Besser lernenim Alter mit Bewegung - TERTIANUM

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Besser lernen im Alter
mit Bewegung
Die Kombination von geistigem und körperlichem
Training erhöht wesentlich die Lernfähigkeit im Alter.
Von Brigitte Stemmer
„To get back my youth I would do
anything in the world, except take
exercise, get up early, or be respectable”, schrieb Oscar Wilde 1891 in
„The Picture of Dorian Gray“. Selbst
wenn jemand eher zu den Langschläfern gehört oder einen wenig
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Lernen
respektablen Charakter hat, so ist dies nicht unbedingt ein Grund zur
Beunruhigung, was die körperlichen und geistigen Fähigkeiten angeht.
Eher ein Grund zur Sorge ist dagegen, wenn jemand zu den couch potatoes
gehört und Bewegung für die Person ein Fremdwort ist. Denn eine Reihe
von wissenschaftlichen Untersuchungen zeigt, dass diejenigen, die rasten
auch rosten – und zwar nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Übung
macht eben doch den Meister.
n Lernen und Alterungsprozess
Jeder Lernvorgang verändert das Gehirn, und zwar in jedem Lebensalter.
Erfahrungen werden gesammelt, gespeichert und Erinnerungen gebildet.
Wir lernen also immer, aber nicht immer unbedingt das, was wir lernen
möchten oder brauchen. Lernen ist daher unabdingbar mit der Selektion
und Kontrolle von Informationsmaterial sowie mit der Bildung, Speicherung
und dem Abrufen von Information aus dem Gedächtnis verbunden. Der optimale Ablauf dieser Lern- und Abrufprozesse kann durch den Alterungsprozess in verschiedenen Hirnregionen und auf unterschiedlichen Ebenen
beeinflusst werden. Mit dem blossen Auge können wir beispielsweise durch bildgebende Verfahren ein Schrumpfen
des Gehirns in bestimmten Hirnregionen feststellen und
mit dem Mikroskop eine Abnahme der Dichte der informationstransportierenden Faserverbindungen zwischen den
Hirnnervenzellen sowie der Dichte und Grösse der Hirnnervenzellen. Auf biochemischer Ebene ändert sich die Verfügbarkeit von Botenstoffen wie etwa Dopamin, Acetylcholin,
von Hormonen und Proteinen. All diese sind Mitspieler
bei Lern- und Gedächtnisprozessen, die sich durch den
Alterungsprozess verändern, was wiederum zu Lern- und
Gedächtnisschwächen führen kann – bis hin zur Demenz.
Besonders betroffen ist im Alter die Fähigkeit, bestimmte
Informationen aus dem Gedächtnis abzurufen, die Geschwindigkeit, mit der Informationen verarbeitet und gelernt werden, und das multi-tasking, also die Bewältigung
mehrerer Aufgaben gleichzeitig. Überraschend ist, dass
zwischen dem Ausmass des Gehirnabbaus und der geistigen Leistungsfähigkeit nicht unbedingt ein 1:1-Verhältnis
besteht – salopp ausgedrückt: Ein Schrumpfhirn kann
genauso leistungsfähig sein wie ein Normalhirn. Offensichtlich haben ältere Menschen unterschiedliche kognitive
Reserven. Wie aber kommt es zu diesen Unterschieden?
n Kombination von Faktoren
Hier kommt dem Zusammenspiel multipler Faktoren wie
Genetik, Ernährung, geistige und körperliche Aktivität,
soziales Umfeld und Umwelt eine grosse Rolle zu. Auch
bestehen offensichtlich zwischen den Faktoren komplementäre oder synergistische Eigenschaften. Beispielsweise zeigte eine Interventions- und Längsschnittstudie mit älteren Menschen, dass eine
Kombination aus Gedächtnistraining mit motorischem Training kontinuierlich über Jahre hinweg zu wesentlich besseren geistigen Leistungsfähigkeiten führte als nur Gedächtnistraining oder motorisches Training allein.
Auch reicht es nicht aus, eine bestimmte Funktion zu trainieren und andere zu vernachlässigen. Trainiert man beispielsweise das Arbeitsgedächtnis,
so verbessert man sich zwar auf diesem Gebiet, nicht aber auf anderen
Gebieten, wie beispielsweise dem logischen Denken oder der schnelleren
Informationsverarbeitung. Körperliche Bewegung scheint besonders hohe
komplementäre und synergistische Eigenschaften zu besitzen. Schüler
konnten beispielsweise nach intensivem körperlichem Training besser
Vokabeln lernen, und körperliche Aktivität in der Jugend wurde mit schnellerer Informationsverarbeitung im Alter in Verbindung gebracht.
Körperliche Fitness im Alter scheint
das Arbeitsgedächtnis, das Lernen
von Wörtern sowie das logische
Denken und die Reaktionszeit positiv zu beeinflussen. Auch wurde
ein Zusammenhang zwischen dem
Ausmass körperlicher Aktivität und
dem Lernen von räumlich-visuellen Gedächtnisinhalten sowie geistigem Abbau bis hin zu einem
reduzierten Demenzrisiko gezeigt.
Der Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Lern- und
Gedächtnisprozessen wird in bildgebenden Verfahren mit strukturellen und funktionellen Veränderungen bestimmer neuronaler
Netzwerke im Gehirn in Verbindung gebracht. Solche Ergebnisse
werden häufig übereifrig in Trainingsprogramme umgesetzt, die
uns suggerieren, dass bestimmte
körperliche Bewegungen bestimmte
Hirnregionen wissenschaftlich gesichert wachsen und besser funktionieren lassen. Auch wenn der
positive Einfluss von körperlicher
Aktivität auf die geistige Vitalität
inzwischen wissenschaftlich gut
belegt ist, so sind noch viele Fragen
offen. Die gute Nachricht ist: Körperliche Fitness wirkt sich positiv
auf die geistige Leistungsfähigkeit
aus, und auch das alte Gehirn kann
lernen und sich entsprechend funktionell und strukturell verändern.
Die vielleicht schlechte Nachricht
ist: Ohne körperlichen und geistigen
Fleiss keinen Preis.
Prof. Dr. Brigitte Stemmer lehrt
und forscht als Ärztin im Bereich
Neurowissenschaften und Neuropragmatik an der Université de
Montréal, Canada, und gehört
zum Herausgeberteam der Zeitschrift „Brain and Cognition“.
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