Schutz Überwachung Steuerung Leitfaden über den Schutz I> Allgemeines Seite Inhaltsverzeichnis Allgemeines 1 Sternpunktbehandlung 3 Kurzschlussströme Selektivität Netzschutz 21 Transformatorschutz 29 Motorschutz 35 Generatorschutz 41 Kondensatorschutz 47 Wandler 53 Zeichenerklärung I> Maximalstromschutz I <– Stromrichtungsschutz I Maximalerdschlussstromschutz N > Merlin Gerin U< >f> U> Minimalspannungsschutz Maximal- und Minimalfrequenzschutz Maximalspannungsschutz P <–– Wirkleistungsrückflussschutz Thermisches Abbild Q <–– Blindleistungsrückflussschutz Differentialschutz U Maximalrestspannungsschutz Ii > MaximalGegenkomponentenschutz I ΔI I > U Vorwort 9 15 N Maximalstromschutz mit spannungsabhängigem Ansprechwert Schutzeinrichtungen überwachen dauernd den elektrischen Zustand der Teile eines Netzes und bewirken deren Abschaltung (z.B. durch Öffnen eines Leistungsschalters), wenn dort eine Störung wie z.B. ein Kurzschluss oder ein Isolationsfehler usw. auftritt. Damit werden die folgenden Ziele verfolgt: c Beitrag zum Schutz von Personen gegen die elektrischen Gefahren. c Vermeidung der Zerstörung von Betriebs­ mitteln (die von einem dreiphasigen Kurzschluss an MS-Sammelschienen erzeugte Energie ist in der Lage, in 1 Sekunde bis zu 50 kg Kupfer zu schmelzen; die Temperatur des Lichtbogens kann in seinem Kern 10 000 °C übersteigen). c Begrenzung der thermischen, dielektri­ schen und mechanischen Beanspruchungen, denen diese Betriebsmittel unterworfen werden. c Aufrechterhaltung der Stabilität des Netzes und der Kontinuität der Stromversorgung. c Schutz der benachbarten Anlagen (z.B. Reduktion der in benachbarten Stromkreisen induzierten Spannungen). > Buchholz-Schutz Um diese Ziele zu erreichen, muss ein Schutzsystem die folgenden Merkmale haben: c Schnelligkeit c Selektivität c Zuverlässigkeit Man muss sich jedoch auch der Grenzen des Schutzes bewusst sein: Zuerst muss eine Störung auftreten, damit der Schutz in Aktion treten kann. Somit kann der Schutz keine Störungen verhindern, er kann lediglich deren Dauer begrenzen. Zudem ist die Wahl eines Schutzes oft ein technisch­ wirtschaftlicher Kompromiss zwischen der Sicherheit und der Verfügbarkeit der Versorgung mit elektrischer Energie. Die Wahl einer Schutzeinrichtung ist nicht die Folge einer separaten Überlegung, sondern eine der wichtigsten Stufen beim Entwurf eines Stromnetzes. Ausgehend vom Studium des Verhaltens der elektrischen Betriebsmittel (Motoren, Transformatoren usw.) im Störungsfall und der sich daraus ergebenden Erscheinungen verfolgt der vorliegende Leitfaden den Zweck, Ihnen bei der Wahl der am besten geeigneten Schutzeinrichtungen behilflich zu sein. Leitfaden über den Schutz 1 2 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Sternpunktbehandlung Einleitung Die Wahl der Art der Erdung des Sternpunktes der MS- und NS-Netze war lange Zeit Gegen­ stand von heftigen Meinungsverschieden­ heiten, da es unmöglich ist, für die einzelnen Netzarten einen einzigen Kompromiss zu finden. Aufgrund der praktischen Erfahrung ist es heute möglich, unter Berücksichtigung der Besonderheiten jedes Netzes eine sachdienliche Wahl zu treffen. Die fünf Sternpunkt­ schaltungen Das Sternpunktpotential kann durch fünf ver­ schiedene Methoden festgelegt werden, die sich durch die Art (Kapazität, Widerstand, Induktivität) und den Wert (null bis unendlich) der zwischen dem Sternpunkt und der Erde geschalteten Impedanz Zn unterscheiden: c Zn = ∞ d.h. nicht geerdeter Sternpunkt (auch isolierter Sternpunkt genannt), keine absichtliche Verbindung. c Zn ist ein Widerstand mit einem mehr oder weniger hohen Wert. c Zn ist eine Reaktanz mit einem in der Regel niedrigen Wert. c Zn ist eine bestimmte Reaktanz, welche die Kapazität des Netzes kompensiert. c Zn = 0, d.h. direkt geerdeter Sternpunkt. Schwierigkeiten und Auswahlkriterien Die Auswahlkriterien betreffen zahlreiche Gesichtspunkte: c Technische Gesichtspunkte (Funktions­ tüchtigkeit des Netzes, Überspannungen, Fehlerstrom usw.). c Betriebliche Gesichtspunkte (Kontinuität der Versorgung, Instandhaltung usw.). c Sicherheits-Gesichtspunkte. c Wirtschaftliche Gesichtspunkte (Investitions­ kosten, Betriebskosten). c Gesichtspunkte der örtlichen oder nationalen Gewohnheiten. Besonders zwei wichtige technische Gesichts­ punkte widersprechen sich: Reduktion des Überspannungspegels Überspannungen haben verschiedene Ursachen: c Blitzüberspannungen, denen alle Freilei­ tungsnetze bis zu den Verbrauchern ausge­ setzt sind. c Netzinterne Überspannungen, die durch Schaltvorgänge und bestimmte kritische Situationen (Resonanzen) verursacht werden. c Überspannungen, die sich aus einem Erdschluss und seiner Beseitigung ergeben. Reduktion des Erdschlussstroms Id Ein zu hoher Fehlerstrom hat eine ganze Reihe von Folgen: c Schäden durch den Lichtbogen an der Fehlerstelle, insbesondere Schmelzen der magnetischen Kreise rotierender Maschinen. c Thermisches Verhalten der Kabelabschir­ mungen. c Abmessungen und Kosten des Erdungs­ widerstandes. Merlin Gerin c Induktionen in benachbarten Telekommuni­ kationskreisen. c Gefährdung von Personen durch Erhöhung des Potentials des Körpers (der Masse) eines elektrischen Betriebsmittels. Leider bewirkt die Optimierung einer dieser Anforderungen automatisch eine Beeinträch­ tigung der anderen. Zwei typische Methoden der Sternpunkterdung streichen diesen Kontrast besonders heraus: c Der nicht geerdete (d.h. isolierte) Sternpunkt, der verhindert, dass ein Erdschlussstrom fliesst, der aber die höchste Überspannung bewirkt. c Der direkt geerdete Sternpunkt, der die Überspannungen auf ein Minimum reduziert, jedoch einen hohen Fehlerstrom bewirkt. Deshalb wird in viele Fällen eine Zwischen­ lösung mit einem über eine Impedanz geerdeten Sternpunkt gewählt. Leitfaden über den Schutz 3 Sternpunktbehandlung (Fortsetzung) Nicht geerdeter Sternpunkt Id 4 Leitfaden über den Schutz In einem solchen Netz bewirkt ein einphasiger Erdschluss nur einen niedrigen Fehlerstrom Id über die Kapazitäten der gesunden Phasen gegen Erde. Es kann gezeigt werden, dass Id = 3 CωV, wobei c V = Phasenspannung c C = Kapazität einer Phase gegen Erde c ω = Kreisfrequenz des Netzes (ω = 2πf). Der Strom Id kann im Prinzip lange Zeit bestehen bleiben, ohne Schaden anzurichten, da sein Wert nicht höher ist als wenige Ampere (etwa 2 A pro km für ein einpoliges 6 kV-Kabel mit PRC-Isolation, dessen Kapazität 0,63 µF/km beträgt). Somit muss nichts unter­ nommen werden, um diesen ersten Fehler zu beseitigen, weshalb diese Lösung den wesentlichen Vorteil hat, die Kontinuität der Versorgung aufrechtzuerhalten. Dies hat jedoch Folgen: c Ein nicht beseitigter Isolationsfehler muss unbedingt von einer Isolationsüber­ wachungseinrichtung gemeldet werden. c Die darauffolgende Suche nach dem Fehler erfordert einerseits eine umso komplexere Apparatur, je automatischer sie ist, um eine schnelle Erkennung des fehlerhaften Abgangs zu ermöglichen, und andererseits einen qualifizierten Unterhaltsdienst für den Betrieb. c Falls der erste Fehler nicht beseitigt wird, bewirkt ein zweiter Fehler an einer anderen Phase einen echten zweiphasigen Erdschluss, der von den Phasenschutzeinrichtungen beseitigt werden muss. Vorteil Der wesentliche Vorteil ist die Kontinuität der Versorgung, da es der sehr niedrige Fehler­ strom zulässt, nicht automatisch abzuschalten. Nachteile Die Nichtbeseitigung der Überspannungen durch Ableitung gegen Erde ist ein bedeu­ tender Nachteil, wenn diese Überspannungen hoch sind. Zudem nehmen bei der Erdung einer Phase die anderen Phasen die verket­ tete Spannung (U = V.e) gegen Erde an, was die Gefahr eines zweiten Fehlers erhöht. Die Isolationskosten sind höher, da die verkettete Spannung während einer langen Zeit zwischen Phase und Erde anstehen kann, weil keine automatische Abschaltung erfolgt. Es ist ein Unterhaltsdienst erforderlich, der mit für die rasche Suche nach dem ersten Isolations­ fehler geeignetem Material ausgerüstet ist. Anwendungen Diese Lösung wird oft für Industrienetze (≤ 15 kV) gewählt, für welche die Kontinuität der Versorgung oberstes Gebot ist. Merlin Gerin Erdung über einen Widerstand I > N N Rn I > N Id Rn Zugänglicher Sternpunkt Nicht zugänglicher Sternpunkt Schutzeinrichtungen Die Erfassung eines schwachen Fehlerstroms Id erfordert andere Schutzeinrichtungen als die Überstromrelais der Phasen. Diese «Erdschluss»-Schutzeinrichtungen erfassen den Fehlerstrom c entweder direkt in der Verbindung zwischen Sternpunkt und Erde 1 , c oder im Netz durch Messung der Vektorsumme der 3 Ströme unter Verwendung v entweder von 3 Phasenstromwandlern, welche die Schutzeinrichtungen speisen 2 v oder eines Ringkernwandlers (vorzuziehen, da genauere Messung) 3 . I > N 1 2 3 I > N I > N Merlin Gerin Bei diesem Schema begrenzt ein ohmscher Widerstand den Fehlerstrom Id gegen Erde bei gleichzeitiger Ableitung der Überspannungen. Demzufolge müssen jedoch automatisch Schutzeinrichtungen in Aktion treten, die den ersten Fehler beseitigen. In Netzen, die rotierende Maschinen speisen, wird der Wider­ stand so festgelegt, dass ein Id von 15 bis 50 A erhalten wird. Dieser niedrige Strom muss jedoch trotzdem gleich Id ≥ Ic sein (Ic = gesamter kapazitiver Strom des Netzes), um die Schaltüberspan­ nungen zu reduzieren und eine einfache Erfassung zu ermöglichen. In Verteilnetzen werden höhere Werte gewählt (100 bis 1000 A), die besser erfassbar sind und eine Ableitung von Blitzüberspannungen gestatten. Vorteile Dieses Schema ist ein guter Kompromiss zwischen einem niedrigen Fehlerstrom und gut abgeleiteten Überspannungen. Die Schutzeinrichtungen sind einfach und selektiv und der Strom wird begrenzt. Nachteile c Keine Kontinuität der Versorgung. Bei einem Erdschluss muss dieser sofort beseitigt werden. c Die Kosten für den Erdungswiderstand steigen mit der Spannung und dem begrenzten Strom. Anwendungen Öffentliche und industrielle MS-Verteilnetze. Erdungswiderstand (Rn) Wenn der Sternpunkt zugänglich ist (Trans­ formator in Sternschaltung), kann der Erdungs­ widerstand zwischen Sternpunkt und Erde geschaltet werden. Wenn der Sternpunkt nicht zugänglich ist oder wenn es sich aufgrund der Selektivitätsstudie als vorteilhaft erweist, realisiert man mit einer Spule oder einem Spezialtransformator mit sehr niedriger Nullreaktanz einen künstlichen Sternpunkt (Nullgenerator). Die Ansprechwerteinstellung erfolgt in Funktion des unter Vernachlässigung der Quellen- und Verbindungs-Nullimpedanzen gegenüber der Impedanz Rn und unter Berücksichtigung der folgenden 2 Regeln berechneten Fehlerstroms Id: c Einstellung höher als das 1,3fache des kapazitiven Stroms des Netzes vor der Schutzeinrichtung, c Einstellung auf ungefähr 20% des maxi­ malen Erdschlussstroms. Zudem darf die Einstellung, wenn die Erfas­ sung mit 3 Stromwandlern erfolgt, nicht niedriger sein als 10% der Baugrösse der Stromwandler, um die mit v der Asymmetrie der Ausgleichsströme, v der Streuung der Kennlinien verbundenen Unsicherheiten zu berücksichtigen. Leitfaden über den Schutz 5 Sternpunktbehandlung (Fortsetzung) Erdung über eine Drossel Für Netzspannungen über 40 kV zieht man wegen der Probleme, die mit der Wärme­ entwicklung beim Auftreten eines Fehler­ stroms verbunden sind, die Verwendung einer Drossel anstelle eines Widerstandes