Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität

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Die Zeit ist reif für
Ernährungssouveränität
Reader zu den Aktionstagen an der Universität
für Bodenkultur Wien am 8. und 9. Juni 2011
Projektgruppe Ernährungssouveränität und Ökologische Landwirtschaft
Einführungstexte, Zusammenfassungen der Teilveranstaltungen, Links und Literatur
Inhaltsverzeichnis
5 Texte zur Ernährungssouveränität ........................................................................................ 1
Was ist Ernährungssouveränität? .............................................................................................. 2
1
Was ist Ernährungssouveränität? ................................................................................................ 4
2
Warum brauchen wir Ernährungssouveränität? ................................................................... 5
3
Ausblick .................................................................................................................................................. 8
Ernährungssouveränität und ökologische Landwirtschaft ............................................ 10
1
Einleitung ........................................................................................................................................... 12
2
Ernährungssouveränität – Schlüssel der Zukunft ? ........................................................... 12
3
Bioanbau in Österreich: ................................................................................................................ 13
4
Geschichte des Biolandbaus in Österreich: ........................................................................... 14
5 Wechselwirkungen zw. der Biologischen Landwirtschaft und
Ernährungssouveränität (ES).............................................................................................................. 14
6
Fazit: ..................................................................................................................................................... 15
7
Ausblick ............................................................................................................................................... 15
Ernährungssouveränität und Biodiversität ......................................................................... 17
1
Biodiversität ...................................................................................................................................... 19
2
Biodiversität und Landwirtschaft ............................................................................................. 20
3
Folgen von Pestiziden und Gentechnik ................................................................................... 21
4
Ernährungssouveränität und Diversität................................................................................. 23
Agrarwende ..................................................................................................................................... 26
1
Einleitung ........................................................................................................................................... 28
2
Agrarwende und betriebliche Strukturen in Österreich .................................................. 28
3
Hintergründe der politischen Agrarwende ........................................................................... 30
4
Ziele der Agrarwende .................................................................................................................... 31
5
BIO Lebensmittel ............................................................................................................................. 32
Konventionalisierung der Ökologischen Landwirtschaft und
Ernährungssouveränität ............................................................................................................. 36
1
Einleitung ........................................................................................................................................... 38
2
Dimensionen der Konventionalisierung ................................................................................ 39
3
Wissens- und Anbausysteme ...................................................................................................... 42
4
Konventionalisierung und Ernährungssouveränität ......................................................... 43
Zusammenfassungen der Veranstaltung „Die Zeit ist reif für
Ernährungssouveränität“ vom Mittwoch, 8. Juni 2011, BOKU Wien. .......................... 47
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
I
1 Vortrag: Ernährungssouveränität durch biologische Landbewirtschaftung (Prof.
Haiger).......................................................................................................................................................... 48
2
Vortrag: Ernährungssouveränität und die GAP (A. Strickner) ...................................... 50
3 Vortrag: Ernährungssouveränität und Biolandwirtschaft in Afrika. Ein
Widerspruch? (Dr. Hauser) .................................................................................................................. 52
4 Film & Diskussion: „Die Dinge könnten auch anders sein…“ – Lernprozesse in
Demokratie, Mitbestimmung und Zusammenleben für Ernährungssouveränität?
(Planquadrat) ............................................................................................................................................ 54
Zusammenfassungen der Veranstaltung „Die Zeit ist reif für
Ernährungssouveränität“ vom Donnerstag, 9. Juni 2011, BOKU Wien. ..................... 56
1
Workshop: Politisches Engagement für Ernährungssouveränität ............................... 57
2
Workshop: Saatgut und Ernährungssouveränität .............................................................. 59
3
Workshop: Wie gründe ich eine Foodcoop? ......................................................................... 61
4
Workshop: Ernährungsautonomie auf Hofkollektiven .................................................... 63
5 Workshop: Pflanz dir deine Stadt! Guerilla Gardening als Strategie zur städtischen
Ernährungssouveränität ....................................................................................................................... 65
6 Podiumsdiskussion: Ernährungssouveränität: Strategien und Perspektiven –
Welche Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik brauchen wir? ....................................... 67
Nyéléni-Forum: ............................................................................................................................... 69
Literatur, Links, Kontakte – ...zum weiterlesen, vertiefen und aktiv werden! ........ 70
Links zu den Videoaufzeichnungen der Vorträge und der Podiumsdiskussion…..72
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
II
5 Texte zur Ernährungssouveränität:
Die im ersten Teil folgenden fünf Texte sollen eine Einführung in das Konzept
Ernährungssouveränität bieten und wurden im Zuge der Lehrveranstaltung Projekt
Ökologische Landwirtschaft verfasst.
Mit der Erarbeitung dieser Texte haben sich die Mitglieder der Projektgruppe selbst mit
dem Begriff der Ernährungssouveränität auseinandergesetzt.
Die VerfasserInnen näherten sich dem Thema mit unterschiedlichen Vorstellungen von
diesem hoch kontroversen Konzept. Somit dokumentieren die Texte auch die
unterschiedlichen Einschätzungen der Perspektive, die Ernährungssouveränität bietet,
und die unterschiedlichen Einschätzungen der weiteren Entwicklung von
Ernährungssouveränität.
Nach diesen Einführungstexten (jeweils samt Literaturverzeichnis) folgen die
Zusammenfassungen der verschiedenen Teilveranstaltungen der Aktionstage zum
Thema „Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität“. Die Vorträge sowie die
Podiumsdiskussion sind auch als Filmaufnahme online verfügbar (siehe Links auf S. 72).
Wie die Einführungstexte wurden auch die Zusammenfassungen von den verschiedenen
Projektteammitgliedern verfasst und erheben damit keinen Anspruch auf
Vollständigkeit, Genauigkeit oder Richtigkeit der Inhalte. Zur weiteren Beschäftigung
mit den jeweiligen Themen stehen auch hier jeweils anschließend Links und
Literaturtipps zur Verfügung.
Danach wird kurz auf das im Sommer 2011 stattfindende Nyéléni-Forum eingegangen.
Zum Abschluss findet sich schließlich eine Listenübersicht mit Links, Literaturempfehlungen und Kontaktadressen rund um die Ernährungssouveränität.
Wir wünschen dir viel Freude beim Lesen und hoffen, dich für das Thema begeistern zu
können.
VerfasserInnen: Projektteam Ernährungssouveränität und Ökologische Landwirtschaft:
Katharina Hagenhofer, Isabella Hiebaum, Ulrike Jaklin, Valerie Jarolim, Daniel Lehner,
Moritz Maurer, Josef Maier, Magdalena Scheuch, Henrike Thalenhorst, Georg Thünauer
und Georg Weissenböck; mit Beiträgen von Franziskus Forster (AgrarAttac)
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
1
Universität für Bodenkultur, Wien
Was ist
Ernährungssouveränität?
Projekt Ökologische Landwirtschaft
Prof. Dr. Christian Vogl
Sommersemester 2011
Verfasst von:
Katharina Hagenhofer
Mat. Nr.: 0741282
Isabella Hiebaum
Mat. Nr.: 0611740
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
2
Inhaltsverzeichnis
1 .......................................................................................... Was ist Ernährungssouveränität?
................................................................................................................................................................. 4
1.1
La Via Campesina ............................................................................................................................................4
1.2
Nyéléni-Forum für die Ernährungssouveränität ...............................................................................4
2 ..................................................................Warum brauchen wir Ernährungssouveränität?
................................................................................................................................................................. 5
2.1
Ernährungssouveränität als Weg aus der globalen Hungerkrise ...............................................6
2.2
Sechs Prinzipien der Ernährungssouveränität laut Nyéléni .........................................................6
2.3
Forderungen von La Via Campesina für Ernährungssouveränität ............................................7
3 ............................................................................................................................................... Ausblick
................................................................................................................................................................. 8
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
3
1
Was ist Ernährungssouveränität?
Ernährungssouveränität ist das Recht der Völker, Nationen und Staaten-gemeinschaften, ihre
Ernährungs- und Agrarpolitik selbst zu bestimmen, und gleichzeitig die Verpflichtung, die
Landwirtschaft anderer Länder nicht zu beeinträchtigen.
Im Gegensatz zur Ernährungssicherheit, die das Recht auf ausreichende Versorgung mit Essen
beschreibt, spricht Ernährungssouveränität vom Recht auf gesunde und kulturell angepasste
Nahrung, die unter Achtung der Umwelt hergestellt ist. Alle Völker, Nationen und
Staatengemeinschaften müssen das Recht haben, über den Grad der Eigenversorgung mit
Nahrungsmitteln selbst zu bestimmen und eine eigenständige Agrar- und Ernährungspolitik zu
entwickeln. Neben natürlichen Bedingungen werden auch kulturelle und produktionstechnische
Besonderheiten berücksichtigt und so die Ressourcen geschont und langfristig erhalten.
Das Konzept der Ernährungssouveränität wurde von La Via Campesina beim FAO (Food and
Agriculture Organisation) -Gipfel von 1996 in Reaktion auf das WTO-Abkommen von 1994
begründet. Im Februar 2007 wurde der Rahmen des Konzepts durch das internationale Forum
„Nyéléni“ in Mali erweitert.
In den folgenden Kapiteln werden die Organisation La Via Campesina und die Bewegung des
internationalen Nyéléni-Forums näher erläutert (vgl. Engel 2002, 1-3 sowie Choplin 2011, 98).
1.1
La Via Campesina
La Via Campesina ist ein weltweiter Zusammenschluss von Kleinbauern und –bäuerinnen und
LandarbeiterInnenorganisationen, die aufgrund der Globalisierung um ihre Existenz kämpfen.
Die Organisation wurde 1993 in Belgien gegründet. Sie setzt sich für bessere Arbeits- und
Lebensbedingungen der Kleinbauern und –bäuerinnen, sowie für faire Handelsbedingungen,
soziale Gerechtigkeit und für eine nachhaltige Wirtschaftsweise weltweit ein. Ihr oberstes Ziel
ist, die Ernährungssouveränität umzusetzen und gleichzeitig die Neoliberalisierung zu stoppen.
Auch die Beachtung der Frauenrechte und Geschlechtergleichheit in allen Bereichen ist eines der
obersten Anliegen von La Via Campesina.
Beim Welternährungsgipfel 1996 machte La Via Campesina auf ihre Forderungen nach
Berücksichtigung und Umsetzung von Ernährungssouveränität aufmerksam. Mittlerweile
werden die gleichen Ziele von einer wachsenden Zahl von Bauern- und
Bäuerinnenvereinigungen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) unterstützt (vgl. Engel
2002, 1). Überregionale und nationale Sub-Organisationen sind z.B. die Europäische
Koordination Via Campesina, die Bauern-/Bäuerinnen- und LandarbeiterInnenorganisationen
aus 15 europäischen Ländern vereinigt, und die ÖBV (Österreichische Bergbauern und –
Bäuerinnen Vereinigung) - Via Campesina Austria.
1.2
Nyéléni-Forum für die Ernährungssouveränität
Beim ersten Forum für die Ernährungssouveränität im eigens dafür errichteten Dorf Nyéléni in
Mali kamen im Februar 2007 über 500 Delegierte aus ca. 80 Ländern zusammen, um eine
Änderung des bestehenden Agrar- und Ernährungssystems zu diskutieren und die weltweite
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
4
Bewegung für Ernährungssouveränität zu stärken. Bei den Delegierten handelte es sich um
VertreterInnen von Organisationen von Bauern und Bäuerinnen, traditionellen Fischern,
indigenen
Völkern,
Landlosen,
LandarbeiterInnen,
MigrantInnen,
Hirtenvölkern,
StadtbewohnerInnen, Konsument-Innen, Umweltbewegungen und so weiter. In der Erklärung
von Nyéléni stellen sie Forderungen für die Ernährungssouveränität und gegen eine
Weiterführung der derzeitigen Agrar- und Ernährungspolitik.
Im August 2011 wird in Krems, Österreich, das erste Europäische Nyéléni-Forum stattfinden, um
auch in Europa das Konzept der Ernährungssouveränität und die dazugehörige Bewegung
voranzutreiben (vgl. Nyéléni-Bericht 2007).
2
Warum brauchen wir Ernährungssouveränität?
Die steigende Zahl der Weltbevölkerung lässt in Zukunft eine Verknappung auf den globalen
Lebensmittelmärkten vermuten. Auch eine zunehmende Konzentration des Marktes bei einigen
wenigen Unternehmen und das rapide Wachstum von global agierenden Einzelhandelsketten
sind für die Zukunft vorhersehbar. Gleichzeitig nimmt der Biomassezuwachs ab und die
natürlichen Ressourcen werden weniger.
Kleinbäuerliche ProduzentInnen in nicht industrialisierten Ländern sind aufgrund der
veränderten globalen Handelsströme bereits geschwächt. Sie werden künftig durch
unzureichende Marktzugänge und eine schlechtere Verhandlungsposition den neuen
Anforderungen des Lebensmittelmarktes nicht entsprechen können.
Werden die landwirtschaftlichen marktorientieren Produktionssysteme weitergeführt wie
bisher, wird es im laut Weltagrarbericht im Jahr 2050 auf der Welt 80 Millionen stark
unterernährte Kinder geben, die meisten davon in Südasien und der Region SSA (SubsaharaAfrika). Exporte landwirtschaftlicher Erzeugnisse dieser Region werden aufgrund von
landwirtschaftlicher Subvention der Industrieländer verhindert und verzerren die dortigen
Binnenmärkte.
Auch Handelsbarrieren, innenpolitische marktverzerrende Maßnahmen und internationale
Protokolle oder Beschränkungen in vielen Regionen vergrößern das Problem der
Ernährungssicherheit in Zukunft (vgl. Albert/Engel 2009, 83).
Auch in Industriestaaten wie z.B. in vielen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind viele
Kleinbauern und -bäuerinnen zunehmend von der immer stärkeren Machtkonzentration bei der
Lebensmittelindustrie und von politischen Maßnahmen zur Förderung „wettbewerbsfähiger“
größerer Betriebe betroffen. Mit den kleinbäuerlichen Strukturen schwindet teils auch das
Wissen und Potential für ein ökologisch, sozial und kulturell angepasstes, nachhaltiges
Wirtschaften. Besonders in der EU hat sich mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) die
Situation der kleinbäuerlichen Landwirtschaft kontinuierlich verschlechtert (vgl. Choplin et al.
2011).
In den folgenden Kapiteln wird näher auf die Rolle der Ernährungssouveränität sowie ihre
Prinzipien und Forderungen eingegangen.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
5
2.1
Ernährungssouveränität als Weg aus der globalen Hungerkrise
Der Weltagrarbericht (verfasst von über 500 WissenschaftlerInnen im Auftrag der Vereinten
Nationen und der Weltbank) besagt, dass die kleinbäuerlichen Strukturen, vor allem in Asien,
Afrika und Lateinamerika die wichtigsten Garanten und die größte Hoffnung einer sozial,
wirtschaftlich und ökologisch nachhaltigen Lebensmittelversorgung sind. So könnten neun
Milliarden Menschen versorgt werden und die Grundlage für widerstandsfähige Anbau- und
Verteilungssysteme geschaffen werden (Weltagrarbericht 2009, 1-2).
Wenn Kleinbauern und –bäuerinnen über genügend notwendige Mittel wie Land, Wasser,
Handwerkszeug etc. verfügen, produzieren sie einen deutlich höheren Nährwert pro Hektar als
die industrielle Landwirtschaft, mit niedrigerem externem Input und geringeren
Umweltschäden. Deshalb gilt die Investition in kleinbäuerliche Produktion als das
vielversprechendste und sicherste Mittel, um Hunger zu bekämpfen und negative Auswirkungen
der Landwirtschaft auf die Umwelt zu minimieren. Dabei wird sichergestellt, dass die
produzierten Lebensmittel dort zur Verfügung stehen, wo sie gebraucht werden.
Die Voraussetzung dafür ist eine minimale Rechtssicherheit, angemessene Einkünfte und eine
angepasste Infrastruktur. Lager- und Transportmöglichkeiten müssen vorhanden sein und der
Zugang zu lokalen Märkten muss möglich sein, um die Produkte verkaufen zu können.
Nur wenn Produkte zu einem den Produktionskosten entsprechenden Preis verkauft werden
können, werden Bauern und Bäuerinnen mehr produzieren, als die Familie verbraucht, und
somit auch die Mitmenschen ernähren (vgl. Weltagrarbericht 2009, 13-15).
2.2
Sechs Prinzipien der Ernährungssouveränität laut Nyéléni
1. Vorrang für die Ernährung der Bevölkerung
Ernährungssouveränität ist das Recht auf eine ausreichende, gesunde, kulturell adäquate
Ernährung für alle Individuen, Völker und Gemeinschaften; dieses Recht steht im Mittelpunkt
der Ernährungs-, Landwirtschafts-, Viehzucht- und Fischerei-politik. Lebensmittel können
deshalb nicht als Ware wie jede andere betrachtet werden.
2. Wertschätzung der LebensmittelproduzentInnen
Ernährungssouveränität würdigt und respektiert die Praktiken und die Rechte von Bauern und
Bäuerinnen sowie HirtInnen, FischerInnen, WaldbewohnerInnen, Indigenen und
LandarbeiterInnen sowie MigrantInnen, die kultivieren, wachsen lassen, sammeln und
Lebensmittel herstellen. Sie weist politische und andere Maßnahmen und Aktionen zurück, die
die ProduzentInnen entwerten oder bedrohen.
3. Etablierung von lokalen Produktionssystemen
Ernährungssouveränität verringert die Distanz zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen
und ermächtigt sie im Entscheidungsprozess über Ernährungs-fragen. Sie schützt
ProduzentInnen vor Dumpingpreisen und KonsumentInnen vor ungesunder sowie
unangemessener Nahrung. Sie lehnt Praktiken ab, die nicht nachhaltig sind und die ungerechten
Handel fördern und übermächtige transnationale Konzerne begünstigen.
4. Stärkung der lokalen Kontrolle
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
6
Ernährungssouveränität legt die Verwaltung von Land, Boden, Weiden, Wasser, Saatgut, Tieren
und Fischfang in die Verantwortung der lokalen ProduzentInnen, die diese nach sozial und
ökologisch nachhaltigen Kriterien aufteilen und nutzen, wobei lokale Territorien nicht immer
mit geopolitischen Grenzen übereinstimmen müssen. Sie weist Privatisierung von natürlichen
Ressourcen deutlich zurück.
5. Aufbau von Wissen und Fertigkeiten
Ernährungssouveränität basiert auf dem Wissen und den Fertigkeiten von lokalen
ProduzentInnen und Organisationen und den von ihnen entwickelten Produktions-systemen
und lokalen Kulturen. Sie weist Technologien zurück, die die Produzent-Innen oder zukünftige
Generationen bedrohen.
6. Arbeit mit der Natur
Ernährungssouveränität nützt die natürlichen Ressourcen durch Produktions-methoden, die
agrarökologisch sind, wenig Inputs verbrauchen, diversifiziert sind, die Ökosysteme optimieren
und die Resilienz und Anpassungsfähigkeit an den Klima-wandel verbessern. Sie wehrt sich
gegen Praktiken, die Ökosysteme schädigen oder zerstören, viel Energie verbrauchen oder zum
Klimawandel beitragen.
Diese sechs Prinzipien basieren auf einer Zusammenfassung des Nyéléni-Berichts (vgl. Choplin
et al.: 2011, 104-107).
2.3
Forderungen von La Via Campesina für Ernährungssouveränität
Die Organisation La Via Campesina fordert unter anderem, dass die Produktion von gesunden
und qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln unter Berücksichtigung der naturräumlichen und
kulturellen Gegebenheiten bei der staatlichen Förderung Vorrang haben muss. Die Produktion
soll überwiegend für den Eigenbedarf bzw. für lokale oder nationale Märkte erfolgen.
Damit interne Unterstützungsmaßnahmen für die Grundnahrungsmittelproduktion (z.B. höhere
Preise) wirksam eingesetzt werden können, soll jedes Land die Möglichkeit haben,
Schutzmaßnahmen gegen den Import von Billigprodukten zu ergreifen. Weiters verlangt La Via
Campesina, dass Exportbeihilfen und interne Unterstützungsmaßnahmen, die den Export zu
Preisen unterhalb der Produktions-kosten ermöglichen, verboten werden (wie z.B. die
Förderungszahlungen an europäische Bauern und Bäuerinnen im Rahmen der GAP).
Zugang zu Land ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass das Menschenrecht, sich zu ernähren,
erfüllt werden kann. Deshalb ist es erforderlich, dass Bauern und Bäuerinnen den nötigen
Zugang zu Ressourcen haben, um Nahrungsmittel produzieren zu können. Zu diesen Ressourcen
zählen auch die genetischen Ressourcen. Bauern und Bäuerinnen haben das Recht, ihr Saatgut
aus ihren züchterischen Leistungen frei zu nutzen. Die Patentierung und Vermarktung
genetischer Ressourcen durch private Firmen muss laut Via Campesina verboten werden.
Die WTO (World Trade Organisation) mit dem Hauptziel, den freien Welthandel durchzusetzen,
soll nicht Bereiche wie Nahrungsmittelproduktion, Gesundheit oder Umwelt kontrollieren
können.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
7
Demokratische Strukturen zur Regelung
Nahrungsmittelhandels sind notwendig.
der
Nahrungsmittelproduktion
und
des
Eine „World Food Convention on Food Sovereignty and Trade in Food and Agriculture“ sollte die
bestehenden Regelungen zur Landwirtschaft innerhalb der WTO ersetzen. Menschenrechte
müssen in Handelsregeln berücksichtigt werden und andere internationale Regelwerke als
gleichwertig akzeptiert werden. Zum Prinzip der Gewaltenteilung sollte ein internationaler
Gerichtshof für Handelsfragen eingerichtet werden (vgl. Engel 2002, 3-5).
