Werkstoffe und Sensorik 37 ________________________________________________________________________________________________________________________ 5. Akustische Wellen Die Geschwindigkeit akustischer Wellen ist in hohem Maße von der Dichte des Mediums und damit der Anwesenheit chemischer Teilchen abhängig. Um neben der universellen Dichte Informationen über spezifische chemische Teilchen zu erhalten, wird ein selektives Adsorbent benötigt und die Möglichkeit, die Stoffe räumlich zu konzentrieren, wo sich die akustischen Wellen fortbewegen. Die hohe Empfindlichkeit kann dazu dienen, physika- Abb. 5.1. lische, chemische und biologische Größen zu messen. In vielen Fällen ist das Ausgangssignal eine Frequenz, die einfach und präzise messbar ist. Die ersten Ultraschall-Dampf- und Gas-Sensoren verwendeten schwingende piezoelektrische Kristallplatten, die frequenzmessende Elemente elektronischer Oszillatoren waren. Darauf wurden spezifische Schichten aufgetragen, um den Dampf oder das Gas zu adsorbieren. Die Resonanzfrequenz hängt von der Zahl und der Art der Moleküle ab. In neuerer Zeit werden besonders die Vorzüge anderer 38 Werkstoffe und Sensorik ________________________________________________________________________________________________________________________ Sensorkonfigurationen genutzt, z. B. die Bewegung der Ultraschallwelle entlang der Oberfläche eines Festkörpers oder in einer sehr dünnen Membran oder Platte (s. Abbildung 5.1.). Bewegung elastischer Wellen Unbegrenzter Festkörper: Nur Longitudinal- und Transversalwellen (analog zu Druckwellen). Die Bewegung der Atome wird als klein gegenüber wenigen Ångström Abstand zwischen den Atomen angenommen. Es gilt dann das Hookesche Gesetz mit einem linearen Zusammenhang zwischen Wellendruck und -verschiebung. Tij = C ijkl S kl (5.1) Tij: Druck entlang der i-Koordinate auf einer Oberfläche mit der Normalen senkrecht zur xj-Achse, Skl: Verschiebung, definiert durch: S kl = 1 2 È∂u k ∂ui ˘ Í ∂x + ∂x ˙ Î 1 k ˚ (5.2) u: Verschiebung in Richtung k, cijkl: elastische Steifigkeitskonstante. Mit der Newton´schen Kraftgleichung Fi = ∂Tij ∂2u = p 2k ∂x j ∂t (5.3) läßt sich die elastische Wellengleichung für homogene elastische Festkörper ableiten p ∂ 2 ui ∂2 u k = c ijkl ∂t2 ∂x i ∂x j (5.4) r: Dichte des Mediums. Lösungen sind der Realteil von [ ] u = A exp ik (l i ri - vt) (5.5) Die Lösung liefert die Phasengeschwindigkeit v der Volumenwellen. Eine Oberflächenwelle (SAW) breitet sich entlang der Oberfläche eines semi-infiniten Festkörpers aus. Die Geschwindigkeit ist unabhängig von der Frequenz (wie für Volumenwellen). Die Teilchenbewegung einer SAW ist nahe der Oberfläche am größten und nimmt innerhalb 1 Å praktisch auf 0 ab. Die Kräfte auf der Seite der freien Oberfläche verschwinden. Die SAW-Geschwindigkeit ist in jedem Festkörper geringfügig geringer als die der TransversalVolumenwelle. Liegt der Ausbreitungsvektor xk in der Ebene einer Kristallsymmetrie, so bewegen sich die Teilchen an der Oberfläche entlang elliptischer Pfade in der Ebene senkrecht zur Oberfläche (wie Wellen auf Wasseroberflächen). Abb. 5.2. Bei einer Platte verschwinden die Kräfte an beiden Oberflächen. Die Lösungen heißen Lambwellen, deren Geschwindigkeit vom Plattenmaterial und dem Verhältnis Plattendicke/Wellenlänge abhängt. Diese Platten-Moden können in symmetrische und unsymmetrische eingeteilt werden, abhängig von der Symmetrie der Bewegungs- Werkstoffe und Sensorik 39 ________________________________________________________________________________________________________________________ - Orientierung des angewandten elektrischen Feldes relativ zur kristallographischen Achse - relative Anordnung der kammähnlichen Elektroden und des Substrats, wenn ein piezoelektrischer Film auf einem nicht piezoelektrischen Substrat verwendet wird - Verhältnis räumlich