ÖKOLOGIE DER VÖGEL -1- ÖKOLOGIE DER VÖGEL 1 Einleitung Ökologie befasst sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Organismen und ihrer Umwelt – und da letztere zum grossen Teil wiederum aus Organismen besteht, mit den Wechselwirkungen von Organismen untereinander. Wehner & Gehring 1995 Fragen nach dem WARUM können meist nur beantwortet werden, wenn ein Lebewesen in seiner Umwelt betrachtet wird – und Vögel bilden da keine Ausnahme. Natur- und Umweltschutz kann daher nur betrieben werden, wenn die Zusammenhänge berücksichtigt werden. 2 Der Vogel und seine Umwelt Das Vorkommen und das Gedeihen einer bestimmten Vogelart wird durch viele Umweltfaktoren beeinflusst. Dabei kann zwischen unbelebten (abiotischen) und durch andere Lebewesen verursachten (biotischen) Faktoren unterschieden werden (Abb. 1). Der wohl entscheidendste abiotische Faktor ist die Temperatur. Einfluss durch unbelebte, abiotische Umweltfaktoren Einfluss durch andere Lebewesen biotische Umweltfaktoren T emperatur Niederschlag Jahresmittel Jahres- und Tagesmittel, Schwankungen Extremwerte Fressfeinde Nahrung Menge, Jahresverteilung Menge, Erreichbarkeit Licht Zeitgeber Tag, Jahreszeit Konkurrenten Innerartliche und zwischenartliche Wind Parasiten zB. Federlinge Boden und Wasser Material (Lehm, Kies, Fels), Festigkeit, Wasserfläche, -Tiefe, Strömung Vegetation Pflanzenarten, Dichte, Höhe, Schichtung, Struktur Nistplätze, Baumhöhlen, Warten, Schutz Abb. 1: Verschiedenste Einflüsse haben Auswirkungen auf den Vogel. ÖKOLOGIE DER VÖGEL -2- Die Temperatur Die Körpertemperatur der Vögel ist, unabhängig von der Umwelt, weitgehend konstant. Die normale Körperkerntemperatur verschiedener Vogelarten liegt zwischen 38 und 42° C. Über einen gewissen Bereich der Umgebungstemperatur kann der Vogel seine Körpertemperatur relativ konstant halten, ohne zusätzliche Energie für die Wärmeproduktion aufwenden zu müssen. Dieser Bereich ist für verschiedene Arten unterschiedlich (Abb. 2). Doch auch wenn die Körpertemperatur als weitgehend konstant gilt, zeigt sie doch eine Reihe auffälliger Schwankungen. So unterliegt sie einem Tagesgang mit niedrigeren Werten zur Ruhezeit und höheren zur Aktivzeit. Kleine Arten senken nachts die Körpertemperatur wesentlich tiefer ab als grössere Arten. Abb. 2: Aussentemperatur, bei denen verschiedene Arten keine zusätzliche Energie zur Temperaturregulation aufwenden müssen (Bairlein 1996). Zwei klassische Regeln der Ökologie Die Bergmannsche Regel besagt: Je kälter der Lebensraum, desto grösser die Tiere. Grosse Vögel haben eine zu ihrer Körpermasse geringere relative Körperoberfläche, über die z.B. Wärme verloren, bzw. abgegeben werden kann. Dies ist eine Erklärung, dass nah verwandte Arten, welche weiter polwärts vorkommen, grösser sind als ihre Verwandten in Äquatornähe. Ein Beispiel dafür sind die Pinguine: Kaiserpinguine (112cm) leben am Südpo. Je weiter man zum Äquator geht, werden die Pinguine kleiner (Galapagospinguin: 48cm). Die Allensche Regel sagt, dass jegliche Anhängsel am Körper kleiner werden, je kälter die Umgebungstemperatur ist. Dies ist mit der Verminderung der Wärmeabstrahlung zu erklären. Wenn wir Menschen kalt