Kein Dialog ohne Klarheit! Zum Gespräch zwischen Protestanten und Muslimen Von: Klaus Beckmann, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 3 / 2009 Im Spätjahr 2006 hat die EKD mit ihrer Handreichung zum Verhältnis zwischen Islam und Protestantismus, "Klarheit und gute Nachbarschaft", in hohem Maß Aufhorchen und Widerspruch provoziert. Klaus Beckmann, der die Handreichung für einen Versuch hält, "verbindlich evangelisch" zu reden, geht der Frage nach, ob es nicht tatsächlich "fundamentale" Gründe gibt, das Verhältnis der evangelischen Kirche zum Islam distanziert zu bestimmen. Es entspricht gewiss nicht dem Klischee von "interreligiösem Dialog", dass bestehende Konfliktfelder und inhaltliche Differenzen, um Nettigkeitsfloskeln unbekümmert, direkt benannt werden, wie es in der EKD-Handreichung "Klarheit und gute Nachbarschaft" geschieht.(1) Nun kann der Text schon seines bescheidenen Umfangs wegen nicht beanspruchen, ein keiner Ergänzung oder Ausdifferenzierung mehr bedürftiges Votum zur Sache zu sein. Doch zeigen die Reaktionen sowohl von Christen, die im christlich-islamischen Gespräch etabliert sind, wie seitens muslimischer Verbände, dass hier ein Nerv getroffen wurde. Geradezu reflexhaft bekamen die Verfasser der Handreichung unterstellt, sie hätten sich in die Wagenburg konfessionalistischer Abgrenzung zurückgezogen. "Evangelisch aus fundamentalem Grund" lautet der polemische Titel eines Sammelbandes, der 2007 mehrere Entgegnungen publizierte und zu einer vertieften Fortsetzung des christlich-muslimischen Gesprächs aufrief.(2) Die Autoren der Entgegnungen machten sich im Titel die Sprache zu eigen, die Aiman A. Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, in einem Zeitungspamphlet gebrauchte: Die EKD vollführe in der Islam-Kritik ein "Ablenkungsmanöver" von inneren Problemen mit evangelischen "Fundis"; "aber statt die Fundis zu entlarven, lässt sich die EKD auf sie ein - mit Stellvertreterdebatten um die Muslime hierzulande und Sündenbockdiskussionen auf dem Rücken von Minderheiten."(3) Selbst wenn man die der Rolle des Verbandsfunktionärs geschuldete routinierte Larmoyanz außer Betracht lässt und versucht, zum sachlichen Kern durchzudringen, bleibt einiges an Irritation; hat die EKD-Handreichung doch offensichtlich keinerlei "fundamentalistische" Position eingenommen, sondern sich erkennbar bemüht, verbindlich evangelisch zu reden. Ich möchte im Folgenden versuchen, in der Auseinandersetzung mit Beiträgen aus "Evangelisch aus fundamentalem Grund" der Frage nachzugehen, ob es nicht in der Tat "fundamentale" Gründe gibt, das Verhältnis der evangelischen Kirche zum Islam distanziert zu bestimmen. Im Mittelpunkt sollen die für die evangelische Theologie signifikanten Punkte Rechtfertigungslehre, Gottesverständnis und Menschenbild stehen. Hauptgesprächspartner im ersten Teil dieses Aufsatzes ist deshalb der Beitrag "Mehr Klarheit und Offenheit im Gottesbild", den der im christlich-islamischen Dialog erfahrene Erlanger Religionspädagoge Johannes Lähnemann verfasst hat.(4) Zum redlichen Dialog gehört es, dem Partner das eigene Zeugnis zu gönnen und sich ein kritisches Bild der Position des Gegenübers zu verschaffen. Das gut gemeinte Überspielen von Gegensätzen enthält dem Gegenüber den eigenen Standpunkt und das wirkliche Interesse an seinen Glaubensinhalten vor; überdies verstärkt ein derartiger Irenismus bei muslimischen Partnern den Eindruck einer zum Streit für eigene Errungenschaften nicht bereiten "westlichen Dekadenz". Klare Worte zur Sache implizieren keineswegs eine Abwertung muslimischer Menschen oder gar die Bestreitung ihres legitimen Platzes in der säkularen Gesellschaft. Beleidigend wäre hingegen, dem Partner unterstellter "Unreife" oder "Überempfindlichkeit" wegen das Zeugnis zu verweigern. Die letztlich dialogfeindliche Rhetorik der muslimischen Verbände sollte nicht zum Fokus werden, durch den "der" Islam insgesamt gesehen wird. Mit Arnulf von Scheliha, der in seinem Beitrag für "Evangelisch aus fundamentalem Grund" die Religionshermeneutik Hermann Cohens anschaulich erschließt, ist folglich aktive Toleranz einzufordern, eine engagierte "Hermeneutik des Anderen".