Predigt von Ulrich Parzany am 18.10.2009 im Gottesdienst als Entdeckungsreise in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, Berlin Thema: Wen hat Gott gewählt? Text: Johannes 15,16-17 Nachdem die Experten die Bundestagswahl im September nun nach allen Regeln der Kunst ausgewertet haben, weiß man, wer wen gewählt hat. Merkwürdig genug, wo es doch eine geheime Wahl ist. Wen hat Gott gewählt? Wen schon? Es bleibt ihm doch nur die C-Partei, oder? Ich hörte neulich, dass die Wahlstrategen der CDU der Meinung waren, um die Christen müßten sie sich nicht kümmern, die hätten sowieso keine andere Wahl. Nur, bei Gott könnten sie sich getäuscht haben. Wenn man die Bibel liest, erscheint Gott als wagemutiger Wechselwähler. Einmal hat er den Perserkönig Kyros als seinen Gesalbten, hebräisch: Messias, gewählt, damit er das Volk Israel nach jahrzehntelanger Gefangenschaft in Babylon wieder nach Jerusalem schickte. (Jesaja 45,1) Der war nicht besonders fromm, sondern ein besonders geschickter Machtpolitiker. Und 70 Jahre vorher wählte Gott den neubabylonischen Tyrannen Nebukadnezar und erlaubte ihm, Jerusalem zu zerstören. Gott hatte dieses Gericht über Israel durch den Propheten Jeremia angekündigt. Und schließlich kommt der korrupte, feige römische Gouverneur Pilatus sogar ins Glaubensbekenntnis der Christen, weil er Jesus kreuzigen ließ. Auf wessen Seite Gott in den politischen Auseinandersetzungen steht und wen er wie als Instrument gebraucht – das zu wissen, sollten wir uns nicht zu sicher sein. Vielleicht gehört Gott ja auch zu der diesmal größten Wahlergruppe, zu den NichtWählern. Das war die Vorstellung des griechischen Philosophen Epikur. Der meinte, dass die Götter irgendwo in Zwischenwelten rumlungern und sich für nichts auf der Welt interessieren. Entsprechend brauchten sich die Menschen auch nicht für die Götter zu interessieren. Das passt ziemlich genau zu den heutigen Vorstellungen vieler. Aber die Sache liegt wahrscheinlich ganz anders: Gott hat gar kein Wahlrecht. Es kann doch nicht jeder gelaufen kommen – zumal aus dem Nahen Osten – und hier mitwählen, oder? Der Soziologieprofessor Ulrich Beck hat geschrieben, dass die Zeit vorbei ist, wo der Eine Gott die Geschichte bestimmt. Heute wählt jeder seinen eigenen Gott, ganz nach persönlichem Geschmack. Da muss man sich auch nicht länger streiten, wer recht hat. Wir können aber doch wissen, wen Gott wählt. Denn Jesus redet über sein Wahlverhalten Johannes 15, 16-17: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe. Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.“ Was lernen wir hier? 2 1. Jesus wählt die, die ihn nicht wählen. Es gibt schon mal einen Regierungschef, der oder die einen Parteilosen zum Minister machte. Aber dass einer sein ganzes Kabinett aus Leuten bildet, die ihn nicht einmal gewählt haben, das ist doch unmöglich. Aber so macht es Jesus. Denn Jesus redet hier zu der Kernmannschaft der Apostel. Das Wahlverhalten Gottes ist immer überraschend. Im Altern Testament lesen wir, warum er das Volk Israel gewählt hat: „Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil er euch geliebt hat“. (5.Mose 7,7f) Und bei der Christengemeinde geht’s ähnlich zu: „Was töricht ist vor der Welt, hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme.“ (1.Korinther 1,27-29) Das ist eine merkwürdige Elite, nicht wahr? Wer zur Elite Gottes gehört, der kann sich also darauf nichts einbilden. Das sind die, die sonst keiner wählt. Und die fühlen sich auch so, dass es auf sie nicht ankommt. Deshalb gehen sie auch schon gar nicht zur Wahl. Ich meine das jetzt nicht nur politisch. Das gilt auch im Blick auf Gott. Die große Überraschung ist: Jesus wählt genau die, die ihn nicht wählen. Er sucht, die, die ihn vergessen haben. Er ruft die, die sich aus seiner Hand befreit haben – „emanzipiert“ nennt man das mit einem Fremdwort. Aus der Hand Gottes rausgenommen. Ja, Gott läuft ihnen nach. Hat er das nötig? Nein, aber wir haben das nötig. Und deshalb macht er Straßenwahlkampf. Er hätte natürlich gerne, dass die Leute, die sich Christen nennen, sich in diese Suchbewegung mitnehmen lassen. Aber die meisten