haben, Ballen wir die Hände, da sie sonst zu viel Wärme abstrahlen. Das klassische Beispiel dafür: Der Polarfuchs besitzt nur kleine, rudimentäre Ohren, wogegen unser Rotfuchs bereits recht grosse Ohren trägt. Der Fenek (Wüstenfuchs) besitzt überdimensional grosse Ohren, dank denen er in der Wüste Wärme an die Umgebung abgeben kann. Wie meistern Vögel Kälteperioden? Die eleganteste Art der Kälte auszuweichen ist der herbstliche Zug in Richtung Süden. Viele Vögel bleiben jedoch in Lebensräumen, in denen die Umgebungstemperaturen zeitweise sehr tief sein können. Im Alpenraum überwinternde Vögel erfahren regelmässig Temperaturen bis unter -30°C. Die Winternächte sind kalt und lang, die Tage kurz, es ÖKOLOGIE DER VÖGEL -3- herrscht nicht selten Nahrungsmangel – eine wirklich lebensfeindliche Situation! Wie meistern dies Alpenschneehuhn, Hausspatz und Co.? Wichtig ist das Gefieder. Die Konturfedern schützen die gut isolierenden Daunenfedern vor äusseren Einflüssen. Bei sehr kalter Witterung kann durch Plustern eine erhöhte Isolation des Gefieders erreicht werden (weitere Luft wird eingeschlossen). Zudem kann durch eine rundlichere Körperhaltung eine Optimierung des Wärmeverlustes erreicht werden (Abb. 3). Neben dem Gefieder ist auch Winterfett wichtig. Es dient als weitere isolierende Schicht, ist aber auch ein wichtiger Energiespeicher. Zusätzliche Wärmeproduktion erfolgt beim ruhenden Vogel vor allem durch „Kältezittern“. Dabei wird Wärme durch schnelle Muskelkontraktionen freigesetzt. Abb. 3: Körperhaltung einer Amsel bei verschiedenen Umgebungstemperaturen. Der eigentliche Körper ist schraffiert dargestellt (Bairlein 1996). Manche Vogelarten nächtigen im Winter gemeinsam in Schlafgruppen mit engem Körperkontakt, um den Verlust an Wärme weiter zu vermindern. Vögel der Gruppe verlieren dabei bis zu 50% weniger Wärme als einzeln schlafende. Eine andere Möglichkeit ist das Nächtigen in Höhlen, Spalten und Ritzen oder im dichten Geäst von Nadelbäumen. Der Wärmeverlust durch Luftbewegungen wird dadurch erheblich reduziert. Nahrungsengpässe treten nicht nur bei solchen Arten auf, die in kalten Klimazonen überwintern. Auch mitten im Sommer kann es Probleme geben. Arten, die sich von fliegenden Insekten ernähren (z.B. Rauchschwalbe, Mauersegler), können durch eine längere kühle Regenperiode in Nahrungsschwierigkeiten kommen. Haben Schwalben und Segler vor der Nacht keine Möglichkeit, ausreichend Nahrung aufzunehmen, so verfallen sie in einen tiefen Lethargiezustand, in dem sie auf Aussenreize kaum mehr reagieren – den so genannten Torpor. Aus diesem können sie spontan und ohne negative Auswirkungen auf ihr Befinden wieder aufwachen. Da während des Torpors die Körperfunktionen stark reduziert sind, benötigt der Vogel wesentlich weniger Energie als im Normalzustand und kann so auch mit geringen Energiereserven noch überleben. Wie gehen Vögel mit grosser Hitze um? Manche Vögel müssen verhindern, dass ihre Körpertemperatur infolge von Muskelarbeit oder Aufenthalt in grosser Hitze zu stark ansteigt. Eine wichtige Anpassung dazu ist allein schon die recht hohe Körpertemperatur von Vögeln. Bei den meisten Vögeln kann die Körpertemperatur