vor. Erdung über eine Kompensationsdrossel Mit diesem System kann der kapazitive Strom des Netzes kompensiert werden. Denn der Fehlerstrom ist die Summe der Ströme, die durch die folgenden Kreisen fliessen: c Erdung über die Drossel. c Kapazitäten der gesunden Phasen gegen Erde. Diese Ströme heben sich gegenseitig auf, da c der eine (derjenige in der Erdung) induktiv und c der andere (derjenige in den Kapazitäten der gesunden Phasen) kapazitiv ist. Die Addieren sich somit gegenphasig. Vorteil Dieses System gestattet eine Verminderung der Fehlerströme, selbst wenn die Kapazität der Phasen gegen Erde gross ist. Nachteil Die Kosten für die Erdungsdrossel können hoch sein, weil man den Wert der Reaktanz verändern können muss, um die Kompen­ sation anzupassen. L N Id Direkte Erdung der Sternpunktes Schutzeinrichtungen Die Fehlerstromerfassung beruht auf der Wirkkomponente des Reststroms. Der Fehler bewirkt im gesamten Netz das Fliessen von Restströmen, aber nur der fehlerhafte Kreis wird von einem ohmschen Reststrom durchflossen. Zudem berück­ sichtigen die Schutzeinrichtungen sich wiederholende, selbstlöschende Fehler. Wenn die Erdungsreaktanz und die Kapa­ zität des Netzes aufeinander abgestimmt sind (3LNCo2=1) v ist der Fehlerstrom minimal, v ist der Fehlerstrom ein Wirkstrom, v ist der Fehler selbstlöschend. Deshalb wird die Kompensationsdrossel Löschspule oder Petersen-Spule genannt. Wenn der Sternpunkt ohne dazwischen­ geschaltete Impedanz geerdet ist, ist der Fehlerstrom Id zwischen Phase und Erde praktisch ein Kurzschluss zwischen Phase und Sternpunkt und somit hoch. Dieses zum Ableiten von Überspannungen ideale Schema bringt sämtliche Nachteile und Gefahren eines hohen Erdschlussstroms mit sich. Es besteht keine Kontinuität der Versorgung und es gibt keine spezifischen Schutzeinrichtungen, indem die normalen Überstromschutz­ einrichtungen in Aktion treten, um den Fehler zu beseitigen. Anwendungen c Dieses Schema wird in Europa für MSFreileitungs- und -Kabelnetze nicht angewen­ det, ist jedoch in den nordamerikanischen Verteilnetzen üblich. In diesen (Freileitungs-) Netzen rechtfertigen andere Besonderheiten diese Wahl: v Vorhandensein eines verteilten Neutral­ leiters, v Verteilung 3 P, 2 P+N oder 1 P+N, v Verwendung des Neutralleiters als Schutz­ leiter mit genereller Erdung an jedem Mast. c Dieses Schema kann angewendet werden, wenn die Kurzschlussleistung der Quelle niedrig ist. 6 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 7 8 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Kurzschlussströme Einleitung Der Kurzschluss ist eine der bedeutendsten Störungen, die in einem elektrischen Netz auftreten können. Seine Folgen sind oft schwerwiegend, wenn nicht verheerend: c Der Kurzschluss stört den Bereich des Netzes an der Nähe der Fehlerstelle durch die von ihm bewirkte plötzliche Spannungs­ absenkung. c Er zwingt zur Abschaltung eines oft grossen Teils des Netzes durch entspre­ chende Schutzeinrichtungen. c Alle vom Kurzschlussstrom durchflossenen Betriebsmittel und Verbindungen (Kabel, Leitungen) erleiden eine hohe mechanische Beanspruchung (durch elektrodynamische Kräfte), die zum Bruch führen kann, und eine thermische Beanspruchung, die ein Schmelzen der Leiter und eine Zerstörung der Isolationen bewirken kann. c An der Fehlerstelle entsteht meistens ein Lichtbogen hoher Energie, dessen zer­ störerische Auswirkungen sehr stark sind und der sich schnell ausbreiten kann. Trotz der abnehmenden Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Kurzschlusses in modernen, gut konzipierten und gut betriebenen Anlagen, sind die möglichen gravierenden Folgen Grund genug, alles zu unternehmen, um jeden Kurzschluss möglichst schnell festzustellen und zu beseitigen. Die Kenntnis des Wertes des Kurzschluss­ stroms an verschiedenen Stellen des Netzes ist unerlässlich, um die Kabel, Sammel­ schienen und alle Schalt- und Schutzein­ richtungen sowie deren Einstellung festzulegen. Definitionen Der Kurzschlussstrom an einem Punkt eines Netzes wird durch den Effektivwert Icc (in kA) seiner Wechselstromkomponente ausgedrückt. Der maximale Momentanwert, den der Kurzschlussstrom erreichen kann, ist der Scheitelwert ip der ersten Halb­ periode. Dieser Scheitelwert kann wegen der abklin­ genden Gleichstromkomponente, die sich der Wechselstromkomponente überlagern kann, wesentlich höher sein als r • Icc. Diese zufällige Gleichstromkomponente hängt vom Momentanwert der Spannung im Moment des Auftretens des Kurzschlusses und von den Eigenschaften des Netzes ab. Die Kurzschlussleistung wird durch den Ausdruck Scc = e Un • Icc (in MVA) definiert. Dieser fiktive Wert ist physikalisch nicht vorhanden. Es handelt sich um eine mit einer Scheinleistung vergleichbare prak­ tische konventionelle Grösse. Strom Gleichstromkomponente iρ 2 2 Icc Merlin Gerin Zeit Leitfaden über den Schutz 9 Kurzschlussströme (Fortsetzung) Der Wert Icc des dreiphasigen Kurzschluss­ stroms an einem Punkt F des Netzes beträgt: U Icc = e Zcc wobei U die verkettete Spannung am Punkt F vor dem Auftreten des Fehlers und Zcc die von der Fehlerstelle aus gesehene Ersatz­ impedanz des vorgeschalteten Netzes ist. c Diese Berechnung ist somit im Prinzip einfach. Ihre praktische Komplexität ergibt sich aus der Schwierigkeit der Berechnung von Zcc, der Impedanz, die allen seriellen und parallelen Einzelimpedanzen der dem Fehler vorgeschalteten Netzkomponenten entspricht. Diese Impedanzen sind selber die quadratische Summe von Widerständen und Reaktanzen: Kurzschluss zwischen Phasen Zcc U Zcc U Zcc Icc F F F Zcc = VR2 + X2 Eine wesentliche Vereinfachung liegt insbesondere vor, wenn man die Kurz­ schlussleistung (Scc) an der Anschlussstelle an das Netz des Elektrizitätsversorgungs­ unternehmens kennt. Erdschluss (einphasig) 1 N 2 Zn 3 Io Aus dem Wert von Scc an dieser Stelle kann die Impedanz Za, die der dieser Stelle vorgeschalteten Impedanz entspricht, mit der folgenden Formel abgeleitet werden: U U2 , Icc = e Za Scc Ebenso ist nicht unbedingt nur eine Spannungsquelle vorhanden; es können mehrere parallele Spannungsquellen vorliegen, denn insbesondere Synchronund Asynchronmotoren verhalten sich unter Kurzschlussbedingungen wie Generatoren. Der dreiphasige Kurzschlussstrom ist im allgemeinen der höchste Strom, der im Netz fliessen kann. Der zweiphasige Kurzschlussstrom ist niedriger (im Verhältnis von e/2, d.h. er beträgt ungefähr 87%). Za = Icc zweiphasig = U 2 Zcc Der Wert dieses Stroms hängt von der Impedanz Zn zwischen dem Sternpunkt und Erde ab. Diese Impedanz kann praktisch gleich null sein, wenn der Sternpunkt direkt geerdet (und somit diese Impedanz in Serie mit dem Erdungswiderstand geschaltet) ist, oder praktisch gleich unendlich, wenn der Sternpunkt nicht geerdet (und somit diese Impedanz parallel zur Phasen-ErdeKapazität des Netzes geschaltet) ist. Zum Berechnen dieses asymmetrischen Kurzschlussstroms muss die Methode der symmetrischen Komponenten beigezogen werden. Diese Methode ersetzt das reale Netz durch eine Überlagerung der folgenden 3 Netze: Mitnetz, Gegennetz und Nullnetz. Auf diese Weise wird jedes Element des Netzes durch die folgenden 3 Impedanzen charakterisiert: Mitimpedanz Z1, Gegenimpedanz Z2 und Nullimpedanz Z0. Der Wert des Erdschlussstroms I0 beträgt: I0 = Ue Z1 + Z2 + Z0 + 3 Zn Diese Berechnung ist für Netze erforderlich, bei denen der Sternpunkt über eine Impe­ danz Zn geerdet ist, um die Einstellwerte der Erdschlussstromchutzeinrichtungen zu bestimmen, die in Aktion treten müssen, um den Erdschlussstrom zu unterbrechen. In der Praxis gilt: I0 10 Leitfaden über den Schutz z U e Zn Merlin Gerin Kurzschlussstrom an den Klemmen eines Generators Die Berechnung des Kurzschlussstroms an den Klemmen eines Synchrongenerators ist komplexer als an den Klemmen eines an das Netz angeschlossenen Transformators. Dies deshalb, weil die innere Impedanz der Maschine nach dem Auftreten des Fehlers nicht als konstant erachtet werden kann. Diese nimmt allmählich zu, weshalb der Strom abnimmt und dabei drei charakteri­ stische Phasen durchläuft: c Subtransiente Phase (etwa 0,01 bis 0,1 s): Der Kurzschlussstrom (Effektivwert der Wechselstromkomponente) ist hoch und beträgt das 5- bis 10fache des Nennstroms. c Transiente Phase (zwischen 0,1 und 1 s): Der Kurzschlussstrom klingt bis zum 2- bis 6fachen des Nennstroms ab. c Dauerphase: Der Kurzschlussstrom fällt auf das 0,5- bis 2fache des Nennstroms zurück. Strom Subtransiente Die angegebenen Werte hängen von der Leistung der Maschine, von der Art ihrer Erregung und für den Dauerkurzschlussstrom vom Wert des Erregerstroms und somit von der Belastung der Maschine im Moment des Auftretens des Fehlers ab. Zudem ist die Nullimpedanz von Generatoren in der Regel 2- bis 3mal niedriger als die Mitimpedanz. Somit ist der Phasen-ErdeKurzschlussstrom höher als der drei-phasige Strom. Zum Vergleich beträgt der dreiphasige Dauerkurzschlussstrom an den Klemmen eines Transformators je nach Leistung das 6- bis 20fache des Nennstroms. Daraus kann geschlossen werden, dass Kurzschlüsse an den Klemmen eines Generators schwer zu charakterisieren sind, vor allem jedoch, dass wegen ihres niedrigen und abklingenden Wertes das Einstellen der Schutzeinrich­ tungen schwierig ist. Transiente Dauer-Vorgänge i1 t i2 t i3 t Auftreten des Fehlers Berechnung der Kurzschlussströme Merlin Gerin Verlauf der drei Kurzschlussströme an den Klemmen eines Generators Die Regeln für die Berechnung der Kurz­ schlussströme in Industrieanlagen sind in der 1988 erschienenen Norm IEC 909 festgelegt worden. Die praktische Berechnung der Kurzschlussströme an verschiedenen Stellen eines Netzes kann bald eine aufwendige Arbeit werden, wenn die Anlage komplex ist. Mit Hilfe von speziellen Software-Program­ men können diese Berechnungen schneller durchgeführt werden. Leitfaden über den Schutz 11 Kurzschlussströme (Fortsetzung) Verhalten der Betriebs­ mittel unter Kurzschluss­ bedingungen 12 Leitfaden über den Schutz Man unterscheidet zwei Arten von Netz­ betriebsmitteln, je nachdem, ob sie beim Auftreten eines Fehlers in Aktion treten müssen oder nicht. Passive Betriebsmittel Zu dieser Kategorie gehören alle Betriebs­ mittel, die aufgrund ihrer Funktion dazu bestimmt sind, sowohl den Nennstrom als auch den Kurzschlussstrom zu übertragen, ohne Schaden zu nehmen. Das sind die Kabel, Leitungen, Sammel­ schienen, Trenner, Schalter, Transforma­ toren, Drosseln, Kondensatoren und Messwandler. Für diese Betriebsmittel wird die Befähigung, den Durchgang eines Kurzschlussstroms ohne Beschädigung auszuhalten, wie folgt definiert: c Anhand des elektrodynamischen Verhaltens (ausgedrückt in kA Scheitelwert), das ihre mechanische Widerstandsfähigkeit gegen elektrodynamische Beanspruchungen kennzeichnet. c Anhand des thermischen Verhaltens (aus­ gedrückt in kA eff. während 1 bis 5 Sekun­ den), das die maximal zulässige Erwärmung kennzeichnet. Aktive Betriebsmittel Zu dieser Kategorie gehören die Betriebs­ mittel, die dazu bestimmt sind, den Kurzschlussstrom zu beseitigen, d.h. die Leistungsschalter und Sicherungen. Diese Befähigung wird durch das Ausschaltver­ mögen und wenn nötig durch das Kurz­ schluss-Einschaltvermögen ausgedrückt. c Ausschaltvermögen Diese wichtige Eigenschaft eines Schalt­ gerätes