Das Käthchen von Heilbronn Inhalt Vorwort Besetzungsliste Notate zur Entstehung einer Konzeption Zu Käthchen Rätsel und Märchen Zu Kunigunde Inszenierungsidee Zu Graf von Strahl Zur Bearbeitung Übungen zur Vor-und Nachbereitung Vorwort Liebe Freunde des jungen akademietheater-ulm Sie sind an dieser Stelle gewohnt, dass wir auf die Bedeutung unserer Materialienhefte hinweisen und um Reaktionen bitten. Ich möchte stattdessen auf die Bedeutung eines der wunderbaren deutschen Dichter hinweisen, der zwar berühmt ist, aber dem doch mit Misstrauen begegnet wird. Ich habe es gerade an Ihrem Interesse für „Penthesilea“ gemerkt: diese Geschichte von einer Liebe zwischen Menschen aus zwei unterschiedlichen Kulturen, die nicht zueinander kommen können und Amok laufen, ist nicht auf das Interesse Ulmer Lehrer gestoßen. Schön, wenn das in Ulm und Umgebung kein Thema ist, auch, wenn zumindest Süddeutsche oder Stuttgarter Zeitung behaupten, dass dies für junge Menschen von bedrängender Aktualität ist. Aber das sind Großstädte. Wir sind beruhigt, dass solche Problemstellungen zumindest auf Ulm nicht zu zu treffen scheinen und werden das im Spielplan berücksichtigen. Vor genau zweihundert Jahren wurde ein anderes Stück von diesem verfemten Dichter uraufgeführt und im Buch veröffentlicht. Wir müssen da in Ulm nicht jubeln, das Stück erzählt von keiner Jungfrau aus Ulm, sondern aus Heilbronn – das ist für das Ulmer Interesse schlecht, weil er doch die Unterländer nicht besonders mag. Noch mehr: „Penthesilea“ und „Das Käthchen von Heilbronn“ stehen für deren Schöpfer, eines Menschen namens Heinrich von Kleist, in einer engen Beziehung zueinander: „Jetzt bin ich nur neugierig was Sie zu dem Kätchen von Heilbronn sagen werden denn das ist die Kehrseite der Penthesilea ihr andrer Pol, ein Wesen das ebenso mächtig ist durch gänzliche Hingebung, als jene durch Handeln.“ Ich hoffe auf Ihre Neugierde, auch, wenn es hier nur um Liebe geht und nicht um Amokläufe (oder vielleicht doch, ist Hingabe nicht viel infamer?). Wie immer finden Sie Berichte über die Entstehung der Fassung, einen Vergleich zwischen Originalstück und Bearbeitung als besondere Anregung für den Literaturunterricht und Hinweise auf Möglichkeiten wie ein Aufführungsbesuch im Unterricht benutzt werden könnte. Gerade, weil es Kollegen von Ihnen noch mehr nützen könnten: Wir kommen auch gerne zu Ihnen in die Schule, um einen Aufführungsbesuch von Ihnen vor- oder nach zu bereiten. Wir sind für Sie da! Herzliche Grüße Dr. Manfred Jahnke, Künstlerischer Leiter des jungen akademietheaters ulm P.S. Wussten Sie, dass das junge akademietheater-ulm als Mitglied in der ASSITEJ, der Internationalen Theatermachervereinigung aufgenommen worden ist? Mitglieder können nur Theater werden, die nachweisen können, dass sie höchste ästhetische Ansprüche erfüllen. Das Ministerium für Kunst und Wissenschaft fand unsere Konzeptionen zu „Penthesilea“ und „Das Käthchen von Heilbronn“ so interessant, dass es beide Inszenierungen fördert. Heinrich von Kleist Das Käthchen von Heilbronn (K)Ein großes historisches Ritterschauspiel Kammerspielfassung von Manfred Jahnke Friedrich Wetter, Graf vom Strahl Philip Blom Kunigunde von Thurneck Eva Koch Käthchen Nadja Jo Klapper Bühnenbild Supervision Musik Plakat Theaterpädagogik Dramaturgie Manfred Jahnke Stephanie Martin Philip Blom Friederike Hartung Manfred Jahnke Abendspielleitung/Regieassistenz Regie Friederike Hartung Manfred Jahnke Premiere: 28.04.2010 Aufführungsdauer: 60 Minuten Erstdruck des Stückes vor genau zweihundert Jahren in Berlin 1810 Uraufführung: 17. März 1810 im Theater an der Wien Diese