finden das peinlich. Man missioniert doch nicht. Wir sind doch keine Sektierer und Fundamentalisten, oder? Das ist auf jeden Fall eine Hoffnungsbotschaft für die religiös Unmusikalischen und für alle, die sich weit weg von Gott sehen. Dass du Jesus nicht wählst, überrascht ihn nicht. Er lässt sich dadurch nicht zum Menschenverächter machen. Er will uns zu Freunden haben. Das hat er gerade seinen Leuten gesagt (Johannes 15,14). Jesus sagt das am Vorabend seiner Kreuzigung. Das ist also nicht nur so dahingesagt. Er lässt sich das was kosten. Wir sind’s ihm wert. 2. Wie wirkt denn seine Wahl? Wie funktioniert das, wenn Gott erwählt? Hat er alles vorherbestimmt? Kann man da überhaupt etwas gegen machen? Haben wir da noch was zu entscheiden? Jesus hat zur Entscheidung aufgerufen: „Geht ein durch die enge Pforte! Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind’s, die auf ihm hineingehen. Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind’s, die ihn finden.“ (Matthäus 7.13f) 3 Das hört sich doch so an, als müssten wir wählen. Haben wir denn die Wahlfreiheit? Ist nicht schon alles vorbestimmt? Wenn der allmächtige Gott alles bewirkt, habe ich ja nichts zu tun. Oder müssen wir uns den Job teilen, wenigsten 99:1? Ich will versuchen, es zu erklären. Gott ist kein Mörder, er ist der Schöpfer des Lebens. Seine Allmacht wirkt nicht wie eine Fliegenklatsche, die die Fliege an der Wand platt macht. Wenn er seine volle Schöpfermacht einsetzt, dann sind wir nicht tot, sondern dann werden wir lebendig und aktiv. Das beste Beispiel sehen wir auf dem Friedhof von Bethanien. Da steht Jesus vor dem Felsengrab, in dem die Leiche seines Freundes Lazarus liegt. Jesus ruft laut: „Lazarus, komm heraus!“ (Johannes 11,43) Wieviel Entscheidungsfreiheit hat eine Leiche? Keine. Aber das Wort des lebendigen Gottes, der sich in Jesus offenbart hat, schafft dort Bewegungsfreiheit, wo nur Totenstarre ist. Und der Lazarus kommt rausgewackelt. DerTübinger Theologieprofessor Hans-Joachim Eckstein sagt dazu immer: „Für die Auferweckung kann man gar nicht tot genug sein.“ Also nicht 90:10 oder 99:1. Gott schafft 100 Prozent, und wir dürfen uns die 100 Prozent gefallen lassen. Wenn Gott Sie ruft, haben Sie keine Ausrede mehr („Ich kann nicht.“ – „Ich bin zu schwach.“). Das erscheint uns wie ein Widerspruch, ist aber das volle Leben, wie Gott es schenkt. Paulus schreibt deshalb so: „Schafft eure Rettung mit Furcht und Zittern, denn Gott ist es, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen.“ (Philipper 2,12f) Was nun, wir oder er? Er schafft und setzt uns dadurch voll in Aktion. Manchmal bilden wir uns ja schwer was auf unsere Entscheidungen ein. Manchmal sind wir aber auch verzweifelt, weil wir uns selbst nichts zutrauen. So schwanken wir zwischen Vermessenheit und Verzagtheit. Als ich Junge war und auch ganz jung in meinem Glauben an Jesus, habe ich von dem Essener Jugendpfarrer Wilhelm Busch einmal eine sehr hilfreiche Erklärung gehört. Er sagte: „Wenn du die Einladung zu Jesus hörst, dann stehst du vor der engen Pforte, über der steht: ‚Geh hinein!’ Du zögerst und sagst: Ich kann nicht. Es gibt doch so viele andere Möglichkeiten. Aber Jesus schiebt dich nicht durch, er ruft: Geh hindurch! Es hängt offensichtlich alles von deiner Entscheidung ab. Wenn du durchgegangen bist und dich rumdrehst, liest du auf der Innenseite der engen Pforte: ‚Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.’ Du musst dein Vertrauen also nicht auf die Qualität deiner Entscheidung, sondern auf die Entscheidung von Jesus setzen. Die steht.“ Das schafft Gewissheit. Paulus schreibt den Christen in Ephesus: „In Jesus Christus hat Gott uns erwählt, bevor der Grund der Welt gelegt war“. (Epheser 1,4) Der Anker eines Schiffes wird nicht in den Maschinenraum des Schiffes geworfen, sondern raus aus dem Schiff, damit er sich im Meeresgrund fest verankern kann. Die Gewissheit finde ich nicht in meinen Gefühlen, sondern außerhalb von mir in dem Wort Gottes und in seinen Taten. Er verankert mein wackeliges Leben in seiner ewigen, unerschütterlichen Liebe. 