Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität Reader zu den Aktionstagen an der Universität für Bodenkultur Wien am 8. und 9. Juni 2011 Projektgruppe Ernährungssouveränität und Ökologische Landwirtschaft Einführungstexte, Zusammenfassungen der Teilveranstaltungen, Links und Literatur Inhaltsverzeichnis 5 Texte zur Ernährungssouveränität ........................................................................................ 1 Was ist Ernährungssouveränität? .............................................................................................. 2 1 Was ist Ernährungssouveränität? ................................................................................................ 4 2 Warum brauchen wir Ernährungssouveränität? ................................................................... 5 3 Ausblick .................................................................................................................................................. 8 Ernährungssouveränität und ökologische Landwirtschaft ............................................ 10 1 Einleitung ........................................................................................................................................... 12 2 Ernährungssouveränität – Schlüssel der Zukunft ? ........................................................... 12 3 Bioanbau in Österreich: ................................................................................................................ 13 4 Geschichte des Biolandbaus in Österreich: ........................................................................... 14 5 Wechselwirkungen zw. der Biologischen Landwirtschaft und Ernährungssouveränität (ES).............................................................................................................. 14 6 Fazit: ..................................................................................................................................................... 15 7 Ausblick ............................................................................................................................................... 15 Ernährungssouveränität und Biodiversität ......................................................................... 17 1 Biodiversität ...................................................................................................................................... 19 2 Biodiversität und Landwirtschaft ............................................................................................. 20 3 Folgen von Pestiziden und Gentechnik ................................................................................... 21 4 Ernährungssouveränität und Diversität................................................................................. 23 Agrarwende ..................................................................................................................................... 26 1 Einleitung ........................................................................................................................................... 28 2 Agrarwende und betriebliche Strukturen in Österreich .................................................. 28 3 Hintergründe der politischen Agrarwende ........................................................................... 30 4 Ziele der Agrarwende .................................................................................................................... 31 5 BIO Lebensmittel ............................................................................................................................. 32 Konventionalisierung der Ökologischen Landwirtschaft und Ernährungssouveränität ............................................................................................................. 36 1 Einleitung ........................................................................................................................................... 38 2 Dimensionen der Konventionalisierung ................................................................................ 39 3 Wissens- und Anbausysteme ...................................................................................................... 42 4 Konventionalisierung und Ernährungssouveränität ......................................................... 43 Zusammenfassungen der Veranstaltung „Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität“ vom Mittwoch, 8. Juni 2011, BOKU Wien. .......................... 47 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität I 1 Vortrag: Ernährungssouveränität durch biologische Landbewirtschaftung (Prof. Haiger).......................................................................................................................................................... 48 2 Vortrag: Ernährungssouveränität und die GAP (A. Strickner) ...................................... 50 3 Vortrag: Ernährungssouveränität und Biolandwirtschaft in Afrika. Ein Widerspruch? (Dr. Hauser) .................................................................................................................. 52 4 Film & Diskussion: „Die Dinge könnten auch anders sein…“ – Lernprozesse in Demokratie, Mitbestimmung und Zusammenleben für Ernährungssouveränität? (Planquadrat) ............................................................................................................................................ 54 Zusammenfassungen der Veranstaltung „Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität“ vom Donnerstag, 9. Juni 2011, BOKU Wien. ..................... 56 1 Workshop: Politisches Engagement für Ernährungssouveränität ............................... 57 2 Workshop: Saatgut und Ernährungssouveränität .............................................................. 59 3 Workshop: Wie gründe ich eine Foodcoop? ......................................................................... 61 4 Workshop: Ernährungsautonomie auf Hofkollektiven .................................................... 63 5 Workshop: Pflanz dir deine Stadt! Guerilla Gardening als Strategie zur städtischen Ernährungssouveränität ....................................................................................................................... 65 6 Podiumsdiskussion: Ernährungssouveränität: Strategien und Perspektiven – Welche Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik brauchen wir? ....................................... 67 Nyéléni-Forum: ............................................................................................................................... 69 Literatur, Links, Kontakte – ...zum weiterlesen, vertiefen und aktiv werden! ........ 70 Links zu den Videoaufzeichnungen der Vorträge und der Podiumsdiskussion…..72 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität II 5 Texte zur Ernährungssouveränität: Die im ersten Teil folgenden fünf Texte sollen eine Einführung in das Konzept Ernährungssouveränität bieten und wurden im Zuge der Lehrveranstaltung Projekt Ökologische Landwirtschaft verfasst. Mit der Erarbeitung dieser Texte haben sich die Mitglieder der Projektgruppe selbst mit dem Begriff der Ernährungssouveränität auseinandergesetzt. Die VerfasserInnen näherten sich dem Thema mit unterschiedlichen Vorstellungen von diesem hoch kontroversen Konzept. Somit dokumentieren die Texte auch die unterschiedlichen Einschätzungen der Perspektive, die Ernährungssouveränität bietet, und die unterschiedlichen Einschätzungen der weiteren Entwicklung von Ernährungssouveränität. Nach diesen Einführungstexten (jeweils samt Literaturverzeichnis) folgen die Zusammenfassungen der verschiedenen Teilveranstaltungen der Aktionstage zum Thema „Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität“. Die Vorträge sowie die Podiumsdiskussion sind auch als Filmaufnahme online verfügbar (siehe Links auf S. 72). Wie die Einführungstexte wurden auch die Zusammenfassungen von den verschiedenen Projektteammitgliedern verfasst und erheben damit keinen Anspruch auf Vollständigkeit, Genauigkeit oder Richtigkeit der Inhalte. Zur weiteren Beschäftigung mit den jeweiligen Themen stehen auch hier jeweils anschließend Links und Literaturtipps zur Verfügung. Danach wird kurz auf das im Sommer 2011 stattfindende Nyéléni-Forum eingegangen. Zum Abschluss findet sich schließlich eine Listenübersicht mit Links, Literaturempfehlungen und Kontaktadressen rund um die Ernährungssouveränität. Wir wünschen dir viel Freude beim Lesen und hoffen, dich für das Thema begeistern zu können. VerfasserInnen: Projektteam Ernährungssouveränität und Ökologische Landwirtschaft: Katharina Hagenhofer, Isabella Hiebaum, Ulrike Jaklin, Valerie Jarolim, Daniel Lehner, Moritz Maurer, Josef Maier, Magdalena Scheuch, Henrike Thalenhorst, Georg Thünauer und Georg Weissenböck; mit Beiträgen von Franziskus Forster (AgrarAttac) Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 1 Universität für Bodenkultur, Wien Was ist Ernährungssouveränität? Projekt Ökologische Landwirtschaft Prof. Dr. Christian Vogl Sommersemester 2011 Verfasst von: Katharina Hagenhofer Mat. Nr.: 0741282 Isabella Hiebaum Mat. Nr.: 0611740 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 2 Inhaltsverzeichnis 1 .......................................................................................... Was ist Ernährungssouveränität? ................................................................................................................................................................. 4 1.1 La Via Campesina ............................................................................................................................................4 1.2 Nyéléni-Forum für die Ernährungssouveränität ...............................................................................4 2 ..................................................................Warum brauchen wir Ernährungssouveränität? ................................................................................................................................................................. 5 2.1 Ernährungssouveränität als Weg aus der globalen Hungerkrise ...............................................6 2.2 Sechs Prinzipien der Ernährungssouveränität laut Nyéléni .........................................................6 2.3 Forderungen von La Via Campesina für Ernährungssouveränität ............................................7 3 ............................................................................................................................................... Ausblick ................................................................................................................................................................. 8 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 3 1 Was ist Ernährungssouveränität? Ernährungssouveränität ist das Recht der Völker, Nationen und Staaten-gemeinschaften, ihre Ernährungs- und Agrarpolitik selbst zu bestimmen, und gleichzeitig die Verpflichtung, die Landwirtschaft anderer Länder nicht zu beeinträchtigen. Im Gegensatz zur Ernährungssicherheit, die das Recht auf ausreichende Versorgung mit Essen beschreibt, spricht Ernährungssouveränität vom Recht auf gesunde und kulturell angepasste Nahrung, die unter Achtung der Umwelt hergestellt ist. Alle Völker, Nationen und Staatengemeinschaften müssen das Recht haben, über den Grad der Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln selbst zu bestimmen und eine eigenständige Agrar- und Ernährungspolitik zu entwickeln. Neben natürlichen Bedingungen werden auch kulturelle und produktionstechnische Besonderheiten berücksichtigt und so die Ressourcen geschont und langfristig erhalten. Das Konzept der Ernährungssouveränität wurde von La Via Campesina beim FAO (Food and Agriculture Organisation) -Gipfel von 1996 in Reaktion auf das WTO-Abkommen von 1994 begründet. Im Februar 2007 wurde der Rahmen des Konzepts durch das internationale Forum „Nyéléni“ in Mali erweitert. In den folgenden Kapiteln werden die Organisation La Via Campesina und die Bewegung des internationalen Nyéléni-Forums näher erläutert (vgl. Engel 2002, 1-3 sowie Choplin 2011, 98). 1.1 La Via Campesina La Via Campesina ist ein weltweiter Zusammenschluss von Kleinbauern und –bäuerinnen und LandarbeiterInnenorganisationen, die aufgrund der Globalisierung um ihre Existenz kämpfen. Die Organisation wurde 1993 in Belgien gegründet. Sie setzt sich für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Kleinbauern und –bäuerinnen, sowie für faire Handelsbedingungen, soziale Gerechtigkeit und für eine nachhaltige Wirtschaftsweise weltweit ein. Ihr oberstes Ziel ist, die Ernährungssouveränität umzusetzen und gleichzeitig die Neoliberalisierung zu stoppen. Auch die Beachtung der Frauenrechte und Geschlechtergleichheit in allen Bereichen ist eines der obersten Anliegen von La Via Campesina. Beim Welternährungsgipfel 1996 machte La Via Campesina auf ihre Forderungen nach Berücksichtigung und Umsetzung von Ernährungssouveränität aufmerksam. Mittlerweile werden die gleichen Ziele von einer wachsenden Zahl von Bauern- und Bäuerinnenvereinigungen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) unterstützt (vgl. Engel 2002, 1). Überregionale und nationale Sub-Organisationen sind z.B. die Europäische Koordination Via Campesina, die Bauern-/Bäuerinnen- und LandarbeiterInnenorganisationen aus 15 europäischen Ländern vereinigt, und die ÖBV (Österreichische Bergbauern und – Bäuerinnen Vereinigung) - Via Campesina Austria. 1.2 Nyéléni-Forum für die Ernährungssouveränität Beim ersten Forum für die Ernährungssouveränität im eigens dafür errichteten Dorf Nyéléni in Mali kamen im Februar 2007 über 500 Delegierte aus ca. 80 Ländern zusammen, um eine Änderung des bestehenden Agrar- und Ernährungssystems zu diskutieren und die weltweite Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 4 Bewegung für Ernährungssouveränität zu stärken. Bei den Delegierten handelte es sich um VertreterInnen von Organisationen von Bauern und Bäuerinnen, traditionellen Fischern, indigenen Völkern, Landlosen, LandarbeiterInnen, MigrantInnen, Hirtenvölkern, StadtbewohnerInnen, Konsument-Innen, Umweltbewegungen und so weiter. In der Erklärung von Nyéléni stellen sie Forderungen für die Ernährungssouveränität und gegen eine Weiterführung der derzeitigen Agrar- und Ernährungspolitik. Im August 2011 wird in Krems, Österreich, das erste Europäische Nyéléni-Forum stattfinden, um auch in Europa das Konzept der Ernährungssouveränität und die dazugehörige Bewegung voranzutreiben (vgl. Nyéléni-Bericht 2007). 2 Warum brauchen wir Ernährungssouveränität? Die steigende Zahl der Weltbevölkerung lässt in Zukunft eine Verknappung auf den globalen Lebensmittelmärkten vermuten. Auch eine zunehmende Konzentration des Marktes bei einigen wenigen Unternehmen und das rapide Wachstum von global agierenden Einzelhandelsketten sind für die Zukunft vorhersehbar. Gleichzeitig nimmt der Biomassezuwachs ab und die natürlichen Ressourcen werden weniger. Kleinbäuerliche ProduzentInnen in nicht industrialisierten Ländern sind aufgrund der veränderten globalen Handelsströme bereits geschwächt. Sie werden künftig durch unzureichende Marktzugänge und eine schlechtere Verhandlungsposition den neuen Anforderungen des Lebensmittelmarktes nicht entsprechen können. Werden die landwirtschaftlichen marktorientieren Produktionssysteme weitergeführt wie bisher, wird es im laut Weltagrarbericht im Jahr 2050 auf der Welt 80 Millionen stark unterernährte Kinder geben, die meisten davon in Südasien und der Region SSA (SubsaharaAfrika). Exporte landwirtschaftlicher Erzeugnisse dieser Region werden aufgrund von landwirtschaftlicher Subvention der Industrieländer verhindert und verzerren die dortigen Binnenmärkte. Auch Handelsbarrieren, innenpolitische marktverzerrende Maßnahmen und internationale Protokolle oder Beschränkungen in vielen Regionen vergrößern das Problem der Ernährungssicherheit in Zukunft (vgl. Albert/Engel 2009, 83). Auch in Industriestaaten wie z.B. in vielen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind viele Kleinbauern und -bäuerinnen zunehmend von der immer stärkeren Machtkonzentration bei der Lebensmittelindustrie und von politischen Maßnahmen zur Förderung „wettbewerbsfähiger“ größerer Betriebe betroffen. Mit den kleinbäuerlichen Strukturen schwindet teils auch das Wissen und Potential für ein ökologisch, sozial und kulturell angepasstes, nachhaltiges Wirtschaften. Besonders in der EU hat sich mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) die Situation der kleinbäuerlichen Landwirtschaft kontinuierlich verschlechtert (vgl. Choplin et al. 2011). In den folgenden Kapiteln wird näher auf die Rolle der Ernährungssouveränität sowie ihre Prinzipien und Forderungen eingegangen. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 5 2.1 Ernährungssouveränität als Weg aus der globalen Hungerkrise Der Weltagrarbericht (verfasst von über 500 WissenschaftlerInnen im Auftrag der Vereinten Nationen und der Weltbank) besagt, dass die kleinbäuerlichen Strukturen, vor allem in Asien, Afrika und Lateinamerika die wichtigsten Garanten und die größte Hoffnung einer sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigen Lebensmittelversorgung sind. So könnten neun Milliarden Menschen versorgt werden und die Grundlage für widerstandsfähige Anbau- und Verteilungssysteme geschaffen werden (Weltagrarbericht 2009, 1-2). Wenn Kleinbauern und –bäuerinnen über genügend notwendige Mittel wie Land, Wasser, Handwerkszeug etc. verfügen, produzieren sie einen deutlich höheren Nährwert pro Hektar als die industrielle Landwirtschaft, mit niedrigerem externem Input und geringeren Umweltschäden. Deshalb gilt die Investition in kleinbäuerliche Produktion als das vielversprechendste und sicherste Mittel, um Hunger zu bekämpfen und negative Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt zu minimieren. Dabei wird sichergestellt, dass die produzierten Lebensmittel dort zur Verfügung stehen, wo sie gebraucht werden. Die Voraussetzung dafür ist eine minimale Rechtssicherheit, angemessene Einkünfte und eine angepasste Infrastruktur. Lager- und Transportmöglichkeiten müssen vorhanden sein und der Zugang zu lokalen Märkten muss möglich sein, um die Produkte verkaufen zu können. Nur wenn Produkte zu einem den Produktionskosten entsprechenden Preis verkauft werden können, werden Bauern und Bäuerinnen mehr produzieren, als die Familie verbraucht, und somit auch die Mitmenschen ernähren (vgl. Weltagrarbericht 2009, 13-15). 2.2 Sechs Prinzipien der Ernährungssouveränität laut Nyéléni 1. Vorrang für die Ernährung der Bevölkerung Ernährungssouveränität ist das Recht auf eine ausreichende, gesunde, kulturell adäquate Ernährung für alle Individuen, Völker und Gemeinschaften; dieses Recht steht im Mittelpunkt der Ernährungs-, Landwirtschafts-, Viehzucht- und Fischerei-politik. Lebensmittel können deshalb nicht als Ware wie jede andere betrachtet werden. 2. Wertschätzung der LebensmittelproduzentInnen Ernährungssouveränität würdigt und respektiert die Praktiken und die Rechte von Bauern und Bäuerinnen sowie HirtInnen, FischerInnen, WaldbewohnerInnen, Indigenen und LandarbeiterInnen sowie MigrantInnen, die kultivieren, wachsen lassen, sammeln und Lebensmittel herstellen. Sie weist politische und andere Maßnahmen und Aktionen zurück, die die ProduzentInnen entwerten oder bedrohen. 3. Etablierung von lokalen Produktionssystemen Ernährungssouveränität verringert die Distanz zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen und ermächtigt sie im Entscheidungsprozess über Ernährungs-fragen. Sie schützt ProduzentInnen vor Dumpingpreisen und KonsumentInnen vor ungesunder sowie unangemessener Nahrung. Sie lehnt Praktiken ab, die nicht nachhaltig sind und die ungerechten Handel fördern und übermächtige transnationale Konzerne begünstigen. 4. Stärkung der lokalen Kontrolle Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 6 Ernährungssouveränität legt die Verwaltung von Land, Boden, Weiden, Wasser, Saatgut, Tieren und Fischfang in die Verantwortung der lokalen ProduzentInnen, die diese nach sozial und ökologisch nachhaltigen Kriterien aufteilen und nutzen, wobei lokale Territorien nicht immer mit geopolitischen Grenzen übereinstimmen müssen. Sie weist Privatisierung von natürlichen Ressourcen deutlich zurück. 