Beim Verhalten ansetzen

Werbung
Eine kurze Wegleitung für Behavior-Change-Programme
Beim Verhalten ansetzen
Viele Unternehmen und Gemeinden haben sich Nachhaltigkeitsziele wie etwa weniger CO2-Ausstoss oder
verbesserten Gesundheitsschutz gesteckt. Das Erreichen dieser Ziele bedeutet Veränderung in ganz unterschiedlichen Bereichen: der Einsatz neuer Technologien, die Anpassung von Abläufen und organisatorischen
Strukturen, oder die Schaffung politischer Rahmenbedingungen. Was diesen Veränderungen zugrunde liegt,
sind Entscheide und Verhaltensänderungen von Mitarbeitenden, Konsumentinnen und Konsumenten sowie
Anwohner- oder Wählerschaft. Ein umweltpsychologischer Ansatz zur Entwicklung, Umsetzung und Evaluation von Behavior-Change-Programmen ist Social Marketing.
V O N M A RTINA B RU NNTH A LE R
W
er hat nicht schon zahlreiche
Info-Blätter in den H änden
gehalten, die zu klimafreundlichem Verhalten bewegen sollten? A m
A rbeitsplatz heisst es «Bitte sparen Sie
Papier, drucken Sie doppelseitig!», am
Wohnort «Bitte Stosslüften, keine gekippten Fenster, sparen Sie H eizöl!».
Was aus eigener E rfahrung bereits
vermutet wird, ist in einer Vielzahl von
E valuationsstudien belegt: Informationsbasierte Sensibilisierungskampagnen haben geringen bis keinen E influss
auf das tatsächliche Verhalten (vgl.
D oug McKenzie-Mohr, 2011). Während
Informations- und Sensibilisierungskampagnen darauf abzielen, Wissen
aufzubauen und E instellungen zu verändern, setzen Social Marketing-basierte Programme direkt beim relevanten
Verhalten und bei dessen R ahmenbedingungen an (siehe umweltpsychologisches Verhaltensmodell).
Den Hebel am richtigen Ort ansetzen
D er erste G rundsatz bei der Verhaltensänderung lautet: Mit einem Programm immer nur ein konkretes Verhalten adressieren, nie mehrere
gleichzeitig. Wer CO 2 reduzieren möchte, kann für dieses übergeordnete Z iel
beispielsweise bei den G eschäftsflügen
ansetzen. D as Z ielverhalten eines Programms ist jedoch noch eine Stufe konkreter, beispielsweise VideokonferenzMeetings fördern als Substitut für
Flüge. Bei der Auswahl eines konkreten Z ielverhaltens aus mehreren A lternativen ist eine Bewertung nach zwei
Kategorien hilfreich: D ie A bschätzung
der R eduktionspotenziale und des Potenzials zur Verhaltensveränderung.
Mit einer Potenzialmatrix (siehe G rafik
1) wird ein Ü berblick und eine E ntscheidungsgrundlage für einen effektiven Programmfokus geschaffen. E s
lohnt sich, die Potenzialeinschätzungen
einiger (interner und/oder externer)
E xperten einzuholen. Für das Programm sucht man nach den «grössten
H ebeln», das sind Verhaltensweisen im
rechten, oberen Q uadrant. H ier ist eine
hohe Wahrscheinlichkeit für die A kzeptanz des neuen Verhaltens zu erwarten, und hier gibt es viel zu reduzieren.
Wo klemmts?
U m Massnahmen nicht auf Vermutungen aufzubauen, sondern massgeschneidert ausrichten zu können, gilt
es, die wahrgenommenen Barrieren
und Nutzen gegenüber dem gewünschten E nergie-, Mobilitäts- oder Konsumverhalten direkt bei den Mit arbeitenden
beziehungsweise
der
A nwohnerschaft abzuholen:
«Ich finde vegetarisches
Essen gut, denn es ist
umweltfreundlicher und
sozialer als Fleisch- und
Fischkonsum.»
Einstellung
«Meine Familie/
Freunde finden meine
Fleischreduktion auch
gut.»
Normen
Selbstwirksamkeit
Martina Brunnthaler
Sozial- und Umweltpsychologin. Bei der
Firma Eartheffect setzt sie Programme zur
Förderung von nachhaltigem Verhalten um.