schwanken, ohne dass eine Schädigung eintritt (Beispiel Hausspatz: Normaltemperatur 41°C, bis 44.7°C keine Schädigung). Im Gegensatz zu uns Menschen können Vögel nicht schwitzen, da sie keine Schweissdrüsen besitzen. Die Kühlung des Körpers erfolgt daher unter anderem durch Verdunstung von Wasser über die Atemluft (= Hecheln; Anstieg der Atemfrequenz). Eine zusätzliche Möglichkeit ist das Kehlsackflattern, ÖKOLOGIE DER VÖGEL -4- das bei Pelikanen oder Kormoranen oft zu beobachten ist. Ein kühlendes Bad ist zudem im Sommer eine weitere Möglichkeit. Weissstörche nutzen diese Möglichkeit z.B. mit ihren Füssen und Beinen, andere Arten nützen Pfützen für ausgiebige Badeanlässe, Untertauchen ist die Extremform der Abkühlung. Eine weitere Möglichkeit, Wärme an die Umgebung abzugeben, ist die Haltung der Beine. Da diese nicht befiedert sind, können sie durch Ausstrecken exponiert werden und dadurch Wärme abgeben. Wind oder Luftzug, der durch die Eigenbewegung verursacht wird, kann die Abkühlung zusätzlich unterstützen. Hilft alles nichts mehr, so sucht der Vogel den Schatten auf, um der Hitze der Sonne auszuweichen. Die Gilde Damit ein bestimmter Lebensraum von einer bestimmten Art besiedelt wird, müssen viele Faktoren zusammenstimmen. Innerhalb eines solchen Lebensraums können unter Umständen mehrere Arten gleichzeitig leben. Eine Gruppe, die ihre Umwelt in gleicher Weise nutzt, nennt man in der Ökologie eine Gilde. Übung 1: Ordne die folgenden Arten einer Lebensraum-bezogenen Gilde zu: Bekassine, Bergpieper, Eisvogel, Feldlerche, Gartenrotschwanz, Mauersegler, Mehlschwalbe, Schilfrohrsänger, Steinadler, Steinschmätzer, Türkentaube, Wiesenpieper Nivale, alpine und waldfreie subalpine Habitate Feuchtgebiete und Gewässer Kulturland im weitesten Sinne Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass jede Art innerhalb ihres Lebensraums weiter spezialisiert ist (Abb. 4). Abb. 4: Beziehung zwischen Wassertiefe und Vegetationshöhe in den Revieren von Rohrsängerarten (Bairlein 1996). ÖKOLOGIE DER VÖGEL -5- Nahrung so vielseitig wie die Vögel selber! Die Nahrung der Vögel ist äusserst vielseitig. Unter den Vögeln gibt es wohl nur wenige echte Nahrungsspezialisten. Zu diesen gehören am ehesten Gänse und Raufusshühner. Die Mehrheit der Arten weist einen insgesamt recht breiten Speisezettel auf. Diese Aussage stimmt aber nur, wenn man die gesamte Lebenszeiternährung einer Art oder auch eines Einzeltieres betrachtet. Je nach Jahreszeit, Lebensraum, Lebensphase (Jugend, Mauser, Brut, Zug) kann der Speisezettel einer Art sehr variabel oder auch sehr spezialisiert sein. Die Einteilung von Arten in z.B. Pflanzenfresser, Fruchtfresser, Körnerfresser, Insektenfresser, Fleischfresser oder Allesfresser ist somit nur bedingt möglich. Nach Nahrung suchende Vögel müssen einige Entscheidungen treffen: Welche Nahrung fresse ich? Welche Strategie der Nahrungssuche wähle ich? Wo suche ich Nahrung? Wie lange verweile ich an einem Ort bzw. wann muss ich den Ort wechseln? Vögel haben die unterschiedlichsten Lösungen gefunden. Auch wenn eine Einteilung nicht für alle Lebenslagen gelten kann, so lassen sich Arten doch in Nahrungsgilden einteilen: Übung 2: Suche