Einführung in die Geschichte der islamischen Länder Gruppen und

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Einführung in die Geschichte der islamischen Länder
Gruppen und Schichten
Gliederung
1
Identität
2
Juristische Merkmale
2.1
Frauen
2.2
Nicht-Muslime
2.3
Sklaven
3
Status-Merkmale
3.1
Höherer Status durch Geburt
3.2
„Muslime zweiter Klasse“
3.3
Höherer Status durch Bildung
4
Ökonomische Merkmale
5
Zusammenschlüsse
1
Identität
Bei der historischen Analyse und Interpretation von Ereigniszusammenhängen gehen
wir davon aus, dass die Akteure (also: die historisch handelnden Subjekte) nicht bzw. nicht
nur Individuen sind, sondern dass diese Individuen immer auch Gruppen bilden, und dass
diese Gruppen in einem Abstraktionsprozess als historisch handelnde Subjekte aufgefasst
werden können. Dabei stellt sich die Frage, wie man solche Gruppen unterscheidet. Die
Erklärungen, die für gewisse Ereignisse angeboten werden, sind mehr oder weniger
plausibel, wobei der Grad der Plausibilität auch davon abhängt, wie sehr uns die zu Grunde
liegende Einteilung der beteiligten Personen in Gruppen als historisch handelnde Subjekte
überzeugt. Zum Beispiel werden wir Erklärungen, die auf der Einteilung der Menschen in
Rassen basieren, nicht akzeptieren, obwohl diese Einteilung vor gar nicht sehr langer Zeit
ganz üblich war. Erklärungen, die auf der Einteilung der Menschen in ökonomisch-politisch
bestimmte Klassen basieren, finden größere Akzeptanz, auch wenn viele das
Erklärungsmodell „Die Geschichte ist eine Geschichte von Klassenkämpfen“ nicht (mehr)
richtig finden. Ökonomische Interessen, so eine eher implizite Übereinkunft, leiten das
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Handeln der Menschen doch in einem großen Ausmaß. Erklärungen weiter, welche die
Menschen in Nationen oder Ethnien einteilen, werden ebenfalls von vielen akzeptiert, wobei
nicht immer Einvernehmen darüber besteht, was eine Nation oder Ethnie eigentlich ist und
für welche Perioden der Geschichte solche Erklärungen Gültigkeit beanspruchen können.
Jedes Individuum gehört zu einer großen Menge solcher Gruppen, die Menge all dieser
Zugehörigkeiten macht einen großen Teil der Identität eines Individuums aus. Nun sind diese
Zugehörigkeiten teilweise selbst bestimmt, teilweise zugeschrieben; nicht wenige werden
auch denken, dass viele Zugehörigkeiten objektiv gegeben seien. Die neueren Forschungen
gehen eher davon aus, dass Zugehörigkeiten insgesamt Konstruktionen sind, die nur sehr
teilweise objektiv gegeben sind. Berufsgruppen, Herkunftsgruppen, Altersgruppen: Alles
ändert sich im Laufe eines Lebens in vielen Fällen mehrmals, und es gibt sogar eine nicht
geringe Anzahl von Fällen, in denen eine so sehr vorbestimmt scheinende Zugehörigkeit wie
das Geschlecht sich ändert; im Übrigen sind Geschlechterrollen ja nicht nur biologisch,
sondern eben auch sozial geprägt und unterliegen daher ebenfalls den erwähnten
Aushandlungsprozessen.
Identität kann also gesehen werden als ein Bündel von selbst gewählten und definierten und
von außen zugeschriebenen Merkmalen; diese Merkmale sind gleichzeitig die Grundlage für
Gruppenzugehörigkeiten. Das ergibt zusammen genommen ein kompliziertes Bild. Dabei ist
nicht damit zu rechnen, dass ein Merkmal auf eine bestimmte, vorhersagbare Art und Weise
mit einem anderen korreliert. Jedenfalls darf eine solche Korrelation nicht a priori
angenommen werden. Beispiel: Ein privilegierter ökonomischer Status korreliert nicht direkt
mit einem privilegierten juristischen Status, weil auch Personen minderen Rechts, etwa
Sklaven, Frauen oder Nicht-Muslime, große Vermögen kontrollieren können.
Daher gehe ich im Folgenden nicht von einem Primat eines bestimmten Bereiches aus,
sondern untersuche die Merkmale einzeln.
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Juristische Merkmale
Das juristische Merkmal ergibt die Einteilung der Menschen in einer islamischen
Gesellschaft (bzw. in einer Gesellschaft, in der islamisches Recht gilt) in Personen vollen
Rechts (voll rechtsfähige Personen), Personen minderen Rechts und mehr oder weniger
nicht geschäftsfähige (rechtsfähige) Personen (die damit noch nicht rechtlos sein müssen).
