Teil II - Brain Modelling

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Sehen und
Erkennen:
Das Sehsystem
ON
OFF
Das visuelle System ist der am besten untersuchte Bereich des menschlichen Gehirns.
Dadurch, daß die Retina leicht durch visuelle Stimuli gereizt werden kann, und der Weg von
der Retina zum Thalamus zur Großhirnrinde relativ einfach verläuft, und daß das visuelle
System wenig Input von anderen System erhält erleichtert die Forschung ungemein.
7.0 Das visuelle System
Betrachten wir den Weg eines Stimulus, der durch das Auge wahrgenommen und später von
anderen Gehirnstrukturen verarbeitet wird.
Netzhaut
Lederhaut
Hornhaut
Aderhaut
Sehgrube
Iris
Sehnerv
Linse
Abbildung 7.1: Das menschliche Auge mit dem Strahlengang. (In der Graphik nicht unbedingt leicht zu erkennen:
die Aderhaut liegt zwischen der Lederhaut und der Netzhaut).
Das Bild gelangt über die Hornhaut und die Linse in den Glaskörper zur Retina. Die Hornhaut
ist der wichtige Teil, der für die Brechung verantwortlich ist, während die Linse nur für die
Feinjustierung wichtig ist. Das Bild wird umgekehrt abgebildet. Durch die Iris kann die Menge
des Lichtes, das auf die Retina gelangt gesteuert werden. Die meisten Sinneszellen befinden
sich in der Sehgrube. Dort wird auch am schärfsten abgebildet. Nachdem die Signale in der
Retina verarbeitet wurden, gelangen sie über den Sehnerv zum seitlichen Kniehöcker - einer
Teilregion des Thalamus.
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Brain Modelling
80
Der Lichtreiz gelangt durch das Geflecht der verarbeitenden Neuronen zu den lichtempfindlichen sensorischen Zellen, die sich auf der Augapfelrückseite befinden. Es gibt zwei Arten
von Photorezeptoren: die Stäbchen und die Zäpfchen. Die Stäbchen können sehr schwaches
Licht detektieren. Dies liegt vor allem an der neuralen Nachverarbeitung, die für eine sehr gute
Verstärkung sorgt. Sie dienen der Schwarz-Weiß Verarbeitung eines Bildes. Der
Konvergenzgrad auf die nachgeschalteten Bipolarzellen ist sehr groß. Das heißt, daß sehr viele
Photorezeptoren ihr Signal auf ein
Zäpfchen
Bipolarzelle
Neuron
(Bipolarzelle)
weitergeben. Dadurch erklärt sich
auch, daß man bei schwachen
Licht nicht sehr gut Details
auflösen kann, da die Trennschärfe
verschwindet. Die Zäpfchen
dienen dem Farbsehen. Meist
bilden nur wenige Zäpfchen auf
ein nachgeschaltetes Neuron ab
(geringe Konvergenz). Dadurch
sehen wir schärfer. Leider benötigt
Licht
dieser Rezeptor mehr Licht, um
ein Signal abzugeben, dafür ist
Rückaber seine zeitliche Auflösung
seite
besser. Im Prinzip haben wir 2
des
unterschiedliche
Sehsysteme.
Augretinale
Eines
für
wenig
Licht
mit einer
apfels
Ganglienzelle
sehr guten Sensitivität (SchwarzStäbchen
Weiß) und das Farbsystem, das die
Abbildung 7.2: Der neurale Aufbau der Retina. Das Welt bei guter Beleuchtung scharf
Licht gelangt durch die Neuronen zu den Stäbchen und und detailgetreu auf die nachfolZäpfchen.
genden Neuronen abbildet.
Abbildung 7.3: Die Sensitivität der Zäpfchen und
Stäbchen für das gesamte sichtbare Spektrum.
Die drei Zäpfchen der menschlichen Retina
antworten
bevorzugt,
aber
nicht
ausschließlich auf die jeweilige Wellenlänge,
wie in Abbildung 7.3 durch die
Absorptionsspektren der Photopigmente aller
drei Zapfentypen dargestellt ist. Die Kurve
mit dem Maximum bei 496 nm zeigt das
Absorptionsspektrum von Stäbchen. Es gibt
ungefähr 20 mal mehr Stäbchen als Zapfen.
Zwischen den Photorezeptoren und den
Ganglienzellen liegen drei Klassen von
Interneuronen: Bipolar-, Horizontal- und
Amakrinzellen. Sie kombinieren die Signale
von mehreren Photorezeptoren, so daß die
Antwort der Ganglienzellen stark von
räumlichen und zeitlichen Lichtmustern
abhängt. Die Axone der Ganglienzellen
bilden den Sehnerv.
Durch die Verschaltung in der Retina ergeben sich einige interessante Effekte, zum Beispiel
die Erkennung von Kanten. Durch die laterale Hemmung (siehe Abb.7.4) werden die
exzitatorischen Neuronen gehemmt. Aber die Hemmung ist abhängig von der Erregung der
Ganglienzellen.
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81
Das Sehsystem
intensives Licht
schwaches Licht
Impulsfrequenz
Abbildung 7.4: Neurale Darstellung der lateralen Hemmung in der Retina.
Durch das Licht werden die exzitatorischen Neuronen angeregt. Wenn ein Aktionspotential in
diesen Zellen ausgelöst wird, dann werden auch die inhibitorischen Neuronen aktiviert, die in
ihrer Umgebung wiederum die exzitatorischen Neuronen hemmen. In dem Bereich in dem nur
wenig Licht auftrifft, fällt die Hemmung auch geringer aus. Wenn sich ein Bereich mit viel
Licht mit einem Bereich mit wenig Licht trifft (es liegt eine Kante vor), dann können die
inhibitorischen Neuronen, die stark aktiv sind, die exzitatorischen Neuronen die
helligkeitsbedingt weniger Signale abgeben, noch stärker hemmen. Das heißt, an den Kanten
feuern manchen Neuronen stärker und manche Neuronen feuern weniger.
tatsächliche
Intensität
Machbänder
beobachtete
Intensität
Abbildung 7.5: Darstellung der Machbänder.
Dadurch kommt es zu den sogenannten Mach-Bänder (siehe Abb.7.5). Die Flächen sind
einhellig gefärbt und an den Kanten zwischen den Flächen scheint sich die beobachtbare
Intensität zu verändern. Der Kontrast wird stärker.
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Brain Modelling
82
7.1 Ganglienzellen
Die Neuronen, die bei der Sehverarbeitung beteiligt sind, weisen eine interessante Eigenheit
auf: die rezeptiven Felder. Sie können sich in Größe und Form, aber auch in der Modalität
unterscheiden. Die Photorezeptoren besitzen eine hohe Konvergenz auf die Ganglienzellen.
Das heißt die Ganglienzellen bekommen ihren Input von einem klar umgrenzten Bereich aus
der Retina - dem rezeptiven Feld. Für die Ganglienzellen in der Retina ist der Einflussbereich
kreisförmig. Das Feld unterteilt sich in zwei Bereiche. Ein kreisförmige Zone im Inneren und
ein kreisscheibenartiges Umfeld. Man unterscheidet zwei Arten von Ganglienzellen. Die einen
haben ein ON-Zentrum. Das heißt, die Ganglienzelle wird aktiv, wenn ihr Inneres beleuchtet
wird, das Umfeld aber dunkel bleibt. Bei der OFF-Zentrum Ganglienzelle ist die genau
umgekehrt. Beide Ganglienzellen liegen in gleicher Anzahl vor. Diese Zellen führen zu einer
weiteren Erhöhung des Kontrastes.
Ganglienzelle mit ON-Zentrum
Ganglienzelle mit OFF-Zentrum
ON-Bereich
OFF-Bereich
OFF-Bereich
ON-Bereich
Lichtpunkt auf das Zentrum
Lichtpunkt auf das Zentrum
Lichtpunkt in das Umfeld
Lichtpunkt in das Umfeld
Beleuchtung des gesamten
Zentrums
Beleuchtung des gesamten
Zentrums
Beleuchtung des gesamten
Umfelds
Beleuchtung des gesamten
Umfelds
diffuse Beleuchtung
diffuse Beleuchtung
Abbildung 7.6: Vergleich der elektrischen Aktivität der ON/OFF-Zelle bei unterschiedlichen Beleuchtungsarten.
Die gerade Linie über den elektrischen Ableitungen gibt den Zeitpunkt der Beleuchtung an.
Wenn wir die Ganglienzellen betrachten, dann können wir erkennen, daß zum Beispiel bei
einer diffusen Beleuchtung der Ganglienzellen, sowohl des ON-Zentrums als auch des OFFZentrums, kaum eine Änderung der Feuerfrequenz auftritt (Achtung bei Autofahrten bei
Dämmerung - es herrscht diffuse Beleuchtung).
Wie gestaltet sich dies bei der Farbwahrnehmung. Man fand 3 verschieden Gesetz für die
Farbwahrnehmung. Diese Gesetze entstanden durch psychologische Tests.
1) Farbantagonismus: Bestimmte Farben können nie in Kombination gesehen werden. Es
existiert kein rötliches Grün oder bläuliches Gelb.
2) Farbsimultankontrast: Dieser Effekt tritt dann auf, wenn Gegenfarben von räumlich
benachbarten Stellen ausgehen. So hebt sich ein grünes Objekt besser von einem roten
Hintergrund besser ab, als vor einem blauen.
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83
Das Sehsystem
3) Farbkonstanz: Die Farbe eines Objektes bleibt relativ konstant, obwohl enorme
Schwankungen in der Spektralverteilung der Umgebungsbeleuchtung auftreten. Farbe wird
in der Retina und im seitlichen Kniehöcker des Thalamus durch Gegenfarbzellen codiert.
Wenn eine Zitrone von einem rötlichen Licht oder von einem anderen Licht beleuchtet
wird, glaubt man immer noch, daß die Farbe gelblich ist - erst wenn man mit einer hohen
Aufmerksamkeit die Farbe der Zitrone analysiert, erkennt man die genaue Farbe.
In der Retina und im Corpus geniculatum laterale befinden sich Ganglienzellen, die für die
Farbe zuständig sind. Auch diese Ganglienzellen haben ein Zentrum und ein Umfeld, das auf
spezielle Farben spezialisiert ist. So gibt es konzentrische Breitbandzellen, konzentrische
einfache Gegenfarbzellen und die coextensiven einfachen Gegenfarbzellen.
G+;R+
G-;R-
G-;R-
G+;R+
G+
G-
R-
R+
R+
R-
G-
G+
B+
G-;R-
BG+;R+
Konzentrische Breitbandzelle: Die
Eingangssignale von den G- und RZapfen (G für Grün, R für Rot und B
für Blau) werden im rezeptiven Feld
unabhängig voneinander aufsummiert.
Sie reagieren auf den Helligkeitskontrast innerhalb ihres Feldes und
leisten keinen Beitrag zum Farbsehen.
konzentrische
Breitbandzellen
konzentrische einfache
Gegenfarbenzellen
coextensive einfache
Gegenfarbenzellen
Abbildung 7.7: Darstellung der geometrischen Einzugsbereiche der Neuronen, die für die Farbwahrnehmung verantwortlich sind.
Von den Ganglienzellen der Netzhäute
des rechten und linken Auges ziehen
ausgedehnte Nervenfasern (der Sehnerv)
zu den äußeren Kniekörpern (Corpus
geniculatum laterale - ein Teil des
Thalamus), deren Zellen ihrerseits durch
Nervenfasern unmittelbar mit den Zellen
des primären Sehfeldes verbunden sind
(siehe Abb.7.8). Die sechs Schichten der
Kniekörper sind durch je eine Nervenzelle angedeutet und es lässt sich
erkennen, daß diese Schichten jeweils
nur mit Signalen entweder vom linken
oder vom rechten Auge versorgt werden.
Die Schichten untereinander sind nicht
funktionell verbunden. Wichtig ist, daß
das rechte Halbbild der Retina beider
Augen auf das rechte Rindenareal der
Großhirnrinde abbildet. Das linke
Halbbild wird auf das linke primäre
Sehfeld abgebildet.
Konzentrische einfache Gegenfarbzellen: Ein Zapfentyp (R oder G)
überwiegt im Zentrum des rezeptiven
Feldes und führt zu einer Reaktion, die
zu der des im Umfeld überwiegenden
Zapfentyps entgegengesetzt ist.
Coextensive einfache Gegenfarbzellen: Sie besitzen ein undifferenziertes rezeptives Feld in dem die Wirkung
der B-Zapfen der kombinierten
Wirkung von G- und R-Zapfen
gegenübersteht.
Abbildung 7.8: Schnitt durch das Gehirn auf Höhe des
Sehnerv. Man kann schön erkennen, daß die linke
Gesichtshälfte auf den linken primären Sehcortex abbildet.
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Brain Modelling
84
Der seitliche Kniekörper liefert eine vollständige
Repräsentation der jeweiligen Gesichtshälften. Er
besitzt sechs Zellkörperschichten. Die Fasern von
der contralateralen Retinahälfte enden in den
Schichten 1, 4 und 6, die von der ipsilateralen Hälfte
in den Schichten 2, 3 und 5 des Thalamus. Die
Schichten 1 und 2 stellen die magnozelluläre Bahn
dar, im Gegensatz zu den Schichten 3 bis 6 die die
parvozelluläre Bahn repräsentieren. Beide Bahnen
projizieren zum primären visuellen Cortex. Aus
diesen Bahnen entstehen die 3 Hauptkanäle für die
Wahrnehmung von Form, Farbe und Bewegung.
Abbildung 7.9: Darstellung der unterschiedlichen Bahnen des
Sehsystems für die rechte Sehhälfte.
Gesichtsfeld des
linken Augens
Gesichtsfeld des
rechten Augens
fovealer Bereich
beider
Gesichtsfelder
Projektion auf der
linken Retina
Projektion auf der
rechten Retina
Nervus
opticus
Corpus
geniculatum
laterale
Abbildung 7.10: Die
Bereiche die von der
rechten
beziehungsweise von der linken
Hälfte des jeweiligen
Auges auf den verschiedenen Ebenen - Retina Thalamus - primärer
visueller Cortex - wahrgenommen werden.
Tractus
opticus
primärer
visueller
Cortex
Eingangssignale im primären visuellen
Cortex auf der medialen Oberfläche der
linken
Hemisphäre
rechten
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85
Das Sehsystem
Neben Kontrasten und schnellen Belichtungsänderungen analysiert unser Sehsystem auch
andere Aspekte, wie Farbe, Form und Bewegung: Die Neuronen des primären visuellen Cortex
haben lineare rezeptive Felder mit diskreten exzitatorischen und inhibitorischen Bereichen.
Die Neuronen im visuellen Cortex können (funktionell) in zwei Klassen unterteilt werden:
einfache Zellen und komplexe Zellen.
Einfache Zellen: Ihre rezeptiven Felder erhalten mehr
Input als die Ganglienzellen. Sie sind auch nicht
kreisrund, sondern länglich, meist sogar fast rechteckig.
Das rezeptive Feld besteht aus einer rechteckigen OnZone mit einer eindeutig orientierten Längsachse, meist
flankiert mit Off-Zonen von beiden Seiten. Um optimal
wirksam zu sein, muss der Stimulus genau die gleiche
Orientierung haben, wie das rezeptive ON-Feld der
Zelle. Es können Reize mit einem Orientierungsbereich
von rund 10° erkannt werden (siehe Abb.7.11). Der Reiz
darf nur die exzitatorische Region des rezeptiven Feldes
bedecken und nicht in die inhibitorische Region
hineinreichen.
OFF-Bereich
Abbildung 7.11: Die elektrische Aktivität einer einfachen Zelle im
primären visuellen Areal in Abhängigkeit vom Winkel des Lichtbalkens. Die gerade Linie über den elektrischen Ableitungen gibt den
Zeitpunkt der Beleuchtung an.
ON-Bereich
OFF
ON
ON
ON
OFF
ON
OFF
ON
OFF
OFF
Abbildung 7.12: Verschiedene Einzugsbereiche mit den ON/OFF-Bereichen der einfachen Ganglienzellen im
visuellen Cortex.
Komplexe Zellen: Auch sie besitzen rezeptive Felder mit bestimmter Orientierung. Ihre
rezeptiven Felder sind jedoch größer als die der einfachen Zellen und sie besitzen keine klar
umgrenzten On- und Off-Zonen. Sie reagieren, wenn eine Linie mit einer bestimmten
Orientierung über das rezeptive Feld bewegt wird. Die absolute Position der Linie im
rezeptiven Feld ist ohne Bedeutung. Im Gegensatz zu den einfachen Zellen sind die komplexen
Zellen binokular, das heißt das rezeptive Feld reagiert auf Reize aus beiden Augen.
Für die Farbanalyse sind die konzentrischen doppelten Gegenfarbzellen verantwortlich. Ihre
rezeptiven Felder beschäftigen sich mit unterschiedlichen Farb-Kontrasten.
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Brain Modelling
86
Die Signale von einfachen Gegenfarbzellen des seitlichen Kniehöckers laufen im primären
sensorischen Sehzentrum, dem Areal 17 (entspricht V1), auf konzentrische doppelte
Gegenfarbzellen zusammen.
G+ R-
B+
G- R-
Grün-Rot
B- G+ R+
G- R+
G- R+
Blau-Gelb
BG+ R+
Rot-Grün
Gelb-Blau
B+ G- R-
G+ R-
Abbildung 7.13: Darstellung der 4 unterschiedlichen Gegenfarbzellen.
Konzentrische doppelte Gegenfarbzellen: Es gibt vier Arten von diesen Zellen. Zwei
antworten bevorzugt auf Rot-Grün Kontrast. Die anderen beiden auf Gelb-Blau Kontrast. Eine
Zelle die Rot-Grün Kontrast verarbeitet, wird durch G-Zapfen im Zentrum des rezeptiven
Feldes aktiviert und durch G-Zapfen im Umfeld gehemmt. R-Zapfen haben den umgekehrten
Effekt.
In den Gelb-Blau- und den Blau-Gelb- Kontrast verarbeitenden Zellen werden die Signale der
B-Zapfen und die aufsummierten Signale der R- und G- Zapfen antagonistisch verarbeitet.
