Ruhr-Universität Bochum Fakultät für Philologie Germanistisches Institut Wintersemester2011/2012 Hauptseminar: Wortstellung im Deutschen Dozent: Prof. Dr. Karin Pittner Die deutsche Klammerstruktur aus informationsstruktureller Perspektive (Leistungsnachweis im Modul "Grammatik der Gegenwartssprache") Kathrin Kaiser Ferdinandstr. 17 44379 Dortmund Telefon: 0231122013416 Matrikelnr.: 108010259954 Fachsemester 9 / 2-Fach Master ofArts Kath. Theologie und Germanistik Datum der Abgabe: 14.03.2012 1 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1. Einleitung 3 2. Die deutsche Satzklammer 4 3. Die deutsche Klammerstruktur aus informationsstruktureller Perspektive 5 3.1 Assertion und Finitheit 6 3.2. Thema-Rhema-Gliederung 8 3.3 Status der Verbklammer 11 4. Informationsgliederung innerhalb von Konstituenten 12 5. Die Herausbildung der Satzklammer im Deutschen 14 5.1 Wortstellungsstrukturen im Tatian 14 5.2 Sprachwandelprozesse und ihr Einfluss auf die strukturierende Funktion der Klammer 18 6. Fazit 21 7. Literaturverzeichnis 23 Selbstständigkeitserklärung 25 Das Deutsche verfügt über eine relativ „freie" Wortstellung, da es viele Möglichkeiten für die Anordnung von Satzgliedern gibt. Um die Wortstellung des Deutschen beschreiben zu können, erwies sich das topologische Satzmodell als sehr nützlich und etablierte sich. Die Struktur der Satzklammer hängt mit der Stellung des Verbalkomplexes eines Satzes zusammen. Teile des Verbalkomplexes treten als diskontinuierliche Konstituenten auf, zwischen die weitere Konstituenten treten können. Da diese Konstituenten von anderen Teilen umrahmt werden, wird im Deutschen von der Satzklammer gesprochen. In folgender Hausarbeit soll die Funktion der Satzklammer aus informationsstruktureller Perspektive analysiert werden. Dabei liegt der Fokus der Analyse auf der Klammerbildung, also auf der Durchsetzung analytischer Strukturen mit Distanzstellung. Manchen Annahmen zufolge dient die Klammer der Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit des Hörers (Ronneberger-Sibold 1991). Bittner (2010) plädiert allerdings dafür, dass die Klammerbildung des Deutschen ein Resultat der sprachspezifischen Realisierung bestimmter informationsstruktureller Grundsätze sei und keinen informationsstrukturellen Eigenwert besitzt. Diese These dient als Grundlage dieser Hausarbeit und soll durch eine klare Argumentation gefestigt werden. 2 Als Einführung in das Thema wird im ersten Teil kurz das topologische Satzmodell mit Schwerpunkt auf der Verbstellung vorgestellt. Folgend werden die informationsstrukturellen Grundsätze dargestellt und gezeigt, dass die sprachspezifischen Kodierungstechniken dieser Grundsätze zur Klammerbildung führen. Dabei wird der Fokus der Argumentation auf die Realisierung von Assertion und Finitheit sowie auf den Zusammenhang von Thema-Rhema-Gliederung und Klammerstruktur gelegt. Anschließend wird der Blick erweitert, indem auf die Informationsgliederung innerhalb von Konstituenten betrachtet wird. Abschließend soll die Herausbildung der Klammer angeführt und der Frage nachgegangen werden, ob und inwiefern Sprachwandelprozesse Einfluss auf die Funktion der Klammer bzw. ihre Herausbildung genommen haben. 3 2. Die deutsche Satzklammer Um über die strukturelle Informationsgliederung der deutschen Satzklammer sprechen zu können, soll vorab kurz ihre Struktur als Basisbedingung angeführt werden. Als Grundlage für die Darstellung dienen die Ausführungen von Pittner / Bennan (2008) zum topologischen Satzmodell. Im Deutschen bilden die Teile des Verbalkomplexes die sogenannte Satzklammer, die den Satz in die topologischen Felder Vorfeld, Nachfeld und Mittelfeld unterteilt: (1) Vorfeld - Linke Klammer - Mittelfeld - Rechte Klammer - Nachfeld Dafür gibt es drei verschiedene Verbstellungtypen, wobei die Position des finiten Verbs entscheidend ist: a. Verbzweitstellung: Er hat sie bereits eingeladen (am Montag) b. Verberststellung: Hat er sie bereits eingeladen (am Montag) c. Verbendstellung: weil er sie bereits eingeladen hat (am Montag) Die unterstrichenen Elemente stellen jeweils die Satzklammer heraus. Dabei fällt auf, dass sich Verbzweit- und Verberststellung lediglich darin unterscheiden, dass bei Verbzweitstellung eine Konstituente vor dem finiten Verb das Vorfeld besetzt. Gemeinsam ist ihnen, dass das finite Verb den linken Teil der Klammer bildet und der restliche Verbalkomplex die rechte Klammer verkörpert. Im Mittelfeld können beliebig viele Konstituenten auftreten, im Nachfeld hingegen in der Regel maximal zwei. Verbendstellung betrifft vor allem die Nebensätze, die durch ein subordinierendes Element eingeleitet werden. Hier wird der Verbalkomplex nicht zerlegt, sondern tritt zusammen in der rechten Klammer auf. In diesem Fall nimmt die subordinierende Konjunktion den linken Teil der Klammer ein. Die Verbstellungstypen dienen außerdem dazu, zu kennzeichnen, ob es sich bei einem Satz um einen Deklarativ-, Interrogativ-, Imperativ- oder Nebensatz handelt. In der Regel gilt, dass Hauptsätze durch Verbzweit- bzw. Verberststellung und Nebensätze durch Verbendstellung realisiert werden. Da Sätze mit Verbzweitstellung bei Deklarativsätzen auftreten, tritt dieser Verbstellungstyp am häufigsten auf. Obwohl dieser Typ die meiste Anwendung findet, kann die Verbendstellung als Grundverb 4 stellungstyp angesehen werden, da der gesamte Verbalkomplex in der rechten Klammer steht und nicht durch diskontinuierliche Konstituenten getrennt wird. In diesem Zusammenhang wird auf Behagel (1932: 4) verwiesen, der als Grundgesetz für die Wortstellung anführt, dass das eng Zusammengehörige auch eng zusammengestellt wird. Bei den anderen Verbstellungstypen wird das finite Verb in die linke Klammer verschoben. Auf dieser Grundlage soll im Folgenden die Klammerstruktur hinsichtlich ihrer informationsstrukturellen Gliederung analysiert werden. 