Zwischen virtuellen Welt-Räumen und kommunikativem Handeln der Kirche Meine Damen und Herren, Weltraum ist das erste Stichwort: Als 1969 die Astronauten Bilder vom „Blauen Planeten“vom Mond zur Erde funkten, die dann in allen Zeitungen und Zeitschriften zu sehen waren, da passierte etwas, was so gar nicht vorherzusehen war. Erst die Distanzierung vom Heimatplaneten führte zu einer Wiederannäherung an ihn. Seine Verletzlichkeit wurde sichtbar, die räumliche Nähe von Menschen, die sich geographisch und ideologisch fern waren, wurde greifbar. Vor wenigen Jahren bezeichnete ein Philosoph die Mondlandung als entscheidendes Ereignis für den Paradigmenwechsel hin zu einer Politik, die sich ihrer Zukunftsverantwortung bewusst ist. Man könnte sagen: Die Weltraumfahrt hat zu einer Neuentdeckung der Welt geführt. Vielleicht in diesem Zusammenhang ist auch zu verstehen, was gemeint ist, wenn es heißt, „die Entstehung des Internet sei die zweite Entdeckung der Welt“. In welchen Paradigmenwechsel wir uns befinden, werden wir wohl erst in einigen Jahren feststellen können. Aber die Symptome des Wandels und das Phänomen der sich qualitativ wandelnden Gesellschaft lassen sich konkret aufzeigen. Vielleicht führt die mit der Internet-Revolution zusammenhängende Distanzierung von der Welt, wie wir sie bisher gesehen haben, auch zu einer neuen Hinwendung zu ihr. Davon aber später. Was das alles für die Kirche im allgemeinen , die evangelische im Besonderen und ganz konkret für Ihre Arbeitsfelder bedeutet, damit wollen wir uns heute beschäftigen. Wir haben dafür 90 Minuten. Mein Input wird ca. eine halbe Stunde dauern. Virtuelle Welt-Räume. Virtuelle Räume in der Welt. Lassen Sie uns zunächst danach fragen, was Virtualität wirklich ist. Wenn man die verschiedene Definitionen, die gebräuchlich sind, zusammenfasst, könnte man wohl sagen: Virtualität bedeutet: eine Wirklichkeit die als Möglichkeit vorhanden ist, also eine Wirklichkeit, die wirklich eine werden kann, auch wenn sie es noch nicht ist. Mit einem ganz kurzen Exkurs, möchte ich noch etwas klären, dass für das Folgende entscheidend ist, will man nicht nur pragmatisch von der Herausforderung des Internet sprechen. Dazu müssen wir einen kurzen Ausflug in eines der komplexesten Seite 1 / 3 Zwischen virtuellen Welt-Räumen und kommunikativem Handeln der Kirche Gebiete der Philosophie unternehmen, nämlich in die Erkenntnistheorie und die Ontologie, die Lehre vom Sein. Es sind virtuelle Welten, wie wir sie so noch nicht gekannt haben, mit Computer und Internet entstanden sind. Das ist Fakt. Interaktionen sind möglich, die vor kurzem noch undenkbar waren. Kommunikation geschieht quasi unabhängig von Raum und Zeit. Und in den sogenannten virtuellen Welten, künstlichen Computerwelten in denen man z.B. nichtexistierende Gebäude betreten kann, ist es sogar möglich, den Subjekten nicht logische Eigenschaften zuzuweisen. Dem Nutzer sind Dinge möglich, die unsere Logik und Lebenserfahrung ausschließen. Die Erfahrungen sind ohne Einschränkung dennoch real. Von virtueller Realität kann man im eigentlich Sinn nur reden, wenn man unterstellt, es gibt mehr als eine Realität, eben eine frühere einzige eigentliche, wahre und eine zeitlich spätere, nämlich die virtuelle Realität. Bedeutet die virtuelle Welt also damit eine Verdoppelung der realen Welt? Kann man also bald nicht mehr zwischen virtuell und real unterscheiden, und was wäre wohl das Kriterium des Realen im Gegensatz zum Virtuellen? Die Antwort: Es gibt keine virtuelle Realität weil es die eigentliche Wirklichkeit nicht gibt, gegen die jene sich abgrenzen müsste. Eine kategorische Abgrenzung ist nicht möglich. Wie aber ist virtuelle Realität zu beschreiben, wenn sie nicht abzugrenzen ist. Eine Antwort wird mit Blick auf die Kunst möglich: Auch hier lassen sich Welten konstruieren, die nicht in unserer Alltagswirklichkeit aufgehen. Wie in der Kunst ist die in Computern erzeugte Welt eine ästhetische Verlängerung der einen Welt. Das Virtuelle ist Teil des Realen. Ein letzter Schritt ist noch zu tun, bevor wir zum pragmatischen Teil kommen können. Wie lässt sich bestimmen, ob etwas in dieser einen Wirklichkeit wirklich ist? Hier bietet m.E. die relationale Ontologie eine gute Basis. Etwas hat nur dann ein Sein, wenn es in Beziehung steht. Die Beziehung zwischen den Dingen stiftet ihr Sein. Angewandt auf alle Phänomene dieser einen Welt ließe sich sagen: Ein Baum, der zu nichts in Beziehung steht, ja in keiner mono- oder dialogischen Beziehung steht, hat kein Sein. Räume im Cyberspace, die in keiner Beziehung stehen, sind nicht. Erst die Interaktion macht einen virtuellen Raum zum tatsächlichen Raum. Erst Menschen geben dem Internet ein Sein als Teil dieser Welt. Jetzt scheint diese Klärung vergleichsweise banal im Vergleich zum Anmarschweg, den wir genommen haben. Folge daraus ist aber, dass alle Internet-Phänomene in dem einen Herrschaftsbereich Gottes fallen, der durch seine Schöpfung beschrieben ist. Im Sinne des Herrschaftsauftrags an Adam und Eva als Stellvertreter der Seite 2 / 3 Zwischen virtuellen Welt-Räumen und kommunikativem Handeln der Kirche Menschen über die creatio continua und im Sinne des Missionsauftrags Jesu ist das Internet ein Feld des Handelns der Kirche. Und Kirche muss Missionswege auf dieser terra incognita suchen und bauen. Dabei verstehe ich Mission als gelebte Entfaltung des Kommunikationsauftrags des Evangeliums in diakonia, koinonia leiturgia. Indem ich von dem noch weithin unbekannten Land Internet spreche, nicht weil wir es in seiner heutigen Form nicht kennen würden, aber weil es sich um ein neues Medium handelt, einen Quantensprung in der Kommunikation, sollte klar sein, dass wir uns die Fantasie und die Offenheit bewahren müssen, nicht nur neue Wege zu gehen, sondern auch neue Lösungen zu entwickeln. Es geht nicht, dass wir uns in Kategorien bereits gekannter Medien auf den Weg begeben, also eben nicht um das Bild eines ähnlichen Aufbruchs zu benutzen, mit der pferdelosen Kutsche, sondern mit dem Automobil. Markus Eisele Arbeitsstelle Internet Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik Mail WWW: Telefon: [email protected] http://www.gep.de/internet 069 58098 229 Seite 3 / 3