Die einfachen Zellen, die komplexen Zellen und die konzentrischen Gegenfarbzellen befinden
sich im primären visuellen Areal. Interessanterweise sind diese einzelnen Zellen topologisch nachbarschaftserhaltend geordnet. Es existieren sogenannte Hyperkolumnen.
Blobs
I
II
III
IV
V
VI
vom
rechten
-
linken
Auge
Abbildung 7.14: Eine Hyperkolumne im primären visuellen Cortex. Der Bereich besitzt ungefähr 1 mm Kantenlänge und die unterschiedlichen Neuronen - einfache Zellen sind nachbarschaftserhaltend angeordnet. In den Blobs
befinden die konzentrischen doppelten Gegenfarbzellen.
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87
Das Sehsystem
Eine solche Hyperkolumne repräsentiert einen kleinen Bereich des optischen Sehfeldes aus
beiden Augen. Je ein Bereich der Hyperkolumne analysiert die Signale aus dem rechten
beziehungsweise aus dem linken Auge. In diesen Bereichen liegen die sogenannten Blobs. Sie
enthalten die konzentrischen Gegenfarbzellen und sind somit für die Farbwahrnehmung
verantwortlich. Auch die einfachen Zellen, welche die Richtung eines Lichtbalkens
analysieren, sind nachbarschaftserhaltend angeordnet.
Eine Hyperkolumne enthält ein vollständiges Set an Orientierungssäulen, die 360°
repräsentieren, eine linke und eine rechte Augendominanzsäule und mehrere Blobs. Das
gesamte Gesichtsfeld ist im Cortex durch ein regelmäßiges Muster aus Hyperkolumnen
repräsentiert.
Durch eine spezielle Färbetechnik (Cytochron-Oxidase) zeigen sich charakteristische
Zellsäulen in der V1 Region, die von der Oberfläche der grauen Hirnrinde bis zur weißen
Substanz - den darunter liegenden Nervenfasern - verlaufen. Auf einem Schnitt parallel zur
Oberfläche erscheinen sie als stark angefärbte Flecken, die nach dem entsprechenden
englischen Wort als Blobs (Tropfen) bezeichnet werden; dazwischen liegen weniger stark
gefärbte Interblobregionen.
In V2, ein dem primären visuellen Cortex benachbartes Areal, bilden die stark färbenden
Regionen zwei Typen von dunklen Streifen - dicke und dünne, die durch blasse InterstreifenRegionen voneinander getrennt sind.
1)
Streifen in V2
2)
Blobs
in V1
V2
V1
Abbildung 7.15: Graphik des primären visuellen Cortex durch eine spezielle Technik angefärbt (links). Im rechten
Teil sind die wesentlichen Bereiche schematisch dargestellt.
Es war schön für die Neuroanatomen zu sehen, daß es für die unterschiedlichen
Verarbeitungsmodalitäten - Farbe und Orientierung - neurobiologische Korrelate - wie zum
Beispiel die Blobs - gibt, die sich durch die geeignete Färbung des primären visuellen Systems
zeigen ließen (siehe Abb.7.15). Es stellt sich nun die Frage, wofür die unterschiedlichen
Bereiche in V2 verantwortlich - dicke, dünne, und blasse Streifen - sind.
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Brain Modelling
88
7.2 Verschaltungen im Sehsystem
Durch eine genaue Analyse zeigte sich, daß es 3 verschiedene unabhängige Bahnen für die
Verarbeitung der visuellen Verarbeitung gibt. Diese Bahnen nehmen ihren Ursprung im
Thalamus und enden in höheren Bereichen des Cortex.
Die drei verschiedene Bahnen für das Wahrnehmen von visuellen Reizen:
1) Parvo-Blob Bahn:
parvozelluläre Schicht des seitlichen Kniehöckers
⇓
Blob-Region von V1
⇓
Gebiet der dünnen Streifen in V2
⇓
Cortexareal V4 (Wahrnehmung von Farbe)
2) Parvo-Interblob Bahn: parvozelluläre Schicht des seitlichen Kniehöckers
⇓
Interblobregion von V1
⇓
Gebiet mit blassen Streifen in V2
⇓
Cortexareal V4 (Wahrnehmung von Formen und Farbe)
3) Magno-Interblob Bahn: magnozelluläre Schichten des seitlichen Kniehöckers
⇓
Interblobregion von V1
⇓
Gebiet mit dicken Streifen von V2
⇓
Cortexareal V5 und V3 (Wahrnehmung von Tiefe und
Bewegung)
Das Geheimnis der visuellen Wahrnehmung liegt in der komplizierten Arbeitsteilung
verborgen. Anatomisch zeigt sich darin, daß bestimmte Regionen und Teilregionen der
Hirnrinde auf einzelne visuelle Funktionen spezialisiert sind.
Die Areale V1 und V2, fungieren als eine Art Postamt um die verschiedenen Signale auf die
richtigen Areale zu verteilen (siehe Abb.7.17). Diese beiden Gebiete analysieren stückweise
das Gesichtsfeld. Es wurde herausgefunden, daß in den Blobs von V1 farb- und in den
Interblobregionen formspezifische Zellen konzentriert sind. Besonders stark ausgeprägt sind
die Zellsäulen in der zweiten und dritten Schicht von V1, deren Input von den parvozellulären
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89
Das Sehsystem
Schichten des seitlichen Kniehöckers stammen. Die Zellen in diesen Kniehöcker-Schichten
reagieren mit einer hohen, lang anhaltenden Aktivität auf visuelle Reize und sind größtenteils
farbempfindlich.
Abbildung 7.16: Anatomischer Schnitt durch die Sehrinde von einem Makaken. Auf dem Querschnitt ist ein Teil
der primären Sehrinde (V1) und einige Areale im prästriären visuellen Cortex (V2-V5) markiert.
Abbildung 7.17: In diesem Blockschaltbild sieht man sehr schön die unterschiedlichen Aufgabengebiete der
Großhirnrinde. Wichtig ist aber, daß die Verbindungen nicht unidirektional sondern bidirektional sind.
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Brain Modelling
90
In dieser Seitenansicht sind die wichtigsten Verbindungen eingetragen. Die Information wird
aber nicht nur von einem Areal zum nächsten Areal vorwärtsvermittelt, sondern es gibt auch
starke Rückwärtsverbindungen. Ein Areal vergleicht seine neu gebildetes neurales Assemble
mit den ursprünglichen Informationen. Dies kann zum
parietale
Beispiel zu einer KontrastAreale
verstärkung führen (RückBewegung
verbindung von V1 und CGL
V5
Corpus
geniculatum
laterale
seitlicher
KnieV3
höcker). Stark vereinfachend
sind hier die drei ObV4
V1
jektmerkmale Form, Farbe
Farbe
V2
Form
und Bewegung einzelnen
temporale
Arealen zugeordnet. Auf
Areale
jeder Verarbeitungsstufe hat
jede Zelle eine höhere
Abstraktionsfähigkeit als die
Abbildung 7.18: Verschaltungen der Sehareale mit höheren RindenZellen der vorangegangenen
arealen der Großhirnrinde.
Stufen.
Das menschliche Auge ist nicht einfach mit einer Videokamera oder einem Fotoapparat zu
vergleichen. So betrachtet das Auge einzelne Ausschnitte des Gesichtsfeldes öfters als andere.
Abbildung 7.19: Messungen der Beobachtungsdauer und der Blickrichtung bei einem Mädchengesicht und einer
Büste. Interessanterweise beschäftigt sich das Auge besonders mit den Augen und der Mundpartie. Auch
Asymmetrien sind wichtig, wie man an der Haarlocke beim Scheitel des Mädchens erkennen kann (Pfeil).
Welche Merkmale sorgen dafür, daß ein Objekt aus dem Hintergrund hervortritt ?
Sehen erfordert Aufmerksamkeit !
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91
Das Sehsystem
Deutlich wahrnehmbare Objektgrenzen beruhen auf elementaren visuellen Eigenschaften wie
Helligkeit, Farbe und Orientierung von Linien.
Abbildung 7.20: Eine Graphik um selbst festzustellen, auf was unser Sehsystem reagiert. Das Gebiet mit den
Kreuzen ist leicht zu erkennen, aber wo ist das Gebiet mit den T´s. Die Auflösung befindet sich im Anhang C.
Es existieren zwei (un)abhängige Wege der Verarbeitung von visueller Information:
[1] Ein schnell ablaufender nicht aufmerksamkeitsgesteuerter Prozess, der nur für das
Erkennen der wichtigsten Umrisse eines Objektes sorgt (Hauptmerkmale wie globale
Textur eines Objekts).
[2] Der aufmerksamkeitsgesteuerte Prozess führt zu einer Fokussierung auf feinere Merkmale
eines Objektes. Hierbei werden Merkmale ausgewählt und hervorgehoben, die in
verschiedenen Merkmalskarten (nachgeschalteten Kortexbereichen) verzeichnet sind (the
winner takes it all).
Mit Hilfe von verschiedensten technischen neuronalen Netzwerken wurde versucht, das Sehen
nachzubilden. Die meisten dieser Modelle vernachlässigen aber die biologischen Tatsachen.
Ein Modell, das zumindest den Versuch macht, biologisch relevant, Sehsignale zu verarbeiten
und auch gute Ergebnisse erzielt ist das Neokognitron.
Das Neokognitron versucht stark deformierte Buchstaben wiederzuerkennen. In diesem
Netzwerk gibt es keine vollständige Translations-, Rotations- und Skalierungsinvarianz,
sondern nur die Fähigkeit, begrenzte Veränderungen der gelernten Muster zu tolerieren.
Abbildung 7.21: Die verschiedenen Schichten des Neokognitrons. In der ersten Schicht sind einfache Zellen tätig
um den Winkel der einzelnen Linien festzustellen. In der darauffolgenden Schicht werden die Kanten analysiert.
Aus diesen Informationen wird auf den jeweiligen Buchstaben geschlossen.
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Brain Modelling
92
Wie man sieht (siehe Abb. 7.21), nimmt jedes Neuron der Schicht 1 nur die Ausgabe einer
lokal begrenzten Menge von Neuronen der Schicht 0 wahr. An jeder Stelle der Schicht 1
antworten nur diejenigen Neuronen besonders stark, deren rezeptive Felder in ihrer
Orientierung mit der lokalen Orientierung der Striche des "A" übereinstimmen. In der nächsten
Schicht werden schon komplexere Merkmale erkannt (Ecken, Enden).
Abbildung 7.22: Beispiele für deformierte mit dem Neokognitron richtig erkannte Zahlen.
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Erläutern sie den Aufbau der Retina.
Wie entstehen die Machbänder ?
Welche elektrischen Aktivitäten bei unterschiedlichen Beleuchtungen gibt es bei retinalen
Ganglienzellen ?
Wodurch unterscheiden sich retinale Ganglienzellen von den Ganglienzellen im Thalamus
beziehungsweise im primären sensorischen Areal ?
Wie lauten die 3 Gesetze der Farbwahrnehmung ?
Wo befinden sich die Ganglienzellen, die für die Farbe zuständig sind ?
Wie gestaltet sich der grobe Aufbauplan des Sehsystems ?
Wofür dienen die seitlichen Kniehöcker bei der visuellen Verarbeitung ?
Welche rezeptiven Felder besitzen die beiden Neuronenarten im visuellen Cortex ?
Was versteht man unter einer Hyperkolumne und wie ist sie aufgebaut ?
Welche 3 Bahnen vom seitlichen Kniehöcker in die Großhirnrinde gibt es ?
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93
Das Sehsystem
Informationsverarbeitung
im Gehirn
Wie werden die Informationen - die zum Beispiel das Sehsystem liefert - schließlich
gespeichert und bei einer späteren Assoziation wieder vervollständigt (rekombiniert)? Die
Frage nach der Informationsverarbeitung im Gehirn ist wahrscheinlich die wichtigste Frage
überhaupt.
8.0 Repräsentation von Objekten
Am Beispiel des Sehsystems haben wir gesehen, daß die unterschiedlichen
Sinneseigenschaften (Form, Farbe, Bewegung und so weiter) von unterschiedlichen Arealen
der Großhirnrinde repräsentiert werden. Trotzdem schafft es das Gehirn einen eindeutigen
Seheindruck entstehen zu lassen. Wie geschieht dies?
Dazu gibt es zwei grundlegende Theorien. Man unterscheidet zwischen der lokalen und der
verteilten Repräsentation. Bei der lokalen Repräsentation wird eine Einzeleigenschaft oder
eine gesamte Wahrnehmung durch ein einzelnes Neuron dargestellt, das zum Beispiel durch
eine erhöhte Aktivität deren Vorhandensein anzeigt.
Barlow hat hierzu den Begriff der Großmutterzelle geprägt, die Zelle, die genau dann feuert,
wenn eine Großmutter in das visuelle Aufmerksamkeitszentrum trifft. Die immense Zahl von
Neuronen des menschlichen Gehirns reicht nicht aus, um für alle relevanten Kombinationen
von Reizeigenschaften, die sich für natürliche Objekte ergeben, ein eigenes Neuron zur
Verfügung zu stellen. Es kommt zu einer kombinatorischen Explosion der Neuronenanzahl,
wenn man alle möglichen Reize betrachtet, die gespeichert werden sollen. Was passiert wenn
sich ein gespeicherter Reiz verändert? So könnte sich die Haarfarbe meiner Großmutter
verändern - wie könnte sich dieses Neuron anpassen? Es stellt sich auch die Frage nach dem
Vorrat für neue Informationen. Wenn alle Neuronen verbraucht sind, könnte man nichts Neues
mehr lernen - somit müssten Neuronen reserviert werden für mögliche neue
Reizkombinationen. Umgekehrt könnte man die Großmutter nicht mehr erkennen, wenn genau
dieses Neuron stirbt (jeden Tag sterben ein paar Hundert Neuronen !).
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Brain Modelling
94
Rosenblatt konstruierte die Bindungsmaschine um die Probleme mit der lokalen
Repräsentation zu verdeutlichen. Vier Neuronen detektieren unterschiedliche Eigenschaften
von Mustern, die auf eine Leinwand projiziert werden. Die ersten beiden reagieren auf den Ort
des Musters (oben oder unten), die anderen beiden auf dessen Form (Quadrat oder Dreieck).
Tritt nun ein Muster auf (a), so kann anhand des Aktivitätsmusters die Situation auf der
Leinwand eindeutig dargestellt werden. Werden zwei Muster gleichzeitig auf der Leinwand
dargestellt (b), so lassen sich Ort und Form nicht mehr eindeutig zuordnen - die Maschine ist
mit dem Bindungsproblem beschäftigt. Sie versagt bei diesem einfachen Problem.
(a)
o u
o
u
Neuron ist aktiv
Leinwand
(b)
o
Neuron ist passiv
o u
u
Abbildung 8.1: Die Rosenblatt´sche Bindungsmaschine. In (a) kann die Maschine das Muster korrekt erkennen,
während in (b) Doppeldeutigkeiten auftreten.
Im Gegensatz dazu werden Eigenschaften bei einer verteilten Repräsentation stets durch
mehrere Neuronen angezeigt, wobei der zeitliche Verlauf der Aktivitätsmuster als Ganzes ein
Perzept darstellt. Ein anderer zeitlicher Verlauf der Aktivitätsmuster, das die selbe
Neuronenstruktur verwendet, kann für eine andere Eigenschaft stehen.
Aktionspotentiale
o
o
u
u
t
Abbildung 8.2: Die Lösung des Rosenblatt´schen Bindungsproblems durch die Einführung einer Zeitstruktur.
Durch Einführung einer zeitlichen Struktur können verschiedene geometrische Muster von
Neuronen "gleichzeitig" in der selben Gruppe von Neuronen (Assemble) dargestellt werden.
Bindung wird also über die zeitliche Korrelation neuronaler Antworten dargestellt.
Gehen wir von einem einfachen Modell aus (Abb. 8.3). Die 1. Schicht stellt die Eingabeschicht
dar - im Prinzip handelt es sich um sensorische Neuronen, die einzelne Reize detektieren. In
der 2. Schicht werden die Reize verarbeitet - dort kommt es zur eigentlichen Synchronisation,
die in diesem Kapitel behandelt wird. Die 3. Schicht erhält von allen Neuronen der
vorhergehenden Schicht Informationen. Sie zieht die Schlüsse und fällt die Entscheidung,
welches Muster erkannt wurde. Wir interessieren uns für die Schicht 2 - trotzdem können
Synchronisationen in den beiden anderen Schichten auch auftreten. So synchronisieren sich die
Ganglienzellen in der Retina. Natürlich gibt es nicht nur eine verarbeitende Schicht (Schicht 2)
im menschlichen Gehirn, sondern es sind bedeutend mehr. Dies hängt vor allem davon ab,
welche Entscheidung in welchem Gehirngebiet gefällt werden muss. Dieses einfache Modell
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95
Informationsverarbeitung im Gehirn
ist biologische relevant: Die Neuronen bekommen von der vorhergehenden Schicht über die
Synapsen Signale - aber es sind auch die Neuronen in einer Schicht untereinander verknüpft.
Über diese Verknüpfungen können auch Signale zwischen Neuronen der selben Schicht
ausgetauscht werden. Jedes Neuron erhält von rund 1000-10000 Neuronen synaptische
Eingangssignale und gibt auch an rund 1000-10000 Neuronen die Signale weiter. Eine Gruppe
von Neuronen einer Schicht, die stark miteinander verknüpft sind, stellen ein Assemble dar.
Schicht 1
⇒
Schicht 2
⇒
Schicht 3
Abbildung 8.3: 3 neurale Gruppen von Neuronen - in Schichten angeordnet. In der Schicht 1 sind 4 Neuronen
etwas dunkler dargestellt - sie sind aktiv, genauso wie im Assemble in der 2. Schicht. Wichtig ist das geometrische
Muster.