3
Ausblick
Die Landwirtschaft wird derzeit von den globalen Krisen (Wirtschafts- und Finanzkrise,
Umweltkrise,…) geschüttelt und die heutige Agrar- und Ernährungs-politik wird immer mehr
kritisiert.
Im Jahr 2013 wird in der EU mit den Beschlüssen für eine neue Gemeinsame Agrarpolitk (GAP)
der Prozess und die Richtung der europäischen Landwirtschafts-politik neu bestimmt und damit
auch die Agrarpolitik anderer Staaten und Staatengemeinschaften stark beeinflusst.
Immer mehr Organisationen (wie z.B. Attac, Via Campesina, Agrarbündnis etc.) engagieren sich
für Ernährungssouveränität im europäischen und im globalen Kontext und fordern somit auch
eine zukunftsfähige GAP. Seit 2009 setzen sich diese Organisationen für eine Richtungsänderung
in der europäischen Agrar- und Ernährungspolitik ein, mit dem Ziel einer ökologisch, sozial und
wirtschaftlich nachhaltigen Landwirtschaft, die die Bevölkerung mit gesunden, qualitativ
hochwertigen und kulturell adäquaten Lebensmitteln zu produzentengerechten Preisen
versorgt.
Diese Ziele sind auch in der europäischen Erklärung für Ernährung (European Food Declaration,
2009) verankert, die bisher von über 300 Organisationen in mehr als 30 europäischen Ländern
unterzeichnet wurde.
Auch das im August 2011 in Österreich stattfindende Europäische Nyéléni-Forum für die
Ernährungssouveränität ist Hoffnungsträger für diesen Prozess.
Mit dem wirtschaftlichen und politischen Gewicht der EU im globalen Kontext bietet die Option
für eine zukunftsfähige GAP eine historische Chance für die Wende zu einer nachhaltigen
Landwirtschaft und zur Ernährungssouveränität (vgl. Choplin et al. 2011, 118-127).
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
8
Literaturverzeichnis:
Albrecht, Stephan/ Engel, Albert (2009): Weltagrarbericht: Synthesebericht. Teil I: Aktuelle
Lage,
Herausforderungen
und
Handlungsoptionen.
http://hup.sub.unihamburg.de/opus/volltexte/2009/94/chapter/HamburgUP_IAASTD_Synthesebericht_Teil_I_La
ge_Herausforderungen_Handlungsoptionen.pdf, 28.04.2011.
Choplin, Gérard/ Strickner, Alexandra/ Trouvé, Aurélie (2011): Ernährungssouveränität: Für eine andere Agrar- und Lebensmittelpolitik in Europa. Wien:
Mandelbaum Verlag.
Engel, Astrid (2002): Ernährungssouveränität noch immer ein unbekannter Begriff? In:
Fünf Jahre später. Eine Bilanz von NRO fünf Jahre nach dem Welternährungsgipfel in
Rom, 10-15.
Erklärung
des
Forum
für
Ernährungssouveränität,
Nyéléni
(2007):
http://nyelenieurope.net/index.php?option=com_content&view=article&id=108%3Ade
claration-of-nyeleni&lang=de , 29.04.2011.
Europäische Erklärung für Ernährung (2009):
http://www.europeanfooddeclaration.org/declaration/de , 29.04.2011.
Zukunftsstiftung Landwirtschaft (2009): Wege aus der Hungerkrise. Die Erkenntnisse
des Weltagrarberichtes und seine Vorschläge für eine Landwirtschaft von morgen.
www.weltagrarbericht.de, 28.04.2011.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
9
Universität für Bodenkultur, Wien
Ernährungssouveränität
und ökologische Landwirtschaft
Projekt Ökologische Landwirtschaft
Prof. Dr. Christian Vogl
SS 2011
Verfasst von
Daniel Lehner
Mat. Nr.: 1040349
Henrike Christin Thalenhorst
Mat. Nr.: 1040801
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
10
Inhaltsverzeichnis
1 ............................................................................................................................................ Einleitung
.............................................................................................................................................................. 12
2 ............................................................. Ernährungssouveränität – Schlüssel der Zukunft ?
.............................................................................................................................................................. 12
3 ................................................................................................................. Bioanbau in Österreich:
.............................................................................................................................................................. 13
4 ............................................................................ Geschichte des Biolandbaus in Österreich:
.............................................................................................................................................................. 14
5 ............................ Wechselwirkungen zwischen der Biologischen Landwirtschaft und
Ernährungssouveränität (ES).................................................................................................... 14
6 ..................................................................................................................................................... Fazit:
.............................................................................................................................................................. 15
7 ............................................................................................................................................... Ausblick
.............................................................................................................................................................. 15
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
11
1
Einleitung
Die Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft ändern sich: Wirtschaftskrise, unsichere Märkte
und neue Spielregeln bestimmen die Arbeit der heutigen Bauern und Bäuerinnen. Mit den
gegenwärtigen Methoden der Landwirtschaft werden die Herausforderungen der Zukunft weltweites Bevölkerungswachstum, Klimaerwärmung, Ressourcenverknappung - nicht zu
bewältigen sein. Aufgrund der immer schneller werdenden Globalisierung wird die
Landwirtschaft, deren grundsätzliche Aufgabe es ist, die Ernährung der Weltbevölkerung
sicherzustellen mit neuen Problemen konfrontiert.
Nach neuesten Angaben der FAO fallen ein Drittel der Lebensmittel, wohlgemerkt in allen Teilen
der Welt, der Verschwendung zum Opfer. Mit Hilfe des noch relativ unbekannten Konzeptes der
Ernährungssouveränität, an deren Umsetzung sich unter anderem Organisationen wie Via
Campesina, Attac und andere maßgeblich beteiligen, soll solchen Phänomenen entgegen gewirkt
werden. Zu ihren wichtigsten Aufgaben gehören jedoch, die Effektivität hinsichtlich ihrer
ökologischen,
ökonomischen
und
sozialen
Nachhaltigkeit
der
verschiedenen
Produktionssysteme zu hinterfragen und den heutigen Zuständen anzupassen. In diesem
Zusammenhang gilt es herauszufinden, inwieweit der biologische Anbau von Lebensmitteln
tatsächlich zur Ernährungssouveränität beträgt.
2
Ernährungssouveränität – Schlüssel der Zukunft?
Das Konzept der Ernährungssouveränität gilt grundsätzlich für alle Länder - reiche und arme und definiert keine einheitliche politische Strategie, die als Patentrezept in verschiedenen
Ländern weltweit anwendbar wäre.
Gerade in Entwicklungsländern ist es wichtig, eine unabhängige und selbstständige
Landwirtschaft zur Versorgung der eigenen Bevölkerung zu etablieren, da hier das
Bevölkerungswachstum besonders stark steigt. Insgesamt wird die Weltbevölkerung pro Jahr
um bis zu 80 Millionen Menschen bis zum Jahr 2015 wachsen (siehe Abbildung 1). Hinzu kommt
die Problematik, dass insbesondere von den USA und der EU stark subventionierte
Lebensmittelexporte zu Dumpingpreisen die Lebensgrundlage vieler Kleinbauern und bäuerinnen, welche das Rückgrat der Landwirtschaft repräsentieren, zerstören.
(http://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/nachrichten/artikel/agrarexportsubventi
onen_bisher_ein_gut_gehuetetes_geheimnis/).
Abb. 1 (http://www.herbert-gruhl.de/assets/images/weltbevoelkerung.gif)
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
12
Die Ernährungssouveränität stellt ein großes Spannungsfeld zwischen ProduzentIn und
VerbraucherIn dar, was vor allem einerseits die Nahrungsmittelkrise zeigt, aber auch
andererseits an vielen „sterbenden“ Kleinbetrieben zu sehen ist. Es entsteht eine
Gratwanderung zwischen Preis, Qualität und Herkunft. Durch eine stets ansteigende Nachfrage
an biologischen Lebensmitteln aller Art, erfährt die Biobranche einen weltweiten Aufschwung,
besonders
auch
in
wirtschaftlich
aufsteigenden
Ländern
(http://www.welt.de/wirtschaft/article12518964/Deutsche-Haendler-importieren-BioProdukte-aus-China.html).
So müssen die Landwirte einerseits existenzwürdige und qualitätsangemessene Erlöse für ihre
Produkte erhalten und andererseits sollen Lebensmittel auch für Arme erschwinglich bleiben.
Angesichts der großen Anzahl an Faktoren und auch anderer Einflüsse ist es also offensichtlich,
dass Ernährungssouveränität in unserer Gesellschaft eine große Rolle spielt, wenn auch der
Begriff an sich den Wenigsten bekannt ist und ihr in Zukunft eine weitaus größere Bedeutung
eingeräumt werden muss.
3
Bioanbau in Österreich:
„Der ökologische Landbau ist eine Bewirtschaftungsform mit ganzheitlicher Betrachtung des
Betriebsorganismus und seiner Kreisläufe. Die nachhaltige Gesundheit und Fruchtbarkeit dieses
Organismus wird anders als in der konventionellen Landwirtschaft durch ein vielseitiges System
von sich gegenseitig ergänzenden und bedingenden umweltverträglichen Maßnahmen unter
Mithilfe der regulierenden Wirkung des Ökosystems sichergestellt. Auf den Einsatz von
chemisch-synthetischen Betriebsmitteln kann dabei verzichtet werden.
Da man vom Funktionieren des Ökosystems weitgehend abhängig ist, muss es auch so weit wie
möglich erhalten, gepflegt bzw. wieder aufgebaut werden. Diese Art der Bewirtschaftung
erfordert damit im besonderen Maß ein ganzheitliches Systemdenken: Bei jeder Maßnahme, die
durchgeführt wird, müssen der ganze Betrieb und die Erweiterungen für zukünftige
Entwicklungen im Auge behalten werden, vor allem deshalb, weil Bewirtschaftungsfehler
nachträglich nur mehr schwer oder gar nicht korrigiert werden können“
(Ökologischer Landbau 1993: 27).
Von besonderer Bedeutung im ökologischen Landbau ist ein geschlossener Stoffkreislauf, der
sich unter anderem durch folgende Aspekte auszeichnet:
-
Verzicht auf chemisch-synthetische Hilfsmittel (leichtlösliche Mineraldünger,
Pflanzenschutzmittel)
Erhaltung einer dauerhaften Bodenfruchtbarkeit durch eine ausgeglichene Humusbilanz
Schonung nicht erneuerbarer Ressourcen
Artgerechte Viehhaltung
Aufgelockerte, weite Fruchtfolgen
Leguminosenanbau
Schonende Bodenbearbeitung
(vgl. Lochner, Horst, Grundstufe Landwirt, 2007: 224)
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
13
4
Geschichte des Biolandbaus in Österreich:
Seit Beginn der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts existiert die biologische Landwirtschaft, deren
Entwicklung maßgeblich von Bäuerinnen und Bauern getragen wurde. So wurden
beispielsweise 1927 erste Pionierbetriebe in Kärnten datiert. „Im Gefolge der Technisierung
und Chemisierung in der Landwirtschaft der 50er und 60er Jahre kam es zu Gegenströmungen,
die nach mehr Ökologie und nach naturbelassener Nahrung verlangten. Auch die kleineren
Produktionseinheiten wurden wiederentdeckt“ (Agrarpolitik in Österreich 1991: 21).
Erst 35 Jahre später folgten verbandsartige Organisationen und es wurde mit Ausbildung und
Beratung begonnen. Seit dem Jahre 1994 erlebte der biologische Landbau seine stärkste
Entwicklung, die er größtenteils den stetig wachsenden Direktzahlungen verdankt. Mit dem
Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 1995 wurden die Bedingungen für die Umstellung auf
biologischen
Anbau
über
umfassende
Förderungen
weiter
verbessert
(http://www.landnet.at/article/articleview/17214/1/5045 ).
Weiters trug der Handel durch die Aufnahme von immer mehr biologischen Produkten in sein
Sortiment wesentlich zum Bio-Boom bei. Bis heute ist ein stetiger Zuwachs an Biobetrieben zu
beobachten (siehe Abbildung 2).
Abb.2
Quelle: BMLFUW
Österreich verfügt mit 382.949 Hektar ökologisch bewirtschafteter Anbaufläche nach
Liechtenstein (30%) über den weltweit höchsten Anteil (16%) an ökologisch bewirtschafteter
Anbaufläche (FIBL 2010: s.p.).
Durch diese Zahlen wird die Wichtigkeit des Biolandbaus in Österreich sehr gut veranschaulicht.
In Bezug auf Österreich lässt sich somit auch ein guter Ansatz in Verbindung mit
Ernährungssouveränität erkennen.
5
Wechselwirkungen zwischen der Biologischen Landwirtschaft und
Ernährungssouveränität (ES)
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
14
Positive Einflüsse auf die ES
- Regionalität (kurze Transportwege)
- nachhaltige Wirtschaftsweise
- Erhaltung kleinbäuerlicher Betriebe
- Selbstversorgung
- gentechnikfrei
Negative Einflüsse auf die ES
- geringerer Ertrag
- höherer Preis
- höherer Arbeitseinsatz
Bei Berücksichtigung dieser Punkte lässt sich sagen, dass biologische Landwirtschaft einen
wesentlichen Beitrag zur Ernährungssouveränität leisten kann, obwohl sie einige wenige
Nachteile mit sich bringt. Da das weltweite Hungerproblem vorwiegend die Bevölkerung des
ländlichen Raumes trifft, ist es zunehmend von Bedeutung, die Selbstversorgung in diesen
Gebieten auszubauen beziehungsweise wiederherzustellen. Dadurch ergibt sich ein positiver
Effekt in Richtung Regionalität, was wiederum mehr Nachhaltigkeit durch kürzere
Transportwege und den damit verbundenen Emissionen garantiert. Durch gezielte Förderung
von Kleinbetrieben, was erstmals in der Reform der GAP ab 2013 vorgesehen ist, könnten diese
Faktoren
eingehalten
werden
(http://ec.europa.eu/agriculture/cap-post-2013
/communication/index_de.htm).
Der Biolandbau bringt also Vielseitigkeit mit sich, fördert darüber hinaus die Biodiversität und
trägt damit dazu bei, die kleinbäuerlichen Strukturen zu fördern und auszubauen.
6
Fazit:
Die Nachfrage nach biologisch erzeugten Nahrungsmitteln geht vor allem vom städtischen
Bereich und von einkommensstarken Schichten aus und übersteigt das Angebot. Für viele
LandwirtInnen, die in der Nähe von Konsumzentren ansässig sind, ist diese Form der
Lebensmittelproduktion eine echte Chance, obwohl sie einen höheren Einsatz von
Arbeitskräften erfordert und geringere Erträge bringt. Das wird durch die höheren Preise
allerdings wieder ausgeglichen (vgl. Agrarpolitik in Österreich 1993: 21f).
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass der biologische Landbau weitgehend positive Einflüsse
auf die Ernährungssouveränität ausüben kann.
Es ist jedoch fraglich, ob hohe qualitative Standards der Lebensmittel, vor allem durch
Biolandbau, in Zukunft aufrecht zu erhalten und auch leistbar sind.
Durch Subvention dieser Betriebe wird eine Ausweitung von biologisch wirtschaftenden
Betrieben forciert, wodurch das Angebot an entsprechenden Gütern zunimmt.
7
Ausblick
Das langjährige Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage der Bioprodukte wird sich
zukünftig noch stärker an die Nachfrage angleichen und somit annähernd zu einer Sättigung des
Marktes führen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ernährungssouveränität
weltweit stark von den unterschiedlichen Anbauverfahren in der Landwirtschaft abhängig ist.
Besonders positiv beeinflusst wird sie jedoch vom biologischen Landbau, der aber das
Verteilungsgleichgewicht und in weiterer Folge das weltweite Hungerproblem allein nicht lösen
kann.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
15
Literaturverzeichnis:
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Agrarheute, 16.9.2010. http://www.agrarheute.com/biobetriebeeinkommen, 10.05.2011
BMLFUW - Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
(2008): Grüner Bericht 2008. Bericht über die Situation der österreichischen Land- und
Forstwirtschaft. Wien.
BMLFUW - Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
(2009): Grüner Bericht 2009. Bericht über die Situation der österreichischen Land- und
Forstwirtschaft. Wien.
Diercks, Rolf (1986): Alternativen im Landbau. Stuttgart: Ulmer.
http://www.greenpeace.de/themen/landwirtschaft/nachrichten/artikel/agrarexportsubventio
nen_bisher_ein_gut_gehuetetes_geheimnis/, 13.05.2011
Herrmann, Gerald/ Plakolm, Gerhard (1991): Ökologischer Landbau. Grundwissen für die
Praxis. Wien: Österreichischer Agrarverlag.
http://www.landnet.at/article/articleview/17214/1/5045, 12.05.2011
Lochner, Horst (2007): Grundstufe Landwirt - Fachtheorie. München: BLV.
Mannert, Josef (1991): Agrarpolitik in Österreich. Grundlagen – Leistungen – Zusammenhänge,
Wirtschaftsbetriebe der Hochschülerschaft an der Universität für Bodenkultur , Wien.
http://www.welt.de/wirtschaft/article12518964/Deutsche-Haendler-importieren-BioProdukte-aus-China.html, 15.05.2011
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
16
Universität für Bodenkultur, Wien
Ernährungssouveränität
und
Biodiversität
Projekt Ökologische Landwirtschaft
Prof. Dr. Christian Vogl
Sommersemester 2011
Verfasst von
Magdalena Scheuch
Mat. Nr.: 0846478
Georg Weissenböck
Mat. Nr.: 08023
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
17
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis ......................................................................................................................... 18
1 ...................................................................................................................................... Biodiversität
.............................................................................................................................................................. 19
2 .............................................................................................. Biodiversität und Landwirtschaft
.............................................................................................................................................................. 20
3 .................................................................................... Folgen von Pestiziden und Gentechnik
.............................................................................................................................................................. 21
3.1
Auswirkungen auf die Pflanzenvielfalt ............................................................................... 21
3.2
Schäden an Bodenorganismen............................................................................................... 21
3.3
Folgen durch Insektizide .......................................................................................................... 22
3.4
Gentechnik ..................................................................................................................................... 22
4 ..................................................................................Ernährungssouveränität und Diversität
.............................................................................................................................................................. 23
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
18
1
Biodiversität
Die Natur begegnet uns täglich in ihren vielfältigen Formen. Die Evolution hat ein schier
unendliches Artenspektrum hervorgebracht, welches es zu schützen und zu bewahren gilt.
Internationales Augenmerk wurde auf die Erhaltung der Biodiversität mit der Konvention von
Rio de Janeiro aus dem Jahr 1992 gelegt. Dabei einigte man sich auch auf eine grundlegende
Definition von biologischer Vielfalt:
„„Biologische Vielfalt“ [bedeutet] die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher
Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme
und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören; dies umfasst die Vielfalt innerhalb
der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme“ (KONFERENZ DER
VEREINTEN NATIONEN ZU UMWELT UND ENTWICKLUNG 1992)
Damit wird das gesamte Spektrum des Lebens in jedweder Ausprägung mit einbezogen. Neben
den Lebewesen sind explizit auch die Ökosysteme als integraler Bestandteil der Biodiversität
festgehalten.
Für den Menschen von besonderer Bedeutung ist die sogenannte Agrobiodiversität. Diese
umfasst „die Vielfalt der Kulturpflanzen (einschließlich ihrer Wildformen), der Forstpflanzen,
der Nutztiere, aller jagdbaren und sonstigen nutzbaren Wildtiere, Fische und andere nutzbare
aquatische Lebewesen sowie nutzbare Mikroorganismen und sonstige niedere Organismen“
(DEUTSCHES BUNDESAMT FÜR LANDWIRTSCHAFT UND ERNÄHRUNG 2011).
Viele Ökosysteme werden durch den Menschen maßgeblich beeinflusst. Die meisten der
heutigen Agrarflächen in Österreich wären natürlicherweise bewaldet und werden nur durch
menschliche Eingriffe freigehalten (STREIT 2007: 96). Dementsprechend haben alle Tätigkeiten
im landwirtschaftlichen Bereich Einfluss auf die dortige biologische Vielfalt. Doch auch in nicht
unmittelbar zivilisatorisch geschaffenen Lebensräumen greift der Mensch massiv ein (z.B.
Überfischung der Weltmeere).
Die Vielfalt des Lebens ist die Folge eines über Millionen Jahre andauernden Prozesses, welcher
sich heute noch fortsetzt. Die moderne Landwirtschaft hat mit zur Folge, dass diese Vielfalt stark
bedroht ist. Neben den immer forcierten, wenigen Kulturarten gibt es kaum Platz für nicht
wirtschaftlich nutzbare Pflanzen. Immer mehr natürliche Lebensräume werden durch Eingriffe
zerstört. Unzählige Tierarten sind ausgestorben oder stehen bereits auf der roten Liste.
Die genetische Vielfalt der Lebewesen auf der Erde ist ein riesiges Reservoir an faszinierenden,
oft noch unerforschten Feldern. Werden Pflanzen verdrängt oder Tiere ausgerottet, ist dies ein
unwiederbringlicher Verlust, welcher im ersten Moment oft noch nicht klar erkannt wird. Der
Mensch trägt durch seine Tätigkeiten die Hauptschuld an den negativen Ereignissen. Gleichzeitig
obliegt es ihm die Vielfalt des Lebens zu bewahren und die Biodiversität zu erhalten.
