jaunøjø mokslininkø darbai Der substantivierte Infinitiv als Nomen actionis im Deutschen und Italienischen im Vergleich zu den Nomina actionis im Litauischen und im Russischen Renata LABANAUSKAITË Vilniaus pedagoginis universitetas, Studentø g. 39, LT- 2004 Vilnius Sudaiktavardinta bendratis kaip nomen actionis vokieèiø ir italø kalbose lyginant jà su nomina actionis lietuviø ir rusø kalbose Santrauka Straipsnyje nagrinëjama sudaiktavardintos bendraties kaip nomen actionis vokieèiø ir italø kalbose bei atitinkamø nomina actionis lietuviø ir rusø kalbose problema. Atkreipiamas dëmesys á terminø Verbalsubstantiv, Verbalabstraktum und Nomen actionis atspalvius skirtingø kalbø gramatikose. Pabrëþiamas skirtumas tarp sudaiktavardintos bendraties kaip gryno nomen actionis ir sudaiktavardintos bendraties su konkreèia reikðme vokieèiø ir italø kalbose, palyginant ðá reiðkiná su nomina actionis lietuviø bei rusø kalbose. Daroma iðvada, kad su- daiktavardintai bendraèiai artimiausi veiksmaþodiniai daiktavardþiai su priesagomis lt. -imas / -ymas bei russ. -(å)íèå greta veiksmo ar ávykio reikðmës taip pat gali turëti konkreèià reikðmæ. Paskutiniame straipsnio skyriuje atskleidþiamas bendraties ir veiksmaþodiniø abstraktø santykis. Reikðminiai þodþiai: Substantivierter Infinitiv, Ableitung, Verbalsubstantiv (Deverbativum), Verbalabstraktum, Nomen actionis. I. Einleitendes Der Gegenstand des vorliegenden Artikels ist der substantivierte Infinitiv als Nomen actionis im Deutschen und Italienischen im Vergleich zu den Nomina actionis im Russischen und Litauischen. Zunächst werden die Unterschiede zwischen den Begriffen Verbalsubstantiv, Verbalabstraktum und Nomen actionis in den Grammatiken der zu analysierenden Sprachen gezeigt. Außerdem wird der substantivierte Infinitiv als reines Nomen actionis dem substantivierten Infinitiv als Konkretum gegenübergestellt, was auch den russischen und litauischen Verbalabstrakta charakteristisch ist. Das Ziel der Arbeit ist, die zum substantivierten Infinitiv im Deutschen und Italienischen entsprechenden Nomina actionis im Russischen und Litauischen zu zeigen. Die angewandte Methode ist der Vergleich und die Analyse der Beispielsätze aus einem Korpus von 1500 Belegen. Die Begriffe Verbalsubstantiv, Verbalabstraktum und Nomen actionis werden in den Grammatiken der deutschen, italienischen, russischen und litauischen Sprache etwas unterschiedlich definiert. Da ich mich mit allen vier Sprachen beschäftige, möchte ich diese Definitionen miteinander vergleichen und nur eine der Stellungnahmen akzeptieren. 84 Oftmals werden in der deutschen linguistischen Literatur die Begriffe Verbalsubstantiv, Verbalabstraktum und Nomen actionis als Synonyme gebraucht. Das fällt, z. B. im Lexikon der Sprachwissenschaft auf, wobei man als Stichwort immer Nomen actionis mit den entsprechenden Synonymen anführt. (vgl. Bußmann 1990: 528; Conrad 1981: 180) Renata LABANAUSKAITË II. Zu den Begriffen Verbalsubstantiv, Verbalabstraktum und Nomen actionis þ m o g u s i r þ o d i s 2 0 0 1 I I I jaunøjø mokslininkø darbai Die „traditionelle“ Grammatik und die Wortbildungslehre beschreiben die Nomina actionis von der onomasiologischen Sicht1 . In Wahrigs Deutschem Wörterbuch finden wir unter dem Stichwort Nomen actionis folgende Erklärung: „Aus einem Verb abgeleitetes Substantiv zur Bezeichnung einer Handlung...“ (vgl. Wahrig 1997: 183) Im Prinzip ähnlich formuliert die Duden Grammatik: „Wird ein Geschehen, das gewöhnlich durch ein Verb bezeichnet wird, durch ein Substantiv (Verbalsubstantiv) ausgedrückt, dann spricht man von einem Nomen actionis“ (Duden 1966: Kennz. 4100); und W. Admoni: „...Substantive von verbalen Stämmen mit der Bedeutung eines Prozesses in seinem Verlauf “. (Admoni 1970: 88) Nach B. Comrie sind Nomina actionis von Verben abgeleitete Nomina mit der allgemeinen Bedeutung einer Tätigkeit oder eines Prozesses; Nomina actionis können dekliniert werden und Präpositionen oder Postpositionen um sich haben, ähnlich wie die nicht abgeleiteten Substantive; Nomina actionis sind produktiv. (vgl. Comrie 1976: 178) Für die Verbalabstrakta schlägt W. Gladrow folgende Definition vor: „Unter Verbalabstrakta werden abgeleitete Substantive verstanden, die die Prozessbedeutung des motivierenden Verbs tragen“. (vgl. Gladrow 1998: 224). Diese Definition bezieht sich offensichtlich mehr aufs Russische (auch aufs Litauische), da in diesen Sprachen die Verbalsubstantive in erster Linie durch die Ableitung gebildet werden. Beim substantivierten Infinitiv im