Gotteslehre Prof. O. Meuffels Vorlesung: Gotteslehre 0. 0.1 0.1.1 0.1.1.1 Hinführung Das Anliegen der Vorlesung Die Rede von Gott in ihrer Notwendigkeit und Problematik Das Wort „Gott“ Wir Christen glauben an jenen Gott, der sich im Alten und Neuen Bund in besonderer Weise geoffenbart hat. Und dieser Gott hat uns ein Heil verheißen, das bereits hier und jetzt angebrochen ist. Nicht zuletzt deshalb, weil dieser Gott sich unserer Welt und jedes Menschen annimmt, d.h.: Er begleitet Israel auf seinem Geschichtsweg; Darüber hinaus teilt im Neuen Bund der menschgewordene Gottessohn unser Lebensschicksal von der Geburt bis zum Tod. Insofern ist Gott und das von ihm initiierte Heil des Menschen das einende Thema aller Theologie. ------------------------------------------------------------------------------------------------- Theologie = verantwortete Rede (Logos) von Gott (Theos), der sich selbst mitgeteilt hat und den Menschen in der Gemeinschaft mit ihm Heil schenken möchte. Folie 1 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Was bedeutet das Wort „Gott“? Nach MARTIN BUBER ist das Wort Gott „das beladenste aller Menschenworte. Keines ist so besudelt und zerfetzt worden ... Die Geschlechter der Menschen mit ihren Religionsparteiungen haben das Wort zerrissen; sie haben dafür getötet und sind dafür gestorben; es trägt ihrer aller Fingerspur und ihrer aller Blut. ... Sie zeichnen Fratzen und schreiben Gott darunter; sie morden einander und sagen in Gottes Namen. ... Wir müssen die achten, die es verpönen, weil sie sich gegen das Unrecht und den Unfug auflehnen, die sich so gern auf die Ermächtigung durch Gott berufen“. (Martin Buber, Begegnung. Autobiographische Fragmente, Stuttgart 21961, 43; vgl. Walter Kasper. Der Gott Jesu Christi 13f.) Wie also sollen wir verantwortlich von Gott reden? – Antwortversuche aus der Tradition: THOMAS VON AQUIN (1225-1274): Gott ist der letzte, selbst grundlose Grund aller Wirklichkeit, der alles trägt und bewegt, Gott ist das letzte Ziel, das alles lenkt und ordnet. (vgl. S. th. I q. 2 a. 3). Folie 2 Gotteslehre Prof. O. Meuffels ANSELM VON CANTERBURY (1033-1109): Gott ist etwas, „worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“. (Proslogion 2) MARTIN LUTHER: „Ein Gott heißet das, wozu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten.“ „Worauf du ... dein Herz hängest und verlassest, das ist eigentlich dein Gott.“ [BSLK 560 (=Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirchen, hg. v. Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß, Göttingen 31956).] PAUL TILLICH beschreibt Gott als „das, was den Menschen unbedingt angeht“. (Paul Tillich, Systematische Theologie I, Stuttgart 31956, 21f, bes. 251ff.) KARL RAHNER sieht in Gott „das heilige Geheimnis“ als das letzte Woraufhin und Wovonher des Menschen. Dieses heilige Geheimnis ist „die Eröffnung meiner eigenen Transzendenz als Freiheit und Liebe“. (Karl Rahner, Grundkurs des Glaubens, Freiburg/Basel/Wien 111980, 74.) INGOLF U. DALFERTH benennt „Gott als denjenigen Grund des Möglichen und der Wirklichkeit, ohne den nichts möglich wäre.“ (Ingolf U. Dalferth, Religion und Wahrheit. In: ders., Philipp Stoeller (Hg.), Wahrheit in Perspektiven (RPH 14), Tübingen 2004, 195-232 hier: 229.) Folie 3 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Walter Kasper schreibt, dass Gott „die Antwort auf die Fraglichkeit des Menschen und der Welt schlechthin“ ist. (Walter Kasper, Der Gott Jesu Christi 15.) Die Frage nach Gott ist die Frage nach der Wirklichkeit schlechthin; sie umgreift alles Seiende und sie erkundet die Bedingung aller Möglichkeiten dieser Wirklichkeit. Die Gottesfrage ist also keine kategoriale, sondern eine transzendentale Frage, die nach der unbedingten Möglichkeit alles Gegebenen fragt - des Seienden ebenso wie des Denkens. Weil der Mensch mit der Gottesfrage einerseits ganz und gar im Bereich des real Gegebenen dieser Welt steht, andererseits aber nach etwas fragt, was nicht mit den Gegebenheiten dieser Welt übereinstimmt, sondern als ihre Möglichkeitsbedingung jenseits dieser Welt angesiedelt werden muss, ist auch der Gottesverneinung ein möglicher Raum eröffnet. Folie 4 Gotteslehre Prof. O. Meuffels ANSELM VON CANTERBURY bestimmt die Theologie deshalb als „fides quaerens intellectum“, d.h. als Glaube, der nach dem Verstehen fragt. (Proslogion, prooem. 1) These In der Gotteslehre versucht die Theologie, das dem Glauben immanente Suchen und Fragen nach Gott zu systematisieren und zugleich in den Lebenshorizont des Menschen einzuordnen. Folie 5 jeweiligen Gotteslehre Prof. O. Meuffels Antworten in einem dreifachen Rückgriff: 1. Rückgriff: Wir haben auf die Erfahrungen vergangener Generationen mit Gott und insbesondere auf die Schriften des Alten und Neuen Bundes zu achten. 2. Rückgriff: Da wir vom Wirken des Hl. Geistes in der Kirche überzeugt sind, dürfen wir auch darauf vertrauen, dass in der Tradition, wahrheitsgemäße Aussagen über Gott getroffen wurden. 3. Rückgriff: Jede Zeit hat ihre eigenen Denkmodelle und Sprachmuster. In diesen muss die Theologie die Wahrheit Gottes zur Sprache bringen, damit sie beim Menschen „ankommen“ kann. Folie 6 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Aus: Armin Kreiner, Das wahre Antlitz Gottes oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen, Feiburg i. Br. 2006, S. 222. „Als von Menschen entwickelte und/oder akzeptierte Ideen sind Gottesvorstellungen von denen, die sie sich zu Eigen gemacht haben, zu verantworten und zu rechtfertigen. Jede religiöse bzw. theistische Tradition hat ihre eigene Kriteriologie entwickelt, die Richtlinien enthält, wie adäquat von Gott zu reden ist. Offenkundig reichen diese traditionsinternen Richtlinien häufig nicht aus, um alle strittigen Fragen einigermaßen einvernehmlich zu klären. Als von Glaubenden zu verantwortende lässt sich die Rede von Gott nicht von jenen Kriterien und Regeln dispensieren, die allgemein für das Aufstellen von Behauptungen gelten. Auch die religiöse Rede von Gott sollte logisch widerspruchsfrei sein, da andernfalls alles dafür spräche, dass sie unverständlich, nichtssagend oder falsch ist. Sie sollte einen Beitrag leisten, die Wirklichkeit im Ganzen besser zu verstehen, da sie andernfalls überflüssig erscheint. Sie sollte schließlich zum Gelingen eines wie auch immer näher zu qualifizierenden „guten“ Lebens beitragen, da sie andernfalls schädlich wäre. Diese Kriterien liefern einen Maßstab für den intra- und interreligiösen Diskurs um das adäquate Gottesverständnis. Sie können nicht verhindern, dass sich der Gottesbegriff unterschiedlich explizieren lässt. Aber sie eröffnen einen ersten Schritt aus der völligen Beliebigkeit.“ Folie 7 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Die dreifache Tatsache, dass 1. Gott sich auf allermenschlichste Weise dem Menschen offenbart hat, 2. dass diese Selbstmitteilung Gottes in der Geschichte mit Hilfe der Sprache und des Denkens weiter bedacht, entfaltet und verkündet wurde und 3. dass auch wir heute aufgerufen sind, in den Denkhorizonten unserer Zeit Gottes ureigenes Wesen zu bedenken und weiterzugeben – all dies macht deutlich: Eine Gotteslehre ist engstens mit dem Menschsein verknüpft. Gerade die menschlichen Anlagen ermöglichen es, dass a) Gott sich dem Menschen zeigen kann und b) dass wir von unseren Möglichkeiten her einen Zugang zu Gott finden können. Daraus folgt: Ohne Anthropologie können wir keine Gotteslehre entfalten. Folie 8 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 0.1.1.2 Die Problematik des Wortes „Gott“ 1. Die Gottesproblematik im katechetischen Bereich Die Begriffe und Bilder, die wir oftmals in der Theologie oder auch in der konkreten Verkündigung nutzen, sind leere, abgenutzte Worthülsen, die dem zeitgenössischen Menschen nichts sagen. Insofern ereignet sich keine Mitteilung, keine Kommunikation: es kommt nichts an, auch Gott nicht. Nach TILMANN MOSER benennt der Name Gott sogar jene zutiefst lebensfeindliche Instanz, von der „eine Lähmung aller Initiative [aus]geht, ein Gefühl von Vergeblichkeit allen irdischen Tuns“. (T. Moser, Gottesvergiftung, Frankfurt/M 1976, 56.) 2. Die Gottesproblematik in der kulturellen Lebenswelt a) Die mit dem Wort Gott benannte Wirklichkeit ist unsicher geworden. Aussagen über Gott haben im öffentlichen Bewusstsein vielfach nur noch den Anspruch einer Behauptung. b) Mit dem Dasein Gottes ist auch der Inhalt des Wortes „Gott“ problematisch, leer geworden. Verzicht auf das Wort „Gott“? Folie 9 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Aber: Nicht nur wird Jesus in seiner Mitte verfehlt, wenn man ihn nicht aus seiner trinitarischen Vaterbeziehung heraus zu deuten versucht. Wenn man darüber hinaus, wie Rahners Denkversuch zeigt, auf das Wort Gott verzichten, dann „ist der Mensch nicht mehr vor das eine Ganze der Wirklichkeit als solcher und nicht mehr vor das eine Ganze seines Daseins als solchen gebracht“. (K. Rahner, Grundkurs Theologie 57.) „Der Mensch hätte das Ganze und seinen Grund vergessen, und zugleich vergessen, ... dass er es vergessen hat. Was wäre dann? Wir können nur sagen: Er würde aufhören, ein Mensch zu sein. Er hätte sich zurückgekreuzt zum findigen Tier.