In einem Assemble können mehrere Informationen "gleichzeitig" verarbeitet werden. Die
Kreise in Abbildung 8.4 symbolisieren verschiedene Neuronen eines Assembles der
verarbeitenden Schicht (Schicht 2, Abb. 8.3). Jedes Neuron ist mit jedem Neuron der selben
Schicht verbunden. Durch die unterschiedlichen Eingangsmuster werden verschiedene
Neuronen im Assemble aktiviert - man spricht von
einem Aktivierungsmuster. Das Muster repräsentiert
die geometrische Verteilung der aktiven Neuronen.
Abbildung 8.4: Ein neurales Assemble mit
verschiedenen Aktivierungen.
Die synchronen Aktivierungen sind als Stern,
Quadrat, bemalter Kreise - Neuronen - dargestellt, das
heißt ein Muster aus der vorhergehenden Schicht
aktiviert prinzipiell die Neuronen die mit Sternen
gekennzeichnet sind. Wenn das Muster in der
Eingabeschicht anders ist, entsteht auch in der
verarbeitenden Schicht ein anderes geometrisches
Muster, das zum Beispiel durch graue Kreise dargestellt wird. Interessanterweise können die gleichen
Neuronen bei unterschiedlichen Mustern beteiligt
sein.
Die Assemble-Codierung hat folgende Vorteile: Robustheit und sparsamer Umgang mit den
vorhandenen Neuronen. Dadurch, daß einzelne Neuronen an mehreren Mustern beteiligt sind,
ergibt sich eine hohe Sparsamkeit der vorhandenen Ressourcen.
Die Neuronen in einem solchen Assemble feuern in Ruhe ungefähr mit einer Frequenz von
rund 0.1-1 Hertz. Die Neuronen die ein Perzept darstellen, also die gleichzeitig aktiven
Neuronen, feuern mit einer Frequenz von 40-90 Hertz.
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Brain Modelling
96
Die Zusammengehörigkeit der durch neuronale Aktivität
repräsentierten Merkmale zu bestimmten Objekten soll
durch wiederholtes, synchrones Feuern der jeweiligen
Neuronen zum Ausdruck gebracht werden, während
Merkmale, die zu anderen darzustellenden Objekten
gehören, mit einem anderen Muster dargestellt werden.
Die Verwendung einer Zeitstruktur ermöglicht es, ein Assemble von Neuronen über die
Synchronisation zu definieren. Durch subtile Änderung der zeitlichen Relationen können
Neuronen schnell zwischen verschiedenen Assembles - beziehungsweise zwischen unterschiedlichen geometrischen Mustern - umschalten.
Neuronen sind Koinzidenzdetektoren !
Einige wenige Spikes von verschiedenen Neuronen können kaum ein nachgeschaltetes Neuron
erregen, es sei denn, sie kommen fast gleichzeitig (Gleichzeitigkeit als Bindemittel), wie man
leicht in Abbildung 8.5 erkennen kann. Es werden ungefähr 25 EPSP´s am Axonhügel
benötigt, damit ein Aktionspotential ausgelöst wird. Wenn diese 25 EPSP´s über einen
längeren Zeitraum verteilt am Axonhügel ankommen, dann wird die Schwelle nicht erreicht
und es sinkt das unterschwellige Potential und nach einiger Zeit stellt sich wieder das
Ruhemembranpotential ein.
U [mV]
U [mV]
t
Aktionspotential
Schwellwertspannung
Ruhemembranpotential
t
Abbildung 8.5: Darstellung der EPSP´s (unten) und der daraus resultierenden Spannung am Axonhügel. In der
linken Abbildung treffen in sehr kurzer Zeit viele EPSP´s ein und es wird ein Aktionspotential ausgelöst. In der
rechten Abbildung erreichen zwar genauso viel EPSP´s den Axonhügel, aber dafür vergeht mehr Zeit und es kann
kein Aktionspotential ausgelöst werden.
Ursache für eine Synchronisation können also gemeinsame Stimuli sein, oder aber starke
synaptische Kopplungen, das heißt sehr starke EPSP´s. Zur Vermeidung des nutzlosen und
trivialen Zustandes totaler Synchronisation dienen inhibitorische Subsysteme. Da die
Neuronen miteinander verbunden sind, würden sie sich dauernd gegenseitig erregen und die
Synchronisation würde nicht abklingen.
Wenn dieser Zustand länger andauert, dann werden auch Neuronen die nur schwach mit dem
Assemble verknüpft sind, zur Synchronisation angeregt. Alle Neuronen würden gleichzeitig
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97
Informationsverarbeitung im Gehirn
feuern. Da keine geometrischen Muster auftreten können, wenn alle Neuronen eines
Assembles aktiv sind, wird auch keine Information übertragen oder vermittelt. Im Prinzip
entspricht dies der Erkrankung der Epilepsie.
Hemmung durch
Körnerzellen:
Hemmung durch
modulierende Neuronen:
Muster
erregbare
Neuronen
hemmende
Neuronen
Abbildung 8.6: Neurale Assembles, bei denen auf unterschiedliche Weise inhibitorische System wirken. In der
linken Abbildung wirken lokale Körnerzellen, während in der rechten Abbildung modulierende Neuronen aus
speziellen Kernen eine Synchronisation verhindern.
Damit dies nicht auftritt, gibt es Neuronen, die über einen inhibitorisch wirkenden
Neurotransmitter die Synchronisation lokal dämpfen (Abbildung 8.6, links). Diese Neuronen
sind die dornlosen Körnerzellen. Ihre Synapsen greifen in der Nähe des Axonhügels an und
wirken sehr effektiv. Sie sind zwar in einer geringeren Anzahl vorhanden, aber ihr
synaptischer Einfluss ist aufgrund der räumlichen Nähe zum Axonhügel bedeutend größer. Die
Hemmung einzelner Gebiete kann aber auch global durchgeführt werden. Verschiedene Kerne
im Hirnstamm entsenden ihre Axone in einzelne Regionen der Großhirnrinde. Meist wirkt ihr
Neurotransmitter hemmend. Wenn also diese Kerne aktiv sind, kann die Synchronisation in
großen Gebieten der Rinde gesteuert werden (Abbildung 8.6, rechts). Bei maximaler Aktivität
dieser Kerne können sogar die Aktionspotentiale verhindert werden. Das bedeutet, daß in den
jeweiligen Gebieten keine Information mehr verarbeitet werden kann.
Wiederholen sich die synchronen Zustände in regelmäßigen Abständen - mehrere Neuronen
feuern gleichzeitig über einen längeren Zeitraum, so spricht man von Oszillationen. Solch ein
rhythmisches Feuerverhalten kennt man auch schon von einzelnen Neuronen per se - die
sogenannten Pace-Maker- (Schrittmacher-) Zellen. Bei ihnen sind interne Ca2+-Oszillationen
für ein rhythmisches Feuern verantwortlich, ohne daß äußere Reize einen Einfluss auf das
Feuerverhalten der Pace-Maker-Neuronen haben.
Wenn zwei unterschiedliche Gebiete (A und B) aus der 1. Schicht ein Gebiet der 2. Schicht
innervieren wie in Abbildung 8.7 gezeigt, dann kann ein interessanter Effekt auftreten. Es
können 2 Muster A' und B' fast "gleichzeitig" in der zweiten Schicht entstehen. Das Muster A'
entsteht aufgrund des Gebietes A und das Muster B' entsteht durch das Gebiet B. In der
zweiten Schicht wechseln sich die beiden Muster in sehr kurzer Zeit ab. Das Muster springt
hin und her. Ein Muster kann zum Beispiel den Hintergrund und das andere Muster eine
gesehene Person repräsentieren. Die Aktionspotentiale der beiden Muster besitzen nur einen
kleinen Phasenunterschied zueinander. Die Neuronen, die das Muster A' in der 2. Schicht
erzeugen, beziehungsweise, die Neuronen, die das Muster B' erzeugen, feuern untereinander
gleichzeitig, aber zwischen dem Auftreten von Muster A' und dem Auftreten von Muster B'
gibt es einen kleinen Zeitunterschied. Die Muster treten dann periodisch auf: A' - B' - A' - B'
und so weiter.
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Brain Modelling
98
Schicht 1
⇒
Schicht 2
⇒
Schicht 3
Gebiet A
Gebiet B
Abbildung 8.7: Zwei Gebiete A und B innervieren ein Gebiet in der 2. Schicht. Die hemmenden Neuronen sind
nicht eingezeichnet. Natürlich sind alle Neuronen der beiden Gebiete mit allen Neuronen der 2. Schicht verbunden.
In Gebiet A sind 4 Neuronen aktiv (etwas dunkler gezeichnet) und in Gebiet B sind nur 3 Neuronen aktiv
(bedeutend dunkler gezeichnet). Wesentlich ist das geometrische Muster, das in den Gebieten eingezeichnet ist.
Gleichzeitig ist es möglich, in hierarchischer Art und Weise den strukturellen Aufbau eines
Objektes oder eines gesamten Bildes darzustellen, da Assembles nun auch in einem Hirnareal
koexistieren können.
Betrachten wir das Sehsystem: Die Information über das Bild wird in mehrere Bereiche
aufgespaltet. Da aber die unterschiedlichen Cortexareale untereinander in Verbindung stehen,
können auch noch über größere Entfernungen Synchronisationen entstehen beziehungsweise
erhalten bleiben.
In diesem Sinne kann man folgende Vorteile von Oszillationen vermuten:
1. Die Oszillationen bleiben auch dann erhalten, wenn die Projektionsfasern über einen langen
Verbindungsweg ein Assemble aktivieren. Laufzeitunterschiede sind bedeutungslos, da sie
verschwinden. Dies ist zum Beispiel wichtig bei der Kopplung von Rindenarealen zwischen
den Hemisphären.
2. Über intermediäre Assembles können auch nicht direkt gekoppelte Oszillatoren
synchronisieren. Dies ist wichtig beim Binden verschiedener, nicht a priori verschalteter,
sensorischer Modalitäten (Hören-Sehen).
3. Auch bei stark gestreuten Übertragungszeiten, hervorgerufen durch axonale und synaptische
Zeitverzögerungen, können Oszillatoren zuverlässig mit verschwindender Phasendifferenz
synchronisieren.
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99
Informationsverarbeitung im Gehirn
EXKURS:
Das Liebesleben der Glühwürmchen
Männliche Glühwürmchen blinken um Weibchen anzulocken - ein kurzer Lichtimpuls gefolgt
von ein paar Sekunden der Dunkelheit. In den Weiten des Amazonas hat es ein einziges
männliches Glühwürmchen schwer ein Weibchen anzulocken, zumal diese rund 50-100 Meter
über dem Boden fliegen. Also versammeln sich die Männchen auf einem Baum. Damit haben
es die Weibchen leichter das schwache Licht zu sehen. Wenn Männchen bei Anbruch der
Dämmerung eintreffen, ist ihr Aufleuchten noch
ziemlich unkoordiniert. Mit zunehmender Dunkelheit
bilden sich jedoch Inseln synchronen Blinkens heraus,
die solange wachsen, bis ganze Bäume in einem
faszinierenden
Lichtspiel
pulsieren.
Genauso
spektakulär soll das Verhalten der heimischen
Glühwürmchen im Helenental sein.
Die Glühwürmchen dürfen nicht durcheinander
blinken. Die Weibchen reagieren nur auf ein
regelmäßiges
artspezifisches
Blinken.
Ein
Glühwürmchen blinkt mit einer bestimmten
Eigenfrequenz. Die abgestrahlte Lichtleistung ist aber
äußerst gering. Ein Glühwürmchen allein in den Weiten
des Urwalds hätte wohl kaum eine realistische Chancen
sich fortzupflanzen. Aus diesen Gründen müssen die
Glühwürmchen, eigentlich Leuchtkäfer, versuchen, sich
zu vereinen und gemeinsam zu agieren. Es würde den
Männchen aber wenig nützen, wenn sie einträchtig auf
einem Baum sitzen, aber unabhängig Lichtblitze
abgeben. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein paar
Ex1.: Ein Baum voller Glühwürmchen.
Glühwürmchen gleichzeitig feuern und somit die
gemeinsam abgestrahlte Lichtleistung der Pulse etwas
höher ist, erscheint relativ gering. Der Baum würde in einem funkelnden Blitzlichtgewitter
erscheinen Die Weibchen könnten den Auslöser des Paarungsverhaltens, artspezifische
Lichtsignale mit einer speziellen Rhythmik, nicht wahrnehmen. Sie würden nur eine diffuse
Lichtquelle, bestehend aus vielen unabhängig blinkenden Glühwürmchen, bemerken.
Art
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11 12 [s]
Ph. frontalis
Ph. cinctipenis
Ph. potomaca
Ph. salinus
Ph. versicolor
Ph. lucicrescenes
Ph. pennsylvanica
Ph. aureolucens
Ph. caerulucens
Ph. tremulans
Die Darstellung von unterschiedlichen Leuchtsignale nordamerikanischer Leuchtkäfer
(Photuris).
Also müssen alle Glühwürmchen gleichmäßig blinken. Den ersten Berichten nach, die von
diesem Phänomen berichteten, glaubte man an eine optische Täuschung. Man konnte sich
nicht vorstellen, wie tausende und abertausende Glühwürmchen gleichzeitig blinkten. Zuerst
glaubte man, daß es ein sogenanntes Chef-Glühwürmchen gibt, daß den Rhythmus vorgibt.
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Brain Modelling
100
Diese Annahme stellte sich als falsch heraus. Im Prinzip lässt sich dieses Problem durch
Demokratie lösen. Zwei Würmchen entscheiden sich für eine Frequenz. Wenn ein neues
hinzukommt, dann passt sich das eine an den Rhythmus der anderen beiden an und umgekehrt
und so weiter.
Die männlichen Signale stellen aber nur eine Seite des artspezifischen Codes dar. Im Dialog
mit den werbenden Männchen müssen die Weibchen, um zur Paarung zu kommen, zum
richtigen Zeitpunkt die richtige Antwort geben. In der Regel erwidern die Weibchen die
Werbung mit kurzen unmodulierten Lichtblitzen.
Das Leuchten entsteht durch die chemische Reaktion zweier Substanzen in darauf
spezialisierten Zellen. Es ist plausibel anzunehmen, daß diese Reaktion genau dann einsetzt,
wenn die Konzentration eines dieser Stoffe eine gewisse Schwelle überschreitet, und so lange
abläuft, bis der Vorrat erschöpft ist. Es entspricht den Gegebenheiten biologischer Systeme,
daß die Substanz mit einer gleichen Rate produziert wird, gleichzeitig jedoch - durch Abbau
oder Diffusion - mit einer Rate verloren geht, die ihrer jeweiligen Konzentration proportional
ist. Wenn der Leuchtstoff nicht durch die Leuchtreaktion verbraucht wird, steigt seine
Konzentration von Null anfangend relativ rasch an. Mit zunehmender Konzentration spielen
die Verlusteffekte eine immer größer werdende Rolle. Dementsprechend nimmt die
Konzentration immer langsamer zu und nähert sich schließlich einem gewissen
Sättigungswert. Die Funktion
-γ t
x(t) = αSättigung (1-e )
8.1
beschreibt einen solchen Zusammenhang.
Das Problem und die Lösung der Glühwürmchen lässt sich auf die Neurophysik und die
Neurowissenschaften übertragen. Es zeigte sich, daß die Funktion, die die Reaktion des
Leuchtstoffes beschreibt, ident ist mit den elektrochemischen Reaktionen der Membran im
unterschwelligen Bereich (zwischen Ruhemembranpotential und Schwellwertspannung).
Damit wurde es möglich, wichtige Fragen aus der Gehirntheorie zu lösen - zum Beispiel wie
ein Gedanke entsteht, oder was Schizophrenie ist.
So schrieb Norbert Wiener (1894-1964, Begründer der Kybernetik) nieder: “Ein interessantes
Experiment, das auf die Gültigkeit meiner Hypothese bezüglich der Gehirnwellen Licht zu
werfen vermag, könnte durchaus bei der Untersuchung von Leuchtkäfern oder von anderen
Tieren wie zum Beispiel von Fröschen, die erfreulicherweise sichtbare oder hörbare Impulse
aussenden und ebenso diese Impulse empfangen können, durchgeführt werden. Es ist oft
vermutet worden, daß die Leuchtkäfer auf einem Baum im Takt miteinander aufleuchten, und
dieses augenscheinliche Phänomen wurde als eine menschliche optische Täuschung
dargestellt. Ich habe es bestätigt gehört, daß bei einigen Leuchtkäfern Südostasiens dieses
Phänomen so deutlich ist, daß es kaum als Täuschung bezeichnet werden kann.”
Es gibt noch viele unbeantwortete Fragen zur Synchronisation und Selbstorganisation von
Glühwürmchen. So muss noch das Antwortverhalten von den Weibchen, der allgemeine
Temperatureinfluss der Umwelt und vieles mehr berücksichtigt werden. Das Beeindruckende
aber ist, daß solch unterschiedliche Phänomene wie das gleichzeitige Blinken von
Glühwürmchen und das synchrone Feuern von Neuronen durch eine Formel beschrieben
werden können.
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101
Informationsverarbeitung im Gehirn
8.1 Synchronisation von biologischen Neuronen
Wie wir gesehen haben, ist die Synchronisation von biologischen Neuronen ein Grundprinzip
der neuralen Informationsverarbeitung. Bisher gibt es nur Versuche, die zeitliche Dynamik von
Modellen biologischer Neuronen zu analysieren. So wurde versucht, van der Pol- und andere
nichtlineare Oszillatoren miteinander zu koppeln. Aufgrund der beschränkten analytischen
mathematischen Fähigkeiten werden so starke Vereinfachungen vorgenommen, daß die
Aussagekraft im Bereich der Biophysik dieser Arbeiten zweifelhaft ist. Es wurde auch der
Versuch unternommen, sich dem Phänomen Synchronisation mit Hilfe von
Computerexperimenten zu nähern. Aber auch hier ist zu bemerken, daß die Experimente nicht
unmittelbar vergleichbar sind. Teilweise werden unterschiedliche biologische Parameter
verwendet, teilweise werden die numerischen Verfahren nicht näher erläutert.