Deutschen und Italienischen handelt es sich um die Umkategorisierung. J. Raecke führt folgende Definition von Verbalsubstantiven an: „Unter Verbalsubstantiven werden solche Substantive verstanden, die sich in ihrer lexikalischen Bedeutung nicht von ihnen wortbildungsmäßig meist zugrundeliegenden Verben unterscheiden, diesen gegenüber also kein zusätzliches semantisches Merkmal aufweisen, womit sie im Sinne Kuryùowicz syntaktische, nicht lexikalische Derivate sind. (vgl. Kuryùowicz 1937: 42; Raecke 1977: 168) Diese Definition stellt somit Ver- balsubstantive den Nomina actionis und Verbalabstrakta gleich. Im Russischen wäre „ãëàãîëüíûå ñóùåñòâèòåëüíûå“ der entsprechende Terminus für die Verbalsubstantive, er wird jedoch in der russischen linguistischen Literatur außerordentlich selten gebraucht. Statt dessen ist der geläufige Ausdruck „îòãëàãîëüíûå ñóùåñòâèòåëüíûå“. Dieser Begriff ist allerdings wesentlich umfassender, weil er sich genau genommen auf alle von den Verben abgeleiteten Substantive bezieht. Für die abstrakten Verbalsubstantive kommt deswegen der Terminus Nomen actionis „èìÿ äåéñòâèÿ“ am nächsten. Die große Gruppe der Deverbativa umfasst neben den Nomina actionis die Nomina rei, Nomina acti, Nomina agentis und Nomina instrumenti wie Nomina loci. Nach J. Raecke unterscheiden sich diese letzteren in zweifacher Hinsicht von den Nomina actionis, nämlich erstens darin, dass sie gegenüber den entsprechenden Verben mindestens ein zusätzliches semantisches Merkmal aufweisen, und zweitens darin, dass sie pluralfähig sind, was für die Verbalsubstantive nicht zutrifft. (vgl. Raecke 1977: 168) Auch in den litauischen Grammatiken werden unter dem Begriff Verbalsubstantiv (Deverbativum) alle vom Verbum abgeleiteten Substantive umfasst, z. B. lt. gydytojas ‘der Arzt’, statyba ‘der Bau’, medþioklë ‘die Jagd’ usw. Speziell für abstrakte Verbalsubstantive mit der prozessuellen Bedeutung wird der Terminus Nomen actionis gebraucht. (vgl. Ambrazas 1997: 560; 569). Genau der Fall ist im Italienischen. Unter den Verbalsubstantiven (Nomi deverbali) werden unter anderem Nomina agentis, z. B. it. venditore ‘Verkäufer ’ und Nomina actionis, z. B. it. contraddizione ‘Widerspruch’ verstanden. (vgl. Renzi 1991: 79; 81 ) Weiter werde ich mich an die russische und litauische linguistische Tradition halten und die Verbalsubstantive bzw. Deverbativa für den Oberbegriff von Verbalabstrakta und Nomina actionis halten. Oft wird es behauptet, dass der substantivierte Infinitiv das Abstraktum in seiner reinsten Form verkörpert. Dieses Ausdrucksmittel ist im Deutschen und Italienischen die allgemeinste Möglichkeit, von einem Verbum ein Verbalabstraktum bzw. ein Nomen actionis zu bilden. N. Chomsky unterscheidet bei den englischen Nominalisierungen zwischen den Gerundivformen und den abgeleiteten Formen. (vgl. Chomsky 1968: 184-221) D. Wunderlich unternimmt einen Versuch, Chomskys Überlegungen auf das Deutsche zu übertragen. Er kommt zur Schlussfolgerung, dass den 1 Onomasiologie Bezeichnungslehre; beschäftigt sich damit, das Dinge, Wesen und Geschehnisse sprachlich bezeichnet werden. (vgl. DUDEN 2000: 951) ISNN 1392-8600 III. Substantivierter Infinitiv als reines Nomen actionis? 85 Der substantivierte Infinitiv als Nomen actionis im Deutschen und Italienischen im Vergleich zu den Nomina actionis im Litauischen und im Russischen Gerundivformen im Englischen die deutschen substantivierten Infinitive entsprechen, den abgeleiteten Formen dagegen die Substantive auf -ung, -keit, -nis, -e, usw. Im Gegensatz zu fast unbeschränkter Produktivität der Gerundivbildungen im Englischen erwähnt D. Wunderlich einige Verba dicendi und cogitandi, von denen die Bildung des substantivierten Infinitivs zu ungrammatischen Wortformen führe, z. B. erklär, vermut, sag, obwohl meiner Meinung nach die Okkasionalismen auch in diesem Fall möglich sein sollten. Diese Annahme konnte durch die Recherche in den Korpora der geschriebenen Sprache des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim bestätigt werden. Das Wort Erklären ergab 16 Treffer, Vermuten 34 Treffer und Sagen sogar 2802 Treffer, z. B. Die Idee ist so simpel wie wenig verbreitet: Statt auf das Erklären der Unterschiede zwischen den Kulturen setzt das Material auf Gemeinsamkeit. (SDZ. 16.12.99. S. 47); Nach dumpfem Vermuten könnten dies die Tage sein, die genutzt werden, um nach dem Winterschlußverkauf die Verkaufsangebote auf die FrühjahrsSommersaison umzuschreiben. (MM. 16.09.89. Wirtschaft; Immer Saison); Doch Neumann wusste, wer in Potsdam auch in der neuen Zeit das Sagen hat. (MM. 01.04.91. Politik.) Somit kann diese Behauptung von D. Wunderlich abgelehnt werden. Die Bildung von substantivierten Infinitiven ist sehr produktiv, außerdem ist hier der okkasionelle Gebrauch immer möglich. Der substantivierte Infinitiv erlaubt, so D. Wunderlich, das Einfügen von Artikeln und Adjektiven, was bei den Gerundivbildungen im Englischen nicht der Fall ist, z. B. Man musste die Schönheit durch das Hinsehen selbst schaffen und konnte, wenn es gelang, bezaubert sein. (BK. RM. S. 25) <...