für jede Gilde zwei Beispiele: Wartenjäger Ansitz: rüttelnd: Flugjäger: überraschend: verfolgend: Insektenfänger: Bodenabsucher: Flugjäger vom Ansitz: Flugjäger frei: Stammkletterer: Astkletterer: Die ökologische Nische Jede Vogelart zeichnet sich durch die Bevorzugung ganz bestimmter Umweltfaktoren aus. In der Ökologie nennt man dies eine ökologische Nische. Eine ökologische Nische, die Kombination ganz bestimmter Merkmale biotischer und abiotischer Faktoren, kann nur durch eine einzige Art besetzt sein. Wollen zwei Arten die gleiche Nische besetzen, so kommt es unweigerlich zu Konkurrenz, bei der sich die stärkere Art durchsetzen wird. ÖKOLOGIE DER VÖGEL -6- 3 Wechselbeziehungen Intraspezifische Konkurrenz Konkurrieren sich Individuen der gleichen Art, so spricht man von intraspezifischer oder innerartlicher Konkurrenz. Intraspezifische Konkurrenz führt zu verminderter Ressourcenaufnahme pro Individuum, vielleicht zu reduzierter Wachstums- oder Entwicklungsraten der Individuen. Reserven werden aufgebraucht oder die Gefahr erhöht sich, Räubern zum Opfer zu fallen. Interspezifische Konkurrenz Bei der interspezifischen Konkurrenz geht es um die Konkurrenz zwischen verschiedenen Arten. Die interspezifische Konkurrenz wirkt sich insbesondere auf die Fruchtbarkeit, das Wachstum oder die Überlebenswahrscheinlichkeit der Individuen aus. Diese wenigen Auswirkungen können aber auf die ganze Umwelt grosse Einflüsse haben. Räuber-Beute-Beziehungen Es besteht kein Zweifel, dass Konsumenten die Verbreitung und die Häufigkeit dessen beeinflussen, was sie konsumieren. Die Wechselbeziehung zwischen Räuber und ihrer Beute ist ein zentrales Thema der Ökologie. Ein Beispiel: Der Kormoran hat in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen gesorgt. Seine Brutbestände wurden während Jahrhunderten massiv bekämpft und auf wenige tausend Paare reduziert. Es war vor allem der Schutz der EU ab 1982, der eine Bestandeserholung bewirkte. In Zusammenhang mit dieser Zunahme im Brutgebiet der Region Niederlande – Dänemark – Osteuropa von 3’000 anfangs des 20. Jahrhunderts auf über 100'000 Paare in den 1990er-Jahren nahm auch die Zahl der Kormorane zu, die durch die Schweiz ziehen oder hier überwintern. Allerdings sind dies nur 3% des gesamten europäischen Brutbestandes. Da sich der Kormoran ausschliesslich von Fischen ernährt, wurde versucht, ihn zum Sündenbock für den Rückgang bedrohter Fischarten zu machen. Doch fischfressende Vogelarten sind nur ein Faktor von vielen, die auf Fischbestände wirken. Für viele Faktoren ist der Mensch verantwortlich: Die Gewässer wurden verbaut und begradigt, der Deckung beraubt und für wandernde Fische unpassierbar gemacht; mit den Siedlungsabwässern gelangen problematische Stoffe ins Wasser etc. Übung 3: Ergänze das Beziehungsgefüge. ÖKOLOGIE DER VÖGEL -7- Nahrungsnetze Die wichtigste Beziehung zwischen verschiedenen Lebewesen besteht meist in Bezug auf die Nahrung. Nahrungsketten stellen den Energiefluss von der Sonne als primärer Energiespenderin über die Pflanzen (Produzenten) zu den Tieren (Konsumenten) in verschiedenen Ernährungsstufen dar (Abb. 5). Pflanzenfresser (Vegetarier) werden als Konsumenten 