Einführung in die Astronomie und Astrophysik II Teil 4 Jochen Liske Hamburger Sternwarte [email protected] Braune Zwerge Erster Nachweis: 1995 Zwischen Planeten und Sternen: Deuterium-Fusion (nur für 107 yr) 13 MJ < M < 80 MJ = 0.08 Mʘ Definition umstritten Spektralklassen: M (spät), L, T, Y Kühle, komplexe Atmosphären: 2200 K < Teff < 700 K Die meisten in IR-Durchmusterungen entdeckt: 2MASS, WISE Im Kern: Elektronenentartungsdruck bzw. Coulomb-Druck Z.T. nur schwer von Sternen bzw. Planeten zu unterscheiden Braune Zwerge: WISE 0855-0714 T ~ 250 K: das kälteste bekannte kompakte Objekt außerhalb des Sonnensystems Wasserwolken! D = 7.3 ly Gemini, Skemer et al. (2016) Braune Zwerge: WISE 0855-0714 Themen Sternentstehung Sternentwicklung Das Interstellare Medium Die Milchstraße Galaxien Galaxienhaufen Intergalaktische Materie Kosmologie Das interstellare Medium (ISM) Galaxien bestehen nicht nur aus Sternen! Interstellare Materie Gas Atomar Ionisiert Neutral Molekular Staub EM-Strahlung Kosmische Strahlung Neutrinos Magnetfelder Die interstellare Materie Reservoir für Sternentstehung Nimmt Gas auf, das sich von Sternen löst (Wind, Abstoßung von äußeren Hüllen, Supernova) Kreislauf wichtig für die Entwicklung von Galaxien Keine eigene Energiequelle “Verarbeitet” die Strahlung der Sterne Großer Einfluss auf die Interpretation von Beobachtungen von Galaxien Morphologie Spektren Die interstellare Materie ~10% der sichtbaren Masse der Milchstraße ~99% Gas und ~1% Staub Zusammensetzung ~91% H (~70% nach Masse): H2, HI, HII ~9% He (~28% nach Masse): HeI, HeII < 1% Metalle (~1.5% nach Masse): C, N, O, Na, Ne, Mg, S, SI, ... In verschiedenen Phasen: n und T durch lokale Heiz- und Kühlprozesse bestimmt ISM in der Milchstraße ISM Beobachtet als Emmissionsnebel (+ Reflektionsnebel) Dunkelwolken Rötung von Sternen Absorptionslinien in Sternspektren 21 cm Linie Moleküllinien ISM: HII-Region in H ISM: HII Gas in H ISM: Planetarische Nebel ISM: Supernovareste ISM: Reflektionsnebel ISM: HI in 21 cm ISM: Staub ISM: Staub Eigenschaften der ISM Energiezufuhr durch Strahlung und Winde der Sterne Sehr geringe Dichten Geringe Wechselwirkung der Teilchen Beschreibung durch Gleichgewichts-Verteilungsfunktionen (Maxwell-Verteilung, Boltzmann-Verteilung, Saha-Gleichung) nur teilweise oder gar nicht möglich, jdenfalls nicht mit gleicher Temperatur “Temperatur” hat unterschiedliche Bedeutungen ISM ist nicht im thermodynamischen Gleichgewicht Eigenschaften der ISM Kinetische Temperatur Strahlungstemperatur Strahlungsfeld wird von Sternen dominiert Überlagerung verschiedener Sternspektren mit “verdünnter” Intensität (∝ 1/R2) Spektrale Energieverteilung und Energiedichte des Strahlungsfelds durch unterschiedliche Teff beschrieben urad = aT14, T2 ∝ 1/λmax, T1 T2 urad 0.5 eV cm−3 Teff 3 K Eigenschaften der ISM Staubtemperatur Staubteilchen sind kleine Festkörper Absorption von Strahlung Temperaturerhöhung Jedes Staubteilchen ist annähernd ein schwarzer Körper, wobei Abstrahlungsrate (also T) durch Heizrate bestimmt wird, also durch spektrale Form und Energiedichte des Strahlungsfeldes Ionisation Nicht durch Stöße, sondern durch Photonen (Photoionisation) Verteilung über Ionisationsstufen hängt nicht von T ab (SahaGleichung), sondern nur vom Strahlungsfeld Eigenschaften der ISM Druckkräfte Gasdruck (~ideales Gas), Strahlungsdruck, Stoßdruck, magnetischer Druck, Druck durch kosmische Strahlung Komplexes Wechselspiel Zwei