entspricht dem Maximalstrom (in kA eff.) den dieses unter in den Normen festgelegten Bedingungen unterbrechen kann. Dabei handelt es sich normalerweise um den Effektivwert der Wechselstrom­ komponente des Kurzschlussstroms. Manchmal wird für bestimmte Geräte der Effektivwert der Summe der Wechsel- und der Gleichstromkomponente angegeben. Dies ist dann der «asymmetrische Strom». Das Ausschaltvermögen hängt ferner von den folgenden Bedingungen ab: v Spannung v Verhältnis R/X des unterbrochenen Stroms v Netzfrequenz v Anzahl Unterbrechungen des Maximal­ stroms, zum Beispiel Schaltzyklus O - S/O - S/O (O = Öffnen, S = Schliessen) v Zustand des Gerätes nach der Prüfung Das Ausschaltvermögen scheint somit eine ziemlich schwierig zu definierende Eigen­ schaft zu sein. Deshalb ist es nicht erstaun­ lich, dass demselben Gerät je nach der angewendeten Norm ein anderes Ausschaltvermögen zugeordnet werden kann. c Kurzschluss-Einschaltvermögen Diese Eigenschaft wird in der Regel implizit durch das Ausschaltvermögen festgelegt, denn ein Schaltgerät muss in der Lage sein, auf einen Kurzschluss einzuschalten, den es auch unterbrechen kann. Manchmal muss das Einschaltvermögen höher sein, zum Beispiel für GeneratorLeistungsschalter. In diesem Fall wird das Einschaltvermögen in kA Scheitelwert angegeben, da der asymmetrische ersten Scheitelwert die höchste elektrodynamische Beanspruchung verursacht. c «Abgeschnittener» prospektiver Kurz­ schlussstrom Gewisse Schaltgeräte haben die Eigen­ schaft, den Strom, den sie zu unterbrechen haben, zu «begrenzen». Ihr Ausschaltver­ mögen wird als maximaler prospektiver Kurzschlussstrom angegeben, der sich bei einem satten Kurzschluss an den speisungs­ seitigen Klemmen des Schaltgerätes bilden würde und der unterbrochen wird. Merlin Gerin Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 13 I> I> I> I> 14 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Selektivität I> I> I> Einleitung Die Schutzeinrichtungen bilden unter sich eine zusammenhängende Gesamtheit, die von der Netzstruktur und von der Stern­ punktbehandlung abhängt. Sie müssen deshalb unter dem Gesichtswinkel eines Systems betrachtet werden, das auf dem Prinzip der Selektivität beruht. Diese Selektivität besteht darin, den von einem Fehler betroffenen Teil des Netzes - und nur diesen - möglichst schnell abzutrennen und alle gesunden Teile der Anlage unter Spannung zu lassen. Stromselektivität Die Stromselektivität beruht auf der Tat­ sache, dass in einem Netz der Fehlerstrom umso schwächer ist, desto weiter entfernt die Fehlerstelle von der Einspeisung ist. Am Anfang jedes Abschnittes wird eine Schutzeinrichtung mit Stromrelais ange­ ordnet. Deren Ansprechpunkt wird auf einen Wert eingestellt, der kleiner ist als der minimale Wert des Kurzschlussstroms, der durch einen Fehler im überwachten Teil verursacht wird, und grösser als der maximale Wert des Stroms, der durch einen Fehler auf der Verbraucherseite (unterhalb des überwachten Bereiches) verursacht wird. Bei dieser Einstellung tritt jede Schutz­ einrichtung nur für unmittelbar verbraucher­ seitig von ihrer Position auftretende Fehler in Aktion. Auf weiter unten auftretende Fehler reagiert sie nicht. In der Praxis ist es jedoch schwierig, die Einstellungen von zwei hintereinandergeschalteten Schutzeinrich­ tungen (unter gleichzeitiger Sicherstellung einer einwandfreien Selektivität) festzulegen, wenn der Strom zwischen zwei benach­ barten Abschnitten (wie es bei der Mittel­ spannung der Fall ist) nicht wesentlich abnimmt. Für Leitungsabschnitte, die durch einen Transformator voneinander getrennt sind, wird dieses System hingegen mit Vorteil angewendet, da es einfach und kosten­ günstig ist und schnell reagiert (unverzö­ gerte Abschaltung). Die Abb. 1 zeigt ein Anwendungsbeispiel. I> A B Icc A Icc B (Abb. 1) Beispiel für die Stromselektivität Verschiedene Massnahmen können angewendet werden, um eine gute Selektivität in bezug auf den Schutz eines elektrischen Netzes sicherzustellen: c Stromselektivität c Zeitselektivität c Logische Selektivität c Selektivität durch richtungsabhängige Schutzeinrichtungen c Selektivität durch differentielle Schutz­ einrichtungen ICCA > Ir ≥ ICCB Ir = Einstellstrom ICCB = Abbild auf der Primärseite des Trans­ formators des maximalen Kurzschlusstroms auf der Sekundärseite. Ir ICCB maxi. Merlin Gerin ICCA mini. I Leitfaden über den Schutz 15 Selektivität (Fortsetzung) Zeitselektivität Einstellung der Verzögerung 1,1s I> A 0,8s I> B 0,5s I> C 0,2s I> D Kurzschluss (*) IRA ≥ IRB ≥ IRC ≥ IRD IR: Einstellstrom der Schutzeinrichtung 16 Leitfaden über den Schutz Die Zeitselektivität beruht darauf, den dem Netz entlang angeordneten Schutzein­ richtungen mit Stromrelais verschiedene Verzögerungen zu geben. Diese Verzögerungen sind umso länger, desto näher sich das Relais an der Einspeisung befindet. Im nebenstehenden Schema stellen alle Schutzeinrichtungen (bei A, B, C und D) den dargestellten Fehler fest. Die verzögerte Schutzeinrichtung bei D schliesst ihre Kontakte schneller als diejenige bei C, und diese schneller als diejenige bei B usw. Nach dem Öffnen des Leistungsschalters bei D und den Verschwinden des Fehler­ stroms kehren die nicht mehr erregten Schutzeinrichtungen bei A, B und C in ihre Ruhestellung zurück. Die Differenz der Ansprechzeit Δt zwischen zwei aufeinanderfolgenden Schutzeinrich­ tungen wird Selektivitätsintervall genannt. Dieses muss folgendes berücksichtigen: c die Ausschaltzeit Tc des Leistungs­ schalters, c die Verzögerungstoleranzen dt, c die Rückkehrzeit tr der Schutzeinrich­ tungen in die Ruhestellung. Δt muss somit die folgende Beziehung erfüllen: Δt ≥ Tc + tr + 2dt. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Leistungsdaten der Schaltgeräte und Relais wird für Δt ein Wert von 0,3 s angenommen. Dieses Selektivitätssystem hat die folgenden zwei Vorteile: c Es stellt seinen eigenen Reservebetrieb sicher (indem es einen gesunden Teil der Anlage abschaltet). c Es ist einfach. Wenn hingegen die Anzahl der hinterein­ andergeschalteten Relais gross ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass die am nächsten an der Einspeisung angeordnete Schutzeinrichtung die längste Verzögerung hat, eine Fehlerbeseitigungszeit, die unzu­ lässig lang ist und sich mit dem Verhalten der Betriebsmittel unter dem Kurzschluss­ strom oder den äusseren Betriebsanfor­ derungen (zum Beispiel Anschluss an das Netz eines Elektrizitätsversorgungsunter­ nehmens) nicht mehr verträgt. Dieses Prinzip wird für Radialnetze ange­ wendet. Merlin Gerin I> I> I> Anwendung der Zeitselektivität A IrA Die Verzögerungen, die festgelegt worden sind, um eine Zeitselektivität zu erhalten, werden aktiviert, wenn der Strom die Ansprechwerte der Relais erreicht. Deshalb müssen die Einstellungen der Ansprech­ werte in der richtigen Beziehung untereinan­ der stehen. Es gibt 2 Arten von verzögerten Stromrelais: c Relais mit stromunabhängiger Verzöge­ rung (Abb. 1): Die Verzögerung ist konstant und unabhängig vom Strom, wenn dieser grösser ist als der Ansprechwert. IrA > IrB > IrC , tA > tB > t C. t B I rB Strom-Ansprechwert Keine Auslösung t Verzögerte Auslösung C B A t A C IrC Δt t B Δt t C Verzögerung I IrC (Abb. 1) Auslösekurve mit stromunabhängiger Verzögerung IrB IrA IccC IccB IccA I c Relais mit stromabhängiger Verzögerung (inverser Verzögerung) (Abb. 2): Die Verzögerung ist umso kürzer, je grösser der Strom ist. Wenn die Ansprechwerte auf In eingestellt sind, wird der Überlastschutz gleichzeitig mit dem Kurzschlussschutz gewährleistet und stehen die Ansprechwert in richtiger Beziehung zueinander. InA > InB > InC IrA = InA IrB = InB IrC = InC Die Verzögerungseinstellungen werden so gewählt, um das Selektivitätsintervall Δt für den von der nachgeschalteten Schutzein­ richtung festgestellten Maximalstrom zu erhalten. t Strom-Ansprechwert Keine Auslösung t C B A Verzögerte Auslösung Δt Δt I (Abb. 2) Auslösekurve mit stromabhängiger Verzögerung Merlin Gerin IrC IrB IrA IccC IccB IccA I Leitfaden über den Schutz 17 Selektivität (Fortsetzung) Logische Selektivität I> I> R Logischer Wartebefehl Dieses Prinzip gelangt zur Anwendung, wenn eine kurze Fehlerbeseitigungszeit erwünscht ist. Der Austausch logischer Informationen zwischen aufeinanderfolgenden Schutzein­ richtungen ermöglicht das Beseitigen der Selektivitätsintervalle. In einem Radialnetz werden die der Fehler­ stelle vorgeschalteten Schutzeinrichtungen erregt und die nachgeschalteten nicht. Dadurch kann die Fehlerstelle eindeutig geortet und der zu betätigende Leistungs­ schalter bestimmt werden. Jede von einem Fehler erregte Schutzein­ richtung c sendet an die vorgeschaltete Stufe einen logischen Wartebefehl (Erhöhung der Zeit­ verzögerung des vorgeschalteten Relais), c sendet an den damit verbundenen Leistungsschalter einen Auslösebefehl, ausser wenn sie selber von der nachge­ schalteten Stufe einen logischen Warte­ befehl erhalten hat. Als Reserveschutz ist eine verzögerte Auslösung vorgesehen. Vorteil Die Abschaltzeit ist unabhängig vom Ort des Fehlers in der Selektivitätskaskade. I> R I> R Kurzschluss zwischen Phasen Logisches Selektivitätssystem 18 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin I> I> I> Richtungsabhängige Selektivität In einem Ringnetz, wo ein Fehler von beiden Seiten her gespeist wird, muss eine Schutzeinrichtung eingesetzt werden, die auf die Fliessrichtung des Fehlerstroms reagiert, damit dieser geortet und beseitigt werden kann. Beispiel für die Anwendung von richtungsab­ hängigen Schutzeinrichtungen: D1 und D2 sind mit unverzögerten, rich­ tungsabhängigen Schutzeinrichtungen versehen, und H1 und H2 sind mit ver­ zögerten Maximalstromschutzeinrichtungen ausgerüstet. Beim Auftreten eines Fehlers bei 1 wird dieser nur von den Schutzeinrichtungen von D1 (richtungsabhängig), H1 und H2 festgestellt. Die Schutzeinrichtung von D2 stellt ihn (wegen ihrer entgegengesetzten Erfassungsrichtung) nicht fest. D1 öffnet. Die Schutzeinrichtung von H2 wird entregt und H1 öffnet. tH1 = tH2 tD1 = tD2 tH = tD + Δt H2 H1 I> I> 1 A I I D1 D2 Erfassungsrichtung Anwendungsbeispiel für richtungsabhängige Schutzeinrichtungen Selektivität durch Differentialschutz I Geschütztes Betriebsmittel I' Rs ΔI Schema des Hochimpedanz-Differential­ schutzes I Geschütztes Betriebsmittel I' Diese Schutzeinrichtungen vergleichen die Ströme auf beiden Seiten des überwachten Netzabschnittes. Jede Differenz der Amplitude und der Phasenlage zwischen diesen Strömen bedeutet, dass ein Fehler vorliegt. Der Differentialschutz reagiert nur auf Fehler innerhalb des Schutzbereiches und nicht auf solche ausserhalb davon. Er ist somit ihrem Wesen nach selektiv. Das geschützte Betriebsmittel kann ein Motor, ein Generator, ein Transformator oder eine Verbindung (Kabel oder Leitung) sein. Dieser Schutz wird verwendet c um Fehlerströme festzustellen, die niedriger sind als der Nennstrom, c um unverzögert abzuschalten, da die Selektivität auf der Erfassung und nicht auf der Verzögerung beruht. Es gibt zwei Hauptprinzipien: c Der Hochimpedanz-Differentialschutz, bei dem die Schutzeinrichtung in Serie mit einem Stabilisierungswiderstand(1) im Differenzialkreis geschaltet ist. c Der Prozent-Differentialschutz, bei dem die Schutzeinrichtung unabhängig an die Kreise der Ströme I und I' angeschlossen ist. Der Differenzstrom I - I' wird in der Schutzeinrichtung ermittelt und die Stabilität(1) des Schutzes wird durch ein vom gemessenen Durchgangsstrom abhängiges Signal I + I' erreicht. 