Zu Beginn steht die juristische Gleichheit aller Muslime, die auf der Gleichheit der Menschen
vor Gott beruht. Daher manifestiert sich die juristische Gleichheit aller Muslime in ihrer
Gleichheit, was die religiösen bzw. gottesdienstlichen Pflichten angeht. Alle Muslime sind
verpflichtet, die fünf vorgeschriebenen Tagesgebete zu verrichten, die Almosensteuer zu
geben (wenn die Voraussetzungen der Steuerpflicht vorliegen), das Fasten im Ramaḍān
einzuhalten und, wenn sie physisch und finanziell dazu in der Lage sind, zumindest einmal in
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ihrem Leben die Ḥaǧǧ zu vollziehen. Darüber hinaus gehende Pflichten, wie z.B. das
Almosengeben am Ende des Ramaḍān (ṣadaqat al-fiṭr) betreffen ebenfalls alle Muslime,
unabhängig von ihrem sonstigen juristischen Status. Weil die gottesdienstlichen Pflichten für
alle Muslime gelten, gilt auch das Heilsversprechen in gleicher Weise für alle: Es gibt kein
Extra-Paradies und keine Extra-Hölle für bestimmte Gruppen; das Jenseits-Schicksal richtet
sich – in Gottes Gnade und nach Seinem Ratschluss – allein nach der Frömmigkeit des
Muslims und der Muslima. (Gleichwohl sind die volkstümlichen Vorstellungen vom Paradies
stark von männlichen Phantasien geprägt.)
Von dieser Gleichheit der Muslime Gott gegenüber zu unterscheiden ist der ungleiche
juristische Status der Muslime (bzw. der Menschen in Gesellschaften, in denen islamisches
Recht gilt) in den Rechtsgeschäften unter Menschen. Voll rechtsfähig sind dann nur noch
erwachsene gesunde männliche freie bzw. frei geborene Muslime. Jedes Wort in diesem
Ausdruck verweist durch sein Gegenteil (Antonym) auf eine Gruppe, die eben nicht voll
rechtsfähig ist. Relativ rasch kann man sich verständigen über die Kriterien „erwachsen“ und
„gesund“: Kinder (Minderjährige, auch Knaben) sind nicht voll geschäftsfähig; sie können
wohl Eigentum haben, aber z.B. keine Verträge schließen. Bei „gesund“ ist an das Antonym
„geistig behindert“ zu denken; der Rechtsstatus des geistig Behinderten oder Verwirrten ist
eine komplizierte Sache, weil auch die Lage von Personen diskutiert wird, die bald im
Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, bald nicht. Die übrigen Kriterien „männlich“, „frei bzw.
frei geboren“ und „Muslim“ sollen nun ein wenig ausführlicher erörtert werden.
2.1
Frauen
Muslimische Frauen verfügen nicht in jeder Hinsicht über gleiche Rechte wie
muslimische Männer. In vielen Punkten handelt es sich bei dieser Position minderen Rechts
um eine Verbesserung gegenüber dem Status der Frauen vor dem Islam. Ich nenne einige
Beispiele:
-
Vor Gericht gilt das Zeugnis von Frauen nur halb so viel wie das eines Mannes.
Da der Zeugenbeweis (ein Beweis wird in der Regel durch zwei unbescholtene
voll rechtsfähige muslimische Männer als Zeugen erbracht) für das gesamte
islamische Prozesswesen von hoher Bedeutung ist, ist dies keine Bagatelle.
-
Im Erbrecht: Frauen in gleicher verwandtschaftlicher Position zum Erblasser
erben nur halb so viel wie die entsprechenden männlichen Erben. Diese Position
als Erbin hat es nach vielen Überlieferungen vor dem Islam nicht gegeben.
-
Ehe- und Scheidungsrecht: Die Initiative zur Eheschließung geht in der Regel
vom Mann aus (in der Praxis aber oft von den Eltern der zu Verheiratenden,
wobei der junge Mann ebenso wenig gefragt wird wie die zukünftige Braut). Die
Scheidung auf Verlangen der Frau macht in jedem Fall ein kompliziertes
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Verfahren erforderlich, während die Scheidung auf Verlangen des Mannes sehr
einfach zu bewerkstelligen ist (wobei dies nur die juristische Seite betrifft – oft
steht soziale Kontrolle gegen den Wunsch eines Mannes, seine Ehe zu beenden).
-
Bestimmte Positionen oder Karrieren, wie etwa die des Richters, sind Frauen
verschlossen (das gilt im islamischen Recht bis heute, muss aber für die
säkularen Rechtssysteme in islamischen Ländern nicht gelten). Andere
Tätigkeitsfelder, etwa die Wissenschaft (auch die islamischen Wissenschaften
einschließlich Koranwissenschaften) stehen Frauen offen. Es gibt in den
Sammlungen von Überlieferungen vom Propheten eine ganze Menge Frauen,
und in den entsprechenden Biographie-Sammlungen kommen auch Frauen vor.
In einem der frühesten und berühmtesten Werke dieser Art, dem „Großen Buch
der Generationen“ Kitāb aṭ-ṭabaqāt al-kabīr des Ibn Saʿd etwa ist einer von acht
Bänden den Frauen gewidmet.
-
Die Position der Frau in der Öffentlichkeit bedarf für weite Strecken der
islamischen Geschichte noch spezieller Untersuchungen. Da die Quellen ganz
überwiegend von Männern für Männer geschrieben worden sind, gibt es auf den
ersten Blick wenig Material über Frauen; dieses muss gesucht und kann in
einigen Fällen auch gefunden werden. Dabei wäre immer zwischen Stadt und
Land, zwischen Reich und Arm, zwischen Nomaden und Sesshaften zu
unterscheiden, auch regionale Differenzen müssten berücksichtigt werden. „Die
Frau im Islam“ ist natürlich eine Chimäre – was sich allgemein untersuchen lässt,
ist wahrscheinlich doch eher der Rechtsstatus von Frauen, und auch da wäre,
wenn möglich, eine Untersuchung über die praktische Seite anzufügen. Denn es
ist ja nicht gesagt, dass die Rechte, welche Frauen nach der Rechtslehre
zustehen, auch in der Praxis selbstverständlich sind. Es ist z.B. nicht sicher, ob
Frauen die ihnen nach dem Erbrecht aller Rechtsschulen zustehenden Anteile
auch immer oder jedenfalls in der Regel erhalten haben.
