4 Energie Aus moderner (mikroskopischer) Sicht ist klar, daß die Summe U der kinetischen Energien der Moleküle eines Gases (und ggf. ihrer Wechselwirkungsenergien) eine thd. Zustandsgröße des Gases ist, deren Wert von U auf U ′ = U + W ansteigen muß, wenn am Gas die (Kompressions-) Arbeit W verrichtet wird. Allerdings gibt es eine alternative Form der Energieübertragung an ein thd. System, die ursprünglich nicht als solche erkannt wurde. 4.1 Wärme Ein Gas, das in einem starren Metallbehälter (also bei konstant gehaltenem Volumen) in ein heißes Wasserbad getaucht wird, erhöht seine Temperatur, ohne daß dafür eine makroskopische Ursache (wie etwa Kompressionsarbeit) erkennbar ist. Man sagt, es sei Wärme vom Wasser an das Gas übergegangen. 4.1.1 Unterscheidung von Arbeit Wärme wurde einst als masselose Substanz aufgefaßt, die beim Temperaturausgleich vom wärmeren System an das kühlere abgegeben wird, bis man erkannte, daß sie eine spezielle Form des Energieflusses darstellt. Im Gegensatz zur Energieübertragung durch Arbeit ist beim Wärmeübergang kein makroskopischer Mechanismus (etwa eine Kompression) erkennbar. Vielmehr wird dabei Energie in mikroskopischen Portionen durch Stöße einzelner Moleküle übertragen. Die prinzipielle Unterscheidung dieser zwei Formen der Energieübertragung, obwohl teilweise aus historischem Erkenntnismangel motiviert, ist jedoch wesentlich für die Thermodynamik. Wir werden dies spätestens bei der Entropiedefinition und der Formulierung des II. Hauptsatzes einsehen. 4.1.2 Quantitative Definition durch Wärmekapazitäten Def.: Zur Erhöhung der Temperatur von 1 kg Wasser um 1 K (genauer: von 14.5◦ C auf 15.5◦ C) ist die Wärmemenge Q = 4.19 kJ 4 erforderlich, sofern nicht gleichzeitig Arbeit am Wasser verrichtet wird. Mit anderen Worten: Die spezifische Wärmekapazität 4 Ursprünglich hatte man für die Wärme eine eigene Einheit “Kilokalorie”, mit 1 kcal = 4.19 kJ. 17 von Wasser der Temperatur T = (273 + 15) K = 288 K beträgt cW = 4.19 kJ . kg K (54) Die von einer beliebigen Wassermenge der Masse m bei einer (nicht zu hohen) Temperaturerhöhung ∆T aufgenommene Wärmemenge errechnet sich dann aus der Formel Q = cW · m · ∆T = CW · ∆T, (55) mit der Wärmekapazität CW := cW · m der Wassermenge. Bsp.: Ein heißer Stein mit Anfangstemperatur TS = 344 K werde in ein Gefäß mit 10 Litern kühlen Wassers (Masse mW = 10 kg) der Anfangstemperatur TW = 290 K getaucht. Nach einer gewissen Zeit stellt sich die Ausgleichstemperatur T = 294 K ein. Wegen ∆TW = (294 − 290) K = 4 K hat das Wasser also die Wärmemenge QW = cW · (10 kg) · (4 K) = 167.6 kJ (56) aufgenommen. Sie ist gleich der vom Stein abgegebenen Wärmemenge, QW = −QS . Mit ∆TS = (294 − 344) K = −50 K erhalten wir die Wärmekapazität des Steins zu −167.6 kJ kJ QS = = 3.35 . (57) ∆TS −50 K K Auf diese Weise läßt sich jedem thd. System X eine Wärmekapazität CX zuordnen. CS ≡ cS · mS = Bem. 1: Bei der Messung der von einem System aufgenommenen Wärmemenge Q muß garantiert sein, daß am System nicht zugleich Arbeit W verrichtet wird. Dazu bemerken wir, daß zur Definition eines thd. Systems die Angabe seiner Dimension D, von D unabhähgigen Zustandsgrößen und der D − 1 verschiedenen Formen von Arbeit gehört, dWi = xi dYi (i = 1, ..., D − 1). (58) Man muß also die Temperaturänderung ∆T des Systems bei einem Prozeß mit festgehaltenen Werten der Größen Yi (i = 1, ..., D − 1) messen. Bei pV -Systemen ist die einzige dieser Größen das Volumn V . Bem. 2: Als Zustandsgröße ist die spezifische Wärmekapazität strenggenommen eine Funktion c(p, T ) von Druck p und Temperatur T . Für flüssiges Wasser (bei p = 1 bar) gilt etwa (T in ◦ C und c in kJ/kg K): T c 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 4.218 4.192 4.182 4.179 4.179 4.181 4.184 4.190 4.196 4.205 4.216 Um etwa m = 5 kg Wasser bei p = 1 bar von T0 = 15 ◦ C (288 K) auf T1 = 45 ◦ C (318 K) zu erwärmen bedarf es also der Wärmemenge Z T1 kJ · 10 K = 627 kJ. (59) dT c(p, T ) ≈ 5 kg · (4.182 + 4.179 + 4.179) Q = m kg K T0 18 4.1.3 Cp und CV Zur Messung der Wärmekapazität C eines Gases muß dieses eigentlich in einen starren Behälter eingeschlossen sein, da das Gas sonst bei seiner Erwärmung zum Druckausgleich expandiert und somit an seiner Umgebung Arbeit verrichtet. Zur Verdeutlichung schreibt man daher C = CV (“Wärmekapazität des Gases bei konstantem Volumen”). Trotzdem definiert man eine Wärmekapazität Cp des Gases