> ich wollte laut rufen, umhertanzen, ich fühlte ein Beben, eine Angst vor etwas Starkem, Großem... (EJ. G. S. 84) <...> ein gewisses satirisierendes Scherztreiben mit heiligen Dingen und uralten Sitten <...> (EB. KRTJ. S. 105) Auch diese These scheint nicht richtig zu sein, denn wenigstens den bestimmten Artikel lässt das englische Gerundium zu, z. B. engl. the selling of the books ‘das Verkaufen der Bücher’. D. Wunderlich macht die Schlussfolgerung, dass sich im Deutschen nicht von vornherein zwei Klassen von Ableitungstypen der Nominalisierungen ausmachen lassen, von denen die eine klar durch Transformationen, die andere im Lexikon behandelt werden sollte. (vgl. Wunderlich 1971: 190192) Das trifft dem substantivierten Infinitiv auf jeden Fall zu. Im Wörterbuch der Valenz etymologisch verwandter Wörter von Sommerfeldt/ 86 Schreiber werden auch substantivierte Infinitive aufgenommen, im wesentlichen aber nur dann, wenn es kaum andere Möglichkeiten der Bildung von Substantiven gibt und die substantivierten Infinitive wirklich gebräuchlich sind. Zuweilen werden sie angeführt, um Bedeutungsunterschiede zu anderen substantivischen Bildungen sichtbar zu machen. (vgl. Sommerfeldt/Schreiber 1996: VI) H. Kloocke gibt ein ausführliches Charakteristikum von den deutschen substantivierten Infinitiven. Sie betrachtet sie als Nomina actionis, die sprachgeschichtlich relativ spät auftauchen. Da könnte man aber bemerken, dass man sogar im Gotischen von den Anfängen der Substantivierung des Infinitivs sprechen kann, wenn er vorangestellt wird. J. Jolly führt folgende Beispiele an: got. goth ist niman Marc. 7, 27, dt.‘gut ist es zu nehmen’ wird zu got. niman ist goth ‘Nehmen ist gut’. Zum als Subjekt des Satzes gestellten Infinitiv tritt dann der neutrale Artikel hinzu. Somit können auch die übrigen Kasus gebildet werden. (vgl. Jolly 1873: 174) H. Kloocke weist außerdem darauf hin, dass die substantivierten Infinitive im Deutschen zunächst noch keine rein nominalen, sondern durchaus auch verbale Eigenschaften haben und sich erst allmählich zu vollen Substantiven entwickeln. Im Ahd. erscheinen substantivierte Infinitive bereits in den ältesten Texten, und zwar in nicht-präfigierter und nicht-zusammengesetzter Form. Ihre Konstruktion ist sowohl verbal als auch nominal, der Genitiv und Dativ weisen Flektionsendungen auf, eine Pluralbildung ist auch nicht möglich. Bei Otfried, z. B. weisen nur wenige Stellen darauf hin, dass der Infinitiv dem Substantiv näher tritt. (Wilmanns 1899: 403-404; Naumann 1966: 205) Im Mhd. kann der substantivierte Infinitiv auch die Rektion eines Verbums behalten, selbst wenn er mit einem adjektivischen Attribut verbunden ist, z. B.: güetlîch ( guotlichen Aab ) umbevâhen daz was dâ vil bereit von Sîfrides armen daz minneclîche kint („liebevolles Umarmen des lieblichen Mädchens [mhd. Akk.: „das liebliche Mädchen“] von Seiten Siegfrieds erfolgte da“) NL 616, 2-3. (Vgl. Paul 1998: 318; Naumann 1966: 205) Der italienische substantivierte Infinitiv ist schon bei Dante (14. Jh.) nachzuweisen. Bei Dante erscheint er mit einem Artikel (meistens mit dem bestimmten Artikel) oder mit einem Demonstrativpronomen, Possessivpronomen bzw. Indefinitpronomen, z. B. lo tremare de li occhi miei (Vn XI 2) ‘das Zittern von meinen Augen’. Manchmal begleitet den substantivierten Infinitiv ein Adjektiv, aber nur selten, denn Dante gebraucht nur wenige Epitheta, z. B. l’ora Renata LABANAUSKAITË Sudaiktavardinta bendratis kaip nomen actionis vokieèiø ir italø kalbose lyginant jà su nomina actionis lietuviø ir rusø kalbose þ m o g u s i r þ o d i s 2 0 0 1 I I I jaunøjø mokslininkø darbai che lo suo dolcissimo salutare («saluto») mi giunse (Vn III 2) ‘Es ist Zeit, dass mich sein süßestes Begrüßen erreicht’. (vgl. Enciclopedia Dantesca 1978: 268) Auch mit einem Artikel versehen behält der italienische Infinitiv seine verbalen Charakteristika. Wenn der substantivierte Infinitiv vom transitiven Verb gebildet wird, regiert