Ein Modell, das relativ unbekannt ist, könnte hier vielleicht Abhilfe schaffen. Als erster
diskutierte Peskin das Problem von puls-gekoppelten "integrate-and-fire"-Oszillatoren. Er
untersuchte das Verhalten von zwei dieser Oszillatoren. Im Jahr 1990 stellten Mirollo und
Strogatz einen mathematischen Beweis vor, mit dessen Hilfe sie zeigen konnten, unter
welchen Bedingungen identische puls-gekoppelte Neuronen synchronisieren. Die beiden
arbeiteten wie viele andere Kollegen auch nur mit identischen Neuronen. Da die Neuronen
aber unterschiedlich gebaut sind, (unterschiedliche Größe, Variation der Ionenkanalanzahl
usw.) haben sie unterschiedliche Eigenfrequenzen. Es konnte gezeigt werden, daß auch
"integrate-and-fire"-Oszillatoren mit unterschiedlicher Frequenz unter bestimmten
Bedingungen synchronisieren.
Ein "integrate-and-fire"-Oszillators läßt sich folgendermaßen definieren: Der Hauptteil des
Modell-Neurons, der sogenannte "integrator", beschreibt im unterschwelligen Bereich, in dem
noch kein Impuls (Aktionspotential) ausgelöst wird, die Eigenschaften der Zellmembran eines
Neurons. Eine solche Membran, die ein nichtidealer Isolator zwischen zwei elektrisch
leitfähigen Flüssigkeiten ist, wird durch die Parallelschaltung eines Kondensators C
("integrator") und eines Widerstandes R repräsentiert. In dieser Anordnung stellen die beiden
Bauelemente einen Tiefpaß-Filter (RC-Glied) dar.
Eingang
(Synapsen)
U [mV]
Hauptteil
(Membran)
Ausgang
(Axonhügel)
τ
τAP
ε
[t]
e(t)
Σ
Schwelle
R
C
Abbildung 8.8: Ersatzschaltbild für ein Neuron, mit Widerständen als synaptische Eingänge, einem Widerstand R
und einem Kondensator C die die Membraneigenschaften im unterschwelligen Bereich beschreiben. Über die
Schwelle wird bestimmt, ob ein Aktionspotential ausgelöst wird.
Das Funktionsdiagramm des "integrate-and-fire"-Neurons ist in Abbildung 8.8 dargestellt.
Über den Eingang, den Synapsen, dargestellt durch Widerstände werden die EPSP's mit der
jeweiligen Höhe ε an der Zellmembran integriert. Wenn am RC-Glied eine ausreichende
Spannung anliegt, dann wird am Axonhügel eine Schwelle (darstellbar durch ein Monoflop)
überschritten und ein elektrischer Impuls ausgelöst. Dieser Impuls kann ein Dirac'schen δImpuls sein - dieser Impuls ist dem Aktionspotential sehr ähnlich. Mit einem zusätzlichen
RCAP-Glied ist es möglich, den δ-Impuls in ein realistischeres Aktionspotential umzuformen.
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Brain Modelling
102
Wenn die Aktivierungsvariable x - sie entspricht der Membranspannung (vor allem im
unterschwelligen Bereich) - eines puls-gekoppelter Oszillators den Schwellwert K erreicht,
dann wird ein Aktionspotential ausgelöst und die Variable x wird auf Null zurückgesetzt. Die
Zeit, welche die Aktivierung benötigt, um von Null zum Schwellwert zu kommen, ist die
Periode P. Die Frequenz des nichtlinearen Oszillators ist definiert durch P-1.
Aktionspotential ≙ Dirac'schen δ-Impuls
x(t)
K
Schwelle
0
t
T
Abbildung 8.9: Der Zeitverlauf eines "integrate-and-fire"-Oszillators mit konstanter externer Erregung.
Die externe Erregung e(t) stellt eine Stimulierung des Modell-Neurons durch Rezeptoren oder
Neuronenschichten anderer Areale dar. Für diese Arbeit wird eine konstante externe Erregung
e(t) ≡ E = const. angenommen, die eine große Anzahl inkohärenter Eingangssignale
repräsentiert, welche an schwachen, zum Beispiel dendritischen Synapsen ankommen. Ein
Neuron der Großhirnrinde feuert mit ungefähr 0.1 - 1 Herz, wenn es nicht durch einen direkten
oder indirekten sensorischen Input aktiviert wird. Trotzdem erhält ein Neuron immer noch so
viele Inputs, daß es hin und wieder feuern wird. Dieses Feuern ist relativ unkoordiniert. Aus
diesem Grund nimmt man für den Modelloszillator an, daß unendlich viele Neuronen mit sehr
kleinen EPSP´s das Neuon aktivieren. Dies entspricht einer konstanten externen Erregung. Als
Potentialverlauf x(t) des Modell-Neurons ergibt sich aufgrund des RC-Gliedes als Modell die
Sprungantwort eines Tiefpasses:
x(t) = E⋅(1-e-t/τ), 0 < t < T mit τ = RC
8.2
Die Oszillatoren interagieren nur durch eine einfache Form der Impulskopplung. Wenn der i-te
Oszillator zum Zeitpunkt ti feuert, dann werden die Aktivierungen der anderen Oszillatoren j
um einen Betrag ε angehoben. Die Kopplungskonstanten ε sind vergleichbar mit den EPSP's,
ε>0, beziehungsweise den IPSP's, ε<0. Das heißt:
x (t + ) = 0
x i ( t i ) = K i ⇒  i i+
+
 x j ( t i ) = min(K j , x j ( t i ) + ε)
∀j ≠ i
8.3
Die Oszillatoren haben individuelle Schwellwerte Ki beziehungsweise Ti. Erreicht oder
überschreitet eine Aktivierung xi den Schwellwert, dann wird seine Aktivierung infinitesimal
später auf Null gesetzt und alle anderen Aktivierungen werden um ein ε angehoben. Alle
Kopplungsstärken ε werden als ident angenommen. Das gilt ebenso für den Zusammenhang
unterhalb der Schwelle: Die Aktivierungsfunktion und alle damit verbundenen Parameter sind
ident für alle Oszillatoren. Die Aktivierungen xi(t) des i-ten Oszillators während des
Anfangszustandes können aber unterschiedlich sein, das heißt die Anfangsbedingungen sind
nicht ident. Wenn alle Schwellwerte - wie bei Mirollo und Strogatz - ident wären, dann hätten
die Oszillatoren dieselbe Frequenz. Wir interessieren uns aber für unterschiedliche
Frequenzen. Aus praktischen Gründen werden alle Schwellwerte durch den größten
Schwellwert dividiert. Durch diese Normierung ergibt sich der größte Schwellwert zu 1.0 und
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103
Informationsverarbeitung im Gehirn
alle anderen Oszillatoren haben einen Wert zwischen 0 und 1. Da die Neuronen in der
Großhirnrinde alle miteinander verbunden sind (ein Neuron ist mit ungefähr 10 000 anderen
verbunden), gehen wir von einer all-to-all Kopplung für alle Oszillatoren aus.
x
KB
KA
xB=f(φB(t))
xA=f(φA(t))
φ
TB
TA
Abbildung 8.10: Zwei Oszillatoren (schwarzer und weißer Kreis) auf der Aktivierungsfunktion.
In der Graphik sind 2 Oszillatoren - A und B - mit den jeweiligen Schwellwerten dargestellt.
Beide Oszillatoren bewegen sich auf die Schwelle zu. Wenn Oszillator B die Schwelle TB
erreicht, dann wird ein Aktionspotential ausgelöst. Die Aktivität des Oszillators B wird auf
Null gesetzt (dünner Pfeil).
x
KB
KA
xA=f(φA(t))
xB=f(φB(t))
φ
TB
TA
Abbildung 8.11: Der Oszillator B feuert gerade, denn er hat die Schwelle TB erreicht.
Gleichzeitig, wenn die Aktivität des Oszillators B auf Null gesetzt wird, entsteht ein
Aktionspotential. Das heißt, die Aktivität des Oszillators A wird um ein ε angehoben. Das
entspricht dem EPSP.
xA=g(ε+f(φA(t)))
x
KB
KA
ε
xA=f(φA(t))
φ
TB
TA
Abbildung 8.12: Der Oszillator A wird um ein ε angehoben, da der Oszillator B gerade gefeuert hat.
Als nächstes wird Oszillator A den Schwellwert erreichen. Die Aktivität von Oszillator A wird
Null gesetzt und die Aktivität des Oszillators B wird durch das entstehende Aktionspotential
um ein ε angehoben. Und so weiter. Durch die Anwendung einer Poincaré-Abbildung kann
man zeigen, unter welchen Bedingungen diese beiden Oszillatoren beziehungsweise unter
welchen Bedingungen viele Oszillatoren mit unterschiedlichen Frequenzen synchronisieren
(Siehe dazu Anhang B)
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
104
Sehr oft in der Literatur wird der Begriff der Synchronisation verwendet. Aber es gibt noch
einige Begriffe die als Synonym verwendet werden, beziehungsweise die mit dem Begriff der
Synchronisation gleichgesetzt werden.
Phase-locking:
Die Oszillatoren feuern zu unterschiedlichen Zeiten, aber die
Phasendifferenz bleibt konstant, ist in der Regel aber nicht Null.
Im nicht synchronen Zustand ändert sich dauernd die Phase der
Oszillatoren, das heißt der zeitliche Abstand zwischen den
Aktivitäten der Oszillatoren ist nicht konstant. Durch das phaselocking wird der zeitliche Abstand konstant gehalten. Dieser Zustand
scheint für das Gehirn nicht relevant zu sein.
Synchronisation:
Die Oszillatoren feuern gleichzeitig, der Phasenunterschied ist nur
beim Feuern Null. Im Modell der "integrate-and-fire"-Oszillatoren
kann es passieren, daß die Neuronen - nachdem sie gefeuert haben eine unterschiedliche Phase besitzen. Dies hängt damit zusammen,
daß wenn ein Neuron gerade gefeuert hat durchaus von einem
anderen Neuron das gerade feuert ein EPSP ≙ ε bekommt. Durch
dieses EPSP entsteht ein Phasenunterschied ( =g(ε) ) zwischen
dem Oszillator der gerade gefeuert hat und dem der gerade feuert.
Supersynchronisation: Die Oszillatoren feuern gleichzeitig, der Phasenunterschied ist
immer Null. Durch die Refraktärzeit - die dem einfachen Modell
fehlt - ist es nicht möglich, daß ein EPSP einen Einfluss auf ein
gerade feuerndes Neuron hat. So entsteht kein Phasenunterschied,
wenn mehrere Neuronen "fast" gleichzeitig feuern
Wenn man sich den mathematischen Beweis in Anhang B näher betrachtet, dann kann man
erkennen, daß es Bedingungen für die Synchronisation von Neuronen gibt. Betrachten wir
die Bedingungen im einzelnen:
a) Die Aktivierungsfunktion muss nichtlinear sein. Da die Membran bezüglich der
elektrischen Eigenschaften im unterschwelligen Bereich durch ein RC-Glied beschrieben
werden kann, ist diese Bedingung erfüllt. Es zeigte sich, daß je nichtlinearer die
Aktivierungsfunktion ist, umso mehr wird die Synchronisation erleichtert.
b) Die Frequenzen sollten in der selben Größenordnung sein. Das heißt die Schwellwerte
sollten ungefähr gleich groß sein.
c) Die PSP´s müssen positiv sein. Das heißt, die postsynaptischen Potentiale müssen größer
als Null sein, sie entsprechen den EPSP´s. Umgekehrt wirken IPSP´s desynchronisierend
und der stabile Zustand hört auf zu existieren. Je größer die EPSP´s sind, umso leichter
kann Synchronisation auftreten.
Damit stellt sich die Frage, wie man das Phänomen der Synchronisation von Neuronen in
biologisch relevanter Sicht beeinflussen kann. Durch die Anhebung des Ruhemembranpotentials wird der Abstand zur Schwellwertspannung reduziert. Das führt zu einer höheren
Frequenz und es kommt leichter zur Synchronisation. Umgekehrt kann aber auch der Abstand
erhöht werden und die Synchronisation wird erschwert. Dies wird über die modulierenden
Neurotransmitter gesteuert. Meist besitzen sie einen hemmenden Einfluss auf die
Synchronisation, da die meisten (mit Ausnahme des Acetylcholin) inhibitorisch wirken. Die
Wirkung dieser Neurotransmitter hält meist einige Minuten an. Störungen, die aufgrund eines
zu starken oder zu geringen Auftreten von Synchronisation zurückzuführen sind, werden im 2.
Teil dieses Skriptums behandelt.
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105
Informationsverarbeitung im Gehirn
Eine andere Möglichkeit die Synchronisation zu beeinflussen, besteht in der Veränderung der
EPSP´s. Wie wir im Kapitel "Synaptische Plastizität - zelluläres Lernen" gesehen haben,
werden durch Lernvorgänge die EPSP´s verändert. Es sind zwar alle Neuronen untereinander
verbunden, aber manche Neuronen sind etwas stärker verknüpft, das heißt, die EPSP´s sind
stärker. Die Neuronen, die stärker verknüpft sind, werden zuerst synchronisieren. Wenn
ausreichend Zeit bleibt, würden aber auch die anderen Neuronen mitsynchronisieren. Die
ganze Gruppe wurde sich synchronisieren. Das ist aber nicht erwünscht. Es müssen also
inhibitorische Systeme diesen Zustand verhindern. Wenn also ein Assemble synchron tätig ist,
müssen die inhibitorischen Interneuronen den Prozess nach einiger Zeit stoppen. Zum Glück
führen IPSP´s zu einer Destabilisierung. Zusammengefasst kann man sagen, daß durch
Lernvorgänge die EPSP´s zwischen speziellen Neuronen erhöht werden und diese Gruppe von
Neuronen kann sich bei geeignetem Input leichter synchronisieren.
a)
1
2
b)
U
t
c)
Ein typisches Experiment, in dem zwei
Mikroelektroden aus dem visuellen Kortex
eines Versuchstieres elektrische Signale
ableiten (Abb.. 8.13a). Die Neuronen
können
nun
mit
verschiedenen
Reizkonfigurationen - Lichtbalken in der
Retina - aktiviert werden. Bietet man ein
einziges kohärentes Objekt an, in diesem
Fall
ein
durchgehender
vertikaler
Lichtbalken, der über die rezeptiven
Felder bewegt wird (Abb.. 8.13b), so sind
die Zellen an den beiden Ableiteorten
synchron aktiv. Stimuliert man die
gleichen
Neuronen
hingegen
mit
verschiedenen Objekten, etwa zwei
kleineren balkenförmigen Lichtreizen, die
sich in verschiedene Richtungen bewegen
(Abb.. 8.13c), so sind die neuralen
Impulse nicht mehr synchronisiert.
U
t
Abbildung 8.13: Ein Experiment zur Synchronisation.
An einem vereinfachten Beispiel kann man die Synchronisation schön erkennen. Wenn eine
visuellen Szene (a) erkannt wird, dann synchronisieren die Neuronen in der Retina.
Assemble 1
U
Assemble 2
t
a)
b)
Abbildung 8.14: Ein modellhaftes Experiment zur Synchronisation.
Die Bindung von Objektmerkmalen erfolgt durch zeitliche Korrelationen zwischen den
neuronalen Antworten (Abb.: 8.14b). Im hier gezeigten Fall - durch schwarze und graue Kreise
angedeutet - würden die beiden Personen durch jeweils ein unterschiedliches neuronales
Assemble dargestellt. Die weißen Kreise stellen unkorrelierte Neuronen dar. Natürlich ist dies
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
106
ein theoretisches Beispiel, da die Retina über komplexere Zellen (Ganglienzellen mit
ON/OFF-Zentren, Farbbereiche usw.) verfügt.
8.2 Gestaltpsychologie
"Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile, auf gut Deutsch: das System ist nichtlinear."
In jedem Augenblick analysiert das visuelle System eine Vielzahl von Merkmalen, die für die
Wahrnehmung der Umwelt von Bedeutung sind, wie etwa die Form, Farbe oder auch die
Oberflächenstruktur. Ein wesentlicher Schritt in der visuellen Informationsverarbeitung besteht
nun darin festzulegen, welche Merkmale und welche möglichen Objekt zusammengehören. Da
sich meist mehrere Objekte im Wahrnehmungsbereich befinden, reicht es nicht aus, die an
verschiedenen Stellen im Sehraum auftretende Merkmale zu erfassen. Um Objekte als
Einheiten identifizieren und gegen andere Objekte abzugrenzen zu können, ist es vielmehr von
entscheidender Bedeutung, daß zusätzlich die Relation zwischen den analysierten Merkmalen
bestimmt werden. Aufgrund einer solchen Merkmalsbindung kann dann die Abgrenzung
zusammengehörender Bildbereiche vorgenommen werden - das Bild wird segmentiert. Auf der
psychologischen Ebene sind die integrierenden Verarbeitungsschritte, die zu
Merkmalsbindung und Segmentierung führen, inzwischen gut untersucht. Die
Gestaltpsychologen erkannten, daß die Gruppierung oder Bindung von Merkmalen notwendig
ist, um Figuren vom Hintergrund zu trennen und so zu einer Objekterkennung zu kommen. Die
frühen Arbeiten der Gestaltpsychologen haben zusammen mit vielen Untersuchungen jüngeren
Datums dazu beigetragen, daß die Gesetzmäßigkeiten der perzeptiven Integration auf der
psychologischen Ebene plausibel beschrieben werden können. Auf der physiologischen Ebene
ist die Integration im Wahrnehmungsprozess aus mehreren Gründen schwer zu verstehen. Zum
einen gibt es keine Nervenzellen, die in der Lage wären, durch ihre Aktivität komplexe
Objekte als Ganzheit zu repräsentieren. Vielmehr ist es so, daß Neuronen etwa im Sehsystem
in den allermeisten Fällen nur auf einfache Merkmale und auf Teilaspekte von Objekten
reagieren. So antworten viele Nervenzellen beispielsweise dann besonders gut, wenn sie mit
Hell-Dunkel-Konturen einer bestimmten Orientierung stimuliert werden. Einzelne Neuronen
repräsentieren durch den Grad ihrer Aktivierung also lediglich elementare Objektmerkmale,
keine komplexen Merkmalskonstellationen.