(5) Auch ist Martin Stöhr zuzustimmen, der unter Berufung auf Buber mahnt: "Der Andere wird nicht ernst genommen, wenn ich mich mit meinem Ich verweigere."6 Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 1/8 Vermiedene Konzeptanalyse Johannes Lähnemann konstatiert in seinem Beitrag eingangs, dem Gottesbild komme "eine Schlüsselfunktion im Gespräch zwischen Christen und Muslimen" zu. Um so mehr enttäuscht dann aber, wie wenig von den in Bibel und Koran jeweils gegebenen theologischen Konzeptionen herausgearbeitet wird. Statt Grundlinien und Spitzenaussagen systematisch zu präsentieren, begnügt sich Lähnemann mit dem Vergleich einzelner theologischer Elemente. In Bibel und Koran finden sich laut Lähnemann "Gemeinsamkeiten für die Sinngebung des Lebens und den Auftrag des Menschen". Als solche "Grunderfahrungen und Orientierungen" in Christentum und Islam - in dieser Unverbindlichkeit mühelos auf weitere Religionen übertragbar - werden angeführt: "Dankbarkeit für die Schöpfung und Verantwortung für sie, Solidarität mit allen Kreaturen, Sinngebung für ein nicht dem Egoismus verfallenes Leben, Geborgenheit aus dem Glauben an Gott, Kritik an der Vergötzung von innerweltlichen Zielen, Einsatz für Schwächere und Benachteiligte..."(7) Zwar mögen für jeden dieser Punkte aus Bibel und Koran mehr oder minder zwingende Belege anzuführen sein, doch scheinen die Gemeinsamkeiten vage beschrieben und nicht mit einer Analyse der theologischen Kontexte verwoben. So bleibt unerörtert, inwieweit das jeweilige Reden von "Schöpfung" und "Verantwortung" vergleichbar genannt werden darf; schließlich ist der biblischen Erzählkonzeption von Urstand, Fall und Vollendung mit ihrer kritisch-eschatologischen Sicht auf den geschichtlich handelnden Menschen vom Koran her nichts zur Seite zu stellen. Der in Lähnemanns Aufsatz erst spät vorkommende Hinweis auf die "optimistische", da "Fall" und "Erbsünde" nicht kennende Anthropologie des Koran hätte im Interesse systematisch erhellender Betrachtung zentraler berücksichtigt werden dürfen. Bezeichnenderweise beschränkt sich Lähnemann in der Darstellung christlicher Spezifika auf den "liebenden Gott bei Jesus"(8) und lässt die paulinische Theologie beiseite. Diese aber ist nicht nur die größte theologische Herausforderung innerhalb des NT, sondern maßgeblich für das reformatorische Reden von Gott und dem Menschen. Der christlichen Theologie wird damit im Dialog die provokative Spitze genommen. So vermeidet Lähnemann die harte Divergenz-Feststellung, dass die Botschaft von einem Gott, der selbst an des Menschen Stelle zum Sünder wird und dadurch alle moralische Unterscheidung zunichte macht (2. Kor. 5,17-21; Röm. 3,4; 11,32), im Koran schlechterdings undenkbar wäre. Dabei gäbe es gute Gründe, von christlicher Seite auf theologische Klarheit zu dringen und offensiv auf das von den muslimischen Verbänden vereinnahmend vertretene Verständnis von "Monotheismus" einzugehen. Im Mai 2007 veröffentlichte der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland eine ausführliche, im Ton streckenweise gereizte Antwort auf "Klarheit und gute Nachbarschaft". Der im Anhang von "Evangelisch aus fundamentalem Grund" dokumentierte Text vertritt die These: "Es ist allgemein bekannt, dass es im Christentum und im Islam einen gemeinsamen Glauben an den einen Gott gibt, sich die jeweiligen Gottesverständnisse jedoch nicht decken, da die Muslime weder Trinitätslehre noch Christusbekenntnis akzeptieren."(9) Zwar reicht es nicht aus, wenn die EKD-Handreichung sagt, die Übereinstimmung in der Einzahl des Göttlichen trage "nicht weit".