Insbesondere die Landwirtschaft trägt als größter Flächennutzer die Hauptverantwortung für
die Zukunft der Natur. Eine nachhaltige Nutzung kann die Ernährung sicher stellen und
gleichzeitig ökologische Gleichgewichte erhalten.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
19
2
Biodiversität und Landwirtschaft
Landwirtschaft schuf Vielfalt. Vor der Industrialisierung eben dieser hat sie während der
vermehrten Entwicklung der Kulturlandschaft aus dem Naturzustand in vielen Bereichen die
Biodiversität erhöht (z.B.: Besiedelung der Almen durch das Edelweiß). Durch die reich
strukturierte Landschaft kam es zur Förderung der Nischenbildung, doch der Anteil der
Landwirtschaft am Artenrückgang ist mittlerweile, gefolgt von der Forstwirtschaft, dem
Tourismus und der Rohstoffgewinnung, am größten (SIEBECK 2002).
Geprägt durch das anthropozentrische Weltbild der Naturbeherrschung [Umwelt versus
Mitwelt1] kommt es zur fragwürdigen Legitimierung von diversen Produktionsmethoden, die die
Artenverarmung rasant antreiben. Übertriebener Einsatz von Pestizid- und Düngemitteln,
Bodenverdichtung und -degradation durch Maschinen, großflächige Monokulturen und die
damit einhergehende völlige Ausräumung der Produktionsflächen (Abholzen von Hecken und
Sträuchern, Verhinderung eines Ökotons) sind die Hauptfaktoren. Es wird ein künstliches
System auf niedrigem Organisationsgrad erschaffen, dass nur von Aussaat bis Ernte hält „und –
um funktionstüchtig zu bleiben – vom Menschen reguliert werden muss“ (SIEBECK 2002: 17).
Durch die Intensivierung und das massive Eingreifen in die natürlichen Kreisläufe kommt es
unter anderem zu Schädigung der natürlichen Räuber-Beute-Systeme; begünstigt werden
dadurch Schädlinge. Ernteausfälle durch Insektenschäden haben sich in den letzten Jahren
verdoppelt, obwohl Pestizide in zehnfacher Menge eingesetzt werden (SHIVA 2001: 19). Weitere
Auswirkungen sind unter anderem auch die erhöhte Anfälligkeit gegenüber Krankheiten und
Wetterextremen.
Aber nicht nur die das Verschwinden der Biodiversität durch Vernichtung der Kleinbiotope,
sondern auch die Agrobiodiversität, die durch langjährige Züchtung hervorgebracht wurde, ist
durch die Industrialisierung, Monopolisierung in Saat- und Tierzucht, Voranschreiten der
Patentierung von Saatgut und Zuchtrassen und Veränderung der Essgewohnheiten gefährdet
(BUKO AGRAR DOSSIER 27: Klappentext). Die Welternährung basiert zum Großteil auf nur zehn
Kulturpflanzenarten, bei den Nutztieren werden hauptsächlich fünf genutzt. Jede Woche stirbt
eine Rasse aus. Seit 1900 sind es 75 Prozent bei den landwirtschaftlich genutzten Pflanzen (DER
KRITISCHE WELTAGRARBERICHT: 258).
Aber besonders als Anpassungsmaßnahme an die Schwankungen des Klimas hat die
Agrobiodiversität die Bedeutung, dass sie Risiken eines Erntetotalausfalles vermindert und
damit die Ernährung der Bevölkerung sicherstellt. Möglichst viele Arten sollen ex situ aber vor
allem in situ erhalten werden, damit sie sich an die natürlichen Veränderungen anpassen und so
die Ernährung auch für die weiteren Generationen sichern können (BUKO 2007: 30f).
Diese genetische Vielfalt zu schützen ist die wichtigste Aufgabe, doch durch Einschränkungen
beim Austausch und Anbau des Saatgutes wird der Verlust noch mehr gefördert. Gerade die
Vielfalt an Rassen und Sorten ermöglicht nicht nur angepasste und traditionell gewachsene
Versorgung mit mannigfaltigen Lebensmitteln, sondern gewährleistet auch das Überleben in
unterschiedlichen Agrarökosysteme und Ernährungskulturen. „Diese Situation [anthropogenes
1ARNE NÆSS: norwegischer
Ökosoph, der den Begriff Tiefenökologie prägte mit dem Ansatz, dass der
Mensch Teil der Ökologie ist und kein Außenstehender. „Der Mensch ist lebendiger Teil einer komplexen,
sich selbst erneuernden und vielfältigen Umwelt, der im Gegensatz zu dem heutigen Begriff der Umwelt
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
20
Artensterben] ist für den Homo sapiens eine völlig neue. Sie kann nicht durch seine physische
Anpassungsfähigkeit gemeistert werden, sondern nur über seinen Intellekt; durch Vorausschau
und Vorsorge, aber auch durch die Bereitschaft, auf Gewohntes zu verzichten, wenn über
erwartende Schäden kein Zweifel besteht“ (SIEBECK 2002: 8).
3
Folgen von Pestiziden und Gentechnik
Das ständige Streben nach höheren Erträgen hat in den Agrarwissenschaften zu verschiedensten
Maßnahmen zu deren Sicherstellung geführt. Dabei kommen hauptsächlich synthetisch
hergestellte Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, welche andere Pflanzen (Herbizide), Insekten
(Insektizide) oder Pilze (Fungizide) bekämpfen. Relativ jung, aber dennoch bereits massiv
eingesetzt, ist der Einsatz der Gentechnik in der modernen Landwirtschaft.
Der Einsatz von Pestiziden hat eine direkte Auswirkung auf die biologische Vielfalt eines
Ökosystems. Zwar gab und gibt es immer wieder Gesetze und Verordnungen um deren Einsatz
zu steuern und einzuschränken, dennoch sind auch heute die direkten Folgen in der Natur zu
sehen. Dabei sind sowohl langfristige, oft indirekte, als auch kurzfristige Auswirkungen zu
beobachten.
3.1
Auswirkungen auf die Pflanzenvielfalt
Mit Herbiziden werden unerwünschte Pflanzen bekämpft. Diese stehen häufig in Konkurrenz
zu den Kulturpflanzen und führen zu Ertragseinbußen. Durch die jahrelange Bekämpfung durch
Pflanzenschutzmittel hat sich der Genpool der Pflanzenwelt massiv verringert.
Die Häufigkeit der Samen in der Bodentiefe von 1 cm hat sich halbiert (PAN 2010: 9). Dadurch
kommt es zu einer starken Einschränkung der Artenanzahl. Einige wenige, konkurrenzstarke
Beikräuter dominieren und können uneingeschränkt wachsen. Andere, oft gar nicht bewusst
bekämpfte Pflanzen, sind in ihrer Entwicklung behindert. Diese Verringerung des
Nahrungsangebotes führt zu einer starken Dezimierung der Tierwelt. Nützlinge finden keine
Ernährungsquellen mehr, in der Folge leiden auch höhere Tiere wie Vögel. In der durch ohnehin
wenige Arten geprägten Kulturlandschaft wird die biologische Vielfalt so weiter verkleinert.
Gleichzeitig führt der Prozess zu einer starken Bevorzugung weniger Pflanzen, welche
anschließend umso intensiver und schwieriger bekämpft werden müssen.
3.2
Schäden an Bodenorganismen
Der Mikrokosmos des Bodens ist entscheidend für die Standortqualität. Dort kommt es zu den
Stoffumsätzen, welche die Bodenstruktur und –fruchtbarkeit bestimmen. Dies macht eine
vielfältige und intakte Lebenswelt besonders wichtig für eine erfolgreiche Bewirtschaftung.
Herbizide haben auch hier oft eine verheerende Wirkung. Neben der indirekten Wirkung durch
die verringerte Pflanzenvielfalt, haben sie oft auch direkte Folgen für die Bodenfauna. Vor allem
Bakterien und Wirbellose, wie Springschwänze und Regenwürmer, werden durch sie negativ
beeinflusst (PAN 2010: 12).
3.3
Folgen durch Insektizide
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
21
Die oft massiv auftretenden Ernteeinbußen durch Schadinsekten führten zu einem immer
stärker werdenden Einsatz von Insektiziden. Die meist starke direkte Wirkung auf die
Zielinsekten hat jedoch immer auch negative Nebeneffekte.
Nützliche Insekten, wie zum Beispiel verschiedene räuberisch lebende Laufkäferarten, werden
ebenso angegriffen. Gleichzeitig verlassen mit dem Absterben der Nahrungsquelle natürliche
Antagonisten das Gebiet oder verhungern. Dies zerstört das natürliche Gegengewicht und kann
bei einem neuerlichen Befall zu noch stärkeren Ausfällen führen.
Zwei Drittel der wichtigsten Nahrungspflanzen weltweit sind von der natürlichen Bestäubung
durch Tiere, hauptsächlich Insekten abhängig (PAN 2010: 19). Allen voran ist dabei die
Honigbiene zu nennen. Rückstände von Pestiziden lassen sich häufig bei Bienenvölkern
nachweisen. Bei geschwächten Völkern kann dies zum kompletten Absterben führen. Neben den
direkten Folgen für den/die ImkerIn, kann dies auch enorme wirtschaftliche Einschnitte in den
landwirtschaftlichen Kulturen nach sich ziehen. Neben der Honigbiene sind auch andere
Bestäuber, wie Hummeln oder Schmetterlinge direkt betroffen.
3.4
Gentechnik
2010 wurden 148 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche mit gentechnisch
veränderten Pflanzen bewirtschaftet. Zu diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren ein
enormes Konfliktfeld aufgetan. Während es die Befürworter als zweite „Grüne Revolution“
bezeichnen, sehen Gegner darin einen unmoralischen Eingriff in die Natur.
Durch das Auswildern transgener Pflanzen wird die Umgebung des Anbaugebietes
unkontrolliert beeinflusst. Gentechnische Manipulationen können zu Standortvorteilen führen
und so bestehende Pflanzengesellschaften verdrängen. Gleichzeitig können artgleiche Wildarten
bestäubt werden und so neue Kreuzungen entstehen. Dabei werden oft Resistenzen
weitergegeben und so widerstandfähige Unkräuter erzeugt. In Folge wäre der Sinn der
Veränderung ins Gegenteil verkehrt.
Pflanzen wie der Bt-Mais beeinflussen direkt die Tierwelt. Obwohl gegen bestimmte Schädlinge
gerichtet, werden auch Nützlinge durch die abgegeben Wirkstoffe beeinträchtigt (DER KRITISCHE
AGRARBERICHT 2011: 246). Gleichzeitig ist es nur eine Frage der Zeit, bis es zu Resistenzen
kommt. Die massive Dezimierung der Insekten führt auch hier zum Wegfallen der
Nahrungsgrundlage vieler Tierarten.
Somit hat die gentechnische Veränderung von Pflanzen unmittelbare Auswirkung auf die
biologische Vielfalt eines Gebietes. Massive Eingriffe in etablierte, natürliche
Lebensgemeinschaften haben große Folgen für die Biodiversität.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
22
4
Ernährungssouveränität und Diversität
Was hat Ernährungssouveränität mit Vielfalt zu tun? Als Gegenkonzept zur globalisierten und
industriellen Landwirtschaft mit dem Leitmodell einer kleinbäuerlichen Struktur, hat das
Prinzip auch die Förderung des lokalen und regionalen Handels und den Erhalt der Diversität als
Punkt.
Vandana Shiva, eine indische Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin, rief 1991 die Organisation
„Navdanya“ („Neun Feldfrüchte“) ins Leben mit dem Ziel die Mannigfaltigkeit der Sorten zu
erhalten und damit die Unabhängigkeit der Bauern und Bäuerinnen gegenüber den
Agrarkonzernen und deren patentiertes Saatgut zu gewährleisten. Gelehrt wird auch die
selbstständige Züchtung, Saatgutgewinnung und traditionelle Anbaumethoden ohne Einsatz von
Pestiziden. Nebenbei gibt es Bildungsangebote. Zugleich werden die lokalen Märkte gestärkt, die
soziale Gerechtigkeit (Shiva setzt sich besonders für die Rechte der Frau ein) und damit
Ernährungssouveränität gefördert (DER KRITISCHE AGRARBERICHT 2011: 258f).
Ein weiteres Beispiel zeigt sich auf den Philippinen. Der Inselstaat ist einer der ärmsten Länder
der Welt; als Gewinn versprechend befand die Regierung Cash Crops (landwirtschaftliche Güter,
die nur für den Export produziert werden) und importierte selbst Lebensmittel2. Ebenso kam es
durch die Ford- und Rockefeller Stiftung zur Gründung des International Rice Research Institute
(IRRI), eine Forschungseinrichtung zur Züchtung gentechnisch modifizierter Reissorten und
politisch ein Vorposten gegen den Kommunismus (vgl. Truman-Doktrin in Europa3). „Ihr Ziel
war von Anfang an die Verwandlung von Naturprodukten in Industrieerzeugnisse, die
Umwandlung einer nach kommerziellen Maßstäben ineffizienten Landwirtschaft in eine
Agroindustrie“ (CHRIST 2010: 244). Die Folgen waren, abgesehen vom Verlust der
Ernährungssouveränität und dadurch die Schaffung einer neuen alten kolonialen Abhängigkeit,
drastisch: ausgemergelte Böden, Zunahme der Schädlinge, sinkende Erträge. 1986 kam es daher
zur Gründung der MASIPAG (Magsasaka at Siyentitipiko para sa Pag-unlad ng Agrikultura –
Partnerschaft von Bauern und Wissenschaftlern für die landwirtschaftliche Entwicklung), ein
Netzwerk von etwa 35 000 Bauern, Wissenschaftlern, BäuerInnenorganisationen und rund
sechzig NGOs. Ziele der Organisation sind dieselben wie bei „Navdanya“.
Laut einer zusammenfassenden Studie von Lorenz Bachmann (deutscher Agronom), Sarah
Wright (von der University Newcastle, AUS) und Elizabeth Cruzada (Philippinen) kam es zu
einer deutlichen Stabilisierung der Ernte, zu einer Zunahme der Fruchtbarkeit der Böden und
sogar die Produktionskosten konnten, bei etwa gleich großen Erträgen, gesenkt werden
(konventionell: Gesamtkosten 22 900 Pesos/Jahr/Farm; biologisch: 11 860 Pesos). Krankheiten
aufgrund von Einsatz von Pestiziden werden verhindert (WUHRER 2009).
Dies geschah auch durch US-Hilfskredite in Südkorea und Taiwan (US-Agrarexporte stiegen innerhalb
von sieben Jahren in diesen Ländern um 643 bzw. 531 Prozent) und durch Dumpingpreise in Südamerika
(Kolumbien: Rückgang der heimischen Produktion im Zeitraum 1955-’71 um 69 Prozent, Anstieg der
amerikanischen Importe um 800 Prozent (vgl. CHRIST, 260f)
3 Im Europa nach dem II. Weltkrieg kam es durch die Hilfe der US zum Wiederaufbau im Rahmen der
Containment-Politik („Eindämmungspolitik“ [gegen den Kommunismus]), zu der auch der Marshallplan,
ein Wirtschafts-Wiederaufbau Programm, zählte. Die krisengeschüttelten Länder wurden mit Krediten,
Rohstoffen und Lebensmittel versorgt. Dadurch schuf die USA auch einen Absatzmarkt für ihre
Überproduktion.
2
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
23
Gewinner am Verschwinden der Diversität sind die Agrokonzerne. „Land grabbing“, Anbau von
Hybridsorten, Einsatz von Gentechnik und Pestiziden sowie kein Zugang der heimischen Bauern
und Bäuerinnen zu Ressourcen sind Voraussetzungen für die Agrarwirtschaft um mehr Gewinne
zu erwirtschaften und so die Abhängigkeit zu fördern und den Untergang der traditioneller
Anbaumethoden und der Diversität zu besiegeln. „Während heute vier Prozent der
Weltbevölkerung 40 Prozent der weltweiten Produktion an Nahrungspflanzen kontrollieren,
könnte die vollständige Kontrolle über das Saatgut künftig in den Händen weniger Menschen
liegen … [und zu] einem weltweiten totalitären Saatgutregime unter der Herrschaft weniger
Agro-Konzerne [führen]“ (CHRIST 2010: 254).
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
24
Literaturverzeichnis:
Agrarbündnis e.V. (2011): Landwirtschaft 2011, Der kritische Agrarbericht –
Hintergrundberichte und Positionen zur Agrardebatte; Schwerpunkt Vielfalt. Konstanz/Hamm:
ABL Bauernblatt Verlags-GmbH.
BUKO Agrar Koordination/Forum für Internationale Agrarpolitik (2007): Agrobiodiversität –
landwirtschaftliche Vielfalt in Gefahr. Hamburg: BUKO Agrar Koordination.
Christ, M. (Hrsg.) et al (2010): Bedrohte Saat - Saatgutpflege und der Kampf gegen die Macht der
Agrokonzerne. Dornach: Pforte Verlag.
Deutsches Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung (s.a.): Glossar.
http://www.ble.de/nn_355704/DE/09__Glossar/__functions/01__Glossar,lv2=355866.html ,
03.05.2011.
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Biologische Vielfalt. http://www.admin.ch/ch/d/sr/i4/0.451.43.de.pdf , 30.4.2011.
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Siebeck, H.-O. (2002): Globale Umweltgefährung und dramatischer Rückgang der Artenvielfalt
rütteln die Menscheit auf. In: Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege: Das
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Streit, B. (2007): Was ist Biodiversität?. München: C.H. Beck.
Wuhrer, P. (2009): Brüder, Schwestern, auch Gott liebt diesen Bioreis!.
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Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
25
Universität für Bodenkultur, Wien
Agrarwende
Projekt Ökologische Landwirtschaft
Prof. Dr. Christian Vogl
Sommersemester 2011
Verfasst von
Josef Maier
Mat.Nr.: 0940325
Georg Thünauer
Mat. Nr.: 0940950
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
26
Inhaltsverzeichnis
1 ............................................................................................................................................ Einleitung
.............................................................................................................................................................. 28
2 ................................................... Agrarwende und betriebliche Strukturen in Österreich
.............................................................................................................................................................. 28
3 ............................................................................ Hintergründe der politischen Agrarwende
.............................................................................................................................................................. 30
4 ..................................................................................................................... Ziele der Agrarwende
.............................................................................................................................................................. 31
4.1
Ausweitung des Marktes von BIO-Lebensmitteln .......................................................... 31
4.2
Tiergerechtheit und Tierschutz ............................................................................................. 31
4.3
Lebensmittelsicherheit ............................................................................................................. 31
4.4
Verbraucherschutz ..................................................................................................................... 32
4.5
Multifunktionale Landwirtschaft .......................................................................................... 32
5 .............................................................................................................................. BIO Lebensmittel
.............................................................................................................................................................. 32
Literaturverzeichnis ..................................................................................................................... 35
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
27
1
Einleitung
’Weg von den Agrarfabriken. Eine Wende soll her. Keine Reform, eine Wende!’ Mit diesen
Worten forderte der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Generalüberholung der
Agrarpolitik als Reaktion auf die BSE-Debatte Ende des Jahres 2000. Diese sollte eine
Perspektive für eine andere, eine verbraucherfreundliche Landwirtschaft entwickeln und
umsetzen. Die Agrarpolitik erweist sich seit Jahren insgesamt nicht als nachhaltig, da sie weder
ökonomisch, ökologisch noch sozial verträglich ist (Ribbe 2001: 1).
Im Vordergrund der Agrar- und Verbraucherpolitik sollte danach nicht mehr, wie in den
Jahrzehnten zuvor, das Prinzip der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch agrarindustrielle
Rationalisierung stehen, sondern die Herstellung gesunder und vollwertiger Lebensmittel, die
unter Schonung der natürlichen Umwelt und im Rahmen einer artgerechten Tierhaltung erfolgt
und zugleich zur Pflege der Kulturlandschaft beiträgt. Eine Leitfunktion wurde dabei dem
ökologischen Landbau zugewiesen (Brand 2006: 267). Diese Bewirtschaftungsweise vereint
unter dem Begriff der Agrarökologie die Vorstellung einer Landwirtschaft, die
Umweltbelastungen durch Verzicht auf chemisch-synthetische Betriebsmittel vermeidet und die
natürlichen Produktionsgrundlagen wie Bodenfruchtbarkeit oder Selbstregulationsfähigkeit im
Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung in die Produktionsmethode einbezieht. Die Schließung
der im konventionell-intensiven Landbau weitgehend offenen Stoffkreisläufe wird versucht.
Auch der gesellschaftliche Hintergrund der Landwirtschaft wird berücksichtigt und die
Erhaltung einer bäuerlichen Landwirtschaft angestrebt (Herrmann/Plakolm 1991: 17).
Unter Agrarwende wird demnach eine Agrarpolitik verstanden, welche ein nachhaltiges
Bestehen der Agrar- und Kulturlandschaft ermöglicht. Diese basiert auf den drei Säulen der
Nachhaltigkeit: die ökonomische Machbarkeit, ökologische Verträglichkeit und soziale
Gerechtigkeit (Ribbe 2001: 1).