Inszenierung verbeugt sich vor einem der großen, immer noch verkannten deutschen Dichter. Diese Inszenierung wird gefördert vom baden-württembergischen Ministerium für Kunst und Wissenschaft. HEINRICH VON KLEIST: DAS KÄTHCHEN VON HEILBRONN NOTATE ZUR ENTSTEHUNG EINER KONZEPTION „Die Wahrheiten des Traumes sind stärker als die Wahrheiten der Wirklichkeit. Die im Traum geschaute Wunscherfüllung bleibt nicht eine Illusion, der sich die Wirklichkeit versagt, sondern diese muß sich dem Bild des Traums anpassen und verwandelt sich damit in ein Märchen.“ Benno von Wiese, S. 325 „Jetzt bin ich nur neugierig, was Sie zu dem K. v. H. sagen werden, denn das ist die Kehrseite der Penthesilea, ihr andrer Pol, ein Wesen, das ebenso mächtig ist durch gänzliche Hingebung, als jene durch Handeln.“ Kleist an Marie von Kleist, Spätherbst 1807 Zur Geschichte der Konzeption Als vor gut einem Jahr der Plan entstand, zunächst „Penthesilea“ für Jugendliche und dann „Käthchen von Heilbronn“ für Kinder zu inszenieren, da ging es mir, was das letztere Stück betrifft, um das Märchen. Und es ging mir vor allen Dingen um die Frage, wie kann ich diese großartigen Stoffe heutigen jungen Menschen in ihrer Größe in Bearbeitungen deutlich machen, ohne den Eigencharakter dieser Kunstwerke zu zerstören? Nicht mir wichtige Stücke auf ein Readers-Digest-Maß herunter zu brechen? Die Schönheiten und das Fremde (und natürlich: Schwierigkeiten!) der Kleistschen Sprache gegen die SMS-Lyrik zu bewahren? Auch das Risiko einzugehen, dass diese Sprache auf Unverständnis stößt. Was bei „Penthesilea“ gelang, nämlich das Stück über den Status von Jugendlichen zu erzählen, atmosphärisch eine eigens komponierte Musik und eine Bewegungschoreographie zu entwickeln, die nicht nur das Wort von Kleist bilderreich umzusetzen, sondern auch durch Körperlichkeit die Aggressivität der Handlungen zum Ausdruck zu bringen versuchte, fokussiert auch auf das aktuelle Migrationsthema, das sollte auch die Grundlage für eine Bearbeitung des „Käthchens von Heilbronn“ sein. So stand eigentlich als Ausgangspunkt das Bild fest: Drei Kinder spielen in ihrem Kinderzimmer mit Playmobil-Ritterfiguren in einer Ritterburg, wie man auch dem Plakat entnehmen kann, das schon fünf Monate vor der ersten Probe fertig sein musste. Und , weil die Drei es irgendwann langweilig finden, greifen sie zu dem Buch „Das Sagenbuch aus dem Schwabenland“ von Kurt Nagel (1985), wo sie gleich nach der Sage „Die Weiber von Weinsberg“ eine Nacherzählung des Kleistschen „Käthchen“ finden und diese Geschichte dann improvisierend weiterspinnen. Aber nachdem schon bei „Penthesilea“ bei mir die Zweifel wuchsen, ob die Aufführung überhaupt ein solches Entree braucht, gingen mir bei einem Aufführungsbesuch von „King A.“ im Theater Ulm die Augen auf. Ich hatte dieses Stück in der niederländischen Uraufführung und in wunderbaren Inszenierungen in Mannheim und Stuttgart gesehen, alle drei brillierten, weil sie dem Text und der in diesem gesetzten Spielbehauptung vertrauten, während die Ulmer leider dem Text gar nicht vertrauten. Und ich, was tue ich? Bedeutet nicht, dem „Käthchen“ die Erfindung einer Spielsituation zur Beglaubigung voran zu stellen, denn nicht auch ein Misstrauen dem Text gegenüber? Was tun? Dem Text vertrauen! Keine Improvisation, die Sprache von Kleist pur auf die Bühne. In den Handlungen selbst das Wichtige aufzeigen. Und vor allen Dingen heraus zu finden, was will ich denn eigentlich erzählen? Ärger in Kauf nehmen, Altersangabe ändern. Und umhören? Und vielleicht auch fragen, warum nach einer Jugendtheaterfassung vor zwölf Jahren 2008 und2009 plötzlich zwei Kindertheaterfassungen und die Nacherzählung als Bilderbuch erscheinen? In der Bearbeitung von Jens Groß, die am schauspielfrankfurt am 16.11.2008 uraufgeführt wurde, muss ein Engel helfen--Was erzählen? Inhaltliche Notate „Und typisch romantisch bezieht Kleist im Käthchen Traumszenen und Somnambulismus ein, denn die Romantik kultivierte alles, was jenseits der bloßen Verstandeswelt liegt – vom Traum bis zum Wahnsinn.