(10) Einer echten Hermeneutik des Gegenübers wäre aber besser gedient, wenn von christlicher Seite, statt wie in "Evangelisch aus fundamentalem Grund" in oberflächliche Vergleiche auszuweichen, dem vermeintlich "allgemein Bekannten" eine die Kernpunkte veranschaulichende Darlegung christlicher Glaubenserfahrung entgegen gestellt würde. Können Christen sich tatsächlich auf ein "Monotheismus"-Konzept einlassen, nach dem die Präsenz in Jesus Christus und die Zugewandtheit zum geschichtlichen Leben, wie die Trinitätslehre sie formelhaft ausdrückt, für "den einen Gott" nicht kon­stitutive Eigenschaften, sondern verzichtbare, ja die "monotheistische" Reinheit entstellende Attribute sein sollen?(11) Anthropologischer "Optimismus" Lähnemann erkennt zwischen Christen und Muslimen "Gesprächsbedarf darüber [...], welches die realistische Sicht des Menschen ist". Das Menschenbild des Gegenübers kennzeichnet er als "optimistisch": "Im Islam wird die durch den Koran gewährleistete Rechtleitung des Menschen durch Gott so eindeutig positiv gesehen, dass das Bild des Menschen im Islam Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 2/8 "optimistischer" ist als im Christentum. Der christliche Glaube geht demgegenüber von der prinzipiellen Erlösungsbedürftigkeit des Menschen aus der Verfallenheit in Sünde und Schuld hinein aus."(12) Da das religiöse Menschenbild Prägewirkung auf Gesellschaftsverständnis und Ethik ausübt, kann der Gesprächsbedarf auch aus praktisch-politischen Gründen nur unterstrichen werden. Durchaus plausibel ist, in der differierenden Anthropologie von Bibel und Koran eine - nicht die einzige! - Voraussetzung kultureller Entwicklungstendenzen der christlich bzw. muslimisch geprägten Gesellschaften zu sehen. Es ist namentlich das "pessimistische", aber gnadentheologisch um-schlossene Menschenbild der Bibel (Gen. 8,21f), der Narrativ des von Gott angenommenen Sünders, der insbesondere im AT eine Vielfalt von Charakteren generiert und Raum schafft für akzeptierte Individualität. Nicht zufällig entstand die Idee individueller und egalitärer Menschenrechte, obgleich gegen den Widerstand kirchlicher Autoritäten durchgesetzt, in der biblisch geprägten Geisteswelt - ebenso wie modernes Bürgerbewusstsein und Sozialstaatsgedanke. In "Evangelisch aus fundamentalem Grund" wird eine Chance zum echten Dialog an wichtiger Stelle vertan, da Lähnemann weder die Konsequenz der "optimistischen" Anthropologie des Koran, nämlich den latent individualitäts- und geschichtsfeindlichen Schematismus von "Gläubigen" und "Ungläubigen", aus christlicher Perspektive problematisiert noch den biblischen "Pessimismus" systematisch entfaltet. Bedenkenswert wäre an dieser Stelle der Hinweis des gewiss nicht als "Scharfmacher" gegen Dialoganliegen verschrienen Karl Kardinal Lehmann, es lasse sich "mindestens vermuten, dass die muslimische Deutung von Geschichte eine produktive Auseinandersetzung des Islam mit der modernen Welt und die Herausbildung einer tragfähigen Synthese zwischen der Moderne und den traditionellen Orientierungen in den islamisch bestimmten Ländern jedenfalls erschwert."(13) Im Vergleich zum Koran zeigt sich die Bibel theologisch weit weniger kohärent, und in AT und NT lassen sich Belege eines endzeitlichen Dualismus finden, der den koranischen Gerichtsankündigungen nahe kommt (Hes .3,18f; Mt. 25,41.46; Apk. 21,8 u.a.m.). Die theologische Bandbreite der Bibel ist damit aber längst nicht ausgeschöpft. Kein "bibelbezogenes" theologisches Konzept kommt somit umhin, zwischen letztlich nicht harmonisierbaren Schriftaussagen auszuwählen. Eine mit stichhaltigen Gründen zu favorisierende Wahl ist es, mit Martin Luther das zur Norm zu erklären, was "Christum treibet", also die Gnade groß macht. Diese hermeneutische Entscheidung für ein Gottesverständnis, in dem nicht das abstrakte Recht im Vordergrund steht, sondern leidenschaftliche Liebe dem in Sünde verstrickten Geschöpf gegenüber, markiert bei Protestanten Treue zum konfessionellen Herkommen und bietet darüber hinaus