Es gibt auf der anderen Seite große Bereiche, in denen Frauen voll geschäftsfähig sind. Sie
können Eigentum haben, sie können über dieses Eigentum verfügen, also z.B. es verkaufen,
verschenken, stiften oder vererben, sie können Verträge jeder Art schließen, wenn auch in
der Praxis oft durch einen Vertreter.
2.2
Nicht-Muslime
Personen minderen Rechts sind ferner die Nicht-Muslime, die andererseits sehr wohl
zur muslimischen Gesellschaft gehören. Anders als die Gesellschaften des europäischen
Mittelalters haben die muslimischen Gesellschaften sehr schnell, noch in der Phase der
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Eroberung(en), Formen entwickelt, in denen das Zusammenleben von Angehörigen der
herrschenden Religion und den Angehörigen anderer Religionen geregelt wurde. Dass es
wirklich ein Zusammenleben war, sieht man an den Umgangs-Vorschriften: Anders als etwa
im indischen Kontext ist gemeinsames Essen von Angehörigen unterschiedlicher Gruppen
dem Grunde nach möglich (Kommensalität), bei den Möglichkeiten der Eheschließung
(Konnubium) sieht es etwas anders aus: Die Heirat muslimischer Frauen mit nichtmuslimischen Männern ist grundsätzlich ausgeschlossen, andersherum möglich, aber nicht
gern gesehen. Es gab in den ersten Jahrhunderten zahlreiche Firmenpartnerschaften, wo
Muslime und nicht-muslimische Partner ein Geschäft oder eine Werkstatt gemeinsam
betrieben. Das hat den Vorteil, dass an den Feiertagen jeweils einer Gruppe das Geschäft
weitergehen kann.
Wohngebiete waren oft eher getrennt, d.h. es gab christliche, jüdische und muslimische
Viertel. Das konnte aber von Stadt zu Stadt sehr verschieden sein. Untersuchungen über
Damaskus haben ergeben, dass die Christen dort überwiegend in eigenen Vierteln lebten;
für Städte in Anatolien (allerdings in viel späteren Perioden) gilt eine gemischte Lage:
Christen, Juden und Muslime teilten sich die gleichen Viertel.
Die „Schutzbürger“ (Sg. ḏimmī) hatten einen gut definierten Rechtsstatus. Allerdings machte
dieser Status sie zu Bürgern zweiter Klasse, Bürger, aber zweiter Klasse. Zunächst einige
der Privilegien bzw. Status-Sicherungen, die den ḏimmīs zukommen:
-
Sicherheit der Person und des Besitzes. Sie sind nicht vogelfrei, das haben schon
die ersten Verträge mit Städten während der Eroberungszeit klargemacht.
-
Sicherheit der Religionsausübung. Die von Nicht-Muslimen unterhaltenen
Kultstätten, also Kirchen, Klöster, Synagogen und zoroastrische Tempel
einschließlich der ggf. mit ihnen verbundenen Schulen, Skriptorien usw. haben
eine Bestandsgarantie. Allerdings sind Neubauten verboten. Der Wiederaufbau
von durch Feuer, Erdbeben oder einfach Alter zerstörten Bauten ist
problematisch. – Verboten ist die Missionstätigkeit, das gilt in manchen Fällen
nicht nur Muslimen gegenüber (für Muslime ist der Übertritt zu einer anderen
Religion ein schweres Verbrechen), sondern auch z.B. anderen christlichen
Gemeinden gegenüber. Aus diesem Grund dürfen auch keine Personen in die
Gemeinden aufgenommen werden, die zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens
Muslime waren (das kann schwer werden bei Waisen oder Findelkindern, wo man
die Eltern nicht kennt).
-
Religiöse und rechtliche Autonomie. Die nicht-muslimischen Gemeinden regeln
ihre inneren Angelegenheiten selbst. Sie betreiben ihre Hierarchien (falls
vorhanden) ohne Einmischung von muslimischer Seite, d.h. sie bestimmen ihre
Bischöfe, Rabbiner und Oberrabiner sowie zoroastrische Priester (herbāḏ und
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mobāḏ) nach den jeweils geltenden Regeln. Rechtsangelegenheiten, die nur
Angehörige der jeweiligen Gemeinde betreffen, werden intern geregelt. Das
betrifft auch privatrechtliche und familienrechtliche Dinge, wie z.B.
Eheschließungen, Scheidungen, Erbfälle usw.
Ich benenne einige der besonderen Vorschriften, denen sie unterlagen und die man heute
als diskriminierend bezeichnen würde.
-
Prozessrecht: Das Zeugnis von Nicht-Muslimen vor Gericht galt ebenso wie
dasjenige muslimischer Frauen nur halb so viel wie das muslimischer Männer. Sie
waren allerdings (wieder ähnlich wie die muslimischen Frauen) voll rechts- und
geschäftsfähig.