3. Die deutsche Klammerstruktur aus informationsstruktureller Perspektive Als grundlegende Annahme gilt, dass das „klammerbildende Verfahren" des Deutschen (Ronneberger-Sibold 1994) ein Resultat der sprachspezifischen Realisierung bestimmter informationsstruktureller Grundsätze ist. Laut Bittner (2010: 223) sind in diesem Zusammenhang folgende drei Grundsätze von zentraler Bedeutung: a. Der Illokutionstyp wird sprachstrukturell gekennzeichnet. b. Die Thema-Rhema-Gliederung wird sprachstrukturell gekennzeichnet. c. Die Informationsgliederung innerhalb von Konstituenten wird sprachstrukturell gekennzeichnet. Diese Grundsätze stehen für universelle Anforderungen, die jede Sprache erfüllen muss. Bittner (2010: 223) weist dem bezüglich der klammerbildenden Syntax eine sprachspezifische Kodierungstechnik zu, die keinen informationsstrukturellen Eigenwert, sondern lediglich einen semiotischen Eigenwert im Sinne einer erwartbaren Informationsverteilung, besitzt. Damit widerspricht sie weitverbreiteten Annahmen, die Klammer diene der Realisierung eines Spannungsbogens im deutschen Satz (u.a. Eroms 2000) und charakterisiert die Funktionswerte der Klammer als Grammatikalisierung einer zufällig entstandenen Realisierungsform analytischer Strukturen (Bittner 2010: 224). Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die sprachspezifischen Kodierungstechniken für die drei oben genannten Grundsätze ausschlaggebend für die Klammerbildung sind. Dabei soll der Fokus der Ausführungen auf der syntaktische Realisierung von Assertion und Finitheit und Thema-Rhema-Gliederung liegen. 5 3.1 Assertion und Finitheit Die folgenden Ausführungen basieren auf den Aufsätzen von Bittner (2010) und Klein (2006). Als Ausgangsposition hält Klein (2006: 8) für die deutsche Wortstellung drei Grundsätze fest, die alle im Zusammenhang mit der Position des finiten Verbs stehen und mit den oben angeführten Einsichten zur Verbklammer nach Pittner / Berman (2008) übereinstimmen: a) b) In Deklarativsätzen nimmt das finite Verb die zweite Position ein (V2Stellung) In Nebensätzen befindet sich das finite Verb an letzter Stelle (VE-Stellung) c) In Ja/Nein- Fragesätzen und Imperativsätzen steht das finite Verb am Anfang (V1-Stellung) Zusätzlich gilt, dass die syntaktische Festlegung der Position des finiten Verbs der Symbolisierung von [+ / - Assertion] dient (Klein 2006: 17). Assertion meint in diesem Kontext die vom Sprecher unterstellte Gültigkeit der Satzaussage. Klein (2006: 17) führt weiter aus, dass Finitheit im Deutschen mindestens zwei Komponenten beinhaltet. Diese sind die zeitliche Komponente und die Behauptung in Bezug auf etwas (assertion-markedness). Verberst- und Verbzweitstellung stehen in Opposition zueinander, welche in der illokutiven Basisopposition [+ / - Assertion] realisiert wird. Dabei signalisiert Verbzweitstellung die Assertion der Prädikation (bei Klein „sentence base") für das präverbal gesetzte Topik („tpic component") (Bittner 2010: 226). Nach Klein (2006: 21) lässt sich eine Äußerung folgendermaßen darstellen: (2) Topic component FIN sentence base Das Topik beinhaltet das zentrale Thema, wobei die „sentence base" die dazugehörigen Argumente einschließt. Im Deutschen spiegelt sich diese dreigliedrige Struktur in Deklarativ (3) - und W-Fragesätzen (4). (3) a. Die Studenten laufen im Sommer zur Universität. b. Im Sommer laufen die Studenten zur Universität. (4) a. Wer läuft zur Universität? b. Wann laufen die Studenten zur Universität? 6 Im Hinblick auf die Informationsgliederung führen Pittner / Berman (2008: 142) eine ähnliche Struktur an, die sie als „Topik-Kommentar-Gliederung" bezeichnen. Das Topik („Topic component") ist der Satzgegenstand, über das eine Aussage gemacht wird. Diese Aussage wird als „Kommentar" („sentence base") bezeichnet: (5) Die Studenten Topik laufen zur Universität. Kommentar Im Gegensatz dazu signalisiert Verberststellung Nicht-Assertion, bei der drei nichtassertive Illokutionstypen unterschieden werden können (Bittner 2010, Klein 2006). Dazu zählen die Ja-Nein-Fragesätze, die eine Assertion erfragen: (6) Laufen die Studenten im Sommer zur Universität? Imperativsätze beziehen sich auf einen nicht/erwünschten Sachverhalt, der jedoch faktisch nicht existiert: (7) Lauft (nicht) zur Universität! Der dritte Typ benennt einen hypothetischen Sachverhalt mit einem konjunktivischen finiten Verb: (8) a. Liefen die Studenten nur (nicht) zur Universität! b. Liefen die Studenten zur Universität, gäbe es Ärger mit den Anwoh- nern Nebensätze mit dem finiten Verb in Letzt-Position besitzen keinen festgelegten Assertionswert (Klein 