im Dialog mit dem Islam eine deutlich differierende, zur Auseinandersetzung einladende Position. Die "optimistische" Anthropologie des Koran, die den Menschen im Schema seiner willig vollzogenen Unterwerfung unter Gottes Herrschaft erfasst und in die dualistische Scheidung eines "gerechten" Endgerichts mündet,(14) verdiente im Zuge einer echten "Auseinandersetzung mit den religiösen Idealen der Muslime" das christliche Zeugnis vom "gekreuzigten Gott". Wenn Differenzhermeneutik auch "nicht zu einer pauschalen Negation von Gemeinsamkeiten führen" darf, ist doch das auch konfrontative Behandeln von Differenzen wirklichem Einander-Verstehen dienlicher als konsensbeflissene Oberflächlichkeit.(15) Gottesstaat oder Säkularität Wie "fundamental" die gesellschaftspolitischen Ziele der muslimischen Verbände in Deutschland von der säkularen Grundordnung der Bundesrepublik differieren, gibt die Reaktion des muslimischen Koordinierungsrates auf die EKD-Handreichung zu erkennen. Wohl wird von "Partizipation an der Gestaltung der offenen Gesellschaft" gesprochen und damit vordergründig das im Grundgesetz verankerte Modell des Pluralismus bejaht.(16) Doch ist dem Kontext nach die Akzeptanz einer säkularen Ordnung damit nicht gemeint. Im Abschnitt "Integration" nennt der muslimische Koordinierungsrat als "Einheit stiftenden Ausgangspunkt" nämlich nicht das allgemeine Menschen- und Bürgerrecht, sondern den Christentum und Islam angeblich einigenden Glauben "an den einen Gott".(17) Die Säkularität der politischen Gemeinschaft - die zu akzeptieren und zu unterstützen der Protestantismus schon auf Grund der reformatorischen Bestimmung der "Obrigkeit" jeden Grund hat - wird seitens der muslimischen Verbände negiert. Potenziell werden alle sich dem "monotheistischen" Bekenntnis Verweigernden aus der politischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Dies unterstreicht der Koordinierungsrat, indem er "Gottesfürchtigkeit" als "Maßstab" zur Bewertung "aller Menschen" benennt. Ohne Bezug auf die im Grundgesetz definierte Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 3/8 säkulare Ordnung heißt es: "Eine Grundlage für einen zivilisierten Umgang miteinander stellen unsere Religionen dar." Die "abrahamitischen Religionen, Muslime, Juden und Christen" sollten "als Träger der göttlichen Offenbarungen und als "Leute der Schrift" sich gegenseitig respektieren und anerkennen".(18) Eine Anerkennung des säkularen Bürgerstatus des Anderen kommt hingegen nicht in den Blick. Dies entspricht der schariatischen Duldung anderer "Monotheisten" als "Schutzbefohlener", stimmt aber mit dem im Grundgesetz geltenden Verständnis von Pluralität und Toleranz nicht überein.(19) Damit haben die Verbände das dialektische Verhältnis zwischen religiöser Ideentradition und politischer Säkularität, wie es im Grundgesetz Gestalt gewonnen hat, durch die simple Verknüpfung von Religion und Politik ersetzt. Der das Grundgesetz charakterisierende Dreiklang "Freiheit, Gleichheit, Solidarität" repräsentiert zwar einen "säkularisierten christlichen Wertekanon"; die christliche Religion hat - maßgeblich vermittelt durch die europäische Aufklärung - die politischen Grundwerte bereitgestellt. Dennoch eröffnet das Grundgesetz die gleichberechtigte Teilhabe nichtchristlicher und auch bekenntnisloser Menschen am politischen Leben.(20) Ein "Gottesrecht" qua "Offenbarung" im Sinne der Scharia steht Parlamentarismus, Gewaltenteilung und individuellen Grundrechten zwangsläufig feindselig gegenüber. Theorie und Praxis gehen hier durchaus konform. So wird in der Kairoer Menschenrechtserklärung von 1990 ein nach westlich-aufklärerischem Verständnis essentieller Bestandteil der Menschenrechte, das Recht zum Religionswechsel, ausgelassen; Saudi-Arabien, Vormacht der sunnitischen Muslime, enthielt sich 1948 in der UNO bei der Abstimmung über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte dieses Punktes wegen der Stimme und sorgte später dafür, dass das Recht zum Religionswechsel in den "Pakt über bürgerliche und politische Rechte" von 1966 nicht aufgenommen wurde.