Same, same…but different Medizinische Hilfe für Flüchtlinge Herbsttagung 2016 Bundesverband Beschwerdemanagement für Gesundheitseinrichtungen e. V. Dr. med. Daniel Schachinger, MBA Chefarzt Zentrale Notaufnahme DRK Kliniken Berlin [email protected] Inhalt Eine Auswahl der wichtigsten „importierten“ und sonstigen Infektionskrankheiten, die bei Asylsuchenden auftreten können Eine Auswahl an Erkrankungen, die entweder „importiert wurden“ oder sich asylsuchende Menschen in Deutschland zuziehen können Infektiologische Aspekte in Flüchtlingsunterkünften 2 Was erwartet den Gesundheitsdienst? Viele ungeklärte Fragen Oftmals erschöpfte Flüchtlinge Mangel/Fehlernährung Streß und Traumatisierung Sprachliche Barrieren, kulturelle Besonderheiten, Verunsicherung, Angst … Klärung der Frage nach Heimatland & Flüchtlingsroute Prinzipiell ähnliche Erkrankungen wie unsere Bevölkerung: „Häufige Krankheiten sind häufig“ Gastroenteritis, „Grippale Infekte“, Bluthochdruck, Gastritis, Wunden, Verletzungen, Diabetes mell. und weitere … 3 Die häufigsten „importierten“ Infektionskrankheiten http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2015/Ausgaben/38_15_Artikel_Asylsuchende.pdf?__blob=publicationFile 4 Tuberkulose Erreger: Mykobacterium tuberkulosis Übertragung/Inkubationszeit: aerogen/Tröpfcheninfektion. 3-6 Wochen nach Infektion bildet sich Primärkomplex in der Lunge. Symptome: V.a. Lungentuberkulose (seltener Organ (Haut-) tuberkulose). Primärtuberkulose oft ohne Krankheitszeichen. Bei Abwehrschwäche oder Sekundärtuberkulose Fieber, anhaltender, z.T. blutiger Husten, Gewichtsverlust, Nachtschweiß … Bildnachweis: Wikipedia 5 Tuberkulose Maßnahmen/Therapie: Hygienevorschriften anwenden (FFP3!!, Schutzbrille, Handschuhe, flüssigkeitsdichter Kittel) Weiterführende Diagnostik, antituberkulöse Therapie nach Erregerdifferenzierung in spezialisierten Zentren (Infektionsstation CCV, Kliniken mit Pneumologien). Voranmeldung Verdachtsfall! Bildnachweis: Wikipedia 6 Typhus Erreger: Salmonella enterica Serotyp Typhi, ausschließlich humanpathogene, gramnegative, bewegliche, begeißelte Bakterien. Vorkommen weltweit. Die jährliche Inzidenz von Typhus abdominalis wird auf etwa 22 Millionen Erkrankungen und 200.000 Todesfälle geschätzt. Übertragung/Inkubationszeit: Aufnahme von kontaminiertem Wasser 8 – 14 (3 – 60) Tage. Bildnachweis: Wikipedia, Auswärtiges Amt 7 Typhus Symptome: Prodromalstadium uncharakteristisch (Kopfschmerzen, Glieder-schmerzen, evtl. auch subfebrilen Temperaturen). Unbehandelte Fälle entwickeln innerhalb von 2–3 Tagen hohes Fieber bis 41 °C und schweres Krankheitsgefühl. Fieber hält bis zu 3 Wochen an (Kontinua). Initial häufig Verstopfung, später häufig erbsbreiartige Durchfällen Bewusstseinsstörungen Typisch, aber selten zu sehen sind hellrote, stecknadelkopfgroße (2–4 mm), nichtjuckende Hauteffloreszenzen (Roseolen), zumeist an der Bauchhaut. Auffällig ist eine mögliche relative Bradykardie. Bildnachweis: Wikipedia 8 Typhus Maßnahmen/Therapie: Hygienevorschriften beachten (Handschuhe, Schutzkittel, FFP-1-Maske). Therapie antibiotisch (Ciprofloxacin, Ceftriaxon) und symptomatisch. Bildnachweis: Wikipedia 9 Leishmaniose „nicht heilendes Hautgeschwür“ Erreger: Protozoen des Genus Leishmania viele verschiedene Spezies Übertragung/Inkubationszeit: Sandmücke (selten „Unfall mit Blutkontakt“) 2 Wochen bis Monate Bildnachweis: Wikipedia, AWMF-Online 10 Leishmaniose „nicht heilendes Hautgeschwür“ Symptome: Kutane L.: v.a. an unbedeckten Hautarealen rote Papel -> Knoten -> Ulceration mit hyperkeratotischem Rand und krustigen