2006: 20). Subordinierte Sätze bestehen aus Argumenten des übergeordneten Satzes, der gleichzeitig den Status des illokutionären Gesamtsatzes determiniert. Folglich sind Sätze mit Verbendstellung hinsichtlich der Assertion als neutral einzustufen. Nach Bittner (2010: 227) wird dieser Befund durch zwei Annahmen gestützt. Zum einen wird gezeigt, dass die Letzt-Position, wie bereits im einführenden Kapitel erwähnt, die topologische Grundstellung des Verbs ist, da die anderen Stellungen des BBB 7 finiten Verbs klare festgelegte grammatische Funktionen erfüllen und im Deutschen als Assertionsanzeige fungieren. Zum anderen bewirkt die Neutralität Abweichungen des finiten Verbs von der Letztposition, wie sie beispielsweise in komplexen Verbkonstruktionen mit drei Gliedern auftreten können, vgl. so dass er sie hat sehen können; wenn er sie hat reden hören. Die Beispiele zeigen eine relativ freie Stellungsvariabilität, was den Eindruck verstärkt, dass die Verbendstellung nicht exakt dem finiten Verb zugedacht ist, sondern der gesamten Verbform und damit einschließlich des lexikalischen Teils. Auf die Abfolge der Verbbestandteile in der rechten Satzklammer soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. In diesem Kontext betont Bittner (2010: 228) den von Klein aufgezeigten Zusammenhang zwischen Assertion und Finitheit. Festzuhalten bleibt demnach, dass für die Symbolisierung von Assertion die Besetzung der Verberst- oder Verbzweitposition durch das finite Verb ausschlaggebend ist. In Bezug auf die These der Verbendstellung erlauben es analytische Verbkonstruktionen, beiden strukturellen Anforderungen, also sowohl der Assertionssymbolisierung am linken als auch der Positionierung der lexikalischen Verbinformation am rechten Satzrand, gerecht zu werden. Dahingegen erzwingen synthetische Verbkonstruktionen die Verletzung einer der beiden Anforderungen. Als Lösung für dieses Problem führt Bittner (2010: 228) zugunsten der Assertionssymbolisierung die stärkere Grammatikalisierung der Informationsmaxime an. Auch die im Sprachwandel erkennbare Tendenz der Ersetzung synthetischer durch analytische Verbformen sprechen für eine zunehmende Grammatikalisierung der Finitheitsposition. 3.2. Thema-Rhema-Gliederung Die Satzstruktur des Deutschen weist in der Regel bei der Anordnung syntaktischer Einheiten ein Definitheitsgefälle von links nach rechts auf. Da die „indefiniteste" Einheit des Satzes das lexikalische Verb ist, kann die Verbletztposition (Verbendstellung) als topologische Grundposition angesehen werden (Bittner 2010: 229). Im Deutschen korrespondiert diese natürliche Serialisierung mit der syntaktischen Thema-Rhema-Bildung. Das Thema stellt durch den gegebenen Kontext bzw. Situation die bereits bekannte Information dar, wohingegen das Rhema eine neue Information liefert. Für die Wortstellung kann diese Gliederung insofern interessant sein, dass in einem Satz die thematischen Elemente in der Regel vor den rhematischen stehen. Diese Anordnung, dass das Thema am Satzanfang und das Rhema am Ende stehen, hat sprachübergreifende Gültigkeit aus einem einfachen Grund. Es ist immer einfac her, eine 8 Aussage zu verstehen, sofern einsehbar ist, worauf sich die Aussage bezieht (Pittner / Berman 2008: 142). Abraham und Fischer (1998) diskutieren in ihrem Aufsatz die strukturelle Funktion der analytischen Verbformbildung am Beispiel des Hilfsverbs tun, von dem sie ausgehen, dass es der Topikalisierung der finiten Verbform dient, und führen in diesem Zusammenhang zwei Thesen an, die für die Thema-Rhema-Gliederung interessant sind. So stellen sie fest, dass das Hilfsverb tun die Besetzung der grammatischen Rhemaposition durch die infinite Vollverbform erlaubt (gegen eine unbesetzte Rhemaposition) (Abraham & Fischer 1998: 41): (9) 'Ich tue meine Wohnung putzen «Umgangssprache) Im Weiteren konstatieren sie, dass das Satzende unter Fokusneutralität ein grundsätzlich „akzentprominenter Ort" ist, an dem das Satzrhema steht, wenn es nicht aufgrund von Kontrastfokus von dieser Position weggerückt wird (Abraham & Fischer 1998: 42). Daraus folgt, dass die Endstellung des Vollverbs aus der satzstrukturellen Realisierung der Thema-Rhema-Gliederung erfolgt und nicht durch ein „Satz- oder VerbalklammerPrinzip" (Bittner 2010: 230) erzwungen wird. Abraham & Fischer (1998: 41) führen in diesem Kontext an, dass sofern das lexikalische Vollverb die linke Satzklammer als grammatischen Satzakzent besetzt, das Verb nicht in der zweiten Verbklammer stehen zu bleiben braucht. Demzufolge kann das Auxiliar tun als Sicherung der FIN-Position verstanden werden. Dazu ist allerdings zu sagen, dass die informationsstrukturellen Maximen nicht verletzt werden, wenn das Rhema durch eine NP, PP oder ein Adverbial belegt wird (Bittner 2010: 230). Die FIN-Position kann durch das Vollverb ohne weiteres besetzt werden. Daraus lässt sich eine Dominanz der Thema-Rhema-Gliederung über die Klammerstruktur ableiten. Dies wird auch an verschiedenen standardsprachlichen Konstruktionen deutlich, in denen rhematisch gesteuerte Letzt-Stellungen keine Besonderheit darstellen: (10) a. Sie war schweigsam an diesem Morgen. b. Stell dich hin zu mir. c. Er muss lernen für die Prüfung. 