“ Jochen Schmidt, S. 138 Ein Mann steht in einer ständischen Gesellschaft zwischen zwei Frauen, die eine Engel, die andere Hexe. Die eine ist Tochter eines Waffenschmieds, also ein bürgerliches junges Mädchen, die andere eine Adlige, die alle Kunst der Kosmetik auf ihrer Seite weiß. Er wirkt unreif, muss wie in den Märchen seine Initiation noch erfahren. So lange er nur äußerer Schönheit folgt, wird er wie der Held im Wald herumirren, sein wirkliches Ich nicht finden. Wie oft begegnen im Wald Prinzen wunderschönen Hexen und heiraten sie und müssen erst nach mühevollen Anstrengungen erkennen, dass sie ihr Leben verfehlt haben? Was bei Kleist diese Konstellation spannend macht: Käthchen und Graf sind für einander vorbestimmt. Sie sind sich schon einmal in der Silvesternacht vor fast zwei Jahren begegnet, als der Graf wie tot darnieder lag und seine Seele sich auf Wanderung begab in eine kleine bürgerliche Mädchenkammer. Sie wollte von ihrem künftigen Bräutigam träumen, während er vor Liebessehnsucht krank war, einer, der die Bedürfnisse seines Körpers spürt, sie aber gnadenlos unterdrückt. Es ist daher auch kein Zufall, dass er sich bei seinem nächtlichen Besuch zwar an äußere Einzelheiten erinnert, vor allen Dingen, dass sie eine Kaisertochter ist, auch an Details im Zimmer, an ein Mal, und an das abrupte Ende der Begegnung, als die Magd mit Licht das Zimmer betrat, aber nicht an die Gesichtszüge des Mädchens. Der Graf ein klassischer Narziß--- Sie erinnert sich hingegen sehr deutlich an ihn. Und als ihn der Zufall denn zu ihren Vater treibt, weil eine Spange an der Rüstung gesprungen ist, da erkennt sie ihn sofort, lässt vor Schrecken das Geschirr fallen und springt ihm gar aus dem ersten Stock des Hauses nach auf die Straße, wo sie, das schönste Mädchen Schwabens auf der Straße liegen bleibt. Und sobald es sich ein wenig erholt hat, ihm sofort nachzieht… Was ist das, was dem Käthchen alle Zuversicht gibt, dass sie sich demütigen lässt und wie ein Hündchen dem Grafen hinterher rennt? Ist es nur, weil sie spürt, dass er sie im Unterbewusstsein liebt? Sich nur nicht über die äußeren Standesgrenzen hinweg setzen kann? Seine Liebessehnsucht hat zwar ein Ziel, die Kaisertochter, aber realisiert hat er sie bisher nicht. Und doch ist er einer, der wie in jedem Märchen sich keusch verhält, seine Stellung nicht missbraucht, auch, wenn er das Käthchen wie eine mindere Magd hält, sie gar mit der Peitsche bedroht und es zulässt, dass sie in das Feuer geht. Selbst als Kunigunde ihn in Besitz nimmt, eine machtgierige Frau (aber deshalb schon Hexe?), er sich verführen lässt, vom vorgezeichneten Weg abzuzweigen (und das liegt allein in seiner Verantwortung!). Es funkt sofort zwischen ihnen, weil, wie er vermutet, sie die prophezeite Kaisertochter ist. Als das Käthchen, das er für immer fortgeschickt hatte, dann aber wieder auftaucht, um ihn vor einen Anschlag zu warnen, da wird er wirklich aggressiv gegen sie. Seine ganze Unsicherheit lädt sich in Aggressivität auf. Unterbewusstsein und Bewusstsein kämpfen hier gegeneinander. Und so braucht es der berühmten Feuerprobe. Dabei aber verstrickt sich der Graf, denn, indem er das tot geglaubte Käthchen