-
Steuerrecht: Nicht-Muslime brauchten solche Abgaben nicht zu leisten, die für
Muslime gleichzeitig als religiöse Pflicht gelten (zakāt). Stattdessen sind sie mit
der Kopfsteuer für Nicht-Muslime beschwert, der ǧizya. Die ursprüngliche
Bedeutung von ǧizya scheint allgemein „Abgabe, Tribut“ gewesen zu sein, aber
wegen des Vorkommens des Begriffs im Koran im Zusammenhang mit NichtMuslimen (Koran 9:29) hat sich die Bedeutung „Kopfsteuer für Nichtmuslime“
herausgebildet. – Über die relative Höhe der ǧizya gibt es keine allgemeinen
Angaben. Die Steuer scheint sehr unterschiedlich gehandhabt worden zu sein,
von ganz kleinen Beträgen bis zu ruinösen Forderungen. – Zu Anfang war auch
die Boden/Erntesteuer ḫarāǧ nur von Nicht-Muslimen zu entrichten, das wurde
aber noch im ersten Jahrhundert der Hiǧra geändert.
-
Religionsausübung: Die Religionsausübung unterliegt Beschränkungen, von
denen einige schon benannt worden sind (Verbot der Missionstätigkeit, Verbot
des Neubaus von Kultstätten). Weiter sind alle Aktivitäten zu vermeiden, die eine
Präsenz der jeweiligen Religion im öffentlichen Leben verstärken würden: Es darf
nicht laut zum Gottesdienst gerufen werden (im Orient benutzen christliche
Kirchen keine Glocken, sondern Klanghölzer). Prozessionen, bei denen Abbilder
christlicher Heiliger mitgeführt werden, sind ebenfalls problematisch. – Diese
Vorschriften sind, wie die übrigen einschränkenden Regelungen auch, nicht
immer eingehalten worden. In manchen Regionen und zu manchen Zeiten, so
etwa in Ägypten über lange Perioden, erfreuten sich christliche Feste (etwa das
Epiphanias-Fest) großer Beliebtheit, und es war üblich, dass sich auch die
Muslime daran beteiligten.
-
Kleidervorschriften und Verwandtes: Nicht-Muslime sollten, so die Theorie, sich in
ihrer Kleidung von Muslimen unterscheiden. Die Absicht dabei ist zu Anfang wohl
eher, dass sich die Muslime nicht an die modischen Gewohnheiten der Christen,
Juden und Zoroastrier anpassen sollten. Später war diese Regelung auch
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diskriminierend gemeint. Zur Kleidung der Nicht-Muslime gehörte ein besonderer
Gürtel. Die Angehörigen der nicht-muslimischen Religionen sollten bestimmte
Abzeichen tragen, Christen etwa ein Kreuz, Juden eine Kugel; gelegentlich war
deren Größe vorgeschrieben, und die Abzeichen sollten sogar im Bad getragen
werden. Nicht-Muslime durften keine Waffen tragen und keine Pferde reiten
(sondern Esel oder Maultiere).
-
Speisevorschriften: Für Muslime anstößige bzw. verbotene Speisen und Getränke
wie Wein für Juden und Christen und Schweinefleisch für Christen sollen nicht
öffentlich angeboten werden. Die Herstellung und der Verkauf solcher Waren an
Personen, denen der Verzehr erlaubt ist, wird aber nicht unterbunden. Der
zoroastrische Kneipier ist in der persischen Dichtung ein Topos.
Für alle differenzierenden Merkmale und Einschränkungen gilt, dass sie regional und zeitlich
sehr unterschiedlich gehandhabt worden sind. Man liest immer wieder davon, dass jemand
auf die strenge Einhaltung dieser Vorschriften Wert gelegt habe, und schließt aus dieser
Mitteilung, dass es wohl bis dahin so streng nicht zugegangen sei.
Insgesamt ist der Status ḏimmī (nicht-muslimischer „Schutzbürger“) ein klar definierter.
Außer dem juristischen Status wissen natürlich die Leute in der Nachbarschaft, wer im
Viertel Muslim ist und wer nicht. Aber all dies konstituiert kein grundlegend anderes
Verhalten. Die Unterschiede gingen nicht immer und nicht überall so weit, dass die Gruppen
sich voneinander hätten absetzen wollen. Daher kann man sagen, dass die nichtmuslimischen Gruppen in der Regel gut in die Gesellschaft integriert waren. Dafür spricht
auch, dass man eine Tendenz feststellen kann, den Status ḏimmī auch auf solche Gruppen
auszudehnen, für die er möglicherweise ursprünglich nicht gedacht war, nämlich auf solche
religiösen Gemeinschaften, die nicht monotheistisch waren (das gilt schon für die
Zoroastrier, die aber klar erkennbar ein „heiliges Buch“ haben und daher zur Not als
„Schriftbesitzer“ aufgefasst werden können), besonders später hinsichtlich der Lage in
Indien. Sogar Normannen und Wikinger, sofern sie unter islamische Herrschaft gerieten,
kamen in die Kategorie – hier ist ein Buch und dessen Besitz offenbar nicht mehr wichtig, es
zählt die Praktikabilität des juristischen Konzepts.