(21) Im schariatisch bestimmten Horizont der mus­limischen Verbände ist für die deutsche Situation nur konsequent, zwar positive Religionsfreiheit für sich zu beanspruchen, jedoch die im Grundgesetz garantierte negative Religionsfreiheit als Ausdruck von Werteverfall und Angriff auf den eigenen Glauben abzuweisen.(22) Gegenüber diesem politischen Islam dürfte in größter Klarheit kritischer Gesprächsbedarf anzumelden sein. Verbände und Dialog In diesem Problemhorizont sollte der durch den Bundesinnenminister einberufenen "Islamkonferenz" und dem ihr zu Grunde liegenden Integrationsansatz ein höheres Maß an öffentlicher Kritik zuteil werden. Geschah hier doch nichts anderes, als dass muslimische Verbände und der säkulare Rechtsstaat einander gegenüber traten, um eine Art vertraglicher Übereinkunft zu erzielen. Dies stellt aber die Souveränität des Staates in gefährlicher Weise zur Disposition. Statt die Zugehörigkeit zur rechtsstaatlichen Ordnung in vollem Umfang zu akzeptieren, begegnen muslimische Repräsentanten der Rechts- und Werteordnung der Mehrheitsgesellschaft als "Partner". Ein solcher Vorgang zieht zumindest den Verdacht auf sich, Teil des Prozesses der verstärkten Anerkennung, parallelen Etablierung und schrittweisen Durchsetzung der Scharia in europäischen Ländern zu sein, wie es die EKD-Handreichung formuliert.(23) Als Bedingung des Zusammenlebens zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in Eu­ropa - und damit als Kriterium der seitens muslimischer Verbände von der Mehrheitsgesellschaft eingeforderten "Toleranz" - wurde die Zulassung schariatischer Ausnahmeregeln verlangt, etwa in Fragen des Schulwesens.(24) Befremden unter nachdenklichen Befürwortern des christlich-islamischen Dialogs erregt ein Votum von Bekir Alboga, dem Dialogbeauftragten der vom türkischen Staat kontrollierten Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib). Ohne Belege zu liefern, moniert Alboga in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ein mangelndes "Bedürfnis nach Diskurs und Dialog", ja eine allgemeine Stimmungsmache gegen den Islam. Im Blick auf Deutschland beklagt der Verbandsfunktionär, "dass ein etablierter Dialog zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft fehlt". Dies wäre eine diskussionswürdige Anfrage, würfe Albogas weitere Argumentation nicht ein sehr schrilles Licht auf sein "Dialog"-Anliegen. Denn der Dialogbeauftragte der Ditib befindet, "das beste Beispiel" für eine gelungene Verbindung von Islam, Aufklärung und Demokratie gebe die Türkei (!). Nicht zuletzt huldige man dort der "Überzeugung, dass die Religionen zu einem Dialog kommen müssen". Angesichts der realen Lage der christlichen "Minderheitsgesellschaft" in der Türkei,(25) auf die Alboga mit keinem Wort eingeht, kann nur gefragt werden, wie ernst europäische Dialogpartner hier genommen werden und welchen Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 4/8 dialogtaktischen und gesellschaftspolitischen Zielen eine derartige Selbstviktimisierung des muslimischen Verbandsfunktionärs dienen soll.26 Der rheinische Präses Nikolaus Schneider verlangt denn auch Auskunft, wieso der türkische Staat "seinen" Christen Rechte verweigert, die er für Muslime via Ditib "in der Bundesrepublik beansprucht".27 Bedauerlicherweise bleiben Erfahrungen mit zweifelhaftem Dialogverhalten muslimischer Verbandsrepräsentanten nicht singulär. Im April 2007 verließ Nadeem Elyas, früherer Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, einen von der Homburger ACK - einer christlich-"mehrheitsgesellschaftlichen" Einrichtung - ausgerichteten Studientag zum Thema "Islam und westliche Welt" unter Protest, nachdem der Religionswissenschaftler Karl-Heinz Ohlig seine historische Theorie zur Entstehung des Koran vorgetragen hatte.28 Elyas