2 (1) Die Stabilität des Differentialschutzes ist seine Befähigung, nicht zu reagieren, wenn aus den folgenden Gründen ein Differenz­ strom festgestellt wird, innerhalb des Schutzbereiches jedoch kein Fehler vor­ handen ist: v Magnetisierungsstrom des Transformators v Kapazitiver Leitungsstrom v Falschstrom infolge unterschiedlicher Sättigung der Stromwandler ΔI Schema des Prozent-Differentialschutzes Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 19 20 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Netzschutz Einleitung Merlin Gerin Netzschutzeinrichtungen müssen folgendes ermöglichen: c Erfassung von Fehlern. c Abschaltung der Netzteile, die mit einem Fehler behaftet sind, unter gleichzeitigem Schutz der gesunden Teile. Die Wahl der Schutzeinrichtungen muss in Funktion der Netzkonfiguration (Parallel­ betrieb von Generatoren oder Transforma­ toren, Stern- oder Ringnetz, Art der Stern­ punkterdung usw.) erfolgen. Die Schutzeinrichtungen gegen c Kurzschlüsse c Erdschlüsse (Schutzeinrichtungen in Verbindung mit der Sternpunktbehandlung im Netz) müssen separat in Betracht gezogen werden. Wir werden dies nacheinander für die folgenden Fälle tun: c Netz mit einer Einspeisung c Netz mit zwei Einspeisungen c Sammelschienen c Ringnetz Leitfaden über den Schutz 21 Netzschutz (Fortsetzung) Netz mit einer Einspeisung Kurzschlüsse zwischen Phasen (Abb. 1) I> t A A 2 Die Schutzeinrichtung bei D stellt den Fehler 1 am Abgang fest und löst mit der Verzögerung tD aus. Die Schutzeinrichtung bei A stellt den Fehler 2 an den Sammelschienen fest und löst mit der Verzögerung tA aus. Zudem wirkt sie als Reserveschutz bei einem Ausfall der Schutzeinrichtung D. Man wählt: IrA ≥ IrD et tA ≥ tD +Δt Δt = Selektivitätsintervall (normalerweise 0,3 s). D t I> D 1 (Abb. 1) Erdschlüsse H IN > 3 IN > A 2 D3 D2 IN > D1 IN > IN > 1 (Abb. 2) 22 Leitfaden über den Schutz Wirkstrom Kapazitiver Strom Sternpunkterdung am Transformator über einen Widerstand (Abb. 2) Die Abgänge, die Einspeisung sowie die Erdungsverbindung des Sternpunktes sind mit einem Maximalerdschlussstromschutz ausgerüstet. Diese Schutzeinrichtungen unterscheiden sich notwendigerweise von den Schutzein­ richtungen gegen Kurzschlüsse zwischen Phasen, da eine andere Grössenordnung der Fehlerströme vorliegt. Die Schutzein­ richtungen der Abgänge werden im Ver­ hältnis zur Schutzeinrichtung der Ein­ speisung selektiv eingestellt, und diese wiederum wird im Verhältnis zur Schutzein­ richtung der Erdungsverbindung selektiv eingestellt (Einhaltung der Selektivitäts­ intervalle). Der Fehlerstrom schliesst sich über die Kapazitäten der gesunden Abgänge und den Erdungswiderstand. Die Wandler der gesunden Abgänge stellen alle einen kapazitiven Strom fest. Um unerwünschte Auslösungen zu verhindern, wird die Schutzeinrichtung jedes Abgangs auf einen Ansprechwert eingestellt, der höher ist als der kapazitive Strom des entsprechenden Abgangs. c Fehler bei 1 : Der Leistungsschalter D1 öffnet sich auf Veranlassung der mit ihm verbundenen Schutzeinrichtung. c Fehler bei 2 : Der Leistungsschalter A öffnet sich auf Veranlassung der Schutzeinrichtung der Einspeisung. c Fehler bei 3 : Die an der Erdungsverbindung des Stern­ punktes angeordnete Schutzeinrichtung bewirkt das Öffnen des Leistungsschalters H auf der Primärseite des Transformators. Merlin Gerin Erdschlüsse (Fortsetzung) Sternpunkterdung an den Sammel­ schienen über einen Widerstand (Abb. 3) Die Schutzeinrichtungen der Abgänge und diejenige der Einspeisung werden selektiv im Verhältnis zur Schutzeinrichtung an der Erdungsverbindung eingestellt. Wie im vorhergehenden Fall wird die Schutzeinrichtung jedes Abgangs auf einen Ansprechwert eingestellt, der höher ist als der kapazitive Strom des entsprechenden Abgangs. Bei einem Fehler 1 an einem Abgang öffnet sich nur der Leistungsschalter D1 dieses Abgangs. Bei einem Fehler 2 an den Sammelschie­ nen wird dieser nur von der Schutzeinrich­ tung an der Erdungsverbindung festgestellt. Diese öffnet den Leistungsschalter A. Schliesslich wird ein Fehler 3 auf der Sekundärseite des Transformators von der Schutzeinrichtung der Einspeisung festge­ stellt. Diese öffnet den Leistungsschalter H. H 3 I IN > rA t A A IN > IrN tN 2 D2 D1 IN > IN > I rD Anmerkung: Wenn der Leistungsschalter A offen ist, befindet sich die Sekundärseite des Transformators im Zustand eines nicht geerdeten Sternpunktes. t D 1 (Abb. 3) Isolations­ überwachungs­ einrichtung UN > Nicht geerdeter Sternpunkt (Abb. 4) Ein Fehler an irgendeiner Stelle bewirkt einen Strom, der sich über die Kapazitäten der gesunden Abgänge schliesst. Im allgemeinen Fall der Industrienetze ist dieser Strom niedrig (wenige Ampere). Der Betrieb kann weitergehen, während man den Fehler zu orten versucht. Der Fehler wird durch eine Isolationsüber­ wachungseinrichtung (Vigilohm) oder eine Maximalrestspannungsschutzeinrichtung festgestellt. Wenn der gesamte kapazitive Strom des Netzes hoch ist (etwa 10 A), sollten zusätzliche Massnahmen getroffen werden, um den Fehler schnell zu besei­ tigen. Um den mit einem Fehler behafteten Abgang schnell abzuschalten, kann ein Erdschlussstromrichtungsschutz verwendet werden. (Abb. 4) Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 23 Netzschutz (Fortsetzung) Netz mit zwei Einspeisungen H1 Kurzschlüsse zwischen Phasen (Abb. 1) H2 I> t I> t I t H H T2 T1 3 t I R I> t R t I> A A1 A A2 2 D1 D2 I> t D I> 1 t D Netz mit zwei Transformatoreinspeisungen oder zwei Leitungseinspeisungen Die Abgänge sind mit Maximalphasenstrom­ schutzeinrichtungen ausgerüstet, deren Verzögerung auf den Wert tD eingestellt wird. Die beiden Einspeisungen A1 und A2 sind mit Maximalphasenstromschutzeinrich­ tungen versehen, die selektiv auf die Abgänge eingestellt sind, d.h. auf einen Wert tA ≥ tD + Δt. Zudem sind sie mit Stromrichtungsschutz­ einrichtungen versehen, deren Verzögerung auf den Wert tR < tA – Δt eingestellt ist. Somit wird ein Fehler bei 1 durch das Öffnen von D2 mit einer Verzögerung tD abgeschaltet. Ein Fehler bei 2 wird durch das Öffnen von A1 und A2 mit einer Verzögerung tA abgeschaltet (wobei die richtungabhängigen Schutzeinrichtungen keinen Fehler fest­ stellen). Schliesslich wird ein Fehler bei 3 von der richtungabhängigen Schutzeinrichtung von A1 festgestellt. Dieser Leistungsschalter öffnet sich im Moment tR, was die Fort­ setzung des Betriebs des gesunden Teils des Netzes gestattet. Der Fehler bei 3 wird jedoch immer noch von T1 gespeist. Im Moment tH ≥ tA + Δt öffnet sich H1 auf Veranlassung der Maximalphasenstromschutzeinrichtung, mit der dieser Schalter ausgerüstet ist. Erfassungsrichtung (Abb. 1) Erdschlüsse (Abb. 2) Netz mit zwei Transformatoreinspei­ sungen Sternpunkterdung an den Transformatoren über einen Widerstand. Die Abgänge sind mit Maximalerdschlussstromschutzeinrich­ tungen ausgerüstet, die auf einen Ansprech­ wert eingestellt werden, der höher ist als der entsprechende kapazitive Strom, und dessen Verzögerung tD beträgt. Die Einspeisungen A1 und A2 sind mit Erdschlussstromrichtungsschutzeinrichtungen versehen, deren Verzögerung tR beträgt. Die Erdungsverbindungen des Sternpunktes sind mit Maximalerdschlussstromschutz­ einrichtungen ausgerüstet, deren Ansprech­ wert höher eingestellt ist als die Einstell­ werte der Schutzeinrichtungen der Speisungen und der Abgänge, und deren Verzögerung den Wert tN ≥ tD + Δt hat. Somit wird ein Fehler bei 1 durch das Öffnen von D1 abgeschaltet. Ein Fehler bei 2 wird durch das Öffnen von A1, A2, H1 und H2 abgeschaltet, das durch die an den Erdungsverbindungen des Sternpunktes der beiden Transformatoren angeordneten Schutzeinrichtungen aus­ gelöst wird. Ein Fehler bei 3 wird von der Erdschluss­ stromrichtungsschutzeinrichtung von A1 festgestellt. Dieser Leistungsschalter öffnet sich im Moment tR, was die Fortsetzung des Betriebs des gesunden Teils des Netzes gestattet. Der Fehler bei 3 wird jedoch immer noch bis zum Moment tN gespeist, in welchem die an der Erdungsverbindung des Sternpunktes des betreffenden Transformators ange­ ordnete Schutzeinrichtung das Öffnen des Leistungsschalters H1 auslöst. H1 H2 IN > 3 IN t t N N IN > t IN R A1 t R A2 2 D1 D2 IN > tD D3 IN > tD IN > tD 1 Erfassungsrichtung (Abb. 2) 24 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Sammelschienen ΔI Zusätzlich zu den bereits genannten Schutzeinrichtungen können Sammel­ schienen mit einem speziellen Schutz ausgerüstet werden, der HochimpedanzDifferentialschutz genannt wird und der empfindlich, schnell und selektiv sein muss. Die Differentialschutzeinrichtung (Abb. 3) ermittelt die Vektorsumme der in die Sam­ melschienen eintretenden und aus diesen austretenden Ströme pro Phase. Wenn diese Summe nicht gleich null ist, löst sie die Leistungsschalter der Einspeisungen der Sammelschienen aus. Die zwischen den Maximalstromschutz­ einrichtungen angewendete logische Selektivität (Abb. 4) stellt eine einfache Lösung des Sammelschienenschutzes dar. Ein Fehler bei 1 wird von der Schutzeinrichtung von D1 festgestellt, die der Schutzeinrichtung von A einen logischen Wartebefehl übermittelt. Die Schutzeinrichtung von D1 löst nach 0,6 s aus. Ein Fehler bei 2 wird nur von der Schutz­ einrichtung von A festgestellt, die nach 0,1 s auslöst. (Abb. 3) I> t = 0,1 s I> t = 0,6 s I> t = 0,3 s A 2 D1 1 D2 (Abb. 4) Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 25 Netzschutz (Fortsetzung) In einem Verteilnetz, das in einem Ringnetz gespeiste Transformatorenstationen umfasst, kann der Schutz an der Einspeisung des Ringnetzes oder abschnittweise sichergestellt werden. Offener Ring Geschlossener Ring Schutz an der Einspeisung des Ringnetzes (Abb. 1) I> (Abb. 1) I> Der Ring ist immer offen. Der Leistungsschalter an jedem Einspei­ sungspunkt des Ringnetzes ist mit einem Maximalstromschutz ausgerüstet. Ein Fehler an einem Kabel, das zwei Trans­ formatorenstationen verbindet, bewirkt das Öffnen des einen oder anderen Einspei­ sungs-Leistungsschalters, je nachdem, wo der Ring offen ist. Dieser Schutz wird oft durch eine Automatik ergänzt, c die den Fehler (spannungslos) abschaltet, indem die Schalter an den Enden des betreffenden Kabels geöffnet werden, nachdem das mit einem Fehler behaftete Kabel (mit einem Fehlerortungsgerät) geortet worden ist, c die den geöffneten EinspeisungsLeistungsschalter wieder schliesst, c die den Schalter schliesst, der das normale Öffnen des Ringes bewirkt hat. Abschnittweiser Schutz Jedes Kabelende ist mit einem Leistungs­ schalter ausgerüstet, wobei mehrere Schutz­ möglichkeiten bestehen: ΔI ΔI ΔI ΔI Differentialschutz (Abb. 2) Jedes Kabel ist mit einem Leitungsdifferen­ zialschutz und jede Transformatorenstation ist mit einem Sammelschienendifferential­ schutz versehen. Der Schutz ist sehr schnell. Zudem muss man sich, wenn der Sternpunkt über einen Widerstand geerdet ist, vergewis­ sern, dass die Empfindlichkeit der Differen­ tialschutzeinrichtungen die Erdschlussfehler erfasst. Diese Lösung funktioniert sowohl bei einem geöffneten als auch bei einem geschlos­ senen Ring. (Abb. 2) 26 