, für die Krefelder Kunstmuseen eine Ausstellung mit Architekturaufnahmen der zwischen 1927 und 1930 entstandenen Villen Ludwig Mies van der Rohes vorzubereiten. Damit sollten die beiden inzwischen als Ausstellungsräume für zeitgenössische Kunst genutzten Häuser des Architekten (Haus Lange und Haus Esters) nach ihrer Renovierung wiedereröffnet werden. Ruff begann sich mit der Architektur und den bekannten Aufnahmen von Haus Tugendhat, Haus Lange, Haus Esters und dem Barcelona Pavillion auseinanderzusetzen. Er versuchte eine eigene Sichtweise auf die verschiedenen Gebäude zu entwickeln und fotografierte ähnlich der Serie Herzog & de Meuron die Gebäude mit allen bisher genutzten Techniken. Während der Ausstellung in Krefeld wurde Ruff von Terence Riley gebeten, für das Museum of Modern Art, New York, das eine Retrospektive der Architektur Mies van der Rohes bis 1938 vorbereitete, alle weiteren, noch existierenden Gebäude aus der Zeit zu fotografieren. Da einige dieser Gebäude von ihm nicht fotografiert werden konnten, benutzte Ruff auch alte Archivaufnahmen, die er digital überarbeitete. Substrat seit 2001 Am Computer erzeugte Bilder Während der Suche nach Bildmaterial für die 'nudes’ bemerkte Thomas Ruff, daß die Bilder des Internet im Prinzip keine Wirklichkeit mehr darstellen, sondern nur noch elektronisch vermittelte visuelle Reize sind. Die Bilderflut im Netz, bei der Bilder und Informationen sich überlagern, läßt den Betrachter kaum noch unterscheiden, was an Bildinformation "real" oder "fake" ist. Mit seiner Erfahrung im digitalen Bereich wollte er in dieses visuelle 'Nichts’ vordringen. Dafür benutzt er als Vorlage Comicbilder, die er in mehreren Schichten überlagert und miteinander multipliziert, bis ein semantisch leeres Bild entsteht.