9 Das Rhema steht in diesen Beispielen in Letzt-Position. Wenn der rhematische Akzent auf der Satzklammer liegen würde, würde es heißen: d. Er muss für die Prüfung lernen. Selbiges ist hinsichtlich Kontraststrukturen zu beobachten (Bittner 2010: 231). Auch hier treten im Sinne der syntaktischen Realisierung der Thema-Rhema-Gliederung die thematischen Einheiten an den linken Satzrand (11), während die rhematischen Elemente (12) durch Ausklammerung an den rechten Rand versetzt werden: (11) a. Der Student isst das Brot seit zehn Minuten. b. Mit Brot hat Lena die Enten gefüttert. (12) a. Sie ist nachdenklich geworden, nach dem Vorfall. b. Linus hat ihm den Ball geschenkt, heute morgen. Die Dominanz der Thema-Rhema-Gliederung zeigt sich ebenso auf der Ebene der Phrasen. Wenn das Nomen thematisiert ist, kann die NP gespalten werden, sofern die Adjektiv- bzw. Deteiminiererinformation rhematisiert ist: (13) a. Nudeln brauche ich wenigstens zwei Packungen. b. Äpfel isst Felix nur die roten. c. Rote Äpfel hat Felix nur gegessen. Es existieren allerdings auch Sätze, in denen Letzt-Position und Satzrhema scheinbar nicht korrelieren. Dies betrifft alle Nebensätze, bei denen ein Auxiliar oder Kopula die Letzt-Position besetzen (14). Ebenso zählt Bittner (2010: 232) Sätze mit analytischen Verbformen dazu, in denen das lexikalische Verb nicht das Rhema bildet (15). (14) a. Sie weiß, dass die Prüfung am Montag geSCHRIEBEN wurde. b. Sie weiß, dass die Prüfung am Montag sehr GUT war. (15) a. Die Prüfung wird erst am Montag geschrieben. b. Die Prüfung wird am Montag gut. 10 In Bezug auf (14) weisen Abraham und Fischer (1998: 42f) darauf hin, dass Auxiliar und Kopula in diesen Strukturen nicht betont sind und nicht den grammatischen Satzakzent darstellen. Die Strukturierung von Information gemäß der Regularitäten der Thema-Rhema-Gliederung wird demnach nicht verletzt. Sie verweisen zudem auf die Möglichkeit der Ausklammerung (12), die bewirkt, dass der Einheit mit dem grammatischen Satzakzent eine weitere Einheit folgt. Selbiges könnte in diesem Kontext für Sätze wie in (15) gelten, in denen der rhematischen Einheit ein lexikalisches Vollverb in Letzt-Position folgt. Allerdings scheint hier die Annahme Bittners (2010: 232) mehr zu überzeugen, dass der grammatische Satzakzent an das Rhema gebunden ist und in diesem Sinne von einem „Kontrastakzenten" zu sprechen ist. 3.3 Status der Verbklammer Sofern die hier angeführten Thesen zur syntaktischen Realisierung von Assertion und Rhema zutreffen, „muss die Verbklammer des Deutschen als Resultat dieser sprachspezifischen Kodierungsfestlegungen gesehen werden" (Bittner 2010: 232). Die postulierten Kodierungsbedingungen sind: a) Die illokutive Opposition [+ / - Assertion] wird durch Zweit- vs. Erststellung des finiten Verbs realisiert (Klein 2006). b) Die Thema-Rhema Gliederung korreliert mit einem von links nach rechts verlaufenden Definitheitsgefälle. Das lexikalische Verb ist die indefiniteste und damit die rhematischste Einheit des Satzes. Dementsprechend kann die Verbendstellung als topologische Grundposition betrachtet werden. Es wird nur dann von dieser Position verrückt, wenn ein anderes Satzelement fokussiert wird (Abraham & Fischer 1998). Demzufolge setzen diese Kodierungsregularitäten informationsstrukturelle Anforderung um. Für die Verbklammer bedeutet dies, dass sie eine Begleiterscheinung der sprachspezifischen syntaktischen Realisierung der oben genannten informationsstrukturellen Grundsätze ist (Bittner 2010: 233). Ihr ist demnach keine eigenständige Funktion zuzuweisen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Assertionskennzeichnung durch Verberstbzw. Verbzweitstellung stärker syntaktisiert ist, als die Verbendstellung in Nebensätzen, die als assertiv neutral zu bewerten sind. 11 4. Informationsgliederung innerhalb von Konstituenten Aufbauend auf die Einsichten des vorangegangen Kapitels, soll nun die Distanzstellung in den übrigen Konstituenten näher betrachtet werden. Um die Hintergründe für diese Distanzstellung klarer zu erfassen, schlägt Bittner (2010: 233) vor, die Verbklammer als Modell für die weiteren Klammertypen des Deutschen zu benutzen. Im Weiteren hält Bittner (2010: 234) fest, dass bestimmte syntaktische Phrasen mit der zunehmenden Herausbildung und Obligatorizität der Artikel und subordinierenden Konjunktionen ein grammatisches Auftaktelement erhielten. Auffällig ist, dass diese Elemente sprachübergreifend meist die Position der Linksstellung einnehmen und dieses Prinzip im Deutschen bereits bei den Präpositionen etabliert ist. Die Rechtsstellung ist in der Regel als Suffigierung realisiert. Da die Mittelposition von grammatischer Information nicht die gesamte zentrale Aussage umfasst, wird im Deutschen auch von Prädetermination gesprochen (Bittner 2010: 234). In Bezug auf die bereits oben dargestellten Einsichten der Klammerbildung im Hauptsatz kann vermutet werden, dass dieses Prinzip in entsprechender Parallelität mit der Syntax der weiteren klammerbildenden Konstituenten steht. Diese Parallelität fällt besonders bei der Betrachtung der Besetzung der Letzt-Position im Vergleich mit dem lexikalischen Teil der Klammerkonstituente ins Auge. In diesem Zusammenhang hat Eroms' (1993) folgende Klammertypen für das