Pathologischer PC-/Internet-Gebrauch: Krankheitsmodell, diagnostische und therapeutische Ansätze Dr. Petra Schuhler, Dr. Monika Vogelgesang, Marco Flatau Zusammenfassung Diagnose Kriterien Seit 2006 ist die Gruppe betroffener Patienten und Patientinnen – zumeist junge Erwachsene - stark angestiegen, für die eine Behandlungsindikation besteht. Mehr noch als ohnehin für die psychischen Erkrankungen gilt, ist die PC-Problematik Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung, die von zunehmender Entfremdung und abnehmenden Kompensationsmöglichkeiten durch feste Einbindung in soziale und familäre Bindungen geprägt ist. Vor allem junge Erwachsene sind von dem Problem betroffen, bei denen in aller Regel schwierige familiäre Sozialisations- und Entwicklungsbedingungen festzustellen sind. Das mediale Angebot in den Online-Rollenspielen, den Chatrooms und Internetforen kann bei vulnerablen Personen zu schweren Beeinträchtigungen führen: Betroffene weisen gravierende Störungen in den Alltagsbewältigungskompetenzen und der beruflichen Leistungsfähigkeit auf. Eine besondere Komplikation ergibt sich durch die hohe psychischen Komorbidität des Krankheitsbildes. Die Erarbeitung diagnostischer und therapeutischer Methoden ist deshalb dringend geboten. Auf dem Hintergrund einer mehr als 10-jährigen Behandlungserfahrung mit der Patientengruppe werden Krankheitsmodell, diagnostische und therapeutische Ansätze diskutiertAusgangspunkt ist die Unterscheidung zwischen normalem, problematischen und pathologischem PC-Konsum als Gaming (dysfunktionaler Umgang mit MMORPG – Massively Multiplayer Online Role Playing Games und ‚ego-shooter’-Spielen), Chatting, etwa in Partnerschaftschatrooms und Surfing, dem ausufernden, aber letztlich ziellosen Sammeln von Informationen, Musikdateien, Reisezielen oder Filmen. Im Zentrum steht die klinisch relevante Form des pathologischen PC-Konsums, wie er im Rahmen der stationären psychosomatischen Rehabilitation behandelt wird. Erste Ergebnisse zeigen einen erfolgversprechenden Einsatz von gruppen- und einzelpsychotherapeutischen Interventionen im Rahmen eines stationären Aufenthaltes. Es sollte weniger von einem einfachen Reiz-Reaktionsmuster im Sinne einer ‘Online-Sucht’ ausgegangen werden, sondern viel mehr von einer tiefgreifenden Störung der Beziehungsund Selbstwertregulation. Entsprechend sollten die Therapieziele formuliert und die Behandlungsmethoden ausgewählt werden. Es wird empfohlen die intrapsychischen und interpersonellen Defizite in den Fokus der Behandlung zu stellen. •Exzessive Nutzung mit mehr als 30 Std./ wöchentlich (berufs- oder schulfremd) •Überwertiges Immersionserleben •Ich-Syntonie •Dysfunktionale kompensatorische Problemlösung •Dichotomie als Störung intrapsychischer und interaktiver Funktionen •Stark defizitäre Medienkompetenz Merkmale des pathologischen PC-/Internet-Gebrauchs Telepräsenz -Evidenz „Ich bin im System, ich bin dort präsent“ -Lebendigkeit und Interaktivität der medialen Aktivität ermöglichen diesen Eindruck -Lebendigkeit speist sich aus der simultanen sensorischen Breite -Interaktivität gründet auf relativer Geschwindigkeit, Repertoire der Verhaltensmöglichkeiten, Abbildungsmöglichkeiten der eigenen Handlungen In der Selbstwertregulation Selektives Erleben von Selbstidealen wie Anerkennung, Kontrolle, Macht, Erfolg vs. Angst- und schambesetztes Selbsterleben in der Realität mit hoher Misserfolgserwartung In der Affektregulation Abkehr von belastender Realität: Beziehungsund Arbeitswelt sind aversiv von Angst-, Leere- und Schamgefühlen geprägt vs. Stark positiv besetztes Erleben von Freude, Glück, Stolz, Schaffensrausch, Wärme und Geborgenheit im virtuellen Kontext Zusätlich Negative soziale und psychische Folgen • Zunehmende soziale Unsicherheit bei realen Kontakten und Reduzierung der sozialen Kontakte • Berufliche Leistungsfähigkeit und Alltagskompetenz beeinträchtigt • Depressive Verarbeitung nach Wiederauftauchen In der sozialen Interaktionsfähigkeit Beziehungserleben kann besser kontrolliert werden, ist steuerbarer, eindeutiger, macht weniger Angst im virtuellen Raum vs. Aversiv besetzte Interaktionen in der Realität In der