tätigte dabei nicht nur Äußerungen, die der persönlichen Verunglimpfung des Mitreferenten zumindest nahe kamen, sondern forderte das überwiegend christliche Auditorium auf, den Glauben "an den einen Gott" zu akzeptieren. Wer dies miterleben musste, hält Zweifel für angebracht, ob muslimische Verbände im "Bedürfnis nach Diskurs und Dialog" mit ihren kirchlichen bzw. säkularen Partnern übereinstimmen. Zur verbreitet oberflächlichen Sicht des Islam gehört der unkritische Umgang mit dem Anspruch der Verbände, allein und verbindlich für "den" Islam in Deutschland zu sprechen. Tatsächlich vertreten die überwiegend aus dem Ausland finanzierten Verbände maximal ein Fünftel der in Deutschland wohnenden muslimischen Menschen.29 Der sozialen Vielfalt zugewanderter Muslime würde es gerecht, auch verbandsfernen und -kritischen Stimmen aus dem muslimischen Be-reich Plätze im institutionalisierten Gespräch einzuräumen. Kirchliche Bildungs- und Dialogangebote, die die Lebenswelt des Islam exklusiv durch Verbandsfunktionäre repräsentieren lassen, wie es selbst im Programm Evangelischer Akademien gelegentlich vorkommt, wirken einer konstruktiven Wahrnehmung der Realität entgegen. Universalität der Menschenrechte Das Evangelium wird in seinem ideologiekritischen und humanisierenden Potenzial verkürzt, wenn Kirche nicht überall für die Geltung der Menschenrechte eintritt und es unterlässt, "Kulturen daraufhin zu untersuchen, wieweit sie Wohlstand und Wohlergehen der Menschen, Freiheit und Menschenrechte fördern oder hemmen".30 Kritische Beobachter bemerken im "linken" politischen Spektrum, dem auch tonangebende Kreise des verfassten Protestantismus zuzurechnen sind, indes eine auffällige Zurückhaltung gegenüber bedrohlichen Tendenzen im muslimischen Bereich. Von der politischen "Linken" sei bisher kaum ein relevanter Beitrag zur Kritik des Islamismus geleistet worden, gegen islamkritische Voten sei hingegen der Generalverdacht der "Islamophobie" oder gar des "Rassismus" schnell bei der Hand. Wenig ist dem Urteil des Journalisten Tobias Kaufmann entgegen zu setzen, wenn er analysiert: "Dort, wo man angesichts eines religionskritischen Erbes glaubwürdigen Widerstand gegen gottesstaatliches Denken erwarten würde, herrschen Schweigen, Verharmlosung oder gar Sympathie mit islamistischen Ideen."31 Als Ursache erkennt Kaufmann neben einem Vulgärmarxismus, der durch Verabsolutierung der sozialen Frage im Muslim nur den ökonomischen "underdog" wahrnehme, besonders einen als Toleranz missverstandenen Kulturrelativismus ohne universales Wertesystem. Zusätzlich werde in antikapitalistischer Attitüde jeder Gegner des "Westens" als Verbündeter begrüßt, was häufig mit kollektivistischer Überhöhung des "einfachen Lebens" einhergehe. Dass insbesondere Frauen im Namen des Islam an der Wahrnehmung grundgesetzlich garantierter Rechte gehindert werden,32 fällt unter diesen Auspizien durch das Raster der Kritik. Eine Handreichung der pfälzischen Landeskirche vom Herbst 2007 liefert ein beunruhigendes Beispiel: Knapp wird über den Themenkomplex "Familie/Stellung der Frau" informiert, ohne die grundlegende Problematik von Parallelgesellschaften zu behandeln. Das Heft verblüfft den kritischen Leser dann aber mit einer uneingeschränkt lobenden Betrachtung der muslimischen Großfamilie. Dort werde ein "Zusammenhalt" geübt, der "auf einheimischer Seite weitgehend verloren gegangen" sei.33 Zwar soll die partielle soziale Leistung der Großfamilie nicht bestritten werden, doch scheint es lebensfremd und verharmlosend, in diesem Zusammenhang die repressive Seite vormoderner Familienstrukturen, auf die kritische Musliminnen alarmierend hingewiesen haben - Seyran Ates, Necla Kelek, Arzu Toker seien stellvertretend genannt - , zu verschweigen. Im Dienst des erklärten Ziels, die "andere Seite durch besseres Kennenlernen stärker tolerieren und akzeptieren zu lernen", läuft das genannte kirchliche Wort Gefahr, die