Belägen Mukokutane L.: 2-10 Jahre nach unzureichend behandelter primär kutaner Infektion mit Ausweitung auf Nasopharynx, Trachea und Augen mit Destruktion der Strukturen -> Kachexie -> Tod Viszerale L.: Befall der Eingeweide Maßnahmen/Therapie: Steriles Abdecken der Läsion(en), Differenzierung der verursachenden Leishmania-Spezies aus Gewebeproben für eine speziesspezifische lokale und/oder systemische Therapie Bildnachweis: Wikipedia, AWMF-Online 11 Krim-Kongo-Fieber (CCHF-Virus) Erreger: hämorrhagisches Arbo-RNA-Virus Süd-Ost-Europa (Albanien, Rumänien, Türkei, Griechenland …), Asien, naher und mittlerer Osten, Afrika Übertragung/Inkubationszeit: Virus persistiert in grasfressenden Haus- und Wildtieren. Übertragung durch den Stich von Zecken 1 - 12 Tage Bildnachweis: Wikipedia, RKI 12 Krim-Kongo-Fieber (CCHF-Virus) Symptome: Plötzlicher Beginn mit hohen, anhaltenden Fieber und schwerem „grippalen Infektgefühl“, schwer beeinträchtigter AZ Apathie und Wesensveränderungen. Relative Bradycardie Bei 20% ab dem 3.-5. Tag Hämorrhagien (Nasen- und Zahnfleischbluten, hämorr. Diarrhoen, hämorr. Konjunktivitis) Multiorganversagen mit hoher Letalität Maßnahmen/Therapie: Hygienerichtlinien beachten (Berliner Infektionsschutzanzug). LNA, Infektionstransport mit Voralarm möglichst auf Infektionsstation CCV. Therapie symptomatisch, ggf. Ribavirin, ggf. „RekonvaleszentenSerum“ 13 Lassa-Fieber Erreger: Arena-RNA-Virus (Gruppe virales hämorrhagisches Fieber), Westafrika Übertragung/Inkubationszeit: Schmierinfektion durch Kot auf Lebensmitteln und Tröpfcheninfektion Mensch zu Mensch, 7-10 (6-21) Tage Bildnachweis: Wikipedia 14 Lassa-Fieber Symptome: schwerer „grippaler Infekt“, schwer beeinträchtigter AZ/Apathie, weißliche Plaques im Rachen, makulo-papulöses Exanthem, cervicale Lymphknoten, kolikartige Bauchschmerzen und Diarrhoen, Blutungsneigungen (Konjunktivitis), Pneumonie … Maßnahmen/Therapie: Hygienerichtlinien beachten (Berliner Infektionsschutzanzug). LNA, Infektionstransport mit Voralarm Infektionsstation CCV. Therapie symptomatisch, ggf. Ribavirin, ggf. „Rekonvaleszenten-Serum“ Bildnachweis: Wikipedia 15 Diphtherie = Würgeengel der Kinder Erreger: Corynebacterium diptheriae, gram+ Stäbchenbakterien Reservoir: nur Mensch Übertragung: Tröpfchen oder Kontakt Inkubationszeit: 2-5 Tage, nicht besonders ansteckend, gesunde Keimträger existieren Fieber, massive Halsschmerzen und Halsschwellung, Speichelfluß, graue Beläge auf den Tonsillen, Gaumensegel und Kehlkopf (Erstickungsgefahr). Durch Diphterietoxin auch Myokarditis, Neuritis, Pneumonie, Nephritis u.w. GUS-Staaten erleben seit ca. 1990 eine dramatische Wiederkehr der Diphtherie. Rückgang seit Impfkampagnen. Maßnahmen/Therapie: Hygienevorschriften beachten. Antibiotische und symptomatische Therapie, ggf. Antitoxin 16 Eine Auswahl an Erkrankungen, die entweder „importiert wurden“ oder sich asylsuchende Menschen in Deutschland zuziehen können: Parasitäre Hauterkrankungen Je nach Impfstatus & Durchseuchung: Kinderkrankheiten, Wundstarrkrampf u.w. Meningitis Influenza Erkrankungen durch unbekannte Nahrung: Knollenblätterpilz 17 Scabies (Krätze) Meldepflicht bereits Verdacht nach § 34 IfSG.; Gemeinschaftseinrichtungen setzennach § 33 IfSG anhand von Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrensweisen zur Infektionshygiene um Wie wird Krätze übertragen? (Entnommen: Lambert et al: Farbatlas der Infektionskrankheiten, 1984) - bei engem körperlichen Hautkontakt mit infizierten Personen, d. h. von Mensch zu Mensch, übertragen, auch bei medizinisch - pflegerischen