2
Agrarwende und betriebliche Strukturen in Österreich
Im Gegensatz zu Deutschland findet man in der österreichischen Agrarpolitik kein Programm,
welches sich explizit auf eine Agrarwende bezieht. Nichts desto trotz vollziehen sich ähnliche
Entwicklungen und agrarpolitische Entscheidungen im Bereich der Landwirtschaft.
Bereits im Jahr 1997 nimmt Österreich mit 18.485 Biobetrieben bzw. 9% der
landwirtschaftlichen Nutzfläche europaweit eine Spitzenreiterfunktion beim biologischen
Landbau ein (BMFLF 1998: 92). 2008 gab es in Österreich 20.102 Biobetriebe, die eine Fläche
von 383.765 ha (geförderte und nichtgeförderte Biobetriebe) bewirtschafteten. Der Anteil der
Bio-Flächen lag bei 16,3% der landwirtschaftlich genutzten Fläche (ohne Almen und
Bergmähder) (BMLFUW 2009. 72).
Die deutsche Bundesregierung sah im Programm der Agrarwende laut der Regierungserklärung
von Renate Künast im Jahr 2000, eine Steigerung der ökologischen Landwirtschaft auf 20% bis
2010 vor (Groß, 2002, 263).
Die Bio-Flächen haben in Österreich 2009 um 26.347 ha bzw. +5,4% auf insgesamt 518.172 ha
landwirtschaftlich genutzte Flächen zugenommen. Der Anteil der Bio-Fläche lag bereits bei
18,5% der LF (BMLFUW, 2010, 72). Im Vergleich dazu lag im Jahr 2010 die, in Deutschland
biologisch bewirtschaftete Fläche, von ca. 1.001.200 ha, bei 5,9% der gesamten
landwirtschaftlich genutzten Fläche (BÖLW, 2011, 8). Bereits 2002 prognostizierte Groß: „Als
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
28
praxiserfahrener Marktbegleiter halte ich deshalb der kühnen Vision von ’20 % Bio in den
nächsten 10 Jahren’ entgegen: Wenn wir die ’Agrarwende’ dem Marktgeschehen überlassen,
wird das „Ende der Fahnenstange“ bei 5 % erreicht sein (Groß, 2002, 265). Österreich verfehlte
2010 die 20 % Hürde nur knapp.
Der Agrarwende im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik stehen jedoch die
konventionelle Betrachtungsweise und nicht zuletzt ökonomische Interessen von Betrieben und
Unternehmen im Wege, welche dem Agrarsektor vor, bzw. nachgelagert sind. Ein Beispiel
hierfür ist die „Agenda 2000“ der EU, welche eine ’Agrarwende’ oder zumindest eine
Agrarreform hervorrufen sollte. Der damalige Agrarkommissar Fischler dachte hierbei zum
Beispiel an die Einführung einer Obergrenze für Direktzahlungen. Kein Betrieb sollte mehr als
100.000 Euro bekommen. 2,5 Milliarden Euro hätte dies, so der europäische Rechnungshof,
eingespart. Die Agrarlobby jedoch konnte gegen diese Regelung intervenieren und der Vorschlag
Fischers wurde so abgeändert, dass es keine Obergrenze von Direktzahlungen, aber zumindest
eine Modulation (Staffelung) dieser gab. Diese europäische obligatorische Modulation wurde
jedoch abgelehnt und ein freiwilliges nationales System wurde beschlossen (Ribbe 2001. 6).
Trotz aller Bemühungen die österreichische Agrarpolitik einer Reform zur Nachhaltigkeit zu
unterziehen findet man eine stetige Veränderung der Flächenstruktur. Diese bezieht sich vor
Allem auf die Vergrößerung der Schläge.
Ein wesentlicher Grund sind Betriebszusammenlegungen und die Reduktion von
landwirtschaftlichen Betrieben. So hat sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in
einem Zeitraum von1951 bis 1997 von 432.848 auf 252.110 verringert (BMFLF, 1998, 92). 2007
sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nochmals auf 174.000 wovon 104.000 Betriebe
im Nebenerwerb und 70.000 Betriebe im Vollerwerb stehen. Diese Angaben verdeutlichen, dass
immer weniger Betriebe immer größere Flächen bewirtschaften. Auch das Verhältnis zwischen
Voll- und Nebenerwerbsbetrieben hat sich maßgeblich verändert. 1951 gab es in Österreich
rund 300.000 Haupterwerbsbetriebe und 125.000 im Nebenerwerb. In den späten 70ern und
frühen 80ern kam es nicht zuletzt aufgrund von politischen Bestrebungen, die Landwirtschaft
rentabler zu machen, zu einer massiven Umstrukturierung. In dieser Zeit vermehrte sich die
Zahl der Nebenerwerbsbetriebe und reduzierte Haupterwerbsbetriebe. 1990 gab es bereits rund
175.000 Betriebe im Nebenerwerb und nur noch 110.000 im Vollerwerb. Folglich änderte sich
nicht nur die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe, sondern auch die Einkommenssituation
enorm.
Besonders hervorzuheben ist hierbei die Situation von Bergbauernbetrieben. Aufgrund der
Bewertung nach Berghöfekatasterpunkten wurden 69.424 Betriebe (37,1 % aller Betriebe) als
Bergbauernbetriebe ausgewiesen. Im Vergleich dazu waren es im Jahr 2005 noch 72.153
Bergbauerngetriebe (38,1%). Rückgänge waren in allen Berghöfekataster-Gruppen zu
verzeichnen, während die Nichtbergbauernbetriebe zunahmen.
Nichtsdestotrotz ist die österreichische Landwirtschaft nach wie vor klein strukturiert. Der
Trend zu größeren Betrieben setzt sich, wenn seit 2005 auch nur marginal, weiter fort. Wurde
1951 von einem Betrieb im Durchschnitt eine Gesamtfläche von 17,8 ha bewirtschaftet, so
waren es 2007 40,5 ha. Ähnlich verlief die Entwicklung bei der ladwirtschaftlich genutzten
Fläche (Ackerland, Haus- und Nutzgärten, Dauerkulturen, Dauergrünland). Hier war eine
Steigerung von 9,4 ha auf 18,9 ha festzustellen. Diese Entwicklung ist auch der Beurteilung nach
Größenstufen der Kulturflächen ersichtlich. Der Großteil der Betriebe, nämlich 114.947 bzw.
61,5%, bewirtschafteten im Jahr 2007 weniger als 20 ha land- und forstwirtschaftliche Flächen
(Kulturfläche). 1999 waren es 65,8%. Bei 4,0% (7.452 Betriebe) konnte eine Fläche von mehr als
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
29
100 ha ermittelt werden, während im Jahr 1999 erst 3,1% (6.769 Betriebe) in diese Kategorie
fielen.
Aber nicht nur die Betriebsgrößen, Strukturen und Besitzverhältnisse haben sich drastisch
verändert, sondern auch die Stellung der Frau als Betriebsleiterin.
Die Leitung der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe ist nach wie vor eine Domäne der
Männer. Lediglich die Führung von 65.589 Betrieben lag in Frauenhänden (35,1%). Aber auch in
diesem Wirtschaftszweig sind die Frauen weiter im Vormarsch, denn gegenüber der letzten
Agrarstrukturerhebung 2005 (33,6%) bedeutet dies einen Anstieg des Frauenanteils um 1,5%
(BMLFUW 2009. 67).
Besonders brisant wird die Lage der LandwirtInnen nach dem Wegfall der vorherrschenden
ÖPUL-Förderungen. Sollte ein Förderprogramm eingeführt werden, welches eine Auszahlung an
die Betriebsgröße koppelt, kommen vor allem kleine, benachteiligte Betriebe unter Druck. Der
Verlust von wertvollen Agrarstrukturen vor Allem im Westen Österreichs mit einem hohen
BergbäuerInnennanteil wäre die Folge. Dabei wird die bereits angesprochen Funktion der
Landwirtschaft als Grundlage für Erholungsgebiete und die Erhaltung von regionalen
Erscheinungsbildern oft vergessen. Weiden und Trockenrasen, welche bis heute gemäht und
gepflegt werden, würden verwildern und dem Besucher, welcher für diese Regionen im
Tourismusbereich eine wichtige Rolle spielt, ein stark verändertes Landschaftsbild darbieten.
Ungeachtet des Tourismus und der menschlichen Empfindung gehen durch derartige
Maßnahmen oft wertvolle Lebensräume im Dienste der Biodiversität verloren.
Dies zeigt, dass politische Entscheidungen, die die Landwirtschaft betreffen enorme
Auswirkungen auf den Menschen und seine Umwelt haben können. Nachhaltiges Wirtschaften
heißt wirtschaften über Generationen für Generationen. Die Wende der Agrarpolitik kann dies
ermöglichen.
3
Hintergründe der politischen Agrarwende
Nach bekannt werden des BSE-Skandals in Deutschland, am 24. November 2000, erhöhte sich
das öffentliche Interesse an der Landwirtschaft schlagartig. Das Krisenmanagement war geprägt
von anfänglichen Beruhigungsversuchen, offensichtlichen Vertuschungsmaßnahmen und
ungeschickter Öffentlichkeitsarbeit. Die potentielle Gefahr durch BSE und die Betroffenheit der
KonsumentInnenen machten weitreichende Änderungen in der Agrarpolitik und eine
Neuorientierung notwendig. Durch den Zusammenbruch des Rindfleischmarktes wurde auch die
Lebensmittelbranche in hohem Maße in Mitleidenschaft gezogen. Die Änderung der
Ernährungsgewohnheiten beim Rindfleischkonsum machten auch Veränderungen in der
Wirtschaft unumgänglich.
Durch das aufblühende öffentliche Interesse an der Agrarpolitik und die umfangreichen
strukturellen Änderungen war danach die Rückkehr zum „alten Typ“ nicht mehr möglich.
Die Parteienpolitik orientierte sich in weiterer Folge stark an den neuen
Themenschwerpunkten, PolitikerInnen erkannten den Wählerkreis derer, die nicht direkt in der
Landwirtschaft angesiedelt waren, allerdings ein hohes Interesse an Nachhaltigkeit, gesunden
Lebensmitteln, Tiergerechtigkeit und Tierschutz und Verbraucherinteressen zeigten. Es
entstanden neue Politikkampagnen. Versuche wurden gestartet die Landwirtschaftspolitik als
Teil der Ernährungspolitik zu positionieren und alternative Leitbilder etablierten sich, wie zum
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
30
Beispiel Qualität versus Quantität; Ökologische Landwirtschaft versus intensive/konventionelle
Landwirtschaft; nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume versus stetig wachsende
Wettbewerbsorientierung; Verbraucherschutz versus Agrarlobbyismus (Sehrer 2005. 18f)
Der Anteil des Bio-Marktes erhöhte sich zunehmend und Bio-Produkte entwickelte sich von der
Marktnische hin zum wichtigen Segment im Lebensmittelhandel (Gerlach 2005. 1ff).
4
Ziele der Agrarwende
Bei der Durchführung des politischen Programms ’Agrarwende’ in Deutschland wurden einige
Teilziele definiert. Diese Ziele mussten dem hohen Interesse der breiten Bevölkerung
entsprechen und sollten der Politik möglichst dienlich sein um die Auswirkungen des BSESkandals abzudämpfen. Fünf Teilziele wurden von der deutschen Bundesregierung definiert.
Diese sind die Ausweitung von BIO-Lebensmitteln, Tiergerechtheit und Tierschutz,
Lebensmittelsicherheit, Verbraucherpolitik und Verbraucherschutz und Multifunktionale
Landwirtschaft.
4.1
Ausweitung des Marktes von BIO-Lebensmitteln
Als das bekannteste Ziel der Agrarwende wurde die Ausweitung des ökologischen Landbaus auf
20% der Anbaufläche gefordert. Hintergrund ist die traditionelle Kleinstrukturiertheit der
Betriebe und auch deren positives Image in der breiten Öffentlichkeit. Viele
Lebensmittelskandale der Vergangenheit (BSE, MKS, Schweinepest) wurden durch
Futtermittelprobleme und vor allem intensive Tierhaltung ausgelöst bzw. begünstigt. Durch die
Kreislaufwirtschaft (Verwendung eigener Futtermittel) und geringe Betriebsgrößen in der
Ökologischen Landwirtschaft kommt es hier zu weniger Problemen. Durch den hohen
Bekanntheitsgrad und das öffentliche Interesse an der Landwirtschaft erhielt man hier ein leicht
kommunizierbares Ziel (Gerlach et al., 2005, 11f). Allerdings stellt sich die Frage, ob der Trend
der Konventionalisierung der Ökologischen Landwirtschaft diesen positiven Effekten nicht
wieder entgegensteuert.
4.2
Tiergerechtheit und Tierschutz
Dieses Ziel bringt vor allem die Orientierung auf die breite Öffentlichkeit und insbesondere neue
WählerInnengruppen
zum
Ausdruck.
Die
unterschiedliche
Sichtweise
von
produktionsorientierter konventioneller Landwirtschaft und weitestgehend von der
Landwirtschaft entfremdete städtische Bevölkerung, die zum Thema Tierschutz nur durch die
eigene Tierliebe und Haustierhaltung geprägt ist, bringt hier großes Konfliktpotential. Man
denke nur an Legefabriken, Geflügel-, Schweine- und Rindermastbetriebe, welche mit
kleinbäuerlich geprägter Landwirtschaft nichts mehr zu tun haben.
Man untersuchte hier vor allem Haltungsbedingungen, Haltungsmanagement, Transport und
Schlachtung von Tieren. Die Diskussion über Tiergerechtheit und Tierschutz führte unter
anderem bis zur Forderung nach „Menschenrechten“ für höhere Tierarten (Gerlach 2005. 12f).
4.3
Lebensmittelsicherheit
Lebensmittelsicherheit als Ziel war wohl ein klarer Schritt, nachdem die Agrarwende ja
schließlich erst durch die BSE-Krise ins Rollen gekommen ist. Auch auf EU-Ebene stand dieses
Ziel im Vordergrund. Man versuchte dabei eine klare Verteilung der Primärverantwortung
sicherzustellen; einerseits durch den Staat, andererseits durch die Privatwirtschaft. Obwohl es
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
31
eine Verschiebung der Verantwortung in Richtung der Wirtschaft gibt, kann sich die Politik
aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung in Krisenfällen nicht ihrer Verantwortung entziehen.
Ziele waren hier die höhere Qualitäts- und Sicherheitsorientierung in der konventionellen
Produktion, wobei der Schritt zu „Klasse statt Masse“ erreicht werden sollte (Gerlach 2005.
13ff).
4.4
Verbraucherschutz
Dem Thema Verbraucherschutzpolitik konnte durch die Agrarwende wieder wählerwirksam
gestaltet werden. Es wird im Großen und Ganzen in die Teilbereiche: Rechtlicher
Verbraucherschutz, Verbraucherinformation und Verbraucherbildung unterteilt. Deutlichste
Ergebnisse dieser Politik wurden im Bereich der Diskussion über Adipositas und Fehlernährung
bei Kindern, bei Alcopops und Zigarettenkonsum und einer geplanten strategischen Überlegung
der Krankenkassen zu diesen Debatten erzielt (Gerlach 2005. 17).
4.5
Multifunktionale Landwirtschaft
Die multifunktionale Landwirtschaft steht im Vergleich zu den anderen Teilzielen nicht in
direkter Verbindung mit der BSE-Krise. Das Thema ließ sich aber ebenfalls gut in Form dieser
Agrarwende umsetzen. Grund dafür waren die Transferzahlungen an die Landwirtschaft, die von
der Bevölkerung nur dann akzeptiert würden, wenn ein Beitrag zum Gemeinwohl erkennbar ist.
Dies wurde damit begründet, dass der Landwirt nicht nur Rohstoffproduzent für die
Nahrungsmittelindustrie ist, sondern auch Dienstleistungen für Natur- und Umweltschutz
erbringt, welche entlohnt werden sollen. Man plante den Umstieg von Preisausgleichszahlungen
für einzelne Produkte hin zur Ausweitung der zwei Säulen der EU-Agrarpolitik die auf die
Stärkung der ländlichen Räume und der gesellschaftlichen Funktion des Landwirtes zielt.
Langfristig sollen erhebliche Teile der Agrarsubventionen an Gegenleistungen im Bereich des
Verbraucher-, Umwelt-, Natur- und Tierschutzes gekoppelt sein. Eine weitere Entwicklung ist
der Energiepflanzenbau, der durch ein verbessertes Energieeinspeisungsgesetz im Vergleich zu
anderen technischen Lösungen wie Solarenergie und Windkraft als alternative
Einkommensquelle des Landwirten gestärkt wurde (Gerlach 2005. 15f).
Zusammenfassend sieht man also, dass die Agrarwende weit über das Ziel von 20% BIOLandbau hinausgeht. Durch die enge Verknüpfung mit der EU-Agrarpolitik mit der Agrarpolitik
der Mitgliedsstaaten sind viele der Ziele heute genauso aktuell wie im Jahr 2001.
5
BIO Lebensmittel
Welche Auswirkungen hatte das gesteigerte Interesse der KonsumentInnen an der
Landwirtschaft für den BIO-Markt, welche Potentiale stecken in dieser erhöhten Nachfrage? Man
muss dabei unterscheiden, welche Motive den einzelnen KonsumentInnen dazu bewegen BIO
Lebensmittel zu kaufen. Eine Einteilung in folgende Punkte erscheint dabei sinnvoll zu sein:
Gesundheit (für sich selbst und vor allem seine/ihre Kinder):
o Unbelastete, chemiefreie und frische Lebensmittel
o Fleischverzehr und Convenienceprodukte treten zugunsten von Obst und Gemüse in
den Hintergrund
o Ganzheitliche Wahrnehmung und ein entsprechendes Körperbild fördern BIOKonsum.
Naturbelassenheit:
o Geringer Verarbeitungsgrad – kurzer Weg vom Anbau bis zum Verzehr
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
32
o Keine Schadstoffe (Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, Medikamenten, etc.)
o Keine Zusatzstoffe (Aromen, Emulgatoren, Konservierungsmittel, etc.)
o Keine Gentechnik
Umweltschutz:
o Biokonsum als eigener Beitrag zum Umweltschutz
o Globalisierungskritik
o Zunehmende Kritik an Lebensmittel-/Tierfabriken
o Umweltzerstörung durch kapitalorientierte Großkonzerne
o Ausbeutung vor allem im der dritten Welt
Tierliebe:
o Kritik an Tiertransporten und nicht artgerechten Haltungsbedingungen
o Massentierhaltung in Großbetrieben  „Tierfabriken“
o Vegetarismus aus Abscheu vor tierischem Leid
Kulturlandschaftserhalt:
o Erhalt der Kulturlandschaft durch Kleinbauerntum
o Kleinräumige Strukturen anstelle riesiger Monokulturen
o Ländliche Idylle und traditionelle Landwirtschaft
Krankheitsbewältigung:
o Erkennen des Zusammenhanges zwischen Krankheit und Ernährung
o Lebensmittelunverträglichkeiten, Allergien als Auslöser für dauerhafte
Ernährungsumstellung
o Höhere Wertschätzung des eigenen Körpers
Aus dieser Fülle an Motiven für den BIO-Konsum ist somit leicht erkennbar, dass der Konsument
meist nicht von einem einzigen Grund, sondern einer Vielzahl derer getrieben wird. Auch wenn
der eigenen Gesundheit in der Vergangenheit oft nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde,
ändert sich das in vielen Fällen sobald es um das Wohlergehen der eigenen Kinder geht.
Naturbelassenheit der Lebensmittel geht oft mit Gesundheit, Tierliebe und Umweltschutz
einher. Je höher die Verknüpfung der Motive für den Konsum von BIO-Lebensmitteln ist, desto
eher wird ein Umdenken bei der betroffenen Person stattfinden.
Der Umstieg auf eine Ernährung mittels BIO-Produkten erfolgt allerdings meist nur bei
biographischen
Umbruchsituationen,
welche
ein
Überdenken
der
alltäglichen
Ernährungspraktiken erfordern. Diese ergeben sich typischerweise wenn die
Mahlzeitengestaltung und Lebensmittelbeschaffung neu organisiert werden muss. Das ist der
Fall, wenn ein neuer Haushalt gegründet wird, PartnerInnen hinzukommen oder wegfallen,
Kinder geboren werden, schwerwiegende Krankheiten zu einem Umdenken zwingen,
Lebensmittelskandale die Gewohnheiten erschüttern oder ein Übergang in den Ruhestand
bewältigt werden muss. Im Speziellen kann man diese Punkte wieder folgendermaßen gliedern:
Geburt von Kindern:
o Erhöhte Sensibilität in Punkto Ernährung und Lebensmittelsicherheit
o Wohlergehen des Kindes steht im Vordergrund – bisherige Routinen werden
unterbrochen
o Ernährungsverantwortung führt zur Suche nach guten, gesunden und
unbedenklichen Lebensmitteln
o Babynahrung in BIO-Qualität ist bereits weit verbreitet
Krankheit:
o Suche nach unbelasteten, gesunden Lebensmitteln
o Vermeidung von Schadstoffen und Umweltgiften
o Notwendige Ernährungsumstellung (Diätpläne, Unverträglichkeiten, Allergien, etc.)