ohnehin schwierige Position dissentierender VertreterInnen der "anderen Seite" Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 5/8 weiter zu schwächen. Vor lauter "Toleranzbereitschaft" übersieht man, dass nicht wenige muslimische Frauen durch Emanzipation aus dem parallelgesellschaftlichen "Zusammenhalt" mühsam zu erreichen suchen, was das Grundgesetz allgemein vorgibt: Selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Ein von der bayerischen Landeskirche veröffentlichter "Begegnungsknigge" empfiehlt in entsprechend unkritischer Manier für die interreligiöse Begegnung, sich darauf einzustellen, dass auf muslimischer Seite "in traditionsorientierten religiösen Kreisen" Frauen eine eng definierte Rolle anzunehmen haben, die insbesondere den Umgang mit Männern einschränkt. Nach Maßstab des Grundgesetzes kann hier nur von Verletzung der Grundrechte gesprochen werden - der protestantische "Begegnungsknigge" verkneift sich dazu jedes Urteil.34 "Klarheit und gute Nachbarschaft", von muslimischer Verbandsseite scharf attackiert, zeigt sich demgegenüber couragiert genug, die hier entscheidende Frage zu stellen: Ob nämlich "die islamische Vorstellung von der Unterwerfung des Menschen unter die Herrschaft Gottes mit demokratischen Prinzipien [...] zu vereinbaren ist".35 Und weiter heißt es unmissverständlich: "Kulturelle Identitäten finden da ihre Grenzen, wo sie in Widerspruch zu den universal geltenden Menschenrechten geraten."36 Sollten Protestanten, die gegenüber anderen christlichen Konfessionen - m.E. zu Recht - ein emanzipatorisches Verhältnis der Geschlechter einfordern, angesichts der diskriminierten Lebenssituation muslimischer Frauen nicht ein gleich großes Maß an kritischer Sensibilität beweisen? So wenig Immigranten einheimische Kultur aufgezwungen werden kann, so eindeutig verbietet es sich, egalitäre menschenrechtliche Standards schwärmerischem Multikulturalismus zu opfern. Die protestantischen Beiträge zum Dialog mit Muslimen zeichnen ein vielfältiges Bild. Mit den herausragend deutlichen Aussagen in "Klarheit und gute Nachbarschaft" scheint die EKD einen Impuls gegeben zu haben für eine wirkliche Hermeneutik des Anderen und ein ungeteiltes, vom Evangelium motiviertes Eintreten für die Menschenrechte. Mit dem Ökumeniker Karl Lehmann gilt: "Nur ein interreligiöses Gespräch, das sich offen den Grundfragen der Religion stellt, wird auch in der Lage sein, die besonders schwierigen und prekären Probleme aufzugreifen."37 Die Muslime und ihre Verbände bedürfen weder oberflächlicher Konsensbeteuerungen noch der In-Schutznahme durch eine Anti-"Fundamentalismus"-Rhetorik, die einzig dazu geeignet ist, wirkliche Diskussion abzutöten. Sie haben Anspruch auf unser authentisches Zeugnis im Wort und in gesellschaftlicher Praxis. Anmerkungen: 1 Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland (EKD-Texte 86), Gütersloh 2006. 2 Jürgen Micksch (Hg.), Evangelisch aus fundamentalem Grund. Wie sich die EKD gegen den Islam profiliert, Frankfurt/M. 2007. 3 Aiman A. Mazyek, "Fundis" auf dem Vormarsch (Kölner Stadtanzeiger, 7. 11. 2007), in: Franz Sommerfeld (Hg.), Der Moscheestreit. Eine exemplarische Debatte über Einwanderung und Integration, Köln 2008, S. 56 - 58, hier: 57. 4 Johannes Lähnemann, Mehr Klarheit und Offenheit im Gottesbild, in: Micksch, aaO, S. 103 - 114. 5 Vgl. Arnulf von Scheliha, Die religionstheoretische Hermeneutik in der EKD-Handreichung, in: Micksch, aaO, S. 65-79, hier: 66f. 6 Martin Stöhr, "Gott schuf nicht Religionen, sondern die Welt", in: Micksch, aaO, S. 80 - 102, hier: 98. 7 Lähnemann, aaO, S. 107. 8 Vgl. Lähnemann, aaO, S. 108f. 9 Profilierung auf Kosten der Muslime. Stellungnahme des Koordinierungsrates der Muslime zur Handreichung "Klarheit und gute Nachbarschaft" der Evangelischen Kirche in Deutschland, in: Micksch, aaO, S. 275 - 292, hier: 283. 10 Vgl. Klarheit, aaO, S. 18. 