2.3
Sklaven
Personen minderen Rechts sind weiterhin die Sklaven, von denen schon gelegentlich
die Rede war, vor allem in dem Sinn, dass wir uns bei der Sklaverei in der Geschichte der
islamischen Länder von den Vorstellungen lösen müssen, die sich mit der
Plantagensklaverei der Antike bzw. Nordamerikas und der Karibik verbinden. Für die
Sklaven gilt ebenso wie bei den Nicht-Muslimen, dass es unter ihnen sehr reiche und
einflussreiche Personen geben kann, und das nicht unbedingt als die große Ausnahme. Bei
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Nicht-Muslimen ebenso wie bei Sklaven geht minderer juristischer nicht mit einem unteren
sozialen Status zusammen, jedenfalls nicht unbedingt. Es gibt im Sklavenrecht eine ganze
Menge von Regelungen, die auch die Geschäftsfähigkeit von Sklaven sichern (es gibt
Sklaven, die sich den eigenen Kaufpreis erarbeiten können, sie werden z.B. als KarawanenHändler eingesetzt). Die Freilassung von Sklaven gilt als eine fromme Tat, so dass oft die
Freilassung aller oder etlicher Sklaven beim Tod des Herrn verfügt wurde. Für eine Menge
der Dynastien – so auch der ʿAbbāsiden – gilt, dass die Herrscher fast nur noch mit
Sklavinnen verheiratet wurden, die in dem Moment, wo sie ein Kind bekamen, die Freiheit
erlangten (das ist ein spezieller Status für Sklavinnen, die Mutter werden). Die Freilassung
eines Sklaven kann auch als Sühneleistung erfolgen, wenn man gottesdienstliche Pflichten
nicht erfüllt hat oder z.B. einen Schwur nicht hat halten können.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass Sklaven „noch nicht Freigelassene“ sind. Dennoch ist
die Sklaverei ein prägendes Merkmal islamischer Gesellschaften bis in die Neuzeit, ja bis in
die Gegenwart geblieben, und hier ist ganz besonders zu fragen, ob bzw. in welchem
Umfang die rechtlichen Regelungen auch die alltägliche Praxis prägten.
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Status-Merkmale
Wir wenden uns nun den Status-Unterschieden zwischen freien männlichen
Muslimen zu. Diese entsprechen keinen juristischen Unterschieden mehr, denn in der
juristischen Theorie sind alle erwachsenen gesunden freien männlichen Muslime gleich. Es
gibt dennoch Sonder-Positionen, die im Übrigen in einigen Fällen auch eine
Rechtsgrundlage haben.
3.1
Höherer Status durch Geburt
Mehrere Gruppen nehmen durch Geburt einen höheren Status ein. Dazu gehören
zunächst die Nachkommen des Propheten, d.h. die Nachfahren der Propheten-Enkel alḤasan und al-Ḥusain, der beiden Söhne der Prophetentochter Fāṭima. Diese Gruppe wird
saiyid genannt, pl. sādāt oder sāda, eine andere Bezeichnung ist šarīf, pl. ašrāf oder –
nordafrikanisch – šurafāʾ. Dieser höhere Status bezieht sich nicht auf Prozessrecht, Erbrecht
o. dgl., aber sie haben das Recht auf Einkünfte aus der Staatskasse, dafür gibt es sogar eine
koranische Grundlage. Sie genießen überall in der islamischen Welt ein besonderes Prestige
(nach dem Prinzip des prophetischen nasab), das sich durchaus auch materiell bemerkbar
machen kann. Wegen dieser Privilegien hat es recht früh bereits Einrichtungen gegeben, die
Zugehörigkeit zu dieser Gruppe zu kontrollieren, d.h. vor allem, Stammbaum-Fälscher zu
entlarven. Diese Tätigkeit konnte auch in ein Amt formalisiert werden, dessen Inhaber naqīb
genannt werden; die Übersetzung „Adelsmarschall“, die man gelegentlich antrifft, ist aus
einer Reihe von Gründen nicht besonders glücklich. Es kann davon ausgegangen werden,
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dass auf diese Weise das Fälschen der Stammbäume erheblich erschwert worden ist, da die
bereits anerkannten Nachkommen des Propheten wenig Neigung verspürt haben dürften,
ihre Privilegien mit anderen zu teilen. Diese Selbstorganisation der Nachkommen des
Propheten umfasste auch ein gewisses Ausmaß an interner Gerichtsbarkeit, insbesondere
hatte der naqīb auch darüber zu wachen, dass die Familien sich entsprechend betrugen. Es
gibt bei solchen Familien auch eine Tendenz zur Endogamie, also zur Heirat ausschließlich
in Saiyid-Familien – das erleichtert die Kontrolle über die Stammbäume und führt zu einer
noch stärkeren Betonung der Abstammung.
Eine ganz parallel dazu zu denkende Institution bestand während des ʿabbāsidischen
Kalifats für die Mitglieder der ʿabbāsidischen Familie; auch sie hatten einen naqīb.
In abgeschwächter Form – und ohne die Ansprüche auf Leistungen aus der Staatskasse,
weil dafür jede Grundlage fehlt – haben auch die Nachkommen der ersten drei Kalifen ein
höheres Prestige durch Geburt (die Nachkommen des vierten Kalifen, ʿAlī b. Abī Ṭālib,
gehören zu den Saiyids). In nicht-arabischen islamischen Ländern, etwa in Mittelasien oder
auf dem indischen Subkontinent und in Indonesien, kann durch eine solche Abstammung –
oder durch Abstammung von Arabern im allgemeinen – ein höherer Status behauptet
werden.