1. Ordnung bezeichnet, Fleischfresser (Karnivoren), die sich von Pflanzenfressern ernähren, als Konsumenten 2. Ordnung und so weiter. Oft lassen sich jedoch Tiere nicht eindeutig einer Stufe zuordnen, da sie ein breiteres Nahrungsspektrum besitzen. (Körnerfresser fressen in der Brutzeit oft auch Insekten) Stufen der Nahrungskette Prod uzente n grü ne Pflanzen Pfl anzenfresse r Kon sume nten 1. Ordnun g Fl eischfre sser Kon sume nten 3. Ordnun g Fl eischfre sser Kon sume nten 2. Ordnun g Abb. 5: Nahrungskette. Massenverhältnisse der einzelnen Stufen von Nahrungsketten Einige Beispiele für Nahrungsketten: Pflanze Produzenten Pflanzenfresser Konsumtent 1. Ordnung Fleischfresser Konsument Konsument 2. Ordnung 3. Ordnung Grasblatt (tot) Regenwurm Spitzmaus Schleiereule Laubblatt1000 Pflanzensaft Blattkäfer 100 Blattlaus(-Kot) Mönchsgrasm. 10 Ameise Sperber 1 Wendehals Habicht Blässhuhn Rohrweihe Phytoplankton / Algen Zooplankton / WanderAnreicherung von Stoffen in der Nahrungskette Kleinkrebs muschel Konsument 4. Ordnung (vor allem Stoffe, die sich im Fettgewebe oder im Knochengewebe anreichern und schlecht Phytoplankton / Algen abbaubar sind) 1 Zooplankton / Kleinkrebs 10 Weissfisch (Schwale) 100 Edelfisch (Hecht) 1000 ungefährliche gefährliche Konzentration werden heute oftmals als zu statisch und vereinfachend Konzentration Nahrungsketten empfunden. In jüngerer Zeit ist deshalb der Begriff des Nahrungsnetzes populärer geworden. Nahrungsnetze versuchen der Komplexität natürlicher Ökosysteme gerecht zu werden. Die Beziehungen sind – im Gegensatz zur Nahrungskette – nicht mehr in einer linearen Abfolge dargestellt, sondern sind vielfältiger und komplexer. Mit Hilfe von Nahrungsnetzen wird versucht, die (Nahrungs-)Beziehungen eines ganzen Ökosystems darzustellen, beispielsweise eines Weihers oder eines Bachlaufs. In einem Nahrungsnetz lassen sich auch leicht (Nahrungs-) Spezialisten und Generalisten unterscheiden. Spezialisten haben kaum Konkurrenten, aber sie sind in starker Weise von einer einzigen oder einigen wenigen Nahrungsarten abhängig und entsprechend gefährdet bei allfälligen Veränderungen des Nahrungsangebots. Sie dienen deshalb oft als Indikatorarten, mit derer Hilfe man Veränderungen im Lebensraum leichter entdecken kann. ÖKOLOGIE DER VÖGEL -8- Im Gegensatz dazu sind Generalisten flexibel und anpassungsfähig. Sie können leichter von einer Nahrungsquelle zur anderen wechseln. ÖKOLOGIE DER VÖGEL -9- Übung 4: Ergänze das Nahrungsnetz mit den richtigen Beziehungen. Welches sind Generalisten, welches Spezialisten? Habicht Mäusebussard Schleiereule Neuntöter Spitzmaus Spinne Spechte Grün- Bunt- Eidechse Bockkäfer Goldhähnchen Singdrossel Raupe Ameise Grünfink Feldmaus Blattlaus Schmetterling Regenwurm Wurzel Holz Rinde Saft Bast Blätter Knospen Früchte Samen Nektar Pollen ÖKOLOGIE DER VÖGEL - 10 - 4 Populationsökologie Eine Population ist eine Gruppe von Individuen derselben Art, die zu einer bestimmten Zeit ein bestimmtes Gebiet bewohnen. Populationsgrösse und -dichte In der Populationsökologie ist insbesondere die Populationsgrösse bzw. die Populationsdichte von grosser Wichtigkeit. Diese Zahlen ermittelt man einerseits