betrauert, wird er sich seiner Liebe bewusst, und da dieser Prozess sich vor Kunigunde entäußert, ist das weitere Ende vorprogrammiert. Aber seine eigentliche Reife hat er damit immer noch nicht erreicht, auch, wenn Käthchen engelsgleich aus dem Feuer zurückkehrt. Während Kunigunde erkennt, dass sie es mit einer ernstzunehmenden Rivalin zu tun hat, die es mit Gift zu beseitigen gilt, muss er nun, der den Traum des somnambulen Käthchen belauscht, am Mal erkennen, dass er die rechte Braut verfehlt hat, was ihn fast in den Wahnsinn treibt. Während Kleist nur vage erzählt, wie Käthchen dem Giftanschlag der Kunigunde entkommt, beschreibt er nun die ungeheure Energie, die den Grafen vorantreibt, um aus dem Käthchen eine Kaisertochter zu machen. Hier auch wird die Handlung wenig märchenhaft, hier arbeitet einer verbissen an seinem Ziel und scheut sich nicht davor zurück, den Kaiser auf einen Boris-Becker-Besenkammer-Fehltritt herab zu stufen, dem Käthchen ihren Vater zu nehmen und über die neue Prinzessin von Schwaben jetzt auch noch in der Rangstufe der Macht auf zu steigen. Was passiert nur, wenn alle aus dem Traum, der den Wahnsinn streifte, plötzlich erwachen? „Käthchen von Heilbronn“ ist ein Meisterwerk, allein schon im Wechsel der Passagen, wie der Graf sie anspricht, einmal als Käthchen, zum anderen als Katharina, dann wieder als Käthchen, zeigt sich das Schwanken des Grafen zwischen Nähe und Distanz. Oder im häufigen Gebrauch des Wortes „Hündchen“ für Käthchen, die sich leitmotivisch durch die ersten vier Akte zieht. Oder aber in der Dialektik von Natur und Zivilisation: Käthchen agiert bis auf den Schluss in Naturräumen, immer, wenn sie es mit Innenräumen zu tun hat, wird es bedrohlich für sie, umgekehrt lebt Kunigunde eigentlich in Innenräumen, für sie wird es gefährlich, wenn sie im Außenraum agiert, wie im Wald oder im Bad. „So überträgt sich die ideelle Grundkonstruktion, derzufolge die Natur für das menschlich Gute und Wahre, die Zivilisation für das Verderbte und Falsche steht, immer wieder auch die szenische Grundstruktur.“ Schmidt, S. 140 mj Zur Rolle Käthchen Für mich hat die Rolle des Käthchens etwas von einem Phönix. Sie steckt viele Rückschläge ein, verliert jedoch nie ganz ihren Mut und ihren Glauben an die Gerechtigkeit. Wie der Phönix aus der Asche taucht sie immer wieder auf und setzt sich für den Menschen ein, den sie liebt. Sie geht für ihre Überzeugung sogar wortwörtlich durchs Feuer. Anfangs hielt ich das Käthchen für naiv und demütig, doch lösten vorhergehende Bedenken meinerseits sich nach und nach in Luft auf. Das Käthchen ist trotz ihrer Unschuld eine junge Frau, die sich nicht von ihrem Weg und ihrem Ziel abbringen lässt und die eine sie vorantreibende innere Stärke besitzt, welche sie von der größtenteils materiell orientierten Umwelt abhebt. Nadja Klapper über ihre Rolle als Käthchen Rätsel und Märchen „So zeigt das Rätsel, indem es sich zu lösen scheint, seine Unlösbarkeit, und das Drama bedeutet: Verrätselung (…)Das Gemeinte wird deutlich am ‚Käthchen von Heilbronn‘, das nicht wegen des ritterlichen Klischees romantisch ist, sondern weil es sich mit den Mitteln des Dichters zum unterirdischen Seelenvorgang bekennt. (…) Was ein Geheimnis hat, hat Scham, so weiß dieses Kind wohl, wo es schweigt und wo es sich eröffnet. Aber ihr Wille, sich zu eröffnen, kann nicht, was er will. Sie lebt im Geheimnis, sie weiß es nicht.