Abbildung 8.15: Ein schönes Beispiel für die Trennung von Figur und Hintergrund. Man erkennt den Hund aber
nur dann, wenn man Hunde kennt - es muss die Figur irgendwann schon einmal gesehen worden sein.
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107
Informationsverarbeitung im Gehirn
Eine Anwendung der Synchronisation (Figur-Hintergrund Trennung) kann man gut in
Abbildung 8.15 erkennen. Aus einem schlechten Bild wird das Muster vervollständigt. Es
werden nur wenige Neuronen angeregt (die den Hund darstellen). Durch Synchronisation
werden zusätzliche Neuronen angeregt, bis das Bild eines Hundes entsteht.
Abbildung 8.16: Links ist das Kaniza-Dreieck gezeichnet. Am Beispiel des Rubin-Pokals (rechts) läßt sich das
Umkippen aus einem Bild (Darstellung eines Pokals) in ein anderes (2 Gesichter sehen sich an) wiedergeben. Wenn
man nur oberflächlich das mittlere Bild betrachtet, dann erkennt man den Schriftzug "das Haus".
Die Gestaltpsychologen beschäftigen sich mit der Gestalt von Mustern beziehungsweise mit
dem Erkennen von Mustern. Der Begriff der Synchronisation war damals noch nicht geboren,
trotzdem ist es ihnen damals schon gelungen einige interessante Erkenntnisse zu gewinnen, die
sich mit der Synchronisation relativ leicht erklären lassen. Man muss aber nicht unbedingt an
einzelne Bilder denken. Auch das Phänomen Film gehört zur Gestaltpsychologie. Die
einzelnen Bilder zu betrachten ist eigentlich fad. Wenn die Bilder aber in der richtigen
Geschwindigkeit vorgeführt werden, dann entsteht eine Scheinbewegung. Dies ist vergleichbar
mit dem wandernden Lichtpunkt. Wenn zwei Lampen nahe beieinander stehen, und
abwechselnd leuchten, dann erscheint es, daß - bei einer bestimmten Geschwindigkeit - ein
Lichtpunkt hin-und-her wandert. Unsere sensorischen Systeme sind nicht mehr in der Lage,
die Reize einzeln aufzulösen und es entsteht ein scheinbarer neuer Reiz.
Wenn man im Zug sitzt, der gerade in einem Bahnhof steht, und auf dem Nachbargleis fährt
ein Zug ein oder ab, dann hat man kurzfristig das Gefühl, daß man selber fährt. Aus den
Reizen konstruiert unser Gehirn eine konsistente
Wahrnehmung. Vereinfacht kann man sagen, daß
aus dem Vorurteil, daß sich die Landschaft
bewegt, darauf rückgeschlossen wird, daß wir uns
in dieser Landschaft bewegen. Dies funktioniert
aber nur deshalb, weil sich die Landschaft
eigentlich nie bewegt, sondern nur wir uns in der
Gegend. Mit dem Wissen, daß sich die Landschaft
nicht bewegen kann, konstruiert unser Gehirn eine
Wahrnehmung. So können wir in den Bildern
immer nur Objekte erkennen, die uns bekannt
sind. Nur wenn ein Zebra oder Pferd schon
Abbildung 8.17: Eine Anordnung von
bekannt ist, dann erst wird das seitliche Bild schwarzen Streifen - ein Zebra.
erkannt.
Dies hat sehr viel mit Vorurteilen zu tun. Normalerweise würde man sagen, daß Vorurteile
eher schlecht sind, für die Wissenschaft als auch für das soziale Zusammenleben. Aber es ist
auch wichtig Vorurteile zu haben. Stellen sie sich vor sie sprechen mit irgend jemand über
irgend eine Straße. Können wir sicher sein, daß jeder die selbe Straße meint: eine
Bundesstraße, eine Autobahn, ein kleiner Feldweg, eine geschwungene Bergstraße. Jeder von
uns assoziiert mit dem Begriff der Strasse verschiedene Reize. Erst wenn ein Großteil der
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
108
Reize, die eine Person mit einem Wort assoziiert, auch ident ist mit den Reizen die eine andere
Person assoziiert, dann sprechen die beiden ungefäühr von dem selben. Aber auch nur
ungefähr, da ja nur ein Großteil der assoziierten Reize ident ist. Leider ist es im normalen
Alltagsleben sehr schwierig alle Worte zu definieren. Zum Beispiel kennen die Eskimos
ungefähr 30 Wörter für Eis, während wir in Mitteleuropa nur 5-8 Worte für Eis kennen.
Diskutieren sie einmal mit einem Eskimo über Eis und sie werden feststellen, daß sie
aneinander vorbeireden.
So wurden für die visuelle Wahrnehmung folgende einfachen Gruppierungsgesetze gefunden:
räumliche Nähe
Ähnlichkeit
abgeschlossener Umriß
gute Fortsetzung
gemeinsamer Bereich
Zusammenhang
Abbildung 8.18: Einige Gruppierungsgesetze der Gestaltpsychologie des Sehens.
Menschen neigen dazu, Muster auf die einfachste Weise zu vervollständigen. Betrachten wir
einen Kreis bei dem ein kleiner Bereich verdeckt ist (Abbildung 8.19). Man könnte vermuten,
daß unter dem verdecktem Bereich der Kreis wie ursprünglich angenommen weiterläuft - also
daß ein Kreis dargestellt ist. Aber die Realität kann anders aussehen.
Abbildung 8.19: Was verbirgt sich wohl unter dem grauen Rechteck.
Ein schönes Beispiel sind Intelligenztests. So gibt es die Aufgabe der Vervollständigung von
Zahlenreihen. Vervollständigen sie bitte die folgende Zahlenreihe: Eins, Zwei, Drei, Vier. Die
meisten Mensche würden nun sagen, daß die nächste Zahl Fünf sein müsse. Aber es ist falsch,
denn die nächste Zahl wäre Sieben, denn es gelten nur Zahlen, in denen ein i vorkommt.
Natürlich könnte es auch die Sechs sein, wenn das e wesentlich ist. Nach einem
mathematischen Theorem, kann man jede beliebige Zahlenreihe mit jeder beliebigen Zahl
vervollständigen. Also könnte auch die Zahl 127 die nächste Zahl sein - man muss nur das
richtige Bindungsgesetz finden. Also kann man mit dieser Testaufgabe viel messen - aber
wahrscheinlich keine Intelligenz. Dieses Beispiel verdeutlicht aber wieder die Prinzipien der
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109
Informationsverarbeitung im Gehirn
Gestaltpsychologie. Der Mensch bettet sein Wissen - beziehungsweise auch sein Nichtwissen in der einfachsten Weise ein.
Ein schönes Experiment verdeutlicht dies sehr schön. Die Gestaltpsychologie beschäftigt sich
mit Mustern, diese Muster müssen aber nicht unbedingt visuell repräsentiert werden. Es
können auch Handlungsmuster sein. So wurden Studenten an einer amerikanischen Universität
ein Zitat vorgelegt:
"Ein kleiner Aufstand dann und wann ist etwas Gutes und in der politischen Welt ebenso
notwendig wie in der Physischen."
Die Studenten sollten dieses Zitat beurteilen. Der einen Gruppe erzählte man, daß es von
Thomas Jefferson (1743-1826, Verfasser der Unabhängigkeitserklärung) stammt, während
man der anderen Gruppe erzählte, daß Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924, Schriftsteller und
Anführer der Oktoberrevolution) der Urheber sei. Thomas Jefferson genießt in Amerika große
Verehrung und er wird als einer der größten Kämpfer für die Freiheit Amerikas betrachtet,
während Wladimir Iljitsch Lenin als Begründer der Sowjetunion für Diktatur und
Kommunismus steht. Die Studenten, die meinten, daß das Zitat von Jefferson stammt, hielten
es für gut und stimmten ihm zu, während die Studenten, die meinten es sein von Lenin hielten
es für gefährlich und lehnten es ab, denn Lenin könne mit dem Aufstand nur die Revolution
meinen - die kommunistische Weltrevolution - und dies sei mit Diktatur und
Menschenrechtsverletzung verbunden. Dieses Beispiel verdeutlicht auf eine schöne Weise, wie
wir unsere Wahrnehmung konstruieren.
Abbildung 8.20: Affen beim Versuch eine
Banane von der Decke zu holen.
Die Gestaltpsychologie versuchte aber auch in
anderen Gebieten der Psychologie einiges zu
erklären. So entwickelte Wolfgang Köhler (18871967, Begründer der Gestaltpsychologie) ein
interessantes Experiment zu den Lerntheorien. Die
damaligen Lerntheorien von Pawlow und Skinner
gingen von einem reinen Aktions-Reaktionsmodell
aus, bei dem kein aktiver Denkprozess stattfindet. Es
wird die Verknüpfung Aktion-Reaktion gelernt, aber
ohne nachzudenken. Köhler gelang es sehr
erfolgreich zu zeigen, daß es auch Lernprozesse mit
einer plötzlichen Einsicht gibt. Er sperrte
Schimpansen mit ein paar Holzkisten, einen Stock
und einer auf der Decke hängenden Banane in einen
Käfig ein. Der jeweilige Schimpanse wollte natürlich
die Banane, aber er konnte sie nicht erreichen, da sie
auf der Decke befestigt war. So saß er in der Ecke.
Nach einiger Zeit begann er die Kisten zu stapeln
und kletterte auf den Turm und versuchte die Banane
zu ergreifen. Dies gelang ihm gerade nicht. Also
kletterte er wieder herunter und schaute sich um. Er
entdeckte den Stock, ergriff ihn, kletterte erneut
wieder auf den Kistenstapel und schlug mit dem
Stock die Banane herunter. Der Schimpanse hatte
dieses Problem erfolgreich gelöst, die Einsicht kam
scheinbar plötzlich, und die Fehler wurden in einer
sinnvollen Weise korrigiert. Dieses Experiment ist
mit einfachen Reiz-Reaktionsmodellen praktisch
nicht zu erklären.
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Brain Modelling
110
Es gibt ganz interessante Rätsel aus der Gestaltspsychologie die
uns zeigen, wie schwierig es ist, über den Tellerrand
hinauszublicken. Diese Aufgabe wurde bei der Einstufung
zukünftiger Studenten des MIT gestellt. Man möge die 9 Punkte
durch 4 Linien - ohne abzusetzen - verbinden. Ein Student
fragte, ob er es auch mit 3 Linien dürfe. Seitdem hat diese
Aufgabe zwei Lösungen. Die Lösung finden sie im Anhang D.
Abbildung 8.21: ein Rätsel
aus der Gestaltpsychologie.
Aber es geht ja nicht nur um geometrische Muster, auch bei Handlungen macht man gerne
Fehler und es wird nicht die vollständige Information verwendet.
Also: Angenommen, Sie sind ein Busfahrer und der Bus ist am Anfang leer. Der Busfahrer
kommt zur ersten Station und es steigen 2 Personen ein. Eine Person hat eine Wochenkarte, die
zweite zahlt den Fahrschein in bar. Der Busfahrer gelangt zur nächsten Station, eine Person
steigt aus, und 4 Personen steigen ein. Von den 4 Personen hat eine Fahrgast das
Pensionistenalter erreicht, und ein Fahrgast ist Mutter mit den beiden Kindern, die zum
ermäßigten Tarif fahren. Bis zur nächsten Station quengeln die Kinder die Mutter. Bei der
nächsten Station steigen 2 Personen aus, und es steigt keine Person ein. Am Ende der Fahrt
sind alle Personen ausgestiegen. Wie lautet nun die Augenfarbe des Busfahrers.
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Was versteht man unter einer lokalen beziehungsweise unter einer verteilten Repräsentation ?
Was ist das Großmutterneuron ?
Welche Fehler hat Barlows Theorie ?
Welche Erkenntnis kann man aus der Rosenblattschen Bindungsmaschine gewinnen ?
Wodurch ist die Zusammengehörigkeit definiert ?
Warum muss ein Assemble gehemmt werden ?
Mit welcher Begründung können Glühwürmchen als Modell für Neuronen dienen ?
Wie ist ein "integrate and fire"-Oszillator definiert ?
Welche Arten von Synchronisationen gibt es und wie unterschieden sie sich ?
Welche Experimente zur Synchronisation kennen sie ?
Womit beschäftigt sich die Gestaltpsychologie ?
Welche Gruppierungsgesetze kennen sie ?
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111
Informationsverarbeitung im Gehirn
Geräuschlokalisation
bei der Schleiereule
Die Schleiereule ist in der Lage im Dunkeln sehr genau die Position von Geräuschen
wahrzunehmen. Lange Zeit war nicht genau geklärt, wie sie die Position von Beutetieren auf
1-2° genau detektieren konnten.
Ein Geräusch gelangt zu beiden Ohren zu unterschiedlichen Zeiten. Das Gehirn der
Schleiereule vergleicht die Zeiten und setzt die ermittelten Unterschiede zu einem
einheitlichen räumlichen Höreindruck um. Mit dem Laufzeitunterschied kann die Schleiereule
in der x-y-Ebene bestimmen, wie weit das Geräusch von rechts (beziehungsweise von links)
kommt. Da die beiden Ohrmuscheln unterschiedlich orientiert sind, können auch Geräusche
von oben beziehungsweise von unten erkannt werden. So ist das linke Ohr empfindlicher für
Geräusche von unten bzw. das recht Ohr von oben. Es werden die unterschiedlichen
Laufzeiten und Intensitäten gemessen (siehe Abb.1.1). Die Laufzeiten sind für die
Orientierung in der x-y Ebene und die Intensitäten für
die Orientierung in der x-z Ebene verantwortlich. Man
konnte dies sehr genau zeigen. Man setzte die
Schleiereule in einen schalltoten Raum, verband ihr
die Augen und über zwei Ohrenstöpseln wurden den
Ohren Geräusche zugespielt. Man konnte die beiden
Laufzeiten variieren und die Intensität. Bei geeigneter
Wahl der Parameter bewegte die Schleiereule den
Kopf in die Richtung des vermuteten Geräusches. Dies
wurde ebenso vermessen. Mit diesem Aufbau war es
z
möglich, sehr exakt zu bestimmen, welche
Gehirnareale
für
die
Geräuschlokalisation
y
verantwortlich sind. So konnte man in der Hörregion
im Mittelhirn das wesentliche Areal identifizieren.
x
Dieses Areal hat unterschiedliche Bereiche, wobei
rechts 40°
jedes
für
einen
bestimmten
Winkelbereich
20°
10°
verantwortlich
ist.
Wenn
ein
Geräusch
von
20° rechts
0°
10°
kommt,
dann
werden
die
Neuronen
in
diesem
Areal
links
sehr stark feuern, während es in den übrigen Bereichen
Hörregion im linken Mittelhirn
nur zu spontanen Entladungen kommt. Ostsspezifische
Abbildung 9.1: Der Hör-Raum und die
Neuronen der Hörregion des Mittelhirns decken
dazugehörigen Rindenareale
jeweils einen bestimmten Bereich des Hörraums ab.
Die Entfernungsbestimmung von Geräuschen ist weiterhin nicht geklärt!
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Brain Modelling
112
Die Neuronen auf der Hörrinde erhalten ihren Input über je einen Relaiskern von den beiden
Ohren. Im Gehirn werden die unterschiedlichen Laufzeiten durch Verzögerungsstrecken
kompensiert. Alle Signale vom Ohr gelangen über diese Verzögerungsstrecken zu den
"ortsabhängigen" Rindenarealen. Wenn nun die beiden Signale (vom rechten und vom linken
Ohr) über die Verzögerungsstrecken in das Rindenareal gelangt, dann gibt es genau zwei
Strecken, welche die unterschiedlichen Zeiten kompensiert, das heißt in einer Neuronengruppe
kommen die Signale zeitgleich an, während die Signale die über andere Verzögerungsstrecken
in die anderen Areale gelangen zu unterschiedlichen Zeiten (vom rechten und vom linken Ohr)
eintreffen (siehe Abbildung 1.2). Die Gruppen von Nervenzellen feuern nur dann, wenn die
von beiden Seiten stammenden Signale gleichzeitig bei ihr über verschiedene
Verzögerungsstrecken eintreffen. Die Neuronen arbeiten als Koinzidenzdetektor (Vergleiche
Synchronisation). Verlagert sich die Schallquelle von der Mitte zur Seite, wird jene Gruppe
aktiv, dessen Verzögerungsstrecken die unterschiedlichen Laufzeiten gerade kompensieren.
Die Verzögerungsstrecken sind durch unterschiedlich lange Axone zwischen dem jeweiligen
Relaiskern und der Hörrinde realisiert.
Geräusch
a
b
a
b
rechtes
Ohr
linkes
Ohr
d
d
Relaisstation
c
c
Gruppe von Neuronen, die als
Koinzidenzdetektoren arbeiten
Abbildung 9.2: Ein Geräusch wird von den beiden Ohren detektiert. Wenn sich das Geräusch rechts befindet, dann
ist der Weg zum rechten Ohr kürzer, als zum Linken. Durch die Verzögerungsstrecken wird dieser
Weglängenunterschied ausgeglichen. Für die Laufzeiten in der Luft a und b und für die Laufzeiten in den Neuronen
(über die Axone) c und d gilt: a + c = b + d. Nur die Gruppe, für die diese Bedingung gilt, wird aktiviert.
Verzögerungsstrecke (Axone)
Eine Schallwelle einer einzigen Frequenz veranlasst bestimmte dafür empfindliche Neuronen
zu feuern. Dabei werden Impulse mit einem bestimmten Phasenwinkel erzeugt. Die Neuronen
in der Hörrinde des Eulengehirns reagieren am stärksten, wenn Impulse mit demselben
Phasenwinkel, also gleichzeitig bei ihnen eintreffen. Auf leicht asynchron eintreffende Impulse
können Sie ebenfalls, wenn auch schwächer reagieren.