er ein direktes Objekt, z. B. uno domandare licenzia (Cv III x 10) ‘Bitten nach der Erlaubnis’. Als Verb verhält sich der substantivierte Infinitiv auch, wenn er mit einer Negation steht, z. B. lo non vivere (Cv IV VIII 13) ‘das Nichtleben’ oder mit den Begleitern, die den finiten Verbformen charakteristisch sind, z. B. lo mio parlare in seconda persona (Vn XII 17) ‘mein Sprechen in zweiter Person’. In diesem Beispiel von Dante möchte ich auf den Gebrauch des bestimmten Artikels mit dem Possessivpronomen besonders aufmerksam machen. Der substantivierte Infinitiv hat in den Werken von Dante auch die Funktion eines Prädikats, z. B. tutto è lo cotale pensare de la mia donna (XLI 7) ‘alles ist derartiges Denken über meine Frau’; lo consentire è uno confessare (Cv I II 11) ‘Das Zustimmen ist ein Zugeben’. (vgl. Enciclopedia Dantesca 1978: 268; 269) Die substantivierten Infinitive machen nach H. Kloocke den Verbalabstrakta gewöhnliche Bedeutungsverschiebungen nur sehr zögernd und erst im Nhd. mit, sie sind im Mhd. noch reine Nomina actionis. Eine Ausnahme bilden nur vier substantivierte Infinitive, nämlich wesen, leben, ezzen, trinken, die offenbar direkt spätlateinischen substantivierten Infinitiven nachgebildet sind und schon im Ahd. zum festen Wortschatz gehören. Die Verbalabstrakta haben also um so mehr die Tendenz, ihre rein abstrakte Bedeutung aufzugeben, je älter und gewöhnlicher sie in der Sprache werden. Besonders wenn die Pluralbildung des substantivierten Infinitivs möglich ist, zeugt diese Tatsache von der Bedeutungsverschiebung ins Konkrete wie es bei anderen Verbalabstrakta der Fall ist. (vgl. Kloocke 1974: 9; 13; Paul 1998: 317) Im Deutschen gibt es heutzutage substantivierte Infinitive, die sich semantisch von ihrem Basisverb entfernt haben, z. B. das Abkommen, das Unternehmen, das Vermögen, das Schreiben, das Leiden, das Versprechen, das Essen, das Leben, das Sterben u. a. Wenn die Wörter wie das Leiden, ganz als Substantiva konstruiert, noch als richtige Nomina actionis gelten und als eigentliche Verbalabstrakta empfunden werden können, ist das, z. B. bei den Wörtern wie das Vermögen weniger der Fall. Solche Wörter haben halb oder ganz konkrete Bedeutung (vgl. Wackernagel 1926: 269-270; Wilmanns 1899: 405) Es geht um etwa 220 solche substantivierten Infinitive im Deutschen, die man usuelle Bildungen nennen kann. (vgl. Schippan 1967: 46; Bammesberger 1973: 12; Wahrig 1997: 38; Fleischer/Barz 1995: 211) Bereits in der antiken italienischen Sprache wurde der substantivierte Infinitiv auch im Plural benutzt, was ein eindeutiges Charakteristikum eines Substantivs ist und den substantivierten Infinitiv vom reinen Nomen actionis entfernt. Dante gebraucht dieses Ausdrucksmittel mehrmals, z. B. de li nostri diri (Rime XCVI 13, cfr. Cv IV Le dolci rime 75) ‘von unseren Reden’; O eletti di Dio, li cui soffriri / e giustizia e speranza fa men duri, / drizzate noi verso li alti saliri (Pg XIX 76 e 78). Wortwörtlich könnte man den Satz so übersetzen: ‘Oh, die Ausgewählten vom Gott, diejenigen, deren Leiden / die Gerechtigkeit und die Hoffnung nicht so schmerzhaft macht, / leitet uns zu den hohen Stufen’ (vgl. Enciclopedia Dantesca III./1971: 238; II./1970: 282; V./1976: 289; II./ 1970: 614; 600; IV./ 1973: 1077). Es sei auch mit der Übersetzung ins Deutsche verglichen: ‘O Ausgewählte Gottes, deren Plagen / Gerechtigkeit und Hoffnung nimmt die Härte / Zeigt uns, wo die erhobenen Siegen ragen.’ (vgl. Dante Alighieri 1912: 167); ‘Erwählte Gottes, deren Leidensqualen / Sowohl Gerechtigkeit als Hoffnung lindert, / Zeigt uns den Weg, wo wir nach oben steigen’ (vgl. Dante Alighieri 1950: 229); questi parlar (Pd IX 63) ‘diese Reden’; de’ be’ basciar (Fiore CLI 4) ‘der schönen Küsse’(vgl. Enciclopedia Dantesca I./1970: 530; 1978: 268-271) Dem substantivierten Infinitiv der Artikelsprachen stehen im Russischen und Litauischen die Nomina actionis bzw. die Verbalabstrakta am nächsten, die mit Hilfe der Suffixe gebildet werden. Das Russische wie die anderen slavischen Sprachen (mit Ausnahme des Bulgarischen und Makedonischen) und das Litauische sind artikellose Sprachen. Diese Sprachen wurden im Laufe der Geschichte auch für rückständig gehalten. Als Grund für die Rückständigkeit wurde angenommen, dass es bestimmte Inhalte gibt, die nur durch den Artikel ausgedrückt werden können und dass diese Inhalte ISNN 1392-8600 IV. Nomina actionis im Russischen und im Litauischen, die dem substantivierten Infinitiv im Deutschen und Italienischen am nächsten stehen 87 Der substantivierte Infinitiv als Nomen actionis im Deutschen und Italienischen im Vergleich zu den Nomina actionis im Litauischen und im Russischen für ein größeres Abstraktionsvermögen charakteristisch sind. (vgl. Hodler 1954:15; Snell 1946: 199 ff.; Birkenmaier 1979: 144-145) Aber das Fehlen einer grammatischen Form bedeutet nicht, dass der entsprechende Inhalt nicht durch eine andere Form zum Ausdruck gebracht werden kann. Dazu sei E. Coseriu zitiert, der behauptet, dass: „jede Sprache prinzipiell dasselbe wie jede andere ausdrücken kann, wenn auch durch verschiedene Kategorien und mit verschiedenen Ausdrucksmitteln.