Verunsicherung:
o Lebensmittelskandale
o Sinkendes Vertrauen in die Industrie
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
33
Steigende Bereitschaft höhere Preise für hochwertige/ökologische Lebensmittel zu
bezahlen
o Suche nach Garanten für Sicherheit und Vertrauen
Ruhestand:
o Aufgrund von mehr Freizeit gibt es neue Interessen
o Gesundheit wird wichtiger
o Landschaftsschutz und Tierliebe rücken in den Vordergrund
o Bewahrende Werte und ethische Motive werden neu aktiviert
o Naturkreisläufe werden bewusster wahrgenommen (vgl. Sehrer et. al. 2005: 25-33).
o
„Gemeinsam ist fast allen eine unterschiedlich ausgeprägte kritische Sicht der gegenwärtigen
Lebensmittelproduktion und viele erweisen sich zumindest einigen Ideen der Agrarwende
gegenüber aufgeschlossen. Dieser positive Zusammenhang zwischen Verunsicherung, BioKonsum und den Zielen der Agrarwende könnte für Optimierungsstrategien weiter genützt
werden“ (Sehrer 2005. 32).
Somit wird klar, dass die Agrarwende als politisches Weisungsmittel in Bezug auf den BIO-Markt
bisher schon große Auswirkungen gezeigt hat, allerdings weiterhin sehr große Potentiale bietet.
KonsumentInnen werden auch in Zukunft gerne auf die Alternative BIO- Lebensmittel
zurückgreifen, wenn man ihnen die notwendigen Gründe für eine teurere, aber gesündere,
umweltschonendere und nachhaltigere Ernährung liefert.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
34
Literaturverzeichnis
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http://www.bpb.de/publikationen/AH4CM1,0,Die_Wende_in_der_Landwirtschaft.html,
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des Bio-Markts entlang der Wertschöpfungskette. Ernährungs-Umschau 53(7), 267-271.
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BMLF - Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft (1998): 39. Grüner Bericht. Bericht
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Verlag, 263-271
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Sehrer, Walter/ Kropp, Cordula/ Brunner, Karl-Michael/ Engel, Astrid/ Ader, Dorothee/ (2005):
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praktisch-politischen
Agrarwende.
http://www.sozialoekonomie-online.de/ZfSO138_Roeckl.pdf, 26.4.2011.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
35
Universität für Bodenkultur, Wien
Konventionalisierung der
Ökologischen Landwirtschaft und
Ernährungssouveränität
Projekt Ökologische Landwirtschaft
Prof. Dr. Christian Vogl
Sommersemester 2011
Verfasst von
Ulrike Jaklin
Mat.Nr.: 0702299
Valerie Jarolim
Mat. Nr.: 0505435
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
36
Inhaltsverzeichnis
1 ............................................................................................................................................ Einleitung
.............................................................................................................................................................. 38
2 ................................................................................. Dimensionen der Konventionalisierung
.............................................................................................................................................................. 39
2.1
Institutionelle Ebene ................................................................................................................. 39
2.2
Vermarktung ................................................................................................................................. 40
2.3
Wissens- und Anbausysteme.................................................................................................. 42
3 .......................................................... Konventionalisierung und Ernährungssouveränität
.............................................................................................................................................................. 43
Literaturverzeichnis ..................................................................................................................... 45
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
37
1
Einleitung
Durch ein rasantes und stetiges Wachstum bewegte sich der Biolandbau in den letzten Jahren
aus der Nische heraus und erhob sich zu einem breit wahrgenommenen (Agrarpolitik, Markt,
Konsumenten,...) und bedeutsamen Thema.
Neben durchaus positiven Auswirkungen dieser hohen Entwicklungsdynamik sind auch
bedenkliche Tendenzen zu verzeichnen, in der Literatur auch „Konventionalisierungsfalle“
genannt (Kratochvil/Leitner 2005: 1).
Angetrieben durch die aktuelle Dynamik in Agrarpolitik, Markt und Produktionstechnik führte
der Bioboom zu einem verstärkten Preis- und Wettbewerbsdruck. Der/die einzelne LandwirtIn
sieht sich durch diese kurzfristigen ökonomischen Beweggründe gezwungen den eigenen
betriebswirtschaftlichen Erfolg zu steigern. Daraus resultiert eine Annäherung des Biolandbaus
an die konventionelle Landwirtschaft (Kratochvil 2005: 1).
Strukturen, Methoden und Verfahren im Biolandbau werden denen der konventionellen
Landwirtschaft immer ähnlicher, Unterschiede zwischen den beiden Systemen immer geringer.
Die ursprünglichen ökologischen und sozialen Prinzipien verlieren an Bedeutung, ökologische
Leistungen gehen teilweise ganz verloren (Lindenthal et al. 2008: 7-10, Darnhofer et al. 2009:
514).
Betroffen ist die gesamte Produktionskette des Biolandbaus (Produktion, Verarbeitung,
Vermarktung/Handel, Konsumenten). Am deutlichsten wahrnehmbar ist die
Konventionalisierung jedoch im Bereich der Verarbeitung und Vermarktung (Darnhofer et al.
2008).
Nach Kratochvil et al. (2005: 49) umfasst die Konventionalisierung im Wesentlichen drei
Trends: „Entideologisierung“, „ Professionalisierung“ und „Differenzierung“:
-
Unter „Entideologisierung“ wird die abnehmende Bedeutung der ursprünglichen Ideale
(z.B. Ganzheitlichkeit, der Betrieb als Organismus, Kreislaufgedanken) und die
Vernachlässigung der Grundwerte der ökologischen Landwirtschaft verstanden.
-
Der Trend zu effizienteren Organisations- und Produktionsstrukturen (Zeitaufwand,
Vermarktungsstrategie usw.) wird als Professionalisierung bezeichnet. Die Definition
laut
Brockhaus:
„Prozess
der
Verberuflichung
(Verwissenschaftlichung)
handwerklicher und/oder geistiger Tätigkeiten“.
-
Die Differenzierung meint die wachstumsbedingte funktionale Ausdifferenzierung des
gesamten Öko- Bereichs (Betriebs- und Produktformen, Absatzkanäle,
Motivationsmuster usw.).
Darnhofer (2006: 157) unterscheidet noch weiter zwischen Professionalisierung und
Konventionalisierung. Dazu werden zwei unterschiedliche Formen von Veränderungen
differenziert: „first order change“ und „second order change“.
Erstere verändern im Gegensatz zu „second order change“ das System, in dem sie auftreten,
nicht. Bezogen auf den Biolandbau bedeutet das: Werte und Prinzipien des Biolandbaus gehen
nicht verloren und das System bleibt trotz der Verhaltensänderung intakt. Nach Darnhofer liegt
der Professionalisierung diese Form der Veränderung zugrunde.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
38
„Second order change“ jedoch bedeutet einen solchen Wechsel im Verhalten, welcher eine
fundamentale Umstrukturierung des gesamten Systems bewirkt. Die Prinzipien, auf denen der
Biolandbau beruht, werden untergraben, Bio wird zu einer bloßen lukrativen Alternative im
Supermarkt. Das ist gleichbedeutend mit der Konventionalisierung.
2
Dimensionen der Konventionalisierung
Abbildung 1:
2: Zusammenhänge zwischen Merkmale und Prozesse der Konventionalisierung
(eigene Darstellung beruhend auf Lindenthal et al. 2006 und Nigg/Schermer 2005).
Wie aus der Abbildung ersichtlich wird, handelt es sich bei der Konventionalisierung des
Biolandbaus um einen komplexen Prozess, der im Wesentlichen drei Sphären berührt. Die
Veränderungen vollziehen sich auf einer institutionellen Ebene, im Bereich der Vermarktung
und im Bereich der Wissens- und Produktionssysteme. Im Folgenden sollen die Entwicklungen
in den einzelnen Bereichen sowie die Wechselwirkungen zwischen ihnen genauer beschrieben
werden.
2.1
Institutionelle Ebene
Mit dem Wachstum des Bio-Sektors (die Anzahl der Bauern und Bäuerinnen und anderer
Akteure nimmt zu) kam es zu einer Ökonomisierung der sozialen Beziehungen in der Branche.
Viele neue Betreibe gehören keinem Bioverband mehr an, womit deren Bedeutung als
Knotenpunkte und Ort des Wissensaustausches schwindet (Lindenthal et al. 2008: 9).
Im Gegenzug nimmt die Bedeutung von Richtlinien und Kontrollen zu. Dies ist eine Folge der
Entregionalisierung, des erhöhten Absatzes durch den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und dem
Wachstum des Marktes. Die Richtlinien mit ihren legal vorgegebenen Kontrollmechanismen
erleichtern den Akteuren konventioneller Vermarktung die Kontrolle über die gesamte
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
39
Produktionskette (Raynolds 2004: 734). Für Nigg und Schermer (2005: 110) ist dieser Fokus auf
Kontrolle ein Anzeichen der Konventionalisierung.
Dies wird auch erkenntlich an den Institutionen, welche die Kontrolle und Qualitätssicherung
auf österreichischer Bundesebene übernehmen. AMA und BIO AUSTRIA sollen eng bezüglich der
Qualitätssicherung zusammenarbeiten, die AGES wurde als Überkontrollstelle der
Kontrollstellen bestätigt. Diese Institutionen stehen für einen Weg der weiteren
Konventionalisierung (Nigg/Schermer 2005: 115).
Auf institutioneller Ebene ist weiters eine Instrumentalisierung des Biolandbaus durch die
österreichische Politik zu erkennen. Die offizielle Politik stellt den Biolandbau als Gegenstrategie
zu den Fehlentwicklungen des Produktivismus dar. Gleichzeitig werden die Unterschiede
zwischen konventioneller und biologischer Landwirtschaft in Österreich herabgespielt. Man
versteckt sicher hinter dem Bio-Land-Image. Dies schlägt sich darin nieder, dass der Biolandbau
sehr stark in bestehende Institutionen integriert wurde, jedoch ohne dass diese Gremien einen
konkreten Arbeitsauftrag haben (Nigg/Schermer 2005: 113).
2.2
Vermarktung
1991 führten Bichlbauer und Vogel Interviews mit Bio-Bauern und –Bäuerinnen durch, bei
denen diese u.a. über ihre Einschätzung der zukünftigen Entwicklung der Vermarktung
biologischer Produkte befragt wurden. Die meisten von ihnen, unabhängig davon, ob sie
konventionelle Vermarktung 4 gut hießen oder nicht, sahen diese für die Zukunft als
unumgänglich. Sie sahen sich einem Druck in Richtung konventioneller Vermarktung ausgesetzt
(Larcher 2005: 48).
Zeitlich liegen diese Interviews vor der großen Vermarktungsoffensive für Bio-Produkte durch
den REWE-Konzern 1994. Jedoch zeichnete sich schon damals ab, dass „Bio“ von
KonsumentInnen nicht mehr als ein alternatives Gesellschaftskonzept, sondern als „Verzicht auf
Chemie“ verstanden wird (Nigg/Schermer 2005: 109). Biologische Lebensmittel dienen in den
Augen der KonsumentInnen somit primär der Sicherung der eigenen Gesundheit. Im Kontext
von Lebensmittelskandalen Anfang der 90er Jahre nutzte dies der LEH zum Einstieg in die BioLinie (Thelen/Botschen 2005: 54, 106).
Der LEH konnte in diesem Sektor seine Stellung in 16 Jahren (1994-2010) massiv ausbauen.
Laut Lebensmittelbericht 2010 wurden in Österreich 2009 66,8% aller Bio-Produkte über den
LEH vertrieben. Weitere Vermarktungswege sind Export (6,7%), Direktvermarktung (7,6%),
Bio-Fachhandel (14,2%) und Außer-Haus-Verpflegung (5,1%). Für das Wachstum 2009
maßgeblich verantwortlich war der Einstieg des Diskonters Hofer mit seiner Bio-Handelsmarke
(BMLFUW 2010: 53).
Das steigende Marktpotenzial kombiniert mit einem einheitlichen Bio-Siegel auf EU-Ebene treibt
eine Entregionalisierung des Biolandbaus voran. Das Bio-Siegel erleichterte dem LEH die
Platzierung von billigerer ausländischer biologischer Ware, um die große Nachfrage nach
biologischen Lebensmitteln zu bedienen (Brand et al. 2006: 269). Dem Export und Import
biologischer Lebensmittel kommt somit eine steigende Bedeutung zu. Europa ist zur Stillung der
In den Interviews wurde keine Begriffsdefinition von „konventioneller Vermarktung“
vorgegeben. Meistens wurde darunter jedoch die Kombination „Raiffeisen, Lagerhaus, Großhändler,
Supermarkt“ verstanden. In dieser Bedeutung wird der Begriff auch in Folge verwendet (Larcher 2005:
42).
4
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
40
Nachfrage wesentlich von Importen aus dem globalen Süden abhängig. Die importierte Ware
beschränkt sich hier nicht mehr auf tropische Produkte, wie Kaffee, Kakao, oder tropische
Früchte, sondern hat sich auf a-saisonales Gemüse und Obst, Fleisch- und Milchprodukte
ausgeweitet (Raynolds 2004: 732). Seit 2008 führen BIO AUSTRIA, AMA und die VÖM
(Vereinigung Österreichischer Milchverarbeiter) ebenfalls eine Exportoffensive. 2009 konnten
die Exporte so um 10 % gesteigert werden (BMLFUW 2010: 53). Die längeren
Transportstrecken und die Emissionen belasten die Ökoblianz biologischer Produkte (Kratochvil
et al. 2005: 416).
Was sind die Auswirkungen dieser Entwicklung für die Bauern und Bäuerinnen? Bio-Bauern und
–Bäuerinnen führten in den bereits erwähnten Interviews 1991 Vorteile der „konventionellen“
Vermarktung auf:
-
Mensch erspare sich die Zeit und Mühe der Direktvermarktung,
Marktzugang und –volumen seien größer,
sie biete gewisse logistische Möglichkeiten und gewähre Abnahmegarantien (Larcher
2005: 45, 49).
Aus der Sicht der KonsumentInnen sprechen für den LEH (den Supermarkt) ebenfalls v.a.
praktische Gründe: die breite Auswahl und die Bequemlichkeit (Erreichbarkeit, zeitsparend,
wenig Stress) (Thelen/Botschen 2005: 60).
Die Schattenseiten der konventionellen Vermarktung hingegen sind:
-
Verlust der bäuerlichen Autonomie,
Verringerung der Wertschöpfung aus der Landwirtschaft und Preisverfall,
hohes Transportaufkommen,
Probleme des KundInnenvertrauens und der Rückverfolgbarkeit aufgrund der
Anonymisierung zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen,
unübersichtliche Bürokratie und fehlende Einflussnahme der ProduzentInnen (Larcher
2005: 47, 50).
Weiters hat die Entwicklung in Österreich gezeigt, dass der LEH keine oder nur geringe
finanzielle Unterstützung für die Institutionen des Biolandbaus gewährt, obwohl er von deren
Vorleistungen profitierte (Kratochvil et al. 2005: 416). Starke Verbände liegen nicht im Interesse
des LEH, da dadurch ProduzentInnenmarken gestärkt werden könnten. Bio-Lebensmittel
werden im LEH jedoch hauptsächlich über Handelsmarken und nicht ProduzentInnenmarken
vertrieben, was die Marktmacht dieser Konzerne stärkt (Kratochvil et al. 2005: 416, BMLFUW
2010: 53).
Eng verbunden mit der Vermarktung ist die Frage der Verarbeitung. In dieser Sphäre deuten
folgende Kennzeichen auf Konventionalisierung hin:
-
Zentralisierung der Verarbeitung
zunehmende Verarbeitungsähnlichkeit von Biorohwaren und konventionellen
Produkten
zunehmender Verarbeitungsgrad und Standardisierung der Produkte, was zu einer
erhöhten Austauschbarkeit und Anonymität der Produkte führt
höherer Energie-, Transport- und Verpackungsaufwand
mangelnde Verfügbarkeit lokaler und saisonaler Produkte
steigendes Angebot von Convenience-Produkten, was zu einem erhöhten Einsatz von
Zusatzstoffen führt.
sinkende Produktqualität durch industrielle Verarbeitungsprozess
zunehmende Anpassung der für Bio-Produkte geltenden Qualitätskriterien an
konventionelle Kriterien (Lindenthal et al. 2008: 7-10).
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
41
Angesichts dieser Daten wird ersichtlich, weshalb die Vermarktung eine wesentliche Sphäre der
Konventionalisierung darstellt. Inwiefern widerspricht diese konventionelle Vermarktung nun
biologischen Prinzipien? Für den Biolandbau ist Direktvermarktung kein Grundparadigma,
jedoch stand die „Forcierung lokaler und regionaler Produktion und Distribution“ sowie das
Anstreben einer „sozial gerechten und ökologisch verantwortlichen Lebensmittelkette“ sehr
wohl im Vordergrund (Lindenthal et al. 2006: 1).
Dass diese Ziele aufgrund der oben genannten Merkmale der konventionellen Vermarktung nur
bedingt erfüllt werden, sollte sich aus den genannten Nachteilen ergeben. Weiters ist zu
bedenken, dass der Biolandbau damit Teil einer Lebensmittelkette wird, in der soziale
Gerechtigkeit nicht im Vordergrund steht (siehe dazu Samsa 2008: s.p. und Institut für Arbeit
und Technik 1999: s.p.).
Die Veränderung des Vermarktungssystems hatte wesentliche Auswirkungen auf die Struktur
des Biolandbaus als Produktionssystem. Aufgrund des steigenden ökonomischen Drucks seitens
des LEH kam es zu einer stärkeren Spezialisierung der Betriebe und der Ausbildung größerer
Bio-Betriebe. Dies führt dazu, dass immer größere Produktmengen erzeugt werden, die eine
Direktvermarktung kaum mehr ermöglichen. Die Rohware wird an die Verarbeitungsindustrie
oder ä. abgegeben und anonymisiert (Lindenthal et al. 2008: 8). Ein Kreislauf entfaltet sich.
3
Wissens- und Anbausysteme
Kratochvil et al. (2005: 48f) und Lindenthal et al. (2008: 7f) sprechen von folgenden Merkmalen
und Kennzeichen der Konventionalisierung auf betrieblicher Ebene:
-
„input substitution approach“: die Betriebsumstellung wird häufig zu einer von Rosset
& Altieri (Kratochvil et al. 2005: 416- 417) als „input substitution approach“
bezeichneten Vorgehensweise. Dabei werden die in der konventionellen
Landwirtschaft eingesetzten chemisch-synthetischen Betriebsmittel bloß durch
„harmlosere“ im Biolandbau zugelassene Inputs/Betriebsmittel ersetzt (Lindenthal et
al. 2006: 6). Die Richtlinien werden durch derartige Maßnahmen zwar eingehalten,
aber durch den Einsatz aller darin erlaubten Betriebsmittel bis ans Maximum
ausgereizt (Kratochvil et al. 2005: 48-50). Begünstigt wird diese Form der
Betriebsführung nach Allen und Kovach (2000) durch die Art und Ausgestaltung der
Richtlinien sowie das existierende ökonomische System.
„So wird die Verordnung (EWG) 2092/91 von manchen AkteurInnen in der Beratung
ausschließlich in Form der Tabellen des Anhanges II rezipiert und an die Erzeuger
weitergegeben, d.h. als Liste der erlaubten Bodenverbesserer, Dünge- oder
Pflanzenschutzmittel, ohne jene Einschränkungen und Vorbedingungen zu
kommunizieren, die in Anhang I festgelegt sind“ (Kratochvil 2005 : 10f).
-
Steigerung und Maximierung der pflanzlichen und tierischen Erträge, z.B.
Getreideertrag per Hektar oder Milchproduktion je Laktation
-
Gewinnmaximierung
-
Betriebswachstum und Strukturwandel („Wachsen oder weichen“)
-
Spezialisierung und Intensivierung der Betriebe
-
Industrialisierung: Mechanisierung, Organisation der betrieblichen Abläufe, Nutzung
von Skaleneffekten (Darnhofer et al. 2009: 514)
-
die Spezialisierung führt zur Entkoppelung von Tierhaltung und Pflanzenbau,
42
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
Futtermittel kommen nicht mehr vom eigenen Betrieb und müssen zugekauft werden
→ die betrieblichen Stoffkreisläufe werden aufgebrochen.
4
-
Steigerung im Einsatz externer Betriebsmittel (Düngemittel, Futter, etc.)
-
konventionelle Symptombehandlung und Lösungsansätze anstatt ökologischer
Überlegungen bei Problemen im Bereich des Pflanzenschutzes oder der Tiergesundheit
-
schlechter werdende Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzqualitäten
-
Einsatz leichtlöslicher organischer Stickstoffdüngemittel
Zuckerrübenreste) als Ersatz für Leguminosen
-
Verlust an ökologischer Vielfalt durch Spezialisierung auf wenige Sorten und Rassen
-
Pflanzenbau: großflächiger Anbau weniger Kulturen und rentabler Sorten, schlechtere
Anpassung der Sorten an den Standort, Anbau von für den Biolandbau weniger
geeigneten Sorten, Verengung von Fruchtfolgen und damit erhöhtes Risiko von
Fruchtfolgekrankheiten, Unterschreiten der Anbaupausen, steigender Getreide- und
sinkender Leguminosenanteil
-
Tierhaltung: konventionelle Selektionskriterien in der Zucht (z.B. die Leistung pro
Laktation bei Milchkühen) sowie den konventionellen zunehmend ähnlicher, v.a.
einstreuärmer werdenden Haltungssystemen, Abnahme der Nutzungsdauer, Zunahme
von Kraftfutter, Futterzusatzstoffen und konventionellen Tierarzneimitteln,
vermehrtes Auftreten von Stoffwechselstörungen, Konstitutionsschwächen und
Verhaltensstörungen (z.B. Federpicken)
-
vorbeugende Pflanzenschutzmaßnahmen weichen zugekauften Pflanzenschutzmitteln,
wie z.B. Kupfer und Schwefel, die Bedeutung von Nützlingsbiotopen wie Hecken und
Rainen nimmt ab oder geht dadurch ganz verloren
-
Auftreten von Ampfer: begünstigt durch eine Kombination von Maßnahmen (zu
intensive Düngung, zu früher Schnittzeitpunkt und zu hohe Schnitthäufigkeit) mit
verstärkter Ausrichtung auf ökonomische Erfolge
-
Bodenverdichtung verursacht durch Mechanisierung: Zunahme des Gewichts von
Maschinen und bestimmte Bodenbearbeitungsverfahren
(z.B.