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Abschnittweiser Schutz (Fortsetzung) I> I> I I I I I I I I (Abb. 3) I> t4 I> I> t5 t5 I> I t1 t3 I I> t2 t3 Der Unterschied zwischen den Verzögerungen t1, t2 ... t5 ist gleich dem Selektivitätsintervall Δt I I> t2 t4 Maximalstromschutz und richtungsabhängige logische Selektivität (Abb. 3) Die Leistungsschalter des Ringnetzes sind mit Maximalstromschutzeinrichtungen und richtungsabhängigen Schutzeinrichtungen ausgerüstet. Zudem wird das Prinzip der logischen Selektivität angewendet, um möglichst kurze Fehlerabschaltzeiten zu erhalten. Ein Fehler im Ring erregt c alle Schutzeinrichtungen, wenn der Ring geschlossen ist, c alle dem Fehler vorgeschalteten Schutz­ einrichtungen, wenn der Ring offen ist. Jede Schutzeinrichtung sendet je nach der von der richtungsabhängigen Schutzein­ richtung gelieferten Information einen logischen Wartebefehl an die eine oder andere benachbarte Schutzeinrichtungen im Ring. Die Schutzeinrichtungen, die keinen logischen Wartebefehl erhalten, lösen mit einer Minimalverzögerung aus, die unab­ hängig vom Ort des Fehlers im Ring ist. c Der Fehler wird von zwei Leistungs­ schaltern auf beiden Seiten davon abgeschaltet, wenn der Ring geschlossen ist, wobei alle Schalttafeln gespeist bleiben. c Der Fehler wird vom vorgeschalteten Leistungsschalter abgeschaltet, wenn der Ring offen ist. Diese Lösung ist umfassend, da sie die Kabel und die Netze schützt. Sie ist schnell und selektiv und schliesst den Reserve­ schutz mit ein. I t1 Erfassungsrichtung Maximalstromschutz und richtungsab­ hängiger Maximalstromschutz (Abb. 4) Wenn der Ring nur Transformatoren­ stationen umfasst, kann die Zeitselektivität mit Maximalstromschutzeinrichtungen und richtungsabhängigen Maximalstromschutz­ einrichtungen angewendet werden, wie in der Abb. 5 gezeigt wird. Mehr Transformatorenstationen würden zu unzulässig langen Zeitverzögerungen führen. (Abb. 4) Distanzschutz Dieser bietet nur für sehr lange Verbin­ dungen (von mehreren Kilometern) Vorteile und wird deshalb in der Mittelspannung selten angewendet. Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 27 28 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Transformatorschutz Einleitung Der Transformator ist ein besonders wich­ tiger Teil eines Netzes. Er muss wirksam gegen alle Fehler mit innerer oder äusserer Ursache geschützt werden, durch die er beschädigt werden könnte. Die Wahl einer Schutzeinrichtung beruht oft auf technisch-wirtschaftlichen Überlegungen und hängt von seiner Leistung ab. Fehlerarten Die Fehler, denen ein Transformator hauptsächlich unterworfen sein kann, sind: c Überlast c Kurzschluss c Körperschluss Überlast kann die Folge einer Erhöhung der Anzahl der gleichzeitig gespeisten Lasten oder einer Erhöhung der von einer oder mehreren Lasten aufgenommenen Leistung sein. Sie wirkt sich als lang andauernder Überstrom aus, der eine Temperaturer­ höhung bewirkt, die einen nachteiligen Ein­ fluss auf das Verhalten der Isolationen und die Lebensdauer des Transformators hat. Ein Kurzschluss kann transformatorintern oder -extern sein. c Innerer Kurzschluss: Dabei handelt es sich um einen Fehler zwischen verschiedenen Phasenleitern oder zwischen Windungen derselben Wicklung. Der Fehlerlichtbogen beschädigt die Transformatorwicklung und kann einen Brand zur Folge haben. In einem Öltransformator bewirkt der Lichtbogen die Entwicklung von Zersetzungsgasen. Wenn der Fehler klein ist, tritt eine schwache Gasentwicklung auf, wobei die entstehende Gasansammlung gefährlich ist. Ein starker Kurzschluss bewirkt sehr grosse Schäden. Dabei kann die Wicklung zerstört werden, jedoch auch der Kessel, wobei brennendes Öl ausfliesst. c Äusserer Kurzschluss: Hier handelt es sich um einen Fehler zwischen Phasen der nachgeschalteten Verbindungen. Der Kurz­ schluss auf der Verbraucherseite bewirkt im Transformator elektrodynamische Kräfte, welche die Wicklung beschädigen und sich hierauf zu einem inneren Fehler entwickeln können. Ein Körperschluss ist ein innerer Fehler. Er kann zwischen der Wicklung und dem Kessel oder zwischen der Wicklung und dem Eisenkern auftreten. Bei einem Öltransformator bewirkt er eine Gasent­ wicklung. Wie der innere Kurzschluss kann er eine Zerstörung der Transformators und einen Brand zur Folge haben. Die Stärke des Fehlerstroms hängt von der Sternpunktbehandlung der vor- und nach­ geschalteten Netze ab, sowie vom Ort des Fehlers in der Wicklung. c Bei der Sternschaltung (Abb. 1) variiert der zur Masse fliessende Strom zwischen 0 und dem Maximalwert je nachdem, ob sich die Fehlerstelle näher am sternpunktseitigen oder am phasenseitigen Ende der Wicklung befindet. c Bei der Dreieckschaltung (Abb. 2) variiert der zur Masse fliessende Strom zwischen 50% und 100% des Maximalwertes je nachdem, ob sich die Fehlerstelle näher an der Mitte oder an einem Ende der Wicklung befindet. I I I max I max I max 2 0 (Abb. 1) 0 100% 50% 100% (Abb. 2) Fehlerstrom in Funktion des Ortes des Fehlers in der Wicklung Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 29 Transformatorschutz (Fortsetzung) Schutzeinrichtungen Überlast Ein lang andauernder Überstrom wird in der Regel von einem Maximalstromschutz mit stromunabhängiger oder stromabhängiger, in bezug auf die sekundärseitigen Schutzein­ richtungen selektiven Verzögerung erfasst. Man verwendet einen Schutz mit thermi­ schem Abbild, um Temperaturerhöhungen mit möglichst hoher Empfindlichkeit zu überwachen. Dabei wird die Erwärmung durch Simulation der Wärmeabgabe in Funktion des Stroms und der thermischen Trägheit des Transformators bestimmt. I> ΔI I >> Körperschluss c Kesselmassen-Erdschlussschutz (Abb. 3): Dieser an die Erdungsverbindung der Kesselmasse des Transformators ange­ schlossene unverzögerte Maximalstrom­ schutz stellt (wenn seine Einstellung mit der Sternpunktbehandlung kompatibel ist) eine einfache und wirksame Lösung für den Schutz gegen innere Kurzschlüsse zwischen einer Wicklung und der Masse dar. Er erfordert eine Isolation des Transformators gegen Erde. Dieser Schutz ist selektiv, indem er nur auf Fehlerströme gegen die Masse reagiert. Die Einstellwerte sind jedoch hoch. Eine andere Lösung besteht in der Sicher­ stellung des Schutzes gegen Erdschlüsse wie folgt: c Durch den Erdschlussschutz im vorge­ schalteten Netz für einen die Primärseite des Transformators betreffenden Körperschluss. c Durch den Erdschlussschutz an der Ein­ speisung der gespeisten Schalttafel, wenn die Sternpunkterdung des nachgeschalteten Netzes an den Sammelschienen erfolgt (Abb. 4). Diese Schutzeinrichtungen sind selektiv, indem sie nur auf Kurzschlüsse zwischen Phasen und Erde im Transformator oder an den vor- und nachgeschalteten Verbin­ dungen reagieren. c Durch einen beschränkten Erdschluss­ schutz, wenn die Sternpunkterdung des vorgeschalteten Netzes am Transformator erfolgt (Abb. 5). Dabei handelt es sich um einen Hochimpedanz-Differentialschutz, der die Differenz der einerseits an der Stern­ punkterdung und andererseits am dreiphasigen Ausgang des Transformators gemessenen Restströme feststellt. c Durch einen Sternpunkterdschlussschutz, wenn die Sternpunkterdung am Transfor­ mator erfolgt (Abb. 6). (Abb. 2) (Abb. 1) I> I > N (Abb. 4) (Abb. 3) Kurzschluss Für Öltransformatoren verwendet man c den Buchholz-Schutz genannten Gasfang­ und Ölströmungsschutz, der auf Gasent­ wicklungen sowie Ölströmungen reagiert, die von einem Kurzschluss zwischen Windungen derselben Phase bzw. einem Kurzschluss zwischen Phasen verursacht werden, c den Transformator-Differentialschutz (Abb. 1), der für einen schnellen Schutz gegen Kurzschlüsse zwischen Phasen sorgt, empfindlich ist und für Grosstransformatoren eingesetzt wird, c einen unverzögerten Maximalstromschutz (Abb. 2) in Verbindung mit einem auf der Primärseite des Transformators angeordne­ ten Leistungsschalter, der den Schutz gegen starke Kurzschlüsse sicherstellt. Der Strom-Ansprechwert wird auf einen Wert oberhalb des durch einen Kurzschluss auf der Sekundärseite verursachten Stroms eingestellt. Dadurch wird eine Stromselekti­ vität gewährleistet. c Eine HS-Sicherung kann den Schutz von Transformatoren kleiner Leistung sicher­ stellen. ΔI (Abb. 5) I > N (Abb. 6) 30 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Beispiele für den Transformatorschutz MS/NS MS/NS MS MS (1) I I> (2) I>> (2) I > (3) N I > N (3) (4) (4) I > N (5) (6) (6) NS NS Hohe Leistung Niedrige Leistung (1) Thermisches Abbild (2) Sicherung oder Maximalstromschutz mit zwei Ansprechwerten (3) Maximalerdschlussstromschutz (4) Buchholz-Schutz (5) Kesselmassen-Erdschlussschutz (6) NS-Leistungsschalter MS/MS MS/MS I I> (1) I (2) I> II >> >> I > N ΔI I > (3) N (4) N (2) I >> (3) I > (1) (7) (4) I > N (6) ΔI (5) (8) Niedrige Leistung Hohe Leistung (1) Thermisches Abbild (2) Maximalstromschutz mit zwei Ansprechwerten (3) Maximalerdschlussstromschutz (4) Buchholz-Schutz (5) Kesselmassen-Erdschlussschutz (6) Sternpunkterdschlussschutz (7) Transformator-Differentialschutz (8) Beschränkter Erdschlussschutz Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 31 Transformatorschutz (Fortsetzung) Einstellangaben Fehlerart Überlast Kurzschluss Erdschluss 32 Leitfaden über den Schutz Einstellungen c NS-Leistungsschalter; In (für MS/NSTransformator). c Thermisches Abbild: Zeitkonstante ungefähr 10'. c Sicherung: Baugrösse > 1,3 In. c Maximalstromschutz mit stromunabhängiger Verzögerung. Unterer Ansprechwert < 6 In; Verzögerung ≥ 0,3 s (in bezug auf die Verbraucherseite selektiv). Oberer Ansprechwert > Icc auf der Verbraucherseite, unverzögert. c Maximalstromschutz mit stromabhängiger Verzögerung. Unterer Ansprechwert stromabhängig (in bezug auf die Verbraucherseite selektiv). Oberer Ansprechwert > Icc auf der Verbraucherseite, unverzögert. c Transformator-Differentialschutz. Steilheit: 25% bis 50%. c Kesselmassen-Erdschlussschutz. Ansprechwert > 20 A (Verzögerung 0,1 s). c Maximalerdschlussstromschutz. Ansprechwert ≤ 20% des maximalen Erdschluss­ stroms und ≥ 10% der Baugrösse der Strom­ wandler, wenn mit 3 Stromwandlern gespeist; Verzögerung 0,1 s, wenn im Netz geerdet, Verzögerung in Funktion der Selektivität, wenn die Erdung am Transformator erfolgt. c Beschränkter Erdschlussschutz. Ansprechwert ungefähr 10% In, wenn eine Summierschaltung mit 3 Stromwandlern verwendet wird. c Sternpunkterdschlussschutz. Ansprechwert ungefähr 10% der maximalen Erdschlussstroms. Merlin Gerin Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 33 34 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Motorschutz Einleitung Der Motor bildet die Schnittstelle zwischen dem elektrischen und dem mechanischen Bereich. Er befindet sich in einem Umfeld, das mit der angetriebenen Last verbunden ist und von dem er nicht getrennt werden kann. Andererseits kann der Motor inneren mechanischen Belastungen unterworfen sein, da er bewegliche Teile enthält. Ein einziger ausgefallener Motor kann einen ganzen Prozess aufs Spiel setzen. Moderne Motoren haben ausgesprochen optimierte Eigenschaften, die wenig Spielraum für einen Betrieb ausserhalb ihrer normalen Daten bieten. Deshalb handelt es sich um einen verhältnismässig empfind­ lichen Verbraucher, der sorgfältig geschützt werden muss. Fehlerarten Motoren werden von den folgenden Fehlerarten betroffen: c Mit