Deutsche festgehalten: (16) a. Nominalklammer: die großen frisch gestrichenen Hörsäle b. Präpositionalklammer: in den großen frisch gestrichenen Hörsälen in Prag c. Konjunktionalklammer: obwohl sie es gelernt hatte d. NP-Negationsklammer: keine schlecht benoteten Prüfungen e. Satz-Negationsklammer: du musst da nicht auf den Tischen tanzen / dass du da nicht auf den Tischen tanzen musst f. Adverbialklammer: da werde ich einiges von lernen 1 dass ich da einiges von lernen werde Neben diesen führt Eroms einen separaten Typ an, den er nicht weiter benennt, von Bittner (2010: 235) aber als Fragesatzklammer bezeichnet wird. 12 g. Fragesatzklammer: wo kommt der Professor her? Im Hinblick auf die Beispiele hält Bittner (2010: 235) fest, dass der rechte Klammerteil bei der Konjunktional-, Satz-Negations- und Fragesatzklammer mit dem der Verbphrase übereinstimmt. Damit liegt der Infonnationsschwerpunkt auf dem rechten Phrasenteil. In Bezug auf Kapitel 4.2 kann angemerkt werden, dass alle Beispiele dem Prinzip der Thema-Rhema-Gliederung folgen. Im Weiteren führt Bittner sogenannte „unmarkiertere" Möglichkeiten an, inwiefern das klammerschließende Element an eine andere Position verrückt werden kann, wenn die zentrale Information nicht auf dieser Einheit liegt. (17) a. die gläsernen Behälter - die Behälter aus Glas b. auf Mamas neuem Schrank - auf dem neuen Schrank von (der) Mama c. sie will kein verbrannten Steaks - Verbrannte Steaks will sie nicht d. wenn sie mit dem Malen fertig ist - wenn sie fertig ist mit dem Malen e. da hat sie Jahre gebraucht für - da hat sie Jahre, für gebraucht Die Beispiele zeigen, dass die „rhematischste" Information in Letzt-Position steht, wobei es sich dabei um einen prototypischen, klammerschließenden lexikalischen Kopf handelt und auch anderen Einheiten möglich sind (Bittner 2010: 235). Die Annahme einer Parallelität der Thema-Rhema-Gliederung auf Phrasen- und Satzebene wird aufgrund von Untersuchungen zu nominalen Klammertypen gestützt (Eichinger 1993, Eisenberg 2004). Den Analysen zu Folge determinieren die vorangegangenen Elemente die rechts nachstehenden und damit die klammerschließende Position. Auch Eichinger (1993: 89) spricht von funktionalen Gemeinsamkeiten von Nominal- und Verbalklammer (bei Bittner satzwertige Klammer) und verweist ausdrücklich darauf, in beiden Fällen von Klammerstrukturen zu sprechen. Dies begründet er folgend damit, dass beide eine linke Position haben, die sich dem Kontext bzw. der Situation annimmt und einen rechten Teil, der die eigentliche Information mit seinen typischen Modifikatoren verkörpert. In den Ausführungen wurde bisher festgestellt, dass das Deutsche hinsichtlich seiner Informationsstrukturierung einer „Links-Rechts-Determinierung", bzw. Anordnungsfolge vom Thema zum Rhema folgt (Bittner 2010: 236). Die rechte klammerschließende Position umfasst das Rhema, wodurch dieses Element funktional besetzt ist. 13 Phrasenmodifizierende funktionale Einheiten nehmen demnach die linke Position ein, was zwangsläufig zur Klammerstruktur führt. Die Klammerstruktur erweist sich demnach als Begleiterscheinung bei der Umsetzung der drei oben genannten informationsstruktureller Grundsätze, wodurch die zu Beginn genannte Annahme bestätigt wird. Im Folgenden soll nun noch geklärt werden, inwiefern sich Sprachwandelprozesse auf die Klammerbildung im Deutschen ausgewirkt haben. 5. Die Herausbildung der Satzklammer im Deutschen Im vorangegangen Kapitel wurde die Satzklammer im gegenwärtigen Deutschen hinsichtlich ihrer Informationsstruktur analysiert. Die gewonnen Einsichten sollen nun mit dem Sprachwandel in Verbindung gebracht werden, um zu sehen, ob und inwiefern sich in dieser Hinsicht bereits Strukturen der Informationsgliederung abzeichnen lassen. Insofern wird zunächst ein Blick auf die Entwicklung der Klammerstruktur geworfen, wobei insbesondere der Aufsatz von Hinterhölzl (2010) in Betracht gezogen wird. Weiter geht Bittner (2010) auf Sprachwandelprozesse ein, die anderen Annahmen zufolge die Klammerbildung im Deutschen verstärkt haben sollen. Der Fokus dieser Analysen liegt entsprechend auf der informationsstrukturellen Perspektive. 5.1 Wortstellungsstrukturen im Tatian Ähnlich dem Neuhochdeutschen weisen auch ältere germanische Sprachen eine Vielzahl von Wortstellungsmöglichkeiten auf. So lassen sich im Althochdeutschen beispielsweise sowohl Objekt-Verb- als auch Verb-Objekt-Abfolgen feststellen. Da es sich bei den meisten der überlieferten und zur Analyse herangezogenen Texte um Übersetzungen bzw. metrische Texte handelt, werden diese Strukturen, insbesondere die VO-Abfolge, oft dem Einfluss des Lateinischen zugewiesen. Hinterhölzl (2010: 122) weist in diesem Zusammenhang auf Differenzbelege zum Lateinischen im Tatian hin, die mit Hilfe interlinearer Übersetzungsstrategien ermittelt worden sind und als sicherer Beleg für authentische althochdeutsche Strukturen herangezogen werden können. Bei der näheren Betrachtung dieser ursprünglichen Strukturen fällt besonders die hohe Anzahl von nachgestellten Subjekten (18a.), Prädikaten (b.) und Objekten (c.) auf, die im Neuhochdeutschen nicht extraponierbar sind: 14 (18) a. thaz gibrieuit uuvrdi al these umbiuuerft (T 35,9) dass aufgelistet würde