Tagblatt Online, 08. August 2012 01:33:05 Ein nicht ganz normaler Notfall Dein Schmerz ist mein Schmerz: Nicht nur in dieser Szene scheint Herr Geschwind (links) die Pein seiner Ehefrau mitzufühlen. Das Personal tut wenig, um diese zu lindern. (Bild: Michel Canonica) Die Musical-Oper «Notfall 51» des Goldacher Komponisten Christoph Schnell läuft seit Sonntag in der Lokremise. Während die Handlung dem Zuschauer verschiedene Lücken bietet, bleibt der Wortwitz oft zu oberflächlich. DAVID GADZE Wo einst Lokomotiven gewartet wurden, gehen diese Woche Patienten ein und aus: Am Sonntagabend feierte «Notfall 51», das Stück des Goldacher Komponisten und Produzenten Christoph Schnell, in der fast ausverkauften Lokremise seine Premiere. Die «tragikomische MusicalOper» mit Darstellern aus der Schweiz, Deutschland und Österreich ist jedoch noch viel mehr: eine Mischung aus «Sprechtheater, Operette, Volkslied, Rap, Oper und Musical», wie Schnell sagt. Brüchige Einheit Die Herausforderung, diese Vielfalt zu einer Einheit zu formen, ist Christoph Schnell unter dem Strich recht gut gelungen. Einige Elemente finden dennoch nur bruchstückhaft zueinander, beispielsweise der Rap einer Krankenschwester. Ansonsten ist die gesangliche Leistung der Darsteller so vielfältig wie souverän. Das trifft auch auf das Orchester zu, das im Minutentakt den Bogen von Jazz zu Rock spannt und dabei auch auf zahlreiche musikalische Zitate zurückgreift. So wird beispielsweise aus «Der Kuckuck und der Esel» «Der Blinddarm und der Doktor». Im Notfall wegen Blinddarm «Notfall 51» handelt vom Ehepaar Geschwind, das in die Notaufnahme eines Krankenhauses kommt, weil die Frau von Bauchschmerzen geplagt wird – wegen eines durchgebrochenen Blinddarms –, wie sich herausstellt. Das Stück spielt vor allem mit Klischees. Etwa dem Gefühl, im Wartesaal bewege sich alles im Zeitlupentempo. Den Krankenschwestern, für die Patienten nicht mehr sind als eine lästige Pflicht. Oder dem überbesorgten Ehemann, der unter den Schmerzen ebenso leidet wie seine Frau. Ein Klischee sind auch die «Götter in Weiss», diese «geballte weisse Übermacht», wie sie die Moderatorin (in der Person von Regisseurin Sarah Kattih) bezeichnet, die immer weiss, wann es wem an was fehlt oder zu fehlen hat. So etwa der narzisstische Oberarzt Dr. Stern, ein «Star» und «Herrscher über das Leben», der von seinen Assistenzärzten angehimmelt wird – notabene während die Putzfrau im Hintergrund den Boden schrubbt – und dabei selbst den Professor vergöttert. Zweideutigkeit als Stilmittel Vieles bleibt zweideutig. So etwa in der Szene, als Frau Geschwind und ihr Ehemann in die Notaufnahme des Spitals kommen: Untermalt von der passenden Musik, wirken die wenigen Schritte bis zum Empfang wie der Gang zu einer Hinrichtung. «Bald wird der Schmerz zu Ende sein», singt das Paar. Es ist ein Ausgang mit zwei Türen. Während einzelne Pointen sitzen und mit feinen Nadelstichen den Kittel der Ärzte Stück für Stück aufschlitzen, bleiben andere so wirkungslos stecken wie falsch gesetzte Injektionen, die nicht unter die Haut gehen wollen. Der Humor, den man dem Publikum verabreicht, bleibt in diesen Momenten oft oberflächlich, die Sprüche vorhersehbar. Wo der Wortwitz nicht genug hergibt, begnügt man sich zwischendurch mit angestrengtem Lustigsein. Musik für Gesang oft zu laut Auch das akustische Miteinander ist nicht immer befriedigend: Spielt das Orchester nur ein bisschen lauter, übertönt es den Gesang der Darsteller, der zu einem Nebengeräusch verkommt. In der Geschichte öffnen sich immer wieder Lücken, in die sich der Zuschauer selbst hineindenken und sich so sein eigenes Bild von den Geschehnissen machen muss. So bleibt auch die Operation buchstäblich im Dunkeln, nur die von unten beleuchteten Gesichter der Chirurgen und eine Wiederholung der Hinrichtungs-Melodie lassen erstmal auf keinen guten Ausgang schliessen. «Leb' ich noch, oder bin ich schon gestorben?», fragt Frau Geschwind nach der Operation, selbst nicht wissend, durch welche der beiden Türen sie herausgekommen ist. Himmel und Hölle habe sie erlebt. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es selbst aus der irrsten Notfallstation einen Ausgang irgendwo auf irdischem Niveau gibt. Weitere Aufführungen: morgen Do und Fr, jeweils 20 Uhr, Lokremise.