4 Martin Luther konnte vor lauter Zweifel keine Gewissheit finden. Er wusste: Ich muss mein Leben ändern, aber ich kann nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich es ehrlich meine mit Gott. Alle andern scheinen irgendwie Frieden mit Gott zu bekommen, aber ich nicht – trotz aller Bemühungen. Schließlich meinte er, er sei von Gott verworfen. Das ist die dunkle Kehrseite der Erwählung. Da hat ihm sein Seelsorger Johann von Staupitz gesagt: „Ergreife deine Erwählung in den Wunden Christi.“ Nur dort können wir erfassen und begreifen, dass wir erwählt sind. Erwählt in Jesus Christus vor Grundlegung der Welt! Fest verankert in Gottes Ewigkeit. 3. Was hat er denn nun mit uns vor? Wozu erwählt sich Gott seine merkwürdige Elite? Nicht damit sie stolz, selbstgefällig und faul die Erwählung genießt. Er hat mit uns allen etwas vor. „... ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt“. Wir sind nicht die Endverbraucher der Liebe Gottes. Das Leben, das Jesus in uns schafft, soll sich vermehren. In Wort und Tat. Die Früchte werden in der Regel von anderen gepflückt und gegessen. Unser Leben soll etwas hervorbringen, dass andere ernährt und stärkt. Das nennt die Bibel die Frucht des Heiligen Geistes, die Liebe. Die entfaltet sich in Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Keuschheit. So buchstabiert Paulus die Frucht des Geistes (Galater 5,22). Frucht heißt auch: Mehr Menschen sollen an dem Leben, das Gott schenkt, teilhaben. Deshalb sagt Jesus seinen Leuten: „Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker!“ Wir dürfen, können und sollen allen Menschen das Leben aus Gott anbieten. Das gilt allen, auch und gerade denen, die ihn nicht wählen, die ihn vergessen haben. Jesus wählt die, die ihn nicht wählen. Was muss noch geschehen, dass die Christen in den christlichen Kirchen das endlich begreifen? Wenn Jesus wählt, den nimmt er mit zur Erfüllung seiner Mission. Wir sind mit diesem Auftrag nicht überfordert. Jesus gibt uns eine dreifache Unterstützung: a. Er garantiert die Nachhaltigkeit. Eure Frucht bleibt! Nichts ist für die Katz. Hier spricht der Auferstandene. Vergeblichkeit und Verwedung hat in seinem Werk keinen Platz mehr. b. Er sorgt für den Nachschub. „... damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.“ Das bevollmächtige Gebet wird erhört. Wir dürfen aus den unerschöpflichen Vorräten unseres Vaters im Himmel schöpfen. Das Gebet ist unsere Kraftquelle. c. Und wir sind nicht auf uns allein gestellt. Darum fügt Jesus hinzu: „Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.“ Die Überforderung der Menschen kommt aus der Zerstrittenheit und Vereinzelung. Jesus will, dass wir als Körperteile seines Leibes zusammenwirken, einander ergänzen, uns gegenseitig unterstützen. 5 Viele suchen heute ihre ganz persönliche spirituelle Befriedigung. Das bringt nichts. Wir sind dazu bestimmt in ener Gemeinschaft mit Jesus und allen seinen Nachfolgern zu leben und nachhaltig Frucht zu bringen. Der Genfer Reformator Johannes Calvin – geboren vor 500 Jahren im Jahre 1509 schreibt zu dem Versprechen Jesu, dass die Frucht bleiben wird: „Die Verheißung hat ihre größte Bedeutung dann, wenn keine Frucht zu sehen ist. Heute nämlich überschütten naseweise Leute und alle, die der Welt als verständig erscheinen, unsere Anstrengungen mit Hohn und Spott und nennen sie unüberlegt, weil wir – so sagen sie – den vergeblichen Versuch machen, Himmel und Erde zu verbinden. Entspricht doch bisweilen das Ergebnis nicht unseren Wünschen.“ Wenn jemand gewählt wurde, wird er gefragt: Nehmen Sie die Wahl an? Diese Frage habe ich Ihnen zum Schluss zu stellen. Ich hoffe, sie lehnen nicht ab. Wenn Sie die Wahl durch Jesus annehmen, dann sagen Sie ihm das mit dem folgenden Gebet: Jesus, ich danke dir, dass du mich so sehr liebst. Ich habe Deine Einladung gehört, und ich öffne dir mein Leben. Ich bekenne dir meine Sünden und bitte dich um Vergebung. Ich danke dir, dass du am Kreuz für mich gestorben bist und dass du mir alle meine Sünden vergeben hast. Mein ganzes Leben soll dir gehören. Dir will ich vertrauen. Dir will ich folgen. Du bist der Herr. Zeige mir Deinen Weg. Ich danke dir, dass du mich angenommen hast. Amen.