der angetriebenen Last zusammen­ hängende Fehler. c Speisungsfehler. c Motorinterne Fehler. Mit der angetriebenen Last zusammen­ hängende Fehler c Überlast. Wenn die verbrauchte Leistung höher ist als die Nennleistung, entsteht im Motor ein Überstrom und eine Erhöhung der Verluste und damit eine Erhöhung der Temperatur. c Zu lange dauernde und zu häufige Anläufe. Der Anlauf eines Motors bewirkt hohe Überströme, die nur zulässig sind, wenn sie von kurzer Dauer sind. Wenn die Anläufe zu häufig sind oder zu lange dauern, weil der Unterschied zwischen dem Motor­ drehmoment und dem Lastdrehmoment zu klein ist, wird die damit verbundene Erwär­ mung zu hoch. c Blockierung. Dabei handelt es sich um einen plötzlichen Stillstand, der seine Ursache in der angetrieben Last hat. Der Motor nimmt den Anlaufstrom auf und bleibt im Stillstand blockiert. Er wird nicht mehr belüftet und erwärmt sich sehr schnell. c Leerlaufen einer Pumpe. Dies bewirkt einen Leerlauf des Motors, was keine direkten nachteiligen Folgen hat. Die Pumpe wird hingegen sehr schnell beschädigt. c Leistungsrückfluss. Dieser Fehler tritt in der Folge auf eine Spannungsabsenkung ein, wenn ein durch die Trägheit der Last angetriebener Synchronmotor Energie in das Netz einspeist. Insbesondere wenn die normale Speisung des Netzes abschaltet, kann der Synchronmotor die Spannung auf unerwünschte Weise aufrechterhalten und die übrigen parallelgeschalteten Lasten speisen. Speisungsfehler c Spannungsabsenkung. Diese verursacht eine Abnahme des Motordrehmomentes und der Drehzahl. Diese Verlangsamung bewirkt eine Erhöhung des Stroms und der Verluste. Somit tritt eine abnormale Erwärmung auf. c Unsymmetrie. Die Drehstromspeisung kann aus den folgenden Gründen unsymme­ trisch sein: v Die Energiequelle (Transformator oder Generator) liefert keine symmetrische Drei­ phasenspannung. v Die übrigen Verbraucher stellen keine symmetrische Last dar, wodurch das Ver­ sorgungsnetz unsymmetrisch wird. v Der Motor läuft an zwei Phasen, weil eine Sicherung durchgebrannt ist. Die Unsymme­ trie der Speisung bewirkt Gegenkomponenten, die sehr hohe Verluste und damit eine sehr schnelle Erwärmung des Rotors mit sich bringen. Motorinterne Fehler c Kurzschluss zwischen Phasen. Dieser ist je nach dem Ort des Fehlers in der Wicklung mehr oder weniger stark und hat bedeutende Schäden zur Folge. c Körperschluss. Die Stärke des Fehler­ stroms hängt von der Sternpunktbehandlung im Versorgungsnetz und vom Ort des Fehlers in der Wicklung ab. Nach einem Kurzschluss zwischen Phasen und einem Körperschluss muss der Motor neu gewickelt werden. Zudem kann ein Körperschluss irreparable Schäden am magnetischen Kreis verursachen. c Verlust des Synchronbetriebs. Dieser Fehler betrifft Synchronmotoren, die infolge eines Ausfalls der Erregung den Synchro­ nismus verlieren und als Asynchronmotoren laufen, wobei jedoch der Rotor eine starke Erwärmung erfährt, da er nicht für einen solchen Betrieb dimensioniert ist. Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 35 Motorschutz (Fortsetzung) Motorschutzeinrichtungen ΔI (Abb. 1) ΔI Überlast Diese wird durch eine der folgenden Schutz­ einrichtungen überwacht: c Maximalstromschutz mit stromabhängiger Verzögerung. c Thermisches Abbild. Das thermische Abbild bringt die Erwärmung aufgrund des durchfliessenden Stroms ins Spiel. c Temperaturfühler. Zu lange dauernder Anlauf und Blockierung des Rotors Dieselbe Funktion stellt diese beiden Schutzbedürfnisse sicher. Es handelt sich um einen unverzögerten Ansprechwert, den man auf einen Wert unterhalb des Anlauf­ stroms einstellt und der nach einer Verzö­ gerung nach dem Einschalten des Motors berücksichtigt wird. Diese Verzögerung wird auf einen Wert eingestellt, der grösser oder gleich der normalen Anlaufdauer ist. Zu häufige Anläufe Die entsprechende Schutzeinrichtung reagiert auf die Anzahl Anläufe innerhalb einer bestimmten Zeit oder auf den zeit­ lichen Abstand zwischen diesen Anläufen. Leerlaufen einer Pumpe Dieser Zustand wird durch einen Minimalstromschutz mit stromunabhängiger Verzögerung erfasst, der reinitialisiert wird, wenn der Strom den Wert Null erreicht (wenn der Motor stillsteht). Leistungsrückfluss Dieser wird durch einen richtungsab­ hängigen Wirkleistungsrückflussschutz festgestellt. Spannungsabsenkung Diese wird durch einen verzögerten Minimal­ spannungsschutz überwacht. Die Einstel­ lungen für den Spannungsansprechwert und die Verzögerung werden so gewählt, dass sie in bezug auf die Kurzschlussschutzein­ richtungen des Netzes selektiv sind und normale Spannungsabfälle, wie sie zum Beispiel beim Anlauf eines Motors auftreten, tolerieren. Diese Schutzeinrichtung ist oft für mehrere Motoren, die von derselben Schalt­ tafel aus gesteuert werden, gemeinsam. Unsymmetrie Dieser Schutz wird durch eine vom Strom abhängige oder unabhängige Erfassung der Gegenkomponente des Stroms gewähr­ leistet. Kurzschluss zwischen Phasen Dieser wird mit einem verzögerten Maximal­ stromschutz erfasst. Der Einstellwert des Ansprechstroms ist höher oder gleich dem Anlaufstrom, und die Verzögerung wird sehr kurz eingestellt, da sie lediglich die Schutz­ einrichtung unempfindlich gegen die ersten Spitzen des Einschaltstroms machen soll. Wenn das verwendete Schaltgerät ein Schütz ist, wird dieses mit Sicherungen verbunden, die den Kurzschlussschutz gewährleisten. Für grosse Motoren wird ein Hochimpedanzoder Prozent-Differentialschutz verwendet (Abb. 1). Durch eine entsprechende Schaltung der sternpunktseitigen Anschlüsse und die Verwendung von drei Summenstromwan­ dlern ermöglicht ein einfacher Maximal­ stromschutz eine empfindliche und stabile Erfassung interner Fehler (Abb. 2). Körperschluss Der Schutz hängt von der Sternpunktbehan­ dlung ab. Zur Begrenzung von Schäden am magnetischen Kreis ist eine hohe Empfind­ lichkeit erforderlich. Ausfall der Erregung (bei Synchronmotoren). Dieser wird durch einen verzögerten Blindleistungsrückfluss­ schutz erfasst. (Abb. 2) 36 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Beispiele für den Motorschutz I Thermisches Abbild Ii > Unsymmetrie I> Maximalstrom IN > Von einem Schütz oder Leistungs­ schalter geschalteter Asynchronmotor Zusätzlich je nach Art der Last: c Zu lange dauernder Anlauf und Blockierung des Rotors c Anzahl Anläufe c Minimalstrom U< Minimalspannung Maximaler Erdschlussstrom M Asynchronmotor hoher Leistung I Thermisches Abbild Ii > Unsymmetrie I> Maximalstrom IN > Maximaler Erdschlussstrom ΔI Zusätzlich je nach Art der Last: c Zu lange dauernder Anlauf und Blockierung des Rotors c Anzahl Anläufe c Minimalstrom U< Minimalspannung Differentialschutz M Synchronmotor hoher Leistung Zusätzlich je nach Art der Last: c Zu lange dauernder Anlauf und Blockierung des Rotors c Anzahl Anläufe c Minimalstrom I Thermisches Abbild Ii > Unsymmetrie I> Maximalstrom IN > ΔI U< Minimalspannung Maximaler Erdschlussstrom P <–– Wirkleistungsrückfluss Differentialschutz Q <–– Ausfall der Erregung M Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 37 Motorschutz (Fortsetzung) Einstellangaben Fehlerart Überlast Phasenunsymmetrie, -ausfall und -umkehr Kurzschluss Statormasse Zu lange dauernder Anlauf Blockierung des Rotors Spannungsabsenkung Wirkleistungsrückfluss Ausfall der Erregung 38 Leitfaden über den Schutz Einstellungen c Thermisches Abbild. Die Parameter müssen auf die Betriebs daten des Motors abgestimmt werden (Zeitkonstante ungefähr 10'). c Maximalstromrelais mit Stromunabhängiger Verzögerung. Einstellung so, dass ein Anlauf möglich ist. c Maximal-Gegenkomponentenschutz. Einstellung 0,3 bis 0,4 In, Verzögerung ungefähr 0,6 s. Im Fall eines Netzes, das mit praktisch permanenten Unsymmetrien betrieben werden kann, wird eine stromab­ hängige Kennlinie verwendet: Einstellung, die während des Anlaufs ohne Abschaltung 0,3 In zulässt. c Sicherung. Baugrösse > 1,3 In und den Anlauf zulassend. c Maximalstromschutz mit stromunab­ hängiger Verzögerung. Ansprechwert ≥ 1,2 I Anlauf, Verzögerung ungefähr 0,1 s. c Differentialschutz: Ansprechwert 10% bis 20% von In. c Über Widerstand geerdeter Sternpunkt. Man wählt den niedrigsten Ansprechwert, der mit dem kapazitiven Strom des ge­ schützten Abganges kompatibel ist. Ansprechwert 10 bis 20% des maximalen Erdschlussstroms. Verzögerung ungefähr 0,1 s. Ansprechwert ungefähr 2,5 In, Verzögerung 1,1 x Anlaufzeit. Ansprechwert 0,75 bis 0,8 Un, Verzögerung ungefähr 1 s. c Ungefähre Einstellung: v Ansprechwert 5% von Pn. v Verzögerung 1 s. c Ungefähre Einstellung: v Ansprechwert 30% von Sn. v Verzögerung 1 s. Merlin Gerin Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 39 40 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Generatorschutz Einleitung Das Betriebsverhalten eines Generators kann sowohl durch Fehler innerhalb der Maschine als auch durch Störungen im Netz, an das er angeschlossen ist, negativ beeinflusst werden. Eine Generatorschutzeinrichtung hat deshalb zwei Ziele: Schutz der Maschine und Schutz des Netzes. Fehlerarten Überlast, Unsymmetrie und interner Kurz­ schluss zwischen Phasen sind Fehler, die für Generatoren von derselben Art sind wie für Motoren. Es gibt jedoch Fehlerarten, die für Generatoren charakteristisch sind. Äusserer Kurzschluss zwischen Phasen Wenn in einem Netz nahe an einem Generator ein Kurzschluss auftritt, hat der Fehlerstrom den in der Abb. 1 dargestellten Verlauf. Der Maximalwert des Kurzschlussstroms muss unter Berücksichtigung der subtran­ sienten Impedanz X"d der Maschine berechnet werden. Der von einer sehr schwach (mit etwa 100 ms) verzögerten Schutzeinrichtung feststellbare Stromwert muss unter Berück­ sichtigung der transienten Impedanz X'd der Maschine berechnet werden. Der Wert des Dauerkurzschlussstroms muss unter Berücksichtigung der synchronen Impedanz X berechnet werden. Letzterer Strom ist niedrig und beträgt in der Regel weniger als der Nennstrom des Generators. Unter dem Einfluss der Spannungsregler kann er bisweilen über dem Nennstrom gehalten werden. Innerer Körperschluss Dieser Fehler ist von der gleichen Art wie bei einem Motor, und seine Folgen hängen von der angewendeten Sternpunktbehandlung ab. Eine Besonderheit im Vergleich zum Motor ist jedoch die Tatsache, dass der Generator während der Perioden des An­ laufs und des Anhaltens sowie im Versuchsbetrieb und im Reservebetrieb vom Netz abgeschaltet läuft. Die Sternpunkterdung kann verschieden sein, je nachdem, ob der Generator an das Netz geschaltet ist oder nicht, wobei die Schutzeinrichtungen für diese beiden Fälle geeignet sein müssen. Strom Subtransiente Ausfall der Erregung Der Ausfall der Erregung eines vorher an das Netz geschalteten Generators bewirkt, dass er nicht mehr netzsynchron läuft (ausser Tritt fällt). Er läuft asynchron mit leichter Überdrehzahl und nimmt Blind­ leistung auf. Die Folgen sind eine Erwär­ mung des Stators, da der Blindstrom hoch sein kann, und eine Erwärmung des Rotors, da dieser nicht für die induzierten Ströme dimensioniert ist. Lauf als Motor Wenn der Generator vom Netz wie ein Motor angetrieben wird, liefert er mechanische Energie an die Welle, was einen Verschleiss und Beschädingungen an der Antriebsma­ schine bewirken kann. Spannungs- und Frequenzschwankungen Spannungs- und Frequenzschwankungen im eingeschwungenen Betrieb sind die