5. Aufbau von Wissen und Fertigkeiten Ernährungssouveränität basiert auf dem Wissen und den Fertigkeiten von lokalen ProduzentInnen und Organisationen und den von ihnen entwickelten Produktions-systemen und lokalen Kulturen. Sie weist Technologien zurück, die die Produzent-Innen oder zukünftige Generationen bedrohen. 6. Arbeit mit der Natur Ernährungssouveränität nützt die natürlichen Ressourcen durch Produktions-methoden, die agrarökologisch sind, wenig Inputs verbrauchen, diversifiziert sind, die Ökosysteme optimieren und die Resilienz und Anpassungsfähigkeit an den Klima-wandel verbessern. Sie wehrt sich gegen Praktiken, die Ökosysteme schädigen oder zerstören, viel Energie verbrauchen oder zum Klimawandel beitragen. Diese sechs Prinzipien basieren auf einer Zusammenfassung des Nyéléni-Berichts (vgl. Choplin et al.: 2011, 104-107). 2.3 Forderungen von La Via Campesina für Ernährungssouveränität Die Organisation La Via Campesina fordert unter anderem, dass die Produktion von gesunden und qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln unter Berücksichtigung der naturräumlichen und kulturellen Gegebenheiten bei der staatlichen Förderung Vorrang haben muss. Die Produktion soll überwiegend für den Eigenbedarf bzw. für lokale oder nationale Märkte erfolgen. Damit interne Unterstützungsmaßnahmen für die Grundnahrungsmittelproduktion (z.B. höhere Preise) wirksam eingesetzt werden können, soll jedes Land die Möglichkeit haben, Schutzmaßnahmen gegen den Import von Billigprodukten zu ergreifen. Weiters verlangt La Via Campesina, dass Exportbeihilfen und interne Unterstützungsmaßnahmen, die den Export zu Preisen unterhalb der Produktions-kosten ermöglichen, verboten werden (wie z.B. die Förderungszahlungen an europäische Bauern und Bäuerinnen im Rahmen der GAP). Zugang zu Land ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass das Menschenrecht, sich zu ernähren, erfüllt werden kann. Deshalb ist es erforderlich, dass Bauern und Bäuerinnen den nötigen Zugang zu Ressourcen haben, um Nahrungsmittel produzieren zu können. Zu diesen Ressourcen zählen auch die genetischen Ressourcen. Bauern und Bäuerinnen haben das Recht, ihr Saatgut aus ihren züchterischen Leistungen frei zu nutzen. Die Patentierung und Vermarktung genetischer Ressourcen durch private Firmen muss laut Via Campesina verboten werden. Die WTO (World Trade Organisation) mit dem Hauptziel, den freien Welthandel durchzusetzen, soll nicht Bereiche wie Nahrungsmittelproduktion, Gesundheit oder Umwelt kontrollieren können. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 7 Demokratische Strukturen zur Regelung Nahrungsmittelhandels sind notwendig. der Nahrungsmittelproduktion und des Eine „World Food Convention on Food Sovereignty and Trade in Food and Agriculture“ sollte die bestehenden Regelungen zur Landwirtschaft innerhalb der WTO ersetzen. Menschenrechte müssen in Handelsregeln berücksichtigt werden und andere internationale Regelwerke als gleichwertig akzeptiert werden. Zum Prinzip der Gewaltenteilung sollte ein internationaler Gerichtshof für Handelsfragen eingerichtet werden (vgl. Engel 2002, 3-5). 3 Ausblick Die Landwirtschaft wird derzeit von den globalen Krisen (Wirtschafts- und Finanzkrise, Umweltkrise,…) geschüttelt und die heutige Agrar- und Ernährungs-politik wird immer mehr kritisiert. Im Jahr 2013 wird in der EU mit den Beschlüssen für eine neue Gemeinsame Agrarpolitk (GAP) der Prozess und die Richtung der europäischen Landwirtschafts-politik neu bestimmt und damit auch die Agrarpolitik anderer Staaten und Staatengemeinschaften stark beeinflusst. Immer mehr Organisationen (wie z.B. Attac, Via Campesina, Agrarbündnis etc.) engagieren sich für Ernährungssouveränität im europäischen und im globalen Kontext und fordern somit auch eine zukunftsfähige GAP. Seit 2009 setzen sich diese Organisationen für eine Richtungsänderung in der europäischen Agrar- und Ernährungspolitik ein, mit dem Ziel einer ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltigen Landwirtschaft, die die Bevölkerung mit gesunden, qualitativ hochwertigen und kulturell adäquaten Lebensmitteln zu produzentengerechten Preisen versorgt. Diese Ziele sind auch in der europäischen Erklärung für Ernährung (European Food Declaration, 2009) verankert, die bisher von über 300 Organisationen in mehr als 30 europäischen Ländern unterzeichnet wurde. Auch das im August 2011 in Österreich stattfindende Europäische Nyéléni-Forum für die Ernährungssouveränität ist Hoffnungsträger für diesen Prozess. Mit dem wirtschaftlichen und politischen Gewicht der EU im globalen Kontext bietet die Option für eine zukunftsfähige GAP eine historische Chance für die Wende zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und zur Ernährungssouveränität (vgl. Choplin et al. 2011, 118-127). Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 8 Literaturverzeichnis: Albrecht, Stephan/ Engel, Albert (2009): Weltagrarbericht: Synthesebericht. Teil I: Aktuelle Lage, Herausforderungen und Handlungsoptionen. http://hup.sub.unihamburg.de/opus/volltexte/2009/94/chapter/HamburgUP_IAASTD_Synthesebericht_Teil_I_La ge_Herausforderungen_Handlungsoptionen.pdf, 28.04.2011. Choplin, Gérard/ Strickner, Alexandra/ Trouvé, Aurélie (2011): Ernährungssouveränität: Für eine andere Agrar- und Lebensmittelpolitik in Europa. Wien: Mandelbaum Verlag. Engel, Astrid (2002): Ernährungssouveränität noch immer ein unbekannter Begriff? In: Fünf Jahre später. Eine Bilanz von NRO fünf Jahre nach dem Welternährungsgipfel in Rom, 10-15. Erklärung des Forum für Ernährungssouveränität, Nyéléni (2007): http://nyelenieurope.net/index.php?option=com_content&view=article&id=108%3Ade claration-of-nyeleni&lang=de , 29.04.2011. Europäische Erklärung für Ernährung (2009): http://www.europeanfooddeclaration.org/declaration/de , 29.04.2011. Zukunftsstiftung Landwirtschaft (2009): Wege aus der Hungerkrise. Die Erkenntnisse des Weltagrarberichtes und seine Vorschläge für eine Landwirtschaft von morgen. www.weltagrarbericht.de, 28.04.2011. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 9 Universität für Bodenkultur, Wien Ernährungssouveränität und ökologische Landwirtschaft Projekt Ökologische Landwirtschaft Prof. Dr. Christian Vogl SS 2011 Verfasst von Daniel Lehner Mat. Nr.: 1040349 Henrike Christin Thalenhorst Mat. Nr.: 1040801 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 10 Inhaltsverzeichnis 1 ............................................................................................................................................ Einleitung .............................................................................................................................................................. 12 2 ............................................................. Ernährungssouveränität – Schlüssel der Zukunft ? .............................................................................................................................................................. 12 3 ................................................................................................................. Bioanbau in Österreich: .............................................................................................................................................................. 13 4 ............................................................................ Geschichte des Biolandbaus in Österreich: .............................................................................................................................................................. 14 5 ............................ Wechselwirkungen zwischen der Biologischen Landwirtschaft und Ernährungssouveränität (ES).................................................................................................... 14 6 ..................................................................................................................................................... Fazit: .............................................................................................................................................................. 15 7 ............................................................................................................................................... Ausblick .............................................................................................................................................................. 15 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 11 1 Einleitung Die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft ändern sich: Wirtschaftskrise, unsichere Märkte und neue Spielregeln bestimmen die Arbeit der heutigen Bauern und Bäuerinnen. Mit den gegenwärtigen Methoden der Landwirtschaft werden die Herausforderungen der Zukunft weltweites Bevölkerungswachstum, Klimaerwärmung, Ressourcenverknappung - nicht zu bewältigen sein. Aufgrund der immer schneller werdenden Globalisierung wird die Landwirtschaft, deren grundsätzliche Aufgabe es ist, die Ernährung der Weltbevölkerung sicherzustellen mit neuen Problemen konfrontiert. Nach neuesten Angaben der FAO fallen ein Drittel der Lebensmittel, wohlgemerkt in allen Teilen der Welt, der Verschwendung zum Opfer. Mit Hilfe des noch relativ unbekannten Konzeptes der Ernährungssouveränität, an deren Umsetzung sich unter anderem Organisationen wie Via Campesina, Attac und andere maßgeblich beteiligen, soll solchen Phänomenen entgegen gewirkt werden. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehören jedoch, die Effektivität hinsichtlich ihrer ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit der verschiedenen Produktionssysteme zu hinterfragen und den heutigen Zuständen anzupassen. In diesem Zusammenhang gilt es herauszufinden, inwieweit der biologische Anbau von Lebensmitteln tatsächlich zur Ernährungssouveränität beträgt. 2 Ernährungssouveränität – Schlüssel der Zukunft? Das Konzept der Ernährungssouveränität gilt grundsätzlich für alle Länder - reiche und arme und definiert keine einheitliche politische Strategie, die als Patentrezept in verschiedenen Ländern weltweit anwendbar wäre. Gerade in Entwicklungsländern ist es wichtig, eine unabhängige und selbstständige Landwirtschaft zur Versorgung der eigenen Bevölkerung zu etablieren, da hier das Bevölkerungswachstum besonders stark steigt. Insgesamt wird die Weltbevölkerung pro Jahr um bis zu 80 Millionen Menschen bis zum Jahr 2015 wachsen (siehe Abbildung 1). Hinzu kommt die Problematik, dass insbesondere von den USA und der EU stark subventionierte Lebensmittelexporte zu Dumpingpreisen die Lebensgrundlage vieler Kleinbauern und bäuerinnen, welche das Rückgrat der Landwirtschaft repräsentieren, zerstören. (http://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/nachrichten/artikel/agrarexportsubventi onen_bisher_ein_gut_gehuetetes_geheimnis/). Abb. 1 (http://www.herbert-gruhl.de/assets/images/weltbevoelkerung.gif) Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 12 Die Ernährungssouveränität stellt ein großes Spannungsfeld zwischen ProduzentIn und VerbraucherIn dar, was vor allem einerseits die Nahrungsmittelkrise zeigt, aber auch andererseits an vielen „sterbenden“ Kleinbetrieben zu sehen ist. Es entsteht eine Gratwanderung zwischen Preis, Qualität und Herkunft. Durch eine stets ansteigende Nachfrage an biologischen Lebensmitteln aller Art, erfährt die Biobranche einen weltweiten Aufschwung, besonders auch in wirtschaftlich aufsteigenden Ländern (http://www.welt.de/wirtschaft/article12518964/Deutsche-Haendler-importieren-BioProdukte-aus-China.html). So müssen die Landwirte einerseits existenzwürdige und qualitätsangemessene Erlöse für ihre Produkte erhalten und andererseits sollen Lebensmittel auch für Arme erschwinglich bleiben. Angesichts der großen Anzahl an Faktoren und auch anderer Einflüsse ist es also offensichtlich, dass Ernährungssouveränität in unserer Gesellschaft eine große Rolle spielt, wenn auch der Begriff an sich den Wenigsten bekannt ist und ihr in Zukunft eine weitaus größere Bedeutung eingeräumt werden muss. 3 Bioanbau in Österreich: „Der ökologische Landbau ist eine Bewirtschaftungsform mit ganzheitlicher Betrachtung des Betriebsorganismus und seiner Kreisläufe. Die nachhaltige Gesundheit und Fruchtbarkeit dieses Organismus wird anders als in der konventionellen Landwirtschaft durch ein vielseitiges System von sich gegenseitig ergänzenden und bedingenden umweltverträglichen Maßnahmen unter Mithilfe der regulierenden Wirkung des Ökosystems sichergestellt. Auf den Einsatz von chemisch-synthetischen Betriebsmitteln kann dabei verzichtet werden. Da man vom Funktionieren des Ökosystems weitgehend abhängig ist, muss es auch so weit wie möglich erhalten, gepflegt bzw. wieder aufgebaut werden. Diese Art der Bewirtschaftung erfordert damit im besonderen Maß ein ganzheitliches Systemdenken: Bei jeder Maßnahme, die durchgeführt wird, müssen der ganze Betrieb und die Erweiterungen für zukünftige Entwicklungen im Auge behalten werden, vor allem deshalb, weil Bewirtschaftungsfehler nachträglich nur mehr schwer oder gar nicht korrigiert werden können“ (Ökologischer Landbau 1993: 27). Von besonderer Bedeutung im ökologischen Landbau ist ein geschlossener Stoffkreislauf, der sich unter anderem durch folgende Aspekte auszeichnet: - Verzicht auf chemisch-synthetische Hilfsmittel (leichtlösliche Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel) Erhaltung einer dauerhaften Bodenfruchtbarkeit durch eine ausgeglichene Humusbilanz Schonung nicht erneuerbarer Ressourcen Artgerechte Viehhaltung Aufgelockerte, weite Fruchtfolgen Leguminosenanbau Schonende Bodenbearbeitung (vgl. Lochner, Horst, Grundstufe Landwirt, 2007: 224) Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 13 4 Geschichte des Biolandbaus in Österreich: Seit Beginn der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts existiert die biologische Landwirtschaft, deren Entwicklung maßgeblich von Bäuerinnen und Bauern getragen wurde. So wurden beispielsweise 1927 erste Pionierbetriebe in Kärnten datiert. „Im Gefolge der Technisierung und Chemisierung in der Landwirtschaft der 50er und 60er Jahre kam es zu Gegenströmungen, die nach mehr Ökologie und nach naturbelassener Nahrung verlangten. Auch die kleineren Produktionseinheiten wurden wiederentdeckt“ (Agrarpolitik in Österreich 1991: 21). Erst 35 Jahre später folgten verbandsartige Organisationen und es wurde mit Ausbildung und Beratung begonnen. Seit dem Jahre 1994 erlebte der biologische Landbau seine stärkste Entwicklung, die er größtenteils den stetig wachsenden Direktzahlungen verdankt. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 1995 wurden die Bedingungen für die Umstellung auf biologischen Anbau über umfassende Förderungen weiter verbessert (http://www.landnet.at/article/articleview/17214/1/5045 ). Weiters trug der Handel durch die Aufnahme von immer mehr biologischen Produkten in sein Sortiment wesentlich zum Bio-Boom bei. Bis heute ist ein stetiger Zuwachs an Biobetrieben zu beobachten (siehe Abbildung 2). Abb.2 Quelle: BMLFUW Österreich verfügt mit 382.949 Hektar ökologisch bewirtschafteter Anbaufläche nach Liechtenstein (30%) über den weltweit höchsten Anteil (16%) an ökologisch bewirtschafteter Anbaufläche (FIBL 2010: s.p.). Durch diese Zahlen wird die Wichtigkeit des Biolandbaus in Österreich sehr gut veranschaulicht. In Bezug auf Österreich lässt sich somit auch ein guter Ansatz in Verbindung mit Ernährungssouveränität erkennen. 5 Wechselwirkungen zwischen der Biologischen Landwirtschaft und Ernährungssouveränität (ES) Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 14 Positive Einflüsse auf die ES - Regionalität (kurze Transportwege) - nachhaltige Wirtschaftsweise - Erhaltung kleinbäuerlicher Betriebe - Selbstversorgung - gentechnikfrei Negative Einflüsse auf die ES - geringerer Ertrag - höherer Preis - höherer Arbeitseinsatz Bei Berücksichtigung dieser Punkte lässt sich sagen, dass biologische Landwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Ernährungssouveränität leisten kann, obwohl sie einige wenige Nachteile mit sich bringt. Da das weltweite Hungerproblem vorwiegend die Bevölkerung des ländlichen Raumes trifft, ist es zunehmend von Bedeutung, die Selbstversorgung in diesen Gebieten auszubauen beziehungsweise wiederherzustellen. Dadurch ergibt sich ein positiver Effekt in Richtung Regionalität, was wiederum mehr Nachhaltigkeit durch kürzere Transportwege und den damit verbundenen Emissionen garantiert. Durch gezielte Förderung von Kleinbetrieben, was erstmals in der Reform der GAP ab 2013 vorgesehen ist, könnten diese Faktoren eingehalten werden (http://ec.europa.eu/agriculture/cap-post-2013 /communication/index_de.htm). Der Biolandbau bringt also Vielseitigkeit mit sich, fördert darüber hinaus die Biodiversität und trägt damit dazu bei, die kleinbäuerlichen Strukturen zu fördern und auszubauen. 6 Fazit: Die Nachfrage nach biologisch erzeugten Nahrungsmitteln geht vor allem vom städtischen Bereich und von einkommensstarken Schichten aus und übersteigt das Angebot. Für viele LandwirtInnen, die in der Nähe von Konsumzentren ansässig sind, ist diese Form der Lebensmittelproduktion eine echte Chance, obwohl sie einen höheren Einsatz von Arbeitskräften erfordert und geringere Erträge bringt. Das wird durch die höheren Preise allerdings wieder ausgeglichen (vgl. Agrarpolitik in Österreich 1993: 21f). Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass der biologische Landbau weitgehend positive Einflüsse auf die Ernährungssouveränität ausüben kann. Es ist jedoch fraglich, ob hohe qualitative Standards der Lebensmittel, vor allem durch Biolandbau, in Zukunft aufrecht zu erhalten und auch leistbar sind. Durch Subvention dieser Betriebe wird eine Ausweitung von biologisch wirtschaftenden Betrieben forciert, wodurch das Angebot an entsprechenden Gütern zunimmt. 7 Ausblick Das langjährige Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage der Bioprodukte wird sich zukünftig noch stärker an die Nachfrage angleichen und somit annähernd zu einer Sättigung des Marktes führen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ernährungssouveränität weltweit stark von den unterschiedlichen Anbauverfahren in der Landwirtschaft abhängig ist. Besonders positiv beeinflusst wird sie jedoch vom biologischen Landbau, der aber das Verteilungsgleichgewicht und in weiterer Folge das weltweite Hungerproblem allein nicht lösen kann. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 15 Literaturverzeichnis: Agrarheute (2010): Biobetriebe erwirtschaften mehr Einkommen als konventionelle. In: Agrarheute, 16.9.2010. http://www.agrarheute.com/biobetriebeeinkommen, 10.05.2011 BMLFUW - Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (2008): Grüner Bericht 2008. Bericht über die Situation der österreichischen Land- und Forstwirtschaft. Wien. BMLFUW - Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (2009): Grüner Bericht 2009. Bericht über die Situation der österreichischen Land- und Forstwirtschaft. Wien. Diercks, Rolf (1986): Alternativen im Landbau. Stuttgart: Ulmer. http://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/nachrichten/artikel/agrarexportsubventio nen_bisher_ein_gut_gehuetetes_geheimnis/, 13.05.2011 Herrmann, Gerald/ Plakolm, Gerhard (1991): Ökologischer Landbau. Grundwissen für die Praxis. Wien: Österreichischer Agrarverlag. http://www.landnet.at/article/articleview/17214/1/5045, 12.05.2011 Lochner, Horst (2007): Grundstufe Landwirt - Fachtheorie. München: BLV. Mannert, Josef (1991): Agrarpolitik in Österreich. Grundlagen – Leistungen – Zusammenhänge, Wirtschaftsbetriebe der Hochschülerschaft an der Universität für Bodenkultur , Wien. http://www.welt.de/wirtschaft/article12518964/Deutsche-Haendler-importieren-BioProdukte-aus-China.html, 15.05.2011 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 16 Universität für Bodenkultur, Wien Ernährungssouveränität und Biodiversität Projekt Ökologische Landwirtschaft Prof. Dr. Christian Vogl Sommersemester 2011 Verfasst von Magdalena Scheuch Mat. Nr.: 0846478 Georg Weissenböck Mat. Nr.: 08023 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 17 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ......................................................................................................................... 