“ Max Komerell, S. 186F Hier begegnen sich zwei Menschen, die sich selbst ein Rätsel sind. Sie müssen sich erst einmal selbst erkennen, um zu wirklichen Menschen sozialisiert zu werden. Wo das Fatum in der Neuzeit regiert, da fühlen sich Menschen zwar wie Magneten angezogen, aber sie werden nicht wirklich aktiv, weil ihr Handeln vorbestimmt ist. Wie Dornröschen, Aschenputtel oder Die Schöne aus „Die Schöne und das Biest“ ist auch Käthchen eine Figur, die nicht handeln muss, sondern fest in sich vertraut, ohne um den Grund des eigenen Handeln wissen zu wollen. Auch hier agiert ein Traumprinz, nur, dass er eigentlich wie ein tumber Parzival durch die Welt schreitet. In „Käthchen von Heilbronn“ verweben sich Märchen und Tiefenpsychologie zu einem großen poetischen Gedicht, in der jede Altersstufe auf seine Kosten kommt, das Kind, das hier die moralische Erziehung eines Märchens – analog zu „Die Schöne und das Tier“ – erfährt, der Jugendliche, der hier den existentiellen Problemen der Pubertät begegnet, oder der Erwachsene, der alle Ebenen dieses Stücks genießen darf… Und auch die Not unterdrückter Sexualität erkennt, die den Grafen vorantreibt, oder auch erkennen kann, wie sehr Käthchen zum Liebesobjekt der handelnden Männer stilisiert wird, wie z.B. Chris Cullens und Dorothea von Mücke in ihrer Interpretation heraus arbeiten. „Je mehr ich mich bemühte zu verstehen, warum das Märchen so bezeichnend für das innere Leben des Kindes ist, um so klarer wurde mir, daß das Märchen in einem viel tieferen Sinn als jede andere Lektüre dort einsetzt, wo sich das Kind in seiner seelischen und emotionalen Existenz befindet. In den Märchen kommen die schweren inneren Spannungen des Kindes so zum Ausdruck, daß es diese unbewußt versteht; und ohne die heftigen inneren Kämpfe des Heranwachsens herunterzuspielen, bieten sie Beispiele dafür, wie bedrückende Schwierigkeiten vorübergehend oder dauerhaft gelöst werden können.“ Bruno Bettelheim, S. 12 mj Zur Rolle Kunigunde, Freifrau von Thurneck Wie ihr Name schon vermuten lässt, ist Kunigunde von adeligem Geschlecht, und somit als Dame zu bezeichnen, die stets weiß, wie man sich gegenüber einem Herren, ganz besonders einem Ritter, zu verhalten hat. In der Vergangenheit war sie schon mehrmals verheiratet und geizte nie mit ihren Reizen. Die Macht der Verführung macht sie sich zu Nutzen, wann immer es nötig ist. Sie ist von Macht und Erotik getrieben, weiß um ihre Wirkung und setzt sie bewusst ein, um ihre Ziele zu erreichen. Wer nun glaubt, sie sei nur berechnend und schlicht als Hexe zu bezeichnen, der tut ihr Unrecht. Auch Kunigunde hat Gefühle, vor allem dem Grafen gegenüber, denn als sich dieser von ihr abwendet, trifft sie das schwer. Zum einen bedeutet diese Zurückweisung den Verlust ihres Besitzes und der Ländereien, auf die sie es abgesehen hat, zum anderen fühlt sie sich in ihrer Weiblichkeit gekränkt. Der Graf, der sich in das Käthchen verliebt hat, erfährt erst jetzt, was wahre Liebe ist und durchschaut Kunigundes zumindest anfänglich falsches Spiel. Diese Schmach lässt sie nur ungern auf sich sitzen, "Pest Tod und Rache" sind garantiert. Eva Koch über ihre Rolle als Kunigunde Inszenierungsideen Fest stand von vornherein, das Stück auf die Beziehungen zwischen Graf, Käthchen und Kunigunde zu konzentrieren, damit war auch impliziert, mit drei SchauspielerInnen auskommen zu wollen. Damit ist klar als Intention gesetzt, ein märchenhaftes „Kammerspiel“ und kein großes „Ritterspektakel“ in Szene setzen zu wollen. Auch die Vorstellungen für den Bühnenraum waren von Beginn an sehr deutlich: einen künstlichen Naturraum zu schaffen, der sich jeden Naturalismus verweigert: Auf einem Rasenteppich ein schöner Sessel, ein Podest mit einem Ritterhelm als Zitat. Ein Einheitsraum. „Heilbronn liegt im Kinder- und Märchenland“, schreibt Hans Mayer. Und