Folge eines schlechten Funktionierens der entsprechenden Regler und haben die folgenden nachteiligen Auswirkungen: c Eine zu hohe Frequenz bewirkt eine abnormale Erwärmung der angetriebenen Motoren. c Eine zu niedrige Frequenz bewirkt einen Leistungsverlust der angetriebenen Motoren. c Frequenzschwankungen haben Drehzahl­ schwankungen der angetriebenen Motoren zur Folge, was zu mechanischen Beschädigungen führen kann. c Eine zu hohe Spannung beansprucht die Isolation aller Betriebsmittel im Netz. c Eine zu niedrige Spannung bewirkt einen Drehmomentabfall und eine Erhöhung des aufgenommenen Stroms und der Erwär­ mung der angetriebenen Motoren. Transiente Dauer-Vorgänge t (Abb. 1) Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 41 Generatorschutz (Fortsetzung) Schutzeinrichtungen Ansprechwert der Auslösung Ir 0,3 Ir U Un 0,3 Un [Abb. 2) Ir = Einstellstrom I> (A) A I > (B) (Abb. 3) Mit anderen Quellen gekuppelter Generator 42 Leitfaden über den Schutz Überlast Die Überlastschutzeinrichtungen des Generators sind dieselben wie für Motoren, nämlich: c Maximalstromschutz mit stromabhängiger Verzögerung c Thermisches Abbild c Temperaturfühler Unsymmetrie Der Schutz erfolgt wie bei den Motoren durch eine vom Strom abhängige oder unabhängige Erfassung der Gegenkomponente des Stroms. Äusserer Kurzschluss zwischen Phasen Da der Wert des Kurzschlussstroms mit der Zeit abnimmt und im Dauerzustand ungefähr dem Nennstrom entspricht oder sogar darunter liegt, kann eine einfache Erfassung des Stroms ungenügend sein. Diese Fehlerart wird mit einem Maximal­ stromschutz mit spannungsabhängigem (mit der Spannung zunehmendem) Ansprech­ wert (Abb. 2) wirksam erfasst. Das Ansprechen erfolgt verzögert. Innerer Kurzschluss zwischen Phasen c Der Hochimpedanz- oder ProzentDifferentialschutz bietet einen empfindlichen und schnellen Schutz. c In bestimmten Fällen und insbesondere bei einem Generator mit im Verhältnis zum Netz niedriger Leistung kann der Schutz gegen einen inneren Kurzschlussschutz zwischen Phasen mit den folgenden Einrichtungen realisiert werden (Abb. 3): v Einem unverzögerten Maximalstromschutz (A), der berücksichtigt wird, wenn der Gene­ rator-Leistungsschalter offen ist, dessen Stromwandler sich auf der Sternpunktseite befinden und der auf einen Wert unterhalb des Nennstroms eingestellt wird. v Einen unverzögerten Maximalstromschutz (B), dessen Stromwandler sich auf der Schalterseite befindet und der auf einen Wert oberhalb des Kurzschlussstroms des Generators eingestellt wird. Stator-Körperschluss c Wenn der Sternpunkt am Sternpunkt des Generators geerdet ist, wird ein Maximalerd­ schlussstromschutz oder ein beschränkter Erdschlussschutz verwendet. c Wenn der Sternpunkt im Netz geerdet ist und nicht am Sternpunkt des Generators, wird ein Körperschluss wie folgt erfasst: v Mit einem Maximalerdschlussstromschutz beim Leistungsschalter des Generators, wenn dieser an das Netz geschaltet ist. v Durch eine Isolationsüberwachungseinrich­ tung für nicht geerdeten Nullpunkt, wenn der Generator nicht an das Netz geschaltet ist. c Wenn der Sternpunkt nicht geerdet ist, wird der Körperschlussschutz durch eine Isolationsüberwachungseinrichtung ge­ währleistet. Diese Einrichtung arbeitet entweder nach dem Prinzip der Erfassung der Restspannung oder durch Einspeisung eines Gleichstroms zwischen Sternpunkt und Erde. Wenn diese Einrichtung auf Netzebene vorhanden ist, überwacht sie den Generator, wenn dieser an das Netz geschaltet ist, während zur Überwachung der Isolation des vom Netz getrennten Generators eine eigene Isolationsüberwachungseinrichtung erforderlich ist, die berücksichtigt wird, wenn der Generator-Leistungsschalter offen ist. Rotor-Körperschluss Wenn der Erregerkreis zugänglich ist, wird ein Körperschluss mit einer Isolationsüber­ wachungseinrichtung (Vigilohm) überwacht. Ausfall der Erregung Dieser Fehler wird entweder durch Messung der aufgenommenen Blindleistung oder durch Überwachung des Erregerkreises, falls dieser zugänglich ist, durch Impedanz­ messung an den Generatorklemmen erfasst. Lauf als Motor Dieser wird mit einem Wirkleistungsrück­ flussrelais festgestellt, das die vom Generator aufgenommene Wirkleistung erfasst. Spannungs- und Frequenzschwankungen Diese werden einerseits durch einen Maximal- und Minimalspannungsschutz und andererseits durch einen Maximal- und Minimalfrequenzschutz festgestellt. Diese Schutzeinrichtungen arbeiten verzögert, da diese Erscheinungen kein sofortiges Eingreifen erfordern und da den Schutzein­ richtungen des Netzes und den Spannungs­ und Drehzahlreglern Zeit gelassen werden muss, um zu reagieren. Merlin Gerin Anwendungsbeispiele Generator niedriger Leistung G IN > Maximaler Erdschlussstrom I Thermisches Abbild Ii > Maximal-Gegenkomponenten I > U Maximalstrom mit spannungsab­ hängigem Ansprechwert IN > Maximaler Erdschlussstrom I Thermisches Abbild Ii > Maximale Gegenkomponente Generator mittlerer Leistung G ΔI Merlin Gerin Differentialschutz I > U Maximalstrom mit spannungsab­ hängigem Ansprechwert P <–– Wirkleistungsrückfluss Q <–– Blindleistungsrückfluss >U> Maximal- und Minimalspannung >f> Maximal- und Minimalfrequenz Leitfaden über den Schutz 43 Generatorschutz (Fortsetzung) Anwendungsbeispiele (Fortsetzung) Generator mittlerer Leistung (Sternpunkt im Netz geerdet) I G Thermisches Abbild Ii > Maximale Gegenkomponente I > U Maximalstrom mit spannungsab­ hängigem Ansprechwert P <–– Wirkleistungsrückfluss Q <–– Ausfall der Erregung >U> Maximal- und Minimalspannung >f> Maximal- und Minimalfrequenz UN > Maximale Restspannung I <–– IN Stromrichtung Maximaler Erdschlussstrom Blockgruppe mittlerer Leistung Thermisches Abbild Ii > G ΔI 44 Leitfaden über den Schutz Differentialschutz Maximale Gegenkomponente I > U Maximalstrom mit spannungsab­ hängigem Ansprechwert P <–– Wirkleistungsrückfluss Q <–– Ausfall der Erregung UN > Maximale Restspannung >U> Maximal- und Minimalspannung >f> Maximal- und Minimalfrequenz IN > Maximaler Erdschlussstrom Merlin Gerin Einstellangaben Fehlerart Überlast Unsymmetrie Äusserer Kurzschluss Innerer Kurzschluss Körperschluss Ausfall der Erregung Lauf als Motor Spannungsschwankungen Drehzahlschwankungen Merlin Gerin Einstellungen c Thermisches Abbild. Muss auf die Nenndaten abgestimmt werden (Zeitkonstante ungefähr 10'). c Maximale Gegenkomponente. Auf die Daten abstimmen (bei fehlenden Angaben Ansprechwert 15% In, stromabhängige Verzögerung). c Maximalstrom mit spannungsabhängigem Ansprechwert. Ansprechwert 1,2 bis 2 In. c Hochimpedanz-Differentialschutz. Ansprechwert ungefähr 10% In. c Sternpunkt im Netz geerdet: Maximalerdschlussstromschutz. Ansprechwert 10% bis 20% des maximalen Erdschlussstroms. Verzögerung: unverzögert oder 0,1 s. c Sternpunkt am Sternpunkt des Generators geerdet: Maximalerdschlussstromschutz. Ansprechwert ungefähr 10% In. Verzögerung aufgrund der Selektivität. c Nicht geerdeter Sternpunkt. Maximalrestspannungsschutz. Ansprechwert ungefähr 30% Un. c Blindleistungsrückflussschutz. Ansprechwert 30% von Sn. Verzögerung einige Sekunden. c Wirkleistungsrückflussschutz. Ansprechwert 1 bis 20% von Pn. Verzögerung ≥ 1 s. c Maximal- und Minimalspannungsschutz. 0,8 Un < U < 1,1 Un. Verzögerung ungefähr 1 s. c Maximal- und Minimalfrequenzschutz 0,95 fn < f < 1,05 fn. Verzögerung einige Sekunden. Leitfaden über den Schutz 45 46 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Kondensatorschutz Einleitung Kondensatorbatterien werden zur Kompen­ sation der von den Lasten im Netz aufge­ nommenen Blindleistung eingesetzt, und manchmal zum Herstellen von Filtern zur Reduktion der Oberwellenspannungen. Ihre Aufgabe besteht somit darin, die Qualität des Stromnetzes zu verbessern. Sie können je nach dem Spannungsniveau und der installierten Leistung in Stern-, Dreieck- oder Doppelsternschaltung ange­ ordnet werden. Ein Kondensator besteht aus einem Gehäuse mit isolierten Anschlussklemmen, das Einzelkondensatoren enthält, deren maximal zulässige Spannung begrenzt ist (zum Beispiel auf 2250 V) und die gruppen­ weise miteinander verbunden sind, in Serie, um die notwendige Spannungsfestigkeit zu erreichen, und parallel, um die gewünschte Leistung zu erhalten. Es gibt zwei Arten von Kondensatoren: c Kondensatoren ohne inneren Schutz. c Kondensatoren mit innerem Schutz, bei denen jeder Einzelkondensator mit einer Sicherung versehen ist. Fehlerarten Die wichtigsten Fehler, die eine Konden­ satorbatterie in Mitleidenschaft ziehen können, sind: c Überlast c Kurzschluss c Körperschluss c Kurzschluss eines Kondensatorelementes Überlast ist die Folge eines kurzzeitigen Überstroms oder eines Dauer-Überstroms. c Ein Dauer-Überstrom kann die folgenden Ursachen haben: v Erhöhung der Speisespannung. v Fliessen eines Oberwellenstroms infolge von nichtlinearen Lasten wie zum Beispiel Stromrichter (Gleichrichter, Regelantriebe), Lichtbogenöfen usw. c Ein kurzzeitiger Überstrom kann mit dem Einschalten einer Kondensatorbatteriestufe verbunden sein. Überlast wirkt sich als eine für das dielek­ trische Verhalten schädliche Erwärmung aus und führt zu einer vorzeitigen Alterung des Kondensators. Ein Kurzschluss ist ein innerer oder äusserer Fehler zwischen aktiven Leitern, sei es zwischen Phasen oder zwischen Phase und Neutralleiter, je nachdem, ob die Kondensatoren in Dreieck oder Stern ge­ schaltet ist. Die Entwicklung von Gasen im dichten Gehäuse des Kondensators verursacht einen Überdruck, der eine Öffnung des Gehäuses und das Entweichen von Dielektrikum bewirken kann. Ein Körperschluss ist ein innerer Fehler zwischen einem aktiven Teil des Konden­ sators und dem vom (aus Gründen des Personenschutzes) geerdeten Metallgehäu­ se gebildeten Körper. Die Stärke des Fehlerstroms hängt von der Sternpunktbehandlung im Netz und von der Art der Schaltung (Stern oder Dreieck) ab. Wie beim inneren Kurzschluss verursacht die Entwicklung von Gasen im dichten Ge­ häuse des Kondensators einen Überdruck, der eine Öffnung des Gehäuses und das Entweichen von Dielektrikum bewirken kann. Ein Kurzschluss eines Kondensator­ elementes ist die Folge eines Durchschlags eines Einzelkondensators. c Ohne inneren Schutz werden dabei die parallelgeschalteten Einzelkondensatoren durch den fehlerhaften Einzelkondensator überbrückt. Die Folgen sind: v Die Impedanz des Kondensators ändert sich. v Die angelegte Spannung verteilt sich auf eine Serieschaltung, die aus einer Gruppe weniger besteht. v Deshalb wird jede Gruppe einer höheren Belastung unterworfen, was zu weiteren Durchschlägen hintereinander bis zum tota­ len Kurzschluss führen kann (siehe Abb. 1). c Mit innerem Schutz schaltet das Durch­ brennen der damit verbundenen Sicherung den fehlerhaften Einzelkondensator ab. v Der Kondensator bleibt gesund. v Seine Impedanz ändert sich entsprechend. Gruppe 1 Gruppe 2 V n-1 V Gruppe 3 Gruppe n (Abb. 1) Merlin Gerin V n-1 Leitfaden über den Schutz 47 Kondensatorschutz (Fortsetzung) Schutzeinrichtungen 48 Leitfaden über den Schutz Kondensatoren dürfen nur unter Spannung gesetzt werden, wenn sie entladen sind. Deshalb muss die Wiedereinschaltung verzögert werden, um transiente Überspan­ nungen zu verhindern. Eine Verzögerung von 10 Minuten genügt für eine normale Entladung. Mit Schnellentladungsdrosseln kann diese Zeit verkürzt werden. Überlast