Institut für Bio -und Lebensmitteltechnik, Bereich I: Lebensmittelverfahrenstechnik Leiterin: Prof. Dr. Heike P. Schuchmann Skript zum Praktikumsversuch Eiskristallisation in zuckerhaltigen Lösungen 1.) Warum werden Lebensmittel Tiefgefroren? Lebensmittel werden hauptsächlich aus zwei Gründen gekühlt bzw. gefroren. Zum einen können die Produkteigenschaften durch das Absenken der Temperatur gezielt eingestellt werden, wie es zum Beispiel bei Eiskreme der Fall ist. Zum anderen werden chemische, biochemische, mikrobiologische und physikalische Prozesse durch das Absenken der Temperatur verlangsamt. Eine grobe Daumenregel gibt an, dass ein Absenken der Temperatur um 10 K die Reaktionsgeschwindigkeit um den Faktor 2-3 verlangsamt. Dadurch erhöht sich wiederum die mögliche Lagerzeit dieser Lebensmittel um den Faktor 2-3. Das Mikroorganismenwachstum wird vor allem durch die Menge an freiem Wasser beeinflusst. Die Menge an freiem Wasser wird bei gefrorenen Lebensmitteln durch die Lagertemperatur beeinflusst. Sie wird in der so genannten Wasseraktivität aw ausgedrückt. Die Wasseraktivität eines Lebensmittels ist definiert als der Quotient des Wasserdampfdruckes über der Oberfläche des Lebensmittels pLM und des Wasserdampfdruckes von reinem Wasser p0 bei sonst gleichen Umgebungsbedingungen: aw = pLM/p0 (1) Mikroorganismen wachsen in einem aw-Bereich zwischen 0,6 und 1. Die Wachstumsgeschwindigkeit nimmt mit fallendem aw ab. Bei ansonsten optimalen Lebensbedingungen können die meisten Schimmelpilze noch bis zu einem aw von ca. 0,7, Hefen bis ca. 0,8 und Bakterien bis ca. 0,9 wachsen. In gefrorenem Zustand ist der aw-Wert lediglich abhängig von der Temperatur. So stellt sich beispielsweise bei -18 °C ein aw von ca. 0,8 ein. Alle Wachstums- und Stoffwechselvorgänge laufen bei niedrigeren Temperaturen zudem langsamer ab, weswegen aus mikrobiologischer Sicht die Lagertemperatur möglichst gering sein sollte. Außerdem werden beim Gefrieren Mikroorganismen teilweise abgetötet. Die Zahl der Überlebenden Mikroorganismen ist jedoch groß, in der Regel sterben 10 bis max. 50 % der Mikroorganismen ab. 1 2.) Was passiert beim Gefrieren von Lebensmitteln? Der wesentliche Vorgang beim Gefrieren ist die Kristallisation des vorhandenen Wassers zu Eis. Entzieht man reinem Wasser von 0 °C Wärmeenergie, so wandelt es sich theoretisch bei dieser Temperatur in Eis um. Wird genügend Energie abgeführt, so wird das gesamte Wasser kristallisiert. Die dabei entzogene Wärmemenge ist proportional zur Kristallisationsenthalpie ∆hs (oder Schmelzenthalpie) und der Masse des gefrorenen Wassers. In der Realität kommt es beim Abkühlen von reinem Wasser jedoch zunächst zu einer Unterkühlung ohne Kristallisation, da diese kinetisch und sterisch gehemmt ist. Die Höhe der erzielbaren Unterkühlung hängt vom Vorhandensein von Kristallisationskeimen ab. Reines Wasser kann auf bis zu –40 °C unterkühlt werden [i], ohne dass die Kristallisation einsetzt. Nach Überschreiten einer ausreichenden Unterkühlungstemperatur ϑuk beginnt die Kristallisation und die Temperatur steigt spontan auf den Gefrierpunkt ϑg an. Die Temperatur bleibt dann konstant, bis das gesamte vorhandene Wasser zu Eis kristallisiert ist. Anschließend sinkt die Eistemperatur bis auf die Temperatur des Kühlmediums ϑge ab. Diese Vorgänge sind in Abb. 1 exemplarisch für reines Wasser und ein beliebiges Lebensmittel dargestellt. ϑ / °C 20 ϑ / °C 20 ϑa 10 0 -10 Wasser ϑa Lebensmittel 10 ϑg 0 ϑuk -10 ϑuk ϑg -20 -20 ϑge ϑge t t Abb. 1: Schematischer Temperaturverlauf beim Gefrieren von Wasser und einem Lebensmittel im Vergleich Die Eiskristallkeimbildung kann prinzipiell je nach Zusammensetzung der Flüssigkeit auf zwei verschiedene Arten ablaufen. Liegt eine sehr reine Flüssigkeit