Jon Christopher Werlein Listeria monocytogenes Sowohl die Erkrankung als auch die Erreger aus der Familie Listeriaceae sind nach Joseph Baron Lister (18271912), einem britischem Chirurgen, benannt. Obwohl schon vor 70 Jahren über Listeriose berichtet wurde, können Infektionen des Menschen mit Listeria monocytogenes erst seit Beginn der 80er Jahre eindeutig auf kontaminierte Lebensmittel zurückgeführt werden. Bakterien der Gattung Listeria aus der Familie der Listeriaceae sind grampositive, kurze, nichtsporenbildende, katalasepositive und fakultativ anaerobe Stäbchen. Charakteristisch für Listeria monocytogenes, das zu den psychrotrophen Bakterien zählt, ist das Wachstum bei Temperaturen unter +5 °C. So kann sich der Keim zwar sehr langsam aber dennoch messbar bei einer Temperatur von -0,4 °C vermehren. Das Ausmaß der Vermehrung hängt dabei von Faktoren wie dem Vorhandensein einer kompetitiven Flora, dem pH-Wert und der Salzkonzentration des Milieus ab. Listeria monocytogenes sowie die übrigen Listeria-Spezies sind weltweit verbreitet. Sie kommen ubiquitär in der Umwelt vor, insbesondere in der Erde und somit auch auf Pflanzen, in Abwässern und auch im landwirtschaftlichen Bereich. Die Bakterien werden hier häufig im Tierfutter, besonders in verdorbener Silage gefunden. L. monocytogenes kann auch im Kot von Tieren und im Stuhl gesunder Menschen nachgewiesen werden. Erkrankungen werden entsprechend des auslösenden Keimes als Listeri- 4 ose bezeichnet. Diese ist in der Regel eine lebensmittelbedingte Infektionskrankheit. Gesunde Menschen erkranken in der Regel nicht oder weisen nur milde Symptome eines fieberhaften Infektes auf. Schwere Verlaufsformen treten vor allem bei abwehrgeschwächten Menschen, wie älteren Personen, Neugeborenen, Patienten mit chronischen Erkrankungen und bei Schwangeren auf. Bei älteren und abwehrgeschwächten Menschen manifestiert sich die Listeriose häufiger mit Blutvergiftungen und eitrigen Hirnhautentzündungen. Für Kinder im Mutterleib bedeutet eine Listeriose der Mutter eine große Gefahr, da schwerwiegende Schädigungen bzw. eine Früh- oder Totgeburt auftreten können. Erkrankungen nach der Aufnahme von Listerien sind im Vergleich zu Salmonellen- und Campylobacter-Infektionen bedeutend seltener. Aufgrund der Schwere der Erkrankung, die sie auslösen können, spielen sie aber eine wichtige Rolle. Laut dem Ratgeber für Ärzte vom RKI wurden in den Jahren 2001 bis 2009 insgesamt 3.090 Listeriosen nach dem IfSG übermittelt. Entsprechend sind dies pro Jahr im Durchschnitt 343 Fälle; dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Inzidenz von 0,4 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner. Darunter befanden sich 233 Fälle von Neugeborenenlisteriose (8 %); das entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Inzidenz von 3,7 Erkrankungen pro 100.000 Neugeborener. Der Erreger findet sich in tierischen Lebensmitteln, wie Geflügel, Fleisch, Fleischerzeugnisse, Wurst, Fisch, Fischerzeugnisse (hauptsächlich Räucherfisch), Milch und Milch- Anheftung und Invasion von Listeria monocytogenes in humane dendritische Zellen. Die im Bild gelb eingefärbten Listerien sind an Membranstrukturen auf der Oberfläche der Wirtszelle gebunden. Die orange eingefärbten Listerien sind sehr eng von den Membranen umschlossen und sind dabei, in die Wirtszelle einzudringen. Quelle: GbF Braunschweig produkte (insbesondere Käse). Listerien finden sich aber auch nicht selten auf pflanzlichen Lebensmitteln wie zum Beispiel in