c Lange dauernde Überströme infolge einer Erhöhung der Speisespannung werden mit einem Maximalspannungsschutz verhindert, der die Netzspannung überwacht. Diese Schutz kann dem Kondensator selbst zugeordnet werden, meistens handelt es sich jedoch um einen Gesamt-Netzschutz. Angesichts der Tatsache, dass ein Konden­ sator in der Regel eine Spannung von 110% seiner Nennspannung während 12 Stunden im Tag aushalten kann, ist dieser Schutz nicht immer notwendig. c Lange dauernde Überströme infolge des Fliessens von Oberwellenströmen werden von einem Überlastschutz einer der folgenden Arten erfasst: v Thermisches Abbild. v Verzögerter Maximalstromschutz. Dies unter der Voraussetzung, dass dieser die Frequenzen der betreffenden Ober­ wellen berücksichtigt. c Die Stärke kurzzeitiger Überströme infolge des Einschaltens von Kondensatorbatteriestufen wird durch die Installation von Stoss­ drosseln in Serie mit jeder Stufe begrenzt. Kurzschluss Ein Kurzschluss wird von einem verzögerten Maximalstromschutz erfasst. Die gewählten Strom- und Verzögerungseinstellungen ermöglichen einen Betrieb mit dem maximal zulässigen Laststrom und die Durchführung von Ein- und Stufenschaltungen. Körperschluss Der Schutz hängt von der Sternpunktbehandlung ab. Wenn der Sternpunkt geerdet ist, wird ein verzögerter Maximalerdstromschutz verwendet. Kurzschluss eines Kondensator­ elementes Die Erfassung beruht auf der bewirkten Impedanzänderung c durch den Kurzschluss des Elements bei einem Kondensator ohne inneren Schutz, c durch die Abschaltung des fehlerhaften Einzelkondensators bei einem Kondensator mit internen Sicherungen. Wenn die Kondensatorbatterie in Doppel­ sternschaltung ausgeführt ist, bewirkt die Schieflast infolge der Impedanzänderung in einer der Sternschaltungen das Fliessen eines Stroms in der Verbindung zwischen den Sternpunkten. Diese Unsymmetrie wird von einem empfindlichen Maximalstrom­ schutz erfasst. Merlin Gerin Beispiele von Kondensator­ batterieschutzeinrichtungen Blindleistungskompensationskondensator in Doppelsternschaltung I> Maximalstrom IN Maximalerdschlussstrom U> I> Maximalspannung Maximalstrom Filter Merlin Gerin I Thermisches Abbild I> Maximalstrom IN > Maximalerdschlussstrom Leitfaden über den Schutz 49 Kondensatorschutz (Fortsetzung) Einstellangaben Fehlerart Überlast Kurzschluss Körperschluss Kurzschluss eines Kondensatorelementes 50 Leitfaden über den Schutz Einstellungen c Maximalspannung. Einstellung ≤ 110% Vn. c Thermisches Abbild, Einstellung ≤ 1,3 In oder Maximalstrom, Einstellung ≤ 1,3 In. Stromabhängige Verzögerung oder stromunabhängige Verzögerung 10 s. c Maximalstrom. Ansprechwert ungefähr 10 In. Stromunabhängige Verzögerung, Verzögerung ungefähr 0,1 s. c Maximalerdschlussstrom. Ansprechwert ≤ 20% des maximalen Erdschluss­ stroms und ≥ 10% der Baugrösse der Strom­ wandler bei Speisung durch 3 Stromwandler. Stromunabhängige Verzögerung, Verzögerung ungefähr 0,1 s. c Maximalstrom. Ansprechwert < 1 Ampere. Stromunabhängige Verzögerung, Verzögerung ungefähr 1 s. Merlin Gerin Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 51 52 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Wandler Einleitung Die Schutz- oder Messeinrichtungen müssen Informationen über die elektrischen Grössen der zu schützenden Betriebsmittel erhalten. Aus technischen, wirtschaftlichen und Sicherheits-Gründen kann man diese Informationen nicht direkt von den Hoch­ spannungsanschlüssen der Betriebsmittel erhalten. Es müssen geeignete Einrich­ tungen dazwischengeschaltet werden, wie: c Spannungswandler c Stromwandler c Ringkernwandler zum Messen von Erdschlussströmen Diese Einrichtungen erfüllen die folgenden Aufgaben: c Reduktion der Messgrösse (z.B. 1500/5 A), c Galvanische Trennung, c Lieferung der Energie, die für die Daten­ verarbeitung oder sogar den Betrieb der Schutzeinrichtung benötigt wird. Stromwandler Die Kenndaten der Stromwandler (gemäss den Normen IEC 185 und NF C 42-502)* sind folgende: Stromwandlerspannung Dies ist die Spannung, welcher die Primär­ wicklung des Stromwandlers unterworfen wird. Es sei daran erinnert, dass die Primär­ wicklung an Mittelspannungspotential liegt und dass eine Klemme der Sekundär­ wicklung in den weitaus meisten Fällen geerdet ist. Wie für alle Betriebsmittel sind ferner die folgenden Prüfspannungen festgelegt: c eine industriefrequente Stehwechselspan­ nung während 1 Minute, c eine Stehstossspannung. Genauigkeitsleistung Dies ist die Sekundärleistung bei Nenn­ strom, für welche die Genauigkeit garantiert wird. Sie wird in VA ausgedrückt und gibt die Leistung an, welche die Sekundärwicklung bei Nennstrom unter Einhaltung der Nenn­ genauigkeit liefern kann. Sie stellt die gesamte aufgenommene Leistung des Sekundärkreises dar, d.h. die Leistungsaufnahme aller angeschlossenen Geräte sowie der Verbindungen. Wenn ein Stromwandler mit einer Leistung unterhalb seiner Genauigkeitsleistung belastet wird, ist seine effektive Genauigkeit höher als seine Nenngenauigkeit, während umgekehrt ein zu stark belasteter Strom­ wandler an Genauigkeit verliert. P1 I1 I2 S1 S2 P2 Beispiel: Bei einer Nennspannung von 24 kV muss der Stromwandler eine Spannung von 50 kV/50 Hz während 1 min und eine Stossspannung mit einem Scheitelwert von 125 kV aushalten. Le rapport nominal de transformation Il est donné sous la forme du rapport des courants primaires et secondaires I1/I2. Le courant secondaire est généralement 5 A ou 1 A. Nennübersetzung Dieses ist das Verhältnis zwischen dem Primär- und dem Sekundärstrom I1/I2. Der Nenn-Sekundärstrom beträgt in der Regel 5 A oder 1 A. Genauigkeit Diese wird durch den zusammengesetzten Fehler beim Genauigkeitsgrenzstrom festgelegt. Beispiel: 5P10 bedeutet 5% Fehler bei 10 In und 10P15 bedeutet 10% Fehler bei 15 In. 5P und 10P sind die normierten Genauig­ keitsklassen. 5 In, 10 In, 15 In und 20 In sind die normierten Genauigkeitsgrenzströme. Genauigkeitsgrenzfaktor Dieser Faktor ist das Verhältnis zwischen dem Genauigkeitsgrenzstrom und dem Nennstrom. Die Klasse X entspricht einer anderen Art und Weise der Angabe der Eigenschaften eines Stromwandlers aufgrund seiner «Kniespannung» (siehe Abb. 1 im Abschnitt «Verhalten eines Stromwandlers im gesättigten Zustand»). Merlin Gerin Zulässiger Kurzzeitstrom Dieser in kA effektiv ausgedrückte, während maximal 1 Sekunde (bei kurzgeschlossener Sekundärwicklung) zulässige Strom (Ith) repräsentiert das thermische Verhalten des Stromwandlers bei Überströmen. Der Stromwandler muss den Kurzschlussstrom während der Zeit aushalten können, die für dessen Abschaltung erforderlich ist. Wenn die Abschaltzeit t von 1 s abweicht, ist der Strom, den der Stromwandler aushalten kann, gleich Ith/Vt. Das in kA Scheitelwert ausgedrückte elektrodynamische Verhalten ist mindestens gleich 2,5 x Ith. Normierte Werte der Nennströme: c Primärseitig (in A) 10 - 12,5 - 15 - 20 - 25 - 30 - 40 - 50 - 60 ­ 75 und deren Vielfache und dezimalen Subvielfache. * Ebenfalls zu berücksichtigen sind die mit der Art der Montage, den Bedingungen am Standort (z.B. Temperatur usw.), der Netzfrequenz usw. verbundenen Faktoren. Leitfaden über den Schutz 53 Wandler (Fortsetzung) Wenn ein Stromwandler einem sehr hohen Primärstrom ausgesetzt wird, wird er gesättigt. Dies bedeutet, dass der Sekundär­ strom nicht mehr proportional zum Primär­ strom ist. Effektiv wird der dem Magnetisierungsstrom entsprechende Stromfehler sehr hoch. Verhalten eines Strom­ wandlers im gesättigten Zustand P1 S1 I m V Kniespannung (Abb. 1) Diese entspricht dem Punkt der Magneti­ sierungskurve eines Stromwandlers, bei dem eine Erhöhung der Spannung V um 10% eine Erhöhung des Magnetisierungs­ stroms Im um 50% erfordert. S2 P2 V +10% Kniespannung (Abb. 1) +50% Im Schlussfolgerung für Stromwandler, die eine Schutzeinrichtung vom Maximalstrom-Typ speisen Für Maximalstromschutzeinrichtungen mit stromunabhängiger (konstanter) Ver­ zögerung ist, wenn die Sättigung beim 2fachen Wert des Einstellstroms nicht erreicht wird, das richtige Funktionieren unabhängig vom Fehlerstrom sichergestellt. Für Maximalstromschutzeinrichtungen mit stromabhängiger (inverser) Verzögerung darf die Sättigung für Stromwerte, die dem nutzbaren Teil der Kennlinie (maximal dem 20fachen Wert des Einstellstroms) ent­ sprechen, nicht erreicht werden. Spezielle “Breitband”­ Wandler Diese Wandler, die zumeist ohne magne­ tischen Kreis ausgeführt sind, bieten den Vorteil, keiner Sättigung unterworfen zu sein. Verbunden mit einer elektronischen Einrichtung haben sie eine lineare Kennlinie. Diese Wandler werden für digitale Schutz­ einrichtungen verwendet und geliefert. Für deren Auswahl genügt die Kenntnis des Nenn-Primärstroms. 54 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Wandler für den Erdschlussschutz Der Erdschlussstrom kann auf verschiedene Weise erfasst werden. Schaltung eines Stromwandlers an den Sternpunkt: I > N Summierschaltung mit 3 Stromwandlern (Abb. 3) Diese Schaltung wird nur verwendet, wenn es unmöglich ist, einen Ringkernwandler zu verwenden. Infolge des Summierungsfehlers der Strom­ wandler beträgt der minimale Ansprechwert des Reststroms ungefähr 10% von In. N Erdschluss­ schutz (Abb. 3) (Abb. 1) Differentialmessung mit einem Ringkernwandler: I1 N I2 I3 I > N (Abb. 2) Wandler für den Differentialschutz Die Stromwandler müssen in Funktion des Funktionsprinzips des Schutzes spezifiziert werden, wobei die technische Beschreibung des betreffenden Schutzes zu beachten ist. Schutzbereich P1 P2 P2 P1 Differentialschutz Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 55 Wandler (Fortsetzung) Spannungswandler Die Kenndaten der Spannungswandler (gemäss den Normen IEC 186 und NF C 42-501) (1) sind folgende: c Netzfrequenz Im allgemeinen 50 oder 60 Hz. c Höchste Netzspannung (Die Sekundärspannung ist normiert: 100, 100/V3, 110, 110/V3 Volt) c Bemessungsspannungsfaktor c Leistung in VA und Genauigkeitsklasse Schaltung mit 2 Spannungswandlern (sog. V-Schaltung) (erfordert 2 isolierte Hochspannungsklemmen pro Wandler) Schaltung mit 3 Spannungswandlern (erfordert 1 isolierte Hochspannungs­ klemme pro Wandler) Übersetzungsverhältnis: Un 100 Bei nicht geerdetem Sternpunkt müssen alle Phasen-Sternpunkt-Spannungswandler genügend belastet werden, um die Gefahr einer Ferroresonanz zu verhindern. Übersetzungsverhältnis: Un/e 100/e 56 Leitfaden über den Schutz (1) Ebenfalls zu berücksichtigen sind die mit der Art der Montage, den Bedingungen am Standort (z.B. Temperatur usw.) usw. verbundenen Faktoren. Merlin Gerin Notizen Merlin Gerin Leitfaden über den Schutz 57 Notizen 58 Leitfaden über den Schutz Merlin Gerin Gothaer Straße 29 D-40880 Ratingen Tel.: (49) 21 02 4 04 - 0 Fax: (49) 21 02 4 04 - 92 56 www.schneiderelectric.de Techn. Heft ZXTHMSSCHUTZ Bei Rückfragen: Kompetenzzentrum Schneider Electric GmbH Hertzstraße 4 D-71083 Herrenberg Tel.: (49) 70 32 97 18 01 Fax: (49) 70 32 97 16 00 Schneider Electric Austria Ges.m.b.H. Schneider Electric (Schweiz) AG Biróstraße 11 A-1239 Wien Tel.: (43) 1 610 54 - 0 Fax: (43) 1 610 54 54 www.schneider-electric.co.at Schermenwaldstrasse 11 CH-3063 Ittigen Tel.: (41) 31 917 33 33 Fax: (41) 31 917 33 66 www.schneider-electric.ch 05-99 ZXTHMSSCHUTZ, 5.99.1.8 © 1999 Schneider Electric GmbH. All rights reserved. Schneider Electric GmbH