Pharmakologie des Zentralen Nervensystems 1: GABAerges und Glutamaterges System, Epilepsie Prof. Dr. Ralf Stumm Institut für Pharmakologie und Toxikologie Drackendorfer Straße 1 07747 Jena 03641 – 9 – 325680 [email protected] 1.1 Einführung: Zentrale Fragestellungen der Neuropharmakologie 1. Welche Mediatoren und welche Rezeptoren vermitteln welche Hirnfunktionen? 2. Wie lässt sich diese Information nutzen, um mit Wirkstoffen Funktionen/Dysfunktionen des Gehirns selektiv zu beeinflussen? Aminosäure Monoamine Glutamat GABA Acetylcholin Dopamin Serotonin •Epilepsie •Epilepsie •Parkinson •Parkinson •Stimmung •Narkose •Narkose/ Schlaf •Alzheimer •Schizophrenie •Schizo- •Degenera -tion •Angst •Hormonsekretion •Belohnung phrenie Noradrenalin •Antrieb/ Vigilanz Histamin •Wachheit 1.2 Einführung: Voraussetzungen der Neurotransmission Präsynapse P: Peptide axonaler Transport von Peptiden nach Synthese im ER/Golgi (Opioide, ….) P T: andere Transmitter (Acetylcholin, Amine, Aminosäuren, Nukleotide) Na+ AP P T T T t: Vorläufer von Transmittern Ca2+ T P,T t t Vesikelfusion Freisetzung T,P Transporter: Plasmamembran Vesikulär : Synthetisierende/ Abbauende Enzyme Auto-/HeteroRezeptoren Postsynapse Signaltransduktion (ionotrop, metabotrop) 2.1 Die glutamaterge Synapse Präsynapse Astrozyt Glutaminasen Transaminasen Glu Gln Gln Glutamintransporter Gln Glu EAAT: excitatory amino acid transporter VGLUT: vesicular glutamate transporter Glu Glutaminsynthetase Glu: Glutamat Vesikelfusion, Freisetzung Glu Glu Postsynapse Na+ K+ Kainat-R Na+ K+ AMPA-R Ca2+ K+ NMDA-R Gq mGluR Gln: Glutamin 2.2 Substanzen, die an Glutamatrezeptoren angreifen drugs acting on glutamate receptors Die Funktion der Kainat-Rezeptoren ist unklar. AMPA-Rezeptor-Antagonisten Hemmen zahlreiche ZNS-Funktionen -> Beeinträchtigung von Vitalfunktionen. (-> geringe therapeutische Breite). Kein klinischer Gebrauch. NMDA-Rezeptor-Antagonisten und NMDA-Kanalblocker NMDA-Rezeptoren sind interessante Zielstrukturen bei neurologischen Erkrankungen mit Komponenten von Übererregung / Exzitotoxizität (Epilepsie, Schlaganfall). Bislang sind nur wenige der Substanzen im klinischen Gebrauch, weil sie Halluzinationen und andere unerwünschte Effekte hervorrufen. Beispiele für NMDA-Kanalblocker Ketamin: Einsatz zur Anästhesie und Analgesie. Memantin: Bei Alzheimer´s disease (Wirkung ist umstritten). Amantadin: Bei Parkinsons´ disease. Phencyclidin (PCP, angeldust): Zur Anästhesie entwickelt. Hat schwere halluzinogene Effekte. Kein klinischer Einsatz aber Missbrauch in der Drogenszene. 3. GABA: der wichtigste inhibitorische Transmitter im ZNS Präsynapse Glutaminsynthetase Glutaminase Transaminase Glu GABA Transporter VIAAT: vesikulärer Transporter inhibitorischer Aminosäuren Gln Glutamintransporter Glu GAD, Glutamatdecarboxylase Gln Gln Glu GABA Astrozyt GABA-Transaminase GABA GABA: γ-Aminobuttersäure Vesikelfusion, Freisetzung GABA Gln: Glutamin GABA Glu: Glutamat Cl- Postsynapse GABAA Rezeptor GABAB Rezeptor Gi 3.1 Angriffspunkte am