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113
Geräuschlokalisation bei der Schleiereule
Verzögerungsstrecke
Neuron des
rechten Ohrs
t
Neuron des
linken Ohrs
Maximale Koinzidenz: Die Neuronen
von beiden Ohren feuern gleichzeitig.
Ortsspezifische Gruppe
feuert stark
Neuron des
rechten Ohrs
t
Neuron des
linken Ohrs
Keine Koinzidenz: Die Neuronen von
beiden Ohren feuern NICHT gleichzeitig.
Ortsspezifische Gruppe
feuert schwach
Verzögerungsstrecke
Abbildung 9.3: Nur wenn die Verzögerungsstrecken richtig gewählt wurden, dann erst kann es zu einer Koinzidenz
kommen. Ein Neuron feuert dann, wenn gleichzeitig ausreichend Signale (EPSP´s) zum Axonhügel gelangen (siehe
Bedingung für Synchronisation).
Mit diesen Fakten kann man nun sehr genau ausrechnen, wie genau Schleiereulen den
Entstehungsort von Geräuschen bestimmen können. Bei näherem Hinsehen ergibt sich dabei
ein Problem. Die Geschwindigkeit der Reizweiterleitung entlang eines Neurons kann als
konstant angesehen werden. Wesentlich ist auch die Größe und Länge der jeweiligen EPSP´s
die durchschnittlich 200 ± 20 µs lang sind. Die aktiven Neuronen in den Ohren feuern rund
alle 200 ± 40 µs. Das bedeutet, dass ein relativ großer Fehler entsteht.
Trotzdem können Schleiereulen den Entstehungsort von Geräuschen auf 1-2° genau
bestimmen. Das bedeutet, es müssen unterschiedliche Laufzeiten (zwischen dem rechten und
dem linken Ohr) von rund 5 µs erkannt werden. Mit dem Wissen über den neuralen Aufbau
lässt sich dies nur schwer klären.
Man fand 3 wesentliche Schlüsselprozesse die dieses Paradoxon klären können. Diese
Prozesse wurden am Computer modelliert und später mit den tatsächlichen Gegebenheiten
verglichen.
[1] Herstellung der Genauigkeit durch Auswahl der Synapsen während der Entwicklung.
Die Computersimulation zeigte, dass von 600 Synapsen rund 100 überlebten. Nur die
Synapsen, die die Information exakt weitergegeben haben, überlebten. Die Genauigkeit der
Laufzeitmessung stieg dabei stark an. (Vergleiche Entwicklung des Nervensystems)
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Brain Modelling
114
[2] "Subthreshold Oscillations": Hemmenden Neuronen verursachen eine Art
Trägerwelle, die eine wesentlich höhere Frequenz besitzt. Die inhibitorischen Neuronen
feuern rund ein Drittel öfters, als die exzitatorischen. Das Hintergrundrauschen kann nicht
einfach ein Aktionspotential auslösen
Aktivierung eines exzitatorischen Neurons
- erst nachdem sich die Aktivierung
öfters der Schwelle angenähert hat.
Schwelle
Wenn nun die Aktivierung im
Ruhezustand
(aufgrund
des
Hintergrundrauschens)
nahe
der
Schwelle ist, dann reichen sehr
wenige EPSP´s aus, um das Neuron
zum Feuern zu bringen. Aufgrund -75
t
dieser Trägerwelle können die [mV]
Die hemmenden Neuronen
exzitatorischen Neuronen besser
feuern gleichzeitig.
aufeinander abgestimmt werden.
Abbildung 9.4: Die Oszillationen unterhalb der
Dieser Prozess unterstützt das phaseSchwelle, erzeugt durch inhibitorische Neuronen
locking,
beziehungsweise
die
Synchronisation von Neuronen im
Gehirn.
[3] Die Genauigkeit der Laufzeitmessung ist auch von der Zahl
der aktiv beteiligten Neuronen
abhängig. Je mehr Neuronen
beteiligt sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass ein paar
aufgrund des Hintergrundrauschens leichter aktivierbar
sind. Das Argument der
"subthreshold-oscillations" ist
von der Neuronenzahl abhängig.
Genauigkeit
10
1
101
102
Anzahl der Neuronen
103
Abbildung 9.5: Durch die Computersimulation könnte die
Anzahl der Neuronen im Koinzidenzgebiet bestimmt werden.
____________________________________________________________________________
Was ist das primäre Problem bei der Richtungserkennung von Geräuschen bei der
Schleiereule?
Welche
3
Mechanismen
Geräuschinformationen?
unterstützen
die
raschere
Synchronisation
von
Was versteht man unter „sub-threshold-oscillations”?
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115
Geräuschlokalisation bei der Schleiereule
Das
Geruchssystem
Gerüchen - außer, dass sie angenehm oder widerlich sind - wird eher wenig Bedeutung
zugeordnet. Allerdings ist für viele Säugetiere der Geruchssinn der wesentlichste sensorische
Input, der auch der sozialen Kommunikation dient. So wird der Geruchssinn benötigt, um
verdorbene Nahrung, um Feinde oder auch um Sexualpartner zu identifizieren.
Ein Mensch kann rund 10 000 verschiedene Valeurs (Gerüche) wahrnehmen. Tiere können
wahrscheinlich auch nicht mehr Gerüche unterscheiden, aber für viele Tiere reicht eine
geringere Konzentration des Duftstoffes für die Erkennung aus, da es mehr Rezeptoren, aber
nicht mehr Rezeptortypen gibt. Das heißt manche Tiere können Gerüche mit einer geringeren
Konzentration identifizieren.
Die Geruchsstoffe gelangen über die Nasenhöhle zur Riechschleimhaut. Beim Menschen ist
die Riechschleimhaut eine rund 5cm2 große gelbliche Fläche. Die Riechschleimhaut ist von
der Nasenschleimhaut umgeben, die
die
Atemluft
erwärmt
und
befeuchtet. In der Riechschleimhaut
befinden sich Millionen von
Sinneszellen. Diese Sinneszellen
geben ihre Information über Axone,
die durch das Siebbein ziehen, an die
Glomeruli weiter. Die Glomeruli
sind knäuelartige Strukturen, über
die die gesamte Geruchsinformation
weiterverarbeitet wird. Da die
Riechzellen
direkt
mit
der
Außenwelt in Kontakt stehen,
können sie auch leicht beschädigt
werden - sie sterben ab. Sie werden
durch neurale Stammzellen ersetzt.
ACHTUNG:
Bei momentanem
Stand des Wissens - März 2002 sind
die Riechzellen die einzigen Zellen Abbildung 10.1: Anatomischer Aufbau des Riechsystems und
des Nervensystems, die vollständig die Verbindungen zu wesentlichen verarbeitenden Teilen des
durch neurale Stammzellen ersetzt übrigen Gehirns.
werden können. Die Glomeruli
stellen die erste Verarbeitungsstation in der Geruchswahrnehmung dar. Von dort gelangen
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
116
über drei verschiedene Riechstränge die Informationen in andere Gehirnteile,
beziehungsweise in das Riechhirn.
Die Riechzellen besitzen einen Rezeptor, deren Aminosäurekette räumlich so gefaltet ist, dass
sie die Zellmembran sieben mal durchqueren. Damit stellt sich die Frage, wie viele Gene für
die Sinneszellen notwendig sind. Gibt es für jeden Geruch eine spezielle Aminosäuresequenz,
dann würden rund 10 000 Gene benötigt, oder sind es bedeutend weniger Aminosäurenketten
und Gerüche entstehen aus einer Überlagerung der jeweiligen Aktivierungen. Die Analyse an
Säugetieren ergab, dass rund 1000 Gene für die Geruchsrezeptoren verantwortlich sind. Da
der Mensch rund 100 000 Gene besitzt, werden für die Geruchsinformation rund 1% des
Genpotentials verwendet. Im Vergleich, das Farbsehen benötigt nur 3 verschiedene
Rezeptoren. Die Gerüche entstehen nun dadurch, dass einzelne Geruchsrezeptoren aktiviert
werden und sich die Wahrnehmung aus der Aktivierung der einzelnen Rezeptoren
zusammensetzt. Jedes Geruchsmolekül hat verschiedene Seiten, mit denen es an die
Rezeptoren andocken kann. Es gäbe damit rund 21000 Gerüche, die wahrgenommen werden
könnten. Aus praktischen Gründen können nicht alle Kombinationen auftreten,
beziehungsweise gibt es diese Gerüche nicht in der Natur.
Jeder dieser Rezeptoren schickt sein Axon zu einem (bzw. zwei) speziellen Glomerulus.
Somit registriert jeder Glomerulus eine spezifische Komponente des Geruchs. Es existieren
rund 2000 Glomeruli - für jede Geruchskomponente gibt es zwei Glomeruli. Wenn einer
ausfällt, gibt es noch einen "Reserve"-Glomerulus. Die Glomeruli liegen immer an derselben
Stelle, allerdings sind die Riechzellen selbst über die ganze Riechschleimhaut zufällig verteilt.
Die Position der Glomeruli scheint genetisch determiniert zu sein.
Glomeruli
Mitralzellen
zur Riechrinde
Siebbein
Sinneszellen
Geruch
Abbildung 10.2: Aufbau der Riechschleimhaut und des Bulbus olfaktorius. Jede Sinneszelle innerviert - in
Abhängigkeit des Typs - einspezifisches Glomeruli. Über die Mitralzellen wird dann die Information an andere
Bereiche weitergeleitet.
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117
Das Geruchssystem
Wenn nun Geruchsmoleküle auf die Riechzellen treffen, wird ein elektrisches Signal über die
jeweiligen Axone zu den spezifischen Glomeruli weitergeleitet. Bei komplexen Gerüchen
entsteht somit ein geometrisches Muster. Für jeden Geruch gibt es ein spezifisches
geometrisches Muster an aktiven Glomeruli. Dieses Muster kann über elektrische
Ableitungen gemessen werden. Die Glomeruli selbst werden von Mitralzellen innerviert, die
die Information an die Riechrinde weiterleiten. Der Komplex der Glomeruli und der
Mitralzellen wird als Riechkolben (Bulbus olfaktorius) bezeichnet. Über die periglomulären
Zellen, die zwischen den Glomeruli liegen, kommt es zu synaptischen Hemmungen. Das
heißt, wenn in einem Glomerulus die Synapsen besonders aktiv sind, dann hemmt diese Zelle
die Synapsen in den benachbarten Glomeruli. Der Kontrast des räumlichen Musters wird
verstärkt. Zusätzlich werden die Mitralzellen durch Körnerzellen inhibiert. Dadurch kann es
zu keiner längerandauernden Synchronisation kommen und die Trennschärfe wird ebenso wie
durch die periglomulären Zellen erhöht. Die Axone der Mitralzellen bilden drei Stränge. Der
mediale Riechstrang gleicht die Information mit dem gegenüberliegenden Reichkolben ab.
Der intermediale Riechstrang innerviert den Stirnlappen und den Thalamus. Über die
Amygdala zieht der laterale Riechstrang zum Riechkortex. Alleine aus diesen Verbindungen
zeigt sich die Wichtigkeit der Geruchsinformation für das Gehirn. In der Amygdala werden
Informationen emotionell bewertet, während in den Stirnlappen Entscheidungen getroffen
werden.
Der Riechkolben kann durch unterschiedliche Einflüsse sensibilisiert werden: Hunger, Durst,
Sex, Bedrohung und so weiter. Die Geruchswahrnehmung erlangt in diesen Situationen eine
erhöhte Bedeutung. Die Sensibilisierung kommt dadurch zustande, dass eine Synchronisation
erleichtert wird - die hemmenden Zellen zwischen den Glomeruli und den Mitralzellen haben
eine geringere Aktivität beziehungsweise die Mitralzellen bekommen einen zusätzlichen
Input von anderen Gehirnregionen.
Man kann EEG-Messungen in der Riechrinde durchführen. Meist wird dabei die Aktivität von
vielen Neuronen - einigen Hundert - gleichzeitig gemessen. Auf der Riechrinde können
mehrere Elektroden befestigt werden und damit ist es möglich den Aktivierungszustand über
den gesamten "Riechraum" - der Oberfläche der Riechrinde - gleichzeitig zu messen. Durch
diese EEG-Kurven konnte gezeigt werden, dass auch in diesem sensorischen Areal
Synchronisation der entscheidende Faktor ist. Atmet ein Tier einen vertrauten Geruch ein, so
beobachtet man eine Salve: Die gemessenen EEG-Wellen werden für wenige Schwingungsperioden plötzlich regelmäßig(er) und geordnet(er). Bei unterschiedlichen Duftstoffen variiert
das Muster der räumlichen Korrelation und Synchronisation der einzelnen Neuronen.
Dadurch wird ein Duftstoff eindeutig zugeordnet.
Abbildung 10.3: Links sind die Ableitungen einzelner Elektroden gezeigt. Man erkennt sehr schön, dass in
einzelnen Bereichen die Amplituden erhöht sind, und dass alle Neuronen praktisch Synchron sind. Durch diese
Einzelableitungen können sogenannte "Höhenbilder" konstruiert werden. Auf ihnen erkennt man die Bereiche, die
gleichzeitig aktiv sind, leichter (rechts).
In einer zweidimensionalen Karte der elektrischen Aktivitäten des Riechkolbens kann man
aber auch die Veränderung bei unterschiedlichen Gerüchen gut erkennen. So ergeben sich für
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
118
unterschiedliche Gerüche unterschiedliche Muster. Wird nun ein neuer Geruch hinzugelernt,
so verändert sich auch das Bild bei den bekannten Gerüchen.
Sägemehl
Banane
Sägemehl
Abbildung 10.4: Ein Versuchstier schnupperte an Sägemehl und das linke Muster wurde gemessen. Wenn das
Tier mit einem neuen Geruch zum Beispiel dem Bananengeruch in Kontakt kam (mittlere Abbildung), so
veränderte sich bei einem späteren Experiment die Synchronisation der Neuronen in der Riechrinde für Sägemehl.
Ein neuer Geruch wurde gelernt (rechte Abbildung).
Diese biologischen Fakten, kombiniert mit den elektrischen Ableitungen wurden in einer
Vielzahl von Modellen untersucht. Zwei Modelle sollten besonders erwähnt werden. Zum
einen das Modell von Rall und Shepherd. Die einzelnen Neuronen wurden als Compartment
beschrieben. Dadurch konnten sie sehr genau den Potentialverlauf der Mitralzellen und
Körnerzellen im Riechkolben beschreiben. Das andere Modell stammt von W.J.Freeman.
Dieses Modell ist sehr bekannt und man kann an diesem Modell sehr viel über das
Modellieren lernen.
Die Zellen wurden durch einzelne Funktionen beschrieben, diese Zellen wurden zu Sets
zusammengefasst, die dann wiederum zu Netzwerken zusammengefasst wurden. Betrachten
wir zuerst die beiden Funktionen, welche die Neuronen beschreiben.
1) Pulse-to wave Transformation: Ein Aktionspotential wird in ein wellenförmiges Signal
umgewandelt (dieses Signal entspricht den PSP´s).
2) Wave-to pulse Transformation: Die wellenförmige Signale werden in Aktionspotential
umgewandelt.
Im Prinzip beschreiben die beiden Funktionen die Hodgkin-Huxley-Gleichung. Die Neuronen
können nun verschiedene Zustände besitzen:
• stabiler Ruhezustand (zwischen Ruhemembranpotential und dem Schwellpotential)
a) Ruhegleichgewicht (das Potential kehrt zum Ruhemembranpotential zurück, ohne dass
das PSP einen Einfluss auf das Feuerverhalten hat).
b) Stabiles Null-Gleichgewicht (die einlangenden Signale sind so groß, dass das Potential
über dem Ruhemembranpotential gleich bleibt).
• stabiler Zustand der Pulserzeugung (die Schwellwertspannung wurde überschritten)
c) Stabiles Nicht-Null-Gleichgewicht (die mittlere Feuerrate über einen längeren
Zeitraum ist konstant, aber die einzelnen Aktionspotentiale sind unvorhersehbar).
d) Stabiler Grenzzyklusbereich (Feuersalven sind von Ruhepausen unterbrochen).
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119
Das Geruchssystem
Diese unterschiedlichen Neuronen werden nun zu einzelnen Sets zusammengefasst. Man
unterscheidet:
K0-Set: Alle Neuronen arbeiten gleich. Entweder wirken alle erregend K0e oder
inhibitorisch K0i. Alle Zelle erhalten denselben Input und sie sind nicht
untereinander verbunden.
KI-Set: Alle Neuronen haben die selbe Wirkung (erregend KIe oder hemmend KIi), sie
erhalten den selben Input, aber sie sind untereinander dicht verknüpft.
KII-Set: Die Neuronen sind erregend oder hemmend und können erregend oder hemmend
wechselwirken. Die Neuronen sind untereinander verknüpft und sie erhalten
unterschiedlichen Input.
Die Sets stellen ein System von gewöhnlichen gekoppelten nichtlinearen Differentialgleichungen 2. Ordnung mit sehr vielen Parametern und Variablen dar.
Und damit sind wir bei der Problematik dieses Modells. Es ist ein sogenanntes
Zahnradmodell. Wenn man alle Zahnräder richtig einstellt - also alle Parameter richtig wählt dann kommen die richtigen Zahlenwerte heraus. Das wäre für ein normales Modell durchaus
sinnvoll. Wenn aber die Anzahl der Parameter einen bestimmten Bereich überschreitet, dann
kann man mit ein paar Gleichungen so ziemlich alles beschreiben - wenn die Gleichungen
hinreichend komplex sind. Ein gutes Modell zeichnet sich dadurch aus, dass es mit wenigen
Parametern eine gute Beschreibung der Wirklichkeit liefert. Die Parameter sollten plausibel
sein und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Parameter sollten durchschaubar und
logisch sein. Leider gibt es immer wieder Modelle, welche die Hodgkin-Huxley-Gleichung
als Grundlage verwenden. Aber zur Erinnerung: diese Gleichung beschreibt die elektrischen
Potentiale entlang eines Axons, wenn die Schwelle überschritten wird. Diese Gleichung
beschreibt sonst NICHTS. Natürlich ist es einfach Hodgkin-Huxley-Gleichungen
herzunehmen, sie zu koppeln, und nach Lösungen zu suchen. Aber über die Axone kommt es
zu KEINER Synchronisation. Natürlich ist es wichtig, dass Signale vom Axonhügel zu den
einzelnen Synapsen weitergeleitet werden, aber im Prinzip ist es egal wie das Signal aussieht
- vorausgesetzt das EPSP beziehungsweise das IPSP verändert seine Amplitude oder
zeitlichen Verlauf nicht. Vielmehr ist das entstehen eines Aktionspotentials am Axonhügel
viel wichtiger. Dort wird nach dem "Alles-oder-Nichts"-Prinzip entschieden, ob ein Signal zu
den Synapsen geschickt wird. Für die Synchronisation ist die Verarbeitung zwischen dem
Ruhemembranpotential und der Schwellwertspannung (nichtlineare Funktion) und der
Summe der EPSP´s und IPSP´s wichtig. Die Aktionspotentiale selbst sind in Folge natürlich
auch synchron - aber als Resultat und nicht als Ursache.