vereinfachte, stationäre Beispiele 1. Zwei benachbarte Regionen mit unterschiedlichen Temperaturen 2. Gasverteilung senkrecht zur Scheibe der Milchstraße Eigenschaften der ISM Druckgleichgewicht verschiedener Regionen: P1 = P2 n1 kB T1 = n2 kB T2 n1 / n2 = T2 /T1 z.B.: kühles, dichtes Gas umgeben von heißem, dünnem Gas Grundlegende Idee des Multi-Phasen-Modells des ISM Eigenschaften der ISM Gasverteilung senkrecht zur Scheibe der Milchstraße Annahmen: Gasverteilung parallel zur Ebene homogen Richtung der Gravitation senkrecht zur Ebene Differentialgleichung: Mehr Annahmen: Ideales Gas: P = n kB T Isotherm, T = const gz(z) = G * = const Lösung: H = Skalenhöhe = 80 – 3000 pc, je nach ISM Komponente Das kühle interstellare Gas: HI Neutraler Wasserstoff befindet sich im Grundzustand Keine Strahlung im Optischen Aber: kann im Radiobereich beobachtet werden: 21 cm-Linie = Hyperfeinstrukturübergang des WasserstoffGrundzustands ΔE 6×10−6 eV ν = 1420 MHz, λ = 21.106 cm Das kühle interstellare Gas: HI: 21 cm Linie Sehr geringe Übergangswahrscheinlichkeit: A = 2.85 x 10−15 s-1 Sehr lange Lebensdauer: t = 1/A = 3.5 x 1014 s 1.1 x 107 yr Angeregter Zustand bei “normalen” Dichten durch Stöße entvölkert Keine Aussendung von 21 cm Photonen Im ISM allerdings: geringe Dichten geringe Stoßfrequenzen Beobachtung der 21cm-Linie möglich Rückschlüsse über HI Verteilung in der Galaxie HI in 21 cm Konzentration in der Galaktischen Ebene Aber auch bei höheren galaktischen Breiten warmes (T ∼ 103 K), neutrales Medium HI in anderen Galaxien HI in 21 cm 21 cm-Linie meist optisch dünn Intensität: Maß für HI Säulendichte: Typische beobachtete Werte: NHI 1018 − 1022 cm-2 nHI 10−4 − 102 cm-3 HI = Großteil der Masse des ISM HI in 21 cm Linienverschiebung durch Dopplereffekt Radialgeschwindigkeit meist durch galaktische Rotation: |vrad| < ~100 km s−1 Aber auch: Hochgeschwindigkeitswolken (HVC) im galaktischen Halo: νHVC > 90 km s−1 über lokaler Rotationsgeschwindigkeit Wichtig für Strukturbestimmung der Galaxie (Rotation / Spiralarme) ISM: HI in 21 cm Kinematik der Milchstraße aus Dopplerverschiebung der 21 cm Linie HI Rotationskurve HI Rotationskurve HI in 21 cm Linienverschiebung durch Dopplereffekt Radialgeschwindigkeit meist durch galaktische Rotation: |vrad| < ~100 km s−1 Aber auch: Hochgeschwindigkeitswolken (HVC) im galaktischen Halo: νHVC > 90 km s−1 über lokaler Rotationsgeschwindigkeit Wichtig für Strukturbestimmung der Galaxie (Rotation / Spiralarme) Linienverbreiterung durch thermischen Dopplereffekt (natürliche Linienbreite sehr klein) Tkin 50 K – 1000 K Das kühle interstellare Gas: Metalle He im neutralen ISM nicht im Optischen beobachtbar, obwohl ~ 10% der Atome Nur sehr wenige Metalle beobachtbar Grund: zu hohe E zwischen Grundzustand und dem 1. angeregten Zustand, sowie zu geringe Temperaturen im kühlen ISM (T 100 K) für Anregung Ausnahmen: NaI (2.1 eV) und CaII (3.2 eV) Randnotiz: anhand der CaII K Linie (393.37 nm) wurde das ISM 1904 von J. Hartmann überhaupt erst entdeckt: diese Linie im Spektrum des Doppelsterns Orionis bewegte sich nicht! Johannes Hartmann Das kühle interstellare Gas: Molekülwolken Fragile Existenz von Molekülen im ISM: Geringe Dissoziationsenergie z.B. H2: ~4.5 eV, also 275 nm Lebensdauer im diffusen ISM nur ~100 Jahre Manifestierung des thermischen Ungleichgewichts: großer Unterschied zwischen Tkin und Strahlungsfeld Moleküle können nur überleben, wenn sie gegen das interstellare Strahlungsfeld