“ (Ebd. 58) Dalferth möchte eine handlungsorientierende Gotteslehre entfalten, weil er weiß, dass in der pluralen Situation der Postmoderne Gott als letztes Fundament des Denkens theoretisch nicht mehr erreicht werden kann. Folie 10 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Daraus folgt: Aus christologischen, aber auch aus anthropologischen, handlungsorientierenden Gründen dürfen wir die Gottesrede nicht aufgeben. Von daher ist Theologie eine Lehre von einem guten, befreites Leben, in Beziehungen mit Gott und den Mitmenschen. Denn Gott hat in Jesus Christus das wahre Menschensein geschenkt – sowohl in der Schöfpung als auch in der Menschwerdung des Logos. Folie 11 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Das ontologische Problem: Wie können wir in der Welt von Gott sprechen? Wie überwinden wir die Alternative nach der Gott - entweder: der total Andere ist jenseits unsere Welt, zu dem wir keinen Zugang haben - Oder: Teil der Welt ist, und sich die Frage stellt, ob Gott dann Gott noch Gott sein kann? Zugang vom endlichen Sein zum absoluten Sein in der Erkenntnis und in der Sprache: Weil Gott als das absolute Sein das geschaffene Sein in die Wirklichkeit setzt, gibt es eine gewisse Seins-Analogie in Ähnlichkeit und Unterschiedenheit. D.h. wir finden in der Welt Begriffe, die wir auch auf Gott übertragen können, und zwar so dass wir wissen, - dass die ÄHNLICHKEIT, welche diese Begriffe zwischen Gott und Welt aussagen - von ihrer jeweiligen UNÄHNLICHKEIT überwogen wird. Folie 12 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Welche Sprachform entspricht also Gott? Theologische Sprache basiert auf der logischen Figur der ANALOGIE. Man unterscheidet zwischen der UNIVOKEN REDE (1 Ding, verschiedene Wörter: der Wagen ist ein Auto) und der ÄQUIVOKEN REDE (1 Wort für verschiedene Dinge: Wasser-„hahn“, der Hahn am Mist, die „Bank“ im Park, die Sparkasse), und der ANALOGEN REDE (1 Wort für ähnliche Dinge: Sein Eine Lokomotive „schnauft“) Jüngel schreibt: „Analogie in diesem Sinn liegt also vor, wenn dasselbe Wort von verschiedene Dingen weder völlig gleichbedeutet oder sinnidentisch (univoce) noch extrem mehrdeutig und völlig sinnverschieden (äequivoce) gebraucht wird, sondern so, daß es teils Gleiches, teils Verschiedenes aussagt. ... Dies Ähnlichkeit ist darin begründet, das dasselbe Wort in die verschiedenen Größe, die durch es benannt worden, auf ein Gemeinsames anspricht, auf das sie sich in jeweils verschiedener Weise beziehen.“ Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 19783, 367. Folie 13 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Grenzen der analogen Redeform: 1: Wenn der Theologe Gott Vater nennt, dann ist Gottes Dasein die Voraussetzung der analogen Rede. Von ihrem ontologischen Grund her muss man Ähnlichkeit und Unähnlichkeit erläutern. 2: Die Rede vom göttlichen Vater kann nicht in einer asymptotische Bewegung begründet werden, nach dem Prinzip: vom schlechten Vater, zum guten Vater, zum göttlichen Vater. 3: Der Sprecher muss richtig interpretieren können, d.h. den entsprechenden lebensmäßigen oder kulturellen Kontext besitzen, um die Intentionalität der Analogie freilegen zu können. (Ein Kind erfährt einen schlechten Vater und wird niemals den Begriff Vater in analoger Rede für Gott nutzen). Das Problem der analogen Rede liegt in ihrer Schwebe zwischen Univozität und Äquivozität. Nach ARMIN KREINER, Das wahre Antlitz Gottes oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen, Freiburg i.Br. 2006, 91: „Richard Swinburne hält die Analogie-Karte für ein durchaus legitimes Mittel theologischer Rede. Aber sie dürfe nicht zu oft gespielt werden. Denn je öfter sie gespielt werde, desto weniger Information enthalte die betreffende Rede: „Wenn die Theologie zu viele Worte in einem analogen Sinn verwendet, wird sie mit dem, was sie sagt, praktisch nichts mehr vermitteln.“ Folie 14 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Die analoge Rede der Bibel arbeitet mit Metaphern. Ihr Verständnis ist ein soziales, lebendiges, Ereignis (Kontext), in dem man in einer unmöglichen Aussage eine neue Mitte findet. „Dieser Professor ist ein Ungeheuer“: ein Mensch – kein Ungetüm, sondern ein unmöglicher Mensch. „Du bist mein Schatz“. Kein Haufen Erz, sondern eine Bezeichnung der Beziehung zweier Menschen. DALFERTH spricht von einem „semantischen Experimentieren“, RICOEUR von einem „einkalkulierten Irrtum“, der neue Welten eröffnet. Von daher ist die Rede von / über Gott immer schwierig, und birgt eine große Herausforderung für jeden Menschen. Folie 15 Gotteslehre 0.1.1.3 Prof. O. Meuffels In der Differenz Gott denken/sprechen Theologie ist nicht die Rede über Gott (als Objekt) sondern die Rede von Gott (als Dativ), sie ist Ausdruck eines Verhältnisses. Während Gott absolut in sich selbst in Absolutheit, d.h. in seinen trinitarischen Beziehungen gründet, ist der endliche Mensch abhängig von Anderem, nicht zuletzt vom Gegebenen als Geschenk: das eigene Leben, die Existenz der Mitmenschen, der Welt insgesamt. Als Ausdruck eines Verhältnisses verstanden bedeutet diese Differenz, dass Gott die Welt als ein nicht-göttliches Gegenüber in Liebe und Freiheit geschaffen hat und diese weltliche Wirklichkeit in der Beziehung zu Gott lebt. Die Trennung ist also zugleich das Verhältnis von Gott und Welt. Oder wie Hans-Christoph Askani sagt: „Nicht nur die Schöpfung, einmal getätigt, geht weiter, sondern, daß sie weitergeht, ist selbst, ist gerade Schöpfung.“ Hans-Christoph Askani, Schöpfung als Bekenntnis (Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie 50) Tübingen 2006, 61. In dieser ursprünglichen, schöpferischen Differenz/Trennung, die niemals aufhört, gründet auch unser Denken. Deshalb kommen wir niemals zu letzten Ergebnissen oder Letztbegründungen, sondern die Trennung von Schöpfer und Geschöpf geht in einer steten Bewegung der Transformation in unser Denken und Sprechen über. Das Denken über Gott gründet im Denken vor Gott und geht über in das Beten. Theologie sollte von daher her immer anfänglich sein, das heißt so, dass Gott uns immer wieder in Anspruch nimmt. Folie 16 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 0.1.2 Die bleibende Grundfrage: Was ist der Mensch? HANS URS VON BALTHASAR: „Der Mensch trägt sein Frage- und Ausrufezeichen, auf Transparente gemalt, streikend, im Protestzug durch die Schöpfung.“ (Hans Urs von Balthasar, Pneuma und Institution (SkTh 4), Einsiedeln 1974, 14.) a) Zur Sorge des Menschen: Der Mensch sorgt sich um seine Zukunft und um ein gelungenes, glückliches Leben. Mit dieser Sorge nimmt er eine absolute Zukunft in Anspruch. Sie impliziert existenzielle Orientierung in einer konkreten Lebenswelt. b) Der Mensch und die Kommunikation: Das kommunizierende Ich bedarf des Du und des Wir als gemeinsamen Verstehensraum. Kommunikation bedarf der Freiheit und enthält Eigenschaften der Liebe. Hier offenbart sich eine grundsätzliche Offenheit des Menschen als einem bleibend-transzendentalen Ausgriff - auf Gott hin. c) Der Mensch bedarf der Intensität: Was geht mich unbedingt an? Eingebettet in konkrete Lebenserfahrung verhilft der unbedingte Anspruch in seiner Beantwortung zur Orientierung des Lebens. Folie 17 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Diese drei Grundstrukturen des Menschlichen enthalten * eine Ästhetik des Menschlichen, da Tieferliegendes an der Oberfläche erscheint, * wie auch eine handlungsorientierende horizontale wie vertikale Dramatik. So ist die Sorge Ausgriff auf eine Zukunft, die aber auf uns zukommt. Kommunikation bedeutet gegenseitig freiheitliche Öffnung füreinander. Intensität: Das, was mich unbedingt angeht, trifft mich vertikal (=Tiefenanspruch) in meinen horizontalen Bezügen, in meiner Sorge und Kommunikation. Folie 18 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Daraus folgt: Der Mensch ist ausgespannt zwischen Himmel und Erde, zwischen Ich und Du. Der Mensch ist ein unabgeschlossenes, in keine Definition gesperrtes Wesen. Er lebt in der Immanenz, greift aber aus auf Transzendenz. Er besitzt ungezählte Möglichkeiten und ist zugleich schrecklich arm, da er immer eines anderen bedarf, der ihm Zukunft und Kommunikation schenkt. Insofern ist der Mensch von Anfang an auf Liebe hin geschaffen. (Vgl. K. Hemmerle, Ausgewählte Schriften I: Auf den göttlichen Gott zudenken, 284.) Und zwar auf eine Liebe hin geschaffen, die kein Mensch in seiner Begrenztheit erfüllen kann. Unsere Sehnsucht nach Liebe kann allein in der Liebe selbst in ihrer vollkommenen Absolutheit befriedigt werden. Von der Grundveranlagung des Menschen her betrifft die Gottesfrage den Menschen mitten in seiner Existenz. Folie 19 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 0.1.3 Die Möglichkeiten einer trinitarischen Gotteslehre Immanuel Kant zur Trinitätslehre: „Aus der Dreieinigkeit schlechterdings nichts ... fürs lässt sich Praktische machen, wenn man sie gleich zu verstehen glaubte, noch weniger aber, wenn man innewird, dass sie gar alle unsere Begriffe übersteigt. - Ob wir in der Gottheit drei oder zehn Personen zu verehren haben, wird der Lehrling mit gleicher Leichtigkeit aufs Wort annehmen, weil er von einem Gott in mehreren Personen ... gar keinen Begriff hat, noch mehr aber, weil er aus dieser Verschiedenheit für seinen Lebenswandel gar keine verschiedene Regeln ziehen kann.