durch Zählungen, andererseits durch Stichproben bzw. Schätzverfahren. Zählungen sind vor allem bei seltenen Arten wichtig. Zählungen führen zu absoluten Zahlen. Diese können auch erhoben werden, wenn Arten konzentriert vorkommen (Kolonien) oder auf kleinen Flächen, die man flächendeckend kartiert. In den meisten Fällen jedoch wird eine Totalerfassung nicht möglich sein. Hier helfen dann nur Stichproben bzw. Schätzverfahren weiter, die eine Hochrechnung erlauben: Punkt-Stopp-Zählungen Linientaxierung Fang-Wiederfang-Analysen Änderung der Populationsgrösse Die Populationsgrösse ist durch folgende Faktoren gegeben: Geburten und Zuwanderung erhöhen die Populationsdichte, Todesfälle und Abwanderung vermindern sie. Will man eine Population und ihre Entwicklung verstehen, gilt es, diese Grundelemente einer Population zu analysieren. Bei der Neubesiedlung von Flächen oder bei der Erschliessung neuer Ressourcen ist oftmals ein sehr schnelles Wachstum der Population zu beobachten (z.B. Kormoran Anfang 2000erJahre). Allmählich flacht die Zunahme aber ab und pendelt sich auf einem bestimmten Wert ein. Die sogenannte Kapazität der Umwelt ist dann erreicht (z.B. Steinadler). Bruterfolg Der Bruterfolg beschreibt den Anteil flügger Junge an der Gesamtzahl aller in der Population gelegten Eier. Der Bruterfolg von Vogelarten ist artspezifisch sehr unterschiedlich. Bei Singvögeln unserer Breiten beispielsweise beträgt er meist zwischen 30 und 80 %. Der Bruterfolg ist zudem ganz allgemein abhängig vom Nisttyp. Offene Nester am Boden haben mit durchschnittlich etwa 40% einen geringeren Erfolg als offene Nester im Gebüsch mit etwa 55-60%. Den durchschnittlich höchsten Bruterfolg zeigen Höhlenbrüter mit etwa 7080%. Zudem ist der Bruterfolg insbesondere bei langlebigen Arten abhängig vom Alter der Eltern (Abb. 6). Sterblichkeit Die Sterblichkeitsverhältnisse sind artspezifisch sehr verschieden. In der Regel haben grosse Arten geringere Adultensterblichkeit als kleine Arten. Typisch für nahezu alle Vogelarten ist eine hohe Sterblichkeit im ersten Lebensjahr, gefolgt von einer meist wesentlich geringeren in späteren Jahren. Bei vielen Singvögeln liegt beispielsweise die Erstjahressterblichkeit bei 70-80%, die Adultsterblichkeit dagegen bei nur mehr etwa 50%. ÖKOLOGIE DER VÖGEL A - 11 - B Abb. 6: Altersabhängiger Fortpflanzungserfolg beim Weissstorch; B Alterszusammensetzung einer langlebigen (Weissstorch) und einer kurzlebigen (Mehlschwalbe) Vogelart (Bairlein 1996). Verteilmuster Viele Vogelarten sind während der Brutzeit eher gleichmässig (regelmässig) verteilt. Ursache hierfür ist in vielen Fällen die Territorialität, bei der ein klar abgegrenzter Raum (das Revier) verteidigt wird. Reviere können sehr unterschiedlich gross sein. Die Reviergrösse steht in enger Beziehung zur Körpergrösse. Sie kann bei Kleinvögeln nur wenige 100m2 ausmachen, bei grossen Räubern dagegen mehrere 100km2 betragen. Zudem zeigt sich ein interessanter Unterschied zwischen verschiedenen Ernährungsstrategien. Pflanzenfressende Arten haben durchschnittlich kleinere Reviere als gleich grosse fleischfressende Arten. Zu einer ganz anderen Verteilung von Vögeln im Raum führt