vor, so läuft eine homogene Keimbildung ab, d.h. es bilden sich aus der Flüssigkeit heraus an zufälligen Orten Kristallisationskeime. Liegen hingegen ungelöste Stoffe in einer Flüssigkeit vor, so können diese als Kristallisationskeime dienen und die Flüssigkeit kristallisiert an deren Oberfläche. Die Keimbildung verläuft demnach heterogen. In diesem Fall ist die zum Kristallisationsbeginn nötige Unterkühlung der Flüssigkeit geringer als bei der homogenen Keimbildung (siehe Tabelle 1). Die Größe der Unterkühlung wird auch metastabile Breite genannt und ist in Abbildung 3 exemplarisch dargestellt. 2 Tabelle 1: Einteilung der möglichen Keimbildungsvorgänge primäre Keimbildung homogen - Lösung feststofffrei, keine artfremden o. arteigenen Keime - Kristallkeimbildung durch lokale Konzentrationsgradienten metastabile Breite (ϑg-ϑuk) von mehreren Kelvin sekundäre Keimbildung heterogen - Lösung frei von arteigenen Keimen - artfremde Keime z.B. Verunreinigungen verringern die für Keimbildung notwendige Energie - Keimbildung bereits bei kleinerer Übersättigung metastabile Breite (ϑg-ϑuk) von wenigen Kelvin - Lösung mit arteigenen und artfremden Keimen, z.B. Verunreinigungen, Impfkristalle, Bruch, Abrieb - durch Betriebsparameter ist die Keimbildung beeinflußbar - Zustand in industriellen Kristallisatoren metastabile Breite (ϑg-ϑuk) kann nicht generell angegeben werden Die Größe der sich bildenden Eiskristalle hängt hauptsächlich vom Temperaturunterschied zwischen dem gefrorenen und dem ungefrorenen Bereich ab. Bei geringen Temperaturunterschieden bilden sich wenige Kristallisationskeime, die dann weiter zu Eiskristallen anwachsen, d. h. es entstehen wenige große Eiskristalle. Bei größeren Temperaturunterschieden bilden sich sehr viele Keime, die dann schnell weiterwachsen, d. h. es bilden sich viele kleine Kristalle (Abbildung 2). Je größer der Temperaturunterschied, desto größer ist auch die Gefriergeschwindigkeit. Abb. 2: Abhängigkeit der Keimbildungs- und der Kristallwachstumsrate von der Gefriertemperatur und deren Einfluss auf die Kristallstruktur 3 In Lebensmitteln sind immer ausreichend Kristallisationskeime enthalten, sodass hier nur geringere Unterkühlungen auftreten. Durch die in Lebensmitteln gelösten Stoffe (Salze, Kohlenhydrate, Proteine...) kommt es in Lebensmitteln zusätzlich zu einer Gefrierpunktserniedrigung, siehe Kapitel 4. Dies bedeutet, dass das Wasser erst bei Temperaturen unter 0 °C zu Eis kristallisiert. Da in dem sich bildenden Eis keine gelösten Stoffe eingelagert werden, wird die Konzentration der gelösten Stoffe in der verbleibenden Restlösung immer höher. Durch diesen Konzentrationsanstieg nimmt die Gefriertemperatur der Restlösung weiter ab. Man spricht bei Lebensmitteln daher von einer Temperatur des Gefrierbeginns und einem Gefrierbereich und nicht von einem Gefrierpunkt. Tabelle 2 zeigt die Temperaturen am Gefrierbeginn für verschiedene Lebensmittel. Tabelle 2: Temperatur des Gefrierbeginns ausgewählter Produkte [ii, iii]. Produkt Fleisch Gefrierbeginn /°C - 0,6 bis – 1,2 Produkt Gefrierbeginn /°C Zwiebel, Erbsen - 0,90 Erdbeeren - 0,90 Fisch - 0,6 bis – 2 Milch - 0,50 Pfirsich - 1,40 Eiklar - 0,45 Äpfel, Birnen - 2,0 Eigelb - 0,65 Pflaumen - 2,40 Kopfsalat - 0,40 Kirschen - 4,50 Tomaten - 0,90 Himbeeren - 0,90 Spinat -0,90 Nüsse -6,70 Karotten -1,40 Weißbrot - 4,50 3.) Das Zustandsdiagramm für Saccharoselösungen Ein Zustandsdiagramm zeigt unter welchen Bedingungen ein Stoff bzw. ein Stoffgemisch in flüssiger oder fester Phase oder anderen Zuständen vorliegt. Anhand eines solchen Diagrammes für wässrige Zuckerlösungen kann man die Aufkonzentrierung der Restlösung während des Einfrierens darstellen. Abb. 3 zeigt dies als Temperatur-Konzentrationsdiagramm bei konstantem Druck für eine Saccharoselösung (exemplarisch für viele zuckerhaltige Lebensmittel). 