“ [Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten = WW (Weischedel) IX, Darmstadt 1971, 303f.] Folie 20 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Aber auch theologischer/seits führte die Trinitätstheologie lange eher ein Schattendasein. So wies Karl Rahner im Jahre 1967 darauf hin, „daß die Christen bei all ihrem orthodoxen Bekenntnis zur Dreifaltigkeit in ihrem religiösen Daseinsvollzug beinahe nur ‘Monotheisten’ sind. Man wird also die Behauptung wagen dürfen, daß, wenn man die Trinitätslehre als falsch ausmerzen müßte, bei dieser Prozedur der Großteil der religiösen Literatur fast unverändert bleiben könnte.“ (K. Rahner, Der dreifaltige Gott als transzendenter Urgrund der Heilsgeschichte, in: MySal II, 319f.) Sofern wir jedoch davon ausgehen, dass Gott sich in der Geschichte Jesu Christi ganz und gar geoffenbart hat (vgl. Hebr 1,1-3), dann ist das trinitarische Sein Gottes keine verzichtbare Zusatzauskunft, sondern es ist eine zentrale Aussage über Gottes Wesen, die er uns selbst offenbart. über das Selbstverständnis des Menschen und der gesamten Wirklichkeit. Gegen die vernunftmäßige Unfassbarkeit des trinitarischen Geheimnisses ist auf ursprüngliche Erfahrungen des Menschen zu verweisen: Abba-Vertrauen Jesu und der Christen Auferstehungserfahrungen Der Geist Jesu Christi bewegt die Herzen und die Welt. Folie 21 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Diese erfahrungsgesättigten Aussagen sind Grundlage für ein trinitarischen Gottesverständnis, in dessen Geheimnishaftigkeit wir leben können. Eine trinitarische Gotteslehre funktionalisiert Gott keineswegs für unsere Bedürfnisse. Vielmehr expliziert sie die Gottesoffenbarung in Christus und im Geist der Liebe konsequent in ihrer Bedeutsamkeit. entfaltet eine soziale Anthropologie. bietet zugleich einen kommunikativer Ansatz, nach dem die Selbstmitteilung Gottes in der Kommunikation seiner trinitarischen Liebe gründet. enthüllt die Agape Gottes ebenso kommunikativ wie intensiv wie auch fürsorgend. hat eminent praktische Konsequenzen für die menschliche Existenz. Folie 22 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 0.2 Systemtheoretische Rechtfertigung einer trinitarischen Gotteslehre Bei Thomas: Vorordnung von De Deo Uno vor De Deo Trino, allerdings nur aus didaktischen Gründen! Theologiegeschichtlich hat dies dazu geführt, dass man über Gott als den Einen eher im Horizont der Metaphysik und nicht dem der Heiligen Schrift gehandelt hat. Für die moderne Theologie, die von der Selbstoffenbarung Gottes her denkt, wird die Trinitätslehre dagegen zur „Grammatik“ der gesamten Theologie: 1. Statt einer am inneren immanenten Wesen Gottes orientierten Gotteslehre, die metaphysisch-philosophisch orientiert geprägt ist, vielmehr heilsgeschichtlich-biblischer (ökonomisch) Ansatz. Es geht nach Walter Kasper darum, „die abstrakte Lehre vom Wesen Gottes wieder in die Lehre von der konkreten Wesensoffenbarung Gottes und damit in die Trinitätslehre zu integrieren“. (W. Kasper, Der Gott Jesu Christi 381.) 2. Auf diese Weise entsprechen wir der frühen Glaubenspraxis. Folie 23 Gotteslehre Prof. O. Meuffels - Taufliturgie Mt 28,19 Did. 7,1.3 Iust., 1 apol. 61,3.10-13 - Trinitarische Struktur des Betens Gal 4,4-6 Röm 8,15 Orig., or.: BKV 48, 147 - Aufbau des eucharistischen Hochgebetes Iust., 1 apol. 67 Hipp., trad. apost. 4 Folie 24 Gotteslehre Prof. O. Meuffels I. Teil: Die Frage nach Gott in der Neuzeit und in der Gegenwart 1. Gott im neuzeitlichen Denken: philosophische Erkenntnisse Streitpunkt: die Autonomie des Menschen! Der sog. spätmittelalterliche Nominalismus steigert den Gedanken der Allmacht und Freiheit Gottes bis zum Extrem eines absolutistischen Willkürgottes. Der zu neuem Selbstbewusstsein erwachende Mensch wehrt sich in einer Revolte gegen einen Unterdrücker-Gott. Folie 25 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.1 Gottes notwendige Existenz: R. Descartes Idee: Einheitliche Universalwissenschaft mit exakter mathematischgeometrischer Methode Spaltung von Subjekt/res cogitans und Objekt/res extensa Der Weg des radikalen Zweifels führt zum „cogito, ergo sum“ als erstem, unerschütterlichem Grundsatz der Philosophie. Das Ich besteht aus Denken und Bewusstsein. Gott bzw. die Idee des Unendlichen ist der transzendentale Grund des Bewusstseins. Problematisch ist die Verknüpfung des Gottesgedankens mit unendlicher und vollkommener Allmacht sowie der Vollkommenheit Gottes mit der Unveränderlichkeit. Bedeutung: Mit Descartes erreicht das abendländische Denken einen markanten Wendepunkt, weil der Ort ursprünglicher Gewissheit nicht mehr in Gott liegt, sondern in den Menschen verlegt worden ist. Folie 26 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Zum radikalen Zweifel Descartes schreibt in seinem Werk „Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung“: „Alsbald aber fiel mir auf, daß, während ich auf diese Weise zu denken versuchte, alles sei falsch, doch notwendig ich, der es dachte, etwas sei. Und indem ich erkannte, daß diese Wahrheit: ‘ich denke, also bin ich’, so fest und sicher ist, daß die ausgefallensten Untersuchungen der Skeptiker sie nicht zu erschüttern vermöchten, so entschied ich, daß ich sie ohne Bedenken als ersten Grundsatz der Philosophie, die ich suchte, ansetzen könne.“ In den „Meditationes“ führt Descartes diesen Gedanken noch fort: „Er [Gott] täusche mich, soviel er kann, // niemals jedoch wird er es fertigbringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, daß ich etwas sei“ (Med II,3). Folie 27 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Folie: dtv Atlas Philosophie, DTV München 2005, 106 (A), 104. Folie 28 unter Adobe Folie 28 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Folie 29 unter Adobe Folie 29 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Zur Existenz Gottes Während Thomas gut aristotelisch von einer ersten Ursache ausging, auf die alles zurückgeführt werden muss, ist der Ansatzpunkt des Descartes die im Geiste vorfindliche Idee des Unendlichen. Von dieser Idee wird auf das Dasein Gottes geschlossen. Gott ist das absolute Wesen – das absolute Da-Sein (von daher kein Trugschluss) Wesen – Da-Sein Existenz Aber: Nach Pannenberg kann die Intuition des Unendlichen in der Tat Voraussetzung für die Erkenntnis sein, die Realität eines Vollkommenen jenseits des Endlichen wird aber damit keineswegs gesichert. Von der biblischen Offenbarung her erscheint weiterhin fragwürdig, dass 1. Descartes hat mit dem Gedanken Gottes eine unendliche und vollkommene Allmacht verbunden. 2. Mit der Idee der Vollkommenheit Gottes ist zugleich engstens seine Unveränderlichkeit mathematische Beweise) Folie 30 verknüpft. (Gott = absolute Gotteslehre Prof. O. Meuffels Zum Gott-Mensch-Verhältnis Durch Descartes ist der Ort ursprünglicher Gewissheit von Gott in den Menschen verlagert worden. Damit erhält das menschliche Subjekt, selbst wenn Gott noch als transzendentaler, ontologisch realer Grund gedacht wird, einen größeren Stellenwert. Descartes selbst treibt keine ausgesprochen christliche Philosophie, sondern unterscheidet streng zwischen Vernunft und Glaube, setzt sie jedoch zugleich in ein Verhältnis zueinander: Der Glaube weist allergrößte Gewissheit auf, weil er nicht ein Akt des Intellektes, sondern des von Gott beeinflussten Willens ist (Gnade-Intellekt-Dualismus). Die Vernunft hat die Aufgabe, durch Deduktion oder Intuition die Fundamente des Glaubens rational zu begründen. Folie 31 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2 Gott als sittliches Postulat: Immanuel Kant Der frühe Kant betont die Erhabenheit Gottes, zu der die an Sinneseindrücke gebundene Vernunft nicht vordringen kann, als Grund einer zufälligen, aber autonom nach immanenten Gesetzen funktionierenden Welt. Erkenntnistheorie: Eine objektive Gotteserkenntnis ist nicht möglich, da die Erfahrung unserer subjektiven Vernunfttätigkeit entspringt (Raum und Zeit als apriorische Anschauungsformen des Subjekts; apriorische Kategorien des Verstandes). Gott ist eine regulative Idee der theoretischen Vernunft. Der Gottesgedanke ist in anthropozentrische Aussagen zur Vernunftkritik eingeebnet und nicht mehr konstitutiv für das menschliche Bewusstsein. Moralphilosophie: Freiheit, Unsterblichkeit und Gott sind die drei Postulate der praktischen Vernunft, ohne die die sittliche Bestimmung des Menschen nicht ausreichend zu denken ist. Damit die Glückseligkeit sichergestellt werden kann, die der Mensch in seinem moralischen Handeln anstrebt, ist die Annahme der Existenz Gottes praktisch (nicht ontologisch) notwendig. Kategorischer Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 420f. Theologische Anknüpfungspunkte: Gott kann nicht wie andere Gegenstände erkannt werden. Aus der reinen Vernunft ist Gottes Existenz nicht ableitbar. Der ganze Mensch kann Gott als die alles bestimmende Wirklichkeit induktiv mit der Wirklichkeit erfahren. Folie 32 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Folie 33 = Folie 7d in SCHOEPF 07 Folie 33 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Neue Endlichkeit bei KANT ║ Meta║ Physik ║ (Gott als ║ Objekt) ║ ║ ↑ ║ ║ keine Erkenntnis! Objekte → Verstand ← Vernunft │ │ Sinne ↓ (apriorisch) │ │ Synthesis (aposteriorisch) ↓ Erkenntnis ↑ Gott ist nur ein Postulat dieser Einheit des Denkens: Gott ist kein Objekt Gott ist keine Realität - die Welt Der biblische Gott, der Schöpfer trägt - das Denken der Menschen Transzendentalität SCHLEIERMACHER (+ 1834) Folie 34 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2.4 Kant in der Kritik Subjektivismusverdacht SCHULZ’ dialektischer Wirklichkeitsbegriff: „Wirklichkeit ist ... weder eine vorgegebene Objektwelt noch beruht sie auf einer Setzung des Subjektes. Wirklichkeit ist vielmehr ein Geschehenszusammenhang, in dem Objekt und Subjekt miteinander verflochten sind in der Weise gegenseitiger Bedingung: das Subjekt wird vom Objekt ebenso bestimmt, wie es dieses bestimmt.