Tätigkeiten. - Die Infektion wird oft erst nach Wochen bemerkt, denn erst zu diesem Zeitpunkt kommt es zu einem juckenden Ausschlag, der besonders nachts bei Bettwärme oft unerträglich wird. Welche Körperteile werden befallen? Fingerzwischenräume, Handgelenke ▪ Armbeugen ▪ Gesäß ▪ Haut um den Bauchnabel ▪ Brustwarzenbereich ▪ im Genitalbereich ▪ bei Babys und Kleinkindern auf Handflächen, Fußsohlen auch Gesicht und Kopf Welche Symptome treten 4-5 Wochen nach Infektion bei Krätze auf? Milbengänge: Bläschen auf der Haut: Starker Juckreiz: feine rötliche Linien zum Aufenthalt der Milbe in der Mitte ist die Milbe oft als kleiner schwarzer Punkt sichtbar. v.a. nachts, durch Kratzen oberflächlichen Hautverletzungen Welche Therapie? Lokal bspw. 5%ige Permethrin-Salbe. Systemisch bspw. Ivermectin (Breitspektrumantihelminthikum) Tag 1 und 8, ggf. wiederholen Wäsche waschen. Restl. Kleidung für mindestens 4 Tage lüften 18 Pediculosis (Kopflaus) Vorkommen: Nach § 34 Abs. 1 IfSG schließt festgestellter Kopflausbefall eine Betreuung oder eine Tätigkeit in einer Gemeinschaftseinrichtung, bei der Kontakt zu den Betreuten besteht, zunächst aus. Die Gemeinschaftseinrichtung muss den Kopflausbefall an das Gesundheitsamt melden. (Entnommen: Merkblatt des Inst. f. Risikobewertung) - weltweit verbreitet. Kopflausbefall hat nichts mit fehlender Sauberkeit zu tun, da Kopfläuse durch das Waschen der Haare mit gewöhnlichem Shampoo nicht beseitigt werden. - Enge zwischenmenschliche Kontakte, insbesondere in Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche, begünstigen die Verbreitung von Kopfläusen. - Kopfläuse können während aller Jahreszeiten gehäuft auftreten. Reservoir: - Mensch ist die einzige Wirtsspezies. Personen mit Kopflausbefall sind Reservoir für weiteres Auftreten. Kopfläuse sterben nach längstens 55h ohne Nahrung ab (Kleidung waschen bzw. für 3 Tage in Plastiktüte verschließen) Infektionsweg: - Neigen nicht zum Verlassen des behaarten Kopf! - Übertragung direkt von Mensch zu Mensch bei engem Kontakt durch Überwandern der Parasiten von Haar zu Haar („Haar-zu-Haar-Kontakt“). - Gelegentlich indirekt über Gegenstände, die mit dem Haupthaar in Berührung kommen und die innerhalb einer kurzen Zeitspanne gemeinsam benutzt werden (Kämme, Haarbürsten, Schals, Kopfbedeckungen, Fahrradhelm, Kopfunterlagen u. a.). Welche Therapie? (Entnommen: RKI) Lokal Insektizid, bspw. Dimeticon (z. B. Nyda-Spray) & Auskämmen 19 Meningokokken-Meningitis Erreger: Neisseria menigitidis. Reservoir ist nur der Mensch. 10 % „gesunde“ Keimträger nasopharyngeal. Übertragung/Inkubationszeit: Tröpfchenübertragung/enger Kontakt mit oropharyngealen Sekreten. 3 – 4 (2 – 10) Tage Bildnachweis: RKI Auszug: Hahn et al. Lehrbuch Med. Mikrobiologie & Infektiologie 7. Auflage, 2012 20 Meningokokken-Meningitis Epidemiologie: Die Inzidenz in Deutschland sinkt Bildnachweis: RKI 21 Neisseria meningitidis ist impfpräventabel N. meningitidis A, B, C (v.a. Europa), Y, W135 und X http://www.meningococcus.uni-wuerzburg.de/startseite/, Auszug: Hahn et al. Lehrbuch Med. Mikrobiologie & Infektiologie 7. Auflage, 2012 22 Neisseria meningitidis ist impfpräventabel Auszug: Hahn et al. Lehrbuch Med. Mikrobiologie & Infektiologie 7. Auflage, 2012 23 Neisseria meningitidis ist impfpräventabel Symptome: Zunächst unspezifisches Krankheitsgefühl (Kopfschmerzen diffus, Nasen/Rachenentzündung, Fieber, „frösteln“, diffuses Schwindelgefühl, Erbrechen, Myalgien …) Kopfschmerz und Fieber aggravieren Par-/Dysästhesien Petechiale Einblutungen, Sugillationen Meningismus & progrediente