periodischer Abstands / Wellenlänge für SAW und Platten-Moden. Für einen piezoelektrischen Festkörper wird das einfache Hookesche Gesetz durch die piezoelektrischen Zustandsgleichungen ersetzt. Tij = cijkl Skl - eijm Em Dn = enkl Skl - enm Em Abb. 5.3. Typische SAW-Teilchen-Verschiebung (hor. + ver.) für Wellen, (5.6) (eijm: Elemente des piezoeletrischen Tensors des Materials, Em: elektrisches Feld, Dn: elektrische Verschiebung, enm: dielektrische Permittivität). die sich horizontal in einem isotropen Medium ausbreiten. komponente senkrecht zur Plattenoberfläche (s. Abbildung). Die Geschwindigkeit ist stark von der Plattendicke abhängig. Die höchste Enpfindlichkeit für den Nachweis von Gasen wird für die antisymmetrische Mode der geringsten Ordnung erreicht für eine sehr dünne Platte. Eine bequeme Ankopplung elektrischer Stromkreise an elastische Wellen stellen piezoelektrische Effekte dar. Die frühesten Volumenwellen-Sensoren waren Platten aus kristallinem Quarz SiO2. Für Oberflächenwellen ist die Auswahl größer: Kristallines Quarz, Ferroelektrische Einkristalle von LiNbO3, dünne Filme aus ZnO. Die Größe des piezoelektrischen Effekts hängt von den verwendeten Elektroden ab. Um eine Volumenmode elektrisch anzuregen, wird eine Wechselspannung zwischen großflächigen Elektroden an den beiden gegenüberliegenden Flächen einer Kristallplatte angelegt. Die piezoelektrischen Drücke werden an der Grenzfläche Platte/leitende Elektroden erzeugt, die bei der Betriebsfrequenz üblichen Weise eine halbe Wellenlänge entfernt sind. Daher addieren sich die Wellen, die an jeder Elektrode erzeugt werden, in Phase während sie die Dicke des Teils durchqueren. Es bauen sich resonante Schwingungen auf. Für SAW und Platte-Moden sind die übertragenden Elektroden entweder interdigital oder unipolar kammähnlich, mit Abständen gleich der Wellenlänge oder ganzzähligen Vielfachen davon. Die Stärke der Kopplung eines gegebenen piezoelektrischen Materials hängt von mehreren Faktoren ab: - piezoelektrische und elastische Eigenschaften des Materials selbst Eine Welle eines elektrischen Feldes begleitet jetzt die elastische Welle. Die Wellengeschwindigkeit hängt von den elastischen, piezoelektrischen und dielektrischen Eigenschaften ab. Das Medium verhält sich "steifer" durch die zusätzliche potentielle Energie, die von der piezoelektrischen Kopplung herrührt. Die Geschwindigkeiten sind höher als ohne Kopplung ("piezoelektrische Versteifung"). Elastische Versteifung cversteift = c (1 + K2) K2 = e2/ce ∆ (eijmEm) (5.7) K 2 = e2 / c e =elektromechanischer Kopplungskoeffi- zient. Durch Anwendung des Newtonschen Kraftgesetzes läßt sich zeigen, daß die Kraft die Form — (eijmEm) hat. D. h., die Schallwellen in piezoelektrischen Materialien sind die Gebiete, wo lokale Änderungen piezoelektrischer Kopplungskoeffizienten e oder des elektrischen Feldes auftreten. Im Volumen treten beide Änderungen dort auf, wo die leitfähigen Elektroden den Kristall kontaktieren. In SAW und Plattenmoden sind die stärksten Quellen dort, wo die Elektroden den Kristall berühren oder an den Elektrodenkanten, wo das elektrische Feld am stärksten konzentriert ist. Es wird beobachtet, daß folgende Beziehung für die Phasengeschwindigkeit der elastischen Welle besteht: u= Steifheit/Dichte (5.8) Piezoelektrische Kopplung erhöht die Geschwindigkeit. Temperaturerhöhung erniedrigt die Geschwindigkeit. 