18 1 ...................................................................................................................................... Biodiversität .............................................................................................................................................................. 19 2 .............................................................................................. Biodiversität und Landwirtschaft .............................................................................................................................................................. 20 3 .................................................................................... Folgen von Pestiziden und Gentechnik .............................................................................................................................................................. 21 3.1 Auswirkungen auf die Pflanzenvielfalt ............................................................................... 21 3.2 Schäden an Bodenorganismen............................................................................................... 21 3.3 Folgen durch Insektizide .......................................................................................................... 22 3.4 Gentechnik ..................................................................................................................................... 22 4 ..................................................................................Ernährungssouveränität und Diversität .............................................................................................................................................................. 23 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 18 1 Biodiversität Die Natur begegnet uns täglich in ihren vielfältigen Formen. Die Evolution hat ein schier unendliches Artenspektrum hervorgebracht, welches es zu schützen und zu bewahren gilt. Internationales Augenmerk wurde auf die Erhaltung der Biodiversität mit der Konvention von Rio de Janeiro aus dem Jahr 1992 gelegt. Dabei einigte man sich auch auf eine grundlegende Definition von biologischer Vielfalt: „„Biologische Vielfalt“ [bedeutet] die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören; dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme“ (KONFERENZ DER VEREINTEN NATIONEN ZU UMWELT UND ENTWICKLUNG 1992) Damit wird das gesamte Spektrum des Lebens in jedweder Ausprägung mit einbezogen. Neben den Lebewesen sind explizit auch die Ökosysteme als integraler Bestandteil der Biodiversität festgehalten. Für den Menschen von besonderer Bedeutung ist die sogenannte Agrobiodiversität. Diese umfasst „die Vielfalt der Kulturpflanzen (einschließlich ihrer Wildformen), der Forstpflanzen, der Nutztiere, aller jagdbaren und sonstigen nutzbaren Wildtiere, Fische und andere nutzbare aquatische Lebewesen sowie nutzbare Mikroorganismen und sonstige niedere Organismen“ (DEUTSCHES BUNDESAMT FÜR LANDWIRTSCHAFT UND ERNÄHRUNG 2011). Viele Ökosysteme werden durch den Menschen maßgeblich beeinflusst. Die meisten der heutigen Agrarflächen in Österreich wären natürlicherweise bewaldet und werden nur durch menschliche Eingriffe freigehalten (STREIT 2007: 96). Dementsprechend haben alle Tätigkeiten im landwirtschaftlichen Bereich Einfluss auf die dortige biologische Vielfalt. Doch auch in nicht unmittelbar zivilisatorisch geschaffenen Lebensräumen greift der Mensch massiv ein (z.B. Überfischung der Weltmeere). Die Vielfalt des Lebens ist die Folge eines über Millionen Jahre andauernden Prozesses, welcher sich heute noch fortsetzt. Die moderne Landwirtschaft hat mit zur Folge, dass diese Vielfalt stark bedroht ist. Neben den immer forcierten, wenigen Kulturarten gibt es kaum Platz für nicht wirtschaftlich nutzbare Pflanzen. Immer mehr natürliche Lebensräume werden durch Eingriffe zerstört. Unzählige Tierarten sind ausgestorben oder stehen bereits auf der roten Liste. Die genetische Vielfalt der Lebewesen auf der Erde ist ein riesiges Reservoir an faszinierenden, oft noch unerforschten Feldern. Werden Pflanzen verdrängt oder Tiere ausgerottet, ist dies ein unwiederbringlicher Verlust, welcher im ersten Moment oft noch nicht klar erkannt wird. Der Mensch trägt durch seine Tätigkeiten die Hauptschuld an den negativen Ereignissen. Gleichzeitig obliegt es ihm die Vielfalt des Lebens zu bewahren und die Biodiversität zu erhalten. Insbesondere die Landwirtschaft trägt als größter Flächennutzer die Hauptverantwortung für die Zukunft der Natur. Eine nachhaltige Nutzung kann die Ernährung sicher stellen und gleichzeitig ökologische Gleichgewichte erhalten. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 19 2 Biodiversität und Landwirtschaft Landwirtschaft schuf Vielfalt. Vor der Industrialisierung eben dieser hat sie während der vermehrten Entwicklung der Kulturlandschaft aus dem Naturzustand in vielen Bereichen die Biodiversität erhöht (z.B.: Besiedelung der Almen durch das Edelweiß). Durch die reich strukturierte Landschaft kam es zur Förderung der Nischenbildung, doch der Anteil der Landwirtschaft am Artenrückgang ist mittlerweile, gefolgt von der Forstwirtschaft, dem Tourismus und der Rohstoffgewinnung, am größten (SIEBECK 2002). Geprägt durch das anthropozentrische Weltbild der Naturbeherrschung [Umwelt versus Mitwelt1] kommt es zur fragwürdigen Legitimierung von diversen Produktionsmethoden, die die Artenverarmung rasant antreiben. Übertriebener Einsatz von Pestizid- und Düngemitteln, Bodenverdichtung und -degradation durch Maschinen, großflächige Monokulturen und die damit einhergehende völlige Ausräumung der Produktionsflächen (Abholzen von Hecken und Sträuchern, Verhinderung eines Ökotons) sind die Hauptfaktoren. Es wird ein künstliches System auf niedrigem Organisationsgrad erschaffen, dass nur von Aussaat bis Ernte hält „und – um funktionstüchtig zu bleiben – vom Menschen reguliert werden muss“ (SIEBECK 2002: 17). Durch die Intensivierung und das massive Eingreifen in die natürlichen Kreisläufe kommt es unter anderem zu Schädigung der natürlichen Räuber-Beute-Systeme; begünstigt werden dadurch Schädlinge. Ernteausfälle durch Insektenschäden haben sich in den letzten Jahren verdoppelt, obwohl Pestizide in zehnfacher Menge eingesetzt werden (SHIVA 2001: 19). Weitere Auswirkungen sind unter anderem auch die erhöhte Anfälligkeit gegenüber Krankheiten und Wetterextremen. Aber nicht nur die das Verschwinden der Biodiversität durch Vernichtung der Kleinbiotope, sondern auch die Agrobiodiversität, die durch langjährige Züchtung hervorgebracht wurde, ist durch die Industrialisierung, Monopolisierung in Saat- und Tierzucht, Voranschreiten der Patentierung von Saatgut und Zuchtrassen und Veränderung der Essgewohnheiten gefährdet (BUKO AGRAR DOSSIER 27: Klappentext). Die Welternährung basiert zum Großteil auf nur zehn Kulturpflanzenarten, bei den Nutztieren werden hauptsächlich fünf genutzt. Jede Woche stirbt eine Rasse aus. Seit 1900 sind es 75 Prozent bei den landwirtschaftlich genutzten Pflanzen (DER KRITISCHE WELTAGRARBERICHT: 258). Aber besonders als Anpassungsmaßnahme an die Schwankungen des Klimas hat die Agrobiodiversität die Bedeutung, dass sie Risiken eines Erntetotalausfalles vermindert und damit die Ernährung der Bevölkerung sicherstellt. Möglichst viele Arten sollen ex situ aber vor allem in situ erhalten werden, damit sie sich an die natürlichen Veränderungen anpassen und so die Ernährung auch für die weiteren Generationen sichern können (BUKO 2007: 30f). Diese genetische Vielfalt zu schützen ist die wichtigste Aufgabe, doch durch Einschränkungen beim Austausch und Anbau des Saatgutes wird der Verlust noch mehr gefördert. Gerade die Vielfalt an Rassen und Sorten ermöglicht nicht nur angepasste und traditionell gewachsene Versorgung mit mannigfaltigen Lebensmitteln, sondern gewährleistet auch das Überleben in unterschiedlichen Agrarökosysteme und Ernährungskulturen. „Diese Situation [anthropogenes 1ARNE NÆSS: norwegischer Ökosoph, der den Begriff Tiefenökologie prägte mit dem Ansatz, dass der Mensch Teil der Ökologie ist und kein Außenstehender. „Der Mensch ist lebendiger Teil einer komplexen, sich selbst erneuernden und vielfältigen Umwelt, der im Gegensatz zu dem heutigen Begriff der Umwelt Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 20 Artensterben] ist für den Homo sapiens eine völlig neue. Sie kann nicht durch seine physische Anpassungsfähigkeit gemeistert werden, sondern nur über seinen Intellekt; durch Vorausschau und Vorsorge, aber auch durch die Bereitschaft, auf Gewohntes zu verzichten, wenn über erwartende Schäden kein Zweifel besteht“ (SIEBECK 2002: 8). 3 Folgen von Pestiziden und Gentechnik Das ständige Streben nach höheren Erträgen hat in den Agrarwissenschaften zu verschiedensten Maßnahmen zu deren Sicherstellung geführt. Dabei kommen hauptsächlich synthetisch hergestellte Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, welche andere Pflanzen (Herbizide), Insekten (Insektizide) oder Pilze (Fungizide) bekämpfen. Relativ jung, aber dennoch bereits massiv eingesetzt, ist der Einsatz der Gentechnik in der modernen Landwirtschaft. Der Einsatz von Pestiziden hat eine direkte Auswirkung auf die biologische Vielfalt eines Ökosystems. Zwar gab und gibt es immer wieder Gesetze und Verordnungen um deren Einsatz zu steuern und einzuschränken, dennoch sind auch heute die direkten Folgen in der Natur zu sehen. Dabei sind sowohl langfristige, oft indirekte, als auch kurzfristige Auswirkungen zu beobachten. 3.1 Auswirkungen auf die Pflanzenvielfalt Mit Herbiziden werden unerwünschte Pflanzen bekämpft. Diese stehen häufig in Konkurrenz zu den Kulturpflanzen und führen zu Ertragseinbußen. Durch die jahrelange Bekämpfung durch Pflanzenschutzmittel hat sich der Genpool der Pflanzenwelt massiv verringert. Die Häufigkeit der Samen in der Bodentiefe von 1 cm hat sich halbiert (PAN 2010: 9). Dadurch kommt es zu einer starken Einschränkung der Artenanzahl. Einige wenige, konkurrenzstarke Beikräuter dominieren und können uneingeschränkt wachsen. Andere, oft gar nicht bewusst bekämpfte Pflanzen, sind in ihrer Entwicklung behindert. Diese Verringerung des Nahrungsangebotes führt zu einer starken Dezimierung der Tierwelt. Nützlinge finden keine Ernährungsquellen mehr, in der Folge leiden auch höhere Tiere wie Vögel. In der durch ohnehin wenige Arten geprägten Kulturlandschaft wird die biologische Vielfalt so weiter verkleinert. Gleichzeitig führt der Prozess zu einer starken Bevorzugung weniger Pflanzen, welche anschließend umso intensiver und schwieriger bekämpft werden müssen. 3.2 Schäden an Bodenorganismen Der Mikrokosmos des Bodens ist entscheidend für die Standortqualität. Dort kommt es zu den Stoffumsätzen, welche die Bodenstruktur und –fruchtbarkeit bestimmen. Dies macht eine vielfältige und intakte Lebenswelt besonders wichtig für eine erfolgreiche Bewirtschaftung. Herbizide haben auch hier oft eine verheerende Wirkung. Neben der indirekten Wirkung durch die verringerte Pflanzenvielfalt, haben sie oft auch direkte Folgen für die Bodenfauna. Vor allem Bakterien und Wirbellose, wie Springschwänze und Regenwürmer, werden durch sie negativ beeinflusst (PAN 2010: 12). 3.3 Folgen durch Insektizide Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 21 Die oft massiv auftretenden Ernteeinbußen durch Schadinsekten führten zu einem immer stärker werdenden Einsatz von Insektiziden. Die meist starke direkte Wirkung auf die Zielinsekten hat jedoch immer auch negative Nebeneffekte. Nützliche Insekten, wie zum Beispiel verschiedene räuberisch lebende Laufkäferarten, werden ebenso angegriffen. Gleichzeitig verlassen mit dem Absterben der Nahrungsquelle natürliche Antagonisten das Gebiet oder verhungern. Dies zerstört das natürliche Gegengewicht und kann bei einem neuerlichen Befall zu noch stärkeren Ausfällen führen. Zwei Drittel der wichtigsten Nahrungspflanzen weltweit sind von der natürlichen Bestäubung durch Tiere, hauptsächlich Insekten abhängig (PAN 2010: 19). Allen voran ist dabei die Honigbiene zu nennen. Rückstände von Pestiziden lassen sich häufig bei Bienenvölkern nachweisen. Bei geschwächten Völkern kann dies zum kompletten Absterben führen. Neben den direkten Folgen für den/die ImkerIn, kann dies auch enorme wirtschaftliche Einschnitte in den landwirtschaftlichen Kulturen nach sich ziehen. Neben der Honigbiene sind auch andere Bestäuber, wie Hummeln oder Schmetterlinge direkt betroffen. 3.4 Gentechnik 2010 wurden 148 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche mit gentechnisch veränderten Pflanzen bewirtschaftet. Zu diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren ein enormes Konfliktfeld aufgetan. Während es die Befürworter als zweite „Grüne Revolution“ bezeichnen, sehen Gegner darin einen unmoralischen Eingriff in die Natur. Durch das Auswildern transgener Pflanzen wird die Umgebung des Anbaugebietes unkontrolliert beeinflusst. Gentechnische Manipulationen können zu Standortvorteilen führen und so bestehende Pflanzengesellschaften verdrängen. Gleichzeitig können artgleiche Wildarten bestäubt werden und so neue Kreuzungen entstehen. Dabei werden oft Resistenzen weitergegeben und so widerstandfähige Unkräuter erzeugt. In Folge wäre der Sinn der Veränderung ins Gegenteil verkehrt. Pflanzen wie der Bt-Mais beeinflussen direkt die Tierwelt. Obwohl gegen bestimmte Schädlinge gerichtet, werden auch Nützlinge durch die abgegeben Wirkstoffe beeinträchtigt (DER KRITISCHE AGRARBERICHT 2011: 246). Gleichzeitig ist es nur eine Frage der Zeit, bis es zu Resistenzen kommt. Die massive Dezimierung der Insekten führt auch hier zum Wegfallen der Nahrungsgrundlage vieler Tierarten. Somit hat die gentechnische Veränderung von Pflanzen unmittelbare Auswirkung auf die biologische Vielfalt eines Gebietes. Massive Eingriffe in etablierte, natürliche Lebensgemeinschaften haben große Folgen für die Biodiversität. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 22 4 Ernährungssouveränität und Diversität Was hat Ernährungssouveränität mit Vielfalt zu tun? Als Gegenkonzept zur globalisierten und industriellen Landwirtschaft mit dem Leitmodell einer kleinbäuerlichen Struktur, hat das Prinzip auch die Förderung des lokalen und regionalen Handels und den Erhalt der Diversität als Punkt. Vandana Shiva, eine indische Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin, rief 1991 die Organisation „Navdanya“ („Neun Feldfrüchte“) ins Leben mit dem Ziel die Mannigfaltigkeit der Sorten zu erhalten und damit die Unabhängigkeit der Bauern und Bäuerinnen gegenüber den Agrarkonzernen und deren patentiertes Saatgut zu gewährleisten. Gelehrt wird auch die selbstständige Züchtung, Saatgutgewinnung und traditionelle Anbaumethoden ohne Einsatz von Pestiziden. Nebenbei gibt es Bildungsangebote. Zugleich werden die lokalen Märkte gestärkt, die soziale Gerechtigkeit (Shiva setzt sich besonders für die Rechte der Frau ein) und damit Ernährungssouveränität gefördert (DER KRITISCHE AGRARBERICHT 2011: 258f). Ein weiteres Beispiel zeigt sich auf den Philippinen. Der Inselstaat ist einer der ärmsten Länder der Welt; als Gewinn versprechend befand die Regierung Cash Crops (landwirtschaftliche Güter, die nur für den Export produziert werden) und importierte selbst Lebensmittel2. Ebenso kam es durch die Ford- und Rockefeller Stiftung zur Gründung des International Rice Research Institute (IRRI), eine Forschungseinrichtung zur Züchtung gentechnisch modifizierter Reissorten und politisch ein Vorposten gegen den Kommunismus (vgl. Truman-Doktrin in Europa3). „Ihr Ziel war von Anfang an die Verwandlung von Naturprodukten in Industrieerzeugnisse, die Umwandlung einer nach kommerziellen Maßstäben ineffizienten Landwirtschaft in eine Agroindustrie“ (CHRIST 2010: 244). Die Folgen waren, abgesehen vom Verlust der Ernährungssouveränität und dadurch die Schaffung einer neuen alten kolonialen Abhängigkeit, drastisch: ausgemergelte Böden, Zunahme der Schädlinge, sinkende Erträge. 1986 kam es daher zur Gründung der MASIPAG (Magsasaka at Siyentitipiko para sa Pag-unlad ng Agrikultura – Partnerschaft von Bauern und Wissenschaftlern für die landwirtschaftliche Entwicklung), ein Netzwerk von etwa 35 000 Bauern, Wissenschaftlern, BäuerInnenorganisationen und rund sechzig NGOs. Ziele der Organisation sind dieselben wie bei „Navdanya“. Laut einer zusammenfassenden Studie von Lorenz Bachmann (deutscher Agronom), Sarah Wright (von der University Newcastle, AUS) und Elizabeth Cruzada (Philippinen) kam es zu einer deutlichen Stabilisierung der Ernte, zu einer Zunahme der Fruchtbarkeit der Böden und sogar die Produktionskosten konnten, bei etwa gleich großen Erträgen, gesenkt werden (konventionell: Gesamtkosten 22 900 Pesos/Jahr/Farm; biologisch: 11 860 Pesos). Krankheiten aufgrund von Einsatz von Pestiziden werden verhindert (WUHRER 2009). Dies geschah auch durch US-Hilfskredite in Südkorea und Taiwan (US-Agrarexporte stiegen innerhalb von sieben Jahren in diesen Ländern um 643 bzw. 531 Prozent) und durch Dumpingpreise in Südamerika (Kolumbien: Rückgang der heimischen Produktion im Zeitraum 1955-’71 um 69 Prozent, Anstieg der amerikanischen Importe um 800 Prozent (vgl. CHRIST, 260f) 3 Im Europa nach dem II. Weltkrieg kam es durch die Hilfe der US zum Wiederaufbau im Rahmen der Containment-Politik („Eindämmungspolitik“ [gegen den Kommunismus]), zu der auch der Marshallplan, ein Wirtschafts-Wiederaufbau Programm, zählte. Die krisengeschüttelten Länder wurden mit Krediten, Rohstoffen und Lebensmittel versorgt. Dadurch schuf die USA auch einen Absatzmarkt für ihre Überproduktion. 2 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 23 Gewinner am Verschwinden der Diversität sind die Agrokonzerne. „Land grabbing“, Anbau von Hybridsorten, Einsatz von Gentechnik und Pestiziden sowie kein Zugang der heimischen Bauern und Bäuerinnen zu Ressourcen sind Voraussetzungen für die Agrarwirtschaft um mehr Gewinne zu erwirtschaften und so die Abhängigkeit zu fördern und den Untergang der traditioneller Anbaumethoden und der Diversität zu besiegeln. „Während heute vier Prozent der Weltbevölkerung 40 Prozent der weltweiten Produktion an Nahrungspflanzen kontrollieren, könnte die vollständige Kontrolle über das Saatgut künftig in den Händen weniger Menschen liegen … [und zu] einem weltweiten totalitären Saatgutregime unter der Herrschaft weniger Agro-Konzerne [führen]“ (CHRIST 2010: 254). Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 24 Literaturverzeichnis: Agrarbündnis e.V. (2011): Landwirtschaft 2011, Der kritische Agrarbericht – Hintergrundberichte und Positionen zur Agrardebatte; Schwerpunkt Vielfalt. Konstanz/Hamm: ABL Bauernblatt Verlags-GmbH. BUKO Agrar Koordination/Forum für Internationale Agrarpolitik (2007): Agrobiodiversität – landwirtschaftliche Vielfalt in Gefahr. Hamburg: BUKO Agrar Koordination. Christ, M. (Hrsg.) et al (2010): Bedrohte Saat - Saatgutpflege und der Kampf gegen die Macht der Agrokonzerne. Dornach: Pforte Verlag. Deutsches Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung (s.a.): Glossar. http://www.ble.de/nn_355704/DE/09__Glossar/__functions/01__Glossar,lv2=355866.html , 03.05.2011. Konferenz der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung: Übereinkommen über die Biologische Vielfalt. http://www.admin.ch/ch/d/sr/i4/0.451.43.de.pdf , 30.4.2011. Pestizid Aktions-Netzwerk Deutschland (2010): Auswirkungen chemisch-synthetischer Pestizide auf die biologische Vielfalt. Hamburg: PAN Germany. Shiva, V. (2001): Biodiversität – Plädoyer für eine nachhaltige Entwicklung. Bern, Stuttgart, Wien: Verlag Paul Haupt. Siebeck, H.-O. (2002): Globale Umweltgefährung und dramatischer Rückgang der Artenvielfalt rütteln die Menscheit auf. In: Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege: Das Ende der Biodiversität?. Laufen: ANL. Streit, B. (2007): Was ist Biodiversität?. München: C.H. Beck. Wuhrer, P. (2009): Brüder, Schwestern, auch Gott liebt diesen Bioreis!. http://www.woz.ch/artikel/2009/nr19/international/17862.html ,02.05.2011. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 25 Universität für Bodenkultur, Wien Agrarwende Projekt Ökologische Landwirtschaft Prof. Dr. Christian Vogl Sommersemester 2011 Verfasst von Josef Maier Mat.Nr.: 0940325 Georg Thünauer Mat. Nr.: 0940950 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 26 Inhaltsverzeichnis 1 ............................................................................................................................................ Einleitung .............................................................................................................................................................. 28 2 ................................................... Agrarwende und betriebliche Strukturen in Österreich .............................................................................................................................................................. 28 3 ............................................................................ Hintergründe der politischen Agrarwende .............................................................................................................................................................. 30 4 ..................................................................................................................... Ziele der Agrarwende .............................................................................................................................................................. 31 4.1 Ausweitung des Marktes von BIO-Lebensmitteln .......................................................... 31 4.2 Tiergerechtheit und Tierschutz ............................................................................................. 31 4.3 Lebensmittelsicherheit ............................................................................................................. 31 4.4 Verbraucherschutz ..................................................................................................................... 32 4.5 Multifunktionale Landwirtschaft .......................................................................................... 32 5 .............................................................................................................................. BIO Lebensmittel .............................................................................................................................................................. 32 Literaturverzeichnis ..................................................................................................................... 35 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 27 1 Einleitung ’Weg von den Agrarfabriken. Eine Wende soll her. Keine Reform, eine Wende!’ Mit diesen Worten forderte der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Generalüberholung der Agrarpolitik als Reaktion auf die BSE-Debatte Ende des Jahres 2000. Diese sollte eine Perspektive für eine andere, eine verbraucherfreundliche Landwirtschaft entwickeln und umsetzen. Die Agrarpolitik erweist sich seit Jahren insgesamt nicht als nachhaltig, da sie weder ökonomisch, ökologisch noch sozial verträglich ist (Ribbe 2001: 1). Im Vordergrund der Agrar- und Verbraucherpolitik sollte danach nicht mehr, wie in den Jahrzehnten zuvor, das Prinzip der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch agrarindustrielle Rationalisierung stehen, sondern die Herstellung gesunder und vollwertiger Lebensmittel, die unter Schonung der natürlichen Umwelt und im Rahmen einer artgerechten Tierhaltung erfolgt und zugleich zur Pflege der Kulturlandschaft beiträgt. Eine Leitfunktion wurde dabei dem ökologischen Landbau zugewiesen (Brand 2006: 267). Diese Bewirtschaftungsweise vereint unter dem Begriff der Agrarökologie die Vorstellung einer Landwirtschaft, die Umweltbelastungen durch Verzicht auf chemisch-synthetische Betriebsmittel vermeidet und die natürlichen Produktionsgrundlagen wie Bodenfruchtbarkeit oder Selbstregulationsfähigkeit im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung in die Produktionsmethode einbezieht. Die Schließung der im konventionell-intensiven Landbau weitgehend offenen Stoffkreisläufe wird versucht. Auch der gesellschaftliche Hintergrund der Landwirtschaft wird berücksichtigt und die Erhaltung einer bäuerlichen Landwirtschaft angestrebt (Herrmann/Plakolm 1991: 17). Unter Agrarwende wird demnach eine Agrarpolitik verstanden, welche ein nachhaltiges Bestehen der Agrar- und Kulturlandschaft ermöglicht. Diese basiert auf den drei Säulen der Nachhaltigkeit: die ökonomische Machbarkeit, ökologische Verträglichkeit und soziale Gerechtigkeit (Ribbe 2001: 1). 2 Agrarwende und betriebliche Strukturen in Österreich Im Gegensatz zu Deutschland findet man in der österreichischen Agrarpolitik kein Programm, welches sich explizit auf eine Agrarwende bezieht. Nichts desto trotz vollziehen sich ähnliche Entwicklungen und agrarpolitische Entscheidungen im Bereich der Landwirtschaft. Bereits im Jahr 1997 nimmt Österreich mit 18.485 Biobetrieben bzw. 9% der landwirtschaftlichen Nutzfläche europaweit eine Spitzenreiterfunktion beim biologischen Landbau ein (BMFLF 1998: 92). 2008 gab es in Österreich 20.102 Biobetriebe, die eine Fläche von 383.765 ha (geförderte und nichtgeförderte Biobetriebe) bewirtschafteten. Der Anteil der Bio-Flächen lag bei 16,3% der landwirtschaftlich genutzten Fläche (ohne Almen und Bergmähder) (BMLFUW 2009. 72). Die deutsche Bundesregierung sah im Programm der Agrarwende laut der Regierungserklärung von Renate Künast im Jahr 2000, eine Steigerung der ökologischen Landwirtschaft auf 20% bis 2010 vor (Groß, 2002, 263). Die Bio-Flächen haben in Österreich 2009 um 26.347 ha bzw. +5,4% auf insgesamt 518.172 ha landwirtschaftlich genutzte Flächen zugenommen. Der Anteil der Bio-Fläche lag bereits bei 18,5% der LF (BMLFUW, 2010, 72). Im Vergleich dazu lag im Jahr 2010 die, in Deutschland biologisch bewirtschaftete Fläche, von ca. 1.001.200 ha, bei 5,9% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche (BÖLW, 2011, 8). Bereits 2002 prognostizierte Groß: „Als Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 28 praxiserfahrener Marktbegleiter halte ich deshalb der kühnen Vision von ’20 % Bio in den nächsten 10 Jahren’ entgegen: Wenn wir die ’Agrarwende’ dem Marktgeschehen überlassen, wird das „Ende der Fahnenstange“ bei 5 % erreicht sein (Groß, 2002, 265). Österreich verfehlte 2010 die 20 % Hürde nur knapp. Der Agrarwende im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik stehen jedoch die konventionelle Betrachtungsweise und nicht zuletzt ökonomische Interessen von Betrieben und Unternehmen im Wege, welche dem Agrarsektor vor, bzw. nachgelagert sind. Ein Beispiel hierfür ist die „Agenda 2000“ der EU, welche eine ’Agrarwende’ oder zumindest eine Agrarreform hervorrufen sollte. Der damalige Agrarkommissar Fischler dachte hierbei zum Beispiel an die Einführung einer Obergrenze für Direktzahlungen. Kein Betrieb sollte mehr als 100.000 Euro bekommen. 2,5 Milliarden Euro hätte dies, so der europäische Rechnungshof, eingespart. Die Agrarlobby jedoch konnte gegen diese Regelung intervenieren und der Vorschlag Fischers wurde so abgeändert, dass es keine Obergrenze von Direktzahlungen, aber zumindest eine Modulation (Staffelung) dieser gab. Diese europäische obligatorische Modulation wurde jedoch abgelehnt und ein freiwilliges nationales System wurde beschlossen (Ribbe 2001. 6). Trotz aller Bemühungen die österreichische Agrarpolitik einer Reform zur Nachhaltigkeit zu unterziehen findet man eine stetige Veränderung der Flächenstruktur. Diese bezieht sich vor Allem auf die Vergrößerung der Schläge. Ein wesentlicher Grund sind Betriebszusammenlegungen und die Reduktion von landwirtschaftlichen Betrieben. So hat sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in einem Zeitraum von1951 bis 1997 von 432.848 auf 252.110 verringert (BMFLF, 1998, 92). 2007 sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nochmals auf 174.000 wovon 104.000 Betriebe im Nebenerwerb und 70.000 Betriebe im Vollerwerb stehen. Diese Angaben verdeutlichen, dass immer weniger Betriebe immer größere Flächen bewirtschaften. Auch das Verhältnis zwischen Voll- und Nebenerwerbsbetrieben hat sich maßgeblich verändert. 1951 gab es in Österreich rund 300.000 Haupterwerbsbetriebe und 125.000 im Nebenerwerb. In den späten 70ern und frühen 80ern kam es nicht zuletzt aufgrund von politischen Bestrebungen, die Landwirtschaft rentabler zu machen, zu einer massiven Umstrukturierung. In dieser Zeit vermehrte sich die Zahl der Nebenerwerbsbetriebe und reduzierte Haupterwerbsbetriebe. 1990 gab es bereits rund 175.000 Betriebe im Nebenerwerb und nur noch 110.000 im Vollerwerb. Folglich änderte sich nicht nur die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe, sondern auch die Einkommenssituation enorm. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Situation von Bergbauernbetrieben. Aufgrund der Bewertung nach Berghöfekatasterpunkten wurden 69.424 Betriebe (37,1 % aller Betriebe) als Bergbauernbetriebe ausgewiesen. Im Vergleich dazu waren es im Jahr 2005 noch 72.153 Bergbauerngetriebe (38,1%). Rückgänge waren in allen Berghöfekataster-Gruppen zu verzeichnen, während die Nichtbergbauernbetriebe zunahmen. Nichtsdestotrotz ist die österreichische Landwirtschaft nach wie vor klein strukturiert. Der Trend zu größeren Betrieben setzt sich, wenn seit 2005 auch nur marginal, weiter fort. Wurde 1951 von einem Betrieb im Durchschnitt eine Gesamtfläche von 17,8 ha bewirtschaftet, so waren es 2007 40,5 ha. Ähnlich verlief die Entwicklung bei der ladwirtschaftlich genutzten Fläche (Ackerland, Haus- und Nutzgärten, Dauerkulturen, Dauergrünland). Hier war eine Steigerung von 9,4 ha auf 18,9 ha festzustellen. Diese Entwicklung ist auch der Beurteilung nach Größenstufen der Kulturflächen ersichtlich. Der Großteil der Betriebe, nämlich 114.947 bzw. 61,5%, bewirtschafteten im Jahr 2007 weniger als 20 ha land- und forstwirtschaftliche Flächen (Kulturfläche). 1999 waren es 65,8%. Bei 4,0% (7.452 Betriebe) konnte eine Fläche von mehr als Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 29 100 ha ermittelt werden, während im Jahr 1999 erst 3,1% (6.769 Betriebe) in diese Kategorie fielen. Aber nicht nur die Betriebsgrößen, Strukturen und Besitzverhältnisse haben sich drastisch verändert, sondern auch die Stellung der Frau als Betriebsleiterin. Die Leitung der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe ist nach wie vor eine Domäne der Männer. Lediglich die Führung von 65.589 Betrieben lag in Frauenhänden (35,1%). Aber auch in diesem Wirtschaftszweig sind die Frauen weiter im Vormarsch, denn gegenüber der letzten Agrarstrukturerhebung 2005 (33,6%) bedeutet dies einen Anstieg des Frauenanteils um 1,5% (BMLFUW 2009. 67). Besonders brisant wird die Lage der LandwirtInnen nach dem Wegfall der vorherrschenden ÖPUL-Förderungen. Sollte ein Förderprogramm eingeführt werden, welches eine Auszahlung an die Betriebsgröße koppelt, kommen vor allem kleine, benachteiligte Betriebe unter Druck. Der Verlust von wertvollen Agrarstrukturen vor Allem im Westen Österreichs mit einem hohen BergbäuerInnennanteil wäre die Folge. Dabei wird die bereits angesprochen Funktion der Landwirtschaft als Grundlage für Erholungsgebiete und die Erhaltung von regionalen Erscheinungsbildern oft vergessen. Weiden und Trockenrasen, welche bis heute gemäht und gepflegt werden, würden verwildern und dem Besucher, welcher für diese Regionen im Tourismusbereich eine wichtige Rolle spielt, ein stark verändertes Landschaftsbild darbieten. Ungeachtet des Tourismus und der menschlichen Empfindung gehen durch derartige Maßnahmen oft wertvolle Lebensräume im Dienste der Biodiversität verloren. Dies zeigt, dass politische Entscheidungen, die die Landwirtschaft betreffen enorme Auswirkungen auf den Menschen und seine Umwelt haben können. Nachhaltiges Wirtschaften heißt wirtschaften über Generationen für Generationen. Die Wende der Agrarpolitik kann dies ermöglichen. 3 Hintergründe der politischen Agrarwende Nach bekannt werden des BSE-Skandals in Deutschland, am 24. November 2000, erhöhte sich das öffentliche Interesse an der Landwirtschaft schlagartig. Das Krisenmanagement war geprägt von anfänglichen Beruhigungsversuchen, offensichtlichen Vertuschungsmaßnahmen und ungeschickter Öffentlichkeitsarbeit. Die potentielle Gefahr durch BSE und die Betroffenheit der KonsumentInnenen machten weitreichende Änderungen in der Agrarpolitik und eine Neuorientierung notwendig. Durch den Zusammenbruch des Rindfleischmarktes wurde auch die Lebensmittelbranche in hohem Maße in Mitleidenschaft gezogen. Die Änderung der Ernährungsgewohnheiten beim Rindfleischkonsum machten auch Veränderungen in der Wirtschaft unumgänglich. Durch das aufblühende öffentliche Interesse an der Agrarpolitik und die umfangreichen strukturellen Änderungen war danach die Rückkehr zum „alten Typ“ nicht mehr möglich. Die Parteienpolitik orientierte sich in weiterer Folge stark an den neuen Themenschwerpunkten, PolitikerInnen erkannten den Wählerkreis derer, die nicht direkt in der Landwirtschaft angesiedelt waren, allerdings ein hohes Interesse an Nachhaltigkeit, gesunden Lebensmitteln, Tiergerechtigkeit und Tierschutz und Verbraucherinteressen zeigten. Es entstanden neue Politikkampagnen. Versuche wurden gestartet die Landwirtschaftspolitik als Teil der Ernährungspolitik zu positionieren und alternative Leitbilder etablierten sich, wie zum Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 30 Beispiel Qualität versus Quantität; Ökologische Landwirtschaft versus intensive/konventionelle Landwirtschaft; nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume versus stetig wachsende Wettbewerbsorientierung; Verbraucherschutz versus Agrarlobbyismus (Sehrer 2005. 18f) Der Anteil des Bio-Marktes erhöhte sich zunehmend und Bio-Produkte entwickelte sich von der Marktnische hin zum wichtigen Segment im Lebensmittelhandel (Gerlach 2005. 1ff). 4 Ziele der Agrarwende Bei der Durchführung des politischen Programms ’Agrarwende’ in Deutschland wurden einige Teilziele definiert. Diese Ziele mussten dem hohen Interesse der breiten Bevölkerung entsprechen und sollten der Politik möglichst dienlich sein um die Auswirkungen des BSESkandals abzudämpfen. Fünf Teilziele wurden von der deutschen Bundesregierung definiert. Diese sind die Ausweitung von BIO-Lebensmitteln, Tiergerechtheit und Tierschutz, Lebensmittelsicherheit, Verbraucherpolitik und Verbraucherschutz und Multifunktionale Landwirtschaft. 4.1 Ausweitung des Marktes von BIO-Lebensmitteln Als das bekannteste Ziel der Agrarwende wurde die Ausweitung des ökologischen Landbaus auf 20% der Anbaufläche gefordert. Hintergrund ist die traditionelle Kleinstrukturiertheit der Betriebe und auch deren positives Image in der breiten Öffentlichkeit. Viele Lebensmittelskandale der Vergangenheit (BSE, MKS, Schweinepest) wurden durch Futtermittelprobleme und vor allem intensive Tierhaltung ausgelöst bzw. begünstigt. Durch die Kreislaufwirtschaft (Verwendung eigener Futtermittel) und geringe Betriebsgrößen in der Ökologischen Landwirtschaft kommt es hier zu weniger Problemen. Durch den hohen Bekanntheitsgrad und das öffentliche Interesse an der Landwirtschaft erhielt man hier ein leicht kommunizierbares Ziel (Gerlach et al., 2005, 11f). Allerdings stellt sich die Frage, ob der Trend der Konventionalisierung der Ökologischen Landwirtschaft diesen positiven Effekten nicht wieder entgegensteuert. 4.2 Tiergerechtheit und Tierschutz Dieses Ziel bringt vor allem die Orientierung auf die breite Öffentlichkeit und insbesondere neue WählerInnengruppen zum Ausdruck. Die unterschiedliche Sichtweise von produktionsorientierter konventioneller Landwirtschaft und weitestgehend von der Landwirtschaft entfremdete städtische Bevölkerung, die zum Thema Tierschutz nur durch die eigene Tierliebe und Haustierhaltung geprägt ist, bringt hier großes Konfliktpotential. Man denke nur an Legefabriken, Geflügel-, Schweine- und Rindermastbetriebe, welche mit kleinbäuerlich geprägter Landwirtschaft nichts mehr zu tun haben. Man untersuchte hier vor allem Haltungsbedingungen, Haltungsmanagement, Transport und Schlachtung von Tieren. Die Diskussion über Tiergerechtheit und Tierschutz führte unter anderem bis zur Forderung nach „Menschenrechten“ für höhere Tierarten (Gerlach 2005. 12f). 4.3 Lebensmittelsicherheit Lebensmittelsicherheit als Ziel war wohl ein klarer Schritt, nachdem die Agrarwende ja schließlich erst durch die BSE-Krise ins Rollen gekommen ist. Auch auf EU-Ebene stand dieses Ziel im Vordergrund. Man versuchte dabei eine klare Verteilung der Primärverantwortung sicherzustellen; einerseits durch den Staat, andererseits durch die Privatwirtschaft. Obwohl es Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 31 eine Verschiebung der Verantwortung in Richtung der Wirtschaft gibt, kann sich die Politik aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung in Krisenfällen nicht ihrer Verantwortung entziehen. Ziele waren hier die höhere Qualitäts- und Sicherheitsorientierung in der konventionellen Produktion, wobei der Schritt zu „Klasse statt Masse“ erreicht werden sollte (Gerlach 2005. 13ff). 4.4 Verbraucherschutz Dem Thema Verbraucherschutzpolitik konnte durch die Agrarwende wieder wählerwirksam gestaltet werden. Es wird im Großen und Ganzen in die Teilbereiche: Rechtlicher Verbraucherschutz, Verbraucherinformation und Verbraucherbildung unterteilt. Deutlichste Ergebnisse dieser Politik wurden im Bereich der Diskussion über Adipositas und Fehlernährung bei Kindern, bei Alcopops und Zigarettenkonsum und einer geplanten strategischen Überlegung der Krankenkassen zu diesen Debatten erzielt (Gerlach 2005. 17). 4.5 Multifunktionale Landwirtschaft Die multifunktionale Landwirtschaft steht im Vergleich zu den anderen Teilzielen nicht in direkter Verbindung mit der BSE-Krise. Das Thema ließ sich aber ebenfalls gut in Form dieser Agrarwende umsetzen. Grund dafür waren die Transferzahlungen an die Landwirtschaft, die von der Bevölkerung nur dann akzeptiert würden, wenn ein Beitrag zum Gemeinwohl erkennbar ist. Dies wurde damit begründet, dass der Landwirt nicht nur Rohstoffproduzent für die Nahrungsmittelindustrie ist, sondern auch Dienstleistungen für Natur- und Umweltschutz erbringt, welche entlohnt werden sollen. Man plante den Umstieg von Preisausgleichszahlungen für einzelne Produkte hin zur Ausweitung der zwei Säulen der EU-Agrarpolitik die auf die Stärkung der ländlichen Räume und der gesellschaftlichen Funktion des Landwirtes zielt. Langfristig sollen erhebliche Teile der Agrarsubventionen an Gegenleistungen im Bereich des Verbraucher-, Umwelt-, Natur- und Tierschutzes gekoppelt sein. Eine weitere Entwicklung ist der Energiepflanzenbau, der durch ein verbessertes Energieeinspeisungsgesetz im Vergleich zu anderen technischen Lösungen wie Solarenergie und Windkraft als alternative Einkommensquelle des Landwirten gestärkt wurde (Gerlach 2005. 15f). Zusammenfassend sieht man also, dass die Agrarwende weit über das Ziel von 20% BIOLandbau hinausgeht. Durch die enge Verknüpfung mit der EU-Agrarpolitik mit der Agrarpolitik der Mitgliedsstaaten sind viele der Ziele heute genauso aktuell wie im Jahr 2001. 