“ W. Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, Pfullingen 1972, 841; vgl. Küng, Existiert Gott?, 598 SCHAEFFLERS dialogische Theorie der Bezogenheit von Welt und Verstand/Vernunft: - Der Anspruch der je größeren Wirklichkeit - Dialogische Perspektivität - Grenzgängigkeit des Dialogs Von daher - ist der Mensch nur ein Geschöpf, der in seinem endlichen Denken, eingebettet in die endliche Welt, ausschließlich in der Beziehung zu Gott denken kann. - kann sowohl eine profane wie eine religiöse Erfahrung in der Welt einen entscheidenden Anspruch des Je-Mehr vernehmen, der ein einheitliches Denken und Leben ermöglicht in Beziehung von Ego, Welt und Gott. Während der kantische Gott eher als Postulat zu benennen ist, ist der christliche Gott ein geschichtlich-aktueller Anspruch an die Menschen, der sich als Vertrauengeschichte zwischen Anspruch/ Gott und den Menschen entwickelt. Folie 35 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3 Gott als Geist in Geschichte: G. W. F. Hegel Kantkritik: Der bei Kant absolut gesetzte Widerspruch zwischen dem Erkenntnissubjekt und den Dingen an sich ist - z. B. mittels des Gedankens der Liebe in eine höhere Einheit hinein aufzuheben. Hegel wendet sich gegen die aufklärerische Paradoxie, einerseits die von der Übermacht Gottes befreite eigene Endlichkeit zu unterstreichen, andererseits das endliche Ich absolut und an die Stelle Gottes zu setzen. Gott als Geist: Das menschliche Bewusstsein wird sich im Absoluten seiner selbst bewusst, während umgekehrt das Absolute sich im menschlichen Selbstbewusstsein verwirklicht. Im Christentum als höchster Stufe der Religion wird durch die Inkarnation des Logos das Endliche als zum Unendlichen gehörig erkannt, während das Unendliche sich dadurch als unendlich erweist, dass es seine Jenseitigkeit aufgibt und in Jesus ein endlicher Mensch wird, dessen Tod als letzte Entäußerung des göttlichen Absoluten zu gelten hat. Die gesamte Weltgeschichte ist ein allumfassender Versöhnungsprozess, insofern von Gott als Geist her alle Gegensätze der Welt umgriffen werden. Gott als Subjekt: Wahrhaft unendlich ist nur das, was im Gegensatz zum Endlichen steht und dennoch diesen Gegensatz zum Endlichen überwindet: Das absolute Subjekt ist bei sich selbst, indem es sich entäußert. Probleme: Die Gleichrangigkeit der trinitarischen Personen Rein philosophische Ableitung der Trinität ohne Bezug auf die Offenbarung Jesu Christi Folie 36 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Folie: dtv-Atlas Philosophie, DTV München 2005, 152 Folie 37 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Folie: dtv-Atlas Philosophie, DTV München 2005, 156 Folie 38 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.3 Kritische Anfragen an Hegel Die grundlegende Differenz von Endlichem und Unendlichem droht ausgelöscht zu werden. Schöpfung und Mensch werden in ihrer Freiheit Eigenständigkeit nicht bewahrt, insofern sie nur Durchgangsstadium zur absoluten Idee darstellen. und das Die Dialektik der Erkenntnis ist durch eine Dialektik gelebter Liebe zu ergänzen, da andernfalls Versöhnung nur gemeint, nicht aber vollzogen wird. Es ist fragwürdig, den Prozess der Weltgeschichte und des Geistes als absolut vernünftig und notwendig zu bestimmen: Gott ist Gefangener seiner selbst. Die Schöpfung ist ewig notwendig. Der Sündenfall und das Erlösungsgeschehen sind rationalisiert. Ein dynamischer Fortschrittsglaube ist rational unabdingbar. Folie 39 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 2. Die Ablösung Gottes durch den Menschen: philosophische Atheismen Wendung zur Anthropozentrik v.a. aus zwei Gründen: 1. Grund: Im Europa des 17. Jahrhunderts wird nach den Religionskriegen, die Rechtsordnung und das Staatsdenken neu begründet; und zwar im Rückgriff auf die allgemeine Natur des Menschen und nicht wie bisher - im Rückgriff auf Gott. 2. Grund: Die Hauptrichtungen der Philosophie reagieren gegen das Hegelsche System und wenden sich radikal dem Menschen zu - als Abwendung von Gott. Aber: Gefahr der Selbstverabsolutierung des Menschen Folie 40 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 2.1 Gott als Projektion des Menschen: L. Feuerbach Das konkrete sinnliche Dasein des Menschen ist Gegenstand der Philosophie. Die Anthropologie ist die Basis religiöser Vorstellungen. Der Gottesgedanke ist eine entfremdete Gestalt des menschlichen Selbstbewusstseins und Ergebnis einer Projektion. Die Unendlichkeit der Menschengattung wird auf ein unendliches Wesen projiziert. Religion ist das Verhalten des Menschen zu seinem eigenen Wesen. „Im Bewußtsein des Unendlichen ist dem Bewußten die Unendlichkeit des eigenen Wesens Gegenstand.“ Und weiter: „das absolute Wesen, der Gott des Menschen ist sein eigenes Wesen. Die Macht des Gegenstandes über ihn ist daher die Macht seines eigenen Wesens.“ Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums 3. umgearbeitet und erweiterte Aufl. (1849 Bd. VII der von Feuerbach im Verlag O. Weigand herausgegebenen sämtlichen Werke) nach der mit den Ausgaben von 1841 und 1843 verglichenen kritischen Ausgabe von W. Schuffenhauer, Bde. I-II (Berlin 1956) 37.41. Der Atheismus ist das Geheimnis der Religion. Die Bedeutung Feuerbachs für die Theologie: Theologie hat den Menschen so in den Blick zu nehmen, daß eine Gotteslehre immer nur in ihrer Bedeutsamkeit für den Menschen zu erarbeiten ist. Theologie hat strikt von der Selbstoffenbarung Gottes auszugehen und von dorther die Erfüllung menschlicher Existenz aufzuweisen. Folie 41 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 2.1.3 Kritische Anmerkungen zu Feuerbach a) Die unendliche Dynamik des Bewusstseins beweist kein unendliches menschliches Wesen. Der wirkliche Mensch ist eine individuelle Person und nicht eine amorphe Menschheitsgattung. b) Auch die Tatsache menschlicher Projektion ist kein schlagendes Argument gegen eine Existenz Gottes. Denn das Glücksstreben des Menschen könnte seinen Grund in einem realen Ziel haben, das ihm absolute Erfüllung schenkt. Folie 42 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 2.2 Gottes Tod: F. Nietzsche Kulturkritik: Kulturpessimismus Drang, Trieb, Leben, Wille Rationalität, Geist Wider Fortschrittsoptimismus (Darwin), Idealismus (Hegel), Mitleiden (Schopenhauer) Gegen-Religion: Der proklamierte Tod Gottes ist der Zusammenbruch alles bisher Gegebenen (v.a. Religion und Moral) und führt in bodenloses Nichts und Chaos. Erschrecken über die Konsequenzen des Gottesmordes Aber: Kein Glaube an eine letzte Ordnung mehr möglich Der Übermensch: Der Übermensch ist bestimmt durch den Willen zur Macht sowie durch die ewige Wiederkehr des Gleichen. Er hat jegliche Hoffnung über diese Erde hinaus abgelegt. Zur Bewertung: Die eigene Position bleibt von der sonst umfassenden Infragestellung der Wirklichkeit durch Sinnlosigkeit, Zwiespältigkeit, Nichtigkeit, Wertlosigkeit ausgenommen. Die Rede von der ewigen Wiederkehr des Gleichen erhebt den Anspruch einer mythischen Offenbarung. Die Kritik am Christentum geht von einem Zerrbild des Christlichen aus: Gott als kleinlicher Moralist. Folie 43 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Demgegenüber ist zu sagen, dass - der Vater-Gott Jesu Christi kein Feind des Lebens und der Sinnlichkeit ist; - dieser Gott keinen kirchlichen Machtapparat stützt, sondern umgekehrt die Kirche Ministerium, Dienstamt, für Gott sein. Für uns Theologen bedeutet dies: 1. Wir haben Sehnsüchte, Ängste, Hoffnungen des Menschen in seiner Leiblichkeit und Weltverbundenheit; das ist konkreternst zu nehmen, weil sich diese Sehnsüchte, diese Transzendenz ansonsten an anderer Stelle befriedigen. Dabei müssen wir unsere Hoffnungstranszendez nicht wiederum mit Projektion überlagern. 