Bei komplizierten Differentialgleichungen gibt es noch ein anderes Problem. Es entstehen
automatisch Chaos-Effekte. In den 80ern und Anfang der 90er war es modern alles nach
Chaoseffekten zu untersuchen. Und natürlich hat man im EEG der Großhirnrinde, als auch in
der Riechrinde Hinweise für Chaos entdeckt. Leider musste man später erkenne, dass diese
Ergebnisse voreilig waren. Durch die sensiblen Verstärkerschaltungen kam es zu
Rückkopplungen, die die Messergebnisse verfälschten. Nachdem man diese Schwachstellen
beseitigt hatte, blieb von den Hinweisen für Chaos nicht mehr viel übrig.
Bei der Untersuchung einzelner Neuronen konnte man aber dennoch chaotische Effekte
beobachten. Wenn Einzelobjekte eines Systems ein chaotisches Verhalten zeigen, so kann
man nicht auf ein chaotisches Verhalten des gesamten Systems schließen. Durch
Synchronisationseffekte wird das Chaos gezähmt.
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
120
Da die Frage nach Chaos im Gehirn immer noch eine wichtige Rolle spielt sollte dieses
Gebiet näher erläutert werden, denn Chaos ist nicht der Ordnungszustand eines
Schreibtisches, sondern etwas viel komplexeres.
___________________________________________________________________________
_
Exkurs: Was ist Chaos?
“Unvorhersagbare "zufällige" Phänomene können entstehen wenn in einem System kleine
Änderungen in der Gegenwart große Änderungen in der Zukunft hervorrufen”
Henri Poincaré
Betrachten wir ein ideales Fadenpendel. Wenn wir es loslassen, dann schwingt es hin und her.
Es wird nicht abgebremst, da es als ideales Pendel keinen Luftwiderstand besitzt. Durch die
Schwerkraft wird die Kugel beschleunigt, wenn wir loslassen, und wenn die Kugel den
untersten Punkt erreicht hat, dann hat sie die höchste
Geschwindigkeit, die wieder verringert wird, bis die Kugel den
gegenüberliegenden Scheitelpunkt erreicht hat.
Wir können den Ausschlag (die Amplitude) gegen die Zeit
auftragen. Dies ergibt eine Sinusschwingung, wie sie vielen
bekannt ist. Für manche Effekte ist es aber sinnvoller
Zustandsgrößen gegeneinander aufzutragen. Die Zeit selbst ist
keine Zustandsgröße. Zustandsgrößen beschreiben ein System
vollständig und sie hängen von der Zeit ab. Mehrere Abbildung 10.5: Ein
Zustandsgrößen spannen einen Zustandsraum auf. Der ideales Fadenpendel.
Zustandsraum ist eine mehrdimensionale Darstellung (meist
zwei oder dreidimensional) des Zusammenhangs von Zustandsgrößen. Zum Beispiel wird der
Zustandsraum eines Fadenpendels durch den Ort x und die Geschwindigkeit v aufgespannt.
Ort
Amplitude
Zeit
Geschwindigkeit
hohe Geschwindigkeit
Abbildung 10.6: Links ist die Amplitude gegen die Zeit aufgetragen, während in der rechten Darstellung der Ort
gegen die Geschwindigkeit aufgetragen wird. Der Ort und die Geschwindigkeit stellen die Zustandsgrößen dar.
Man erkennt leicht die Bereiche, in denen das Pendel sich rasch beziehungsweise sich langsam bewegt.
Betrachten wir ein reales Fadenpendel. Durch den Luftwiderstand wird das Pendel gebremst
und nach einiger Zeit wird es zum Stillstand kommen. Es ist ein gedämpfte Oszillation
gegeben. Der Endzustand ist immer derselbe - egal von wo aus wir das Pendel loslassen. Es
wird immer an der selben Stelle stehen bleiben. Dieser Punkt ist ein Fixpunkt. Nach endlicher
Zeit wird er erreicht. Beim Pendel mit Reibung ist der Weg im Zustandsraum eine Spirale
(siehe Abbildung 2.7). Durch die Reibung verliert das System Energie und die
Geschwindigkeit nimmt ab bis das Pendel stehen bleibt (v = 0). Der Weg wird als
Trajektorie (gestrichelte Linie, Abbildung 2.77) bezeichnet, während der Endzustand als
Attraktor oder auch als Fixpunkt bezeichnet wird. Ein Fixpunkt ist die einfachste Form eines
Attraktors.
___________________________________________________________________________________
121
Das Geruchssystem
Ort
Amplitude
Trajektorie
Zeit
Geschwindigkeit
Fixpunkt - Attraktor
Abbildung 10.7: Ein reales Fadenpendel (links), das ein Beispiel für eine gedämpfte Schwingung darstellt (Mitte),
während man im Zustandsdiagramm den Fixpunkt leicht erkennt.
Im Zustandsraum kann man leicht erkennen ob das System sich auf einen Fixpunkt zubewegt
oder nicht. Wenn ein Fixpunkt gegeben ist, dann ist ein System in der Regel nicht chaotisch,
denn egal unter welchen Bedingungen wir starten, das Endresultat ist das selbe.
Bei einer Pendeluhr wird extern Energie zugeführt, um die
Reibungsenergie auszugleichen. Das System wird im
Endzustand periodisch verschiedene Zustände annehmen. Das
Pendel wiederholt die Bewegung immer wieder gleichmäßig.
Der Attraktor (Endzustand des Systems) ist ein Grenzorbit Das
System nimmt einen stabilen Zustand ein, allerdings verändert
sich der Zustand mit der Zeit auf eine berechenbare Weise. Der
Attraktor wird nach endlicher Zeit durchlaufen und er verändert
sich im Laufe der Zeit nicht. Das heißt das System ist stabil,
wenngleich sich einzelne Parameter kontinuierlich verändern.
Jetzt strebt das System nicht auf einen Punkt (Fixpunkt) hin,
sondern es strebt auf eine Grenzorbit zu. Wenn dieser erreicht
ist, dann bleibt das System auf diesem Attraktor.
Abbildung 10.8: Das Zustandsdiagramm einer Pendeluhr. Der Attraktor ist dick
eingezeichnet.
ACHTUNG: Ein Attraktor selbst ist noch nicht chaotisch. Nur der "seltsame" Attraktor zeigt
chaotische Effekte.
Die Naturwissenschaften versuchen einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung
herzustellen. Die Natur soll berechenbar werden (Naturgesetze). Naturphänomene deren
Ursache-Wirkungs-Beziehung unbekannt sind bezeichnet man als stochastisch oder zufällig.
Diese Effekte (Wetter) lassen nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage zu (Wettervorhersage).
Man vermutete lange Zeit, dass man aufgrund ausreichend genauer und zahlreicher
Messwerte das Wetter berechnen kann. Es existiert zumindest eine prinzipielle exakte
Vorhersagbarkeit.
Es zeigte sich aber, dass sogar einfache deterministische Systeme stochastisches Verhalten
zeigen können. Auch wenn wir mehr Information über das System sammeln, verschwindet
das Zufallsverhalten nicht. Man bezeichnet ein solches scheinbares Zufallsverhalten als
deterministisches Chaos. Dieses scheinbare Zufallsverhalten hängt primär von kleinsten
Störgrößen ab.
Manche physikalische Systeme reagieren sehr empfindlich auf externe Störungen. Zum
Beispiel ein Bleistift, der perfekt ausbalanciert ist und mit seiner Spitze auf der Tischplatte
steht, ist empfindlich für kleinste Störungen der Tischplatte. Der Bleistift wird bei der
kleinsten Störung umfallen und wir wissen nicht in welche Richtung er sich bewegen wird.
Danach nimmt er eine stabile Lage ein und das Systemverhalten ist eindeutig bestimmt. Bei
chaotischen Systemen ist die Unbestimmtheit zu jedem Zeitpunkt gegeben, das heißt, winzig
kleine Abweichungen der Messgröße wachsen sehr schnell. Das Systemverhalten reagiert auf
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
122
die Abweichungen mit einem exponentiellen Anwachsen des Fehlers. Jeder noch so kleine
Fehler erreicht rasch makroskopische Dimensionen. Aufgrund der Messungenauigkeit ist es
leider nicht möglich, diese winzigen Anfangsbedingungen "exakt" zu bestimmen.
Ein interessantes Beispiel dafür ist die logistische Gleichung: xn+1 = r . xn . (xn-1). Man wählt
für xn einen Wert zwischen Null und Eins. Danach rechnet man den rechten Teil aus und
erhält damit xn+1. Dieser Wert wird aufgetragen und er dient als neues xn. Wenn der
Kontrollparameter r kleiner als 2 ist, dann streben die xn gegen einen Fixpunkt. Für die
verschiedenen Werte von r erhält man unterschiedliche Fixpunkte. Wird r weiter erhöht, dann
gibt es eine Bifurkation und die xn streben auf 2 Fixpunkte hin, die dann abwechselnd erreicht
werden. Wenn der Kontrollparameter r den Wert 4 besitzt, dann führen kleinste Änderungen
des Startwertes dazu, dass die einzelnen Iterationen in sehr kurzer Zeit stark voneinander
abweichen - die Gleichung reagiert chaotisch (siehe Abbildung 2.9).
1.0
1.0
0.5
0.5
0
0
Startwert x0=0.40000
Startwert x0=0.40001
Abbildung 10.9: Die Iterationen nach der logistischen Gleichung mit leicht unterschiedlichen Werten. Nach
einigen Iterationen kann man makroskopische Unterschiede erkennen.
Die logistische Gleichung ist ein rückgekoppeltes System. Das bedeutet, dass der alte
Ausgangswert den neue Eingangswert darstellt.
Edward N. Lorenz entdeckte 1963 eine eigene Klasse von Attraktoren: den chaotischen oder
auch (wie er ihn nannte) seltsamen Attraktor. Ein chaotischer Attraktor ist ein kompaktes
Gebilde eines rückgekoppelten Systems, indem sich kleinste Unterschiede in den
Anfangsbedingungen aufschaukeln.
A'
A'
A
A
B'
B
B
B'
Abbildung 10.10: Wenn man von zwei unterschiedlichen Startpositionen A und B beginnt, endet man nach einem
kurzen Stück in A' und B'. Bei rückgekoppelten Systemen stellt die Strecke A' und B' den neuen Anfangswert dar.
Wenn die Entfernung zwischen A und B den größten maximalen Unterschied der Anfangsbedingungen dargestellt
hatten, dann muss der Endbereich A' und B' gefaltet werden, damit die Endwerte in die Anfangswerte "passen".
___________________________________________________________________________________
123
Das Geruchssystem
Kleine
Abweichungen
verursachen
ein
Auseinanderstreben der Bahnkurven (siehe Abb.
2.10). Damit die Bahnkurven aber begrenzt bleiben,
müssen sie wieder auf sich selbst zurückgeführt
werden. Mathematisch entspricht dies einer
Faltung. Man bekommt dann einen chaotischen
Attraktor (siehe Abbildung 2.11). Startet man mit
zwei benachbarten Punkten auf einem solchen
Attraktor, dann wird der Abstand zwischen diesen
beiden Punkten immer größer bis es unmöglich ist
Vorhersagen zu machen. Der Endzustand der
beiden Punkte könnte irgendwo auf dem
chaotischen
Attraktor
liegen.
Bei
einem
vorhersagbaren - nicht chaotischen - Attraktor
bleiben die beiden Punkte benachbart.
Abbildung 10.11: Der Rössler-Attraktor
Ein chaotischer Attraktor beschreibt NICHT zufällige Ereignisse (Roulett). Reagiert ein
System zufällig, dann gibt es keine mathematische Formel, die diesen Weg im Zustandsraum
beschreibt. Bei echt zufälligen Prozessen wird der gesamte Zustandsraum ausgefüllt.
Bei chaotischen Phänomen handelt es sich um hochkomplexes Verhalten, das zufällig
erscheint, tatsächlich jedoch eine versteckte Ordnung aufweist. Es existiert eine Sensibilität
bezüglich der Anfangsbedingungen (Nicht periodisches oder quasiperiodisches Verhalten,
KEIN weißes Rauschen).
_____________________________________________________________EXKURS ENDE
Wenn man die Messdaten der EEG-Kurven mit (x = Un und y = Un+1), wobei Un und Un+1 die
Spannungen mit einem kleinen Zeitunterschied sind, graphisch darstellt, dann kann man
einiges über die Messdaten (qualitativ) aussagen. Wenn das ganze Gebiet gleichmäßig mit
Messwerten versehen ist, dann sind die Messkurven das Resultat des Zufalls. Anhand der
Regelmäßigkeit der Darstellung können Aussagen über das EEG gemacht werden. Zum
Beispiel würde eine Sinusschwingung der Messkurve im Phasenporträt einen Kreis ergeben.
Abbildung 10.12: Links ist der Attraktor eines bekannten Geruchsmusters und rechts der Attraktor eines
unbekannten Geruches dargestellt.
Bei der Analyse der EEG-Daten im Zustandsraum der Riechrinde ergaben sich scheinbar
chaotische Attraktoren. Wenn kein Geruch wahrgenommen wird (Abb. 2.12, rechts) dann
feuern die einzelnen Neuronen scheinbar zufällig, während sich bei einer Geruchswahrnehmung ein chaotischer Attraktor bildet (Abb. 2.12, links). Allerdings muss man mit
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
124
der Interpretation der Messdaten vorsichtig sein. Ein solches Muster erhält man auch, wenn
ein sich regelmäßig wiederholendes Muster (synchron feuernde Neuronen) mit ein paar
zufällig feuernden Neuronen überlagert wird. Der verrauschte Grenzzyklus würde wie ein
chaotischer Attraktor aussehen.
Die Synchronisation scheint eher Chaos-Effekte zu verhindern. Wenn die stabilen
geometrischen Muster von synchron feuernden Neuronen stark von den Anfangsbedingungen
abhängen, wäre ein INPUT-OUTPUT Korrelation nicht mehr gegeben. Wenn wir ein rotes
Dreieck unter ungünstigen Bedingungen sehen (das Bild ist verrauscht), dann müssten
Chaoseffekte dazuführen, dass ein anderes Bild wahrgenommen wird. Tatsächlich sind wir
aber in der Lage auch ein "vernebeltes" rotes Dreieck als ein solches zu erkennen. Die
Mustervervollständigung ist ein Beispiel für anti-chaotische Effekte. Allerdings ist es
möglich, dass wenn zwei sich widersprechende Inputs in ein neurales Assemble gelangen,
muss das Netzwerk eine Entscheidung treffen. Diese Entscheidung dürfte vermutlich von der
Vorgeschichte des Netzwerkes abhängen. Hier kann sehr wohl Chaos auftreten - aber wie oft
trifft dies in der Realität zu (siehe Gestaltpsychologie).
___________________________________________________________________________
Was versteht man unter einem „Glomeruli“ ?
Wie viele Gerüche kann ein Mensch im Unterschied zu einem Hund unterscheiden ? Warum ?
Was versteht man unter „Chaos“ ?
Welche Indizien sprechen für und gegen das Auftreten von Chaos im Geruchssystem ?
___________________________________________________________________________________
125
Das Geruchssystem
Anhang A: Back-Propagation in C
Der Programmcode für Back-Propagation sieht folgendermaßen aus:
/* Berechnung der Ausgabe der hidden-layer */
for(i=0;i<p;i++){
/* p = Anzahl der Neuronen der hidden-layer */
temp = 0.0;
/* temp = temporäre Variable
*/
for(j=0;j<n;j++) {
/* n = Anzahl der Neuronen der Eingabeschicht */
temp += w1[i][j] * x1[j]; /* In dieser Schleife wird die Ausgabe der
*/
}
/* hidden-layer berechnet
*/
x2[i] = Ausgabefunktion(temp);
}
/* Berechnung der Ausgabe der letzten Schicht und dem dazugehörigen Fehler */
for(i=0;i<m;i++) {
/* m = Anzahl der Neuronen der 3. Schicht
*/
temp = 0.0;
for(j=0;j<p;j++) {
temp += w2[i][j] * x2[j]; /* In dieser Schleife wird die Ausgabe der
*/
}
/* letzten Schicht berechnet
*/
y2[i] = Ausgabefunktion(temp);
d2[i] = -(y2[i]-L[i])*Ableitung_d._Ausgabefunktion(temp);
/* Bestimmung des */
}
/* Deltas der 2.Schicht */
/* Berechnung der Korrektur der Gewichte zwischen der letzten und der hidden-layer
*/
for(i=0;i<m;i++) {
for(j=0;j<p;j++) {
dw2[i][j] += gamma*d2[i]*x2[j]; /* gamma = Lernparameter
*/
}
/* dw2 = Änderung der Gewichte in w2 */
}
/* Berechnung der Korrektur der Gewichte zwischen der hidden-und der Eingabe-Layer
*/
for(i=0;i<p;i++) {
for(j=0;j<n;j++) {
temp = 0.0;
for(k=0;k<m;k++) {
temp += d2[k]*w2[k][i];
}
dw1[i][j] += gamma*temp*Ableitung_d._Ausgabefunktion(x2[i])*x1[j];
}
/* dw1 = Änderung der Gewichte in w1 */
}
}
/* Nachdem die Gewichtsänderungen dw1 und dw2 berechnet wurden,
*/
/* müssen die Gewichtsmatrizen w1 und w2 auch entsprechend verändert werden
*/
for(i=0;i<p;i++) {
for(j=0;j<n;j++) {
w1[i][j] += dw1[i][j];
}
}
for(i=0;i<m;i++) {
for(j=0;j<p;j++) {
w2[i][j] += dw2[i][j];
}
}
Für die Funktion var = Ausgabefunktion(temp) sollte die Fermi-Funktion verwendet werden;
Das Verfahren wird dann auf alle Testmuster angewandt.