das Brüten in Kolonien. In der Räuberabwehr bietet die Kolonie Vorteile, weil ... ... eine Gruppe Vögel ihre Räuber früher erkennt als Einzeltiere. ... Räuber gemeinsam besser abgewehrt werden können. ... die individuelle Wahrscheinlichkeit, einem Räuber zum Opfer zu fallen, geringer ist. Obwohl unter bestimmten ökologischen Umständen Koloniebildung durchaus vorteilhaft ist, brüten nur etwa 13% aller Vogelarten in Kolonien. Offensichtlich überwiegen die Nachteile kolonieartigen Brütens. Zu nennen sind hier: Zunehmende innerartliche Konkurrenz, als Folge erhöhte innerartliche Aggressivität, das Risiko des Kannibalismus und das Risiko der Krankheits- und Parasitenübertragung. Zudem sind Kolonien aufgrund ihrer Auffälligkeit selbst auch eine gute Nahrungsquelle für Räuber. Gefährdung von Populationen Die Bestände vieler Vogelarten haben über die letzten Jahrzehnte teilweise dramatisch abgenommen. Die Ursachen dafür sind vielfältig, meist aber auf menschliche Einflüsse zurückzuführen. Eine Analyse der Gefährdungsursachen weist die Landbewirtschaftung als wichtigsten Gefährdungsfaktor aus, gefolgt von den Gefährdungen durch Wasserwirtschaft und Waldwirtschaft. Besonders Entwässerungsmassnahmen, die Ausräumung der Landschaft und die Fragmentierung der Landschaft, sowie die Aufgabe extensiver Nutzung und die Umwandlung von Grünland in Ackerland sind vornehmliche Gefährdungsfaktoren durch die Landbewirtschaftung. Insbesondere viele karnivore Vogelarten reichern Umweltgifte über ihre Nahrungskette an (Abb. 6). Diese Stoffe können dann in vielfältiger Weise den Stoffwechsel beeinflussen und sich so auch z.B. im Fortpflanzungserfolg niederschlagen (z.B. DDT). ÖKOLOGIE DER VÖGEL - 12 - Abb. 6: Viele Schadstoffe können sich in Organismen akkumulieren. Vögel stehen häufig an der Spitze von Nahrungsketten und reichern so Umweltgifte in teilweise grossen Konzentrationen an. Rote Liste Die Rote Liste des Bundesamts für Umwelt (BAFU) und der Schweizerischen Vogelwarte aus dem Jahre 2010 listet alle gefährdeten und seltenen Brutvogelarten der Schweiz auf. Die Einteilung der Vögel basiert auf den Kriterien der IUCN (Internat. Naturschutzorganisation): Gemäss den IUCN-Kriterien werden die Vögel neu folgendermassen eingeteilt: EX EW RE CR EN VU NT LC Ausgestorben (extinct) In der Natur ausgestorben (extinct in the wild) In der Schweiz ausgestorben (regionally extinct) Vom Aussterben bedroht (critically endangered) Stark gefährdet (endangered) Verletzlich (vulnerable) Potenziell gefährdet (near threatened) Nicht gefährdet (least concern) Unsere Rote Liste umfasst alle Kriterien von RE (ausgestorben) bis VU (verletzlich). Arten, die als NT (potenziell gefährdet) eingestuft sind, liegen zwischen der Roten Liste und der Liste mit allen Vögeln, die nicht gefährdet sind (LC). In der Schweiz sind 78 Vogelarten auf der Roten Liste: 7 sind in der Schweiz ausgestorben (RE, z.B. Fischadler, Haubenlerche), 9 Arten sind vom Aussterben bedroht (CR, z.B. Wachtelkönig, Bekassine), 21 Arten sind stark gefährdet (EN, z.B. Auerhuhn, Lachmöwe) und 41 Arten sind in ihrem Bestand verletzlich (VU, z.B. Gänsesäger, Wendehals). Knapp 40% aller Brutvögel in der Schweiz stehen also auf der Roten Liste. Zudem sind weitere 32 Arten (16%) als potenziell gefährdet (NT, z.B. Fitis, Saatkrähe) eingestuft. Nur gerade 89 Arten (44.7 %) sind zur Zeit nicht gefährdet. Eine bedenkliche Situation. Gründe dafür werdet ihr in den weiteren Ökologieteilen der einzelnen Lebensräumen erfahren. 