4 Löslichkeitskurve 10 1 5 Lösung Gefrierkurve ϑ 0 g metastabiler Bereich -5 Lösung + Saccharose Temperatur in °C ϑuk 2 2‘‘ -10 2‘ -15 -20 stabiler Bereich -25 Eis + Lösung -30 -35 c0 -40 0 cA 10 20 30 cR 40 50 60 70 80 90 100 Saccharosekonzentration C in % Abb. 3: Zustandsdiagramm Saccharose / Wasser Wird eine Saccharoselösung mit der Anfangskonzentration cA und der Anfangstemperatur T1 (Zustand 1) auf die Temperatur T2 (Zustand 2) abgekühlt, so entsteht eine reine Eisphase (Zustand 2‘‘) und eine aufkonzentrierte Restlösung mit der Konzentration cR (Zustand 2´). Unabhängig von der Konzentration der Ausgangslösung ist die Konzentration der Restlösung bei einer bestimmten Temperatur unterhalb des Gefrierbeginns der Lösung immer gleich. Zur Ermittlung des Massenverhältnisses (Eis zu Restlösung) ε wird das sogenannte Hebelgesetz verwendet: ε= (2) mEis c − cA = R mR c A − c 2`` Bei hinreichender Abkühlung wird die Konzentration der Restlösung so hoch, dass die Lösung in einen glasartigen Zustand übergeht. Im Glaszustand finden in einem für Lebensmittel relevanten Zeitrahmen keine Veränderungen im Produkt mehr statt. Die Glasübergangstemperatur steigt mit sinkendem Wassergehalt. Die meisten wasserhaltigen Produkte erreichen diesen Zustand erst bei Temperaturen von –40 °C und weit darunter [iv]. Außerdem sind Produkte im Glaszustand extrem spröde und damit sehr bruchanfällig. Das Wasser in Lebensmitteln friert über einen Bereich, der bis zu etwa –30 °C reicht, aus, wobei sich in der Regel die größte Eismenge bis ca. –5 °C bildet. Etwa 10 % des Wasseranteils eines Lebensmittels sind so fest an die Trockensubstanz gebunden, dass das Wasser nicht kristallisiert werden kann. Man unterscheidet daher zwischen gefrierbarem und nicht gefrierbarem Wasser. Abb. 4 5 zeigt die Abhängigkeit des Anteils an gefrorenem Wasser von der Produkttemperatur für verschiedene Lebensmittel. ausgefr. Wasseranteil / Gew. % 100 80 60 40 Erdbeeren Schellfisch Rindfleisch Weißbrot-Krume 20 0 0 -10 -20 -30 Temperatur / °C Abb. 4: Ausgefrorener Wasseranteil für verschiedene Lebensmittel in Abhängigkeit von der Temperatur nach [v]. 4.) Gefrierpunktserniedrigung Durch das Vorhandensein gelöster Stoffe wird der Gefrierpunkt von Flüssigkeiten erniedrigt. Dieser Effekt hängt für niedrige Konzentrationen nicht von der Art der gelösten Stoffe, sondern nur von deren Menge n (Anzahl der Teilchen) und von der vorhandenen Flüssigkeit ab. Solche Eigenschaften werden kolligative Eigenschaften genannt. Die kryoskopische Konstante einer Flüssigkeit En (z.B. für Wasser: 1,858 kg·K/mol) gibt an, um wie viel Kelvin der Gefrierpunkt gesenkt wird, wenn 1 mol eines Stoffes in 1 kg Lösungsmittel gelöst wird. Die Gefrierpunktserniedrigung ∆T kann nach folgender Gleichung berechnet werden: (3) ∆T = n ⋅ E n Da in Lebensmitteln sehr viele verschiedene gelöste Teilchen vorliegen, beginnt der Gefriervorgang erst bei Temperaturen unter 0 °C. 5.) Einfluss der Gefriergeschwindigkeit auf die Lebensmittelqualität Die Gefriergeschwindigkeit sowie Größe und Ort der sich bildenden Eiskristalle beeinflussen die Produktqualität entscheidend. Die Gefriergeschwindigkeit ist definiert als die Differenz zwischen der Anfangs- und der Endtemperatur bezogen auf die Gefrierzeit. Die örtliche Gefriergeschwindigkeit (°C/h) gibt den Temperaturabfall an einem Punkt des zu gefrierenden Gutes über einen bestimmten Zeitraum an. Die integrale Gefriergeschwindigkeit (cm/h) beschreibt die Wandergeschwindigkeit der Eisfront durch das Produkt [vi]. In vielen Normen und gesetzlichen 6 Regelungen sind Angaben über die integrale Gefriergeschwindigkeit als Maßstab für ein ausreichendes Gefrieren von