Ich beschränke mich hier auf diese wenigen Punkte. Es ist aber klar, dass sowohl im
arabischen Tribalismus als auch weit außerhalb davon Abstammung von berühmten
Vorfahren oft einen Prestigegewinn mit sich bringt. In tribalen Zusammenhängen, durchaus
nicht nur bei Arabern, sondern auch bei Berbern, Turkmenen und Kasachen, um nur einige
zu nennen, gibt es gelegentlich Familien oder Gruppen von Familien, die als über der
tribalen Ordnung stehend gedacht werden. Diese Familien sind oft solche, die eine der hier
aufgeführten Abstammungen für sich in Anspruch nehmen.
Rechtfertigt diese Beobachtung, dass Abstammung auch Prestige und Privilegien
verschaffen kann, dass man von einem „Adel“ spricht? Die Frage stellen heißt sie verneinen.
3.2
Muslime „zweiter Klasse“
Hier geht es nicht um höheres, sondern eher um niedrigeres Prestige, auch wenn
dies nicht mit einem inferioren juristischen Status einher gehen muss. Solche Phänomene
sind schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt feststellbar und haben eine große historische
Wirkung entfaltet, obwohl sie in der religiös-juristischen Theorie natürlich nicht vorgesehen
sind. In den entsprechenden Status-Aufteilungen spielt das sābiqa-Prinzip eine wichtige
Rolle: Das Merkmal, ein besonders guter Muslim zu sein, wird durch die besonders frühen
Verdienste um den Islam definiert. Das entspricht der Ansicht, dass juristische Ungleichheit
unter männlichen freien Muslimen nicht zulässig sei, wohl aber eine Abgrenzung des
Ansehens nach der persönlichen Frömmigkeit.
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Der erste Fall von „Muslimen zweiter Klasse“ betrifft bereits die umma von Medina. Die
Hiǧra-Teilnehmer von den Quraiš, die muhāǧirūn, hielten sich für bessere Muslime als die
„Helfer“ von Medina, die anṣār. Dies zeigte sich u.a. bei der Nachfolgeregelung nach
Muḥammads Tod: Die muhāǧirūn konnten ohne große Probleme ihre Ansicht durchsetzen,
der Kalif müsse aus den Quraiš kommen. Das beruht auf der „Zweitklassigkeit“ der anṣār
und unterstreicht die „Erstklassigkeit“ der muhāǧirūn. Diese Differenz wurde dann in spätere
Generationen hinein transportiert.
Es hat außerdem in der frühen islamischen Geschichte immer wieder Gruppen gegeben, die
von ihrem Status her zumindest eine Zeit lang als zweitklassig angesehen wurden: die
Beduinen; die nach der ersten Welle der Eroberung in die eroberten Gebiete nachrückenden
Araber, die nicht an den Kämpfen beteiligt gewesen waren; später die mawālī und überhaupt
solche, die bzw. deren Familien noch nicht so lange Muslime waren. Diese Unterschiede
wurden in einigen Fällen auch juristisch gefasst (etwa bei der Diskriminierung der mawālī in
Steuerfragen) oder es gab andere ökonomische Konsequenzen (etwa bei der Einordnung
von Kämpfern in die Heeres- und Soldrolle). Mit diesen Diskriminierungen haben sich die
„Zweitklassigen“ in der Regel nicht einfach abgefunden (anders als mit den Privilegien für die
Nachkommen des Propheten); sie haben vielmehr in vielfältiger Weise, etwa durch
Nachholen der Verdienste für den Islam, aber auch durch Proteste und regelrechte
Aufstandsbewegungen, versucht, ihre Lage den „erstklassigen“ Muslimen anzupassen.
Auch diese Statusunterschiede entsprechen nicht direkt ökonomischen Unterschieden. Es
gibt auch ganz arme Saiyids. Und Reichtum führt nicht unmittelbar zu höherem Ansehen –
dazu gehört eine bestimmte Art, den Reichtum zu verwenden, etwa durch Investieren in
islamische Bildung, sei es der eigenen Person, sei es auf dem Umweg der Finanzierung von
Bildungseinrichtungen.
3.3
Höherer Status durch Bildung
Vielleicht genießen in allen Gesellschaften, in denen Bildung – und schon das
einfache Lesen und Schreiben – keine Selbstverständlichkeit ist, die Gebildeten ein
besonderes Prestige. In der Geschichte der islamischen Länder spielen die Gelehrten eine
ganz besondere Rolle. Prestige durch Bildung kann man erwerben: Wer den Koran zu
rezitieren weiß oder ihn sogar auswendig kann, ist ein gefragter Mann (die Koran-Rezitation,
und zwar die öffentliche, spielt bei vielen Anlässen eine große Rolle, von den Rezitationen im
Ramaḍān bis hin zur Totenfeier). Gelehrsamkeit galt vielen als ein Ziel an sich, und der
Prophet hat den Erwerb von Wissen, so wollen es viele Überlieferungen, für Männer und
Frauen in gleicher Weise zur Pflicht gemacht; man solle, so heißt es, das Wissen überall
suchen, und sei es auch an abgelegenen Orten wie China. Das Reisen auf der Suche nach
Wissen ist eine wichtige Aktivität – die kulturelle Einheit der islamischen Welt, von der über
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mehrere Jahrhunderte ausgegangen werden kann, zumindest was die Gebildeten angeht, ist
ohne sie kaum vorstellbar. Gelehrt zu sein führte eher zu hohem Ansehen als reich zu sein,
und berühmte Gelehrte konnten, wenn sie zu Besuch in eine fremde Stadt kamen, erwarten,
dass sie ein großes Publikum hatten. Wieviel Bildung allerdings dazu gehört, um als ein
Gelehrter zu gelten, schwankt sehr stark und ist natürlich auch subjektiv.