all diese Menschheit b. salige sint thiethar sint miltherze (T 60,12) selig sind die da sind barmherzig c. thaz in mir habet sibba (T 209,8) damit in mir habt Frieden Weil im modernen Deutschen Subjekte, Prädikate und Objekte nicht ausgeklammert werden können, müssen die Strukturen in den Beispielen (18a-c) als VO-Abfolge bezeichnet werden (Hinterhölzl 2010:122). Zur Erklärung dieser variierenden Abfolgen wird abermals Behagel (1932) angeführt, dem zufolge die Wortstellung im Ahd. im Wesentlichen infonnationsstrukturell determiniert war. Wie bereits angeführt stehen laut Behagel (1932: 4) die unwichtigen vor den wichtigen Elementen: (19) Leichte Elemente gehen im Altenglischen, Altniederländischen und im Althochdeutschen schweren Elementen voraus. Hinterhölzl (2010: 123) weist in diesem Zusammenhang auf die Theorie der Informationsstruktur hin, nach der vorausgesetzt wird, dass ein kooperativer Sprecher seinem Gegenüber signalisiert, was in seiner Äußerung als bereits bekannt wird (Hintergrund) und was als neue, wichtige Information (Fokus) hinzutritt. Diese These deckt sich mit den bereist dargestellten Einsichten. Hinterhölzl (2010: 123) unterscheidet in diesem Kontext zwischen einem weiten (20a.) und engen (20b.) Informationsfokus sowie einem kontrastiven Fokus (20.c.). Nominale Ausdrücke mit Informationsfokus können neue Diskursreferenten anführen, während kontrastiv fokussierte nominale Ausdrücke auch bekannte Diskursreferenten bezeichnen können. Um die Informationsfoki entsprechend darstellen zu können, beziehen sich die Beispiele auf einen Fragekontext. Der Informationsfokus stellt dabei die neue Information dar und ist unterstrichen. (20) a. Was hat die Miriam gemacht? Miriam hat dem Benedikt einen Fußball geschenkt. 15 b. Was hat die Miriam dem Benedikt geschenkt? Miriam hat dem Benedikt einen Fußball geschenkt. c. Miriam hat dem Benedikt einen Fußball geschenkt, nicht das Lehrbuch. Die Differenzbelege im Tatian legen die Vermutung nahe, dass das finite Verb die Funktion hatte, Hintergrund und Fokus voneinander zu trennen: (21) Hintergrund V Fokus Diese Bestimmung deckt sich teilweise mit der Einsicht aus (18). Allerdings bleibt dann zu fragen, ob „das Gesetz der wachsenden Glieder nur das oberflächliche Korrelat einer zugrundeliegenden informationsstrukturellen Regelmäßigkeit sein könnte" (Hinterhölzl 2010: 124) oder auf ein eigenständiges Gesetz zurückzuweisen ist, dass mit informationsstrukturellen Bedingungen interagiert. Bei der genaueren Betrachtung des Althochdeutschen fällt nämlich auf, dass verzweigende und besonders rechtsverzweigende Konstituenten als prosodisch wichtig einzuordnen sind (Hinterhölzl 2010: 124). Während im Deutschen durchaus wichtige (bei Hinterhölzl „schwere") Adverbien im Mittelfeld stehen dürfen, ist dies im Englischen nicht erlaubt: (22) a. Mary carefully wrote the letter Mary sorgfältig schrieb den Brief b. * Mary with care wrote the letter Mary mit Sorgfalt schrieb den Brief Interessant ist dabei, dass diese Adverbien zwar modifiziert, aber nicht nach rechts erweitert werden können: (23) a. Mary more offen wrote the letter Mary schrieb den Brief b. * Mary more often than Joshua wrote the letter Mary öfter als Joshua schrieb den Brief 16 Wird davon ausgegangen, dass diese Eingrenzung aufgrund einer Abbildungsbedingung zwischen syntaktischer Struktur und prosodischer Gliederung entstanden ist und das rechtsverzweigende Phrasen auf rechtsstehende phonologische Phrasen abgebildet werden, ergibt sich laut Hinterhölzl (2010: 125) hinsichtlich des grammatischen Hintergrunds des Gesetzes der wachsenden Glieder folgende Beschränkung: (24) Eine rechtsköpfige prosodische Phrase darf nicht auf einem linken (syntaktischen) Zweig gegenüber dem Verb sitzen, mit dem sie eine gemeinsame prosodische Konstituente bildet. Zur Beantwortung der Frage, ob die Wortstellung im Althochdeutschen eher dem Gesetz der wachsenden Glieder folgt oder primär informationsstrukturell gegliedert ist, wurde bei der Analyse eine große Anzahl an Tatian Belegen herangezogen, in denen eine Konstituente aus dem Nachfeld ins Mittelfeld gezogen wurde, wobei es sich bei dieser meist um pronominale Subjekte bzw. Objekte handelte. Ebenso gibt es Belege dafür, dass Konstituenten aus dem Mittelfeld ins Nachfeld versetzt wurden. Als Ergebnis dieser Untersuchung kann festgehalten werden, dass wichtig bzw. schwer im informationsstrukturellen Sinn zu verstehen ist, denn „mehrgliederige Konstituenten können voran gestellt werden, wenn sie dem Hintergrund zuzurechnen sind und eingliedrige können nachgestellt werden, falls sie neue, wichtige Informationen beisteuern" (Hinterhölzl 2010: 127). Kontrastive Foki bilden hier allerdings die Ausnahme, da sie generell vorangestellt werden, und damit dem Prinzip, dass links der Hintergrund und rechts der Fokus steht, nicht exakt entsprechen. Des Weiteren ist interessant, dass PPs im Tatian gemäß dem Gesetz der wachsenden Glieder meist im Nachfeld anzutreffen sind. Werden diese aber kontrastiv interpretiert, erfolgt eine präverbale Realisierung: (25) b&onte nicur& filu sprehan/ sösö thie heidanon man/ sie uuanen thaz sie in iro filusprahhi/sin gihörte (T 67, 23-26) Wenn du betest, verwende keinen leeren Wiederholungen