Rund um den Beruf Sexualmedizinisches Seminar der Fortbildungsakademie Eine Teilnehmerin kam sogar aus Kanada Ja, es ist nicht übertrieben, was in der Überschrift zu lesen ist. Aus Halifax in Kanada kam Frau Kollegin Schneider geflogen, um die zweitägige sexualmedizinische Fortbildung der Fortbildungsakademie besuchen zu können – und sie war außerordentlich angetan, erzählte sogar, dass ihre kanadischen Kollegen sie gebeten hatten, ihnen nach der Rückkehr einen Abriss des Seminars zu geben. Dies verwundert kaum, lautete doch die übereinstimmende Bewertung der Teilnehmer: „Eine hervorragende Fortbildungsveranstaltung, die allen Nicht-Teilnehmern nur dringend empfohlen werden kann!“ D en ersten Seminartag bestritt Prof. Dr. M. Osterheider mit gewohnt bestens strukturierter Didaktik und frischer, die Aufmerksamkeit der Zuhörer acht Stunden lang fesselnder Rhetorik. Der Leiter der Abteilung für forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirksklinikum der Universität Regensburg konnte beim Thema Paraphilie in all seinen Schattierungen auf das Wochenendseminar vom September 2012 aufbauen, das er zusammen mit Dipl.Psych. Janina Neutze (jetzt Regensburg, früher Berlin) bestritten hatte. Natürlich können an dieser Stelle nur einige wenige zentrale Aussagen wiedergegeben werden. Etwa wie wichtig es ist, die sexuelle Identitätsstörung Transsexualität von einem fetischistischen Transvestismus abzugrenzen, weil bei letzterem die gegengeschlechtliche Kleidung nur getragen wird, um sexuelle Erregung zu erleben, jedoch keine geschlechtliche Identitätsproblematik besteht. Pädophilie scheint tatsächlich eine ausschließlich männliche Störung zu sein. Bei der Beurteilung sexueller Präferenzstörungen ist der Forensiker heute nicht mehr ausschließlich auf „die Bekenntnisse“ der Täter angewiesen, sondern kann die Daten deren PC-Festplatte als ihre „ausgelagerte Phantasietätigkeit“ analysieren. Eindrücklich zeigte Osterheider anhand solcher Auswertungen auf, wie sich vor paraphilen Übergriffen die innere Drang-Situation der Täter inhaltlich immer mehr ausweitet und zuspitzt. Erschreckend grausige Falldarstellungen von nekrophil-sadistischen Taten zeigten, wie komplex und verantwortungsvoll die Begutachtung der Täter sein muss und illustrierten minutiös die Entwicklung von den ersten Phantasien und Übergriffen (meist mit Beginn in der präpubertären Phase) bis hin zu den schockierenden Vergehen. ©© Julian Stratenschulte / dpa Das Seminar der Fortbildungsakademie rückte die Bedeutung der Psychiatrie für die Sexualmedizin und umgekehrt der Sexualmedizin für die Psychiatrie in den Mittelpunkt. 18 Prophylaktische Ansätze Positiv dagegen stellte sich dar, dass es gerade bei Pädophilie und pädosexuellem Verhalten hoffnungweckende Ansätze gibt, prophylaktisch tätig zu werden. Der Forensiker stellte das ursprünglich an der Berliner Charitè entwickelte Konzept des präventiven Kinderschutzes über anonyme Gruppen­t herapie von Männern mit dieser sexuellen Präferenzstörung, die noch nicht tätlich geworden sind, dar, das nun auch in Regensburg umgesetzt wird. In der dortigen sexualwissenschaftlichen Ambulanz, die im September 2010 eröffnet worden ist, kam es inzwischen zu 250 Kontaktaufnahmen und zu 93 diag­ nostischen Gesprächen. Es werden zwei Gruppen geführt und zehn Männer in Einzeltherapie behandelt. Ein wichtiger Grundsatz war für Osterheider, allen involvierten Behörden und Politikern klar zu machen, dass sich Männer mit der se- Seminarinhalte Die Themen des zweiten Teil der sexualmedizinischen Fortbildung für Psychiater, Nervenärzte und Neurologen der Fortbildungsakademie, das am 19./20. Januar 2013 in Frankfurt/M. stattfand: —— Das paraphile Spektrum: Ätiologie, Differenzialdiagnose und Prävention. —— Auswirkungen chronischer psychischer Erkrankungen und deren medikamentöser Behandlungsmaßnahmen auf die Sexualität. —— Medikamentöse Behandlung primärer und sekundärer sexueller Störungen. NeuroTransmitter 2013; 24 (5) Sexualmedizinisches Seminar der Fortbildungsakademie xuellen Präferenzstörung Pädophilie diese nicht „ausgesucht“ haben, sondern dass sie sich im Laufe von Pubertät und Präpubertät so entwickelt haben, außerdem, dass die Störung selbst nicht „heilbar“ ist, jedoch die Möglichkeit besteht, Wege aufzuzeigen mit der Anlage umzugehen, ohne Täter zu werden. Bedeutung der Psychiatrie für die Sexualmedizin Den zweiten Teil am Sonntag bestritt PD Dr. Dipl.