Vinasse
und
Konventionalisierung und Ernährungssouveränität
Schlussendlich soll am Ende dieses Beitrags noch die Brücke geschlagen werden, zwischen der
Konventionalisierung des Biolandbaus und der Umsetzung von Ernährungssouveränität. Als Basis für
die Begriffsdefinition von Ernährungssouveränität dient hier die Erklärung von Nyéléni aus dem
Jahr 2007. Forderungen aus der Deklaration werden direkt den aktuellen Entwicklungen des
Biolandbaus gegenüber gestellt.
„Ernährungssouveränität stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, verteilen und
konsumieren, ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht die Interessen der Märkte und der
transnationalen Konzerne. [...] Sie ist eine Strategie des Widerstandes und der Zerschlagung
derzeitiger Handels- und Produktionssysteme, die in den Händen multinationaler Konzerne
liegen“ (Erklärung von Nyéléni 2007: s.p.).
Die Konventionalisierung des Biolandbaus führt zu einer stärkeren Einbindung dessen in
nationale und internationale Märkte (vgl. Allen/Kovach 2000). Vom steigenden Umsatz von BioLebensmitteln profitieren aufgrund der sinkenden Preise und der Verschiebung der
Wertschöpfung hin zur verarbeitenden Industrie und dem LEH nicht mehr die Bauern und
Bäuerinnen, sondern die Verarbeitung und der Handel. Setzt sich diese Entwicklung fort, dann
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
43
verändert der Biolandbau nicht das Gesellschaftssystem, sondern er passt sich daran an
(Nigg/Schermer 2005: 116).
Weiters wird eine Welt gefordert,
„[...] in der wir unsere Vielfalt an Fähigkeiten, Nahrungsmitteln, Sprachen und Kulturen [...] als
humanen Wert anerkennen und schätzen“ (Erklärung von Nyéléni 2007: s.p.).
Dadurch, dass sich Bio-Lebensmitteln durch die Verarbeitung und durch die gesetzten Standards
den konventionellen Produkten immer mehr annähern, geht Vielfalt verloren (Kratochvil et al.
2005: 416). Bio-Lebensmittel werden Teil der „commercial pseudo-variety“ (Weis 2007: 16).
„[...] in der Agrarreformen die Beziehungen zwischen Produzierenden und Konsumierenden
wiederbeleben, das Überleben der Gemeinschaft, die wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit,
die ökologische Nachhaltigkeit und die Gemeindeautonomie sichern, mit gleichen Rechten für
Frauen und Männer“ (Erklärung von Nyéléni 2007: s.p.).
Konventionelle Vermarktungswege führen zu einer Anonymisierung der Marktbeziehungen. Es
gibt weniger Kontakt zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen (Kratochvil et al. 2005:
416).
In der derzeitigen Form ist der LEH in vielen Ländern Europas kein Musterbeispiel für faire
Arbeitsbedingungen der dort Angestellten. Deswegen und aufgrund des Preisdruckes, welcher
auf die ProduzentInnen weitergegeben wird, ist die Einbindung des Biolandbaus in diese
Ausprägung der konventionellen Vermarktung nicht förderlich zum Erreichen von
wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit (Samsa 2008: s.p.).
Letztlich führt die Konventionalisierung zu Veränderungen im Produktionssystem, welche die
ökologische Nachhaltigkeit, selbst von Bio-Produkten, gefährden können (Kratochvil et al. 2005:
416).
„Ernährungssouveränität stellt lokale und nationale Wirtschaft und Märkte in den Mittelpunkt“
(Erklärung von Nyéléni 2007: s.p.).
Durch den gestiegenen internationalen Handel von biologischen Produkten, der sich nicht mehr
nur auf „exotische Produkte“ beschränkt, ist der Biolandbau von einem seiner Grundziele, der
regionalen Produktion und Distribution, wesentlich abgewichen (vgl. Raynolds 2004).
„Sie fördert bäuerliche Landwirtschaft, Familienbetriebe sowie den traditionellen Fischfang und
die Weidewirtschaft“ (Erklärung von Nyéléni 2007: s.p.).
Mit weiterem Fortschreiten der Konventionalisierung ist nicht auszuschließen, dass sich
aufgrund der konventionellen Vermarktung verstärkt ein Trend des „Wachsens oder Weichens“
auch im Biolandbau durchsetzt. Auch im Biolandbau, welcher seine Wurzeln doch in
kleinbäuerlichen Strukturen hat, würde somit die bäuerliche Landwirtschaft dem „Unternehmen
Landwirtschaft“ weichen (vgl. Gross 2002: 264f).
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
44
Literaturverzeichnis
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Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
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Weis, Tony (2007): The global food economy. The battle for the future of farming. London: Zed
books, 11-46.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
46
Zusammenfassungen der Veranstaltung „Die Zeit ist reif für
Ernährungssouveränität“ vom Mittwoch, 8. Juni 2011, BOKU Wien.
Inhaltsverzeichnis:
1 Vortrag: Ernährungssouveränität durch biologische Landbewirtschaftung (Prof.
Haiger).......................................................................................................................................................... 48
2
Vortrag: Ernährungssouveränität und die GAP (A. Strickner) ...................................... 50
3 Vortrag: Ernährungssouveränität und Biolandwirtschaft in Afrika. Ein
Widerspruch? (Dr. Hauser) .................................................................................................................. 52
4 Film & Diskussion: „Die Dinge könnten auch anders sein…“ – Lernprozesse in
Demokratie, Mitbestimmung und Zusammenleben für Ernährungssouveränität?
(Planquadrat) ............................................................................................................................................ 54
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
47
1
Vortrag: Ernährungssouveränität durch biologische
Landbewirtschaftung (Prof. Haiger)
Vortragender: Prof. Alfred Haiger, langjähriger Vorstand des Instituts für
Nutztierwissenschaften BOKU und einer der „Gründerväter“ des Biologischen Landbaus an der
Universität für Bodenkultur Wien.
Uhrzeit: 13:00 bis 15:00
Teilnehmerzahl: ca. 100
Zusammenfassung verfasst von Georg Thünauer
Als erstes stand die Aufforderung sich sachkundig zu machen, denn „Wer nichts weiß, muss alles
glauben!“.
„Jeder souveräne Staat muss seine Grundnahrungsmittel auf Basis der natürlichen
Bodenfruchtbarkeit und artgerechten Tierhaltung selbst erzeugen und gleichzeitig die
gewachsene Kulturlandschaft pflegen“.
In den vergangenen 60 Jahren gab es eine Bevölkerungsexplosion: Die Weltbevölkerung hat sich
innerhalb einer Lebensperiode auf das 3-fache erhöht, was zur Problematik der Versorgung mit
Grundnahrungsmitteln führt. Nach der ersten Welle der Kolonialisierung durch Frankreich,
England und Spanien folgt nun die zweite Welle der Kolonialisierung in Afrika. Bisher sind 1,8
Mio. Hektar Ackerland in Afrika von China gepachtet. Bei einer Steigerung der Bevölkerung und
einer damit einhergehenden Senkung des nutzbaren fruchtbaren Landes kommt es zwangsläufig
zur Nahrungsmittelknappheit. Ein Volk das seine Grundnahrungsmittel nicht selbst erzeugt ist
erpressbar. Von Interesse für die Gesellschaft sollte sein, dass jede/r in seinem Land leben kann!
Aus dem Gesichtspunkt der biologischen Landbewirtschaftung muss man sagen: Wenn die
KonsumentInnen gesunde Lebensmittel wollen, die ohne Pestizide produziert wurden, müssen
sie auch bereit sein dafür mehr zu bezahlen. Die Strukturen der Landwirtschaft richten sich nach
den Möglichkeiten der technischen Entwicklung. „Wer das Geld hat macht die Regeln“.
„Kapitalismus ist das Modell einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der die
wirtschaftlichen, sozialen und politischen Beziehungen der Menschen sowie der Organisationen
und Institutionen wesentlich von den Interessen derer bestimmt werden, die über das Kapital
verfügen“ (Brockhaus Enzyklopädie). Eigentlich sollte man sich eher nach dem Motto:
„Kümmern Sie sich nicht um den Ölscheich, sondern um den Regenwurm – er arbeitet 24h am
Tag und hat keine Gewerkschaft“ richten.
Ein Artenverlust in unseren Kulturlandschaften geht mit dem Strukturverlust einher. Dieser ist
oberirdisch sichtbar aber unter der Oberfläche noch viel drastischer.
Eine Taktik der Politik in diesem Zusammenhang ist es zu vernebeln. Einfaches wird schwierig
gemacht, um Menschen davon abzuhalten sich damit zu befassen.
Man sollte nie aus den Augen verlieren, dass tierisches Leben – insbesondere auch das
Überleben des Menschen – nur auf der Basis von gesundem pflanzlichem Leben möglich ist –
niemals umgekehrt!
Auch sollte man bei seinen Ernährungsgewohnheiten nie vergessen, dass tierische Lebensmittel
immer mit einem enormen Energieverlust einhergehen. Von den anfänglich 100% der Energie,
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
48
die von der Sonne auf die Erde gestrahlt werden, können nur etwa 44% von der Pflanze
photosynthetisch verwertet werden. Die verwertbare Energie nach Ernte und Verarbeitung liegt
bei etwa 5%, bei der Verwertung durch ein Tier fällt man auf etwa 3%, und als Menschliche
Nahrung in Form von tierischen Lebensmitteln bleiben nur etwa 1% der anfänglichen Energie.
Auch sollte man seine tierischen Lebensmittel gut auswählen. Man bedenke, dass man für die
Produktion von 1000kg tierischem Eiweiß in Form von Fleisch 10 ha Ackerland (Getreide)
benötigt, für die gleiche Menge Eiweiß in Form von Milch allerdings nur 5 ha Grünland. Wenn
man dann noch von der Nahrungskonkurrenz zwischen Tier und Mensch bei der Verwertbarkeit
der Nährstoffe ausgeht, wird die Problematik noch anschaulicher. Dieser falsche Trend ist
allerdings leider auch in der Rinderzucht sichtbar – gezüchtet wird auf Getreideverträglichkeit
der Tiere und nicht auf Grundfutterverdauung.
Beim Thema der Nahrungskonkurrenz stellt sich auch die Frage, wofür werden die produzierten
Nahrungsmittel verwendet. Produzieren wird für Tank, Teller oder Trog?
Abschließende Aussage: „Auf einer begrenzten Weilt ist das Leben nicht unbegrenzt! Nur auf
fruchtbarem Boden kann der Mensch auf Dauer leben! Weizen Verheizen ist eine Sünde! Eine
gerechte Güterverteilung ist unabdingbare Voraussetzung für den Frieden.“
Literatur:
Haiger A. (2005) Naturgemäße Tierzucht. Österreichischer Agrarverlag, Leopoldsdorf.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
49
2
Vortrag: Ernährungssouveränität und die GAP (A. Strickner)
Vortragende: Alexandra Strickner, Ökonomin und bis 2009 Mitarbeiterin des Institute for
Agriculture and Trade Policy, Vorsitzende von Attac Österreich.
Uhrzeit: 15:00-17:00
TeilnehmerInnen-Zahl: 90-100
Zusammenfassung verfasst von Georg Weissenböck
Die studierte Volkswirtin Alexandra Strickner hat in ihrem Vortrag versucht, im Rahmen der
Aktionstage einen kurzen Überblick über die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (kurz: GAP) zu
geben. Diese beschreibt sie in vier Kapiteln: Ursprünge, Entwicklung und Kritik,
Ernährungssouveränität, sowie GAP-Reform.
Schon lange hatte es im Agrarbereich Handelsschranken gegeben, die Länder haben ihre Bauern
geschützt. Nach dem zweiten Weltkrieg war eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln
erste Priorität. Man schuf in der jungen europäischen Gemeinschaft eine gemeinsame
Agrarpolitik mit den Zielen, einen einheitlichen Markt zu schaffen, regionale Unterschiede zu
minimieren und das Projekt gemeinsam zu finanzieren. Werkzeuge waren Importzölle,
Lagerhaltung, Interventionspreise und später immer mehr Exportsubventionen.
Die Überproduktion ab den 70er-Jahren machte Ängsten vor einer Unterversorgung ein Ende.
Die fehlenden Produktionsbeschränkungen führten zu einem verstärkten Strukturwandel hin
zur stark industrialisierten Landwirtschaft. Der garantierte Interventionspreis führte zu einer
immer höheren Produktion, weshalb der Export als Lösung gesehen wurde. Dieser verursachte
jedoch ein massives Preisdumping in Entwicklungsländern und zerstörte die dortige
traditionelle Landwirtschaft. Dazu kamen eine ungleiche Verteilung der Gelder,
Umweltverschmutzung und eine immer größer werdende Budgetproblematik. Immer wieder
wurden Reformen der GAP versucht: es kam zu Mengenbeschränkungen, Umweltprogrammen,
Flächenstilllegungen und vermehrten Direktzahlungen.
Die Vision eines globalen, freien Weltmarkts, brachte den Konflikt mit großen
Agrarexportländern. Die internen Marktpreise wurden an die Weltpreise angepasst, es kam
jedoch gleichzeitig zu einem indirekten Dumping durch Direktzahlungen. KonsumentInnen
zahlen nun 3-fach für die Fehler der Politik: den Einkaufspreis, die Direktzahlungen durch
Steuergelder sowie allfällige Umweltsanierungen. Viele Kleinbauern und -bäuerinnen können
dem Preisdruck nicht mehr Stand halten und sind zur Aufgabe gezwungen. Gewinner der Politik
sind die Industrie, Exporteure und große Landwirte.
Im Zentrum des Konzepts der Ernährungssouveränität steht eine qualitative, keine quantitative
Landwirtschaft. Der Handel mit Nahrungsmitteln ist wichtig und soll betrieben werden. Ziel ist
jedoch eine möglichst regionale und selbstbestimmte Produktion. Erreicht werden muss eine
nachhaltige Landwirtschaft, welche die Welt ernährt, zum Klimaschutz beiträgt und das
Ernährungsbewusstsein erhöht.
Wie können diese Ziele nun erreicht werden? Eine Regulierung der europäischen
Landwirtschaft scheint unausweichlich. Nur indem man sich vom globalen Wettbewerb entfernt,
sind faire Preise und lokale Märkte möglich. Eine Reform der GAP, weg von Direktzahlungen,
kann zu gerechteren Produktionsbedingungen für Bauern und Bäuerinnen, ökologisch
nachhaltigen Produkten und gesunden, leistbaren Lebensmitteln führen.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
50
Links und Literatur:
Choplin G., Strickner A., Trouvé A. (Hg.), Ernährungssouveränität. Für eine andere Agrar- und
Lebensmittelpolitik in Europa (Wien 2011).
Mit offenen Karte,
watch?v=BRtYxOQ_REw
Gemeinsame
Agrarpolitik,
Wozu?,
Europische
Kommission,
Die
gemeinsame
http://ec.europa.eu/agriculture/publi/capexplained/cap_de.pdf
http://www.youtube.com/
Agrarpolitik
erklärt,
Die grüne Bildungswerkstatt Wien, Die gemeinsame Agrarpolitik in Europa – Auswirkungen und
Alternativen, http://www.gbw-wien.at/article607.htm
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
51
3
Vortrag: Ernährungssouveränität und Biolandwirtschaft in Afrika. Ein
Widerspruch? (Dr. Hauser)
Vortragender: Dr. Michael Hauser, Leiter des Center for Development Research, BOKU
Uhrzeit: 17:00 – 19:00
TeilnehmerInnen-Zahl: 50-60
Zusammenfassung verfasst von Ulrike Jaklin
Michael Hauser widmete sich in seinem Vortrag der Frage, was Biologischer Landbau zur
Erreichung von Ernährungssouveränität in Afrika beitragen kann.
Ausgehend von der Tatsache, dass von 925 Mio. Hungernden weltweit 239 Mio. in Afrika leben,
wurden aktuelle und historische Ursachen für den Hunger genannt. Spekulationen auf
Nahrungsmittel, verringertes Ertragsniveau aufgrund von klimatischen Veränderungen,
Landnutzungsveränderungen, geringeres Einkommen durch die wirtschaftliche Krise und eine
Vernachlässigung der Landwirtschaft und der ländlichen Entwicklung seitens der afrikanischen
Regierungen und der EZA-Institutionen in den letzten Jahrzehnten sind mitverantwortlich für
die große Anzahl an hungernden Menschen.
In der Geschichte seit der Unabhängigkeit der meisten afrikanischen Staaten sind noch weitere
Gründe für die jetzige Situation zu finden. Zunächst war es das Bestreben vieler Staaten, im Zuge
des nation-building auch die eigene Versorgung mit Lebensmittel sicher zu stellen. Die
bäuerliche Landwirtschaft wurde als Wachstumssektor gesehen und gefördert. Die Politik kam
dem Konzept der Ernährungssouveränität somit recht nahe. Jedoch gründete diese Entwicklung
auf kolonialen Strukturen und blieb weiterhin auf den internationalen Markt ausgerichtet. Das
Konzept der Ernährungssicherheit rückte somit langsam in den Vordergrund. Ein wesentlicher
Bruch erfolgte mit den Strukturanpassungsprogrammen, welche vielen afrikanischen Staaten
infolge der Schuldenkrise von den internationalen Finanzinstitutionen vorgeschrieben wurden.
Zur Gewinnung von Devisen zur Schuldentilgung sollten sie ihre Landwirtschaft noch mehr auf
Export ausrichten (Baumwolle, Kakao, Kaffee).
Alle afrikanischen Länder sind heute Netto-Importeure von Lebensmitteln. Die Frage der
Ernährungssicherheit wird in Afrika breit debattiert. Ernährungssouveränität als Konzept ist
allerdings meist nur in der Zivilgesellschaft verankert.
Nach einer Abgrenzung des Begriffes Ernährungssicherheit von Ernährungssouveränität
wurden noch die Prinzipien der Ökologischen Landwirtschaft (ÖLW) dargestellt. Speziell im
afrikanischen Kontext ist es hierbei wichtig, zwischen zertifizierter und nicht-zertifizierter ÖLW
zu unterscheiden. Für viele zertifizierte Betriebe entspricht ÖLW der Nicht-Verwendung von
synthetischen Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln, die Prinzipien, wie sie z.B. in den
IFOAM-Richtlinien genannt werden, spielen eine untergeordnete Rolle. Außerdem sind diese
hauptsächlich auf den Export ausgerichtet, da in Afrika de facto kein lokaler Markt für zertifiziert
biologische Produkte besteht.
Auf zertifizierte Betriebe bezieht sich auch die folgende Gegenüberstellung von Kohärenzen und
Dissonanzen zwischen ÖLW und Ernährungssouveränität:
-
Kohärenzen:
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
52
o
o
o
-
Die Grüne Revolution in der Landwirtschaft wird abgelehnt.
Lokales Wissen wird aufgewertet.
Beide basieren auf kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Kleinbäuer_innen sind bei
zertifizierten Betrieben jedoch häufig nur contract farmers und befinden sich
somit in einer Abhängigkeit vom Exporteur.
Dissonanzen:
o
o
o
o
o
Kommerzialisierung und nicht Selbstversorgung ist das Ziel zertifizierter ÖLW.
Selbstbestimmung wird nicht erreicht, da die Exporteure über die Produktion
bestimmen und das Bio-Zertifikat besitzen.
Die Produktion ist primär am Wohl der KonsumentInnen (in Europa, USA, etc.)
ausgerichtet.
Die Marktdominanz einzelner Exporteure widerspricht dem Prinzip der
Gerechtigkeit.
Preisregulierung, Landreform und ein neues Gleichgewicht zwischen Stadt und
Land sind kein Thema.
An und für sich widersprechen sich ÖLW und Ernährungssouveränität nicht. Gerade die
zertifizierte Biologische Landwirtschaft hätte jedoch noch einiges von Ernährungssouveränität
zu lernen. Andererseits geht das Prinzip der Ernährungssouveränität auch einigen Bäuer_innen
zu weit, wenn es zu sehr auf Subsistenz ausgerichtet ist.