___________________________________________________________________________________
Anhang
126
Anhang B: Verhalten von zwei puls-gekoppelten "integrate and fire"Neuronen:
Jeder Oszillator wird durch eine Aktivierungsvariable xi, i=1,2, beschrieben, wobei
angenommen wird, daß sich diese Variable streng monoton steigend auf ihren Schwellwert
Ki, mit i=1,2 zubewegt. Wenn xi die Schwelle erreicht, feuert der Oszillator, die Aktivierung
kehrt augenblicklich auf Null zurück, xi=0. Die Zeit wird als Phase φ bezeichnet, die normale
Zeit t läuft weiter. Für die Variable xi gilt: xi(t)=f(φi(t)) mit f:[0,Ti]→[0,Ki], wobei f stetig,
monoton steigend und konvex ist: f '>0 und f ''<0. f ist für die beiden Oszillatoren ident.
Hingegen gilt (o.B.d.A.) T1 < T2 und somit auch K1 < K2. In der Folge gelte (o.B.d.A.) T2 = K2
:= 1. Es muß ε < K2 gelten, damit es nicht zur sofortigen Synchronisation kommt. Die
Umkehrfunktion f -1 wird mit g bezeichnet. Aufgrund der Annahmen für f ist g ebenso stetig
und monoton steigend, aber konkav, g '>0 und g ''>0.
Mirollo und Strogatz verwendeten folgende Formeln sehr erfolgreich, die aber nicht zu einer
Einschränkung der Allgemeinheit führen:
f (φ) =
[
]
1
⋅ ln(1 + e b − 1 ⋅ φ),
b
g(x ) =
e bx − 1
B.1
e b −1
Für große b steigt f(φ) bei φ=0 rapide an. Insgesamt können wir sagen, daß b ein Maß dafür
ist, wie stark die Funktion f konvex und g konkav ist. Im Grenzfall b→0 werden f und g
linear: f(φ)=φ und g(x)=x. Die Formel C.1 zeigt das gleiche Verhalten wie die Formel, die das
RC-Glied, das zur Beschreibung eines Neurons dient, beschreibt.
Als erstes muss nun die Return-Map, auch stroboskopische Abbildung genannt, definiert und
berechnet werden. Dann ist zu zeigen, daß sich die beiden Oszillatoren annähern
beziehungsweise abstoßen, was soviel bedeutet, daß sich die Oszillatoren synchronisieren.
a)
b)
c)
K2
K1
ε
-
φ2(t1 )=T2
-
φ1(t1 )
=T2-φ2(t0+)
-
φ1(t1 ) =
T2-φ2(t0+)
+
φ2(t0 )
φ1(t0+)=0
T1
T2
T1
T2
T2
T1
+
φ1(t1 )=g(ε+f( T2-φ2(t0 ) ))
+
Figur B.1: Darstellung des Startzustandes (a), das Erreichen des Schwellwertes von Oszillator 2 (b) und das
Feuern von Oszillator 2 (c). Der Oszillator 1 wird als ein schwarzer Kreis, der Oszillator 2 als ein weißer Kreis
dargestellt.
Definition der Return-Map: Es seien zwei Oszillatoren 1 und 2 gegeben. Oszillator 1 hat
gerade gefeuert und seine Phase φ1 ist somit gleich Null, das heißt φ1(t0) = 0. Die Phase von
Oszillator 2, also φ2, ist irgendwo zwischen 0 und T2 mit der Einschränkung, daß die beiden
Oszillatoren im folgenden Zyklus nicht synchronisieren. Ein voller Zyklus ist dann beendet,
wenn Oszillator 1, dann Oszillator 2 und abschließend wiederum Oszillator 1 gefeuert hat.
Das heißt das System startet mit φ1(t0) = 0, φ2(t0) beliebig zwischen zwei noch zu
bestimmenden Return-Grenzen, geht dann über in den Zustand φ2(t1) = 0, und abschließend
feuert Oszillator 1 wieder, φ1(t2) = 0. Das System ist von einem klar definiertem Zustand aus
gestartet und befindet sich am Ende auch wieder in einem klar definiertem Zustand, in beiden
Fällen ist φ1(t0) = φ1(t2) = 0.
___________________________________________________________________________________
127
Brain Modelling
Die Return-Map beschreibt nun das Verhalten von φ2 während eines solchen Zyklus. Wenn φ2
einen beliebigen Wert zwischen den Return-Grenzen zum Zeitpunkt t0 annimmt, können wir
durch die Return-Map beschreiben, ob φ2 zum Zeitpunkt t2 (also nach Beendigung eines
vollen Zyklus) größer, kleiner oder gleichgeblieben ist: φ2(t2) > φ2(t0), φ2(t2) < φ2(t0)
oder φ2(t2) = φ2(t0). Wenn φ2(t2·n) immer kleiner, beziehungsweise größer wird, dann nähert
sich der dazugehörige Oszillator 2 dem Oszillator 1 entweder über die untere oder über die
obere Return-Grenze an. Ab einem bestimmten Zeitpunkt überschreitet Oszillator 2 eine der
beiden Return-Grenzen, das heißt die Oszillatoren feuern beim nächsten Mal gleichzeitig. Der
Oszillator mit φ2 liegt also schon bei t0 außerhalb der Return-Grenzen, oder er überschreitet zu
einem späteren Zeitpunkt eine der zwei Grenzen. Die Return-Grenzen werden aus einem
einfachen Grund eingeführt. Es soll im Beweis verhindert werden, daß sich die Oszillatoren
während eines Zyklus synchronisieren. Für den mathematischen Beweis müsste man sonst
noch Fallunterscheidungen einführen, die ziemlich verwirrend sein könnten. Wenn sich also
Oszillator 2 zwischen den beiden Return-Grenzen befindet, dann kommt es in diesem Zyklus
noch zu keiner Synchronisation.
Figur B.2: Wir betrachten die Phase φ2
nach
jedem
einzelnen
Zyklus.
K2
Oszillator 1 hat gerade gefeuert. Wenn
die Phase von Oszillator 2 (weißer
t2⋅q
t
t4
t2 0
Kreis) kleiner als der Fixpunkt ist, dann
t0 t2
t4
wird sie nach jedem weiteren Zyklus
noch kleiner und verlässt nach 2⋅(p+1)
Zyklen den unteren Definitionsbereich
t2⋅p
der Return-Map, φ2(t2⋅(p+1)) < δ. Wenn
die Phase von Oszillator 2 größer als
φ2
der Fixpunkt ist, dann wird die Phase
δ
µ
Fixpunkt
T2
immer größer. Dies führt dazu, daß
nach 2⋅(q+1) Zyklen φ2 größer als µ
wird, φ2(t2⋅(q+1)) > µ, und Oszillator 2 ebenso feuert. In beiden Fällen feuern Oszillator 1 und
Oszillator 2 nachher gemeinsam, da sich ihre Phasen genügend angenähert haben. Wenn die
Phase von Oszillator 2 im Fixpunkt ist, dann kommt es zu keiner Synchronisation. Dies ist
aber nur möglich, wenn die Anfangsbedingungen exakt so gewählt wurden. Von sich aus
kann φ2 den Fixpunkt nicht erreichen. In der Folge nehmen wir an, daß es während des
gesamten Zyklus zu keinem gemeinsamen Feuern kommt.
x2
a) Zum Zeitpunkt t0 gilt: Oszillator 1 hat gerade gefeuert: φ1(t0) = 0.
Die Phase von Oszillator 2 liegt innerhalb der zwei zu bestimmenden Return-Grenzen δ
und µ:
0 < δ < φ2(t0) < µ < T2.
-
b) Als nächstes wird zum Zeitpunkt t1 Oszillator 2 den Schwellwert T2 erreichen: φ2(t1)=T2.
Da sich Oszillator 1 ebenfalls gleichmäßig bewegt (für beide Oszillatoren vergeht gleich
viel Zeit) ergibt sich φ1(t1) = T2 - φ2(t0).
c) Infinitesimal später feuert Oszillator 2, da er seine Schwelle erreicht hat: φ2(t1)=0. Durch
das Feuern wird Oszillator 1 um ein ε angehoben.
Daraus folgt: φ1(t1) = g(ε+f(T2 - φ2(t0))).
Es hätte passieren können, daß Oszillator 1 während der Bewegung (also zwischen den
Zeitpunkten t0 und t1) von Oszillator 2, beziehungsweise durch das Feuern von
Oszillator 2, also zu t1, selbst über die eigene Schwelle T1 gehoben worden wäre. Das heißt
beide Oszillatoren würden daraufhin gemeinsam feuern. Dies steht im Widerspruch zu den
___________________________________________________________________________________
Anhang C
128
Anfangsbedingungen, daß sich die Oszillatoren nicht während eines solchen Zyklus
synchronisieren. Also muss gelten: φ1(t1+) = g(ε+f(T2 - φ2(t0+))) < T1.
Um zu bestimmen wie groß φ2(t0) beim Start des Zyklus sein musste, damit es zu keiner
Synchronisation in diesem Schritt kommt, muss man die Ungleichung g(ε+f(T2-φ2(t0))) <
T1 nach φ2(t0) auflösen (Umkehrfunktion) und man erhält:
δ ≡ T2- g[f(T1) - ε] < φ2(t0)
B.2
Damit haben wir die untere Grenze für φ2(t0) gefunden.
d) Der Oszillator 1 wird als nächstes feuern (er hat ja seine Schwelle zum Zeitpunkt t1 noch
nicht erreicht) Also ergibt sich für die Phase von Oszillator 1: φ1(t2) = T1. Da sich
Oszillator 2 ebenfalls bewegt, lautet seine Phase dann: φ2(t2) = T1 - g(ε+f(T2 - φ2(t0))).
e) Oszillator 1 feuert, seine Phase springt somit auf Null zurück und die Aktivität von
Oszillator 2 wird um ein ε angehoben.
Also gilt: φ1(t2) = 0 und φ2(t2) = g(ε + f(T1 - g(ε+f(T2 - φ2(t0))))).
Der Zyklus ist beendet.
Aber wiederum wäre es möglich, daß diesmal Oszillator 2 über seine eigene Schwelle, durch
das Feuern von Oszillator 1 angeregt, gehoben wird und es somit zum gleichzeitigen Feuern
kommt. Damit dies nicht geschieht muss folgendes gelten: φ2(t2)=g(ε+f(T1-g(ε+f(T2-φ2(t0)))))
< T2. Durch Auflösung dieser Ungleichung nach dem Startwert φ2(t0) erhalten wir:
φ2(t0) < T2 - g{f(T1 - g[f(T2) - ε]) - ε} ≡ µ
B.3
Aus dem Vergleich von Gleichung 4.7 mit 4.8 folgt δ < µ. µ ist somit die gesuchte obere
Return-Grenze für φ2(t0).
Zusammengefasst lautet der Zyklus:
a) Oszillator 1 hat gerade gefeuert:
φ1(t0) = 0
T2- g[f(T1) - ε] < φ2(t0) < T2-g{f(T1-g[f(T2)-ε])-ε}.
b) Oszillator 2 hat gerade den Schwellwert erreicht:
φ1(t1) = T2 - φ2(t0)
φ2(t1) = T2.
c) Oszillator 2 hat gerade gefeuert:
φ1(t1) = g(ε + f(T2 - φ2(t0)))
φ2(t1) = 0.
d) Oszillator 1 hat gerade den Schwellwert erreicht:
φ1(t2) = T1
φ2(t2) = T1 - g(ε + f(T2 - φ2(t0))).
e) Oszillator 1 hat gerade gefeuert:
φ1(t2) = 0
φ2(t2) = g(ε + f(T1 - g(ε + f(T2 - φ2(t0)))))≡R(φ2(t0)).
B.4
___________________________________________________________________________________
129
Brain Modelling
Oszillator 1 hat einen vollen Zyklus durchlaufen. Die Schritte a)-c) sind in Figur B.1
dargestellt. Der Zyklus beginnt mit (0, φ2(t0)) und endet mit (0, φ2(t2)). Die Return-Map gibt
also die Verschiebung von φ2(t0) zu φ2(t2) an. Aber diese Änderung ist unabhängig vom
Zeitpunkt t0+. Für den Beweis ist es auch egal, ob der Oszillator 1 das 1-te oder das n-te mal
gefeuert hat, solange nicht Synchronisation aufgetreten ist. Somit kann man 4.9 vereinfacht
schreiben:
R(φ2) ≡ g(ε + f(T1 - g(ε + f(T2 - φ2)))) mit δ < φ2 < µ und mit T1 ≤ T2
B.5
R(φ2) ist unsere gesuchte stroboskopische Abbildung und zeigt uns die Entwicklung von φ2 in
Abhängigkeit von T1, T2 und ε nach einer ganzen Iteration (Oszillator 1 feuert, Oszillator 2
feuert, Oszillator 1 feuert wiederum). Da f und g stetig und differenzierbar sind, siehe 4.6, gilt
das auch für R(φ2).
Nun kann man zeigen, daß es einen globalen Fixpunkt-Repellor für R(φ 2) unter bestimmten
Bedingungen gibt.
LEMMA B1.0:
dR (φ 2 )
≡ R ′(φ 2 ) > 1
dφ 2
∀ φ 2 ∈ [0, T2 ]
B.6
Beweis: Die Differenzierung von R(φ2) = g(ε+f(T1-g(ε+f(T2-φ2)))) führt zu
R′(φ 2) = g′(ε+f(T1-g(ε+f(T2-φ2))))⋅g′(ε+f(T2-φ2))⋅f ′(T1-g(ε+f(T2-φ2)))⋅f ′(T2-φ2).
Mit der Transformation f ′(y)=[g′(f(y))] -1 und der Vereinfachung u ≡ f(T1-g(ε+f(T2-φ 2))) und
v ≡ f(T2-φ 2) bekommen wir folgendes Resultat:
R ′(φ 2 ) =
g ′(ε + u ) ⋅ g ′(ε + v) g ′(ε + u ) g ′(ε + v)
=
⋅
g ′(u ) ⋅ g ′( v)
g ′(u )
g ′( v)
Wegen g'' > 0 (Konkavität) und ε > 0 ist g'(ε+u) > g(u) ∀u, und genauso g′(ε+v) > g(v) ∀ v.
Wäre g linear, das heißt g'' = 0 dann ergäbe sich R′(φ2) > 1 ∀ φ2.
Daraus folgt: R′(φ2) > 1 ∀ φ2 mit g'' > 0 ☺.
B.7
PROPOSITION B1.1:Es existiert eine Bedingung, unter der es letztlich zu einem gemeinsamen
Feuern von zwei Oszillatoren mit verschiedenen Frequenzen kommt,
abgesehen von einem einzigen Punkt im Definitionsraum, nämlich dem
Fixpunkt, wo es zu Phase-Locking kommt.
*
*
*
Beweis: Es lautet die Fixpunktsgleichung für R(φ2): F(φ2 ) ≡ R(φ2 ) - φ2 = 0.
B.8
F(φ2) ist wie R(φ2) stetig und differenzierbar, und wegen F′(φ2) = R′(φ2) — 1> 0 (gemäß 4.12)
auch streng monoton steigend. Wenn nun ein φ<2 mit F(φ<2) < 0 und ein φ>2 mit F(φ>2) > 0
existiert, wobei φ<2 < φ>2, dann gibt es genau einen Fixpunkt im Definitionsbereich der
*
Return-Map, eben den globalen Fixpunkt-Repellor φ2 .
Da R(φ2) per Anfangsbedingung - es soll im nächsten Zyklus zu keinem gemeinsamen feuern
kommen - definiert ist zwischen δ = T2- g[f(T1) - ε] und µ = T2-g{f(T1-g[f(T2)-ε])-ε}, gilt es zu
zeigen, daß:
F(δ) < 0 und F(µ) > 0 mit δ < µ
B.9
Das explizite Ausrechnen von F(δ) < 0 führt zu
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Anhang C
130
g[f(T1)-ε] < T2-g(ε)
mit T1 ≤ T2
B.10
Diese Bedingung ist automatisch erfüllt, da g(x) konkav ist. Diese ist leicht ersichtlich, vor
allem wenn T1 = T2.
Das explizite Ausrechnen von F(µ) > 0 führt zu
g(f(T2)-ε) + g(ε) < T1
mit T1 ≤ T2
B.11
Dies ist die von uns gesuchte Frequenzbedingung. Damit ist gezeigt, daß R(φ2) unter diesen
Bedingungen genau einen Fixpunkt besitzt, der φ2(t2·n+) wegen R′(φ 2) > 1 in endlich vielen
Zyklen aus dem Definitionsbereich der Return-Map hinauskatapultiert und zwar über die
*
*
untere Grenze δ, wenn φ2 < φ2 , und über die obere Grenze µ, wenn φ2 < φ2 , wodurch beide
Oszillatoren einmal "gleichzeitig" feuern. Ausgenommen ist der Fixpunkt selber. Dort bleibt
*
φ2 = const. , es kommt zu Phase-Locking. ☺
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131
Brain Modelling
Anhang C:
Lösung aus dem Bereich “visuelles Sehsystem” zur Abbildung 7.20:
Lösungen aus dem Bereich der Gestaltpsychologie:
a)
b) Ihre eigene Augenfarbe ist die Lösung. In der Aufgabe heißt es: “Angenommen, sie sind
der Busfahrer . . .”
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Copyright by W.Gruber, ⟨ΦΨ⟩
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Anhang C
132
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