11 Der muslimische Koordinierungsrat stellt die - exegetisch nicht entfaltete - Behauptung auf, es gebe im Gottesverständnis "kaum Unterschiede" zwischen Koran und AT (vgl. Profilierung, aaO, S. 283). Dem ist zu entgegnen, dass Gott im AT primär der geschichtlich präsente, ein bestimmtes Volk erwählende Bundesherr Israels ist, während universalistische schöpfungstheologische Topoi erst spät in die hebräische Bibel Eingang finden und der israelitischen Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 6/8 Erwählungs- und Kulttheologie zugeordnet bleiben. Die Inkarnation Gottes in Jesus Christus, die das NT erzählt, baut auf dieser Linie einer Anteil nehmend auf das menschliche Leben bezogenen Theologie auf. Wenn der muslimische Koordinierungsrat "Volkszugehörigkeit" ausdrücklich als theologisches Thema für den Koran verneint, setzt er sich in Spannung zu seiner Aussage, AT und Koran stünden einander theologisch nahe (vgl. S. 281). 12 Vgl. Lähnemann, aaO, S. 113. 13 Karl Kardinal Lehmann, Chancen und Grenzen des Dialogs zwischen den "abrahamitischen" Religionen, in: Pfälzisches Pfarrerblatt 2006, S. 449 - 459, hier: 453. 14 Vgl. den Himmel-Hölle-Schematismus, der sich idealtypisch in Sure 56 ausdrückt. 15 Vgl. von Scheliha, aaO, S. 70f. 16 Vgl. Profilierung, aaO, S. 280. 17 Vgl. aaO, S. 283. 18 Vgl. aaO, S. 281. 19 Vgl. Bassam Tibi, Scharia und religiöse Minderheiten im Schatten der Schariatisierung des Rechts, in: Katarzyna Stoklosa/Andrea Strübind (Hgg.), Glaube - Freiheit - Diktatur in Europa und den USA, Göttingen 2007, S. 583 - 606, hier: 592. 20 Vgl. Klaus Hänsch, EU-Verfassung und christliches Europa, in: Michael Hüttenhoff/Wolfgang Kraus/Bernd Schröder (Hgg.), Die Bibel und die Kultur der Gegenwart (Annales Universitatis Saraviensis 27), St. Ingbert 2007, S. 191 - 209, hier: 202. 21 Vgl. Johannes Kandel, Profilierung auf Kosten der Muslime? Anmerkungen zur Stellungnahme des Koordinierungsrates der Muslime zur Handreichung der EKD, in: ders./Reinhard Hempelmann (Hgg.), Problemfelder im christlich-muslimischen Dialog (EZW-Texte 194), Berlin 2007, S. 19 - 42, hier: 34. 22 Vgl. Klarheit, aaO, S. 24. 23 Vgl. aaO, S. 34. 44. 24 Vgl. Tibi, aaO, S. 594, mit weiteren Verweisen. 25 Vgl. einführend den Artikel vom 19. 4. 2007: Anna Reimann/Yassin Musharbash, Hass auf die kleine Herde (www.spiegel.de). 26 Vgl. Bekir Alboga, Dialog statt Polarisierung, in: Sommerfeld, aaO, S. 120-124, hier: 122f. 27 Vgl. Nikolaus Schneider, Religionsfreiheit - was denn sonst? In: Sommerfeld, aaO, S. 182 - 187, hier: 186. 28 Vgl. Karl-Henz Ohlig / Gerd-R. Puin, Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam, Berlin 2005. 29 Vgl. Kandel, aaO, S. 21. 30 Vgl. Tobias Kaufmann, Linkes Scheitern im Umgang mit dem Islamismus, in: Sommerfeld, aaO, S. 113 - 119, hier: 116f. 31 AaO, S. 113f. 32 Dem Hinweis von Ulrich Dehn (Von der Kunst der Begegnung und den Zeichen der Zeit, in: Micksch, aaO, S. 207 - 220, hier: 214), wonach Zwangsverheiratungen und andere Eingriffe in die Grundrechte nicht genuin islamisch sind, sondern aus vorislamischen Kulturen übernommen wurden und sich auch in anderen Religionen fanden bzw. finden, ist historisch beizupflichten. Dies ändert allerdings nichts an dem Sachverhalt, dass die betreffenden Menschenrechtsverletzungen in der bundesrepublikanischen Gegenwart parallelgesellschaftlich durch die religiöse Autorität des Islam getragen werden. 33 Vgl. Landeskirchlicher Arbeitskreis für Islamfragen (Hg.), Christen und Muslime in der Pfalz. Eine Handreichung für die Kirchengemeinden, Speyer 2007, S. 16 - 18. 30f. 34 Hier zitiert nach der pfälzischen Handreichung, S. 32f. 35 Vgl. Klarheit, aaO, S. 26. 36 AaO, S. 48. 37 Lehmann, aaO, S. 454. ■ Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771 Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 7/8 Herausgeber: Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V Langgasse 54 67105 Schifferstadt Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts. Seite 8/8