wenn es ein Märchenland ist, dann ist es ein Land der Fantasie, geschaffen in der Vorstellungskraft der Zuschauer. mj Zur Rolle Graf von Strahl Es ist nicht einfach ein Graf von Strahl zu sein, oder ein junger Mann mit dem Wunsch seine Triebe zu verstehen und die Sehnsucht nach der ehrlichen Liebe zu haben. Denn wie soll Mann die ehrliche oder wahre Liebe finden und erkennen wenn Mann in der Welt von so vielen Reizen umgeben ist, geblendet von Äußerlichkeiten schöner Frauen, die in einem Gefühle auslösen denen ein Mann nicht abgeneigt ist? Fallen, in die ein Mann, der sich noch nicht mit sich selbst und seinen Gefühlen auskennt schnell hineingerät. Wie unterscheidet Mann die Liebe von diesen ersten äußerlichen Eindrücken? Wie erkennt Mann die Frau die für einen bestimmt ist wenn Mann nicht genau weiß wie sie aussieht? Muss Mann erst den falschen Weg gehen, um den richtigen zu erkennen? Mann weiß es noch nicht! Mann wird lernen müssen auf sein Herz zu hören. Philip Blom über seine Rolle als Graf von Strahl Zur Bearbeitung Die Konzentration auf drei handelnde Personen bedingen Streichungen im Text. Akt I: Die wichtigen Informationen, die im Femegericht genannt werden, sind Teil der Erzählertexte des Anfangs. II, 1 und II, 2 sind stark zusammen gezogen. II, 3, 4, 5, 6 und 7 (die eigentlichen Ritterszenen) sind gestrichen, von II. 8 nur die Dialoge zwischen Strahl und Kunigunde. II, 9, die Erzählung des Traumes wurde schon in den Anfang genommen. II, 10 nur der Finkenmonolog, II, 11 gestrichen, II, 12 Teil der Dialoge KunigundeStrahl, II, 13 gestrichen. III, 1 Teile, III, 2, 3, 4 gestrichen, III, 5 Teile, III, 6 weitgehend erhalten (nur Gottschalk-Dialoge gestrichen), III, 7, 8 gestrichen, 9 erhalten, 10,11 gestrichen, 12 ganz erhalten, 13 weitgehend erhalten, 14 ebenfalls, 15 konzentriert auf die Dialoge Kunigunde, Strahl und Käthchen, 16 gestrichen. IV, 1 gestrichen, 2 der Monolog eingestrichen, ansonsten original, 3 gestrichen, 4, 5, 6 eingestrichen, 7 gestrichen, 8 nur der Monolog der Kunigunde. V, 1, 2, 3 gestrichen, 4, 5 zusammengefasst, 6 erhalten, 7 leicht eingestrichen, 8 gestrichen, 9 stark gekürzt, 10 gestrichen, 11 auf Käthchen und Strahl konzentriert, 12 erhalten, 13 und 14 zusammengezogen. Ganz gestrichen als Handlungsorte sind das Femegericht im ersten Akt und die Szenen am kaiserlichen Hofe im letzten Akt. Ansonsten betreffen die Streichungen die Ritterszenen. Natürlich verliert man viel, wenn man diese starken theatralischen Bilder auslässt, aber auf der anderen Seite werden die drei handelnden Figuren in ihrem Verhalten in diesem Märchen tiefer und widersprüchlicher. Die Sprache von Kleist wurde beibehalten, bis hin zu den Passagen, in denen in Form des Konjunktivs die Personen über sich selbst in der dritten Person sprechen, um die merkwürdigen Spaltungen dieser Figuren deutlich zu setzen. Deshalb brauchen auch diese Figuren keine historischen Kostümierungen. Sie sind allgegenwärtig. „Die ‚Wunder‘ dieses Dramas sind nicht nur romantische Requisiten, sondern Zeichen für den Sieg der Märchen-Wahrheiten über den Schein der Wirklichkeit: Käthchens geheimnisvolle Bindung an den hohen Herrn, ihre Erschütterung bei der ersten plötzlichen Begegnung, ihr Sturz aus dem Fenster und ihre seltsame Errettung, ihre Abstammung, die engelhafte Hilfe bei dem Brande, usw. (…) Das ganze Glücksund Liebesverlangen, das Heinrich von Kleist in seiner eigenen, ruhelosen Seele trug, hat er in diesen Märchentraum hineingelegt, der das Tragische in dieser Welt entmächtigt zugunsten einer liebenden Seele, die stärker ist als das Leben und als der Tod.