Aber es ist nicht allein islamische Bildung, die ein hohes Ansehen verschaffen kann. Ich
hatte die adab-Kultur erwähnt, ein Verhaltensideal, zu dem auch gehört, was man liest und
erzählt, was man weiß und studiert: Feine Literatur, Poesie und Sprachwissenschaft neben
den Grundlagen des Islam. Der Literat, vor allem der Dichter, ist ebenso wie der Gelehrte
eine angesehene Figur, und das Dichten aus dem Stegreif gehört für alle Gebildeten (bis
heute) einfach dazu.
Besonders aber die islamische Bildung ist ein wichtiger Faktor für soziale Mobilität.
Keineswegs alle berühmten Gelehrten entstammen Gelehrten-Familien, auch wenn es
solche natürlich gibt, und auch wenn die wichtigsten Ämter, die für Gelehrte zu vergeben
sind, etwa das Richteramt oder Professuren, sich nicht selten in der Hand von einigen
wenigen Familien befinden.
Der arme Gelehrte und der Dichter am Bettelstab sind natürlich festgefügte literarische
Figuren – sie zeigen, dass das Bildungs-Kriterium und ökonomischer Status nicht direkt
zusammen gehören.
4
Ökonomische Merkmale
Die wichtigste Einkommensquelle ist fast immer und fast überall die Landwirtschaft.
Man könnte die Menschen danach einteilen, ob sie über Einkünfte aus Landwirtschaft
verfügen oder ob sie umgekehrt solche erwirtschaften müssen. Dabei soll aber gleich davor
gewarnt werden, nun einen Klassengegensatz zwischen Großgrundbesitzern und landlosen
Bauern konstruieren zu wollen. Die Verhältnisse sind, soweit man das ermitteln kann,
deutlich komplizierter.
Die Formen, in denen Personen, Familien oder Institutionen über Einkünfte aus
Landwirtschaft verfügen können, sind möglicherweise so verschieden, dass man von einer
einheitlichen Schicht derjenigen, die über solche Einkünfte verfügen, nicht sprechen kann.
Es geht auch gar nicht in allen, vielleicht nicht einmal in den meisten Fällen um Besitz.
Einkünfte können vom Staat bzw. vom Herrscher verliehen werden, sie können auch wieder
entzogen werden. Die Einkünfte können sich aber auch so fest in der Hand einer Familie
befinden, dass man für praktische Zwecke von einer Art Privateigentum ausgehen kann. Die
Einkünfte können ferner aus Stiftungen erwachsen und entweder einer Institution (wie einer
Moschee, einer Madrasa oder einem Heiligengrab) oder einer Familie oder einer Mischung
von beidem zufließen. Diese verschiedenen Formen bedingen einen unterschiedlichen
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Umgang mit dem Land und den Bauern, von denen diese Einkünfte stammen. Am ehesten
ist pfleglicher Umgang mit dinglichen und personellen Ressourcen bei Privateigentum zu
erwarten, so wird es von manchen mittelalterlichen Autoren auch benannt. Bei verliehenen
Einkünften ist dagegen mit Bestrebungen zu rechnen, den Boden und die Menschen, die ihn
bearbeiten, über Gebühr zu beanspruchen. Stiftungen haben aus einer Reihe von Gründen
eine inhärente Neigung zur Vernachlässigung (weil sie dem Markt jedenfalls theoretisch auf
Dauer entzogen sind).
Gleichzeitig konstituiert die Eigenschaft, Einkünfte aus Landwirtschaft zu erhalten, kein
besonderes politisches Verhalten; einer ökonomisch möglicherweise feststellbaren Gruppe
entspricht also nicht eine wie auch immer definierbare politische Ausrichtung. Zu diesem
Thema ist aber insgesamt noch viel zu forschen: Man hat sich vielleicht zu lange Zeit damit
aufgehalten, die Parallelen und Unterschiede zum europäischen Feudalismus
herauszuarbeiten; eigenständige Quellenstudien sind eher selten (und es muss zugegeben
werden, dass es nicht leicht ist, Quellen zu finden, die zu diesem Thema Aussagen
ermöglichen).
Neben Einkünfte aus Landwirtschaft treten solche aus Handel, besonders dem Fernhandel,
Karawanenhandel und Seehandel. Dies ist etwas besser untersucht. Die einschlägigen
Untersuchungen haben aber ergeben, dass Großhändler sich nicht als solche organisiert
haben, sondern eher in der Familie blieben. Persönliche Verhältnisse werden bevorzugt.
Nach „Gilden“ hat man lange gesucht – vergeblich. Das politische Gewicht von Fernhändlern
lässt sich als solches gar nicht abfragen, da diese Leute, auch wenn sie als Individuen
einflussreich sind, es in der Regel vorziehen, nicht als Kaufleute, sondern als islamische
Gelehrte in Erscheinung zu treten – zwei Milieus, die in vielfältiger Weise miteinander
verflochten sind.