-Psych. Matthias J. Müller, ärztlicher Direktor der Vitos Kliniken in Gießen und Marburg, der sich schon seit langem mit allen psychiatrischen Themen der Sexualmedizin wissenschaftlich einen Namen gemacht hat. Schon das Eingangsdictum: „Das größte Sexualorgan des Menschen ist das Gehirn“ rückte die Bedeutung der Psychiatrie für die Sexualmedizin und umgekehrt der Sexualmedizin für die Psychiatrie in den Fokus. Dass „nicht-organische“ Störungen der Sexualität Teil der Psychiatrie sind, Störungen der Sexualität Einfluss auf das psychische Erleben haben und umgekehrt psychische Störungen die Sexualität beeinflussen sowie die (pharmakologische) Behandlung psychischer und neurologischer Störungen sich auf die Sexualität auswirkt, umreißt das Themenspektrum, das er behandelte. Auswirkungen von Psychopharmaka auf die Sexualität Aus neueren Studien weiß man, so Müller, dass die sexuellen Funktionen doch wesentlich robuster gegenüber Stressbelastungen sind, als bisher angenommen. Andererseits beeinträchtigt aber die Behandlung mit Psychopharmaka die Qualität der Sexualität wesentlich häufiger, als es zunächst in Gesprächen mit Patienten den Anschein haben mag. Auf konkretes offenes Nachfragen beklagten doch sehr viele Patienten, dass sie durch die Pharmakotherapie unter Libido- und Orgasmusstörungen, erektiler Dysfunktion etc. litten, Lebensbeeinträchtigungen, welche die Adhärenz unterminieren. Notfall Priapismus Die verzögerte Ejakulation unter SSRI ist weithin bekannt, und eine dieser Substanzen sogar zur Behandlung bei Ejaculatio praecox zugelassen. Dass jedoch NeuroTransmitter 2013; 24 (5) Buspiron als 5-HT1a-Stimulator zur Verbesserung des sexuellen Erlebens beitragen kann, wissen wahrscheinlich weit weniger Ärzte. Durch den α-An­tago­nis­ mus bei noradrenergen Substanzen wie Trazodon kann es in seltenen Fällen zum Priapismus kommen, einem absoluten urologischen Notfall, der innerhalb kürzester Zeit behandelt werden muss, um Dauerschäden zu verhindern. Jeder Neurotransmitter, also auch Dopamin, Acetylcholin oder GABA, der bei psycho-pharmakologischer Behandlung beeinflusst werden kann, hat beim Großteil der Patienten meist negative Einflüsse auf die Sexualfunktionen. Komplizierter als gedacht stellt sich auch der Wirkmechanismus der Phosphodiesterase-5-Inhibitoren dar. Sie bewirken über Einflüsse auf den Stickoxid-Stoffwechsel in den glatten Muskelzellen der Rund um den Beruf Das Teilnehmerzertifikat der Akademie Sexuelle Funktionsstörungen durch Psychopharmaka Bei den Antidepressiva sind es in erster Linie SSRI, TZA und SNRI, durch die Erektions- (beim Mann) und Orgasmusstörungen (bei der Frau) hervorgerufen werden. Die geringste Beeinträchtigung der sexuellen Funktion wird unter Ago- „Das größte Sexualorgan des Menschen ist das Gehirn.“ Corpora cavernosa, dass diese relaxieren und dadurch die subtunikalen Venolen, verantwortlich für den Abfluss des Blutes aus dem Penis, komprimieren. Nicht die Kontraktion, sondern die Relaxation der glatten Muskulatur führt also zur Erektion, die durch Sildenafil, Wardafenil oder Tadalafil verbessert werden kann. Für einige der in der ICD und im DSM aufgezählten sexuellen Funktionsstörungen gibt es also medikamentöse Behandlungsansätze wie für das Versagen genitaler Reaktionen, Impotenz organischen Ursprungs oder Ejaculatio praecox. Für einige weitere, nämlich Mangel an sexuellem Verlangen, sexuelle Aversion, gesteigertes sexuelles Verlangen und Orgasmusstörungen, werden solche diskutiert. Ferner legte Müller die Auswirkungen chronischer psychischer Erkrankungen sowie medikamentöser neuropsychiatrischer Behandlungen auf die Sexualität dar. In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass Prolactinerhöhung und Testosteronmangel fast gar nicht mit Libidomangel korrelieren, die Spiegelbestimmung also nur einen sehr begrenzten Aussagewert besitzt. Er betonte, wie schlecht es möglich ist, von Einzelfaktoren konkrete Aussagen abzuleiten. melatin, Moclobemid und Hypericum, aber auch unter Bupropion gesehen. Mirtazapin ist ebenfalls vergleichsweise unproblematisch, es kann allerdings zu Libidostörungen führen. Während Neuroleptika, Antidepressiva und Methadon für eine große Anzahl von sexuellen Funktionsstörungen verantwortlich gemacht werden müssen (Ausnahmen s.o.) sind die negativen Auswirkungen von Benzodiazepinen, Carbamazepin, Valproat, Anticholinergika, AChE-Inhibitoren und diversen Antiepileptika fraglich; selten stören Gabapentin, Pregabalin und Lithium das Sexualleben. Wie nun aber vorgehen, wenn sexuelle Funktionsstörungen auftreten? Wie so oft in der Medizin lautet die erste Regel: „Wait and see“, Versuch der Dosisreduktion, möglicherweise Augmentation/Addition oder ein Wechsel des Präparates, jedoch keinesfalls Unterbrechung der Medikamenteneinnahme. Denn „Drug holidays“ können bekanntermaßen bei fast allen psychiatrischen Erkrankungen problematisch für den Patienten sein. AUTOR PD Dr. med. Albert Zacher, Regensburg 21