Das Rind Die Rinderwirtschaft in Österreich ist von beträchtlicher Größenordnung. Zugleich unterliegt sie jedoch auch einem großen Wandel. Während 1995 noch 116.593 Rinderhalter insgesamt 2,325 Mio Rinder hielten, waren es 2010 71.563 Landwirte, die 2,013 Mio Rinder hielten. Davon waren 1995 917.000 Milchkühe, von denen 2,29 Mio Tonnen Milch angeliefert wurden (Milchlieferleistung) – im Vergleich 2010: 793.618 Milchkühe und 3,26 Mio Tonnen Milch (Quelle: Grüner Bericht 2009, 2011). Woher stammt das Rind? Das Rind gehört zur Ordnung der Paarhufer – Unterordnung der Wiederkäuer – Familie Hornträger (Bovidae) – Unterfamilie Rinder (Bovinae) – Gattung Eigentliche Rinder (Bos) – Art Ur/ Auerochse (Bos primigenius). Der Ur lebte schon vor ca. 750.000 Jahren (im Diluvium) in Indien. Er wanderte in Europa ein, lebte in Steppen und Wälder und ernährte sich von Gras, Laub, Knospen und Sträucher. Domestiziert wurde der Ur in etwa 8-9.000 Jahren. Im 17. Jhdt. starb er aus. Heutige Nachfahren vom Ur stellen die Europäischen Rinder (Bos Taurus) und das Zebu (Bos Indicus) dar. Bedürfnisse der Rinder Nur wenn Tiere ihr arttypisches Verhalten ausüben können und ihre Anpassungsfähigkeit nicht überfordert wird, kann man von tiergerechter Haltung sprechen. Dabei darf den Tieren keine Schmerzen, Leiden und Schäden zugefügt werden und soll deren Wohlbefinden ermöglicht werden. Um dies zu erreichen, ist es notwendig, das Verhalten und die Haltungsansprüche der Tiere zu kennen, um so ihre Bedürfnisse erfüllen zu können. Sinnesleistungen: Sehen: Das Gesichtsfeld umfasst etwa 300 Grad. Das räumliche Sehen ist eingeschränkt – Rinder können nicht Tiefensehen am Boden mit erhobenem Kopf. (Daher den Tieren beim Treiben genügend Zeit lassen, um bei „Hindernissen“ den Kopf zu senken!); Farbsehen ist möglich. Hören: Der Gehörsinn stellt die erste Feinderkennung dar. Rinder nehmen höhere Frequenzen als der Mensch wahr. Laute Geräusche stellen eine Stresssituation für Rinder dar. Riechen: Über den Geruchsinn findet eine Stimmungsübertragung zwischen den Tieren statt. Verhalten der Rinder: Sozialverhalten: Rinder sind Herdentiere, die in Sozialverbänden von 20 – 30 Tieren leben. Bei Gruppen größer als 50 Tieren bilden sich Untergruppen. Stiere verlassen mit der Geschlechtsreife die Herde und bilden eigene Junggesellengruppen oder leben als Einzelgänger. Rinder haben eine deutlich ausgeprägte soziale Struktur und Rangordnung – diese dient dem möglichst reibungslosen Zugang zu z.B. Wasser, Nahrung, Sexualpartner. Bei erstmaligem Aufeinandertreffen zweier Rinder wird zunächst durch (meist einmalige) Rangkämpfe der Rang geklärt. „Rangfaktoren“ stellen dabei unter anderem das Alter, das Gewicht, die Hörner dar. Rinder halten eine „Individualdistanz“ zueinander ein. Darunter versteht man den Mindestabstand, den die Tiere zueinander einhalten. Dieser ist vom Rang eines Cornelia Rouha-Mülleder Tieres abhängig. Rinder schließen zu bestimmten Herdenmitglieder „Freundschaften“ – diese stellen bevorzugte Leck- und Liegepartner dar. ⇒ wichtig für die Haltung: genügend Platz und Ausweichmöglichkeiten; keine Sackgassen; für jedes Tiere ein Liege- und Fressplatz; gute räumliche Verteilung der Ressourcen. Nahrungsaufnahmeverhalten: Rinder sind Pflanzenfresser. Sie verbringen etwa 8-10 Stunden/ Tag mit der Nahrungsaufnahme, wobei diese im langsamen Gehen erfolgt. Durch die jeweils gespreizten Vorderbeine liegt der Schultergürtel näher am Boden und so reicht das Rind bequem mit dem Maul zum Boden. Mit der Zunge werden Grasbüscheln erfasst, ins Maul gezogen und zwischen Kauplatte und Schneidezähnen abgetrennt – das Futter wird fast unzerkaut geschluckt. Hauptfresszeiten sind am Morgen und abends bis zum Einbruch der Dunkelheit. Der tägliche Wasserverbrauch von Rindern beläuft sich in etwa auf 30 - 75 Liter Wasser (mit Spitzen bis weit über 100 Liter). Rinder verbringen etwa 4 – 9 Stunden am Tag mit Wiederkauen. Dieses findet vor allem im Liegen statt. ⇒ wichtig für die Haltung: ad libitum Fütterung; genügend Raufutter; Futtertisch erhöht, weil die Tiere im Stall nicht in Schrittstellung stehen können; Fortbewegungsverhalten: Der größte Teil der Bewegung ist mit der Nahrungsaufnahme verbunden – je nach Nahrungsangebot kann das 10-12 Stunden/ Tag sein. Es werden dabei Wegstrecken von mehreren Kilometer je Tag zurückgelegt. Die Fortbewegung schränkt sich auf Wegstrecken zwischen verschiedenen Funktionsbereichen ein. ⇒ wichtig für die Haltung: trittsicherer, sauberer Boden; keine