14
«Ich kann vegetarisch
g
kochen und in meiner
Kantine kann ich Vegig
Menüs bestellen.»
1 – 2012, Umwelt Perspektiven, Postfach, 8308 Illnau
• Aus welchen G ründen zeigen Mitarbeitende respektive A nwohner nicht
bereits das gewünschte Verhalten?
• Was ist ihnen hinderlich und was
brauchen sie noch, um sich in Z ukunft gewünscht zu verhalten?
• Wo könnten sie einen persönlichen
Nutzen ziehen; welche Bedürfnisse
könnten gedeckt werden?
Verhaltensfaktoren
Die positive Einstellung zu einem nachhaltigen Verhalten ist nur eine von mehreren Voraussetzungen, die erst einmal
zu einer Verhaltensabsicht führt. In diesem Modell von Ajzen (1991) wird Wissen
als eine Komponente der Einstellung verstanden. Beim Schritt von der Absicht zur
Verhaltensausführung können eine Reihe
von Störfaktoren in die Quere kommen,
die innerhalb und ausserhalb der Person
liegen: Nicht vorhandene Angebote, unpraktische Infrastruktur, persönliche Gewohnheiten oder schlichtes Vergessen.
Bei verhaltenswirksamen Massnahmen
sollten möglichst viel dieser Voraussetzungen
g und Störfaktoren berücksichtigt
g
werden.
n
eiteen
h
n
s
h
wo ges e
Ge Ver gebot r
An uktu t.
tr ec
ras
f
n
I
Verhaltensabsicht
Er/Sie reduziert
Fleisch- und
Fischkonsum.
Verhalten
«Ich möchte mindestens drei Tage
pro Woche vegetarisch essen.»
Umweltpsychologisches Verhaltensmodell.
Gruppen adressieren
D ie zweite G rundlage der verhaltenswirksamen Massnahmenplanung
ist die kombinierte A nwendung psychologischer «Werkzeuge» (siehe G rafik
3), welche die Z ielgruppe auch als
G ruppe adressiert, nicht als Individuen:
Wettbewerbe zwischen A bteilungen
anstatt Info-Blätter für einzelne Mitarbeitende; E nergie-Feedback mit Verbrauchsvergleichen zu Nachbarhaushalten im Q uartier anstatt Spartipps für
die Bevölkerung. Solche G ruppen-orientierte Werkzeuge sind soziale Normen (energieeffizientes Verhalten wird
als Teil der U nternehmenskultur oder
G emeindephilosophie integriert), soziale D iffusion (die Inanspruchnahme
neuer G eräte oder A ngebote verbreitet
sich rascher) oder öffentliche Selbstverpflichtung (E inzelne und G ruppen beteiligen sich am Programm und nehmen
sich selbst als klimafreundlich wahr).
Aus dem Ü berblick der Werkzeuge
wird deutlich, dass Behavior-ChangeProgramme keine «reinen» Kommunikationsmassnahmen für G ruppen sind.
Mit der Infrastruktur und A nreizen
werden auch die notwendigen R ahmenbedingungen von Verhalten verändert. Wenn Mitarbeitende eines U nternehmens weniger G eschäftsflüge
tätigen und mehr Videokonferenzen
durchführen sollen, dann muss ihnen
auch die nötige Infrastruktur zur Verfügung stehen. U nd zwar mit einfacher
Bedienung und in guter Q ualität, sonst
wird die Infrastruktur selbst zur Verhaltensbarriere.
Pilotierung, Monitoring und
Evaluation
D er G rossteil von Massnahmen in
U nternehmen und G emeinden erfährt
keine systematische Pilotierung oder
E rfolgskontrolle. D abei liegen die Vorteile auf der H and:
• D er Pilot (Programmtestlauf im kleinen R ahmen) erfasst R eaktionen
und R ückmeldungen, welche A npassungen vor dem R oll-out mit der
ganze Z ielgruppe erlauben.