Lebensmitteln enthalten. Der Einfluss des Gefrierens auf die Qualität des Produkts (Tabelle 3) lässt sich aber besser mit der örtlichen Gefriergeschwindigkeit betrachten [vii]. Schnelles Einfrieren der Lebensmitteloberfläche kann als ein Oberflächenschutz betrachtet werden. Da Verdunstungseffekte (Wasser, flüchtige Aromen) verlangsamt werden, bedeutet dies häufig eine Qualitätsverbesserung. Tabelle 3: Unterteilung von Gefriervorgängen in Abhängigkeit von der Gefriergeschwindigkeit [viii, ix]. Bezeichnung Gefriergeschwindigkei Anlagen (Kap. B 6.3.4) t / (cm/h) Langsames Gefrieren 0,1 - 0,2 Gefrierkammer Schnelles Gefrieren 0,5 – 3 Langbandtunnel, Plattenfroster Sehr schnelles Gefrieren 5 – 10 Fliessbettunnel Ultra schnelles Gefrieren 10 – 100 Cryogen Um während des Gefrierens ein Entmischen von Lösungen zu vermeiden, muss immer möglichst schnell eingefroren werden. Besonders deutlich wird dies beim Gefrieren von pflanzlichem oder tierischem Gewebe. Die ersten Eiskristalle bilden sich dabei außerhalb der Zelle in den Zellzwischenräumen, da hier die Konzentration gelöster Stoffe niedriger und damit die Temperatur des Gefrierbeginns höher ist als in den Zellen. Dadurch nimmt die Konzentration gelöster Stoffe in der Gewebeflüssigkeit der Zellzwischenräume zu. Dies führt bei langsamem Gefrieren dazu, dass Wasser aus den Zellen heraus in die Zellzwischenräume diffundiert. Dieses Wasser steht dann für das weitere Wachstum der Eiskristalle in den Zellzwischenräumen zur Verfügung. Dadurch dehnen sich die Zellzwischenräume aus und die Zellen schrumpfen. Schreitet dieser Vorgang weiter fort, werden die Zellmembranen geschädigt und teilweise zerstört. Beim Auftauen kann dann das Zellwasser nicht zurück in die Zellen aufgenommen werden und läuft als Tropfsaft ab. Bei empfindlichen Produkten (z.B. Erdbeeren) resultiert daraus eine zerstörte Gewebestruktur. Beim schnellen Einfrieren hingegen ist bei der Eiskristallkeimbildung der Temperaturunterschied ausreichend groß, sodass sich auch innerhalb der Zelle Eiskristalle bilden. Dies führt zu einer gleichmäßigen Kristallisation im Gewebe. Nach dem Auftauen bleibt die Textur weitgehend erhalten und der Tropfsaftverlust ist geringer. Mit der Eisbildung ist außerdem eine Volumenausdehnung verbunden. Diese reicht bei Lebensmitteln im Allgemeinen bis etwa 6 %. Da der Wärmeentzug von außen erfolgt, sind die Randschichten der Produkte bereits erstarrt, wenn die Ausdehnung aufgrund des Gefrierens des Kerns erfolgt. Ob ein Produkt in diesem Fall bricht, hängt von einer Reihe Faktoren ab. Wichtig sind hierbei neben der 7 Temperatur des Gefriermediums die Gesamtgröße des Produktes und das Oberfläche-zu-VolumenVerhältnis, da der entstehende Innendruck umso höher ist, je größer die Dimensionen des Produktes sind. i G. Blond, B. Colas, in Food Freezing: Today and Tomorrow, (Hrsg. W.B. Bald), Springer Verlag, Heidelberg. 1991, 15-43 ii W.E.L. Spieß, W. Wolf, T. Grünewald, in Taschenbuch für Lebensmitteltechniker und – technologen, Band 2, (Hrsg. D. Osteroth), Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, 1991, 39 - 60. iii S.L. Polley, O.P. Snyder, P. Kotnour, Food Technology, 45, 1980, 11, 76-94. iv J.M.V. Blanshard, P.P Lillford (Hrsg.) The Glassy State of Foods, Nottingham University Press, Nottingham 1993 v L. Riedel, Kältetechnik 9, 1957, 38. vi F. Timm, in Tiefgefrorene Lebensmittel, (Hrsg. F. Timm, K. Herrmann), Blakewell Wiss.-Verlag, Berlin, 1996, 15 - 39. vii W.E.L. Spieß, Zeitschrift für Lebensmittel-Technik 32, 1981, 136-139. viii Int. Institute of Refrigeration, in Recommendations for the processing and handling of frozen foods, Paris, 1972. ix P. Fellows, in Food Processing Technology, 2. Auflage, Woodhead Pub. Ltd und CRC Press LLC; Cronwall, 2002. 8