vorgeschnittenen Salaten. Eine Sekundärkontamination mit Listerien kann auf verschiedenen Stufen der Gewinnung und Bearbeitung erfolgen, wie zum Beispiel beim Düngen, beim Melken, beim Schlachten oder durch eine Kontamination über die Umwelt. Bei Produkten, deren Verarbeitung bzw. Zubereitung zu keiner vollständigen Inaktivierung eventuell vorhandener Keime führt, wie bei Rohmilchweichkäse, Rohwurst oder Hackfleisch kann es zu einer kritischen Vermehrung kommen. Sind Listerien im lebensmittelverarbeitenden Betrieb vorhanden kann es aber auch zu einer Rekontamination von Lebensmitteln kommen, die einem Erhitzungsprozess unterzogen wurden. In den letzten Jahren kam es in Deutschland und Österreich zu zwei großen Krankheitsausbrüchen durch Sauermilchkäse (Harzer Käse/Quargel), der aus pasteurisierter Milch hergestellt wurde. Drei Deutsche und fünf Österreicher sind verstorben. Die verantwortliche Firma teilte mit, das als Überträger der Listerien der Dungkäfer ermittelt wurde. Dungkäfer wären bei ersten Listeriennachweisen im Herbst 2009 auf UV-Insekten-Fallen und auf Klebefolien entdeckt worden. Die Käfer seien trotz engmaschiger Fliegengitter durch ein Fenster in die Fertigung gelangt, so eine Mitteilung des Unternehmens. Die Schutzkulturen hätten gegen die Ausbreitung der Bakterien helfen können, allerdings sei dieser Schutz durch das versehentliche Austauschen der Kulturen weggefallen. Die Kontamination findet dabei häufig bei der Reifung statt. Als mögliche Ursache kann der Anstieg des pH-Wertes, bedingt durch mikrobielle Aktivitäten angegeben wer- den. Aber auch das Waschwasser kann als eine mögliche Kontaminationsquelle angesehen werden. So empfiehlt das Robert-Koch-Institut im Ratgeber für Ärzte vom August 2012: Lebensmittel, insbesondere vakuumverpackte Lebensmittel, sollten möglichst zügig nach Einkauf und weit vor Ablauf der angegebenen Mindesthaltbarkeit verbraucht werden. Vakuumverpackung und Kühlschranklagerung schützen nicht, wie bei anderen Lebensmittelinfektionserregern, vor einer Vermehrung der Listerien. Im Gegenteil, bei langen Lagerzeiten kann es hierdurch zu einer selektiven Vermehrung der Listerien kommen. doch nicht nachgewiesen werden. Wissenschaftler der ETH Zürich um Professor Martin Loessner gingen dem Mysterium auf den Grund und erforschten die Lebensformen von Listerien. In der Zeitschrift „Molecular Microbiology“ publizierten sie, das Listerien ihre Form anpassen, indem sie ihre Zellwand aufoder abbauen. Normalerweise sehen Listerien wie Stäbchen aus. Die Wissenschaftler der ETH Zürich entdeckten, dass sich aus diesen Stäbchen eine neue Form entwickeln kann, die kugelig und stark vergrössert ist. Zu dieser so genannten L-Form kommt es, wenn das Bakterium seine Zellwand verliert. Dies geschieht zum Beispiel, wenn es mit Antibiotika in Kontakt Eine Reduktion der Keimzahl um gekommen ist, die den Aufbau der eine Zehnerpotenz wird durch die Zellwand verhindern. In dieser LErhitzung bei einer Temperatur Form sind die Bakterien nur noch von 71,7 °C für fünf Sekunden in von einer einzigen Membran umVollmilch (D71,7 °C=5s, z=8 °C), geben und haben wahrscheinlich 66 °C für acht Sekunden in Milch keine Möglichkeit mehr, eine Zellmit 3,5 % Fett (D66°C=8s) ermögli- wand aufzubauen. Bis die Entwickcht. So kann durch Kochen, Braten, lung zwischen der ursprünglichen Sterilisieren und Pasteurisieren das Form und der L-Form abgeschlosBakterium letal geschädigt werden. sen ist, befindet sich das BakteriDie Gefahr einer