40 Werkstoffe und Sensorik ________________________________________________________________________________________________________________________ Tab. 5.1. Factors that affect ultrasonic wave velocity. B, S, and P denote bulk, surface and flexural plate modes respectively Ebenso erniedrigen Erniedrigungen der Dichte die Phasengeschwindigkeit. Die Tabelle 5.1. zeigt einige Größen, die die Geschwindigkeit beeinflussen. Volumensensoren: Änderungen durch Adsorption von Gasmolekülen nur an der Oberfläche. ∆u/ures = Sm∆m (5.9) Bequemste Methode der Verknüpfung elektrischer Stromkreise mit elastischen Wellen: Piezoelektrischer Effekt (elektrische Polarisationsladungen ¤ mechan. Druck) Piezoelektrizität zeigen Materialien mit asymmetrischer ionischer Polarisation als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen CoulombKräften und elastischen Kräften. Beispiele: Natürlicher Quarz, LiNbO3 (ferroelektrisch), PZT (Sinterkörper), CdS, ZnO (Dünnschichten), Polymere (Poly (Vinyl-Fluorid)). Für Sensor-Anwendungen erforderlich: - Hoher piezoelektrischer Kopplungs-Wirkungsgrad - Gute Temperatur-Stabilität - Geringe Ausbreitungsverluste - Chemische Stabilität Sm: Proportionalitätsfaktor. Beispiel: Die Frequenz eines 6-MHz AT-geschnittenen Quarzkristallresonators nimmt um ein Hz ab, wenn 12 ng-Gasmoleküle/cm2 auf eine der Flächen adsorbiert sind. Selektivität Neben einem "aktiven Sensor" wird ein "Referenzsensor" verwendet, der der gleichen Umgebungstemperatur und dem gleichen Druck unterworfen ist, während das aktive Element alleine auf die Meßgröße reagiert. Beispiele: s. Tabelle 5.2. Akustische Wellen-Sensoren bestehen aus den beiden Elementen: - Akustische Sonde - Selektive Beschichtung Abb. 5.4. Diese Kriterien werden von vielen Materialien erfüllt (besonders SiO2, LiNbO3, ZnO auf SiO2). Unterschiedliche Massenempfindlichkeiten: Sie ist für YX-Quarz 1.8 x höher als für ZX-ZnO und 2.5 x höher als für YZ-LiNbO3. Wahl des piezoelektrischen Materials und der Orientierung abhängig von der gewünschten Ausbreitung der Welle: - AT- und BT-geschnittener Quarz vibriert parallel zu den Ebenen, die eine Scherung zeigen. fi Bulk-modesensors . (Ebenfalls: keine Temperaturabhängigkeit) - ST-geschnittener Quarz: Æ SAW (Ebenfalls: keine Temperaturabhängigkeit) LiNbO3 hat wesentlich höhere piezoelektrische Kopplung als Quarz, aber eine relativ hohe Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeit. Gesputtertes ZnO hat eine mittlere Kopplung, und es ist möglich, (für einen engen Wellenlängenbereich) die Temperaturabhängigkeit von LiNbO3 zu kompensieren. Werkstoffe und Sensorik 41 ________________________________________________________________________________________________________________________ Tab. 5.2. Possible approaches for obtaining selective gravimetric response n: Zahl der Moleküle/Zeitund Flächeneinheit, t : mittlere Zeit der Haftung eines Moleküls an der Oberfläche, t hat eine exponentielle Abhängigkeit von der Sorptionsenergie. ii) Lösungs-Konzept: Für flüssige oder amorphe Festkörper oberhalb der Erweichungstemperatur (z.B. elastomere Polymere) kann die Löslichkeit des Gases herangezogen werden. Frequenzverschiebung für SAW-Sensor: ∆ƒn = ∆ƒsCnK/r (5.10) ∆ƒn: Frequenzverschiebung durch Beschichtung, Cn : GasKonzentration, K: Verteilungskoeffizient, r: Beschichtungsdichte. Verteilungskoeffizienten können der Gas-ChromatographieLiteratur entnommen werden. Der Verteilungskoeffizient ist stark temperaturabhängig. Selektive Beschichtung: Kritischer Aspekt ist die Stabilität. Oft werden organische Polymere verwendet, die in Luft oxidieren können. Die Sensitivität wird durch die Fähigkeit zu sorbieren kontrolliert. Irreversible Wechselwirkungen sind zu vermeiden (außer für Dosimeter). Poröse Materialien mit großer Oberfläche zeigen schnellere Ansprechzeiten. Die gleichen Beschichtungen sind für alle Moden anwendbar. Die Energie der Sorption reicht von schwachen vander-Waals Bindungen (< 0.1 kcal/mol) bis zu kovalenten Bindungen (> 100 kcal/mol). Mittlere Wechselwirkungsenergien sind bevorzugt, z. B. Wasserstoffbindung, Charge-Transfer-Komplexbildung. Zwei Konzepte für das Design selektiver Beschichtungen: i) Dynamisches Adsorptions-Konzept. Langmuir: Kinetische Theorie der Gasadsorption, Zahl der Moleküle pro Flächeneinheit: s = nt Abb. 5.5.