2. Wir haben als Theologen vom Vater-Gott Jesu Christi auszugehen, dessen Menschwerdung ist Basis sowohl für die Christologie als auch für die Anthropologie. Folie 44 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 3. Fazit: Der autonom gewordene Mensch und „sein Gott“ Kritische Philosophien der Neuzeit animieren die Theologie, die Denkvoraussetzungen solcher Philosophien auf ihre Tragfähigkeit hin zu befragen und die theologischen Aussagen, die der Kritik unterzogen werden, in ihrem Gehalt zu prüfen. Einzelthemen: Als positive Schöpfungsgüter müssen Autonomie und Freiheit des Menschen nicht in einem Gegensatz zum Gottesglauben stehen. Der Ansatz bei der Inkarnation schließt den Verdacht der Projektion aus und gewährleistet, dass die Sinnsuche des welteingebundenen Leib-Geist-Wesens Mensch ernst genommen wird. D.h.: - keine Reduktion des Menschen auf bloße Subjektivität, - sondern Einbindung in den Anspruch einer größeren Wirklichkeit Die Theologie hat eine kritische Gottesrede zu entfalten, die sich Rechenschaft über ihre Aussagen gibt. Folie 45 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4. Gotteserfahrung und Gotteserkenntnis heute 4.1.1 Erfahrung meint nicht nur objektive, experimentell nachweisbare, empirische Fakten meint aber auch nie ausschließlich ein subjektives Erlebnis „umgreift beides: objektives Widerfahrnis und subjektive Empfindung. Sie ergibt sich aus dem Zusammenspiel von objektiver Wirklichkeit und subjektivem Umgang mit der Umwelt und Mitwelt. Erfahrung ist in einem das Betroffensein durch die Wirklichkeit und die Interpretation dieses Widerfahrnisses in Worten, Bildern, Symbolen und Begriffen. Erfahrung ... ist geschichtlich“ Walter Kasper, Der Gott Jesu Christi 111. in ihrer Geschichtlichkeit ist Umgang mit und Deutung der Wirklichkeit auf dem Hintergrund gemachter Erfahrungen anderer Generationen meint aber auch die Weitergabe eigener Erfahrungen an andere Generationen kann von vielfältigem Charakter sein: gefährliche Erinnerung Kontrasterfahrung Erfahrung mit der Erfahrung Folie 46 Gotteslehre Prof. O. Meuffels In letzterer fragen wir nach dem Ganzen der Wirklichkeit: Walter Kasper schreibt dazu: „Die Erfahrung, die wir mit unserer Erfahrung machen, ist letztlich eine Erfahrung der Endlichkeit und der Geheimnishaftigkeit unserer Erfahrung. Damit haben wir die Dimension der religiösen Erfahrung erreicht. Die religiöse Erfahrung ist keine unmittelbare, sondern eine mittelbare Erfahrung, eine Erfahrung, die wir ‘mit, in und unter’ unseren sonstigen Erfahrungen machen. ... In der religiösen Erfahrung geht uns in anderer Erfahrung ... die Dimension des Geheimnisses auf, aus dem alle Erfahrung kommt und in das alle Erfahrung weist.“ Walter Kasper, Der Gott Jesu Christi 113f. Folie 47 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.1.2 Glaube und Erfahrung Kontext der Postmoderne als einer total pluralistischen Welt Ansatz bei konkreten Erfahrungen, die jeweils Ansprüche implizieren und als Ur-Erfahrung durch Sprache gedeutet werden müssen =►Kommunikationsspiel um die Wahrheit Gott als unvergleichbarer Anspruch - Jahwe hat sich in der Geschichte als der einzige Gott erwiesen. - Aufgrund der Auferstehung des Gekreuzigten hat sich eine neue Grammatik des Sprechens und Denkens ergeben, die unser Gotteserfahrungen prägen. Pluralität christologischer Aussagen schafft einen kirchlichen Raum, in den die einzelnen Erfahrungen der Gläubigen eingebettet sind =►Dogma und Gotteserfahrungen als kommunikatives und communionales Ereignis. =►Geistgetragene Differenz zwischen endlichem Menschen und unendlichem Gott Folie 48 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.2 Die Erkenntnis Gottes 4.2.1 Was ist Erkenntnis? Der Brockhaus, Bd. III, S. 523 definiert: „Erkenntnis [ist] der Vorgang der Einsicht (das Erkennen), durch den ein dem betrachteten Sachverhalt adäquates Wissen erworben wird.“ Erkenntnis impliziert also zwei Elemente: Ein Erkenntnisvorgang ist ein gesamtmenschliches Ereignis, das den Menschen ganzheitlich einfordert. Erkenntnis bezieht sich zwar auf Erfahrung, ist zugleich aber immer mehr als Erfahrung, da die Erkenntnis als Reflexion eine gewisse Verarbeitungsdistanz zum Objekt voraussetzt. Daraus folgt: Jede Erkenntnis ist somit auch eine Reflexion im Sinne eines Freiheitsgeschehens. Folie 49 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.2.2 Natürliche Gotteserkenntnis und natürliche Theologie „Natürliche“ Theologie: in vorchristlicher Zeit und in den ersten christlichen Jahrhunderten: die argumentativ entwickelte Gotteslehre der Philosophen. Barock-Theologie: „Natürlich“ = „der Natur des Menschen gemäß“: Natur deutlich von der Gnade geschieden. Bibel: Gleichnisreden Jesu - Apg 14,16f - Röm 1,19f; 2,14: die Natur als Gleichnis Gottes =► Zusammengehörigkeit von Schöpfungs und Erlösungsordnung nach Paulus Väter: Gott kann sowohl aus den natürlichen Dingen wie aus der Seele erkannt werden. IRENÄUS sagt: „Denn die Schöpfung weist hin auf den einen Schöpfer, das Werk verlangt einen Meister, und die Welt/ordnung offenbart den Ordner“. (Adv. haer. II, 9,1) Hochscholastik: Gratia supponit naturam / fides supponit rationem. Lehramt: I. Vatikanisches Konzil (1869/70): „Dei Filius“ Gegen Rationalismus wie Fideismus II. Vatikanische Konzil (1962-65): Die Aussagen des I. Vatikanischen Konzils werden wiederholt (DV 6), zugleich wird die heilsgeschichtliche Perspektive unterstrichen. Leider keine Vermittlung mit transzendentalem Ansatz Folie 50 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Fazit Die Natur ist als Voraussetzung für Gottes Gnadenwirken am Menschen immer schon in die göttliche Gnadendynamik hineingenommen. Die Natur ist auf eine Erfüllung hin angelegt, die sie sich selbst nicht geben kann, sondern durch die Gnade erst erhält. Wo die Natur sich dieser Gnade durch die Sünde versperrt, gerät sie in einen tiefen Selbst- widerspruch. Für die vernunft/hafte Gotteserkenntnis bedeutet dies, daß die Vernunft durchaus Gott erkennen kann, dazu aber der Befähigung der Gnade bedarf. (Hinweis auf die Differenz) Folie 51 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Zur Vernünftigkeit des Glaubens 1. Aufgrund vernünftiger Argumente muss der Nichtwiderspruch von Schöpfungs- und Heilsordnung aufweisbar sein. 2. Der Glaube muss sich auf vernünftige Art und Weise als sinnvolle Interpretation der Wirklichkeit ausweisen lassen. 3. Sofern der Glaube an den Gott Jesu Christi nach christlichem Verständnis den Anspruch erhebt, die universale Wahrheit des Heils für alle Menschen zu sein, muss dieser Glaube kommunikabel, sinnvoll mitteilbar sein (vgl. 1 Petr 3,15). 4. Die Vernünftigkeit der Glaubensund Gotteserkenntnis setzt keineswegs eine neutrale Vernunft voraus, sondern eine vom Geist Gottes getragene Erkenntnisfähigkeit. Folie 52 Gotteslehre Prof. O. Meuffels „Natürliche Theologie“ „Die natürliche Theologie entspringt aus einer transzendentalen Reflexion des Glaubens auf seine eigenen Bedingungen der Möglichkeit“ (vgl. W. Kasper, Der Gott Jesu Christi, 104) und ist darum bemüht, „die innere Vernünftigkeit des in sich und aus sich selbst begründeten Glaubens zu erweisen“ (vgl. W. Kasper, Der Gott Jesu Christi, 99). Dies darf aber nicht in einer vollkommen abstrakten transzendentalphilosophischen Reflexion geschehen, sondern der Begriff „Natur“ bezieht sich auf den Menschen als freiheitliches Subjekt in geschichtlicher Eingebundenheit. Folie 53 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.2.3 Die Gottesbeweise als begründeter Appell an die Entscheidungsfreiheit des Menschen für Gott Die verschiedenen Typen der Argumentation: kosmologisch: Als Ausgangspunkt wird die erfahrbare Welt genommen, nach deren tragendem Grund und nach deren leitendem Ziel gefragt wird. ontologisch: Ausgangspunkt ist eine Analyse des menschlichen Denkens. anthropologisch: Ausgangspunkt ist die Reflexion des Menschen auf sich selbst. Folie 54 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.2.3.1 Der kosmologische Ansatz kausale Überlegungen: sie fragen nach der Ursache von Wirkungen. 1. Frage: Wer bewegt die Welt? 2. Frage: Welches ist die Ursache aller Ursachen? 3. Frage: Wer ist die Notwendigkeit hinter allen Zufälligkeiten? 4. Frage: Gibt es unter den Werten einen absoluten Wert? Teleologische Überlegungen: sie fragen nach Zweck und Ziel (telos). Wer hat diese Welt zweckmäßig geordnet? Gottesbeweise als induktive und von weltlichen Erfahrungen ausgehende Wege, die den Gottglauben bereits voraussetzen! Folie 55 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.2.3.2 Der ontologische Gottesbeweis Anselm von Canterbury (+ 1109): Aliquid (etwas) quo nihil maius cogitari potest. Kritisch dazu Kant: Deduktion als unerlaubter Übergang von der Ordnung des Denkens in die Ordnung des Seins. neuere Theologie: Weil das reine Denken von unten nach oben in eine Aporie gerät (siehe Kant), setzt man bei der geschichtlich gegebenen Gottesidee an, die den Menschen von oben, von außen her angeht. Dieser dem Denken vorgegebene Gottesbegriff als alles bestimmende Wirklichkeit hat sich nun an der Weltdeutung zu bewähren. Folgen: a) Im Blick auf die Gottesidee: die vormals unbestimmte Gottesidee ist geschichtlich (!) vom Selbsterweis Gottes her inhaltlich gefüllt. b) Im Blick auf den denkenden Menschen: denkerisch greift die Vernunft auf jenen absoluten Sinn hin aus, der sich konkret im Menschen Jesus von Nazaret offenbart hat. c) Im Blick auf den Menschen im Beziehungsgeflecht von Gott und Mitwelt: die Gottesidee hat sich in der denkenden Betrachtung der Wirklichkeit von Welt, Mensch und Geschichte zu bewähren. Folie 56 