Rekontamination um in einem Zwischenstadium, in mit Listeria monocytogenes ist je- dem es eine Zellwand wieder aufdoch sehr groß. Aus diesem Grund bauen kann. ist bei der Vorverpackung wie z. B. aufgeschnittenem Kochschin- Diese neuen Erkenntnissen könnten ken besondere Sorgfalt geboten. das Rätsel um die Listerien-Epidemie in Kanada lösen. Professor Martin War man bisher davon ausgegangen, Loessner vermutet, dass sich die Lisdas Listerien stäbchenförmig sind, so terien in der Milch im reversiblen haben Wissenschaftler der ETH Zü- Übergangsstadium zur L-Form berich eine neue Lebensform entdeckt. fanden und deshalb nicht nachgeDie Erreger von schweren Lebens- wiesen werden konnten. Auch ein mittelvergiftungen können sich ihrer weiteres Phänomen könnte mit den Zellwand entledigen und eine so ge- verschiedenen Lebensformen der nannte L-Form annehmen. Erstaun- Listerien erklärt werden: Häufig fanlicherweise können die Bakterien in den Pathologen in Hirnschnitten von diesem Zustand nicht nur überle- Tieren, die an Listeriose gestorben ben, sondern sich sogar vermehren. sind, kleine Bläschen, die sie nicht richtig einordnen konnten. LoessVor rund 20 Jahren sind in Kana- ner glaubt, dass es sich dabei um da viele Menschen an einer Epide- Listerien handelt, die sich in die Lmie gestorben, die durch mit Lis- Form entwickelt haben. terien belastete Milch ausgelöst wurde. Ärzte und Wissenschaftler Listerien in der L-Form überlisten standen vor einem großen Rätsel. das Immunsystem. Makrophagen, Sie konnten Listeria monocyto- also Fresszellen, nehmen die Kügenes zwar auf der Farm, von der gelchen zwar auf, können sie aber die Milch stammte als auch in den nicht vernichten. Normale ListePatienten nachweisen. In der frag- rien sind nach 30 Minuten getölichen Milch konnten die Erreger je- tet. Die L-Form überlebt tagelang in einem Makrophagen. Da die Makrophagen die L-Formen nicht als Krankheitserreger erkennen, können sie vom Immunsystem nicht abgewehrt werden. L-Formen von Bakterien zu „züchten“, ist nicht einfach. Sie müssen in einem speziellen Medium „gehalten“ werden und bilden nur untypische Kolonien. Ausplattieren auf ein Nährmedium ist daher nicht möglich. Dennoch sind die LForm-Listerien fähig, sich zu vermehren. Allerdings dauerte die Vermehrung lange – bis zur Bildung einer sichtbaren Kolonie dauert es mindestens sechs Tage. Normale Listerienzellen teilen sich alle 30 Minuten; Kolonien sind nach 16-20 Stunden sichtbar. Gestaunt haben die Forscher über die Art und Weise, wie sich in Mutterzellen der L-Formen die Tochterzellen bilden. Erst entstehen in einer Zelle neue Vesikel NE1504_DE_Hygiene Report Advert.indd 1 4 2012 (kleine Bläschen mit einzelner Zellmembran); sind diese gross genug, platzt die aufgeblähte Mutterzelle und gibt die Tochterzellen frei. Diese besitzen die volle genetische Ausstattung ihrer Mutterzelle. Wie das Genmaterial verteilt wird, ist jedoch noch unklar. Ihr Stoffwechsel setzt erst ein, wenn sie die Mutterzelle verlassen haben. Seit über 100 Jahren wissen Forscher, dass Bakterien ihre Zellwand verlieren können und trotzdem weiterleben. Lange aber glaubten sie, dass es sich dabei um künstlich herbeigeführte Entwicklungen handelt und dass zellwandlose Bakterien nicht sehr lange lebensfähig bleiben. Diese Annahme konnten die Wissenschaftler der ETH Zürich mit der Erforschung der Listerien nun widerlegen. (Quelle: Archiv der ETH Zürich, http://www.ethz.ch/media/pressreleases/2009/detail?pr_id=899) 8/14/2012 10:12:41 AM 5