Vigilanzminderung 24 Neisseria meningitidis ist impfpräventabel Maßnahmen/Therapie: Eigenschutz beachten Volumen & antibiotische Therapie umgehend (wenn Notarzt vor Ort oder nach Voranmeldung unmittelbar im Krankenhaus) Voranmeldung Kontaktpersonen suchen In der Klinik Ceftriaxon hochdosiert bzw. Penicillin G nach Antibiogramm und intensivmedizinische Therapie PEP (Postexpositionsprophylaxe), sinnvoll bis zu 10 Tage nach Kontakt zu Erkranktem für enge Kontaktpersonen: Erwachsene (nicht schwanger): 1 Tbl Ciprobay 500mg Schwangere: 250 mg Ceftriaxon i.m. Kinder: Rifampicin 2 x 5-10mg/kgKG für 2 Tage Bildnachweis: Wikipedia 25 Vergleich Exantheme Quelle: medicalpicture, Rappen-Apotheke Masern RNA-Virus, Gattung Morbilivirus, Familie Paramoxyviren 2013 weltweit 145.700 Patienten an Masern verstorben Prodromalstadium: katarrhalische Symptomatik, Bronchitis, Konjunktivitis, Koplikflecken, hohes Fieber Exanthemstadium: Rachenenanthem, makulopapulöses konfluierendes Exanthem, erneutes Fieber Masernexanthem Quelle: dermis.net Koplikflecken/ Rachenenanthem Quelle: Wales centre for pharmacy Professional Education, Wiki info Hygienevorschriften beachten (FFP 3, Schutzbrille, Handschuhe, …) FFP 3 und Handschuhe für den Patienten Vorankündigung ZNA, Patienten direkt in den Isolationsbereich übergeben An PEP denken 29 Influenza Erreger: Influenza Virus A oder B (Orthomyxoviridae) Inkubationszeit, Übertragung: Stunden bis wenige Tage. Hochkontagiöse Tröpfcheninfektion. Übertragung via Luft durch Inhalation von Tröpfchenkernen (5 - 10 µm) über weite Strecken. 30 Influenza Symptome: Relativ plötzlicher Beginn, ausgeprägte „grippale Symptome“ mit hohem Fieber, Kopfschmerzen, Myalgien, ggf. Myositis/Myokarditis, bakt. Superinfektion (v.a. Staphylokokken) Maßnahmen/Therapie: Hygienevorgaben beachten, Grippeschutzimpfung. Therapie symptomatisch, für bestimmte Patientengruppen ggf. Neuraminidasehemmer 31 Influenza (oder „unklarer Infekt“) Bei Verdacht und vor Erstkontakt unverzüglich Schutzhandschuhe und FFP-3-Maske anlegen! Bei Nachweis oder dringendem Verdacht eines Influenza-erkrankten Patienten: Personal: Beim Umgang mit Patient zumindest FFP-2-Maske anlegen. Bei Absaugen des Bronchialsekretes vom erkrankten Patienten ist eine FFP3-Maske anzulegen. Voranmeldung ZNA. Patient: Beim Transport bis ins Isolierzimmer im Krankenhaus FFP1- Maske anlegen Immer: Handschuhe und Schutzkittel überziehen! Hände wiederholt desinfizieren und weitere Basishygiene 32 Knollenblätterpilz 33 Infektiologische Aspekte in Flüchtlingsunterkünften Eingangsuntersuchungen/Triage aller ankommenden Flüchtlinge. Länderspezifische Festlegungen … Nach § 36 Abs. 4 IfSG ist für Personen, die in einer Erstunterkunft aufgenommen werden sollen, vor oder unverzüglich nach Aufnahme das Vorliegen einer ansteckungsfähigen Tuberkulose auszuschließen Pflegerisch-medizinische Versorgung vor Ort aufbauen und Anbindung an die umliegenden Notaufnahmen Umsetzung von Hygienestandards Ausweisung von Isolationsbereichen Impfen: http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2015/Ausgaben/41_15.pdf?__blob=publicationFile 34 Was erwartet den Gesundheitsdienst? Eigenschutz beachten (FFP-3-Maske, Handschuhe, Kittelschutz …) Im Vorfeld möglichst viele Fragen klären (Fluchtroute, Länge des Aufenthaltes, Symptombeginn etc.) Ersteinschätzung und Maßnahmen anhand ABCDEAlgorithmus einleiten (Temperatur korrekt messen!) Bedenke die Differentialdiagnosen Aber: Häufiges ist häufig! Kommunikation ermöglichen ((Video-)Dolmetscher) Mögliche Traumtatisierung bedenken 35 Diskussion 36