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.2.3.3 Der anthropologische Ansatz Ausgangspunkt der Überlegungen ist der innere Mensch im Nachdenken über sich selbst, sein Glücksverlangen und das ihn tragende Grundvertrauen. Transzendentale Reflexion auf den unendlichen Ausgriff auf Sinn und Erfüllung Vertreter: Augustinus Kant Rahner 4.2.3.4 Theologische Auswertung Induktion sind faktisch nie vollständig. Deduktionen können nicht zu letzten/ersten Voraussetzungen vorstoßen. Die anthropologisch-transzendentalen Überlegungen betonen die Bezogenheit des Menschen auf Gott. =► Gottesbewährung nur in konkreten Lebensvollzügen Verortung der Gottesfrage in der Sinnfrage (KREINER) Praktische Orientierungsleistung (DALFERTH) Der höchste Begriff des Absoluten als erfahrungsgesättigter Begriff von Gott Folie 57 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Halten wir fest: - Die sogenannten Gottesbeweise können Gottes Existenz nicht objektiv oder kausal bewiesen werden. - Gott ist die tragende Gesamtwirklichkeit, die uns Menschen anspricht: im Denken und Handeln. - In den sozialen Bezügen hat die Sinnfrage besonders in den Differenzen ihren Ort. In diesen Differenzereignissen/ Ansprüchen muss der Mensch seine Identität und ihren Sinn finden, wobei sich dies in einem umfassenden Horizont vollzieht. In diesen Erfahrungen kann man dann von jenem Gott sprechen, der uns Wirklichkeit und Möglichkeit schenkt, und uns dazu die Freiheit gibt, Gott begegnen zu können. - - zusammen mit dem Lebenszeugnis vieler religiös überzeugter Menschen machen die sog. „Gottesbeweise“ es möglich, dass es einen Gott gibt. Folie 58 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Der trinitarische Gott hat in Wirklichkeit und Möglichkeit Welt geschaffen: Horizont/Erfahrungen/Ansprüche/Tradition Wirklichkeit Welt Differenzen menschl. Identität Ich glaube an Gott Möglichkeit Gottesglaube Folie 59 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.2.4 Gotteserkenntnis im Glauben und in der Liebe Offenbarungen = indirekte Erfahrungen, d.h. Erfahrungen mit Erfahrungen und solchermaßen auch immer deutebedürftig. Höhepunkt und Vollendung der Offenbarung = der menschgewordene Logos. Joh 14,9: Wer ihn sieht, sieht den Vater; vgl. 2 Kor 4,4 Folie 60 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Offenbarung Christlich-theologischer Offenbarungsbegriff: Altes Testament: keine Sachwahrheit wird offengelegt, sondern ein personaler Gott (Ex 20,2) teilt sich in kommunikativer, dialogischer Weise dem Menschen mit. Neues Testament: Jesus Christus ist die personale, eschatologische Selbstdefinition Gottes an uns Menschen (Joh 14,9; vgl. 2 Kor 4,4) und zugleich die Selbstübereignung des Menschen an Gott. Strukturmomente des Offenbarungsereignisses: a) Christliche Offenbarung ist nie Mitteilung eines Sachgehaltes, sondern personale Selbstmitteilung. b) Diese Offenbarung hebt die Göttlichkeit Gottes in seiner Geheimnishaftigkeit nicht auf, sondern führt den Menschen tiefer in Verhältnis der Liebe ein. c) Indem der Mensch sich auf Gott als Grund und Horizont der Welt einläßt, kann er sich an dem Leben Christi orientieren. Folie 61 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Hans Urs von Balthasar - „Die Liebe ist kein Gegenstand, der unbeteiligt kontempliert und darin objektiviert werden könnte, sie wird als das, was sie ist, nur erblickt im Ergriffensein von ihr. ...; der Blick für absolute Liebe kann nur von dieser selbst her ermächtigt werden.“ (H. U. von Balthasar, Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik, Bd. III,2 Theologie, Teil 2 Neuer Bund, Einsiedeln 1969, 271) - „Das Geschaute (Wort-Bild-Licht des Vaters) bestimmt nicht nur die Sehkraft des Schauenden, sondern prägt ihn als ganzen, prägt sich ihm ein. Es ist nicht nur das Ein-Leuchtende, sondern Zu-sich-hin-Umformende.“ das Formgebende, (Ebd. 272f) - „Diese entrückende Macht geht so weit, daß sie die Glaubend-Liebenden nicht nur zu sich hinzieht, sondern aus dem eigenen Ursprung (aus Gott) mitgeboren sein läßt (Joh 1,13).“ (Ebd. 272.) Folie 62 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.3 Die Denkbarkeit Gottes Die Denkbarkeit einer Gegebenheit ist nicht identisch mit ihrer Erfahrungs-Erkenntnis. Problem: - Es war zwar möglich, ein höchstes Wesen, Gott, außerhalb des Menschen zu denken, aber: - Die Existenz dieses höchsten Wesens konnte nur durch den denkenden Menschen festgestellt werden. Allein das Ego war der Ort der Anwesenheit Gottes. Nietzsche hat den Tod eines derart gespaltenen Gottes verkündet. Denn wenn das denkende Ich über die Existenz Gottes entscheidet, kann es keinen Gott geben. Folie 63 Gotteslehre Prof. O. Meuffels E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 1977 „Gott denken heißt: Gott allein als denjenigen denken, der de deo etwas zu sagen hat.“ „Der Gedanke eines von sich aus redenden Gottes schließt ... aus, dass das Gott denkende Denken sich zunächst unabhängig von dem zu denkenden Gott begründet.“ (Ebd. 210) „Die Vernunft ist vernünftig, wenn sie begreift, dass sie von sich aus keinen Gott konstruieren kann. Die Vernunft ist vernünftig, wenn sie begreift, dass ein Gott überhaupt nur dann als Gott gedacht wird, wenn er als sich offenbarender Gott gedacht ist.“ (Ebd. 211) =►Der inkarnierte Logos als Wort Gottes! D.h.: Theologisches Fazit:Das Wort = Ausdrucksform des Denkens. menschlich-gesprochenes Wort = Ort unseres Gottesgedankens a) Im menschgewordenen Logos vollzieht sich Gottes Existenz so, dass zugleich sein Wesen offenbar wird (vgl. 1 Joh 4,8f). 1. Johannesbrief 4,8f: Folie 64 Gotteslehre Prof. O. Meuffels „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe. Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbart, daß Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben.“ b) Jesus Christus ist das fleischgewordene Wort, das sich dann in menschlichem Wort (Evangelium) in die Zeit hinein auslegt und bis heute an unser Ohr dringt. Die Verobjektivierung des menschgewordenen Wortes im verschriftlichten Offenbarungswort des Evangeliums vollzieht sich kraft des Heiligen Geistes. Der Geist Jesu Christi hebt das objektive Heil auf die Ebene der subjektiven Fruchtbarkeit. Folie 65 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.4 Die Sagbarkeit Gottes Theologie = verantwortete Rede von Gott. Das Wort von Gott ist angewiesen: a) auf den Gott der Offenbarung b) auf unser verantwortendes Denken Gottes c) das zeugnishafte Denken Die theologische Verantwortlichkeit des Denkens besteht darin, dass Gott als Gott selbst in einem Wort anwesend sein kann und nicht nachträglich erst hinzutreten darf. Folie 66 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.4.1 Negation als angemessene Rede von Gott in seiner Geheimnishaftigkeit THOMAS VON AQUIN zitiert Johannes Damascenus (um 650): „Im Blick auf Gott können wir nicht sagen, was er ist.“ DIONYSIOS AREOPAGITA: Jeder Superlativ ist nochmals zu übersteigen. Dem Gott, der über allem Sein und Seienden ist, entspricht man nur, wenn man all das verneint, was er nicht ist. Aber: Sturz ins Bodenlose der Unsagbarkeit Gottes widerspricht dem Faktum der Offenbarung. DALFERTH: In der negativen Theologie können wir keine Aussagen über Gottes Wesen an sich machen. Vielmehr es sind praktische Gottesdiskurse, in denen man sich orientieren kann. Negative Gottesaussagen sind nicht Aussagen über Gott, sondern es geht um die Orientierung menschlichen Lebens in Bezug auf Gott. =►Differenz von Gott und Mensch als negative Theologie! Folie 67 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.4.2 Die analoge Rede von Gott Die Analogie versucht: a) diese Menschlichkeit der Gottesrede zu nutzen b) die damit jedoch gegebenen negativen Konsequenzen eines Anthropomorphismus zu kennzeichnen und auf diese Weise c) zu positiven Aussagegehalten zu gelangen. → Zulassung menschlicher Bilder und Vorstellungen, aber als negativ qualifizierte! Dreischritt scholastischer Theologie: 1. Schritt: via affirmationis: positive Aussage (Gott ist gerecht). 2. Schritt: via negationis: verneinende Aussage (Gott ist nicht gerecht, wenn man die Fehlerhaftigkeit menschlicher Gerechtigkeit bedenkt). 3. Schritt: via eminentiae: überbietende Aussage (Gott ist in vollkommener, unausschöpflicher Weise gerecht). Folie 68 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Analoge Rede Ana-logon (gr.), die Verhältnismäßigkeit, die Ähnlichkeit, die Übereinstimmung. Analogien = Entsprechungen. Beachte: Bei der theologischen Analogie ist die Unähnlichkeit der analogen Rede immer Ähnlichkeit! Folie 69 größer als die Gotteslehre Prof. O. Meuffels Die Übertragung von Aussageweisen auf Gott (Analogielehre) W. Breuning, Gotteslehre, in: W. Beinert, Glaubenszugänge I, 343 Aussageweise Bedeutung univok oder eindeutig äquivok oder mehrdeutig Begriff und Wirklichkeit treffen sich Der Begriff bezeichnet untereinander völlig verschiedene Wirklichkeiten analog oder Der Begriff teils ein-, teils bezeichnet mehrdeutig einander ähnliche Wirklichkeiten Beispiel Existenzaus- Konsequenz sagen über Gott Mann Gott ist Pantheismus (Gottesverlust) Hans ist Bank -Sitzgelegenheit Gott ist Hans ist -Geldinstitut) gesund Gott ist -Körper -Hautfarbe -Medizin Hans ist W. Breuning, Gotteslehre, in: Beinert, Glaubenszugänge I 257. Folie 70 Weder natürliche noch übernatürliche Gotteserkennt nis ist möglich Natürliche und übernatürliche Gotteserkenntnis sind möglich Gotteslehre Prof. O. Meuffels Nach THOMAS gilt: „Wenn man sagt Gott ist gut, heißt das nicht Gott ist die Ursache des Gutseins oder Gott ist nicht böse. Vielmehr meint man: Was wir in den Geschöpfen gut nennen, präexistiert in Gott, und zwar in einer höheren Weise. Daraus folgt nicht, daß Gott Gutsein zukommt, weil er die Güte verursacht. Es ist vielmehr eher umgekehrt: Weil er gut ist, verströmt er seine Güte den Dingen.