5 BIO Lebensmittel Welche Auswirkungen hatte das gesteigerte Interesse der KonsumentInnen an der Landwirtschaft für den BIO-Markt, welche Potentiale stecken in dieser erhöhten Nachfrage? Man muss dabei unterscheiden, welche Motive den einzelnen KonsumentInnen dazu bewegen BIO Lebensmittel zu kaufen. Eine Einteilung in folgende Punkte erscheint dabei sinnvoll zu sein: Gesundheit (für sich selbst und vor allem seine/ihre Kinder): o Unbelastete, chemiefreie und frische Lebensmittel o Fleischverzehr und Convenienceprodukte treten zugunsten von Obst und Gemüse in den Hintergrund o Ganzheitliche Wahrnehmung und ein entsprechendes Körperbild fördern BIOKonsum. Naturbelassenheit: o Geringer Verarbeitungsgrad – kurzer Weg vom Anbau bis zum Verzehr Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 32 o Keine Schadstoffe (Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, Medikamenten, etc.) o Keine Zusatzstoffe (Aromen, Emulgatoren, Konservierungsmittel, etc.) o Keine Gentechnik Umweltschutz: o Biokonsum als eigener Beitrag zum Umweltschutz o Globalisierungskritik o Zunehmende Kritik an Lebensmittel-/Tierfabriken o Umweltzerstörung durch kapitalorientierte Großkonzerne o Ausbeutung vor allem im der dritten Welt Tierliebe: o Kritik an Tiertransporten und nicht artgerechten Haltungsbedingungen o Massentierhaltung in Großbetrieben „Tierfabriken“ o Vegetarismus aus Abscheu vor tierischem Leid Kulturlandschaftserhalt: o Erhalt der Kulturlandschaft durch Kleinbauerntum o Kleinräumige Strukturen anstelle riesiger Monokulturen o Ländliche Idylle und traditionelle Landwirtschaft Krankheitsbewältigung: o Erkennen des Zusammenhanges zwischen Krankheit und Ernährung o Lebensmittelunverträglichkeiten, Allergien als Auslöser für dauerhafte Ernährungsumstellung o Höhere Wertschätzung des eigenen Körpers Aus dieser Fülle an Motiven für den BIO-Konsum ist somit leicht erkennbar, dass der Konsument meist nicht von einem einzigen Grund, sondern einer Vielzahl derer getrieben wird. Auch wenn der eigenen Gesundheit in der Vergangenheit oft nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ändert sich das in vielen Fällen sobald es um das Wohlergehen der eigenen Kinder geht. Naturbelassenheit der Lebensmittel geht oft mit Gesundheit, Tierliebe und Umweltschutz einher. Je höher die Verknüpfung der Motive für den Konsum von BIO-Lebensmitteln ist, desto eher wird ein Umdenken bei der betroffenen Person stattfinden. Der Umstieg auf eine Ernährung mittels BIO-Produkten erfolgt allerdings meist nur bei biographischen Umbruchsituationen, welche ein Überdenken der alltäglichen Ernährungspraktiken erfordern. Diese ergeben sich typischerweise wenn die Mahlzeitengestaltung und Lebensmittelbeschaffung neu organisiert werden muss. Das ist der Fall, wenn ein neuer Haushalt gegründet wird, PartnerInnen hinzukommen oder wegfallen, Kinder geboren werden, schwerwiegende Krankheiten zu einem Umdenken zwingen, Lebensmittelskandale die Gewohnheiten erschüttern oder ein Übergang in den Ruhestand bewältigt werden muss. Im Speziellen kann man diese Punkte wieder folgendermaßen gliedern: Geburt von Kindern: o Erhöhte Sensibilität in Punkto Ernährung und Lebensmittelsicherheit o Wohlergehen des Kindes steht im Vordergrund – bisherige Routinen werden unterbrochen o Ernährungsverantwortung führt zur Suche nach guten, gesunden und unbedenklichen Lebensmitteln o Babynahrung in BIO-Qualität ist bereits weit verbreitet Krankheit: o Suche nach unbelasteten, gesunden Lebensmitteln o Vermeidung von Schadstoffen und Umweltgiften o Notwendige Ernährungsumstellung (Diätpläne, Unverträglichkeiten, Allergien, etc.) Verunsicherung: o Lebensmittelskandale o Sinkendes Vertrauen in die Industrie Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 33 Steigende Bereitschaft höhere Preise für hochwertige/ökologische Lebensmittel zu bezahlen o Suche nach Garanten für Sicherheit und Vertrauen Ruhestand: o Aufgrund von mehr Freizeit gibt es neue Interessen o Gesundheit wird wichtiger o Landschaftsschutz und Tierliebe rücken in den Vordergrund o Bewahrende Werte und ethische Motive werden neu aktiviert o Naturkreisläufe werden bewusster wahrgenommen (vgl. Sehrer et. al. 2005: 25-33). o „Gemeinsam ist fast allen eine unterschiedlich ausgeprägte kritische Sicht der gegenwärtigen Lebensmittelproduktion und viele erweisen sich zumindest einigen Ideen der Agrarwende gegenüber aufgeschlossen. Dieser positive Zusammenhang zwischen Verunsicherung, BioKonsum und den Zielen der Agrarwende könnte für Optimierungsstrategien weiter genützt werden“ (Sehrer 2005. 32). Somit wird klar, dass die Agrarwende als politisches Weisungsmittel in Bezug auf den BIO-Markt bisher schon große Auswirkungen gezeigt hat, allerdings weiterhin sehr große Potentiale bietet. KonsumentInnen werden auch in Zukunft gerne auf die Alternative BIO- Lebensmittel zurückgreifen, wenn man ihnen die notwendigen Gründe für eine teurere, aber gesündere, umweltschonendere und nachhaltigere Ernährung liefert. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 34 Literaturverzeichnis Ribbe, Lutz (2001): Aus Politik und Zeitgeschichte. 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Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 35 Universität für Bodenkultur, Wien Konventionalisierung der Ökologischen Landwirtschaft und Ernährungssouveränität Projekt Ökologische Landwirtschaft Prof. Dr. Christian Vogl Sommersemester 2011 Verfasst von Ulrike Jaklin Mat.Nr.: 0702299 Valerie Jarolim Mat. Nr.: 0505435 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 36 Inhaltsverzeichnis 1 ............................................................................................................................................ Einleitung .............................................................................................................................................................. 38 2 ................................................................................. Dimensionen der Konventionalisierung .............................................................................................................................................................. 39 2.1 Institutionelle Ebene ................................................................................................................. 39 2.2 Vermarktung ................................................................................................................................. 40 2.3 Wissens- und Anbausysteme.................................................................................................. 42 3 .......................................................... Konventionalisierung und Ernährungssouveränität .............................................................................................................................................................. 43 Literaturverzeichnis ..................................................................................................................... 45 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 37 1 Einleitung Durch ein rasantes und stetiges Wachstum bewegte sich der Biolandbau in den letzten Jahren aus der Nische heraus und erhob sich zu einem breit wahrgenommenen (Agrarpolitik, Markt, Konsumenten,...) und bedeutsamen Thema. Neben durchaus positiven Auswirkungen dieser hohen Entwicklungsdynamik sind auch bedenkliche Tendenzen zu verzeichnen, in der Literatur auch „Konventionalisierungsfalle“ genannt (Kratochvil/Leitner 2005: 1). Angetrieben durch die aktuelle Dynamik in Agrarpolitik, Markt und Produktionstechnik führte der Bioboom zu einem verstärkten Preis- und Wettbewerbsdruck. Der/die einzelne LandwirtIn sieht sich durch diese kurzfristigen ökonomischen Beweggründe gezwungen den eigenen betriebswirtschaftlichen Erfolg zu steigern. Daraus resultiert eine Annäherung des Biolandbaus an die konventionelle Landwirtschaft (Kratochvil 2005: 1). Strukturen, Methoden und Verfahren im Biolandbau werden denen der konventionellen Landwirtschaft immer ähnlicher, Unterschiede zwischen den beiden Systemen immer geringer. Die ursprünglichen ökologischen und sozialen Prinzipien verlieren an Bedeutung, ökologische Leistungen gehen teilweise ganz verloren (Lindenthal et al. 2008: 7-10, Darnhofer et al. 2009: 514). Betroffen ist die gesamte Produktionskette des Biolandbaus (Produktion, Verarbeitung, Vermarktung/Handel, Konsumenten). Am deutlichsten wahrnehmbar ist die Konventionalisierung jedoch im Bereich der Verarbeitung und Vermarktung (Darnhofer et al. 2008). Nach Kratochvil et al. (2005: 49) umfasst die Konventionalisierung im Wesentlichen drei Trends: „Entideologisierung“, „ Professionalisierung“ und „Differenzierung“: - Unter „Entideologisierung“ wird die abnehmende Bedeutung der ursprünglichen Ideale (z.B. Ganzheitlichkeit, der Betrieb als Organismus, Kreislaufgedanken) und die Vernachlässigung der Grundwerte der ökologischen Landwirtschaft verstanden. - Der Trend zu effizienteren Organisations- und Produktionsstrukturen (Zeitaufwand, Vermarktungsstrategie usw.) wird als Professionalisierung bezeichnet. Die Definition laut Brockhaus: „Prozess der Verberuflichung (Verwissenschaftlichung) handwerklicher und/oder geistiger Tätigkeiten“. - Die Differenzierung meint die wachstumsbedingte funktionale Ausdifferenzierung des gesamten Öko- Bereichs (Betriebs- und Produktformen, Absatzkanäle, Motivationsmuster usw.). Darnhofer (2006: 157) unterscheidet noch weiter zwischen Professionalisierung und Konventionalisierung. Dazu werden zwei unterschiedliche Formen von Veränderungen differenziert: „first order change“ und „second order change“. Erstere verändern im Gegensatz zu „second order change“ das System, in dem sie auftreten, nicht. Bezogen auf den Biolandbau bedeutet das: Werte und Prinzipien des Biolandbaus gehen nicht verloren und das System bleibt trotz der Verhaltensänderung intakt. Nach Darnhofer liegt der Professionalisierung diese Form der Veränderung zugrunde. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 38 „Second order change“ jedoch bedeutet einen solchen Wechsel im Verhalten, welcher eine fundamentale Umstrukturierung des gesamten Systems bewirkt. Die Prinzipien, auf denen der Biolandbau beruht, werden untergraben, Bio wird zu einer bloßen lukrativen Alternative im Supermarkt. Das ist gleichbedeutend mit der Konventionalisierung. 2 Dimensionen der Konventionalisierung Abbildung 1: 2: Zusammenhänge zwischen Merkmale und Prozesse der Konventionalisierung (eigene Darstellung beruhend auf Lindenthal et al. 2006 und Nigg/Schermer 2005). Wie aus der Abbildung ersichtlich wird, handelt es sich bei der Konventionalisierung des Biolandbaus um einen komplexen Prozess, der im Wesentlichen drei Sphären berührt. Die Veränderungen vollziehen sich auf einer institutionellen Ebene, im Bereich der Vermarktung und im Bereich der Wissens- und Produktionssysteme. Im Folgenden sollen die Entwicklungen in den einzelnen Bereichen sowie die Wechselwirkungen zwischen ihnen genauer beschrieben werden. 2.1 Institutionelle Ebene Mit dem Wachstum des Bio-Sektors (die Anzahl der Bauern und Bäuerinnen und anderer Akteure nimmt zu) kam es zu einer Ökonomisierung der sozialen Beziehungen in der Branche. Viele neue Betreibe gehören keinem Bioverband mehr an, womit deren Bedeutung als Knotenpunkte und Ort des Wissensaustausches schwindet (Lindenthal et al. 2008: 9). Im Gegenzug nimmt die Bedeutung von Richtlinien und Kontrollen zu. Dies ist eine Folge der Entregionalisierung, des erhöhten Absatzes durch den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und dem Wachstum des Marktes. Die Richtlinien mit ihren legal vorgegebenen Kontrollmechanismen erleichtern den Akteuren konventioneller Vermarktung die Kontrolle über die gesamte Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 39 Produktionskette (Raynolds 2004: 734). Für Nigg und Schermer (2005: 110) ist dieser Fokus auf Kontrolle ein Anzeichen der Konventionalisierung. Dies wird auch erkenntlich an den Institutionen, welche die Kontrolle und Qualitätssicherung auf österreichischer Bundesebene übernehmen. AMA und BIO AUSTRIA sollen eng bezüglich der Qualitätssicherung zusammenarbeiten, die AGES wurde als Überkontrollstelle der Kontrollstellen bestätigt. Diese Institutionen stehen für einen Weg der weiteren Konventionalisierung (Nigg/Schermer 2005: 115). Auf institutioneller Ebene ist weiters eine Instrumentalisierung des Biolandbaus durch die österreichische Politik zu erkennen. Die offizielle Politik stellt den Biolandbau als Gegenstrategie zu den Fehlentwicklungen des Produktivismus dar. Gleichzeitig werden die Unterschiede zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft in Österreich herabgespielt. Man versteckt sicher hinter dem Bio-Land-Image. Dies schlägt sich darin nieder, dass der Biolandbau sehr stark in bestehende Institutionen integriert wurde, jedoch ohne dass diese Gremien einen konkreten Arbeitsauftrag haben (Nigg/Schermer 2005: 113). 2.2 Vermarktung 1991 führten Bichlbauer und Vogel Interviews mit Bio-Bauern und –Bäuerinnen durch, bei denen diese u.a. über ihre Einschätzung der zukünftigen Entwicklung der Vermarktung biologischer Produkte befragt wurden. Die meisten von ihnen, unabhängig davon, ob sie konventionelle Vermarktung 4 gut hießen oder nicht, sahen diese für die Zukunft als unumgänglich. Sie sahen sich einem Druck in Richtung konventioneller Vermarktung ausgesetzt (Larcher 2005: 48). Zeitlich liegen diese Interviews vor der großen Vermarktungsoffensive für Bio-Produkte durch den REWE-Konzern 1994. Jedoch zeichnete sich schon damals ab, dass „Bio“ von KonsumentInnen nicht mehr als ein alternatives Gesellschaftskonzept, sondern als „Verzicht auf Chemie“ verstanden wird (Nigg/Schermer 2005: 109). Biologische Lebensmittel dienen in den Augen der KonsumentInnen somit primär der Sicherung der eigenen Gesundheit. Im Kontext von Lebensmittelskandalen Anfang der 90er Jahre nutzte dies der LEH zum Einstieg in die BioLinie (Thelen/Botschen 2005: 54, 106). Der LEH konnte in diesem Sektor seine Stellung in 16 Jahren (1994-2010) massiv ausbauen. Laut Lebensmittelbericht 2010 wurden in Österreich 2009 66,8% aller Bio-Produkte über den LEH vertrieben. Weitere Vermarktungswege sind Export (6,7%), Direktvermarktung (7,6%), Bio-Fachhandel (14,2%) und Außer-Haus-Verpflegung (5,1%). Für das Wachstum 2009 maßgeblich verantwortlich war der Einstieg des Diskonters Hofer mit seiner Bio-Handelsmarke (BMLFUW 2010: 53). Das steigende Marktpotenzial kombiniert mit einem einheitlichen Bio-Siegel auf EU-Ebene treibt eine Entregionalisierung des Biolandbaus voran. Das Bio-Siegel erleichterte dem LEH die Platzierung von billigerer ausländischer biologischer Ware, um die große Nachfrage nach biologischen Lebensmitteln zu bedienen (Brand et al. 2006: 269). Dem Export und Import biologischer Lebensmittel kommt somit eine steigende Bedeutung zu. Europa ist zur Stillung der In den Interviews wurde keine Begriffsdefinition von „konventioneller Vermarktung“ vorgegeben. Meistens wurde darunter jedoch die Kombination „Raiffeisen, Lagerhaus, Großhändler, Supermarkt“ verstanden. In dieser Bedeutung wird der Begriff auch in Folge verwendet (Larcher 2005: 42). 4 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 40 Nachfrage wesentlich von Importen aus dem globalen Süden abhängig. Die importierte Ware beschränkt sich hier nicht mehr auf tropische Produkte, wie Kaffee, Kakao, oder tropische Früchte, sondern hat sich auf a-saisonales Gemüse und Obst, Fleisch- und Milchprodukte ausgeweitet (Raynolds 2004: 732). Seit 2008 führen BIO AUSTRIA, AMA und die VÖM (Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter) ebenfalls eine Exportoffensive. 2009 konnten die Exporte so um 10 % gesteigert werden (BMLFUW 2010: 53). Die längeren Transportstrecken und die Emissionen belasten die Ökoblianz biologischer Produkte (Kratochvil et al. 2005: 416). Was sind die Auswirkungen dieser Entwicklung für die Bauern und Bäuerinnen? Bio-Bauern und –Bäuerinnen führten in den bereits erwähnten Interviews 1991 Vorteile der „konventionellen“ Vermarktung auf: - Mensch erspare sich die Zeit und Mühe der Direktvermarktung, Marktzugang und –volumen seien größer, sie biete gewisse logistische Möglichkeiten und gewähre Abnahmegarantien (Larcher 2005: 45, 49). Aus der Sicht der KonsumentInnen sprechen für den LEH (den Supermarkt) ebenfalls v.a. praktische Gründe: die breite Auswahl und die Bequemlichkeit (Erreichbarkeit, zeitsparend, wenig Stress) (Thelen/Botschen 2005: 60). Die Schattenseiten der konventionellen Vermarktung hingegen sind: - Verlust der bäuerlichen Autonomie, Verringerung der Wertschöpfung aus der Landwirtschaft und Preisverfall, hohes Transportaufkommen, Probleme des KundInnenvertrauens und der Rückverfolgbarkeit aufgrund der Anonymisierung zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen, unübersichtliche Bürokratie und fehlende Einflussnahme der ProduzentInnen (Larcher 2005: 47, 50). Weiters hat die Entwicklung in Österreich gezeigt, dass der LEH keine oder nur geringe finanzielle Unterstützung für die Institutionen des Biolandbaus gewährt, obwohl er von deren Vorleistungen profitierte (Kratochvil et al. 2005: 416). Starke Verbände liegen nicht im Interesse des LEH, da dadurch ProduzentInnenmarken gestärkt werden könnten. Bio-Lebensmittel werden im LEH jedoch hauptsächlich über Handelsmarken und nicht ProduzentInnenmarken vertrieben, was die Marktmacht dieser Konzerne stärkt (Kratochvil et al. 2005: 416, BMLFUW 2010: 53). Eng verbunden mit der Vermarktung ist die Frage der Verarbeitung. In dieser Sphäre deuten folgende Kennzeichen auf Konventionalisierung hin: - Zentralisierung der Verarbeitung zunehmende Verarbeitungsähnlichkeit von Biorohwaren und konventionellen Produkten zunehmender Verarbeitungsgrad und Standardisierung der Produkte, was zu einer erhöhten Austauschbarkeit und Anonymität der Produkte führt höherer Energie-, Transport- und Verpackungsaufwand mangelnde Verfügbarkeit lokaler und saisonaler Produkte steigendes Angebot von Convenience-Produkten, was zu einem erhöhten Einsatz von Zusatzstoffen führt. sinkende Produktqualität durch industrielle Verarbeitungsprozess zunehmende Anpassung der für Bio-Produkte geltenden Qualitätskriterien an konventionelle Kriterien (Lindenthal et al. 2008: 7-10). Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 41 Angesichts dieser Daten wird ersichtlich, weshalb die Vermarktung eine wesentliche Sphäre der Konventionalisierung darstellt. Inwiefern widerspricht diese konventionelle Vermarktung nun biologischen Prinzipien? Für den Biolandbau ist Direktvermarktung kein Grundparadigma, jedoch stand die „Forcierung lokaler und regionaler Produktion und Distribution“ sowie das Anstreben einer „sozial gerechten und ökologisch verantwortlichen Lebensmittelkette“ sehr wohl im Vordergrund (Lindenthal et al. 2006: 1). Dass diese Ziele aufgrund der oben genannten Merkmale der konventionellen Vermarktung nur bedingt erfüllt werden, sollte sich aus den genannten Nachteilen ergeben. Weiters ist zu bedenken, dass der Biolandbau damit Teil einer Lebensmittelkette wird, in der soziale Gerechtigkeit nicht im Vordergrund steht (siehe dazu Samsa 2008: s.p. und Institut für Arbeit und Technik 1999: s.p.). Die Veränderung des Vermarktungssystems hatte wesentliche Auswirkungen auf die Struktur des Biolandbaus als Produktionssystem. Aufgrund des steigenden ökonomischen Drucks seitens des LEH kam es zu einer stärkeren Spezialisierung der Betriebe und der Ausbildung größerer Bio-Betriebe. Dies führt dazu, dass immer größere Produktmengen erzeugt werden, die eine Direktvermarktung kaum mehr ermöglichen. Die Rohware wird an die Verarbeitungsindustrie oder ä. abgegeben und anonymisiert (Lindenthal et al. 2008: 8). Ein Kreislauf entfaltet sich. 3 Wissens- und Anbausysteme Kratochvil et al. (2005: 48f) und Lindenthal et al. (2008: 7f) sprechen von folgenden Merkmalen und Kennzeichen der Konventionalisierung auf betrieblicher Ebene: - „input substitution approach“: die Betriebsumstellung wird häufig zu einer von Rosset & Altieri (Kratochvil et al. 2005: 416- 417) als „input substitution approach“ bezeichneten Vorgehensweise. Dabei werden die in der konventionellen Landwirtschaft eingesetzten chemisch-synthetischen Betriebsmittel bloß durch „harmlosere“ im Biolandbau zugelassene Inputs/Betriebsmittel ersetzt (Lindenthal et al. 2006: 6). Die Richtlinien werden durch derartige Maßnahmen zwar eingehalten, aber durch den Einsatz aller darin erlaubten Betriebsmittel bis ans Maximum ausgereizt (Kratochvil et al. 2005: 48-50). Begünstigt wird diese Form der Betriebsführung nach Allen und Kovach (2000) durch die Art und Ausgestaltung der Richtlinien sowie das existierende ökonomische System. „So wird die Verordnung (EWG) 2092/91 von manchen AkteurInnen in der Beratung ausschließlich in Form der Tabellen des Anhanges II rezipiert und an die Erzeuger weitergegeben, d.h. als Liste der erlaubten Bodenverbesserer, Dünge- oder Pflanzenschutzmittel, ohne jene Einschränkungen und Vorbedingungen zu kommunizieren, die in Anhang I festgelegt sind“ (Kratochvil 2005 : 10f). - Steigerung und Maximierung der pflanzlichen und tierischen Erträge, z.B. Getreideertrag per Hektar oder Milchproduktion je Laktation - Gewinnmaximierung - Betriebswachstum und Strukturwandel („Wachsen oder weichen“) - Spezialisierung und Intensivierung der Betriebe - Industrialisierung: Mechanisierung, Organisation der betrieblichen Abläufe, Nutzung von Skaleneffekten (Darnhofer et al. 2009: 514) - die Spezialisierung führt zur Entkoppelung von Tierhaltung und Pflanzenbau, 42 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität Futtermittel kommen nicht mehr vom eigenen Betrieb und müssen zugekauft werden → die betrieblichen Stoffkreisläufe werden aufgebrochen. 