• D as Monitorng erfasst laufend die
Veränderung und ermöglicht die
E valuation des Programms, während
und nach seiner U msetzung. Q ualitativ geben die U rteile der Mitarbei-
C
Reduktionspotential
In Interviews, Fokusgruppen oder
O nline-Befragungen werden diese Informationen in E rfahrung gebracht. D ie
Barrieren-Nutzen-A nalyse bildet eine
von zwei G rundlagen einer verhaltenswirksamen Massnahmenplanung. Mit
einem Programm verfolgt man das
Z iel, die Verhaltensbarrieren abzubauen und einen Nutzen zu bieten, der
motiviert (siehe G rafik 2).
ZielVerhalten
B
H
A
D
G
F
E
KonkurrenzVerhalten
subjektiver
Nutzen
subjektive
Barrieren
Potential zur Verhaltensveränderung
Grafik 1 zeigt die Potenzial-Matrix.
Grafik 2 zeigt die Barrieren-Nutzen-Matrix.
Soziale Normen
Selbstverpflichtung
Soziale Diffusion
Infrastruktur
Kommunikation
Anreize
Erinnerungshilfen
Grafik 3: Werkzeuge der psychologischen Verhaltensänderung.
tenden respektive A nwohner Auskunft über den E rfolg des Programms.
Q uantitativ werden Beobachtungswerte oder Verbrauchszahlen erhoben.
• E ine abschliessende E ffizienzevaluation stellt Aufwand und Wirkung
des Programms in R elation. Sie dient
als E ntscheidungsgrundlage zum
Beispiel für eine zukünftige Ausweitung des Programms auf weitere G emeinden oder Firmenstandorte.
Fazit
Verhalten ist komplex und dementsprechend komplex ist auch die Verhaltensänderung. D och es gibt eine R eihe
von Prinzipien, die – sofern sie beachtet
werden – zu sehr wirksamen Programmen führen. A ls praxiserprobter A nsatz bietet Social Marketing A nleitung
sowohl bei der Ausrichtung des Programmfokus, als auch bei der E ntwicklung konkreter, G ruppen-basierter
Massnahmen. D enn: Verhalten verändert sich nicht isoliert und individuell;
Veränderungen finden in sozialen Kontexten statt. U nd dort liegen die A nsatzpunkte für verhaltenswirksame
Massnahmen.
L iteratur:
– Social M ark eting to Protect the E nvironm ent: W hat Work s. D oug M cKenz ie-M ohr et al., 2012
– Fostering Sustainable B ehavior. D oug
M cKenz ie-M ohr, 2011
– Social M ark eting: Influencing B ehaviors for G ood. Philip Kotler et al.,
2008
Was ist sozial am Sozialen
Marketing?
Social Marketing verbindet Erkenntnisse
der Allgemeinen, Sozial-, Gesundheits- und
Umweltpsychologie mit Marketingtechniken. Seit den 1970er Jahren wird Social
Marketing zur Veränderung von Gesundheits- und Risikoverhalten angewendet
(Stop smoking, Don‘t drink and drive, 5
Portionen Obst und Gemüse pro Tag). Erst
seit den 90er Jahren wird auch Umweltverhalten beeinflusst (Anti-Littering, Bike to
Work, Licht aus, Kauf Recycling-Produkte).
In der Schweiz noch wenig bekannt, findet
dieser Ansatz in Gemeinden, NGOs als auch
Unternehmen in Grossbritannien, Kanada
oder Australien breite Anwendung.
Konventionelles und Soziales Marketing
unterscheiden sich vor allem dadurch:
• Verkauft wird kein spezielles Produkt,
sondern Verhalten allgemein (z.B. Velo
fahren).
• Gewinne entstehen nicht für die Wirtschaft, sondern für die Gesellschaft
(z.B. weniger CO2 -Emissionen).
• Die Segmentierung der Zielgruppe
erfolgt nach sozialen respektive gesellschaftlichen Problemen und Voraussetzungen (z.B. Klimawandel – Treibstoffverbrauch – Auto fahren).
• Wettbewerb findet nicht zwischen Produkten statt, sondern zwischen dem
gewünschten, nachhaltigen Verhalten
und dem aktuellen Konkurrenzverhalten (z.B. Velo statt Auto fahren).
1 – 2012, Umwelt Perspektiven, Postfach, 8308 Illnau
15
Herunterladen