abgeschrimt werden: Ab NHI > ~1021 cm-2 kann H2 entstehen Nur in bestimmten Regionen Molekülentstehung möglich Molekülwolken Bisher ca. 200 verschiedene Moleküle gefunden, von H2, CO bis C70, CH3ONH2, H2COHCHO Das kühle interstellare Gas: Molekülwolken Nachweis meist über Emissionslinien: Aber: nicht durch Elektronenübergänge sondern interne Anregung: Rotation und/oder Schwingung Kleine Energiedifferenzen Strahlung im IR und Sub-mm-Bereich H2 schwer nachweisbar: Sehr symmetrische Ladungsverteilung Hat kein elektrisches Dipolmoment Quadrupolübergänge sehr schwach Erster angeregter Rotationsübergang bei ~500 K H2 im kalten ISM im Grundzustand Kann praktisch nicht beobachtet werden (nur im schwer zugänglichen UV) Vibrationsmoden Das kühle interstellare Gas: Molekülwolken Am häufigsten beobachtetes Molekül: CO nCO / nH2 10−4 ECO,Diss = 11.4 eV relativ lange Lebensdauer von ~104 yr Eine der wichtigsten CO Linien ist der Rotationsübergang: J = 1→0, = 115 GHz, λ = 2.6 mm Beobachtbar im relative gut zugänglichen mm-Bereich C O Das kühle interstellare Gas: Molekülwolken Anregung von CO Emission durch Stöße mit H2 Indirekter Nachweis von H2 (Tracer) Kollisionsraten sind temperatur- und dichteabhängig Information über Temperatur und Dichteverteilung der Gasphase Aber: Berechnung der emittierten Strahlung ist ein nicht-lokales Problem Rekonstruktion sehr komplex Bestimmung der Gasdichte und Gesamtmasse von H2 mit empirischen CO-H2 Konvertierungsfaktor: “X Faktor” = XCO Gesamtmasse in H2 1% der sichtbaren Materie der Milchstraße Das kühle interstellare Gas: CO HI in 21 cm Das kühle interstellare Gas: Molekülwolken Große Bandbreite in den Eigenschaften von Molekülwolken: Giant Molecular Clouds D 10 – 100 pc n 102 – 103 cm-3 M 104 – 106 M⨀ Bok Globule D 0.1 – 1 pc n 104 – 106 cm-3 M 1 – 103 M⨀ Das warme interstellare Gas Massereiche Sterne (O,B-Sterne mit T > 20000 K) erzeugen hohen UV-Strahlungsfluss Ionisieren umgebendes Gas (HI → HII): EIon = 13.6 eV ν = 3.3 x 1015 Hz λ = 91.16 nm (Lyman Kontinuum Photon) Inonisiertes Gas sichtbar durch Rekombinationslinien (Emissionsnebel) HII-Regionen Planetarische Nebel Diffuses warmes Gas = Überreste expandierender HII-Regionen Das warme interstellare Gas Emission durch Rekombination Elektronen meist in höheren Energiebändern eingefangen mit anschließender Kaskade Emission verschiedener Linien Sehr häufig beobachtete Linie: H-Linie (Balmer-Serie) n = 3 → 2 Übergang λH = 656 nm charakteristische rote Farbe von HII Regionen HII-Region in H HII Gas in H Das warme interstellare Gas: HII-Regionen Emission einer HII Region: HII-Region optisch dünn für meisten Rekombinationslinien: schnelle Rekombination zum H-Grundzustand Rekombinationsrate proportional zu Elektonendichte ne x Protonendichte np Mit ne np folgt: Emissionsmaß Dichte Zonen stark betont Das warme interstellare Gas: HII-Regionen Größe von HII-Regionen: Strømgren Sphäre Bestimmung durch Gleichgewicht zwischen Ionisation und Rekombination Rekombinationsrate im Volumen der HII-Region: Rekombinationskoeffizient: Das warme interstellare Gas: HII-Regionen Größe von HII-Regionen: Strømgren Sphäre S* = Anzahl ionisierender Photonen pro Zeiteinheit Mit np = ne = n folgt: Mit typischen Werten: n 103 cm−3, T 104 K, S* 1050 s−1 (O-Stern) Das warme interstellare Gas: HII-Regionen Ionisation heizt Gas durch überschüssige Energie auf T 104 K Hoher thermischer Druck HII-Region expandiert vExpansion cs(HII) 10 km/s Allerdings: cs(HII) 10 cs(HI) Stoßfront + Verdichtung des umgebenden Gases Expansion: HII-Region und dünnt sich aus bis Druckausgleich mit Umgebung wieder hergestellt Endliche Lebenszeit von ca. 106 yr Komplikationen: mehrere Sterne, Winde, inhomogene Verteilung der Materie Das heiße interstellare Gas Nachweis durch Weltraumteleskope im fernen UV (z.B Copernicus 1972−1981; IUE 1978−1996, Hubble): Absorptionslinien von z.B. CIV, NV, OVI bei λ < 200 nm nicht zugänglich für erdgebundene Teleskope Nachweis auch durch diffuse Röntgenstrahlung (auch in anderen Galaxien) Hohe Ionisationsenergie notwendig, z.B ΔEion(OVI) = 114 eV T 106 K Strahlung von Sternen nicht ausreichend, nur wenige Photonen mit E > ΔEion(HeIII) = 54 eV Was also ist die Energiequelle der heißen Phase der ISM? Röntgenbild der Sombrero Galaxie (Chandra) Das heiße interstellare Gas Energiequelle des heißen ISM: Supernovae Abstoßung der Hülle mit v 104 km/s (~ 0.01 − 0.05 c) MHülle 1M⨀ ESN 1051 erg Energieabgabe in Stoßfronten (Shocks) Komplexe Struktur durch Überschallausbreitung mit Mach-Zahlen von M 1000 Genaue Analyse mit Diskontinuitäts-Sprungbedingung Einfache Abschätzung: Massenerhaltung: n1 v1 = n2 v2 v1 >> v2 n2 >> n1 Gas wird stark komprimiert Rückläufige Stoßfront heizt SNR im Optischen CAS A mit HST SNR im Röntgen-Bereich CAS A mit Chandra SNR Entwicklung Interstellarer Staub Ca. 1% der Gasmasse des ISM Keine einfachen Spektrallinien Thermische Infrarotstrahlung Verändert Hintergrundstrahlung der Sterne durch: Extinktion (Abschwächung) Verfärbung (Rötung) Reflektion Polarisation Interstellarer Staub Extinktion (= Absorption + Streuung) verändert Entfernungsmodul (schwächt Sternenlicht ab): mλ = Mλ + 5log(d/10 pc) + Aλ Bzw.: Aλ = mλ − mλ,0 mλ,0: scheinbare Helligkeit in Abwesenheit von Staub Aλ: interstellar Extinktion (in mag) Interstellare Extinktion Zusammenhang mit optischer Tiefe I/I,0 = exp(−) m − m,0 = -2.5 log(I/I,0) = 2.5 log(e) 1.086 A = 1.086 Zusammenhang mit Säulendichte NStaub = ∫ dx = ∫ n dx = N = Extinktionsquerschnitt = Extinktionskoeffizient N = ∫ n dx = Säulendichte A ∝ N Massenbestimmung von Molekülwolken Zusammenhang mit NHI Kühles ISM gut durchmischt nahezu konstantes Staub-HI Massenverhältnis: Interstellare Extinktion Extinktion wellenlängenabhängig Wegen Streuung am Staub Beschreibung durch Mie-Theorie Annahme: Staub = kugelförmige Teilchen mit Radius a: Geometrischer Querschnitt: σg = π a2 Streuquerschnitt abhängig von Wellenlänge: λ a ∝ λ-1 λ >> a → 0 λ << a → konst. / unabhängig von λ Interstellare Verfärbung / Rötung Interstellare Extinktion Gute Übereinstimmung von beobachtetem A mit “Theorie” (Staubverteilung als freier Parameter) Große Unterschiede von Region zu Region Features (z.B. “bump” bei 220 nm) Im Prinzip erlaubt die Extinktionskurve Rückschlüsse auf: Staubzusammensetzung (z.B. Graphit) Größenverteilung Mittlere Galaktische Extinktionskurve Interstellare Extinktion Eλ1/λ2 = (mλ1 − mλ2) − (mλ1 − mλ2)0 = Aλ1 − Aλ2 Farbexzess: Typischerweise im Optischen: Wichtig zur Korrektur des Entfernungsmoduls: RV = AV / EB-V 3.1 im Mittel in der Milchstraße EB-V leicht messbar AV EB-V = AB − AV Zusammensetzung des Staubs Größe der Staubpartikel Aus Extinktionskurve a 0.05 − 0.35 μm Größenverteilung: dn/da ∝ a−3.5 Chemische Zusammensetzung Graphit Silikate Silizium Absorption im IR (~10 μm) Entstehung? Hohe Temperaturen und Dichten notwendig Keine normalen ISM Bedingungen Sternatmosphären Sternwinde Rote Riesen