“ Beispielsweise im Falle der Überführung der Adjektive und Verben in die Kategorie des Substantivs kann die Aufgabe des Artikels in artikellosen Sprachen durch die Gesamtheit der Verfahren durchgeführt werden, die in diesen Sprachen vorhanden sind, z. B. durch die Suffigierung. (vgl. Coseriu 1970: 123; Birkenmaier 1979: 11; 144-146) Für das Russische bilden die Nomina actionis auch so wie in anderen Sprachen keine morphologisch einheitlich gekennzeichnete Klasse. Die Substantive áîðüáà ‘Kampf ’, ëèêâèäàöèÿ ‘Liquidation’, ââåäåíèå ‘Einführung’, ïðîïàãàíäà ‘Propaganda’ und ïåðåâîä ‘Übersetzung’ erfüllen die gleiche syntaktische Rolle im Satz und unterscheiden sich in ihrer aktualisierten Bedeutung nicht von den entsprechenden Verben áîðîòüñÿ ‘kämpfen’, ëèêâèäèðîâàòü ‘liquidieren’, ââåñòè ‘einführen’, ïðîïàãàíäèðîâàòü ‘propagieren’ und ïåðåâåñòè ‘übersetzen’. „Somit ist die Bildung der Verbalabstrakta, wie diese Substantiva auch häufig bezeichnet werden, eine Angelegenheit der Wortbildung, nicht der Formenbildung des Verbs, wie Isaèenko überzeugend dargelegt hat. (vgl. Isaèenko 1962: 113; 210, zit. nach Raecke 1977: 169) Die Substantive auf russ. -èâàíèå, -âàíèå, (lt. -inëjimas) gehören zu den am meisten „verbalen“ deverbativen Substantiven, z. B. russ. ïåðåæèâàíèå ‘das Leiden’, îáñëóæèâàíèå ‘die Bedienung’, îêðàøèâàíèå ‘das Dekorieren’, lt. apgaudinëjimas ‘das Betrügen’, susiraðinëjimas ‘der Briefwechsel’. Man darf aber nicht vergessen, dass sie sich völlig auf die Semantik der zu Grunde liegenden Verben stützen. Es geht um die Verbalsuffixe russ. -èâà bzw. -âà, lt. -inëti, die die Dauerhaftigkeit einer Handlung bezeichnen. Im Russischen sind das oft Termini, z. B. ñ÷èòûâàíèå èíôîðìàöèè Informationsablesen usw. (vgl. Chochlaèeva 1969: 67-68) Die russischen Substantive auf -(å)íèå können von den präfixlosen Verben des unvollendeten Aspekts gebildet werden, wobei sie in einer Korrelation zu den präfigierten Verben des vollendeten Aspekts stehen. Der Gebrauch dieser 88 Substantive ist in der modernen Sprache meistens stilistisch markiert, z. B. áîëåíèå ‘leidenschaftliches Parteiergreifen (für eine Mannschaft)’, õîòåíèå ‘Wollen’. Diese Substantive werden oft als Termini gebraucht, z. B. òâåðäåíèå ‘Hartwerden’, ëåòàíèå ‘Fliegen’. (vgl. Chochlaèeva 1969: 74-75) V. V. Vinogradov spricht von den Suffixen -íü(å), íè(å) und -åíè(å), die im Russischen die Bedeutung der Handlung am besten ausdrücken können. Theoretisch kann man von fast jedem Verb ein Verbalabstraktum bilden. Am meisten verbreitet sind in der Schriftsprache (besonders in der wissenschaftlichen Literatur und in der Publizistik) die abstrakten Deverbativa auf -àíüå, -åíüå, die von den Verbalstämmen sowohl des unvollendeten, als auch des vollendeten Aspekts gebildet werden können, z. B. russ. Îí ñíîâà ïóñòèë ëîøàäü ãàëîïîì è ñíîâà ïî÷óâñòâîâàë ðîâíîå è ñèëüíîå êà÷àíèå (vom Verb êà÷àòü (uv.) schaukeln) <...> (IF. ÞG. S. 324-327) Er ließ wieder das Pferd im Galopp reiten und fühlte wieder das gleiche und starke Schaukeln; È âîò òåïåðü íåîæèäàííîå ïðåäëîæåíèå (vom Verb ïðåäëîæèòü (v.) ‘vorschlagen’) Âàñþêîâà ïåðåâåðíóëî âñå ñ íîã íà ãîëîâó ‘Und jetzt hat der unerwartete Vorschlag von Vasjukov alles auf den Kopf gestellt’. (GN. AK. S. 11-20) (vgl. Vinogradov 1947: 117) Die Substantive, die von den Verben des vollendeten Aspekts gebildet werden, vereinigen die prozessuellen und nicht prozessuellen Bedeutungen. Die historische Entwicklung richtet sich aber nach der Bildung der nicht prozessuellen Bedeutungen, d. h. nach der Terminologiebildung. Die Bedeutung einer Handlung ist ja eng mit der Bedeutung eines Resultats verbunden, z. B. russ. èçîáðåòåíèå ‘Erfindung’ usw. In der technischen Sprache können die Deverbativa auf -íèå die Bedeutung von Mechanismen haben, z. B. russ. ñöåïëåíèå Kupplung usw. (vgl. Chochlaèeva 1969: 44; 53; 79; Vinogradov 1947: 117; 120-121) Die Deverbativa auf -(å)íèå können auch die Bedeutung der Gemütszustände ausdrücken, z. B. russ. Èíîãäà ó íåãî ïîÿâëÿëîñü æåëàíèå ïîèãðàòü (DN. NO. S. 113-130) ‘Manchmal hatte er Lust zu spielen’; Âåäü îäíîâðåìåííî âî âñåì ìèðå íàáèðàåò ñèëó ñòðåìëåíèå ê áåçîïàñíûì è ýêîëîãè÷åñêè ÷èñòûì ýëåêòðîñòàíöèÿì. (I. 23.09.87) ‘Doch nimmt das Streben nach sicheren und umweltfreundlichen Elektrizitätswerken gleichzeitig in der ganzen Welt zu.’ usw. Im Litauischen können von einem jeden Verb die Verbalabstrakta mit Hilfe des Suffixes -imas / -ymas gebildet werden, z. B. Toks aptarnavimas visiems Renata LABANAUSKAITË Sudaiktavardinta bendratis kaip nomen actionis vokieèiø ir italø kalbose lyginant jà su nomina actionis lietuviø ir rusø kalbose þ m o g u s i r þ o d i s 2 0 0 1 I I I jaunøjø mokslininkø darbai prieinamas. (Švyt. 11.95.) ‘Solche Bedienung ist einem jeden zugänglich’; Að suprantu, jog Babilono atstatymas galëjo bûti ðioks toks ðokas (Š. A. 04.95) ‘Ich verstehe, dass „der Wiederaufbau von Babylon“ einigermaßen schockierend sein konnte’ usw. Die Gegenüberstellung von Sportartenbenennungen als reinen Nomina actionis im Deutschen, Litauischen und Russischen zeugt auch davon, dass dem substantivierten Infinitiv im Deutschen die Substantive auf -(å)íèå im Russischen und die Substantive auf -imas / -ymas im Litauischen entsprechen, z. B. dt. das Laufen – lt. bëgimas. Im Russischen erscheinen neben den Ableitungen auf íè(å), -íü(å) auch die Ableitungen auf -á(à) und -êà, sowie die Verbalabstrakta mit Nullsuffix, z. B. dt. das Gehen – russ. õîäüáà – lit. ëjimas; dt. das Radrennen – russ. âåëîãîíêà – lt. dviraèiø lenktynës usw. Balt. *-ma ist ohne Zweifel das lebenskräftigste Suffix zur Bildung von Abstrakta. Die Verteilung der Suffixe -imas / -ymas für Verbalabstrakta herrscht stark vor, aber gilt trotzdem nicht ausnahmslos. Für die litauischen Nominalabstrakta auf -imas / -ymas (z. B. lt. jaunimas ‘junge Leute, Jugendgesellschaft’) stellt Leskien „eine starke Hinneigung zu konkreter Bedeutung“ fest. Jedoch kann kaum Zweifel daran bestehen, dass das deskriptiv konkrete Substantiv jaunimas auf ein Abstraktum zurückgeht. (vgl. Leskien 1891: 429; 430, zit. nach Bammesberger 1973: 99; 105) Es sei dazu bemerkt, dass folgende Wörter neben ihrer prozessuellen Bedeutung eine semantisch vom Basisverb abgewandelte Bedeutung haben: ástatymas (Sg.), ástatymai (Pl.) ‘das Gesetz, die Gesetze’ neben ástatymas (Sg.) ‘das Einsetzen’; gërimas (Sg.), gërimai (Pl.) ‘das Getränk, die Getränke’, aber mit einer anderen Betonung gërimas (Sg.) ‘das Trinken’; kalëjimas (Sg.), kalëjimai (Pl.) ‘das Gefängnis, die Gefängnisse’, aber auch kalëjimas (Sg.) ‘das Im-Gefängnis-Sitzen’; paþymëjimas (Sg.), paþymëjimai (Pl.) ‘die Bescheinigung, die Bescheinigungen’, aber auch ‘das Anstreichen’ (z. B. von einem Fehler)’; draudimas (Sg.) ‘das Verbot; die Versicherung’ neben draudimas (Sg.), draudimai (Pl.) ‘das Verbot; die Verbote’; rinkimas (Sg.) ‘das Sammeln’ neben rinkimai (Pl.) ‘die Wahl’; atlyginimas (Sg.), atlyginimai (Pl.) ‘der Lohn, die Löhne ’ neben atlyginimas (Sg.) ‘die Zahlung’; áëjimas (Sg.), áëjimai (Pl.) ‘der Eingang, die Eingänge’ und áëjimas (Sg.) ‘das Hineingehen’; iðëjimas (Sg.), iðëjimai (Pl.) ‘der Ausgang, die Ausgänge’ und iðëjimas (Sg.) ‘das Hinausgehen’ usw. Das Suffix -imas / -ymas verleiht dem Stamm meistens keine zusätzliche lexikalische Bedeutung, der Stamm wird nur aus einer Wortart in eine andere transportiert. Auch in den Wörterbüchern werden diese Derivate neben dem entsprechenden Verb angegeben, z. B. augimas ‘Wachsen’ neben augti ‘wachsen’ usw. Nur im Falle einer konkreten Bedeutung stehen die Ableitungen auf -imas / -ymas als Stichwörter im Wörterbuch, z. B. kalëjimas Gefängnis. (vgl. Paulauskienë 1994: 75) V. N. Chochlaèeva weist darauf hin, dass das Hauptmerkmal der semantischen Struktur der Substantive auf -(å)íèå das Umfassen der prozessuellen und nicht prozessuellen Bedeutungen ist, z. B. ïîñòóïëåíèå – 1. ‘Eintritt; Eintreffen’ (prozessuelle Bedeutung) entspricht der 2. und 3. Bedeutung von den Verben ïîñòóïèòü; 2. ‘Geldeingang’ (nicht prozessuelle Bedeutung) entspricht der 2. Bedeutung vom Verb ïîñòóïèòü. Somit lassen sich Parallelen zwischen den Verbalabstrakta auf -(å)íèå im Russischen, den Ableitungen auf -imas / -ymas im Litauischen und dem substantivierten Infinitiv im Deutschen und Italienischen ziehen: Sowohl die Substantive auf (å)íèå und -imas / -ymas, als auch die substantivierten Infinitive im Deutschen und Italienischen können von ihrer rein prozessuellen