Der Mensch macht den Notfall... (Leserbrief) Provokant genug war Tamara`s Aufruf, sich zum Thema Notfall zu äußern. Lesen zu müssen, dass eine einzelne, überforderte Rattenmutter „viel dringender“ ist, als unser aller Bemühungen z.B. mit unseren 450 Ratten in München (im letzten Rattgeber nur wenige Seiten vor dem Aufruf in meinem Artikel beschrieben), ist nicht ohne Antwort hin zu nehmen. Zumal sie anfügt „...und es kann sich da wirklich ein Notfall entwickeln...“, es sich bei besagter Rattenmutter also ihrer Ansicht nach noch gar nicht um einen Notfall handelt? Nun, ich persönlich habe in dieser zeit für über 150 dieser überforderten Mütter gekämpft, ich kann nicht behaupten, dass diese 150 weniger dringend waren, als es ein einzelnes Weibchen wäre. Trotzdem habe ich ein einzelnes dieser Weibchen schleunigst zum Tierarzt gebracht, als es Probleme bei der Geburt hatte (und kurz danach starb...) und ließ es nicht liegen, weil es nicht so wichtig war. Ich glaube, dass all dies die falsche Herangehensweise ist! Und egal, was man dazu sagt, es würde in irgendeiner Weise nicht passen – irgendjemanden wird es immer stören. Ich glaube: Keine Ratte IST ein Notfall! Keine Ratte, egal welches Geschlecht, wie alt, ob sie lieb ist oder beißt, krank ist oder gesund, ist ein Notfall. Ich hatte selber hier ein Weibchen, das Probleme mit der Schwangerschaft und Aufzucht ihrer Babies hatte. Trotzdem war sie kein Notfall im Sinne der Dringlichkeit der Vermittlung oder des Einschreitens von außen. Weil sie gut versorgt war, da wo sie war. Ein anderes mal sitzen da zwei kerngesunde, superzahme junge Weibchen. Perfekt? Nein, ein Notfall! Weil Frauchen mit Atemnot im Krankenhaus liegt und Papa sie im Winter wegen des Gestanks und weil er keine Ratten mag, auf den Balkon gestellt hat. Nicht die Ratte ist der Notfall, sondern die Situation, in der sie steckt. Und an der ist nicht die Ratte schuld, sondern ganz allein der Mensch. Er ist es, nach dem wir die Dringlichkeit der Situation einschätzen sollten. Kommt er mit den Tieren nicht zurecht, geht er unnötige Risiken ein, kommt wichtigen Aufgaben nicht nach, oder ist er gar eine Bedrohung für die Tiere? Dann befinden sich die Ratten in einer Situation, die man als Notfall einschätzen kann. Nun bietet uns das Wort „Notfall“ leider keine große Hilfe bei der Untergliederung. Man kann schlecht sagen, diese Ratte ist „ein bisschen Notfall“ und die andere „viel Notfall“. Oder diese ein „Notfall Stufe 1“ und jene ein „Notfall Stufe 3“... Könnte man machen, aber was würde es ändern? - Nichts! Dann würden die Leute sich nicht streiten, OB es ein Notfall ist, sondern in welche Stufe er nun gehört. Und ganz ehrlich, Streit hat noch nie geholfen, schon gar nicht in der Notfallvermittlung. Die Realität hat doch im Grunde die Lösung schon gefunden. Und die Diskussion, wie man so was bezeichnet oder nicht, ist im Grunde unnötig. Wie läuft es ab, wenn eine „Notfallratte“ (= Ratte, die vermittelt werden muss) bei uns zB. in München gemeldet wird? Wir stellen uns die Fragen, in der folgenden Reihenfolge: 1) Wie dringend muss die Ratte da weg, wo sie ist? 2) Gibt es gesundheitliche Probleme, die schnelle Behandlung brauchen, Schwangerschaft? 3) Ist es Männchen/Weibchen, lieb/böse, alleine/viele, alt/jung... 4) Welche Farbe, Fotos, besondere Wünsche bei der Vermittlung etc. etc.... Mit all den Informationen macht man sich sein Bild und teilt sie als Notfallvermittler doch schon in gewisse Dringlichkeiten ein, das passiert aber doch nicht auf ´ner Liste, sondern einfach im Kopf. Und dann versucht man natürlich, die dringenderen Ratten schneller zu vermitteln, als den Zooladenwurf, der noch 4 Wochen bei der Mama bleiben muss und nur aus Weibchen besteht. Diese Liste ist aber doch nur Erfahrungssache und persönliche Einordnung des Notfallvermittlers, und in dem Sinne hat man da natürlich auch eine gewisse Verantwortung. Natürlich würde man als NFV natürlich gerne die dringenderen als erstes vermitteln. Aber die Realität ist anders, auch als NFV hat man mit Angebot und Nachfrage zu kämpfen. Und so muss man damit leben, dass die Interessenten natürlich nicht das „obere Ende“ haben wollen, sondern eher das „untere“. Sprich, die Nachfrage, nach jungen, handzahmen Weibchen ist gigantisch groß, die nach uralten, problematischen Vollböcken verschwindend gering. Ich als NFV reagiere darauf, indem ich versuche, die schwierigen Vermittlungstiere zu besseren Möglichkeiten zu verhelfen (sprich, sie von der hohen Stufe runter zu bringen, indem sie in Pflegestellen kommen, sie med. behandelt werden, mit ihnen gearbeitet wird dass sie nicht mehr beißen, Böcke kastriert werden...) und den Interessenten zu schwierigen Tieren ermutigen (sprich, sie für höhere Stufen zu öffnen, durch Aufklärung, Unterstützung bei Problemen, Schmusestunden mit älteren Tieren organisieren, zu Böckchen überreden...). Und so kriegt man hoffentlich möglichst alle Tiere an den Mann. Und man muss dann halt auch damit leben, dass das 10jährige Mädchen ohne Erfahrung eben nur gerade diese zwei Babyweibchen haben will. So sieht die Realität aus und es funktioniert doch sehr gut. Schwierige Tiere werden immer noch nicht so schnell vermittelt, aber sie werden es und die Notfallvermittler machen dies möglich. Vor allem, weil sie miteinander in Verbindung stehen und ein Netzwerk bilden (zB über den VdRD) und dadurch den Vermittlungsradius vergrößern. An sich klappt das. Bis auf den Streit, immer wieder. Warum gibt’s den? Auch hier die einfache Antwort: Weil es Menschen sind! Und NFV ist stressig und Nervenaufreibend, und wenig Menschen können dabei durchgehend ruhig bleiben. Würden Ratten Ratten vermitteln, wäre die Welt wohl perfekt! ... solang das nicht so ist, müssen sie wohl weiter darunter leiden, dass sich Menschen ihr Leben durch unnötige Diskussionen und Streits schwer machen, weil sie vor lauter Stress das Wesentliche aus den Augen verlieren: Die Ratte! Liebe Grüße Judith (München)