beengten Stallverhältnisse; regelmäßige Klauenpflege; Ruheverhalten: Das Ruheverhalten der Rinder findet im Liegen statt. Dieses findet polyphasisch statt, d.h. mehrere Ruhephasen sind über den vollen 24 Stunden Tag verteilt (6 – 10), wobei ein großer Anteil davon auf die Nachstunden fällt. Insgesamt ruhen Rinder etwa 9-12 Stunden/ Tag. Der für die psychische Regeneration erforderliche Tiefschlaf beschränkt sich auf rund 10 Perioden von einigen Minuten pro Tag. Dem Abliegen gehen eine Kontrolle und die Auswahl des Liegeplatzes voraus. Anschließend gehen die Tiere in die Karpalstütze, verlagern das Körpergewicht nach vorne, um so die Hinterhand zu entlasten und legen dann die Hinterhand ab. Beim Aufstehen gehen die Rinder in die Karpalstütze, machen einen Kopfschwung nach vorne unten (Verlagerung des Körpergewichtes nach vorne), stehen mit der Hinterhand auf und richten sich dann mit der Vorderhand auf. Der Aufstehvorgang wird mit einem Schritt nach vorne beendet. ⇒ wichtig für die Haltung: trockene und weiche, verformbare Liegefläche; genügend Platz nach vorne und zur Seite; jedes Tier zumindest einen Liegeplatz; Komfortverhalten: Darunter versteht man all jene Verhaltensweisen, die das körperliche Wohlbefinden fördern und der Abwehr von unbehaglichen Zuständen dienen: Lecken, Kratzen, Sich-Scheuern. Die Tiere zeigen dabei eine erstaunliche Geschicklichkeit, um alle Körperregionen zu erreichen. ⇒ wichtig für die Haltung: Kratzbürsten; trittsicherer Boden; Cornelia Rouha-Mülleder Fortpflanzungsverhalten: Die Geschlechtsreife erlangen weibliche Tiere mit etwa 8 – 10 Monaten, die Zuchtreife mit 18 – 24 Monaten. Männliche Tiere erreichen die Geschlechtsreife mit 9 – 11 Monate, die Zuchtreife mit 15 Monaten. Stiere zeigen eine polygyne Fortpflanzung – d.h. sie paaren sich mit mehreren Kühen. Durch Beriechen und Kosten des Harns überprüft der Stier das Zyklusstadium der Kühe. Brünstige Kühe werden vom Stier verteidigt. Beim Paarungsverhalten hütet der Stier die Kuh. Vor dem Aufsprung prüft der Stier die Duldungsbereitschaft der Kuh, die nur in der Hochbrunst gegeben ist. Die durchschnittliche Tragezeit bei den Kühen beträgt etwa 280 Tage. Zur Geburt sondern sich die Kühe von der Herde ab. Gleich unmittelbar nach der Geburt beriecht und beleckt das Muttertier ihr Kalb ausgiebig. Kälber stehen normalerweise innerhalb der ersten 30 Minuten das 1. Mal auf. 1-2 Tage nach der Geburt zeigen Kühe erhöhte Aggressivität gegenüber anderen Spezies. ⇒ wichtig für die Haltung: eigene Abkalbebox für ungestörtes Abkalben (gute Einstreu, sauber; Fixiermöglichkeit); trittsicherer Boden (bei brünstigen Tieren gegenseitiges Aufspringen); brünstige Tiere fixieren oder aus Herde raus – bringt Unruhe; Mutter-Kind-Verhalten: Für eine gute Mutter-Kind-Bindung ist eine Annäherung und Pflege kurz nach der Geburt wichtig. Das erste und sicherste Erkennungsmerkmal nach der Geburt für das Muttertier ist der Geruch. Nach einigen Tagen erfolgt auch eine akustische und später eine optische Erkennung. Rinder sind sogenannte Ablieger, d.h. die Kälber folgen nach der Geburt ihrer Mutter nicht, sondern bleiben abseits der Herde meist im hohen Gras liegen. An eine Jungtiergruppe schließen sie sich nach einigen Tagen an. Das natürliche Absetzen erfolgt mit 8 – 12 Monaten. Kuh und Kalb erkennen sich auch im Alter. ⇒ wichtig für die Haltung: Abkalbebox für ungestörte Atmosphäre; Problem Milchviehwirtschaft: Kälber werden sofort von dem Muttertier weggeben – zumindest 24 Stunden Kontakt; Besonderheiten beim Rind: - Wiederkäuermagen: mehrhöhliger Magen; drei drüsenlosen Vormägen (Pansen, Netzmagen, Blättermagen) und ein Drüsenmagen (Labmagen); zunächst kommt das Futter in den Pansen (Fassungsvermögen von 200 Liter) – verweilt einige Tage dort und wird mehrmals aufgestossen; Zotten; Pansensaft für mikrobiologische Zerlegung; dann gelangt das Futter in den Netzmagen (wabenförmige Struktur) – mehrmals zwischen Netzmagen und Pansen hin und her bis ausreichend zerkleinert – dann in den Blättermagen: Muskellappen, Flüssigkeitsentzug; schließlich in den Labmagen: bis zu 100 Liter Magensaft; - Wiederkauen: für Zerkleinerung und Verdauung des Futters notwendig; beginnt mit Einatembewegung – Zusammenziehen eines Pansenteiles – antiperistaltische Bewegung der Speiseröhre und Ausatembewegung – Futterbissen zurück in Mundhöhle – hier gekaut, zerkleinert, mit Speichel durchmischt; Säuren neutralisiert - nach ca. 50 – 60 Kieferschlägen Bissen wieder abgeschluckt; Cornelia Rouha-Mülleder