Der Irrtum der Irrtumstheorie Eine Nicht-Standard-Interpretation von Mackies Irrtumstheorie in Ethics: Inventing Right and Wrong Abstract In der vorliegenden Arbeit wird gezeigt, dass die Standardinterpretation von J.L. Mackies so genannter Irrtumstheorie zu grossen interpretatorischen Problemen führt. Eine alternative Interpretation, wie die Irrtumstheorie zu verstehen ist, wird vorgeschlagen: Mackies Irrtumstheorie besagt gemäss dieser Interpretation, dass einem Sprecher, welcher über moralische Eigenschaften spricht, die Bezugnahme (Referenz) auf moralische Eigenschaften misslingt. Der mögliche Einwand, dass durch diese Interpretation der Unterschied zwischen Irrtumstheorie und Nonkognitivismus verwischt werde, wird dadurch beantwortet, dass der Nonkognitivismus nicht als semantische, sondern als pragmatische Position aufgefasst wird. Inhalt {Automatisches Inhaltsverzeichnis!} Einleitung In seinem viel beachteten Buch Ethics: Inventing Right and Wrong (Mackie 1990) setzt sich John Leslie Mackie u.a. mit nonkognitivistischen Positionen in der Metaethik (z.B. Ayer, Stevenson) auseinander. Mackie setzt sich von den Nonkognitivisten ab und vertritt eine so genannte Irrtumstheorie der ethischen Eigenschaften. Diese Theorie ist breit rezipiert worden. Sowohl die zustimmenden als auch die ablehnenden Kritiker der Irrtumstheorie haben meines Erachtens allerdings übersehen, dass diese einen ganz grundsätzlichen Fehler aufweist, wenn sie in ihrem Standardverständnis aufgefasst wird. Diese Beobachtung bildet den Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit. Nach der Unterscheidung von Nonkognitivismus und Irrtumstheorie gemäss der Standardinterpretation (Kapitel 1) zeige ich das Problem auf, welchem diese Standardinterpretation begegnet (Kapitel 2), löse das Problem durch eine neue Interpretation dessen, was mit der Irrtumstheorie gemeint sein könnte (Kapitel 3) und zeige schliesslich, dass meine NichtStandardinterpretation nicht mit dem Nonkognitivismus zusammenfällt (Kapitel 4). Ein Ausblick auf den möglichen Nutzen dieser Diskussion für Theorien des moralischen Realismus (Kapitel 5) schliesst die Arbeit ab. 1. Standardinterpretation von Nonkognitivismus und Irrtumstheorie Der metaethische Nonkognitivismus (Ayer, Stevenson) ist gemäss der Standardinterpretation eine semantische Theorie, also eine Theorie über die Bedeutung ethischer Äusserungen. Der Nonkognitivismus besagt, dass ethische Äusserungen keinen propositionalen Gehalt haben, also keine Aussagen sind, sondern nur Gefühlsäusserungen. (Der semantische Gehalt von «Es ist schlecht, ein Versprechen zu brechen» entspricht dem semantischen Gehalt von «Versprechen brechen pfui!») Die Irrtumstheorie (Mackie) besagt gemäss der Standardinterpretation, anders als der Nonkognitivismus, Folgendes: Ethische Aussagen haben propositionalen Gehalt und sind wahrheitswertfähig. Aber alle ethischen Aussagen sind falsch (da es keine ethischen Werte gibt, diese jedoch nötig wären, um einen solchen Satz wahr zu machen). 2. Der einfache Fehler der Standardinterpretation Wenn Aussagen eines bestimmten Bereichs (z.B. Ethik, Rede über das Göttliche, Rede über Phlogiston etc.) wahrheitswertfähig sein sollen, dann können nicht sämtliche Aussagen dieses Bereichs falsch sein. (Wenn «Mord ist verboten» falsch ist, dann ist das kontradiktorische Gegenteil, «Mord ist erlaubt», wahr.) 3. Die alternative Interpretation der Irrtumstheorie Die alternative Interpretation der Irrtumstheorie nimmt Peter Strawsons Lösung der Problematik von Sätzen wie «Der gegenwärtige König von Frankreich trägt eine Glatze» zu Hilfe: Dieser Satz ist, zum gegenwärtigen Zeitpunkt, nicht falsch. Vielmehr gelingt es einer Sprecherin, die diesen Satz äussert, nicht, eine wahrheitswertfähige Aussage zu machen, da ihr die Referenz auf eine existierende Person misslingt. Der Satz ist aber deswegen nicht etwa bedeutungslos und hat durchaus propositionalen Charakter (vgl. Strawson 1950). Übertragen auf die Irrtumstheorie, würde dies dann heissen: Wer ethische Sätze äussert, dem misslingt die Bezugnahme auf einen moralischen Wert, da es (gemäss Mackie) keine solchen moralischen Werte gibt. Der geäusserte Satz hat zwar propositionalen Charakter, aber er hat keinen Wahrheitswert. Diese Interpretation der Irrtumstheorie vermeidet den in Kapitel 2 aufgezeigten Fehler, da sie ethischen Sätzen keine Wahrheitswerte zuschreibt. Diese Interpretation ist durchaus vereinbar mit dem Wortlaut in Mackies Buch, so z.B. mit der folgenden zentralen Stelle: «The assertion that there are objective values or intrinsically prescriptive entities or features of some kind, which ordinary moral judgements presuppose, is, I hold, not meaningless but false» (49). Falsch, aber nicht bedeutungslos, ist hier nämlich die These, dass es objektive Werte gebe, also eine metaethische Aussage. Über ethische Aussagen wird in dieser Passage gar nicht gesprochen. 