wie es die Heiden tun, denn sie glauben, dass sie (nur) durch ihre vielen Wörtergehört werden (Beispiel vgl. Hinterhölzl 2010: 127) 17 Die in (18) dargestellte informationsstrukturelle Generalisierung muss dergestalt revidiert und in dem Sinne verfeinert werden, dass die syntaktischen Positionen von Kontrast- und Informationsfokus zu unterscheiden sind (Hinterhölzl 2010: 127): (26) Hintergrund Kontrastfokus V Informationsfokus Deshalb bleibt als Ergebnis festzuhalten, dass sowohl OV- als auch VO-Abfolgen im Althochdeutschen erlaubt waren, weil aufgrund des präverbalen Kontrastfokus und postverbalen Informationsfokus wohl beide Abfolgen als grammatisch unmarkiert zu bewerten sind. In einem langsamen Prozess wurden postverbale nicht verschiebbare Konstituenten abgebaut (Hinterhölzl 2010: 128). Der Verlust der postverbalen Fokusposition hat demnach die Entwicklung der neuhochdeutschen Satzklammer begünstigt und den Wandel zur OV-Abfolge begünstigt. 5.2 Sprachwandelprozesse und ihr Einfluss auf die strukturierende Funktion der Klammer Bittner (2010: 237) verweist auf einige Sprachwandelprozesse, die als Beweis für die strukturierende Funktion der Klammer in den letzten Jahren angeführt wurden. Bei deren Überprüfung soll geklärt werden, ob sich die Struktur der Klammer durch voranschreitende Grammatikalisierung der syntaktischen Stellungsregularitäten von den informationsstrukturellen Grundsätzen lösen und Klammem unabhängig von Rhemaund/oder Assertionsmarkierung auftreten. Bittner (2010) geht zunächst auf Verbkomplexe mit drei oder mehr verbalen Einheiten ein. Die Tendenz, dass bei mehrgliedrigen Verbkomplexen die Besetzung der Letzt-Position durch das finite Verb zunimmt, lässt eine Gramm atikalisierung der Verbstellung vermuten: (27) dass sie sollte vergessen haben - ► dass sie vergessen haben sollte Dies betrifft allerdings nur die innere Topologie des gesamten Verbalkomplexes in der rechten Klammer. Die Möglichkeit, rhematische oder kontrastfokussierte Informationselemente nachzustellen oder auszuklammern, bleibt bestehen. Demzufolge kann dieser Prozess nicht als klammerverstärkend eingeordnet werden. 18 Der Wegfall der Wahlmöglichkeiten zwischen synthetischen und analytischen Verbformen könnte als Grammatikalisierung der Klammerstruktur angesehen werden. Ist dies der Fall, geht die Möglichkeit verloren, das Satzrhema kontrastfrei mit einem anderen Element als dem lexikalischen Verb zu besetzen (Bittner 2010: 237). Zu diesen Prozessen zählt der Abbau von synthetischen Tempus (28a.)- und Modusformen (28b.): (28) a. er sah - ► er hat gesehen b. er sehe - - ► er würde sehen Allerdings ist sprachgeschichtlich keine längere Episode eines Nebeneinanders von synthetischen und analytischen Verbkonstruktionen festzustellen. (Bittner 2010: 238) schlägt vor, es als „kurzzeitiges" Phänomen der Dialekt- und Varietätenmischung zu charakterisieren. Dies beinhaltet dann, dass die Durchsetzung von analytischen Verbformen formal nicht auf eine Grammatikalisierung der Klammerstruktur zurückgewiesen werden kann, sondern aus der syntaktischen Umsetzung der Assertions- und Rhemakennzeichnung resultiert. In diesem Zusammenhang kann auch die Zunahme von Partikelverben, wie beispielsweise „abbgehen " oder „ aufsetzen " angeführt werden. Thurmair (1991: 193ff.) macht die Klammerbildung für die Zunahme von Partikelverben verantwortlich. Bittner (2010: 238) hingegen meint das Gegenteil, wenn sie anführt, dass die kontrastfreie „Sättigung" der syntaktischen Bedingungen von Assertion- und Rhemamarkierung präferiert wird, wobei Partikelverben dafür die passende Konstruktion darstellen. Bezüglich dieser These sei auf den Spracherwerb von Kindern hingewiesen, die zunächst lediglich die Partikel ohne das dazugehörige Verb gebrauchen, vgl. auf statt aufmachen. Bevor die Kinder die Partikelverben getrennt verwenden, folgt eine Phase der ungetrennten Verbverwendung wie beispielsweise ich Tür aufmachen. Das zeigt, dass syntaktische Regeln der Assertionsmarkierung erst nach der Phase der unmarkierten Verbposition in Letzt-Stellung erworben werden. Ebenso wird die Ausbreitung von Progressivformen (29a.) und Funktionsverbgefügen (29b.) zu diesen Prozessen gerechnet: (29) a. am Lachen sein 19 b. zum Wahnsinn treiben 20 Leiss (1992) führt deren Ausbreitung auf die informationsstrukturellen Grundsätze für den morphologischen Aufbau des Wortes als treibende Kraft an. Jedoch ergeben sich allein aus wortstrukturellen Gründen analytische Konstruktionen, die in einen finiten und lexikalischen Teil gliederbar sind. Demzufolge ist es natürlich, dass sie sich korrelativ hinsichtlich der syntaktischen Kodierungsregeln von Rhema und Assertion verhalten (Bittner 2010: 239). Als weitere Sprachwandelprozesse werden die Inkorporierung von Substantiven und die Distanzstellung von Pronominaladverbien angeführt. Die Inkorporierung von Substantiven führt ebenfalls zur Bildung von distanzstellungsfähi gen Verben: (30) Volleyball spielen / volleyballspielen Wie schon bei den Partikelverben kann auch hier die Motivation in der Bereitstellung von Verben begründet liegen, die eine kontrastfreie „Sättigung" von Assertion- und Rhemakennzeichnungen herbeiführen. Diese Ausführungen zeigen, dass die Klammerstruktur