“ Benno von Wiese, S. 326 mj Übungen zur Nachbereitung eines Aufführungsbesuchs Es gibt unheimlich viele Wege, eine Aufführung vor- und/oder nachzubereiten. Wir können Ihnen da auch nur ein paar Vorschläge machen, die Sie jederzeit verändern, umwandeln können. Die Theaterpädagogik geht da tausende Wege, ein Königsweg ist da noch nicht gefunden. Sicher ist nur eines, wenn Sie einen Aufführungsbesuch nicht nur verbal, sondern spielerisch vor- oder nachbereiten möchten, dann sollten Sie nicht gleich in die Materie einsteigen, sondern einen Abstand zwischen Alltagsroutine und „Theater“ schaffen. Diese Phase des Abstandnehmens nennt man in der Theaterpädagogik „Warming-Up“. Selbst in der neuen Fachzeitschrift „Schultheater“ wird dieser Übergang vom Alltag in die Welt des Theaters als Voraussetzung für jegliche Theaterarbeit beschrieben. Im Folgenden nennen wir ein paar Möglichkeiten zum Einstieg in eine „andere“ Welt. Wenn man 45 Minuten zur Nachbereitung hat, sollte man natürlich nicht sich 30 Minuten lang aufwärmen, sondern „Warming Up“ und Lernziele sollten in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Aus denen von uns vorgeschlagenen Übungen, die Sie im Anhang finden, sollten Sie maximal zwei auswählen, wobei sich solche besonders eignen, die die Konzentration und die Wahrnehmung fördern, oder den Augenmerk darauf lenken, welche besonderen Bewegungsmerkmale die Figuren haben (wenn Sie hinschauen, werden Sie bemerken, dass jede Figur einen eigenen Bewegungsrhythmus hat). Darauf aufbauen schlagen wir Ihnen folgende Möglichkeiten vor: A) Sie lassen Ihre Schüler – im Kreis stehend – die Geschichte erzählen, dazu gibt es die Möglichkeiten: a) jeder Schüler ein Wort, b) jeder Schüler ein Satz, der von den Mitspielern abgeklatscht werden kann oder c) Sie greifen als Spielleiter ein, unterbrechen den Spieler und weisen auf einen anderen Spieler, der die Erzählung fortsetzt… B) Sie teilen Ihre Klasse in Gruppen ein. In jeder Gruppe bestimmen Sie einen Spieler als „Baumeister“, der mit seinen „Figuren“ (den Mitschülern) eine Szene, die ihm aus der Aufführung in Erinnerung geblieben sind, „baut“. Wenn diese Szene gebaut ist, hat der Spielleiter folgender Alternativen: a) Er klatscht fünf Mal in die Hände: Jedes Mal, darf jeder Spieler nur eine Bewegung machen. Was ist entstanden? Hier ist dringend ein Diskurs angesagt, oder b) der Spielleiter lässt aus dem aufgebauten Bild heraus die Szene nachspielen. Dabei kommt es nicht auf die Textgenauigkeit darauf an, sondern gerade, wenn sich Abweichungen vom Aufführungstext zeigen, geht es auf diese einzugehen. C)Könnten Sie aus b) ableitend nach Handlungsalternativen suchen lassen. Damit gleiten wir zu C) über. Hier wäre der Ausgangspunkt, szenisch zu untersuchen, was die Handlung mit dem Heute zu tun hat? Wie gegenwärtig sind die Figuren? Die Situationen? Lassen sie sich in heutige Wirklichkeit transponieren, oder sind sie historisch erledigt? D) Sie können auch die Sätze von Kleist sammeln, die Ihre Schüler behaltenhaben und im Kreis nacheinander ausprobieren, wie die Worte von Kleist in unterschiedlichen Situationen klingen. E) Natürlich können Sie auch eine rein verbale Nachbereitung durchführen. Sie können z.B. Eindrücke sammeln lassen, wobei jeder Schüler nur Beschreibungen (und keine Wertungen) liefern darf. Sie können sich die Konzeption vornehmen und im Vergleich zwischen Stück und Bearbeitung heraus zu finden versuchen, wo der Fokus der Bearbeitung liegt. Und dann nachspielen lassen. Anhang: WARMING UP ÜBUNGEN Ziele dieser Übungen: Aufwärmen des Körpers (Vorbeugung von Verletzungen) Ankommen im Raum Zusammenführen der Gruppe (Gruppendynamik) Gelenktanz (mit oder ohne Musik) -Alle Spieler verteilen sich im Raum -Die Spieler bewegen (zu der Musik) zuerst nur die Füße, der Rest des Körpers bewegt sich nicht. -Zu den Füßen kommen nun die Knie dazu -Nacheinander setzen dann das Becken/Hüfte, die Finger, die Hände, die Arme und dann der Oberkörper ein. -Als letztes kommt der Kopf dazu -Es bewegt sich nun der ganze Körper, die Bewegungen sind fließend und abstrakt. -Es kommt darauf an, dass sich die Teilnehmer permanent bewegen, der Fokus liegt dabei auf den genannten Körperteilen. -Die Spieler dürfen sich dabei durch den ganzen Raum bewegen. -Die Spieler gehen in der Bewegung zu zweit zusammen -Spieler A bewegt sich, Spieler B schaut zu und setzt sofort wieder ein, wenn Spieler A aufhört , er reagiert auf dessen Bewegungen -Es entsteht Kommunikation Konzentrations-Übungen Ziele dieser Übungen: Aufmerksamkeit (Konzentration) aufbauen Kopf frei machen Arbeitsatmosphäre schaffen Gemeinsames Klatschen -Alle Spieler stehen im Kreis -Der Spielleiter sucht sich per Blickkontakt jemanden aus, dem er zuklatschen möchte -Der ausgewählte Spieler und der Spielleiter müssen gemeinsam klatschen -Nun sucht sich der Spieler einen neuen Klatschpartner und so weiter -Man sollte darauf bestehen, dass die beiden Personen, die an der Reihe sind, wirklich gemeinsam und nicht versetzt klatschen -Während der ganzen Übung darf nicht gesprochen werden Tic Tac Toc Ping -Alle Spieler stehen im Kreis -Ein Klatschen wird im gleichbleibendem Rhythmus durch den Kreis, wahlweise auch über Bande gegeben -Zum Klatschen sagt man nun noch Tic, Tac, Toc, Ping -das heißt, der erste der klatscht sagt Tic, der zweite Tac, der dritte Toc Ping sagen alle und springen dabei in die Luft -Nach Ping beginnt alles wieder von vorne Literaturliste Textausgaben Sembdner, Helmut (Hg.): Heinrich von Kleist. Werke. Carl Hanser Verlag. München 1965 Kleist, Heinrich von: Das Käthchen von Heilbronn. Text und Kommentar. Suhrkamp BasisBibliothek. Frankfurt am Main 2009 N.,N. (Hg.): Das Käthchen von Heilbronn. Bilderbuch. Kindermann Verlag. Berlin 2006 Kurt Nagel (Hg.): Das Sagenbuch aus dem Schwabenland. F. Coppenrath Verlag. Münster 1985 Interpretationen Bettelheim, Bruno: Kinder brauchen Märchen. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 1980 Cullen, Chris und von Mücke, Dorothea: Das Käthchen von Heilbronn. In: Hinderer, Walter (Hg.): Interpretationen. Kleists Dramen. Reclam Verlag. Stuttgart 1997 Kommerell, Max: Die Sprache und das Unausprechliche. In: Schillemeit, Jost: Interpretationen 2. Deutsche Dramen von Gryphius bis Brecht. Fischer Taschenbuch Verlag. Frankfurt am Main 1965 Mayer, Hans: Das unglückliche Bewußtsein. Zur deutschen Literaturgeschichte von Lessing bis Heine. Suhrkamp Taschenbuch. Frankfurt am Main 1989 Schmidt, Jochen: Heinrich von Kleist. Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche. Wiss. Buchgesellschaft. Darmstadt 2003 Von Wiese, Benno: Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel. Hoffmann und Campe Verlag. Hamburg 1948 Impressum junges akademietheater ulm akademie für darstellende kunst adk-ulm e.V. Intendant: Ralf Rainer Reimann Künstlerische Leitung des jungen akademietheaters: Dr. Manfred Jahnke Fort unterer Kuhberg 12 89077 Ulm Tel.: 0731 – 387531 Fax: 0731 – 3885185 www.adk-ulm.de [email protected] theaterpä[email protected] Spielzeit 2009/2010 Reaktion und Layout Dr. Manfred Jahnke Friederike Hartung Mit Beiträgen von: Manfred Jahnke Friederike Hartung Nadja Jo Klapper Eva Koch Philip Blom Plakatlayout und Fotos: Philip Blom Friederike Hartung v.i.s.d.p. Ralf Rainer Reimann