3.1 Einwand: Verwischung des Unterschieds zum Nonkognitivismus? Ein möglicher Einwand, der gegenüber einer solchen Interpretation vorgebracht werden kann, ist der folgende: Wird dadurch nicht der Nonkognitivismus, von dem sich Mackie ja explizit absetzen will, gerade wieder mit der Irrtumstheorie gleichgesetzt? In beiden Fällen lautet die These dann ja, dass ethische Äusserungen keinen Wahrheitswert haben. Dieser Einwand vermag allerdings nur vordergründig zu überzeugen und kann dadurch entkräftet werden, dass man den Nonkognitivismus nicht als eine semantische, sondern als eine pragmatische Position versteht. 3.2 Nicht-Standardinterpretation von Nonkognitivismus und Irrtumstheorie Eine Nicht-Standardinterpretation von Nonkognitivismus und Irrtumstheorie verwischt nicht etwa, wie in 3.1 bemängelt, die Grenzen zwischen den beiden Theorien, sondern versteht beide auf eine Weise, die angemessener ist: Nicht-Standardinterpretation des Nonkognitivismus: Wer einen moralischen Satz äussert, tut dies typischerweise/ angemessenerweise nicht mit assertorischer Kraft, sondern mit emotiver Kraft. Die Akzeptanz eines moralischen Satzes besteht nicht in einer kognitiven Haltung (einem «Für-wahrHalten»), sondern in einer emotiven Haltung. Es ist dies eine bestimmte Art des Gerichtet-Seins auf etwas (vgl. Kalderon 2005) oder ein bestimmter Blick auf Welt und Mitmenschen (vgl. Murdoch 1970). Nichtsdestotrotz haben ethische Sätze propositionalen Charakter. Nicht-Standardinterpretation der Irrtumstheorie: Wer einen moralischen Satz äussert, tut dies typischerweise/ angemessenerweise mit assertorischer Kraft. Die Akzeptanz eines moralischen Satzes besteht in einem «Für-wahr-Halten». Sprecherinnen von moralischen Sätzen misslingt die Referenz auf moralische Werte, weshalb ihre Sätze nicht wahrheitswertfähig sind. 4. Ausblick: Die Rolle moralischer Eigenschaften Die vorliegende Arbeit kann einer Untersuchung über moralische Eigenschaften dienlich sein, indem sie das folgende Verständnis der Rolle moralischer Eigenschaften nahe legt: Es gibt moralische Eigenschaften/ Werte (dies ist die Behauptung des moralischen Realisten). Moralische Eigenschaften/ Werte mögen moralische Aussagen wahr machen, zumindest wenn ein korrespondenztheoretischer Wahrheitsbegriff vorausgesetzt wird, doch ist dies nicht ihre einzige oder primäre Rolle. Dies daher nicht, weil die angemessene Haltung des Akzeptierens moralischer Sätze keine Haltung des Für-wahr-Haltens ist, sondern eine emotive Haltung (im Sinne von Kalderons Gerichtet-Sein oder Murdochs «veränderter Wahrnehmung», vgl. Kalderon 2005, Murdoch 1970). Emotivistinnen haben also Recht, wenn sie behaupten, mit der Äusserung und Akzeptanz moralischer Sätze sei typischerweise eine emotive Haltung verbunden. Womit sie nicht Recht haben, ist die (zumindest implizite) Behauptung, diese emotive Haltung unterliege keinen rationalen Beurteilungskriterien. Gefühle können ebenso angemessen/ nicht angemessen sein wie Behauptungen; was das Vorliegen eines moralischen Gefühls angemessen/ nicht angemessen macht, sind eben gerade moralische Eigenschaften. Literatur Ayer, Alfred Jules 1936. Language, Truth and Logic. London: Victor Gollancz Ltd. Hare, Richard Mervyn 1952. The Language of Morals, Oxford: Oxford University Press. Kalderon, Mark Eli 2005. Moral Fictionalism. Oxford: Oxford University Press. Mackie, John Leslie 1990 (14. Auflage). Ethics: Inventing Right and Wrong. London: Penguin. Murdoch, Iris 1970. The Sovereignty of Good. London and New York: Cambridge University Press. Stevenson, Charles Leslie 1944. Ethics and Language. London: Yale University Press. Strawson, Peter 1950. «On Referring», in: Mind, 320–344. Fussnoten: 1. Die klassischen Vertreter nonkognitivistischer Positionen sind etwa Ayer, Stevenson und Hare, vgl. Ayer 1936, Hare 1952, Stevenson 1944. 2. Das Problem, welches dieser Satz aufwirft, kann wie folgt kurz umrissen werden: Der Satz ist nicht wahr. Wenn der Satz aber falsch ist, dann müsste das kontradiktorische Gegenteil des Satzes, nämlich «Der gegenwärtige König von Frankreich trägt keine Glatze» wahr sein, was er offensichtlich nicht ist.