Bedeutung abweichen und Konkreta werden. (vgl. Grzegorczykowa 1998: 393-394; TS 1935-40, zit. nach Chochlaèeva 1969: 60; Bammesberger 1973: 99) Die Verbalabstrakta haben eine Position zwischen den typischen Verben, die Tätigkeiten und Prozesse bezeichnen und den typischen Nomina, die die Benennungen für Dinge, Personen und Örter umfassen. Der kategoriale Status der Nomina actionis ist in verschiedenen Sprachen unterschiedlich. In manchen Sprachen werden sie aus der morphologischen Sicht als richtige verbale Formen betrachtet, in anderen Sprachen bilden sie eine Gruppe abgeleiteter Nomina. In verschiedenen Sprachen stehen sie entweder näher zum Verb, oder näher zum Nomen. (vgl. Koptjevskaja-Tamm 1993: 6; Murjasov 2000: 52) F. Miklosich weist darauf hin, dass die russischen Verbalabstrakta auf ije ursprünglich nur von imperfektiven Verben gebildet wurden. Der Infinitiv konnte dagegen auch ursprünglich von allen Verben gebildet werden. Darauf beruht seiner Meinung nach ISNN 1392-8600 V. Die Gegenüberstellung von den Verbalabstrakta und dem Infinitiv 89 Der substantivierte Infinitiv als Nomen actionis im Deutschen und Italienischen im Vergleich zu den Nomina actionis im Litauischen und im Russischen der erste Unterschied zwischen dem Infinitiv und ihm am nächsten verwandten russischen Verbalabstrakta auf ije. Der zweite Unterschied ist derjenige, dass jene Substantive statt des das Verbum finitum begleitenden Akkusativs des Objektes den Genitiv annehmen, während sich der Infinitiv hinsichtlich der Rektion von dem Verbum finitum nicht entfernt. (vgl. Miklosich 1926: 845;) So verhalten sich sowohl die litauischen Verbalabstrakta auf -imas / -ymas, als auch der deutsche substantivierte Infinitiv, die ein Genitiv um sich haben, während der Infinitiv ein Akkusativ verlangt, z. B. lt. kilometro (Gen.) ëjimas ‘das Gehen von einem Kolometer’ vs. nueiti kilometrà (Akk.)‘einen Kilometer gehen’; dt. Das Dünsten des Gemüses (Gen.) durch die Küchenhilfe dauert nicht lange. Die Küchenhilfe dünstet Blumenkohl (Akk.). Nur im Italienischen hat der substantivierte Infinitiv mehr verbale Charakteristika und kann ein Akkusativobjekt um sich haben, z. B. it. il dipingere un quadro (Akk.) ‘das Malen eines Bildes’. V. V. Babajceva erwähnt unter anderem die Verbalabstrakta und den Infinitiv als Wörter, die die Differenzierungseigenschaften unterschiedlicher Wortarten beibehalten, wobei die Eigenschaften einer Wortart vorherrschen. Die Verbalabstrakta nehmen bestimmte Eigenschaften der Substantive an (substantivische Morphemstruktur, syntaktische Funktionen der Substantive), wobei sie auch die Eigenschaften der Verben behalten (spezifische Kategorielle Bedeutung und dadurch bedingte Valenz). Die Verbalsubstantive sind in der Peripherie des substantivischen funktional-semantischen Feldes. Der Infinitiv als Resultat der diachronen Verwandlung gehört zu dem System der Verbalformen, obwohl er in den Substantiven typischer Funktion des Subjektes sowie des Objektes auftreten kann. Der Infinitiv ist in der Peripherie des verbalen funktional-semantischen Feldes. A. M. Peðkovskij sieht einen Zusammenhang zwischen dem Infinitiv und dem Substantiv „im Moment der Ablenkung der Handlung von der handelnden Person, was sowohl dem Infinitiv als auch den deverbalen Substantiven charakteristisch ist“. (vgl. Babajceva 2000: 76; 239; 241; 330; Peðkovskij 1934: 118) Das Russische und das Litauische unterscheiden ganz streng zwischen dem Infinitiv und dem Nomen actionis, da sich der letztere in voller Kompetenz des Wortbildungssystems befindet. Der Unterschied ist in diesen Sprachen viel größer als in anderen Sprachen, die zwischen dem Infinitiv und dem Nomen actionis unterscheiden, z. B. im Deutschen und Italienischen. (vgl. Murjasov 2000: 54) 90 Bei V. V. Vinogradov und in den beiden Akademiegrammatiken von 1952/54 und 1970 werden die deverbativen Substantiva und der Infinitiv völlig isoliert voneinander behandelt, die ersten im Rahmen der Wortbildungslehre, der letztere im Rahmen des Verbs. (vgl. Vinogradov 1947: 117; 429-431) Ähnlich sieht es in den litauischen Grammatiken aus. Die Deverbativa werden im Rahmen der Wortbildungslehre, der Infinitiv dagegen im Rahmen des Verbs behandelt. (vgl. Valeckienë 1998; Ambrazas 1996; Paulauskienë 1994) Da sowohl der russische Infinitiv als auch die entsprechenden Verbalabstrakta “Handlungen bezeichnen”, könnte ihr Unterschied wohl nur im Grad der Abstraktheit liegen, mit dem sie es tun. Schon A. A. Potebnja stellt fest, dass das Nomen actionis abstrakter als das Verb ist, „wofern es eine Handlung in Form einer fiktiven Substanz abbildet, währenddessen das Verb einschließlich des Infinitivs die Tätigkeit in Verbindung mit ihrem tatsächlichen Erzeuger darstellt.