4 - Steigerung im Einsatz externer Betriebsmittel (Düngemittel, Futter, etc.) - konventionelle Symptombehandlung und Lösungsansätze anstatt ökologischer Überlegungen bei Problemen im Bereich des Pflanzenschutzes oder der Tiergesundheit - schlechter werdende Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzqualitäten - Einsatz leichtlöslicher organischer Stickstoffdüngemittel Zuckerrübenreste) als Ersatz für Leguminosen - Verlust an ökologischer Vielfalt durch Spezialisierung auf wenige Sorten und Rassen - Pflanzenbau: großflächiger Anbau weniger Kulturen und rentabler Sorten, schlechtere Anpassung der Sorten an den Standort, Anbau von für den Biolandbau weniger geeigneten Sorten, Verengung von Fruchtfolgen und damit erhöhtes Risiko von Fruchtfolgekrankheiten, Unterschreiten der Anbaupausen, steigender Getreide- und sinkender Leguminosenanteil - Tierhaltung: konventionelle Selektionskriterien in der Zucht (z.B. die Leistung pro Laktation bei Milchkühen) sowie den konventionellen zunehmend ähnlicher, v.a. einstreuärmer werdenden Haltungssystemen, Abnahme der Nutzungsdauer, Zunahme von Kraftfutter, Futterzusatzstoffen und konventionellen Tierarzneimitteln, vermehrtes Auftreten von Stoffwechselstörungen, Konstitutionsschwächen und Verhaltensstörungen (z.B. Federpicken) - vorbeugende Pflanzenschutzmaßnahmen weichen zugekauften Pflanzenschutzmitteln, wie z.B. Kupfer und Schwefel, die Bedeutung von Nützlingsbiotopen wie Hecken und Rainen nimmt ab oder geht dadurch ganz verloren - Auftreten von Ampfer: begünstigt durch eine Kombination von Maßnahmen (zu intensive Düngung, zu früher Schnittzeitpunkt und zu hohe Schnitthäufigkeit) mit verstärkter Ausrichtung auf ökonomische Erfolge - Bodenverdichtung verursacht durch Mechanisierung: Zunahme des Gewichts von Maschinen und bestimmte Bodenbearbeitungsverfahren (z.B. Vinasse und Konventionalisierung und Ernährungssouveränität Schlussendlich soll am Ende dieses Beitrags noch die Brücke geschlagen werden, zwischen der Konventionalisierung des Biolandbaus und der Umsetzung von Ernährungssouveränität. Als Basis für die Begriffsdefinition von Ernährungssouveränität dient hier die Erklärung von Nyéléni aus dem Jahr 2007. Forderungen aus der Deklaration werden direkt den aktuellen Entwicklungen des Biolandbaus gegenüber gestellt. „Ernährungssouveränität stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, verteilen und konsumieren, ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht die Interessen der Märkte und der transnationalen Konzerne. [...] Sie ist eine Strategie des Widerstandes und der Zerschlagung derzeitiger Handels- und Produktionssysteme, die in den Händen multinationaler Konzerne liegen“ (Erklärung von Nyéléni 2007: s.p.). Die Konventionalisierung des Biolandbaus führt zu einer stärkeren Einbindung dessen in nationale und internationale Märkte (vgl. Allen/Kovach 2000). Vom steigenden Umsatz von BioLebensmitteln profitieren aufgrund der sinkenden Preise und der Verschiebung der Wertschöpfung hin zur verarbeitenden Industrie und dem LEH nicht mehr die Bauern und Bäuerinnen, sondern die Verarbeitung und der Handel. Setzt sich diese Entwicklung fort, dann Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 43 verändert der Biolandbau nicht das Gesellschaftssystem, sondern er passt sich daran an (Nigg/Schermer 2005: 116). Weiters wird eine Welt gefordert, „[...] in der wir unsere Vielfalt an Fähigkeiten, Nahrungsmitteln, Sprachen und Kulturen [...] als humanen Wert anerkennen und schätzen“ (Erklärung von Nyéléni 2007: s.p.). Dadurch, dass sich Bio-Lebensmitteln durch die Verarbeitung und durch die gesetzten Standards den konventionellen Produkten immer mehr annähern, geht Vielfalt verloren (Kratochvil et al. 2005: 416). Bio-Lebensmittel werden Teil der „commercial pseudo-variety“ (Weis 2007: 16). „[...] in der Agrarreformen die Beziehungen zwischen Produzierenden und Konsumierenden wiederbeleben, das Überleben der Gemeinschaft, die wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit, die ökologische Nachhaltigkeit und die Gemeindeautonomie sichern, mit gleichen Rechten für Frauen und Männer“ (Erklärung von Nyéléni 2007: s.p.). Konventionelle Vermarktungswege führen zu einer Anonymisierung der Marktbeziehungen. Es gibt weniger Kontakt zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen (Kratochvil et al. 2005: 416). In der derzeitigen Form ist der LEH in vielen Ländern Europas kein Musterbeispiel für faire Arbeitsbedingungen der dort Angestellten. Deswegen und aufgrund des Preisdruckes, welcher auf die ProduzentInnen weitergegeben wird, ist die Einbindung des Biolandbaus in diese Ausprägung der konventionellen Vermarktung nicht förderlich zum Erreichen von wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit (Samsa 2008: s.p.). Letztlich führt die Konventionalisierung zu Veränderungen im Produktionssystem, welche die ökologische Nachhaltigkeit, selbst von Bio-Produkten, gefährden können (Kratochvil et al. 2005: 416). „Ernährungssouveränität stellt lokale und nationale Wirtschaft und Märkte in den Mittelpunkt“ (Erklärung von Nyéléni 2007: s.p.). Durch den gestiegenen internationalen Handel von biologischen Produkten, der sich nicht mehr nur auf „exotische Produkte“ beschränkt, ist der Biolandbau von einem seiner Grundziele, der regionalen Produktion und Distribution, wesentlich abgewichen (vgl. Raynolds 2004). „Sie fördert bäuerliche Landwirtschaft, Familienbetriebe sowie den traditionellen Fischfang und die Weidewirtschaft“ (Erklärung von Nyéléni 2007: s.p.). Mit weiterem Fortschreiten der Konventionalisierung ist nicht auszuschließen, dass sich aufgrund der konventionellen Vermarktung verstärkt ein Trend des „Wachsens oder Weichens“ auch im Biolandbau durchsetzt. Auch im Biolandbau, welcher seine Wurzeln doch in kleinbäuerlichen Strukturen hat, würde somit die bäuerliche Landwirtschaft dem „Unternehmen Landwirtschaft“ weichen (vgl. Gross 2002: 264f). Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 44 Literaturverzeichnis Allen, P., / Kovach, M. (2000): The capitalist composition of organic: The potential of markets in fulfilling the promise of organic agriculture. In: Agriculture and human values 17(3), 221–232. BMLFUW - Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (2010): Lebensmittelbereicht 2010. http://www.lebensmittelnet.at/filemanager /download/72839/, 27.4.11. Brand, K. W./ Engel, A./ Kropp, C./ Spiller, A./ Ulmer, H. (2006): Von der Agrarwende zur Konsumwende? Effekte der Ausweitung des Bio-Markts entlang der Wertschöpfungskette. Ernährungs-Umschau 53 (7), 267-271. Darnhofer, I. (2006): Organic farming between professionalisation und conventionalisation. 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(2005): Biologischer Landbau und nachhaltige Entwicklung: Kongruenzen, Differenzen und Herausforderungen. In: Groier, Michael / Schermer, Markus (Hg.): Bio-Landbau in Österreich im internationalen Kontext. Zwischen Professionalisierung und Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 45 Konventionalisierung. Forschungsbericht Bergbauernfragen, 55-75. Nr. 55, Band 2. Wien: Bundesanstalt für Kratochvil, R./ Engel, A./ Schumacher, U./ Ulmer, H. (2005): Die „Konventionalisierungsfalle“. Ökologischer Landbau zwischen Vision und Realität. Ökologie & Landbau 136 (4), 48-50. Kratochvil, R./ Leitner, H. (2005): The “Trap of Conventionalisation”: Organic Farming between Vision and Reality. In: Continuity and change in organic farming - philosophy, practice and policy. XXI Congress of the ESRS 2005- Keszthely, Hungary, 22.- 27. August 2005. Kratochvil, R./ Lindenthal, T. / Vogl, C. (2005): Prozessqualität im Wandel: Beobachtungen am Beispiel der Bio-Wertschöpfungskette in Österreich. In: Heß, J./ Rahmann, G. (Hg.): Ende der Nische. Beiträge zur 8. Wissenschaftstagung Ökologischer Landbau. Kassel: Kassel University Press, 415-418. Larcher, Manuela (2005): Bioprodukte im Supermarkt – Wunsch oder Notwendigkeit? Einstellung von Biobäurinnen und Biobauern zur bevorstehenden Vermarktung ihrer Produkte über konventionelle Absatzstrukturen. In: Groier, Michael/ Schermer, Markus (Hg.): Zwischen Professionalisierung und Konventionalisierung. Forschungsbericht Nr. 55, Band 2. Wien: Bundeanstalt für Bergbauernfragen, 41-52. Nigg, Daniel/ Schermer, Markus (2005): Von der Vision zur Richtlinie. Konventionalisierung und Instrumentalisierung des Biologischen Landbaus in Österreich. In: Groier, Michael/ Schermer, Markus (Hg.): Zwischen Professionalisierung und Konventionalisierung. Forschungsbericht Nr. 55, Band 2. Wien: Bundeanstalt für Bergbauernfragen, 105-119. Raynolds, L. T. (2004): The globalization of organic agro-food networks. World development 32 (5), 725–743. Thelen, Eva/ Botschen, Martina (2005): Warum Bio? – Einstellungen zum Konsum von Bioprodukten in Österreich. In: Groier, Michael/ Schermer, Markus (Hg.): Zwischen Professionalisierung und Konventionalisierung. Forschungsbericht Nr. 55, Band 2. Wien: Bundeanstalt für Bergbauernfragen, 53 – 65. Samsa, Gregor (2008): Supermärkte, Migration, globale Landwirtschaft. Vom Ausverkauf sozialer Rechte. analyse & kritik Nr. 529, 20.6.2008. Weis, Tony (2007): The global food economy. The battle for the future of farming. London: Zed books, 11-46. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 46 Zusammenfassungen der Veranstaltung „Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität“ vom Mittwoch, 8. Juni 2011, BOKU Wien. Inhaltsverzeichnis: 1 Vortrag: Ernährungssouveränität durch biologische Landbewirtschaftung (Prof. Haiger).......................................................................................................................................................... 48 2 Vortrag: Ernährungssouveränität und die GAP (A. Strickner) ...................................... 50 3 Vortrag: Ernährungssouveränität und Biolandwirtschaft in Afrika. Ein Widerspruch? (Dr. Hauser) .................................................................................................................. 52 4 Film & Diskussion: „Die Dinge könnten auch anders sein…“ – Lernprozesse in Demokratie, Mitbestimmung und Zusammenleben für Ernährungssouveränität? (Planquadrat) ............................................................................................................................................ 54 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 47 1 Vortrag: Ernährungssouveränität durch biologische Landbewirtschaftung (Prof. Haiger) Vortragender: Prof. Alfred Haiger, langjähriger Vorstand des Instituts für Nutztierwissenschaften BOKU und einer der „Gründerväter“ des Biologischen Landbaus an der Universität für Bodenkultur Wien. Uhrzeit: 13:00 bis 15:00 Teilnehmerzahl: ca. 100 Zusammenfassung verfasst von Georg Thünauer Als erstes stand die Aufforderung sich sachkundig zu machen, denn „Wer nichts weiß, muss alles glauben!“. „Jeder souveräne Staat muss seine Grundnahrungsmittel auf Basis der natürlichen Bodenfruchtbarkeit und artgerechten Tierhaltung selbst erzeugen und gleichzeitig die gewachsene Kulturlandschaft pflegen“. In den vergangenen 60 Jahren gab es eine Bevölkerungsexplosion: Die Weltbevölkerung hat sich innerhalb einer Lebensperiode auf das 3-fache erhöht, was zur Problematik der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln führt. Nach der ersten Welle der Kolonialisierung durch Frankreich, England und Spanien folgt nun die zweite Welle der Kolonialisierung in Afrika. Bisher sind 1,8 Mio. Hektar Ackerland in Afrika von China gepachtet. Bei einer Steigerung der Bevölkerung und einer damit einhergehenden Senkung des nutzbaren fruchtbaren Landes kommt es zwangsläufig zur Nahrungsmittelknappheit. Ein Volk das seine Grundnahrungsmittel nicht selbst erzeugt ist erpressbar. Von Interesse für die Gesellschaft sollte sein, dass jede/r in seinem Land leben kann! Aus dem Gesichtspunkt der biologischen Landbewirtschaftung muss man sagen: Wenn die KonsumentInnen gesunde Lebensmittel wollen, die ohne Pestizide produziert wurden, müssen sie auch bereit sein dafür mehr zu bezahlen. Die Strukturen der Landwirtschaft richten sich nach den Möglichkeiten der technischen Entwicklung. „Wer das Geld hat macht die Regeln“. „Kapitalismus ist das Modell einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Beziehungen der Menschen sowie der Organisationen und Institutionen wesentlich von den Interessen derer bestimmt werden, die über das Kapital verfügen“ (Brockhaus Enzyklopädie). Eigentlich sollte man sich eher nach dem Motto: „Kümmern Sie sich nicht um den Ölscheich, sondern um den Regenwurm – er arbeitet 24h am Tag und hat keine Gewerkschaft“ richten. Ein Artenverlust in unseren Kulturlandschaften geht mit dem Strukturverlust einher. Dieser ist oberirdisch sichtbar aber unter der Oberfläche noch viel drastischer. Eine Taktik der Politik in diesem Zusammenhang ist es zu vernebeln. Einfaches wird schwierig gemacht, um Menschen davon abzuhalten sich damit zu befassen. Man sollte nie aus den Augen verlieren, dass tierisches Leben – insbesondere auch das Überleben des Menschen – nur auf der Basis von gesundem pflanzlichem Leben möglich ist – niemals umgekehrt! Auch sollte man bei seinen Ernährungsgewohnheiten nie vergessen, dass tierische Lebensmittel immer mit einem enormen Energieverlust einhergehen. Von den anfänglich 100% der Energie, Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 48 die von der Sonne auf die Erde gestrahlt werden, können nur etwa 44% von der Pflanze photosynthetisch verwertet werden. Die verwertbare Energie nach Ernte und Verarbeitung liegt bei etwa 5%, bei der Verwertung durch ein Tier fällt man auf etwa 3%, und als Menschliche Nahrung in Form von tierischen Lebensmitteln bleiben nur etwa 1% der anfänglichen Energie. Auch sollte man seine tierischen Lebensmittel gut auswählen. Man bedenke, dass man für die Produktion von 1000kg tierischem Eiweiß in Form von Fleisch 10 ha Ackerland (Getreide) benötigt, für die gleiche Menge Eiweiß in Form von Milch allerdings nur 5 ha Grünland. Wenn man dann noch von der Nahrungskonkurrenz zwischen Tier und Mensch bei der Verwertbarkeit der Nährstoffe ausgeht, wird die Problematik noch anschaulicher. Dieser falsche Trend ist allerdings leider auch in der Rinderzucht sichtbar – gezüchtet wird auf Getreideverträglichkeit der Tiere und nicht auf Grundfutterverdauung. Beim Thema der Nahrungskonkurrenz stellt sich auch die Frage, wofür werden die produzierten Nahrungsmittel verwendet. Produzieren wird für Tank, Teller oder Trog? Abschließende Aussage: „Auf einer begrenzten Weilt ist das Leben nicht unbegrenzt! Nur auf fruchtbarem Boden kann der Mensch auf Dauer leben! Weizen Verheizen ist eine Sünde! Eine gerechte Güterverteilung ist unabdingbare Voraussetzung für den Frieden.“ Literatur: Haiger A. (2005) Naturgemäße Tierzucht. Österreichischer Agrarverlag, Leopoldsdorf. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 49 2 Vortrag: Ernährungssouveränität und die GAP (A. Strickner) Vortragende: Alexandra Strickner, Ökonomin und bis 2009 Mitarbeiterin des Institute for Agriculture and Trade Policy, Vorsitzende von Attac Österreich. Uhrzeit: 15:00-17:00 TeilnehmerInnen-Zahl: 90-100 Zusammenfassung verfasst von Georg Weissenböck Die studierte Volkswirtin Alexandra Strickner hat in ihrem Vortrag versucht, im Rahmen der Aktionstage einen kurzen Überblick über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (kurz: GAP) zu geben. Diese beschreibt sie in vier Kapiteln: Ursprünge, Entwicklung und Kritik, Ernährungssouveränität, sowie GAP-Reform. Schon lange hatte es im Agrarbereich Handelsschranken gegeben, die Länder haben ihre Bauern geschützt. Nach dem zweiten Weltkrieg war eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln erste Priorität. Man schuf in der jungen europäischen Gemeinschaft eine gemeinsame Agrarpolitik mit den Zielen, einen einheitlichen Markt zu schaffen, regionale Unterschiede zu minimieren und das Projekt gemeinsam zu finanzieren. Werkzeuge waren Importzölle, Lagerhaltung, Interventionspreise und später immer mehr Exportsubventionen. Die Überproduktion ab den 70er-Jahren machte Ängsten vor einer Unterversorgung ein Ende. Die fehlenden Produktionsbeschränkungen führten zu einem verstärkten Strukturwandel hin zur stark industrialisierten Landwirtschaft. Der garantierte Interventionspreis führte zu einer immer höheren Produktion, weshalb der Export als Lösung gesehen wurde. Dieser verursachte jedoch ein massives Preisdumping in Entwicklungsländern und zerstörte die dortige traditionelle Landwirtschaft. Dazu kamen eine ungleiche Verteilung der Gelder, Umweltverschmutzung und eine immer größer werdende Budgetproblematik. Immer wieder wurden Reformen der GAP versucht: es kam zu Mengenbeschränkungen, Umweltprogrammen, Flächenstilllegungen und vermehrten Direktzahlungen. Die Vision eines globalen, freien Weltmarkts, brachte den Konflikt mit großen Agrarexportländern. Die internen Marktpreise wurden an die Weltpreise angepasst, es kam jedoch gleichzeitig zu einem indirekten Dumping durch Direktzahlungen. KonsumentInnen zahlen nun 3-fach für die Fehler der Politik: den Einkaufspreis, die Direktzahlungen durch Steuergelder sowie allfällige Umweltsanierungen. Viele Kleinbauern und -bäuerinnen können dem Preisdruck nicht mehr Stand halten und sind zur Aufgabe gezwungen. Gewinner der Politik sind die Industrie, Exporteure und große Landwirte. Im Zentrum des Konzepts der Ernährungssouveränität steht eine qualitative, keine quantitative Landwirtschaft. Der Handel mit Nahrungsmitteln ist wichtig und soll betrieben werden. Ziel ist jedoch eine möglichst regionale und selbstbestimmte Produktion. Erreicht werden muss eine nachhaltige Landwirtschaft, welche die Welt ernährt, zum Klimaschutz beiträgt und das Ernährungsbewusstsein erhöht. Wie können diese Ziele nun erreicht werden? Eine Regulierung der europäischen Landwirtschaft scheint unausweichlich. Nur indem man sich vom globalen Wettbewerb entfernt, sind faire Preise und lokale Märkte möglich. Eine Reform der GAP, weg von Direktzahlungen, kann zu gerechteren Produktionsbedingungen für Bauern und Bäuerinnen, ökologisch nachhaltigen Produkten und gesunden, leistbaren Lebensmitteln führen. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 50 Links und Literatur: Choplin G., Strickner A., Trouvé A. (Hg.), Ernährungssouveränität. Für eine andere Agrar- und Lebensmittelpolitik in Europa (Wien 2011). Mit offenen Karte, watch?v=BRtYxOQ_REw Gemeinsame Agrarpolitik, Wozu?, Europische Kommission, Die gemeinsame http://ec.europa.eu/agriculture/publi/capexplained/cap_de.pdf http://www.youtube.com/ Agrarpolitik erklärt, Die grüne Bildungswerkstatt Wien, Die gemeinsame Agrarpolitik in Europa – Auswirkungen und Alternativen, http://www.gbw-wien.at/article607.htm Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 51 3 Vortrag: Ernährungssouveränität und Biolandwirtschaft in Afrika. Ein Widerspruch? (Dr. Hauser) Vortragender: Dr. Michael Hauser, Leiter des Center for Development Research, BOKU Uhrzeit: 17:00 – 19:00 TeilnehmerInnen-Zahl: 50-60 Zusammenfassung verfasst von Ulrike Jaklin Michael Hauser widmete sich in seinem Vortrag der Frage, was Biologischer Landbau zur Erreichung von Ernährungssouveränität in Afrika beitragen kann. Ausgehend von der Tatsache, dass von 925 Mio. Hungernden weltweit 239 Mio. in Afrika leben, wurden aktuelle und historische Ursachen für den Hunger genannt. Spekulationen auf Nahrungsmittel, verringertes Ertragsniveau aufgrund von klimatischen Veränderungen, Landnutzungsveränderungen, geringeres Einkommen durch die wirtschaftliche Krise und eine Vernachlässigung der Landwirtschaft und der ländlichen Entwicklung seitens der afrikanischen Regierungen und der EZA-Institutionen in den letzten Jahrzehnten sind mitverantwortlich für die große Anzahl an hungernden Menschen. In der Geschichte seit der Unabhängigkeit der meisten afrikanischen Staaten sind noch weitere Gründe für die jetzige Situation zu finden. Zunächst war es das Bestreben vieler Staaten, im Zuge des nation-building auch die eigene Versorgung mit Lebensmittel sicher zu stellen. Die bäuerliche Landwirtschaft wurde als Wachstumssektor gesehen und gefördert. Die Politik kam dem Konzept der Ernährungssouveränität somit recht nahe. Jedoch gründete diese Entwicklung auf kolonialen Strukturen und blieb weiterhin auf den internationalen Markt ausgerichtet. Das Konzept der Ernährungssicherheit rückte somit langsam in den Vordergrund. Ein wesentlicher Bruch erfolgte mit den Strukturanpassungsprogrammen, welche vielen afrikanischen Staaten infolge der Schuldenkrise von den internationalen Finanzinstitutionen vorgeschrieben wurden. Zur Gewinnung von Devisen zur Schuldentilgung sollten sie ihre Landwirtschaft noch mehr auf Export ausrichten (Baumwolle, Kakao, Kaffee). Alle afrikanischen Länder sind heute Netto-Importeure von Lebensmitteln. Die Frage der Ernährungssicherheit wird in Afrika breit debattiert. Ernährungssouveränität als Konzept ist allerdings meist nur in der Zivilgesellschaft verankert. Nach einer Abgrenzung des Begriffes Ernährungssicherheit von Ernährungssouveränität wurden noch die Prinzipien der Ökologischen Landwirtschaft (ÖLW) dargestellt. Speziell im afrikanischen Kontext ist es hierbei wichtig, zwischen zertifizierter und nicht-zertifizierter ÖLW zu unterscheiden. Für viele zertifizierte Betriebe entspricht ÖLW der Nicht-Verwendung von synthetischen Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln, die Prinzipien, wie sie z.B. in den IFOAM-Richtlinien genannt werden, spielen eine untergeordnete Rolle. Außerdem sind diese hauptsächlich auf den Export ausgerichtet, da in Afrika de facto kein lokaler Markt für zertifiziert biologische Produkte besteht. Auf zertifizierte Betriebe bezieht sich auch die folgende Gegenüberstellung von Kohärenzen und Dissonanzen zwischen ÖLW und Ernährungssouveränität: - Kohärenzen: Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 52 o o o - Die Grüne Revolution in der Landwirtschaft wird abgelehnt. Lokales Wissen wird aufgewertet. Beide basieren auf kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Kleinbäuer_innen sind bei zertifizierten Betrieben jedoch häufig nur contract farmers und befinden sich somit in einer Abhängigkeit vom Exporteur. Dissonanzen: o o o o o Kommerzialisierung und nicht Selbstversorgung ist das Ziel zertifizierter ÖLW. Selbstbestimmung wird nicht erreicht, da die Exporteure über die Produktion bestimmen und das Bio-Zertifikat besitzen. Die Produktion ist primär am Wohl der KonsumentInnen (in Europa, USA, etc.) ausgerichtet. Die Marktdominanz einzelner Exporteure widerspricht dem Prinzip der Gerechtigkeit. Preisregulierung, Landreform und ein neues Gleichgewicht zwischen Stadt und Land sind kein Thema. An und für sich widersprechen sich ÖLW und Ernährungssouveränität nicht. Gerade die zertifizierte Biologische Landwirtschaft hätte jedoch noch einiges von Ernährungssouveränität zu lernen. Andererseits geht das Prinzip der Ernährungssouveränität auch einigen Bäuer_innen zu weit, wenn es zu sehr auf Subsistenz ausgerichtet ist. Links/Literatur zum Thema: Center for Development Research: http://www.boku.ac.at/cdr.html Gezeigter Film: http://www.youtube.com/watch?v=5cj8IpX1uBA Participatory Ecological Land Use Management: http://www.pelumrd.org/ Global Information and Early Warning System on food and agriculture: http://www.fao.org/giews/english/index.htm Food Issue von Foreign Policy mit erwähntem Artikel von Lester Brown: http://www.foreignpolicy.com/the_food_issue IFOAM: http://www.ifoam.org/index.html Halberg, N.; Alroe, H.F.; Knudsen, M.T.; Kristensen, E.S. (Hrsg., 2006): Global Development of Organic Agriculture. Challenges and Prospects. Oxfordshire, Cambride (USA)): CABI Publishing. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 53 4 Film & Diskussion: „Die Dinge könnten auch anders sein…“ – Lernprozesse in Demokratie, Mitbestimmung und Zusammenleben für Ernährungssouveränität? (Planquadrat) Vorführung einzelner Ausschnitte der prozessualen Dokumentarfilmreihe „Planquadrat Ländlicher Raum“ mit anschließender Diskussion Gäste: Elisabeth Guggenberger und Helmut Voitl: beide Macher der Serien; August Steyrl, Biolandwirt der ersten Stunde und Mitbegründer der ÖBV Uhrzeit: 19.30 – 22 Uhr Teilnehmende: rund 120 Zusammenfassung verfasst von Magdalena Scheuch Die Initiative „Planquadrat – Ländlicher Raum“ (in Wien gab es zuvor [1974 – 1976] ein weiteres, das die BewohnerInnen eines Blockes motivieren sollte, sich an der Sanierung eines heruntergekommenen Häuserblocks inklusive gemeinschaftlichem Gartenhof zu beteiligen) wurde durch die dokumentarische Filmarbeit von Elisabeth Guggenberger und Helmut Voitl etwa ein Jahr lang begleitet. Wie auch zuvor in Wien, war auch hier das Ziel, eine Hilfestellung der ländlichen Bevölkerung in den Gebieten Weitersfelden, Kaltenberg, Liebenau (alle OÖ) und Großgerungs und Langenschlag (NÖ) zu bieten und die aktive Beteiligung eben dieser in allen von ihnen betroffenen Bereichen zu fördern. Diverse Filmausschnitte zeigen zuerst die Gegebenheiten der ausgesuchten peripheren Landstriche, die vor allem durch Grenzertragsflächen, Forstwirtschaft und Nebenerwerbsbauern und -bäuerinnen gekennzeichnet waren. Schon bald zeigte das Projekt erste Erfolge: Ein Straßenbau durch ein Dorf wurde durch die Mitarbeit der BewohnerInnen an die bestehende Dorfstruktur angepasst, ohne Nachteile für irgendwen. Ein weiterer Aspekt der Filmserie war die anfängliche Zurückhaltung vor der Autorität diverser Institutionen und der beginnenden Selbstbestimmung und Selbstbewusstseinssteigerung der Bevölkerung. Vor allem die einheitliche Bauernpolitik war Mittelpunkt des Interesses. Durch die Zunahme der Kunstdünger und die damit einhergehende Verschlechterung der Futterqualität, der Bodengesundheit, Fruchtbarkeitsstörungen und die gestiegenen Betriebskosten, kam es zu der Idee der „Gesundheitskost“. Aber gerade die Bauern und Bäuerinnen waren skeptisch. Durch eine Umfrage des ORF [„Würden Sie ohne Kunstdüngerproduzierte Lebensmittel kaufen?“ und „Würden Sie mehr dafür zahlen?“], die mehr als 14 000 positive Rückmeldungen brachte, wurde diese mögliche Wirtschaftsweise an die bäuerliche Bevölkerung herangetragen. Doch es gab nicht nur positive Rückmeldungen. Raiffeisen und andere Interessensgruppen setzten die Filmarbeiter unter enormen Druck. Resultat war ein einjähriges Berufsverbot für Voitl und Guggenberger. Aber vor allem durch diese Filmreportagen „Planquadrat“ und „Bodenkultur“ wurde die Idee des biologischen Anbaus der Öffentlichkeit präsentiert und gleichzeitig war der Anstoß für die Bauern und Bäuerinnen gegeben, die ökologische Landwirtschaft zu forcieren. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 54 Damit wäre grundsätzlich der Grundstein für Ernährungssouveränität gelegt: ProduzentInnen und KonsumentInnen rücken einander näher und werden ins Zentrum der Entscheidungsprozesse gestellt. Die Kontrolle obliegt den regionalen ProduzentInnen; sie erhalten hohen Stellenwert und deren Rechte werden respektiert. Durch schonende Produktionsmethoden und ohne Einsatz von Pestiziden und Gentechnik wird die Biodiversität geschützt, durch eigene Saatgutvermehrung die Agrobiodiversität gefördert. Ob diese Prinzipien der Biopioniere und der Ernährungssouveränität in der heutigen Realität umgesetzt wurden und werden, kann diskutiert werden. Literatur: Voitl H. (Hg.): Der biologische Landbau – Begleitinformationen zu den Fernsehfilmen „Bodenkultur“ und „Planquadrat Ländlicher Raum“ (Wien 1979). http://www.film-film.at/ Rohrmoser, Franz (2001): Erschließung neuer Formen der Konfliktbearbeitung in bäuerlichen Strukturfragen. Nachzulesen unter: http://www.bauernkonflikte.at/ Pimbert, Michel (2010): Transformation for Food Sovereignity: Reclaiming Citizenship – empowering civil society in policy-making (Part III: Chapter 5). Nachzulesen unter: http://pubs.iied.org/G02612.html Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 55 Zusammenfassungen der Veranstaltung „Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität“ vom Donnerstag, 9. Juni 2011, BOKU Wien. Inhaltsverzeichnis 1 Workshop: Politisches Engagement für Ernährungssouveränität ............................... 57 2 Workshop: Saatgut und Ernährungssouveränität .............................................................. 59 3 Workshop: Wie gründe ich eine Foodcoop? ......................................................................... 61 4 Workshop: Ernährungsautonomie auf Hofkollektiven .................................................... 63 5 Workshop: Pflanz dir deine Stadt! Guerilla Gardening als Strategie zur städtischen Ernährungssouveränität ....................................................................................................................... 65 6 Podiumsdiskussion: Ernährungssouveränität: Strategien und Perspektiven – Welche Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik brauchen wir? ....................................... 67 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 56 1 Workshop: Politisches Engagement für Ernährungssouveränität Leiterinnen: Karin Okonkwo- Klampfer (ÖBV-Via Campesina Austria), Julianna Fehlinger (attac) Uhrzeit: 12:00-14:00 Teilnehmende: 9 Zusammenfassung verfasst von Moritz Maurer Ernährungssouveränität ist ein politischer Kampfbegriff, kein fertiges Konzept. Der Begriff wird seit der Welternährungskonferenz in Rom 1996 diskutiert und wurde von Via Campesina ins Leben gerufen. Ernährungssouveränität wurde als Gegenbegriff zu Ernährungssicherheit eingeführt, da Ernährungssicherheit zu kurz greift und qualitative, ethische und ökologische Ansprüche vernachlässigt. Auch bei gegebener Ernährungssicherheit in einem Land kann trotzdem ein Teil der Bevölkerung keinen Zugang zu ausreichenden Nahrungsmitteln haben. Ernährungssouveränität ist weder mit Autarkie noch Ernährungssicherheit gleichzusetzten. Der Fokus muss sich von einer Produktion für den Lebensmittelmarkt zu einer Produktion für das Umfeld bewegen. Der Begriff Ernährungssouveränität ist unglücklich gewählt, weil man damit leicht ins nationalistische Eck gestellt werden kann, da nationalistische Gruppen teilweise sehr ähnlich argumentieren. Der Begriff ist lang und nicht einfach und ist nicht selbsterklärend. Eine Idee ist, den Begriff sehr stark zu besetzen und mit Leben zu füllen, um die Erklärung zu vereinfachen und einen Missbrauch zu verhindern. Eine anwesende Bäuerin erklärt, wie sie versucht, den Begriff zu verwenden: „Wir versuchen in einer Art Lebensmittelkooperative unsere Produkte weiterzugeben. Wir sind ein Kleinstbetrieb. Vorrangig ist für uns momentan unseren Eigenkonsum abzudecken.“ Ist Ernährungssouveränität bei einem Einkauf im Lebensmitteleinzelhandel überhaupt möglich? Eine Möglichkeit, die bereits existiert sind demokratische Lebensmittelhändler. Im jetzigen Supermarktsystem ist Ernährungssouveränität nicht erreichbar. Große Lebensmitteleinzelhandelsketten agieren sehr dominant. Die Supermarktketten sind so aufgebaut, dass man Profite abschöpfen können muss. In einem demokratischen Supermarkt muss das nicht so sein. Natürlich benötigen Ballungszentren Organisation zur Lebensmittelverteilung. Ziel ist nicht, dass jede/r durch Ab-Hofverkauf seinen, ihren Lebensmittelbedarf abdeckt. Im jetzigen Supermarkt gibt es keine Mitbestimmung der Kund_innen, sondern die Kundschaft wird manipuliert. Die EU setzt Standards für Lebensmittel so, dass der Binnenmarkt gestärkt wird. Immer mehr Menschen hören mit Direktvermarktung auf, da sie Hygienerichtlinien nicht erfüllen können. Hinzu kommen Schwierigkeiten mit Sozial- und Krankenversicherung. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 57 Dabei werden von den Nationalstaaten Gesetze implementiert, mit Bezug auf EU Hygienerichtlinie, die mit diesen nichts zu tun haben. Global-GAP Kriterien sind viel strenger als EU-Richtlinien. Diese wurden von Supermarktketten ausgehandelt. Ein Freiburger Hofkollektiv konnte innerhalb von ein paar Monaten über Radio etc. genug Menschen ansprechen, dass Zertifizierung ihrer Lebensmittel obsolet wurde und sie diese ausreichend direkt vermarkten konnten. Auf kleinen LebensmittelherstellerInnen und WeiterverarbeiterInnen lastet ein großer Druck, da sie Hygienerichtlinien nicht einhalten können. Kritik an den Bestimmungen von Konsumentenseite ist hier sehr schlagkräftig. In den letzten 20 Jahren haben Supermärkte ihre Produktauswahl/ Kriterien sehr stark an die Vorstellungen von Kunden angelehnt (Bio, Vorstellungen von Aussehen und Konsistenz von Lebensmitteln etc.) Die Kosten wurden aber an die ProduzentInnen weitergegeben. Der hohe Preisdruck veranlasst Bäuerinnen dazu, Kosten zu externalisieren, die dann von der Allgemeinheit getragen werden müssen. Die ÖBV versucht Kritik sowohl in Institutionen, als auch außerhalb der Institutionen einzubringen. Links und Literatur: www.viacampesina.at www.attac.at Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 58 Workshop: Saatgut und Ernährungssouveränität 2 Workshop-Leiterin: DI (FH) Franziska Lerch, Arche Noah Uhrzeit: 13.00-15.00 Uhr Teilnehmende: 22 Zusammenfassung verfasst von Isabella Hiebaum Der Workshop wurde von DI (FH) Franziska Lerch abgehalten. Sie ist Mitarbeiterin beim Verein Arche Noah in Langenlois. Arche Noah wurde vor 20 Jahren gegründet und hat sich die Aufgabe gestellt, das Wissen um Kulturpflanzenvielfalt und Saatgutgewinnung, sowie das Saatgut seltener Kulturpflanzen selbst, weiterzugeben und zu fördern. An dem Workshop nahmen 22 Personen teil. Nach einer kurzen Einleitung, wurden vier Gruppen gebildet, die sich zu vier unterschiedlichen Themen Gedanken machen sollten. Die Themen waren: 1. 2. 3. 4. Wo stammen unsere Kulturpflanzen her? Was ist auf unseren Feldern, Wiesen, Wäldern früher gewachsen und was wächst heute? Wie stellt sich die Situation auf dem Saatgutmarkt heute dar? Welche Handlungsmöglichkeiten bieten sich uns um die Souveränität bei Saatgut wieder zu erlangen? Die Gruppen hatten ca. 20 Minuten Zeit, um zu diskutieren und präsentierten dann die Ergebnisse. Die erste Gruppe nannte diverse Herkunftsorte von Obst- und Gemüsesorten, wie etwa die Heimat des Apfels im Kaukasus, Hirse, die aus Afrika stammt, Beeren, die in unseren Wäldern heimisch sind, usw. Der Ursprung unserer Getreidesorten (die ersten waren Einkorn, Emmer, Gerste) liegt im urpersischen Kulturraum. Weltweit werden heute von 4.800 bekannten Kulturarten gerade einmal 30 genutzt. Die zweite Gruppe stellte fest, dass im Vergleich zur früheren, traditionellen und vielfältig genutzten Vegetation heute vor allem Monokulturen vorherrschen, dass die biologische Vielfalt abgenommen hat und nur mehr wenige Pflanzen z.B. als Medizin oder Hausmittel genutzt werden. Franziska erklärte die Ursachen des Kulturpflanzenverlustes, die z.B. in der Industrialisierung der Landwirtschaft, im Rückgang der Subsistenzwirtschaft, in neu definierten Züchtungszielen, oder in der modernen Pflanzenzüchtung zu finden sind. Gruppe Drei beschrieb den heutigen Saatgutmarkt als dominiert von großen Konzernen, wie z.B. von Monsanto, Cargil, Pioneer, uvm. Durch das Aufkommen der Hybridsorten, entstand die große Abhängigkeit von den Saatgutkonzernen, da das Saatgut nicht mehr vermehrt werden kann. Durch die Zusammenarbeit mit der Agroindustrie ist es meist auch nötig, ausreichend zu düngen und Pflanzenschutzmittel anzuwenden, was wieder eine Abhängigkeit von den Konzernen bedeutet, um die gewünschten Erträge erzielen zu können. Die Saatguterhaltungsrichtlinie der EU wird uns von Franziska Lerch zur Verfügung gestellt. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 59 Die vierte Gruppe fand Handlungsmöglichkeiten, wie z.B. alte Sorten selber vermehren, bewusst konsumieren, Information unter Bekannten verbreiten, sich politisch engagieren und Organisationen kontaktieren, um die Souveränität beim Saatgut wieder zu erlangen. In Österreich gibt es Genzentren, wie z.B. die AGES in Linz, wo Saatgut gesammelt wird. Biologische Saatzuchtfirmen in Österreich wurden genannt, wie z.B. ReinSaat, oder die Ochsenherz Gärtnerei. Links und Literatur: www.arche-noah.at www.ochsenherz.at http://www.genbank.at/ (Genzentrum in Linz) www.reinsaat.at www.psrara.org www.dreschflegel-saatgut.de www.nutzpflanzenvielfalt.de Heistinger, Andrea (2010): Arche Noah – Handbuch Bio-Gemüse. Unter Mitarbeit von Franziska Lerch, Peter Lassnig und Peter Zipser. Löwenzahn Verlag, Innsbruck. Heistinger, Andrea, Arche Noah, Pro Specia Rara (Hrsg.) (2004): Handbuch Samengärtnerei – Sorten erhalten, Vielfalt vermehren, Gemüse genießen. Löwenzahn Verlag, Innsbruck. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 60 3 Workshop: Wie gründe ich eine Foodcoop? WorkshopleiterInnen: Magdalena Heuwieser und Dominik Dax (Mitglieder von Wiener Foodcoops) Uhrzeit: 16:00 bis 18:00 Uhr Teilnehmende: 8 Personen Zusammenfassung verfasst von Valerie Jarolim Zu Beginn stellten wir uns gegenseitig vor, indem wir uns eine Stadtkarte von Wien am Boden vorstellten und uns nach Bezirken, in denen wir wohnen, aufstellten. Magdalena markierte am Boden dann mit Äpfeln die Standorte der vier Foodcoops die es derzeit in Wien gibt, wie z.B. d'Speis und das Bioparadeis. Anschließend führten uns Magdalena und Dominik ein kurzes Theaterstück vor, um zu zeigen, wie eine Foodcoop zustande kommt und um was es sich dabei eigentlich handelt. Eine Foodcoop ist eine Lebensmitteleinkaufsgemeinschaft. Die Infobroschüre vom Bioparadeis beschreibt den Grundgedanken einer Foodcoop folgendermaßen: Personen legen ihre Einkäufe zusammen, die benötigten Lebensmittel werden in größeren Mengen und zu günstigeren Konditionen direkt von den ProduzentInnen bezogen. Eine Foodcoop soll eine Alternative zur gängigen Lebensmittelproduktion und dem damit verbundenen Handelssystem darstellen. Wert wird gelegt auf: Mitbestimmung, Eigenverantwortung, biologische und saisonale Produkte, kurze Transportwege, faire Preise für ErzeugerInnen und VerbraucherInnen, Erhalt der kleinstrukturierten Landwirtschaft, Vermeidung unnötiger Verpackung und die Aufhebung der Anonymität zwischen ErzeugerInnen und VerbraucherInnen. Eine Foodcoop kann als Verein organisiert werden, in dem jedeR mitwirken kann. Fixkosten werden durch Mitgliedsbeiträge gedeckt, die Lebensmittel werden ohne Aufschlag weitergegeben. Die Produkte reichen von Gemüse, Getreide, selbstgebackenem Brot hin zu Milchprodukten, Ölen, Säften, Wein, Sojaprodukten, Eingemachtem, Tee und Kaffee. Anschließend folgten einige Aufstellungsspiele und Statuentheater, bei denen wir selbst darstellten, wie viele Bio-Produkte wir kaufen, wo wir einkaufen (Supermarkt, Markt,...) und welche Alternativen es gibt. Neben Foodcoops wurden hier viele weitere Möglichkeiten wie z.B. CSA (community supported agriculture), Dumpstern und das Biokistl genannt und gemeinsam erklärt. Beim Statuentheater stellten wir die Unterschiede in den Hierarchien zwischen Supermarkt und Foodcoop dar. Nach dieser ersten sehr interaktiven und vieles erklärenden Stunde folgte eine Fragerunde. Die vielen trotzdem noch angefallenen Fragen wurden notiert und gemeinsam erarbeitet. Besprochen wurden Entstehung, Geschichte, Gruppenfindung, Organisation und vieles mehr, was zu einer Foodcoop gehört. Wir bekamen eine Foodcoop Gründungs-Checkliste und Informationsmaterial von den bereits bestehenden Einkaufsgemeinschaften. Der krönende Abschluss war eine spontane „Exkursion“ zu einer der Boku nahe gelegenen Foodcoop - das Bioparadeis, welches zufällig gerade geöffnet hatte. Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 61 Links, Literatur und mehr: Bioparadeis (Wien 1180) - http://www.bioparadeis.org Speis (Wien 1080) - http://www.speis.org Fresskorb (Wien 1140) - [email protected] Krautkopf (Graz) – http://www.krautkopf.at freies Obst für alle – www.mundraub.org Via Campesina – www.viacampesina.at Österreichische Bergbauern- und Bäuerinnen Vereinigung - Deutschland – agrar attac - http://www.community.attac.at/agrarattac.html FoodcoopHandbuch der http://foodcoops.de/ Interessensvertretung von Foodcoops in →Bücher Fair.Bio.Selbstbestimmt – das Handbuch zur Gründung einer Food-Coop, Hrsg. Sense.Lab e.V. Halbinseln gegen den Strom: anders leben und wirtschaften im Alltag von Frederike Habermann Selbstversorgungsbücher: http://www.packpapier-verlag.de →Zeitschrift „Wege für eine Bäuerliche Zukunft“ von Via Campesina →Dokumentationen „Unser täglich Brot“ von Nicolaus Geyrhalter „We feed the world” von Erwin Wagenhofer Filmtage zum Recht auf Nahrung – in Wien, Lenzing, Freistadt und Innsbruck www.hungermachtprofit.at Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 62 4 Workshop: Ernährungsautonomie auf Hofkollektiven Workshopleiterinnen: Elke Müllegger und Mira Palmisano, Mitglieder des Kollektivs Wieserhoisl. Uhrzeit: 16:00 bis 18:00 Teilnehmende: 20 Zusammenfassung verfasst von Katharina Hagenhofer Der Workshop „Ernährungsautonomie auf Hofkollektiven“ wurde von Elke Müllegger und Mira Palmisano gestaltet, die dem Kollektiv Wieserhoisl angehören. Im ersten Teil des Workshops wurden anhand einiger Fragen die verschiedenen Zugänge der TeilnehmerInnen zu den Themen Landwirtschaft, Ernährungsautonomie und Kollektive ergründet und teils diskutiert. Dabei wurden wichtige Begriffe und Thematiken für die im zweiten Teil geplante Diskussion gesammelt. Nach einer weiteren Fragerunde ergab sich anstatt einer angedachten allgemeinen Diskussion über Ernährungsautonomie und Hofkollektive eine eher detailliertere Auseinandersetzung mit dem konkreten Beispiel des Kollektivs Wieserhoisl. Wieserhoisl Die Wieserhoisls sind eine Gruppe von derzeit 9 Erwachsenen (+ 2 Kinder), die seit 2006/07 mit dem gemeinsamen Hintergrund eines BOKU-Studiums bzw. Tüwi-Engagements einen Hof bei Deutschlandsberg, Steiermark pachten und gemeinsam bewirtschaften und bewohnen. In den nächsten Jahren soll durch Fundraising und Gründung eines Dachverbandes für HofkollektivProjekte der Kauf des Hofes ermöglicht werden. Wichtige Grundprinzipien sind dabei die nichtkommerzielle Landwirtschaft, Solidarische Ökonomie, Einbindung in soziale Netzwerke und Kooperation und Austausch mit anderen Kollektiven. Es gibt viele Kunst- und Kulturprojekte, wie z.B. eine Theatergruppe, Clownerie und Jonglieren, Sommerkino etc.; ein besonderer Schwerpunkt in den letzten Jahren war die Vermehrung und der Tausch von Saatgut. Das Kollektiv betreibt biologische Landwirtschaft auf einer Fläche von 12ha, wobei auf eine BioZertifizierung sowie Direktzahlungen bewusst verzichtet wird. Zusätzlich gehen einige Mitglieder diversen Lohnarbeiten nach. In der Diskussion mit den Workshop-TeilnehmerInnen wurden besonders die folgenden Herausforderungen und Konfliktfelder besprochen: Hofübernahme: einerseits gibt es viele junge Menschen, die neue Projekte starten wollen und keinen Zugang zu Höfen haben, während andererseits die ältere Generation im ländlichen Raum oft dringend NachfolgerInnen bräuchte; die Übernahme ist für beide Seiten ein schwieriger Prozess. Bedürfnis nach Gemeinschaft vs. Individualität: inwieweit kann mensch sich vorstellen, in einem Kollektiv zu wohnen, wo sind die Grenzen zwischen persönlichen Freiräumen und gemeinsam getroffenen Entscheidungen – Wichtigkeit des Achtens auf eigene Bedürfnisse. Verantwortungsaufteilung und Entscheidungsfindung in der Gruppe: wie lassen sich Verantwortungsbereiche sinnvoll aufteilen, inwieweit sind Konsensentscheidungen notwendig… Gelebte Kritik an der kapitalistischen Logik: Wie kann Solidarökonomie funktionieren, welche Gedankenmuster und Prägungen stehen ihr im Weg… Ernährungsautonomie: Autarkie oder Eingebundensein in lokale Netzwerke, Austausch und Kooperation mit der Umgebung Organisationen und Möglichkeiten, um Menschen beim Bilden neuer Hofkollektive zu unterstützen. 63 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität Links https://we.riseup.net/hoko http://www.reclaimthefields.org/ http://www.solarwarmduscherinnen.de/ Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 64 5 Workshop: Pflanz dir deine Stadt! Guerilla Gardening als Strategie zur städtischen Ernährungssouveränität WorkshopleiterInnen: Linnea Richter und Roland Teufl Uhrzeit: 16-18 Uhr Teilnehmende: 18 Zusammenfassung verfasst von Henrike Thalenhorst und Daniel Lehner Als Guerillagärtnerei bzw. Guerilla Gardening wurde ursprünglich die heimliche Aussaat von Pflanzen als subtiles Mittel politischen Protests und zivilen Ungehorsams im öffentlichen Raum bezeichnet, vorrangig in Großstädten oder auf öffentlichen Grünflächen. Mittlerweile hat sich Guerilla Gardening zum urbanen Gärtnern oder zu urbaner Landwirtschaft weiterentwickelt und verbindet mit dem Protest den Nutzen einer Ernte beziehungsweise einer Verschönerung trister Innenstädte durch Begrünung brachliegender Flächen. (vgl. Wikipedia) An dem im Garten des Tüwi abgehaltenen Workshop wurden 18 Teilnehmer als Höchstzahl gezählt. Von den Vortragenden wurde berichtet, dass die Szene seit 3 Jahren in Wien aktiv ist. Im Bereich U4/U6 Längenfeldgasse (Karlsplatz) wird seit einem Jahr gegärtnert. Die Ursprünge der Idee sind in New York u.a. durch Platzmangel entstanden und entwickelten sich vom begrenzten Zugang zum öffentlichen Zugang ohne Hierarchie, das heißt dass jeder sich einbringen, teilnehmen und die Produkte auch nutzen kann. Verschiedene Ausprägungen des Guerilla Gardening wie Gemüsebau, Begrünung, auch Verschönerung sind möglich. Probleme ergeben sich in erster Linie durch benötigte, aber nicht vorhandene Utensilien, aber auch durch Sabotage. Vorkenntnisse sind nicht notwendig. Samen, Humus etc. werden oft von Firmen gespendet. Informationen für die Öffentlichkeit werden teilweise vor Ort dargebracht. Die Aktivitäten finden größtenteils auf öffentlichem Grund statt, aber auch auf privatem Gelände. Die Akzeptanz dafür ist meist vorhanden, da es sich oft Brachflächen handelt. Eine Ausdehnung der Tätigkeiten in Wien ist bei vorhandenen Flächen geplant, da der Standort auch geeignet sein muss, d.h. nicht an stark befahrenen Verkehrsflächen. Es ist jedoch auch möglich, durch Gefäße wie PETFlaschen oder auf Paletten gebaute Pflanzen zu ziehen. Pro Woche gibt es meistens einen Gemeinschaftstag. Insgesamt werden neben Praktischen Erfahrungen auch soziale Komponenten eingebracht. Informationen dazu gibt es bei verschiedenen Blogs im Internet wie ggardening.blogsport.eu oder www.gruenewelle.org. Probleme entstehen auch dadurch dass Biomüll teilweise thermisch verwertet wird und der Kompost somit nicht verfügbar ist. Im Winter gibt es hier keine Aktivitäten, jedoch in anderen Klimazonen (San Francisco). An der BOKU wurden z.B. im Rahmen der „Langen Nacht der Anarchie“ im Bereich des Tüwi Beete angelegt. Aktivitäten: Kennenlern-Spiele, Einführung ins Thema Brainstorming, Fragen und Ideen zum Thema Seed-Balls formen, Fotos ansehen Plakate erstellen (Fragen, Anregungen) Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 65 Links und Literatur: ggardening.blogsport.eu www.gruenewelle.org Reynolds, Richard (2009): Guerilla Gardening. Ein botanisches Manifest. orange press Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 66 6 Podiumsdiskussion: Ernährungssouveränität: Strategien und Perspektiven – Welche Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik brauchen wir? Uhrzeit: 19:00 - 22:00 Teilnehmende ca. 100 Personen Zusammenfassung verfasst von Moritz Maurer Es diskutierten am Podium unter der Moderation von Franziskus Forster (agrarattac): Irmi Salzer, Referentin für Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der österreichischen Berg- und Kleinbäuer*innenvereinigung (ÖBV Via Campesina Austria),aktiv bei der Vorbereitung des Nyeleni Forums, Klein- und Biobäuerin im Burgenland. Katrin Hirte, arbeitet in Linz am Institut für Gesamtanalyse der Wirtschaft, Fragen zur Wissenschaftskritik, schreibt an einer Arbeit zur Lehre von Agrarpolitik an deutschen Agrarhochschulen. Ulli Brand: Politikwissenschaftler an der Universität Wien. Beschäftigt sich mit Fragen im Zusammenhang mit der sozialökologischen und politischen Krise. Die Podiumsdiskussion entfaltete sich als überaus informativ und interessant. Nach einigen Eingangsrunden wurde die Diskussion ins Publikum eröffnet. Es folgte ein sachlicher aber durchaus anregender Diskurs zwischen den Anwesenden und dem Podium. Die umfangreiche Diskussion auf zwei Seiten zusammenzufassen ist kaum möglich, daher folgt eine Auswahl wichtiger Aussagen. Hier kannst du dir die Diskussion ansehen: http://www.boku.ac.at/multimedia/2011SS/Ernaehrungssouveraenitaet/Podiumsdiskussion.h tml. Irmi Salzer: Die Lebensmittel(preis)-krise kam 2008 erstmals durch „food riots“ zu medialer Aufmerksamkeit. Heute erleben wir wieder eine Phase mit über einer Milliarde Hungerleidenden. Der Peak Soil (der Verbrauch fruchtbarer Böden) ist bedrohlicher als Peak Oil. Die ökologische Krise ist vielen bekannt und wird akzeptiert; weniger bekannt und akzeptiert wird, dass wir uns genauso in einer sozialen Krise befinden. Der ländliche Raum verliert an Bedeutung. Gleichzeitig nehmen Zivilisationskrankheiten zu. Die vorherrschende Meinung ist, dass nur eine technokratische Entwicklung den Hunger in der Welt bekämpfen könnte. Katrin Hirte: Alle Professoren für Agrarpolitik und Agrarsoziologie in Deutschland sind Ökonomen. Agrarökonomen fordern konsequent seit 1945 ein Weichen der Kleinbauern um des Wachstums willen. Der Großteil der seit 30 Jahren in Agrarwissenschaften Ausgebildeten, lernten Agrarpolitik und Agrarsoziologe von Ökonomen und die meisten von ihnen werden in Verwaltungspositionen tätig. Ulli Brand: Wir befinden uns in einer multiplen Krise. Es ist eine Krise des „fossilistischen“ Kapitalismus und der Neoliberalisierung unserer Gesellschaft, das Dogma ist: der Markt hat die besseren Antworten. Die ökologische Krise politisiert seit 30 Jahren, die Finanzmarktkrise erst seit Kurzem. Die Multiple Krise wird jetzt in manchen Bereichen bearbeitet, in anderen verschärft sie sich zusehends. 67 Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität Traditionelle Agrarunternehmen, aber auch Banken etc. suchen nach neuen profitablen Investitionsmöglichkeiten und finden sie in der Landwirtschaft. Eine Antwort auf die Krise scheint die Ökologisierung des Kapitalismus zu sein. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass ein ökologischer Kapitalismus einige Wohlstandsinseln in der Welt schafft, andere Regionen aber ausschließt. Kapitalismus verträgt sich nicht mit Demokratie: er widerspricht der Möglichkeit, dass Menschen selbst ihre Lebenswelt gestalten können. Katrin Hirte: Wir haben keine souveränen Lebensmittelproduzenten am Markt. Es gibt keinen Markt ohne Regeln und die Regeln werden von einer kleinen Elite diktiert. Mit dem Verschwinden von kleinbäuerlicher Landwirtschaft geht ein verbreitetes nicht formalisiertes Wissen verloren, das nur unter großen Anstrengungen wieder erzeugt werden kann. Ulli Brand: Kapitalismus forciert Uniformierung, nicht Vielfalt der Möglichkeiten. Die Anpassung der Lehrpläne an ökologische Anforderungen etc. ist hochgradig politisch. Irmi Salzer: Auch in Europa ist Ernährungssouveränität ein notwendiges Konzept. Auch politische Arbeit ist Teil der Ernährungssouveränität. Es wird schon an vielen Baustellen an Ernährungssouveränität gearbeitet. Ernährungssouveränität bezieht sich auf Gruppen und nicht auf Einzelpersonen. Sie hat nichts mit autonomen Entscheidungen von Einzelpersonen und deren Autonomie zu tun. Ulli Brand: Man muss permanent Alternativen in parlamentarische Prozesse einbringen. Wir sollten nicht unterschätzen, dass auch in den Institutionen etwas verändert werden soll. Wie kann man in der Stadt leben, ohne imperiale Lebensmodelle zu reproduzieren? Links: Institut für Gesamtanalyse der Wirtschaft: http://www.icae.at/wp/ ÖBV, via campesina austria: http://www.viacampesina.at/cms/index.php Institut für Politikwissenschaften,- Department für internationale http://www.univie.ac.at/intpol/ Agrarattac: http://community.attac.at/agrarattac.html Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität Politik: 68 Nyéléni-Forum: Im Februar 2007 fand in Mali das erste weltweite Forum zu Ernährungssouveränität statt, bei dem sich 500 Delegierte aus aller Welt trafen und eine Änderung des bestehenden Agrar- und Ernährungssystems diskutierten. Nyéléni war eine Frau, die in Mali als Vorkämpferin für Ernährungssouveränität und die Rechte der Frauen Geschichte geschrieben hat. Seit Nyéléni 2007 gibt es Bestrebungen, ein europäisches Forum für Ernährungssouveränität zu veranstalten, um auch hier die Idee der Ernährungssouveränität weiter zu verbreiten. Ernährungssouveränität ist das Recht der Bevölkerung, ihre Ernährung und Landwirtschaft selbst zu bestimmen und stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, verteilen und konsumieren ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht die Interessen der Märkte und transnationalen Konzerne. Ernährungssouveränität bedeutet auch, dass jedes Land bzw. jede Staatenunion seine Agrar- und Ernährungspolitik selbst bestimmen darf, ohne dabei andere Regionen zu schädigen. Das Forum soll dazu dienen, die Bewegung für Ernährungssouveränität zu stärken und zu verbreitern ein gemeinsames Verständnis dafür aufzubauen, was Ernährungssouveränität in Europa heißen kann Herausforderungen und Hindernisse in Europa zu identifizieren Ernährungssouveränität durch die Entwicklung gemeinsamer Strategien zu einer Realität in Europa zu machen. Vom 16. Bis zum 21. August 2011 wird das erste europäische Forum für Ernährungssouveränität „Nyeleni Europe“ in Österreich stattfinden! Das Forum soll etwa 800 Menschen in Krems versammeln und einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einer starken Bewegung für Ernährungssouveränität in Europa darstellen. Es ist an der Zeit, dass sich die unzähligen Menschen miteinander versetzen, die sich für ein anderes Landwirtschafts- und Ernährungssystem in Europa und weltweit einsetzen. Nähere Infos unter: Kontakt: [email protected] Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 69 Literatur, Links, Kontakte –...zum weiterlesen, vertiefen und aktiv werden! … Liste aus der Broschüre „Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität“, zu bestellen bei AgrarAttac: [email protected] und/oder online abrufbar unter http://www.viacampesina.at/cms/images/stories/Aktuelles/die_zeit_ist_reif_fr_ernhru ngssouvernitt.pdf Ernährungssouveränität, globale Landwirtschaft Dokumentation des Weltagrarberichts (IAASTD): www.weltagrarbericht.de Welternährung und globale Landwirtschaft: http://www.agrardebatte.de/ Food Movements Unite! http://www.foodmovementsunite.org/ Uwe Hoering: Reportagen und Analysen: http://www.globe-spotting.de/ Foodfirst Institute: http://www.foodfirst.org/ Transnational Institute – Agrarian Justice: http://www.tni.org/workarea/agrarian-justice Raj Patel, Blog und Homepage des Aktivisten und Forschers: www.rajpatel.org Landwirtschaft in Österreich: www.bauernkonflikte.at Pan-African Voices for Freedom and Justice: http://www.pambazuka.org Food Crisis and the global land grab: www.farmlandgrab.org GRAIN: http://www.grain.org/front/ Climate Justice Now! - http://www.climate-justice-now.org/ Supermärkte: http://www.supermarktmacht.de/ Supermarktaktionstag Österreich: http://supermarktaktionstag.blogspot.com/ Leben in Gemeinschaft: http://austrotopia.mixxt.at/ Kritischer Agrarbericht: http://www.kritischer-agrarbericht.de ETC Group: Who will feed us? Questions for the Food and Climate Crises http://www.etcgroup.org/en/node/4921 Story of Stuff (Kurzvideo): http://www.storyofstuff.com/international/ Recht auf Stadt: www.rechtaufstadt.org und http://www.rechtaufstadt.net/ Frauenarbeitskreis ÖBV-Vía Campesina und Video „Klappe auf“: http://www.viacampesina.at/cms/aktuelles/gleiche-rechte-am-bauernhof.html La Vía Campesina’s Globale Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen: http://www.viacampesina.org/en/index.php?option=com_content&view=catego ry&layout=blog&id=20&Itemid=39 Broschüre "Peripherie & Plastikmeer. Globale Landwirtschaft - Migration Widerstand" : http://no-racism.net/article/2548 Dokumentarfilm „…denn wir leben von der gleichen Luft“: DVD, 45 min. OmU: deutsch/französisch – Deutschland 2011. Produktion: Andrea Plöger/Sabine Weber, www.timecode-ev.org Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 70 Bewegungen, Initiativen und Organisationen Erstes globales Forum für Ernährungssouveränität: www.nyeleni.org Europäisches Forum für Ernährungssouveränität: http://www.nyelenieurope.net La Vía Campesina: http://viacampesina.org und ÖBV-Vía Campesina Austria: www.viacampesina.at AgrarAttac: http://community.attac.at/agrarattac.html FIAN: www.fian.at European Food Declaration: http://www.europeanfooddeclaration.org/declaration/de Reclaim the Fields: www.reclaimthefields.org Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung: www.afriqueeurope-interact.net Urban Gardening und Guerilla Gardening Wien: http://ggardening.blogsport.eu Österreichisches Netzwerk von Gemeinschafts-, Nachbarschafts- und interkulturellen Gärten: www.gartenpolylog.org Selbsterntefelder Österreich: www.selbst-ernte.at und Mundraub: www.mundraub.org Interaktive Karte der solidarischen Ökonomie: http://vivirbien.mediavirus.org Kostnix-Läden in Österreich: http://www.umsonstladen.at Transition Austria: http://transitionaustria.ning.com/ Solidarische Ökonomie: http://www.solidarische-oekonomie.at/ Alternativenforen: www.alternativenforen.at Initiative in Deutschland: http://www.meine-landwirtschaft.de/ Agrarpolitisches Sommerspektakel: http://sommerspektakel.posterous.com Bericht über die Hofkollektiv-Reise - Kontakt: [email protected] Weltweites Netzwerk für Solidarische Landwirtschaft: http://www.urgenci.net Food-Coop-Wikipedia: http://coops.bombina.net/wiki/Hauptseite Karte Food-Coops in Deutschland und Österreich: http://maps.yourgmap.com/v/m_l3_Foodcoops.html Der Food-Coop-Gründungsleitfaden: http://food-coop-einstieg.de/ D’Speis (1080 Wien): http://www.speis.org und Bioparadeis (1180 Wien): http://www.bioparadeis.org/ Gemüsewerkstatt in Graz: http://gemuesewerkstatt.at/ NETs Steyr: http://netswerk.at/ Marktplatz St. Andrä-Wördern: http://www.marktplatz-staw.at/ Krautkoopf in Graz: http://foodkoop.spektral.at/doku.php Selbstversorger-Gemeinschaft in Schwaz (Tirol): http://www.autarkwerden.at/7.0.html Bücher: Brand, Ulrich et al. (2007): ABC der Alternativen. Von „Ästhetik des Widerstands“ bis „Ziviler Ungehorsam“. VSA Verlag Bové, José; Dufour, Francois (2001): Die Welt ist keine Ware. Bauern gegen Agromultis. Rotpunktverlag Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 71 Choplin, Gérard / Strickner, Alexandra / Trouvé, Aurélie (2011): Ernährungssouveränität. Für eine andere Agrar- und Lebensmittelpolitik in Europa. Mandelbaum Verlag. Demarais, Annette Aurélie (2007): La Vía Campesina. Globalization and the Power of Peasants. Fernwood Publishing Demirovic, Alex et al. (2011): VielfachKrise. Im finanzmarktdominierten Kapitalismus. VSA Verlag Depelchin, Jacques (2008): Hungry for a voice: The food crisis, the market, and socio-economic inequality http://www.pambazuka.org/en/category/comment/52480 Hoering, Uwe (2007): Agrar-Kolonialismus in Afrika. Eine andere Landwirtschaft ist möglich! VSA Verlag Patel, Raj (2007): Stuffed and Starved. The Hidden Battle for the World Food System. Portobello Books Pimbert, Michel (2009): Towards Food Sovereignty: Reclaiming autonomous food systems - http://www.iied.org/natural-resources/key-issues/food-andagriculture/multimedia-publication-towards-food-sovereignty-re Bernstein, Henry (2010): Class Dynamics and Agrarian Change. Fernwood Publishing Wissen, Markus (2011): Gesellschaftliche Naturverhältnisse in der Internationalisierung des Staates. Konflikte um die Räumlichkeit staatlicher Politik und die Kontrolle natürlicher Ressourcen. Westfälisches Dampfboot Wittman, Hannah et al. (2011): Food Sovereignty. Reconnecting Food, Nature and Community. Fernwood Publishing. Links zu den Videoaufzeichnungen der Vorträge und der Podiumsdiskussion: Die Videoaufzeichnungen sind im Intranet der BOKU zu finden (leider nur mit BOKULogin möglich): https://www.boku.ac.at/index.php?id=18436 1. Vortrag, Haiger: http://www.boku.ac.at/multimedia/multimediaintern/2011SS/Ernaehrungssouveraenitaet/Vortrag1.html 2. Vortrag, Strickner: http://www.boku.ac.at/multimedia/multimediaintern/2011SS/Ernaehrungssouveraenitaet/Vortrag2.html 3. Vortrag, Hauser: http://www.boku.ac.at/multimedia/multimediaintern/2011SS/Ernaehrungssouveraenitaet/Vortrag3.html Podiumsdiskussion: http://www.boku.ac.at/multimedia/multimediaintern/2011SS/Ernaehrungssouveraenitaet/Podiumsdiskussion.html Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität 72