Links/Literatur zum Thema:
Center for Development Research: http://www.boku.ac.at/cdr.html
Gezeigter Film: http://www.youtube.com/watch?v=5cj8IpX1uBA
Participatory Ecological Land Use Management: http://www.pelumrd.org/
Global Information and Early Warning System on food and agriculture:
http://www.fao.org/giews/english/index.htm
Food Issue von Foreign Policy mit erwähntem Artikel von Lester Brown:
http://www.foreignpolicy.com/the_food_issue
IFOAM: http://www.ifoam.org/index.html
Halberg, N.; Alroe, H.F.; Knudsen, M.T.; Kristensen, E.S. (Hrsg., 2006): Global Development of
Organic Agriculture. Challenges and Prospects. Oxfordshire, Cambride (USA)): CABI Publishing.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
53
4
Film & Diskussion: „Die Dinge könnten auch anders sein…“ –
Lernprozesse in Demokratie, Mitbestimmung und Zusammenleben für
Ernährungssouveränität? (Planquadrat)
Vorführung einzelner Ausschnitte der prozessualen Dokumentarfilmreihe „Planquadrat
Ländlicher Raum“ mit anschließender Diskussion
Gäste: Elisabeth Guggenberger und Helmut Voitl: beide Macher der Serien; August Steyrl,
Biolandwirt der ersten Stunde und Mitbegründer der ÖBV
Uhrzeit: 19.30 – 22 Uhr
Teilnehmende: rund 120
Zusammenfassung verfasst von Magdalena Scheuch
Die Initiative „Planquadrat – Ländlicher Raum“ (in Wien gab es zuvor [1974 – 1976] ein
weiteres, das die BewohnerInnen eines Blockes motivieren sollte, sich an der Sanierung eines
heruntergekommenen Häuserblocks inklusive gemeinschaftlichem Gartenhof zu beteiligen)
wurde durch die dokumentarische Filmarbeit von Elisabeth Guggenberger und Helmut Voitl
etwa ein Jahr lang begleitet.
Wie auch zuvor in Wien, war auch hier das Ziel, eine Hilfestellung der ländlichen Bevölkerung in
den Gebieten Weitersfelden, Kaltenberg, Liebenau (alle OÖ) und Großgerungs und Langenschlag
(NÖ) zu bieten und die aktive Beteiligung eben dieser in allen von ihnen betroffenen Bereichen
zu fördern. Diverse Filmausschnitte zeigen zuerst die Gegebenheiten der ausgesuchten
peripheren Landstriche, die vor allem durch Grenzertragsflächen, Forstwirtschaft und
Nebenerwerbsbauern und -bäuerinnen gekennzeichnet waren. Schon bald zeigte das Projekt
erste Erfolge: Ein Straßenbau durch ein Dorf wurde durch die Mitarbeit der BewohnerInnen an
die bestehende Dorfstruktur angepasst, ohne Nachteile für irgendwen. Ein weiterer Aspekt der
Filmserie war die anfängliche Zurückhaltung vor der Autorität diverser Institutionen und der
beginnenden Selbstbestimmung und Selbstbewusstseinssteigerung der Bevölkerung.
Vor allem die einheitliche Bauernpolitik war Mittelpunkt des Interesses. Durch die Zunahme der
Kunstdünger und die damit einhergehende Verschlechterung der Futterqualität, der
Bodengesundheit, Fruchtbarkeitsstörungen und die gestiegenen Betriebskosten, kam es zu der
Idee der „Gesundheitskost“.
Aber gerade die Bauern und Bäuerinnen waren skeptisch. Durch eine Umfrage des ORF
[„Würden Sie ohne Kunstdüngerproduzierte Lebensmittel kaufen?“ und „Würden Sie mehr dafür
zahlen?“], die mehr als 14 000 positive Rückmeldungen brachte, wurde diese mögliche
Wirtschaftsweise an die bäuerliche Bevölkerung herangetragen.
Doch es gab nicht nur positive Rückmeldungen. Raiffeisen und andere Interessensgruppen
setzten die Filmarbeiter unter enormen Druck. Resultat war ein einjähriges Berufsverbot für
Voitl und Guggenberger. Aber vor allem durch diese Filmreportagen „Planquadrat“ und
„Bodenkultur“ wurde die Idee des biologischen Anbaus der Öffentlichkeit präsentiert und
gleichzeitig war der Anstoß für die Bauern und Bäuerinnen gegeben, die ökologische
Landwirtschaft zu forcieren.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
54
Damit wäre grundsätzlich der Grundstein für Ernährungssouveränität gelegt: ProduzentInnen
und KonsumentInnen rücken einander näher und werden ins Zentrum der
Entscheidungsprozesse gestellt. Die Kontrolle obliegt den regionalen ProduzentInnen; sie
erhalten hohen Stellenwert und deren Rechte werden respektiert. Durch schonende
Produktionsmethoden und ohne Einsatz von Pestiziden und Gentechnik wird die Biodiversität
geschützt, durch eigene Saatgutvermehrung die Agrobiodiversität gefördert.
Ob diese Prinzipien der Biopioniere und der Ernährungssouveränität in der heutigen Realität
umgesetzt wurden und werden, kann diskutiert werden.
Literatur:
Voitl H. (Hg.): Der biologische Landbau – Begleitinformationen zu den Fernsehfilmen
„Bodenkultur“ und „Planquadrat Ländlicher Raum“ (Wien 1979).
http://www.film-film.at/
Rohrmoser, Franz (2001): Erschließung neuer Formen der Konfliktbearbeitung in bäuerlichen
Strukturfragen. Nachzulesen unter: http://www.bauernkonflikte.at/
Pimbert, Michel (2010): Transformation for Food Sovereignity: Reclaiming Citizenship –
empowering civil society in policy-making (Part III: Chapter 5). Nachzulesen unter:
http://pubs.iied.org/G02612.html
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
55
Zusammenfassungen der Veranstaltung „Die Zeit ist reif für
Ernährungssouveränität“ vom Donnerstag, 9. Juni 2011, BOKU
Wien.
Inhaltsverzeichnis
1
Workshop: Politisches Engagement für Ernährungssouveränität ............................... 57
2
Workshop: Saatgut und Ernährungssouveränität .............................................................. 59
3
Workshop: Wie gründe ich eine Foodcoop? ......................................................................... 61
4
Workshop: Ernährungsautonomie auf Hofkollektiven .................................................... 63
5 Workshop: Pflanz dir deine Stadt! Guerilla Gardening als Strategie zur städtischen
Ernährungssouveränität ....................................................................................................................... 65
6 Podiumsdiskussion: Ernährungssouveränität: Strategien und Perspektiven –
Welche Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik brauchen wir? ....................................... 67
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
56
1
Workshop: Politisches Engagement für Ernährungssouveränität
Leiterinnen: Karin Okonkwo- Klampfer (ÖBV-Via Campesina Austria), Julianna Fehlinger (attac)
Uhrzeit: 12:00-14:00
Teilnehmende: 9
Zusammenfassung verfasst von Moritz Maurer
Ernährungssouveränität ist ein politischer Kampfbegriff, kein fertiges Konzept. Der Begriff wird
seit der Welternährungskonferenz in Rom 1996 diskutiert und wurde von Via Campesina ins
Leben gerufen.
Ernährungssouveränität wurde als Gegenbegriff zu Ernährungssicherheit eingeführt, da
Ernährungssicherheit zu kurz greift und qualitative, ethische und ökologische Ansprüche
vernachlässigt.
Auch bei gegebener Ernährungssicherheit in einem Land kann trotzdem ein Teil der
Bevölkerung keinen Zugang zu ausreichenden Nahrungsmitteln haben.
Ernährungssouveränität ist weder mit Autarkie noch Ernährungssicherheit gleichzusetzten. Der
Fokus muss sich von einer Produktion für den Lebensmittelmarkt zu einer Produktion für das
Umfeld bewegen.
Der Begriff Ernährungssouveränität ist unglücklich gewählt, weil man damit leicht ins
nationalistische Eck gestellt werden kann, da nationalistische Gruppen teilweise sehr ähnlich
argumentieren. Der Begriff ist lang und nicht einfach und ist nicht selbsterklärend. Eine Idee ist,
den Begriff sehr stark zu besetzen und mit Leben zu füllen, um die Erklärung zu vereinfachen
und einen Missbrauch zu verhindern.
Eine anwesende Bäuerin erklärt, wie sie versucht, den Begriff zu verwenden: „Wir versuchen in
einer Art Lebensmittelkooperative unsere Produkte weiterzugeben. Wir sind ein Kleinstbetrieb.
Vorrangig ist für uns momentan unseren Eigenkonsum abzudecken.“
Ist Ernährungssouveränität bei einem Einkauf im Lebensmitteleinzelhandel überhaupt möglich?
Eine Möglichkeit, die bereits existiert sind demokratische Lebensmittelhändler.
Im jetzigen Supermarktsystem ist Ernährungssouveränität nicht erreichbar. Große
Lebensmitteleinzelhandelsketten agieren sehr dominant. Die Supermarktketten sind so
aufgebaut, dass man Profite abschöpfen können muss. In einem demokratischen Supermarkt
muss das nicht so sein.
Natürlich benötigen Ballungszentren Organisation zur Lebensmittelverteilung. Ziel ist nicht,
dass jede/r durch Ab-Hofverkauf seinen, ihren Lebensmittelbedarf abdeckt.
Im jetzigen Supermarkt gibt es keine Mitbestimmung der Kund_innen, sondern die Kundschaft
wird manipuliert.
Die EU setzt Standards für Lebensmittel so, dass der Binnenmarkt gestärkt wird.
Immer mehr Menschen hören mit Direktvermarktung auf, da sie Hygienerichtlinien nicht
erfüllen können. Hinzu kommen Schwierigkeiten mit Sozial- und Krankenversicherung.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
57
Dabei werden von den Nationalstaaten Gesetze implementiert, mit Bezug auf EU
Hygienerichtlinie, die mit diesen nichts zu tun haben. Global-GAP Kriterien sind viel strenger als
EU-Richtlinien. Diese wurden von Supermarktketten ausgehandelt.
Ein Freiburger Hofkollektiv konnte innerhalb von ein paar Monaten über Radio etc. genug
Menschen ansprechen, dass Zertifizierung ihrer Lebensmittel obsolet wurde und sie diese
ausreichend direkt vermarkten konnten.
Auf kleinen LebensmittelherstellerInnen und WeiterverarbeiterInnen lastet ein großer Druck,
da sie Hygienerichtlinien nicht einhalten können. Kritik an den Bestimmungen von
Konsumentenseite ist hier sehr schlagkräftig.
In den letzten 20 Jahren haben Supermärkte ihre Produktauswahl/ Kriterien sehr stark an die
Vorstellungen von Kunden angelehnt (Bio, Vorstellungen von Aussehen und Konsistenz von
Lebensmitteln etc.) Die Kosten wurden aber an die ProduzentInnen weitergegeben. Der hohe
Preisdruck veranlasst Bäuerinnen dazu, Kosten zu externalisieren, die dann von der
Allgemeinheit getragen werden müssen.
Die ÖBV versucht Kritik sowohl in Institutionen, als auch außerhalb der Institutionen
einzubringen.
Links und Literatur:
www.viacampesina.at
www.attac.at
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
58
Workshop: Saatgut und Ernährungssouveränität
2
Workshop-Leiterin: DI (FH) Franziska Lerch, Arche Noah
Uhrzeit: 13.00-15.00 Uhr
Teilnehmende: 22
Zusammenfassung verfasst von Isabella Hiebaum
Der Workshop wurde von DI (FH) Franziska Lerch abgehalten. Sie ist Mitarbeiterin beim Verein
Arche Noah in Langenlois. Arche Noah wurde vor 20 Jahren gegründet und hat sich die Aufgabe
gestellt, das Wissen um Kulturpflanzenvielfalt und Saatgutgewinnung, sowie das Saatgut
seltener Kulturpflanzen selbst, weiterzugeben und zu fördern.
An dem Workshop nahmen 22 Personen teil. Nach einer kurzen Einleitung, wurden vier
Gruppen gebildet, die sich zu vier unterschiedlichen Themen Gedanken machen sollten.
Die Themen waren:
1.
2.
3.
4.
Wo stammen unsere Kulturpflanzen her?
Was ist auf unseren Feldern, Wiesen, Wäldern früher gewachsen und was wächst heute?
Wie stellt sich die Situation auf dem Saatgutmarkt heute dar?
Welche Handlungsmöglichkeiten bieten sich uns um die Souveränität bei Saatgut wieder
zu erlangen?
Die Gruppen hatten ca. 20 Minuten Zeit, um zu diskutieren und präsentierten dann die
Ergebnisse.
Die erste Gruppe nannte diverse Herkunftsorte von Obst- und Gemüsesorten, wie etwa die
Heimat des Apfels im Kaukasus, Hirse, die aus Afrika stammt, Beeren, die in unseren Wäldern
heimisch sind, usw. Der Ursprung unserer Getreidesorten (die ersten waren Einkorn, Emmer,
Gerste) liegt im urpersischen Kulturraum. Weltweit werden heute von 4.800 bekannten
Kulturarten gerade einmal 30 genutzt.
Die zweite Gruppe stellte fest, dass im Vergleich zur früheren, traditionellen und vielfältig
genutzten Vegetation heute vor allem Monokulturen vorherrschen, dass die biologische Vielfalt
abgenommen hat und nur mehr wenige Pflanzen z.B. als Medizin oder Hausmittel genutzt
werden.
Franziska erklärte die Ursachen des Kulturpflanzenverlustes, die z.B. in der Industrialisierung
der Landwirtschaft, im Rückgang der Subsistenzwirtschaft, in neu definierten Züchtungszielen,
oder in der modernen Pflanzenzüchtung zu finden sind.
Gruppe Drei beschrieb den heutigen Saatgutmarkt als dominiert von großen Konzernen, wie z.B.
von Monsanto, Cargil, Pioneer, uvm. Durch das Aufkommen der Hybridsorten, entstand die
große Abhängigkeit von den Saatgutkonzernen, da das Saatgut nicht mehr vermehrt werden
kann. Durch die Zusammenarbeit mit der Agroindustrie ist es meist auch nötig, ausreichend zu
düngen und Pflanzenschutzmittel anzuwenden, was wieder eine Abhängigkeit von den
Konzernen bedeutet, um die gewünschten Erträge erzielen zu können.
Die Saatguterhaltungsrichtlinie der EU wird uns von Franziska Lerch zur Verfügung gestellt.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
59
Die vierte Gruppe fand Handlungsmöglichkeiten, wie z.B. alte Sorten selber vermehren, bewusst
konsumieren, Information unter Bekannten verbreiten, sich politisch engagieren und
Organisationen kontaktieren, um die Souveränität beim Saatgut wieder zu erlangen. In
Österreich gibt es Genzentren, wie z.B. die AGES in Linz, wo Saatgut gesammelt wird. Biologische
Saatzuchtfirmen in Österreich wurden genannt, wie z.B. ReinSaat, oder die Ochsenherz
Gärtnerei.
Links und Literatur:
www.arche-noah.at
www.ochsenherz.at
http://www.genbank.at/ (Genzentrum in Linz)
www.reinsaat.at
www.psrara.org
www.dreschflegel-saatgut.de
www.nutzpflanzenvielfalt.de
Heistinger, Andrea (2010): Arche Noah – Handbuch Bio-Gemüse. Unter Mitarbeit von Franziska
Lerch, Peter Lassnig und Peter Zipser. Löwenzahn Verlag, Innsbruck.
Heistinger, Andrea, Arche Noah, Pro Specia Rara (Hrsg.) (2004): Handbuch Samengärtnerei –
Sorten erhalten, Vielfalt vermehren, Gemüse genießen. Löwenzahn Verlag, Innsbruck.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
60
3
Workshop: Wie gründe ich eine Foodcoop?
WorkshopleiterInnen: Magdalena Heuwieser und Dominik Dax (Mitglieder von Wiener
Foodcoops)
Uhrzeit: 16:00 bis 18:00 Uhr
Teilnehmende: 8 Personen
Zusammenfassung verfasst von Valerie Jarolim
Zu Beginn stellten wir uns gegenseitig vor, indem wir uns eine Stadtkarte von Wien am Boden
vorstellten und uns nach Bezirken, in denen wir wohnen, aufstellten. Magdalena markierte am
Boden dann mit Äpfeln die Standorte der vier Foodcoops die es derzeit in Wien gibt, wie z.B.
d'Speis und das Bioparadeis. Anschließend führten uns Magdalena und Dominik ein kurzes
Theaterstück vor, um zu zeigen, wie eine Foodcoop zustande kommt und um was es sich dabei
eigentlich handelt.
Eine Foodcoop ist eine Lebensmitteleinkaufsgemeinschaft. Die Infobroschüre vom Bioparadeis
beschreibt den Grundgedanken einer Foodcoop folgendermaßen: Personen legen ihre Einkäufe
zusammen, die benötigten Lebensmittel werden in größeren Mengen und zu günstigeren
Konditionen direkt von den ProduzentInnen bezogen.
Eine Foodcoop soll eine Alternative zur gängigen Lebensmittelproduktion und dem damit
verbundenen Handelssystem darstellen. Wert wird gelegt auf: Mitbestimmung,
Eigenverantwortung, biologische und saisonale Produkte, kurze Transportwege, faire Preise für
ErzeugerInnen und VerbraucherInnen, Erhalt der kleinstrukturierten Landwirtschaft,
Vermeidung unnötiger Verpackung und die Aufhebung der Anonymität zwischen ErzeugerInnen
und VerbraucherInnen.
Eine Foodcoop kann als Verein organisiert werden, in dem jedeR mitwirken kann. Fixkosten
werden durch Mitgliedsbeiträge gedeckt, die Lebensmittel werden ohne Aufschlag
weitergegeben. Die Produkte reichen von Gemüse, Getreide, selbstgebackenem Brot hin zu
Milchprodukten, Ölen, Säften, Wein, Sojaprodukten, Eingemachtem, Tee und Kaffee.
Anschließend folgten einige Aufstellungsspiele und Statuentheater, bei denen wir selbst
darstellten, wie viele Bio-Produkte wir kaufen, wo wir einkaufen (Supermarkt, Markt,...) und
welche Alternativen es gibt. Neben Foodcoops wurden hier viele weitere Möglichkeiten wie z.B.
CSA (community supported agriculture), Dumpstern und das Biokistl genannt und gemeinsam
erklärt. Beim Statuentheater stellten wir die Unterschiede in den Hierarchien zwischen
Supermarkt und Foodcoop dar.
Nach dieser ersten sehr interaktiven und vieles erklärenden Stunde folgte eine Fragerunde. Die
vielen trotzdem noch angefallenen Fragen wurden notiert und gemeinsam erarbeitet.
Besprochen wurden Entstehung, Geschichte, Gruppenfindung, Organisation und vieles mehr,
was zu einer Foodcoop gehört. Wir bekamen eine Foodcoop Gründungs-Checkliste und
Informationsmaterial von den bereits bestehenden Einkaufsgemeinschaften. Der krönende
Abschluss war eine spontane „Exkursion“ zu einer der Boku nahe gelegenen Foodcoop - das
Bioparadeis, welches zufällig gerade geöffnet hatte.
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
61
Links, Literatur und mehr:
Bioparadeis (Wien 1180) - http://www.bioparadeis.org
Speis (Wien 1080) - http://www.speis.org
Fresskorb (Wien 1140) - [email protected]
Krautkopf (Graz) – http://www.krautkopf.at
freies Obst für alle – www.mundraub.org
Via Campesina –
www.viacampesina.at
Österreichische
Bergbauern-
und
Bäuerinnen
Vereinigung
-
Deutschland
–
agrar attac - http://www.community.attac.at/agrarattac.html
FoodcoopHandbuch der
http://foodcoops.de/
Interessensvertretung
von
Foodcoops
in
→Bücher
Fair.Bio.Selbstbestimmt – das Handbuch zur Gründung einer Food-Coop, Hrsg. Sense.Lab e.V.
Halbinseln gegen den Strom: anders leben und wirtschaften im Alltag von Frederike Habermann
Selbstversorgungsbücher: http://www.packpapier-verlag.de
→Zeitschrift „Wege für eine Bäuerliche Zukunft“ von Via Campesina
→Dokumentationen
„Unser täglich Brot“ von Nicolaus Geyrhalter
„We feed the world” von Erwin Wagenhofer
Filmtage zum Recht auf Nahrung – in Wien, Lenzing, Freistadt und Innsbruck
www.hungermachtprofit.at
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
62
4
Workshop: Ernährungsautonomie auf Hofkollektiven
Workshopleiterinnen: Elke Müllegger und Mira Palmisano, Mitglieder des Kollektivs
Wieserhoisl.
Uhrzeit: 16:00 bis 18:00
Teilnehmende: 20
Zusammenfassung verfasst von Katharina Hagenhofer
Der Workshop „Ernährungsautonomie auf Hofkollektiven“ wurde von Elke Müllegger und Mira
Palmisano gestaltet, die dem Kollektiv Wieserhoisl angehören.
Im ersten Teil des Workshops wurden anhand einiger Fragen die verschiedenen Zugänge der
TeilnehmerInnen zu den Themen Landwirtschaft, Ernährungsautonomie und Kollektive
ergründet und teils diskutiert.
Dabei wurden wichtige Begriffe und Thematiken für die im zweiten Teil geplante Diskussion
gesammelt. Nach einer weiteren Fragerunde ergab sich anstatt einer angedachten allgemeinen
Diskussion über Ernährungsautonomie und Hofkollektive eine eher detailliertere
Auseinandersetzung mit dem konkreten Beispiel des Kollektivs Wieserhoisl.
Wieserhoisl
Die Wieserhoisls sind eine Gruppe von derzeit 9 Erwachsenen (+ 2 Kinder), die seit 2006/07 mit
dem gemeinsamen Hintergrund eines BOKU-Studiums bzw. Tüwi-Engagements einen Hof bei
Deutschlandsberg, Steiermark pachten und gemeinsam bewirtschaften und bewohnen. In den
nächsten Jahren soll durch Fundraising und Gründung eines Dachverbandes für HofkollektivProjekte der Kauf des Hofes ermöglicht werden.