nicht als Auslöser für die Entwicklungen, die die Klammerbildung von Verben betreffen, festgesetzt werden kann. Vielmehr können sich diese Entwicklungen auf die kodierungstechnische Lösung von Assertions- und Rhemakennzeichnung und demzufolge auf die Umsetzung der informationsstrukturellen Grundsätze mit syntaktischen Mitteln beziehen. Neben diesen gibt es verbunabhängige Entwicklung, wie die Distanzstellung von Pronominaladverbien. Diese Stellung kann im Sinne der Thema-Rhema-Gliederung interpretiert werden, wobei das Thema den linken Satzbereich und das Rhema die rhematische Präposition den rechten Teil des Satzes besetzen (Bittner 2010: 240): (31) a. Da setze ich mich hin. b. Dahin werde ich mich setzen. c. Da werde ich mich hinsetzen. Die Beispiele zeigen eine Stellungsvaribilität im rechten Satzrand bei mehreren potentiell rhematischen Elementen (Ronneberger-Sibold 1991: 217). Daraus lässt sich ableiten, dass die Besetzung des rechten Satzrands nicht grammatikalisiert ist, sondern 21 durch das rhematische Element besetzt wird. Die Distanzstellung von Pronominaladverbien macht es schwer, den linken Klammerteil exakt zu bestimmen. Dabei steht aber immer im Vordergrund, dass die rhematische Information am Ende geliefert wird. Auch weitere verbunabhängige Entwicklungen, wie der Abbau des Artikels verstärken nicht den Ausbau der Klammerstruktur. Im Falle des Abbaus des Artikels werden Klammerstrukturen sogar zur Optimierung struktureller Rhemakonstituenten reduziert: (32) a. Ich hab Geld dabei. b. ..., weil ich in Germanistik Prüfling mache. c. d. Sie war Brötchen holen. Er fährt mit Auto. nur in rhematischen Positionen. Die Beispiele In der NP unterbleibt die Artikelsetzung zeigen in diesem Zusammenhang okkasionelle Inkorporierungen. Dies kann als Prozess gedeutet werden, in dem sich rhematische Informationseinheiten einer „Verbartigmachung" unterziehen müssen (Bittner 2010: 241). Gäbe es eine Präferenz für die Klammerstruktur, wäre dieser Abbau laut Bittner nicht möglich. 6. Fazit Die Ausführungen ergeben zusammenfassend, dass die Bildung der Klammer sich aus unterschiedlichen Kodierungstechniken für die Kennzeichnung von Assertion und des Satzrhemas ergibt (Bittner 2010: 242). Die Einsichten Kleins (2006) haben ergeben, dass die Kennzeichnung von Nicht / Assertion durch die Erst- bzw. Zweit-Stellung des finiten Verbs im linken Satzrand erfolgt. Die Kennzeichnung des Rhemas folgt einer natürlichen Realisierung eines Definitheitsgefälle, nach dem Bekanntes im linken Teil und Neues im rechten Teil des Satzes steht. Das lexikalische Verb bildet dabei als indefiniteste Einheit den Kern des Satzrhemas. Die Festlegung der syntaktischen Realisierung von Assertion- und Rhemakennzeichnung und die Etablierung analytischer Verbformen gegenseitig. Auch die gegenwärtigen Sprachwandelprozesse, die die Klammerbildung berühren, erfolgen im Einklang mit den syntaktischen Regeln von Assertion und Rhemakennzeichnung. Die Ausführungen zeigen, dass sie nicht auf eine Verselbstständigung der Klammerstruktur hindeuten. 22 Diese Einsichten sprechen für die Annahme Bittners (2010), dass die Klammerstruktur des Deutschen eine Begleiterscheinung der syntaktischen Realisierung informationsstruktureller Grundsätze ist und ihr demnach keine eigene Funktion zukommt. So kann nicht nur der Annahme des Aufbaus eines Spannungsbogens widersprochen werden, sondern auch der häufig vertretenen Auffassung, die Klammerbildung nehme Einflüsse auf gegenwärtige Sprachwandelprozesse. 23 7. Literaturverzeichnis Abraham, Werner & Annette Fischer (1998): Das grammatische Optimalisierungsszenario von tun als Hilfsverb. In: Donhauser, Karin & Ludwig M. Eichinger (Hrsg.), Deutsche Grammatik - Thema in Variationen. Festschrift für Hans-Werner Eroms zum 60. Geburtstag. Heidelberg: Winter, 35-47. Behagel, Otto (1932): Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Band IV: Wortstellung, Periodenbau. Heidelberg: Winter. Bittner, Dagmar (2010): Die deutsche Klammerstruktur: Epiphänomen der syntaktischen Realisierung von Assertion und Thema-Rhema-Gliederung. In: Bittner, Dagmar/Gaeta, Livio (eds.) (2010): Kodierungstechniken im Wandel: • das Zusammenspiel von Analytik und Synthese im Gegenwartsdeutschen. Berlin, New York: de Gruyter, 223-248 Eichinger, Ludwig M. (1993): Vom Nutzen der Nominalklammer. Eine funktionale Erklärung für die Reihenfolge gestufter Adjektivattribute im Deutschen. In: Vuillaume, Marcel, Jean Francois Marilleir & Irmtraud Behr (Hrsg.), Studien zur Syntax und Semantik der deutschen Nominalgruppe. Eurogermanistik 2. Tübingen: Narr, 85-104. Eisenberg, Peter (2004): Grundriß, der deutschen Grammatik Der Satz. Stuttgart & Weimar: Metzler. Eroms, Hans-Werner (1993): Hierarchien in der deutschen Satzklammer. In: Marinier, Jean Francois (Hrsg.), Satzanfang - Satzende. Syntaktische, semantische und pragmatische Untersuchungen zur Satzabgrenzung und Extraposition im Deutschen. Tübingen: Narr, 17-34. Eroms, Hans-Werner (2000): Syntax der deutschen Sprache. Berlin: de Gruyter. Hinterhölzl, Roland (2010): Zur Herausbildung der Satzklammer im Deutschen. Ein Plädoyer für eine informationsstrukturelle Analyse. In: Ziegler, Arne (ed.) 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