bei konstantem Druck. Dazu wird das Gas in ein Zylindergefäß mit frei beweglichem Versclußkolben eingeschlossen und etwa in heißes Wasser getaucht. Dann gilt Q = Cp ∆T (60) für die dem Gas bei konstantem (Außen-) Druck zugeführte Wärmemenge und die daraus resultierende Temperaturerhöhung ∆T . Erwartungsgemäß gilt Cp > CV . Für die Stoffmenge n eines klassischen idealen Gases findet man experimentell CV = f nR, 2 Cp = f +2 nR = CV + nR, 2 (61) mit f = 3 bei einatomigen Gasen (He, Ne, etc.), f = 5 bei Gasen mit linearen Molekülen (H2 , HCl, CO2 , etc.) und f = 6 bei Gasen mit nicht-linearen Molekülen (H2 O, NH3 , CH4 , etc.). Die theoretische Begründung dieser Größen erfordert Information über das mikroskopische Verhalten der einzelnen Gasmoleküle und ist daher der (Quanten-) Statistik vorbehalten. Flüssigkeiten und feste Körper (wie Wasser und Stein im obigen Beispiel) sind in der Regel inkompressibel. In solchen Fällen läßt sich das Volumen V nicht fixieren. Man mißt dann praktisch immer die Wärmekapazität Cp bei konstantem (Atmosphären-) Druck p. Da die Volumenausdehnung dabei in der Regel vernachlässigbar ist, gilt mit hoher Genauigkeit CV ≈ Cp , und man schreibt dafür einfach C. 19 4.2 4.2.1 Der I. Hauptsatz Das Wärmedifferential Ein pV -System werde durch einen Gleichgewichtsprozeß (Kurve C im pV -Diagramm) vom Anfangszustand A (VA , pA ) in den eng benachbarten Endzustand (VA + δV, pA + δp) überführt. Verläuft C dabei innerhalb (oder nicht weit außerhalb) des kleinen Rechtecks VA ≤ V ≤ VA + δV, pA ≤ p ≤ pA + δp , (62) so wird auch für unvollständige Differentiale das Kurvenintegral wegunabhängig: Satz: Verläuft die Kurve C innerhalb R eines hinreichend kleinen Rechtecks in der pV Ebene, so hängt das Kurvenintegral C dX auch eines unvollständigen Differentials dX = x1 (V, p) dV + x2 (V, p) dp (63) nur von Anfangs- und Endpunkt (VA , pA ) bzw. (VA + δV, pA + δp) von C ab. Dabei gilt Z dX ≈ x1 (VA , pA ) δV + x2 (VA , pA ) δp, (64) C und zwar umso genauer, je kleiner δV und δp sind. Kleine Änderungen δTp bzw δTV der Temperatur T = T (V, p) eines pV -Systems bei konstantem Druck bzw. bei konstantem Volumen sind jeweils gegeben durch ∂T ∂T δTp = δV, δTV = δp. (65) ∂V p ∂p V Die partiellen Ableitungen sind jeweils im Anfangszustand (VA , pA ) auszuwerten. Beim Übergang von (VA , pA ) nach (VA + δV, pA + δp) nimmt das System also die Wärme ∂T ∂T δV + CV δp (66) Q = Cp ∂V p ∂p V auf, mit Cp = Cp (VA , pA ) und CV = CV (VA , pA ). Wir schließen daraus nach obigem Satz: Die Flußgröße Wärme eines pV -Systems wird beschrieben durch das Differential dQ = q1 (V, p) dV + q2 (V, p) dp (67) mit den Koeffizienten q1 (V, p) = Cp (V, p) ∂T ∂V , p q2 (V, p) = CV (V, p) Bsp.: Beim klassischen idealen Gas mit T (V, p) = dQ = pV , nR Cp = f f +2 p dV + V dp 2 2 20 f +2 2 ∂T ∂p (68) . V nR und CV = f 2 nR gilt (69) 4.2.2 Energie als Zustandsgröße An einem thd. System mit D-dimensionalem Zustandsraum gibt es D − 1 unabhängige Formen dWi = xi dYi von Arbeit. Diese D−1 Differentiale sind ebenso wie ihre Summe unvollständig. Die dem System zugeführte Wärme wird ebenfalls durch ein unvollständiges Differential dQ beschrieben. Dabei gilt der Erste Hauptsatz: Die Summe aller Arbeitsdifferentiale dWi und des Wärmedifferentials dQ eines thd. Systems bildet das vollständige Differential D−1 X dU = dQ + dWi (70) i=1 einer neuen Zustandsgröße U, genannt Energie des Systems. 4.3 4.3.1 Das klassische ideale Gas (II) Thermische und kalorische Zustandsgleichung Beim klassischen idealen Gas (D = 2) gilt f + 2 f f f dQ + dW = p dV + V dp + − p dV = p dV + V dp. 2 2 2 2 (71) Dies ist tatsächlich ein vollständiges Differential, und zwar dasjenige der Funktion U(V, p) = f pV. 2 (72) Durch Einsetzen der thermischen Zustandsgleichung T (V, p) = pV RT ⇔ pV = nRT (73) erhalten wir hieraus die kalorische Zustandsgleichung des klassischen idealen Gases, U(T, V ) = f nRT, 2 (74) welche allgemein die Energie eines pV -Systems als Funktion von Temperatur und Volumen ausdrückt. Man beachte, daß dies beim klassischen idealen Gas eine reine Temperaturfunktion ist! Weder die thermische noch die kalorische Zustandsgleichung kann aus den Gesetzen der Thd. abgeleitet werden. Beide erfordern Kenntnisse des mikroskopischen Verhaltens der einzelnen Gasmoleküle (Quantenstatistik bzw. kinetische Gastheorie). Beide Zustandsgleichungen gelten hier nur als empirisch begründet. 21