Wichtige Grundprinzipien sind dabei die nichtkommerzielle Landwirtschaft, Solidarische
Ökonomie, Einbindung in soziale Netzwerke und Kooperation und Austausch mit anderen
Kollektiven. Es gibt viele Kunst- und Kulturprojekte, wie z.B. eine Theatergruppe, Clownerie und
Jonglieren, Sommerkino etc.; ein besonderer Schwerpunkt in den letzten Jahren war die
Vermehrung und der Tausch von Saatgut.
Das Kollektiv betreibt biologische Landwirtschaft auf einer Fläche von 12ha, wobei auf eine BioZertifizierung sowie Direktzahlungen bewusst verzichtet wird. Zusätzlich gehen einige
Mitglieder diversen Lohnarbeiten nach.
In der Diskussion mit den Workshop-TeilnehmerInnen wurden besonders die folgenden
Herausforderungen und Konfliktfelder besprochen:
Hofübernahme: einerseits gibt es viele junge Menschen, die neue Projekte starten wollen
und keinen Zugang zu Höfen haben, während andererseits die ältere Generation im
ländlichen Raum oft dringend NachfolgerInnen bräuchte; die Übernahme ist für beide
Seiten ein schwieriger Prozess.
Bedürfnis nach Gemeinschaft vs. Individualität: inwieweit kann mensch sich vorstellen,
in einem Kollektiv zu wohnen, wo sind die Grenzen zwischen persönlichen Freiräumen
und gemeinsam getroffenen Entscheidungen – Wichtigkeit des Achtens auf eigene
Bedürfnisse.
Verantwortungsaufteilung und Entscheidungsfindung in der Gruppe: wie lassen sich
Verantwortungsbereiche sinnvoll aufteilen, inwieweit sind Konsensentscheidungen
notwendig…
Gelebte Kritik an der kapitalistischen Logik: Wie kann Solidarökonomie funktionieren,
welche Gedankenmuster und Prägungen stehen ihr im Weg…
Ernährungsautonomie: Autarkie oder Eingebundensein in lokale Netzwerke, Austausch
und Kooperation mit der Umgebung
Organisationen und Möglichkeiten, um Menschen beim Bilden neuer Hofkollektive zu
unterstützen.
63
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
Links
https://we.riseup.net/hoko
http://www.reclaimthefields.org/
http://www.solarwarmduscherinnen.de/
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
64
5
Workshop: Pflanz dir deine Stadt! Guerilla Gardening als Strategie zur
städtischen Ernährungssouveränität
WorkshopleiterInnen: Linnea Richter und Roland Teufl
Uhrzeit: 16-18 Uhr
Teilnehmende: 18
Zusammenfassung verfasst von Henrike Thalenhorst und Daniel Lehner
Als Guerillagärtnerei bzw. Guerilla Gardening wurde ursprünglich die heimliche Aussaat von
Pflanzen als subtiles Mittel politischen Protests und zivilen Ungehorsams im öffentlichen Raum
bezeichnet, vorrangig in Großstädten oder auf öffentlichen Grünflächen. Mittlerweile hat sich
Guerilla Gardening zum urbanen Gärtnern oder zu urbaner Landwirtschaft weiterentwickelt und
verbindet mit dem Protest den Nutzen einer Ernte beziehungsweise einer Verschönerung trister
Innenstädte durch Begrünung brachliegender Flächen. (vgl. Wikipedia)
An dem im Garten des Tüwi abgehaltenen Workshop wurden 18 Teilnehmer als Höchstzahl
gezählt.
Von den Vortragenden wurde berichtet, dass die Szene seit 3 Jahren in Wien aktiv ist. Im Bereich
U4/U6 Längenfeldgasse (Karlsplatz) wird seit einem Jahr gegärtnert. Die Ursprünge der Idee
sind in New York u.a. durch Platzmangel entstanden und entwickelten sich vom begrenzten
Zugang zum öffentlichen Zugang ohne Hierarchie, das heißt dass jeder sich einbringen,
teilnehmen und die Produkte auch nutzen kann. Verschiedene Ausprägungen des Guerilla
Gardening wie Gemüsebau, Begrünung, auch Verschönerung sind möglich. Probleme ergeben
sich in erster Linie durch benötigte, aber nicht vorhandene Utensilien, aber auch durch Sabotage.
Vorkenntnisse sind nicht notwendig. Samen, Humus etc. werden oft von Firmen gespendet.
Informationen für die Öffentlichkeit werden teilweise vor Ort dargebracht. Die Aktivitäten
finden größtenteils auf öffentlichem Grund statt, aber auch auf privatem Gelände. Die Akzeptanz
dafür ist meist vorhanden, da es sich oft Brachflächen handelt. Eine Ausdehnung der Tätigkeiten
in Wien ist bei vorhandenen Flächen geplant, da der Standort auch geeignet sein muss, d.h. nicht
an stark befahrenen Verkehrsflächen. Es ist jedoch auch möglich, durch Gefäße wie PETFlaschen oder auf Paletten gebaute Pflanzen zu ziehen. Pro Woche gibt es meistens einen
Gemeinschaftstag. Insgesamt werden neben Praktischen Erfahrungen auch soziale
Komponenten eingebracht. Informationen dazu gibt es bei verschiedenen Blogs im Internet wie
ggardening.blogsport.eu oder www.gruenewelle.org. Probleme entstehen auch dadurch dass
Biomüll teilweise thermisch verwertet wird und der Kompost somit nicht verfügbar ist. Im
Winter gibt es hier keine Aktivitäten, jedoch in anderen Klimazonen (San Francisco). An der
BOKU wurden z.B. im Rahmen der „Langen Nacht der Anarchie“ im Bereich des Tüwi Beete
angelegt.
Aktivitäten:
Kennenlern-Spiele, Einführung ins Thema
Brainstorming, Fragen und Ideen zum Thema
Seed-Balls formen, Fotos ansehen
Plakate erstellen (Fragen, Anregungen)
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
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Links und Literatur:
ggardening.blogsport.eu
www.gruenewelle.org
Reynolds, Richard (2009): Guerilla Gardening. Ein botanisches Manifest. orange press
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
66
6
Podiumsdiskussion: Ernährungssouveränität: Strategien und
Perspektiven – Welche Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik
brauchen wir?
Uhrzeit: 19:00 - 22:00
Teilnehmende ca. 100 Personen
Zusammenfassung verfasst von Moritz Maurer
Es diskutierten am Podium unter der Moderation von Franziskus Forster (agrarattac):
Irmi Salzer, Referentin für Informations- und Öffentlichkeitsarbeit der österreichischen
Berg- und Kleinbäuer*innenvereinigung (ÖBV Via Campesina Austria),aktiv bei der
Vorbereitung des Nyeleni Forums, Klein- und Biobäuerin im Burgenland.
Katrin Hirte, arbeitet in Linz am Institut für Gesamtanalyse der Wirtschaft,
Fragen zur Wissenschaftskritik, schreibt an einer Arbeit zur Lehre von Agrarpolitik an
deutschen Agrarhochschulen.
Ulli Brand: Politikwissenschaftler an der Universität Wien. Beschäftigt sich mit Fragen
im Zusammenhang mit der sozialökologischen und politischen Krise.
Die Podiumsdiskussion entfaltete sich als überaus informativ und interessant. Nach einigen
Eingangsrunden wurde die Diskussion ins Publikum eröffnet. Es folgte ein sachlicher aber
durchaus anregender Diskurs zwischen den Anwesenden und dem Podium. Die umfangreiche
Diskussion auf zwei Seiten zusammenzufassen ist kaum möglich, daher folgt eine Auswahl
wichtiger Aussagen. Hier kannst du dir die Diskussion ansehen:
http://www.boku.ac.at/multimedia/2011SS/Ernaehrungssouveraenitaet/Podiumsdiskussion.h
tml.
Irmi Salzer: Die Lebensmittel(preis)-krise kam 2008 erstmals durch „food riots“ zu medialer
Aufmerksamkeit.
Heute erleben wir wieder eine Phase mit über einer Milliarde
Hungerleidenden. Der Peak Soil (der Verbrauch fruchtbarer Böden) ist bedrohlicher als Peak Oil.
Die ökologische Krise ist vielen bekannt und wird akzeptiert; weniger bekannt und akzeptiert
wird, dass wir uns genauso in einer sozialen Krise befinden. Der ländliche Raum verliert an
Bedeutung. Gleichzeitig nehmen Zivilisationskrankheiten zu. Die vorherrschende Meinung ist,
dass nur eine technokratische Entwicklung den Hunger in der Welt bekämpfen könnte.
Katrin Hirte: Alle Professoren für Agrarpolitik und Agrarsoziologie in Deutschland sind
Ökonomen. Agrarökonomen fordern konsequent seit 1945 ein Weichen der Kleinbauern um des
Wachstums willen.
Der Großteil der seit 30 Jahren in Agrarwissenschaften Ausgebildeten, lernten Agrarpolitik und
Agrarsoziologe von Ökonomen und die meisten von ihnen werden in Verwaltungspositionen
tätig.
Ulli Brand: Wir befinden uns in einer multiplen Krise. Es ist eine Krise des „fossilistischen“
Kapitalismus und der Neoliberalisierung unserer Gesellschaft, das Dogma ist: der Markt hat die
besseren Antworten. Die ökologische Krise politisiert seit 30 Jahren, die Finanzmarktkrise erst
seit Kurzem. Die Multiple Krise wird jetzt in manchen Bereichen bearbeitet, in anderen
verschärft sie sich zusehends.
67
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
Traditionelle Agrarunternehmen, aber auch Banken etc. suchen nach neuen profitablen
Investitionsmöglichkeiten und finden sie in der Landwirtschaft. Eine Antwort auf die Krise
scheint die Ökologisierung des Kapitalismus zu sein. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass ein
ökologischer Kapitalismus einige Wohlstandsinseln in der Welt schafft, andere Regionen aber
ausschließt.
Kapitalismus verträgt sich nicht mit Demokratie: er widerspricht der Möglichkeit, dass
Menschen selbst ihre Lebenswelt gestalten können. Katrin Hirte: Wir haben keine souveränen
Lebensmittelproduzenten am Markt. Es gibt keinen Markt ohne Regeln und die Regeln werden
von einer kleinen Elite diktiert. Mit dem Verschwinden von kleinbäuerlicher Landwirtschaft geht
ein verbreitetes nicht formalisiertes Wissen verloren, das nur unter großen Anstrengungen
wieder erzeugt werden kann.
Ulli Brand: Kapitalismus forciert Uniformierung, nicht Vielfalt der Möglichkeiten. Die Anpassung
der Lehrpläne an ökologische Anforderungen etc. ist hochgradig politisch.
Irmi Salzer: Auch in Europa ist Ernährungssouveränität ein notwendiges Konzept. Auch
politische Arbeit ist Teil der Ernährungssouveränität. Es wird schon an vielen Baustellen an
Ernährungssouveränität gearbeitet. Ernährungssouveränität bezieht sich auf Gruppen und nicht
auf Einzelpersonen. Sie hat nichts mit autonomen Entscheidungen von Einzelpersonen und
deren Autonomie zu tun.
Ulli Brand: Man muss permanent Alternativen in parlamentarische Prozesse einbringen. Wir
sollten nicht unterschätzen, dass auch in den Institutionen etwas verändert werden soll. Wie
kann man in der Stadt leben, ohne imperiale Lebensmodelle zu reproduzieren?
Links:
Institut für Gesamtanalyse der Wirtschaft: http://www.icae.at/wp/
ÖBV, via campesina austria: http://www.viacampesina.at/cms/index.php
Institut für Politikwissenschaften,- Department für internationale
http://www.univie.ac.at/intpol/
Agrarattac: http://community.attac.at/agrarattac.html
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
Politik:
68
Nyéléni-Forum:
Im Februar 2007 fand in Mali das erste weltweite Forum zu Ernährungssouveränität statt, bei
dem sich 500 Delegierte aus aller Welt trafen und eine Änderung des bestehenden Agrar- und
Ernährungssystems diskutierten. Nyéléni war eine Frau, die in Mali als Vorkämpferin für
Ernährungssouveränität und die Rechte der Frauen Geschichte geschrieben hat. Seit Nyéléni
2007 gibt es Bestrebungen, ein europäisches Forum für Ernährungssouveränität zu
veranstalten, um auch hier die Idee der Ernährungssouveränität weiter zu verbreiten.
Ernährungssouveränität ist das Recht der Bevölkerung, ihre Ernährung und Landwirtschaft
selbst zu bestimmen und stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, verteilen und
konsumieren ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht die Interessen der Märkte und
transnationalen Konzerne. Ernährungssouveränität bedeutet auch, dass jedes Land bzw. jede
Staatenunion seine Agrar- und Ernährungspolitik selbst bestimmen darf, ohne dabei andere
Regionen zu schädigen.
Das Forum soll dazu dienen,
 die Bewegung für Ernährungssouveränität zu stärken und zu verbreitern
 ein gemeinsames Verständnis dafür aufzubauen, was Ernährungssouveränität in Europa
heißen kann
 Herausforderungen und Hindernisse in Europa zu identifizieren
 Ernährungssouveränität durch die Entwicklung gemeinsamer Strategien zu einer
Realität in Europa zu machen.
Vom 16. Bis zum 21. August 2011 wird das erste europäische Forum für
Ernährungssouveränität „Nyeleni Europe“ in Österreich stattfinden! Das Forum soll etwa 800
Menschen in Krems versammeln und einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einer starken
Bewegung für Ernährungssouveränität in Europa darstellen. Es ist an der Zeit, dass sich die
unzähligen Menschen miteinander versetzen, die sich für ein anderes Landwirtschafts- und
Ernährungssystem in Europa und weltweit einsetzen.
Nähere Infos unter:
Kontakt: [email protected]
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
69
Literatur, Links, Kontakte –...zum weiterlesen, vertiefen und aktiv
werden!
… Liste aus der Broschüre „Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität“, zu bestellen
bei AgrarAttac: [email protected] und/oder online abrufbar unter
http://www.viacampesina.at/cms/images/stories/Aktuelles/die_zeit_ist_reif_fr_ernhru
ngssouvernitt.pdf
Ernährungssouveränität, globale Landwirtschaft
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Dokumentation des Weltagrarberichts (IAASTD): www.weltagrarbericht.de
Welternährung und globale Landwirtschaft: http://www.agrardebatte.de/
Food Movements Unite! http://www.foodmovementsunite.org/
Uwe Hoering: Reportagen und Analysen: http://www.globe-spotting.de/
Foodfirst Institute: http://www.foodfirst.org/
Transnational Institute – Agrarian Justice: http://www.tni.org/workarea/agrarian-justice
Raj Patel, Blog und Homepage des Aktivisten und Forschers: www.rajpatel.org
Landwirtschaft in Österreich: www.bauernkonflikte.at
Pan-African Voices for Freedom and Justice: http://www.pambazuka.org
Food Crisis and the global land grab: www.farmlandgrab.org
GRAIN: http://www.grain.org/front/
Climate Justice Now! - http://www.climate-justice-now.org/
Supermärkte: http://www.supermarktmacht.de/
Supermarktaktionstag Österreich: http://supermarktaktionstag.blogspot.com/
Leben in Gemeinschaft: http://austrotopia.mixxt.at/
Kritischer Agrarbericht: http://www.kritischer-agrarbericht.de
ETC Group: Who will feed us? Questions for the Food and Climate Crises http://www.etcgroup.org/en/node/4921
Story of Stuff (Kurzvideo): http://www.storyofstuff.com/international/

 Recht auf Stadt: www.rechtaufstadt.org und http://www.rechtaufstadt.net/
 Frauenarbeitskreis ÖBV-Vía Campesina und Video „Klappe auf“:
http://www.viacampesina.at/cms/aktuelles/gleiche-rechte-am-bauernhof.html
 La Vía Campesina’s Globale Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen:
http://www.viacampesina.org/en/index.php?option=com_content&view=catego
ry&layout=blog&id=20&Itemid=39
 Broschüre "Peripherie & Plastikmeer. Globale Landwirtschaft - Migration Widerstand" : http://no-racism.net/article/2548
 Dokumentarfilm „…denn wir leben von der gleichen Luft“: DVD, 45 min. OmU:
deutsch/französisch – Deutschland 2011. Produktion: Andrea Plöger/Sabine
Weber, www.timecode-ev.org
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
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Bewegungen, Initiativen und Organisationen
 Erstes globales Forum für Ernährungssouveränität: www.nyeleni.org
 Europäisches Forum für Ernährungssouveränität: http://www.nyelenieurope.net
 La Vía Campesina: http://viacampesina.org und ÖBV-Vía Campesina Austria:
www.viacampesina.at
 AgrarAttac: http://community.attac.at/agrarattac.html
 FIAN: www.fian.at
 European Food Declaration:
http://www.europeanfooddeclaration.org/declaration/de
 Reclaim the Fields: www.reclaimthefields.org
 Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung: www.afriqueeurope-interact.net
 Urban Gardening und Guerilla Gardening Wien: http://ggardening.blogsport.eu
 Österreichisches Netzwerk von Gemeinschafts-, Nachbarschafts- und
interkulturellen Gärten: www.gartenpolylog.org
 Selbsterntefelder Österreich: www.selbst-ernte.at und Mundraub:
www.mundraub.org
 Interaktive Karte der solidarischen Ökonomie: http://vivirbien.mediavirus.org
 Kostnix-Läden in Österreich: http://www.umsonstladen.at
 Transition Austria: http://transitionaustria.ning.com/
 Solidarische Ökonomie: http://www.solidarische-oekonomie.at/
 Alternativenforen: www.alternativenforen.at
 Initiative in Deutschland: http://www.meine-landwirtschaft.de/
 Agrarpolitisches Sommerspektakel: http://sommerspektakel.posterous.com
 Bericht über die Hofkollektiv-Reise - Kontakt: [email protected]
 Weltweites Netzwerk für Solidarische Landwirtschaft: http://www.urgenci.net
 Food-Coop-Wikipedia: http://coops.bombina.net/wiki/Hauptseite
 Karte Food-Coops in Deutschland und Österreich:
http://maps.yourgmap.com/v/m_l3_Foodcoops.html
 Der Food-Coop-Gründungsleitfaden: http://food-coop-einstieg.de/
 D’Speis (1080 Wien): http://www.speis.org und Bioparadeis (1180 Wien):
http://www.bioparadeis.org/
 Gemüsewerkstatt in Graz: http://gemuesewerkstatt.at/
 NETs Steyr: http://netswerk.at/
 Marktplatz St. Andrä-Wördern: http://www.marktplatz-staw.at/
 Krautkoopf in Graz: http://foodkoop.spektral.at/doku.php
 Selbstversorger-Gemeinschaft in Schwaz (Tirol): http://www.autarkwerden.at/7.0.html
Bücher:
 Brand, Ulrich et al. (2007): ABC der Alternativen. Von „Ästhetik des Widerstands“
bis „Ziviler Ungehorsam“. VSA Verlag
 Bové, José; Dufour, Francois (2001): Die Welt ist keine Ware. Bauern gegen
Agromultis. Rotpunktverlag
Reader – Die Zeit ist reif für Ernährungssouveränität
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 Choplin, Gérard / Strickner, Alexandra / Trouvé, Aurélie (2011):
Ernährungssouveränität. Für eine andere Agrar- und Lebensmittelpolitik in
Europa. Mandelbaum Verlag.
 Demarais, Annette Aurélie (2007): La Vía Campesina. Globalization and the
Power of Peasants. Fernwood Publishing
 Demirovic, Alex et al. (2011): VielfachKrise. Im finanzmarktdominierten
Kapitalismus. VSA Verlag
 Depelchin, Jacques (2008): Hungry for a voice: The food crisis, the market, and
socio-economic inequality http://www.pambazuka.org/en/category/comment/52480
 Hoering, Uwe (2007): Agrar-Kolonialismus in Afrika. Eine andere Landwirtschaft
ist möglich! VSA Verlag
 Patel, Raj (2007): Stuffed and Starved. The Hidden Battle for the World Food
System. Portobello Books
 Pimbert, Michel (2009): Towards Food Sovereignty: Reclaiming autonomous
food systems - http://www.iied.org/natural-resources/key-issues/food-andagriculture/multimedia-publication-towards-food-sovereignty-re
 Bernstein, Henry (2010): Class Dynamics and Agrarian Change. Fernwood
Publishing
 Wissen, Markus (2011): Gesellschaftliche Naturverhältnisse in der
Internationalisierung des Staates. Konflikte um die Räumlichkeit staatlicher
Politik und die Kontrolle natürlicher Ressourcen. Westfälisches Dampfboot
 Wittman, Hannah et al. (2011): Food Sovereignty. Reconnecting Food, Nature and
Community. Fernwood Publishing.
Links zu den Videoaufzeichnungen der Vorträge und der
Podiumsdiskussion:
Die Videoaufzeichnungen sind im Intranet der BOKU zu finden (leider nur mit BOKULogin möglich): https://www.boku.ac.at/index.php?id=18436
1. Vortrag, Haiger: http://www.boku.ac.at/multimedia/multimediaintern/2011SS/Ernaehrungssouveraenitaet/Vortrag1.html
2. Vortrag, Strickner: http://www.boku.ac.at/multimedia/multimediaintern/2011SS/Ernaehrungssouveraenitaet/Vortrag2.html
3. Vortrag, Hauser: http://www.boku.ac.at/multimedia/multimediaintern/2011SS/Ernaehrungssouveraenitaet/Vortrag3.html
Podiumsdiskussion: http://www.boku.ac.at/multimedia/multimediaintern/2011SS/Ernaehrungssouveraenitaet/Podiumsdiskussion.html
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