“ (vgl. Raecke 1977: 173; Potebnja 1958: 347) Worin besteht die höhere Abstraktheit der deverbativen Substantive? Man könnte wohl nur an die Bemerkung V. V. Vinogradovs denken, dass in den deverbativen Nomina die Diathese und der Verbalaspekt sich verwischen, so dass z. B. óëó÷øåíèå ‘die Verbesserung’ die Nominalisierung von óëó÷øèòü, óëó÷øàòü, ‘verbessern’ óëó÷øèòüñÿ und óëó÷øàòüñÿ ‘sich verbessern sein kann. (vgl. Raecke 1977: 174; Chochlaèeva 1969: 45-53; Vinogradov 1947: 118) Durch die Abstraktheit sind Infinitiv und Nomen actionis miteinander verbunden, das erklärt auch die Möglichkeit solcher Parallelkonstruktionen wie russ. ëþáëþ ïåòü, lt. mëgstu dainuoti ‘Ich mag singen’, was bedeutet, dass ich selbst singe – russ. ëþáëþ ïåíèå, lt. mëgstu dainavimà ‘Ich mag das Singen’, kann auch bedeuten, dass ich es mag, wenn die anderen singen, oder es gefällt mir, wenn es gesungen wird; russ. ãóëÿòü ïîëåçíî, lt. pasivaikðèioti sveika ‘Spazieren zu gehen ist nützlich’– russ. ãóëÿíèå ïîëåçíî, lt. pasivaikðèiojimas sveika ‘das Spazierengehen ist nützlich’. Die unmögliche Gegenüberstellung von den Sätzen: Ìíå êàòàòüñÿ ãëóïî –Ìîå êàòàíèå ãëóïîå zeugt davon, dass das ausnahmslose Zuschreiben dem Infinitiv der Eigenschaft der Substantivität, wobei er synonymisch durch Verbalnomen ersetzt werden könnte, nicht immer möglich ist. (vgl. Bricyn 1990: 25-26) Renata LABANAUSKAITË Sudaiktavardinta bendratis kaip nomen actionis vokieèiø ir italø kalbose lyginant jà su nomina actionis lietuviø ir rusø kalbose þ m o g u s i r þ o d i s 2 0 0 1 I I I jaunøjø mokslininkø darbai Schlussfolgerungen 1. Um Missverständnisse zu vermeiden, was die Definitionen von den Begriffen Verbalsubstantiv, Verbalabstraktum und Nomen actionis in den Grammatiken der deutschen, italienischen, russischen und litauischen Sprache anbetrifft, wird es vorgeschlagen, Verbalsubstantiv als Oberbegriff für alle vom Verbum abgeleiteten Substantive zu betrachten, Verbalabstraktum und Nomen actionis dagegen speziell als abstrakte Verbalsubstantive mit der prozessuellen Bedeutung. 2. Im Deutschen und Italienischen ist der substantivierte Infinitiv die allgemeinste Möglichkeit, von einem Verbum ein Verbalabstraktum bzw. ein Nomen actionis zu bilden. Die Anfänge des deutschen substantivierten Infinitivs sind schon im Gotischen zu finden. Im Ahd. behält er noch keine rein nominalen, sondern mehr verbale Eigenschaften und entwickelt sich erst allmählich zum richtigen Substantiv. Erst im Nhd. entfernen sich semantisch viele substantivierte Infinitive von ihrem Basisverb und werden als Konkreta empfunden. 3. Im Vergleich zum deutschen ist der italienische substantivierte Infinitiv auch keine späte Erscheinung, behält aber bis heute mehr verbale Charakteristika, in erster Linie die Akkusativobjekte und die den Verben typische Negation. 4. Dem substantivierten Infinitiv im Deutschen und Italienischen stehen die Substantive auf -(å)íèå im Russischen und die Substantive auf -imas / -ymas im Litauischen am nächsten. Sie transportieren den Stamm aus einer Wortart in eine andere, so wie es durch die Substantivierung des Infinitivs mit Hilfe des Artikels passiert. Diese Verbalabstrakta sind in allen vier Sprachen keine reinen Nomina actionis, weil sie zusätzliche semantische Bedeutungen aufweisen können. 5. Das Russische und das Litauische unterscheiden ganz streng zwischen dem Infinitiv, der in diesen Sprachen dem Verbum näher steht, und dem Nomen actionis. Der Unterschied ist dabei in diesen Sprachen viel größer als im Deutschen und Italienischen, wo der Infinitiv durch seine Substantivierung wesentlich näher dem Nomen getreten ist. Abkürzungen 1.BK. RM. Kronauer, B.: Rita Münster. München. 1991. 2.DN. NO. Dubov, N.: Nebo s ovèinki. In.: Sobranie soèinenij v 3-ch tomach. T. l. Moskva. 1970. (Uppsala-Korpus) 3.EB. KRTJ. Behler, E.: Klassische Ironie. Romantische Ironie. Tragische Ironie. Darmstadt. 1972. 4.EJ. G. Der Engel mit den Jasminblüten. Erzählungen aus Griechenland. Übertragen und herausgegeben von Isodora RosenthalKamarinea. München. 1986. 5.GN. AK. Gladyðev, N.: Antonov kolodec. Moskva. 1988. (Uppsala-Korpus) 6.I. die Zeitung Izvestija. (Uppsala-Korpus) 7.IF. ÞG. Iskander, F.: Þivotnye v gorode. In.: Prazdnik oþidanija prazdnika. Moskva. 1986. 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