“ (S. th. I, q. 13 a. 2 c) → Verfahren der Benennung (Analogia nominum, Benennungsanalogie). Nicht die Analyse von Wesensbegriffen macht Gott in seinem Wesen offenbar, sondern seine freie, personale Beziehung zur Weltwirklichkeit zeigt, wie und wer Gott ist. → Liebesbeziehung als „analogia entis“ Folie 71 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Kritik von KARL BARTH: „Die Rede von der Analogie des Seins sei eine Erfindung des Antichrists, da man allein von der Offenbarung Gottes auszugehen habe.“ HANS URS VON BALTHASAR: dieser Widerspruch = Scheinwiderspruch 4. Laterankonzil, 1215: „Denn von Schöpfer und Geschöpf kann keine Ähnlichkeit ausgesagt werden, ohne daß sie eine größere Unähnlichkeit zwischen beiden einschlösse.“ (DH 806). Entsprechung erwächst also mitteilenden Liebe Gottes! Folie 72 allein aus der sich Gotteslehre Prof. O. Meuffels 4.4.3 Gottesrede in Metaphern Metaphorische Rede = übertragende Rede, sich überbietende Sprache. Metapher = Überraschungspunkt, indem Bekanntes mit Ungehörtem zusammengebracht wird. Paul Ricoeur: „bizarre Prädikation“ Ricoeur: „Die Metapher ist nichts anderes als das Aufkleben eines bekannten Etiketts mit einer bestimmten Vergangenheit auf einen neuen Gegenstand, der sich dieser Übertragung erst widersetzt, dann nachgibt.“ Hosea: „Gott ist wie ein betrogener Ehemann, der sich unablässig um die Liebe seiner untreuen Gattin sorgt.“ Gott-Metaphern verweisen immer auf eine ihnen eigene Geschichte. Gott-Metapher ist keine adaequatio, sondern bringt vielmehr einen Prozeß der Angleichung. Folie 73 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Teil II: Biblische Grunderfahrungen 1. Gotteserfahrung im Alten Testament 1.1 Die Bedeutung der alttestamentlichen Gottesoffenbarung - eine Vorbemerkung Das Alte Testament ist kein systematischer Entwurf einer Gotteslehre. Geschichte der Gottesoffenbarung, einschließlich der geschichtlichen Erfahrungen des Volkes Israel. Jahwe offenbart sich in den Ereignissen der Geschichte seines Volkes. → Der Glaube an den ewigen, unendlichen Gott ist alttestamentlich mit dem geschichtlichen Bewußtsein von der Zeitlichkeit des Glaubens verbunden. Folie 74 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2 Jahwe – der einzige Gott Israels 1.2.1 Das Volk Israel und sein Gott „Jahwe“ ist im 2. Jahrtausend v. Chr. der Name eines Schutzgottes der Wüsten- und Bergregion zwischen dem Toten und dem Roten Meer, also dem Sinai (Dtn 33,2; Ex 19ff). Zu einer uns unbekannten Zeit ist ein Teil dieser JahweGruppe nach Ägypten eingedrungen: Die Erfahrung der Befreiung aus der Versklavung wird prägend. Jahwe gibt sich in Verheißungen und in seinem Handeln kund. Im Prozess der Volkswerdung erweist Jahwe sich als Staatsgott, der immer schon „der Gott der Väter“ war (vgl. Gen 12-50). In der Sinaitradition offenbart sich Jahwe durch Gebote und Gesetze. Folie 75 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2.2 El, Elohim, Jahwe 1.2.2.1 Allgemeine Anmerkungen Priesterschrift ist in Exodus 6,2: „Ich bin Abraham, Isaak und Jakob als El-Schaddai (Gott, der Allmächtige) erschienen, aber unter meinem Namen Jahwe habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben.“ Jahwist Der eine Gott Jahwe // wurde seit Urzeiten verehrt (Gen 4,26; 9,26)// Er ist schon seit der Schöpfung der eine Gott (vgl. Gen 2,3bff). Gen 31,53 „Der Gott Abrahams und der Gott Nahors sollen richten zwischen uns!“ Formulierung "Gott meines/deines Vaters" (Gen 31,5.42) =älter als „Gott deiner/euerer Väter" (Ex 3,13)? Ebenso: „Gott Abrahams“ (Gen 31,53) älter als „Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ (Ex 3,6.15f). Folie 76 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2.2.2 El Die Gottesbezeichnung El kann appellativen Charakter haben - als Anrufungsname Gottes schlechthin oder Eigenname des Gottes par excellence sein - im Sinne des obersten Gottes - oder gar als Eigenname eines besonderen Gottes fungieren. El olam - Gott der Ewigkeit (Gen 21,33): Beerscheba. - Gott, der mich sieht (Gen 16,13): an einem El Roì im Süden gelegenen Brunnen. El Bet-El - Gott von Bet El (Gen 35,7). El Eljon – der höchste Gott (Gen 14,18ff): Jerusalem. El Schaddai – "Gott, der Allmächtige": zusammenfassender Begriff. Folie 77 Gotteslehre Prof. O. Meuffels CROSS: „Die weitgehende Übereinstimmung in Attributen, Epitheta und Namen zwischen JHWH und El erweckt den Eindruck, daß JHWH als eine El-Gestalt entstand, die sich vom alten Gott abtrennte, als sich Israels Kult von seiner polytheistischen Umwelt losriß. Das Ausbleiben jeder Polemik gegen El und der freie Gebrauch seiner Gestalt als Urvater in der Götterversammlung stützen diese Annahme.“ Folie 78 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2.2.3 Elohim Der Terminus Elohim wird benutzt: um Gott zu beschreiben, indem man Nicht-Göttliches beschreibt bzw. Götzen (z.B. Hos 8,6) oder indem man positiv Gott mit einem Adjektiv belegt: heiliger Gott (vgl. Jos 24,19); gerechter Gott (Ps 7,10); Im Plural werden vielfach die Götter der anderen Völker so benannt (vgl. Ex 12,12). Demgegenüber ist allein Jahwe der einzige Gott Israels (Dt 4). Die Frage nach dem, wer oder was Gott (Elohim) ist, findet sich in Ex 15,11: „Wer ist wie du unter den Göttern?“ als Bezeichnung Jahwes selbst. Folie 79 Gotteslehre Prof. O. Meuffels H. Ringgren, Art. Elohim, in: ThWAT I, 305: „Einerseits liegt im Gebrauch von elohim als Ersatz des Gottesnamens eine Abstraktion: Der konkret persönliche, anthropomorph aufgefasste JHWH wird mit der Gottheit schlechthin gleichgesetzt, was eine abstraktere Gottesauffassung nahelegt. Andererseits liegt diese Identifikation in einer Linie mit der monotheistischen Auffassung: Nur wenn es nur einen Gott gibt und geben kann, wird es völlig sinnvoll, den eigenen Gott als Gott schlechthin bezeichnen.“ Folie 80 elohim zu Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2.2.4 Jahwe a) Außerbiblische Quellen ca. 19mal in Segens- und Fluchformeln, Siegel, Grabinschrift, (ca. um 800 und 750) - Personennamen b) Biblische Verwendung des Jahwe-Namens 1. Stadium: 12. Jahrhundert Name Jahwe vorherrschend (vgl. Ex 15; Ps 29; Ri 5). 2. Stadium: Im 11. Jahrhundert war die Verschmelzung des südlichen Jahwe mit dem levantinischen El im Gange (El Schaddai, El Olam etc.) (vgl. Gen 49; Num 23-24; Dt 33). 3. Stadium: während des 10. bis 9. Jh. synkretistische Tendenz (vgl. 1 Sam 2; 2 Sam 1, 2 [= PS 18], Dt 32; Ps 78, 68, 72): Jahwe deutlich als Eigenname. c) Inhaltliche Aspekte des Gottesnamens Jahwe 1. Indem Gott seinen Namen kundtut, offenbart er zugleich sein Wesen. Sein Sein zeigt sich als Sein „für euch“ - es ist Ausdruck der Liebe Gottes zu den Menschen (vgl. Hos 2,21f; Jer 31,3). 2. Auf diese Weise bindet sich Gott an die Geschichte seines Volkes. 3. Gott ist zwar immer derselbe, aber zugleich ist er ein geschichtsmächtiger Faktor. 4. Gottes Da-Sein geht aus seinem Leben hervor. Folie 81 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2.3 „Gegengötter“: Aschera und Baal Aschera: bezeichnet selten die Göttin selbst, sondern einen beschnittenen Baum als Kultobjekt mit Altar und Massebe (kultische Steinstelen): 1 Kön 15,13; 16,33; 2 Kön 13,6; 21,7; 2 Chr 33,7. Baal: drängt im 2. Jhtd. in Ugarit den Lokalgott El zurück, ohne ihn beseitigen zu können. Es kommt zur Konvergenz der Götter El und Baal im gemeinsamen Gottesnamen Baalsamem (Wettergott). Baal Peor (Num 25,3.5; Dtn 4,3; Hos 9,10) Baal Berit (Ri 8,33) Baal des Karmel (1 Kön 18,16-46). Folie 82 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2.4.1 Auf dem Weg zum Monotheismus Thesen: Der Jahwe-Glaube ist zunächst polytheistisch; in den politischen und sozialen Kämpfen des 8. Jh. bildet sich eine von Propheten geführte kleine Jahwe-AlleinGruppe, die im 7. Jahrhundert unter König Josia zur Staats- und Kultgrundlage wird. Der Jahwe-Glaube ist eine Monolatrie, in der ein Gott verehrt wird, ohne daß die Existenz anderer Götter geleugnet wird; diese werden bei- bzw. untergeordnet. Allerdings besitzt die Vielfalt der Götterwelt im biblischen Bereich bereits keine allzu große Kraft mehr. Ursachen der Entwicklung: Viele orientalische Gottheiten verblassten in einer immer mehr zunehmenden Monolatrie. Bestimmte Eigenschaften des Jahwe-Glaubens wenden sich durch die starke Bindung an ein Volk kritisch gegen die Verehrung anderer Götter und bewirken, dass der Jahwekult für das Volk sinn- und idenditätsstiftend wird. Folie 83 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2.4.2 Theologische Implikationen Im gesamten Orient war der Einflussbereich