Handlungsmotivation Negative körperliche Folgen Flow-Erleben im virtuellen Kontext vs. Starke • Stoffwechselstörungen motivationale Hemmung in der Realität • Untergwicht oder Adipositas • Rückenschmerzen, Kopfschmerzen • Schlafstörungen • Körperliche / hygienische Vernachlässigung / Verwahrlosung • Schmerzen in den Handgelenken • Sehnenscheidenentzündungen Aktuelle Daten Aktuelle Studie 60 40 35 30 26 20 00 -2 00 3 0 F68.8 Diagnose 17 4 5 4 2-jährige Vergleichsstudie 20 04 20 05 20 06 20 07 20 08 20 09 10 Pathologischer PC/Internet-Gebrauch bei PatientInnen der stationären Suchtrehabilitation. Merkmale der Patientengruppe im Vergleich mit Alkkohlabhängigen, psychosomatisch Kranken und path. Glücksspielern 50 50 20 Immersion: - Zurücktreten der realen Erlebniswelt hinter die virtuelle Realität - Eintauchen in die virtuelle Welt - Fokussierung der Aufmerksamkeit auf virtuelle Inhalte und Abläufe - Zurücktreten der realen Lebenswirklichkeit - Überwertiges Immersionserleben: Virtuelles Geschehen wird präferiert Dichotome Störung intrapsychischer und interaktiver Funktionen Path. PCGebrauch Gaming Vorwiegendes Spielen von Computerspielen, meist sog. Massively Multiplayer Online RolePlaying Games (MMORPGs), aber auch von Ego-Shootern, Offlinespielen, etc.. AlkoholPath. Abhängigkeit Glücksspiel Forschungsförderung durch die DRV Bund ab 01/2010 - 2012 Chatting (…?..☺..) Psychosomatische Erkrankung Dauerhaftes Aufhalten in Chatrooms, Foren, Internet-Blogs oder auf „Social Network“-Seiten, wie z.B. „Facebook“, „Studi-VZ“, usw. AHG Klinik Münchwies Surfing AHG Klinik Schweriner See Ausuferndes, meist zielloses Sammeln von Informationen, Musikdateien, Filmen, Bildern etc. Im Mittelpunkt steht die quasi-kompensatorische‚Dienstleistung‘ der PC-Internet-Welt, basierend auf der Annahme eines ungünstigen Verlaufs emotional-interaktiver Erfahrungen. Therapieziele Einzeltherapie •Selbstwertsteigerung, adäquate Affektregulierung, Abbau von Motivationsblockaden •Reale Beziehungen schätzen lernen und gestalten können •Alternative imaginative Kräfte und Phantasie entfalten •Körperselbst und Sinneswahrnehmung stärken •Abbau der Präferenz der Illusion •Abbau der‚Ich-Syntonie‘ und der starken emotionalen Bindung an PC-Welt •Medienkompetenz •Teilhabe am Arbeitsleben und Alltag Entwicklung funktionaler Alternativen Im Mittelpunkt stehen Ausbau der Erlebensfähigkeit außerhalb des virtuellen Raumes und Unterstützung der interpersonellen Kompetenzen durch Unterstützung der Wahrnehmung sozialinteraktiver Prozesse und der Aufhebung von Blockaden in realen sozialinteraktiven Kontexten. Erarbeitung salutogenetischer Potenziale Im Mittelpunkt steht die Aktualisierung positiv besetzter Erfahrungen außerhalb der PC/Internet-Welt. Medienkompetenz Abbau der Ambivalenz hinsichtlich einer PC-/Internet-AktivitätsVeränderung, Lösung der emotionalen Bindung an die PC-Aktivität auf der Grundlage eines ‚Ampelmodells‘. D e l ko n p r ta es k t Ä n si vi t ä gs tlic t Ag hk ei t g re Ph ss ob i sc i vi t ä Pa t he ra no id e A n g st sD en k I so e n l at io n i gk e it g af t z ia he rh ei t im So an ma gh i er sa un m t 20 si c Im Mittelpunkt stehen mangelnde Kontrollkompetenz, das Fehlen einer sicheren emotionalen Basis, defizitäre Selbstbestätigung und mangelnde Anerkennung sowie ungünstige Aggressionsabfuhr und defizitäres Autonomieerleben. 40 Un Analyse der dysfunktionalen Problemlösung Therapiebeginn Therapieende Ge Indikative PC-spezifische Gruppentherapie Im Mittelpunkt steht das Bewusstwerden der eigenen Sozialinteraktiven Wahrnehmung, die Förderung der Perspektivübernahmefähigkeit und die Stärkung des Vertrauens in menschliche Bindung. 60 So Entwicklung realitätsbezogener positiver Selbstbildelemente und Förderung der sozialen Kompetenz 80 T-W erte weitere indikative Therapiegruppen Ergo-, Sport- und Soziotherapie Empirische Wirksamkeitsnachweise Pre-/Postvergleich SCL 90-R tis Therapeutische Gemeinschaft Analyse der Interaktionserfahrungen in der virtuellenund realen Welt und Erkundung der Interdependenzen Zw Multimodales Therapie Konzept Mittelwerte aus SCL-90-R Untersuchung, N=72 Signifikante Mittelwertunterschiede, p<.05