Die ökonomisch weniger privilegierten Gruppen, Bauern und Handwerker, trifft man in den
frühen Jahrhunderten in den Quellen nur sehr selten an, und daher ist es kaum möglich,
über sie etwas zu sagen. Klar scheint zu sein, dass es vor der Mongolenzeit keine
besonderen Handwerker-Organisationen gegeben hat, die man etwa mit den europäischen
„Zünften“ vergleichen könnte – auch danach hat man, vergeblich, lange gesucht (diejenigen,
die meinten, so etwas gefunden zu haben, sind ziemlich eindeutig widerlegt). Handwerker
organisieren sich nach ihrer Nachbarschaft auf dem Basar, wo in der Regel ein Handwerk
eine Ladenzeile einnimmt, die Silberschmiede für sich, die Kupferschmiede für sich, die
Nagelschmiede für sich und so weiter.
5
Zusammenschlüsse
Es sollte deutlich geworden sein, dass es wenig Sinn hat, nach „Schichten“ in einem
modernen soziologischen Sinn zu suchen; durch moderne Schichtenmodelle werden
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ökonomische Faktoren in einer Weise privilegiert, die für das Verständnis vormoderner
islamischer Gesellschaften möglicherweise wenig hilfreich ist. Gruppen ließen sich
nachweisen, und zwar in einem juristischen Sinn am ehesten (mit relativ deutlichen
Abgrenzungen und klaren Aussagen darüber, was der Unterschied zwischen der einen und
der anderen Gruppe ist). Daneben traten Status-Unterschiede, von denen mindestens einige
auch relativ klare Konsequenzen haben; bei den Status-Unterschieden auf Grund von
Bildung aber ist die Grenze zwischen „drin“ und „nicht drin“ kaum noch zu ziehen.
Es gibt außer den besprochenen Einteilungen noch weitere, die hier nur kurz erwähnt
werden sollen. Auf die Rechtsschulen in der sunnitischen Welt komme ich bei der
Entwicklung des Rechts noch zu sprechen. Die mystischen Organisationen, die SufiBruderschaften, bilden sich erst kurz vor der mongolischen Eroberung heraus und werden
daher erst später behandelt. Die Richtungen der Schia, ebenfalls Gruppen, kommen
ihrerseits am dafür vorgesehenen Ort vor.
Hier soll es noch um städtische Parteiungen gehen, die man mit den italienischen Guelfen
und Ghibellinen verglichen hat, oder mit den byzantinischen Zirkus-Parteien, den „Grünen“
und den „Blauen“. Die Parteiungen teilen die Stadt in zwei meist relativ gleich große Teile,
sie werden daher auch englisch moieties genannt. Wie sie entstanden sind, weiß man nicht
genau. Sie sind in Iran ab spätestens dem 10. Jahrhundert nachweisbar, können aber älter
sein. Als eine Vorform wird gelegentlich der Konflikt zwischen Qais und Yaman benannt, der
sich im Gewand des arabischen Tribalismus darstellt; ebenso werden später Differenzen
zwischen Rechtsschulen oder theologischen Richtungen als Einkleidungen der innerstädtischen Konflikte bemüht. An manchen Stellen heißt es aber in den Quellen eindeutig,
diese Konflikte hätten mit Rechtsschulen nichts zu tun. In späterer Zeit, vermutlich aber
schon von Anfang an, ist die Zugehörigkeit zu den Parteiungen durch den Wohnort gegeben;
ein bestimmtes Stadtviertel gehört eben zu der einen Partei, ein anderes ebenso
unhinterfragt zu der anderen. Die Parteien konkurrieren bei Festen und bei anderen
Anlässen um Ansehen und Prestige, zu fest liegenden Terminen können gewaltsame
Auseinandersetzungen zwischen den jungen (aber nicht nur den jungen) Männern der
beiden Parteiungen vorgesehen sein, die, wenn es gut geht, in dem rituell vorgegebenen
Rahmen bleiben. In manchen Fällen hat die Parteiung in der Stadt aber zu so heftigen
Auseinandersetzungen geführt, dass man den regelrechten Untergang der Stadt (etwa durch
einen Großbrand mit nachfolgender Eroberung durch äußere Feinde) mit diesen
Auseinandersetzungen erklärt hat (die ostiranische Metropole Nīšāpūr etwa ist im 12.
Jahrhundert durch diese Auseinandersetzungen so geschwächt worden, dass die Stadt
selbst aufgegeben wurde).
Es handelt sich also nicht um Randphänomene, sondern um ein bestimmendes Element im
städtischen Leben in vielen Regionen der islamischen Welt; neben Iran ist auch Syrien zu
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nennen, daneben Andalusien, und auch die Hauptstadt des Kalifats, Bagdad, kannte ein
ähnliches Phänomen (allerdings waren es dort religiös definierte Gruppen, besonders die
Schiiten und die Hanbaliten, die den Konflikt schürten und trugen). Bemerkenswert ist, dass
die Parteiungen sich in keiner Weise in einen Zusammenhang mit ökonomischen oder
anderen materiellen Faktoren bringen lassen. Man vermutet die gleiche Struktur auf beiden
Seiten.
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