einer Gottheit an den Lebens- und Erfahrungsbereich der Verehrerschaft gebunden. Vgl.: 1 Sam 26,19 und 2Kön 5,17. Die klassischen Propheten hingegen sehen Jahwe gerade durch die Feinde an Israel wirken (vgl. Jes 5,26-30). Jahwe kann die Weltgeschichte lenken, weil er der Schöpfer der Welt ist (vgl. Jes 45,1-7, Jes 51,9-16, Gen 1). - Alles außer Jahwe ist Kreatur. - Ihm ist kein Bereich entzogen: weder die Natur, noch die Geschichte. - Vor diesem Gott ist die Kreatur verantwortlich. - Jahwe ist der unverfügbare Souverän (vgl. Ex 20,4f): Transzendenz Gottes! =► Dialektik zwischen Nähe und Unanschaulichkeit Jahwes (vgl. Ex 33) Folie 84 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.2.4.3 Exemplarische Verdeutlichung a) Die Theologie des Jahwisten Der Jahwist greift auf eine Urzeit und einen Urraum zurück, in dem Jahwe bereits voraussetzungslos anwest. Immer wieder werden große Zeiträume übersprungen (vgl. Ex 1,6.8). Räume sind ungeheuer weit gespannte Flächen (Gen 12,3; Ex 34,10a). Der Jahwist greift nicht bis in seine Jetztzeit aus. Urgeschichte, Vätergeschichte und Volksgeschichte werden als ein sich steigerndes Kontinuum geschildert: Ziel ist die Volkwerdung Israels. Segen Jahwes (vgl. Gen 12,3b) Erscheinungen Jahwes (vgl. Ex. 3,1-6) Handeln Jahwes Folie 85 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Jahwe selbst also ist stets die Grundlage der ganzen Geschehensabfolge und zwar voraussetzungslos; er ist schlechthin da. Schema von Verheißung und Erfüllung (vgl. Gen 12,1-8; Ex 34,10a) Verhältnisdes Jahwes zu anderen Gottheiten: „unpolemischer Monolatrismus“ (ERICH ZENGER) universale Kompetenz Jahwes keine Ortsbindung Jahwes Namenlosigkeit der anderen Götter, aber: keine Polemik Folie 86 Gotteslehre Prof. O. Meuffels b) Der Kampf gegen Baal 1. Elijas Engagement: - Kampf gegen Synkretismus (vgl. 1 Kön 18,21a) - Streit mit den Baalspriestern auf dem Berg Karmel ist wohl historisch. - Elija setzt die Kenntnis des ersten Gebotes (Ex 20,3) voraus und wendet es konsequent auch auf den König an (vgl. 2 Kön 1,6). Fortentwicklungen: 1. Ausschließlichkeitsanspruch (vgl. 1. Kön 18,21) 2. Nationaler Monotheismus (vgl. 1 Kön 18,26b.28f). 3. Gott als Herrscher über die Natur. 4. Beginnender Universalismus (vgl. 1 Kön 17,10-14a.15) 2. Der Prophet Hosea - „Baal“ als Chiffre für ein verfehltes Gottesverhältnis (vgl. Hos 2,15.19; 11,2), - das zum Untergang und zum Exil führte (vgl. Hos 13,1). Folie 87 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3 Systematische Aspekte des Jahwe-Glaubens 1.3.1 Jahwe: Schöpfer und König Die Geschichtsüberlieferungen von den Vätern und vom Exodus bilden das Fundament für die Aussagen über Jahwe als Schöpfer. Die Schöpfungsaussagen beziehen sich damit auf jenen Gott, der in der Gegenwart hilft (Ps 121,1f) und der dem Volk im Exil eine neue Hoffnung erschließt (vgl. Jes 40,12ff; 43,1f.) bis hin zu einer Hoffnung auf eine eschatologische Neuschöpfung (vgl. Jes 65,17). Auch der auf Jahwe angewandte Königstitel erfährt eine Wandlung. Von ihrem Ursprung her setzt diese Redeweise einen umfang/reichen Götter/kreis voraus, dem Jahwe als König voransteht. Vgl. Ps 95,3. Jedoch wird aus dieser Überlegenheit im Laufe der Zeit der eine König Israels - im Sinne des ersten Gebotes (vgl. Jes 44,6; Jes 33,22; Jes 52,7-10; Sach 14,9 Folie 88 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.2 Eigenschaften Gottes a) Gottes Heiligkeit Jes 6,3; Hos 11,9; Lev 19,2 b) Gottes Herrlichkeit (doxa, kabod). Gemeint ist seine Fülle, seine Strahlkraft, die Anbetung verlangt und sich in Naturphänomenen zeigt (vgl. Ps 29) c) Gottes Schönheit Ex 33,19; Ps 96,6; 50,2 d) Gottes Eifer - gegen jenes Israel, das seinem Gott nicht treu ist: vgl. Jos 24,19; - für sein Volk, um ihm Heil zu bringen: vgl. Jes 9,6; Sach 1,14. Folie 89 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.3 Jahwe in seiner Huld und Treue als Bundesstifter 1.3.3.1 Zum Terminus „Bund“ (berit) Bund enthält vor allem die Idee des Auferlegens bzw. der Verpflichtung, oftmals verbunden mit Gesetz und Gebot (z. B. Deut 4,13). - er wird befohlen (vgl. Ri 2,20). - er ist kein gegenseitigen Abkommen - vergleichbar mit dem Verhältnis von Vasall und Lehnsherr (vgl. z. B. Deut 7,1f bzw. Jos 9,15; 1 Sam 11,1). - d.h.: Der Mächtige gewährt dem weniger Mächtigen das Bundesverhältnis Bezug auf zwei Wortfelder: - einerseits auf den damit verbundenen Eid und die eingegangene Verpflichtung, - andererseits aber auch auf den Bereich von Liebe und Freundschaft. =► Bund als Lebensgemeinschaft Gottes mit seinem Volk! Folie 90 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.3.2 Jahwes Bund mit Israel Sinai-Bund: Drei Bundesschlüss in Ex 19-34: 1.Ex 24,8 2.Ex 34,10a 3.Ex 24,3-8 Moab-Bund: Dtn 26,16; Dtn 5 - Rückblende beim aktuell zu schließenden Bund zwischen Mose und Jahwe im Lande Moab (Dtn 26,16) zum - Horeb-Bund am Horeb-Sinai Dieser Bund wird von Jahwe direkt mit Israel geschlossen. (Deut 5). Der Bund mit Abraham (Gen 15,17) und der Bund mit David (2 Sam 7) → Verheißungsbund (Nachkommenschaft/ Dynastie) Folie 91 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.3.3 Jahwes Huld und Treue 1 Kön 8, 23 „Herr, Gott Israels, im Himmel oben und auf der Erde unten gibt es keinen Gott, der so wie du Bund und Huld seinen Knechten bewahrt, die mit ungeteiltem Herzen vor ihm leben.“ Gottes Huld = Jahwes Treue zum Sinai-Bund Folie 92 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.4 Die Person-Wirklichkeit Jahwes „Ich bin der Herr, der Gott deiner Väter ...“ Gen 28,13 „Du Gott meiner Väter ...“ Gen 32,10 Das „Herz Gottes“ vgl. Gen 6,6; 1 Sam 13,14; Hos 11,8 u.ö. vgl. Dtn 4,37; 10,15; Hos 11,1 vgl. Jer 31,3 Herz Gottes = Der Grund seiner frei sich schenkenden personhaften Liebe, die im lebendigen Wesensvollzug Gottes selbst gründet. Folie 93 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.5.1 Das Wort Gottes kann schöpferisch wirksam sein Gen 1; Jes 48,13; Ps 107,20; 119,81; Weish 16,12 Immanente Transzendenz: Offenbarung durch sein „Wort“ im Hier und Jetzt kann Heil schaffen vgl. Jes 55,11 kann direkt ergehen vgl. Jes 5,9 kann durch Menschen vermittelt werden Mose (Dtn 18,18) Propheten (1 Kön 11,29ff; Jes 20,1ff; Ez 4-5) kann durch Ereignisse ausgedrückt werden kann seine Wirksamkeit im Herzen der Menschen entfalten Folie 94 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.5.2 Der Geist Jahwes Auch der Geist Jahwes macht den transzendenten Gott geschichtsmächtig gegenwärtig und wirksam. Grundbedeutung von ruah = Wind, Atem In der Nachexilszeit deutet das Volk Jahwes Wirken im Sinne der Geistbegabung. Vgl. Ez 36,26f. Wie der Bund ist auch der Geist Ausdruck für Jahwes Treue und Beistand. Später wird der Geist weniger als ein besonderes Tun Jahwes denn als Synonym für ihn selbst verstanden (vgl. Ps 139,7; vgl. Jes 63,10) - bis hin zur Personifizierung in Weisheit 1,7. Folie 95 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.5.3 Die Weisheit Sie ist Gottes vornehmstes Geschöpf; er hat sie „geschaffen im Anfang seiner Wege, vor seinen Werken in der Urzeit“ (Spr 8,22). Sie dient ihm als Schöpfungsmittler (vgl. Weish 7,21) und bezeichnet die von Gott gestiftete Ordnung in der Welt (vgl. Spr 8). Gerade in Spr 8 ist die Weisheit wie eine Person aufgefasst, die die Menschen zur Entscheidung ruft und Schutz verheißt. 1.3.5.4 Engel Er tritt jeweils als einzelner mit einem genau umschriebenen Heilsauftrag auf (vgl. Ex 14,19; Gen 24,7; 2 Sam 14,7). Dabei gibt es Erzählungen, in denen der Engel kaum mehr von Jahwe zu unterscheiden ist (vgl. Gen 16,9.13; 31,11; 48,15). Er dient als Brücke zwischen der Transzendenz und der Immanenz. Folie 96 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.5.5 Trinitarische Anleihen? Es ist sicherlich nicht berechtigt, im Alten Testament nach Personen im Sinne einer Dreipersönlichkeit in Gott Ausschau zu halten. Aber bereits im AT ist die Lebensfülle Gottes ersichtlich (vgl. Ps 36,8), – dieser Gott offenbart sich als „Ich“, da sein Handeln personhaft geprägt ist. Zudem reichen die Vermittlungsweisen zwischen dem transzendenten und dem immanenten Gott sehr nahe an eine Hypostasierung heran (Wort, Geist, Weisheit). Folie 97 Gotteslehre Prof. O. Meuffels 1.3.6 Jahwe als Vater Israels Gott wird im AT nur sehr selten „Vater“ genannt z.B. Ps 103,13; Spr 3,12 Es gibt in Israel ein ausgeprägtes Bewusstsein für Gottes Fürsorge Der König ist Sohn Gottes (vgl. 2 Sam 7,14) Das Volk ist der „erstgeborene Sohn“ (Ex 4,22) Das Vaterbild wird im Hoseabuch intensiv aufgegriffen Hos 11,1.2a.3.4 Die Vaterbezeichnung findet sich in Fürbittrufen z.B. Jes 63,15f; Jer 3,4.19 Im Gottesbild Israels finden sich mütterliche Aspekte z.B. Jes 49,14-16; 42,14 Folie 98 Gotteslehre Prof. O. Meuffels Fazit Wenn aber väterliche und mütterliche Züge im AT nur verhalten genutzt werden, so um den kanaanäischen Vorstellungen einer Divinisierung der Sexualität entgegenzutreten. =► JHWH steht jenseits der Geschlichtlichkeit antimythische Funktion Betonung der Transzendenz Notwendigkeit ananloger Rede Gott ist und bleibt der absolut Unvergleichliche, der von seiner Warte aus zeitgeschichtliche Umstände der Kritik unterwirft. Folie 99