5 Zwei Ergänzungen Jagd Im „Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel“ (Jagdgesetz, JSG) vom 20 Juni 1986 finden sich die Grundlagen, nach denen die Kantone ihr eigenes Jagdgesetz erlassen können. Auszüge aus den Zürcher Gesetzen, welche die Vögel betreffen, finden sich im Anhang. Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und die Schweizerische Vogelwarte halten die Diskussion über die Jagdbarkeit bedrohter Arten aufrecht. Die Jagd bedeutet für viele rastende Vögel eine massive Störung. Zudem wird festgehalten, dass sich die Jagd meist als ÖKOLOGIE DER VÖGEL - 13 - das falsche Mittel erwiesen hat, Populationen grossräumig in Schach zu halten (z.B. Rabenkrähen). Gefangenschaftsflüchtlinge Seit die Menschen über die Weltmeere hinweg Handel betreiben, also seit dem Ende des 15. Jahrhunderts, verfrachten sie Tiere über alle biogeografischen Grenzen hinweg. Teilweise wurden fremde Arten bewusst ausgesetzt, teilweise entwichen sie absichtlich oder unabsichtlich aus der Gefangenschaft. So haben etwa 20 exotische Vogelarten, also knapp 4 Prozent der 513 Brutvogelarten Europas, inzwischen selbsterhaltende Populationen aufgebaut. Bis 2005 wurden der Schweizerischen Vogelwarte 141 verschiedene Arten als Gefangenschaftsflüchtlinge gemeldet. Die meisten exotischen Arten erweisen sich als harmlos. Einige wenige aber verursachen beträchtliche ökologische oder ökonomische Schäden. Faunenfremde Vogelarten können die einheimische Avifauna in verschiedener Weise gefährden, vor allem durch Konkurrenz (z.B. Rostgans), Hybridisierung (z.B. Schwarzkopfruderente) und durch die Übertragung von Krankheiten. Eingeführte Arten können mit einheimischen um Nahrung und Nistplätze konkurrieren. Sie sind deshalb für die Ökologie heute ein wesentlicher Faktor, der leider nicht mehr wegzudenken ist. 6 Literatur Ökologie allgemein & Vögel Bairlein, F. (1996): Ökologie der Vögel: Physiologische Ökologie – Populationsbiologie – Vogelgemeinschaften – Naturschutz. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart. Begon, M., J. L. Harper & C. R. Townsend (1991): Ökologie. Individuen – Populationen – Lebensgemeinschaften. Birkhäuser Verlag. Basel, Boston, Berlin. Zoologie allgemein: Wehner R. & W. Gehring (1995): Zoologie. Georg Thieme Verlag. Stuttgart & New York. Kormoran: Bollmann, K. & W. Müller (1998): Gänsesäger, Kormoran, Nase, Äsche & Co. Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz. Zürich. Jagd: Müller, W. (1997): Die Geschichte der Gesetze. Ornis 6/97, S. 34-35. Gefangenschaftsflüchtlinge Absichtlich und unabsichtlich ausgesetzte Vogelarten in der Schweiz: Positionspapier des SVS, seiner Landesorganisationen und Kantonalverbände (2003), Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz. Zürich. Winkler, R. (1999): Avifauna der Schweiz. Ornith. Beob., Beiheft 10. Skript abgeändert nach Silvio Stucki (2004).