GABAA-Rezeptor Cl- Rezeptorstelle + Benzodiazepinstelle + GABA Benzodiazepinagonisten Benzodiazepinantagonisten Benzodiazepin inverse Agonisten Plasmamembran + Stelle für Kanalmodulatoren Ethanol, Anästhetika Hyperpolarisation 3.2 Substanzen, die am GABAA-Rezeptor angreifen Barbiturate: höhere Dosen öffnen den GABAA-Rezeptor direkt. Früher: vielverwendet als Schlafmittel. Heute: zur Narkoseeinleitung und als Reservemittel bei Epilepsie. Barbitursäure Grundstruktur Phenobarbital Benzodiazepine: erhöhen die Affinität für GABA. Sehr vielseitige Wirkstoffe: Anxiolytika, Antiepileptika, zentral wirkende Muskelrelaxantien, Schlafmittel (Hypnotika). Z-Substanzen: (in der Wirkung ähnlich wie B.). Etomidat: verlängert die GABA-Wirkung . Zur Narkoseeinleitung bei kardiovask. Risikopatienten. Hemmt vorübergehend die Steroidsynthese. Propofol: vergrößert den GABA-induzierten Chloridstrom. Zur Narkoseeinleitung und –aufrechterhaltung. BenzodiazepinGrundstruktur 3.3 Aufbau des GABAA-Rezeptors, Benzodiazepin-Bindung a) Eine Untereinheit durchzieht die Plasmamembran 4 mal . b) Der Rezeptor besteht aus 5 Untereinheiten, typischerweise 2x alpha, 2x beta und 1x gamma. Benzodiazepine (BZs; Agonisten, Antagonisten und inverse Agonisten) binden zwischen den alpha und gamma Untereinheiten. Die alpha-Untereinheiten zeigen im Gehirn ein regional-spezifisches Expressionsmuster. Forschungsziel: Entwicklung von Benzodiazepinen, die unterschiedliche alpha-Untereinheiten präferieren (-> Benzodiazepine mit selektiver Wirkung). 3.4 Wirkungsmechanismus der Benzodiazepin-Agonisten GABA-induzierter Strom selbst-limitierende-Aktion: kein toxischer Effekt Mit Benzodiazepin Ohne Benzodiazepin GABA-Konzentration 3.5 Benzodiazepine: Agonisten, Antagonisten und inverse Agonisten Ligand Kategorie intrinsische Aktivität Benzodiazepin Agonist positiv verstärkt Effekt von GABA Flumazenil Antagonist keine kompetitiert mit Benzodiazepin um Bindungsstelle Beta-Carbolin inverser Agonist negativ Aktion am GABAA Rezeptor reduziert Effekt von GABA Effekt z.B. Anxiolyse Blockiert Effekte der Benzodiazepine Anxiogen 3.6 Benzodiazepine: Dosisabhängige Wirkung Benzodiazepindosis Effekt alphaUntereinheit des GABAA Rezeptors HirnRegion Anxiolyse Muskelrelaxation antiepileptisch Sedierung 2 Limbisches System 2 Rückenmark 1 Zerebraler Kortex Basalganglien Schlaf 1 Hirnstamm Amnesie 1 Hippokampus Nach Möhler et al: Curr. Opin. Pharmacol; 2001,1:22-25 3.7 Benzodiazepine: Pharmakokinetik (1) Pharmacokinetics of benzodiazepines Benzodiazepine sind lipophile Substanzen mit hoher Bioverfügbarkeit (>80%) und hoher Plasmaproteinbindung (>80%). Metabolisierung ist die Hauptroute der Exkretion. Der Metabolismus der B. ist komplex und kann in 4 Subgruppen kategorisiert werden (nach der Leitsubstanz) 1. Diazepam-Typ (sehr langsam, mit aktiven Metaboliten) 2. Oxazepam-Typ (schnell) 3. Nitrazepam-Typ (langsam) 4. Typ der tetracyclischen Benzodiazepine (sehr schnell) 3.7 Benzodiazepine: Pharmakokinetik (2) Nitrazepam (T1/2=20-48h) Diazepam (T1/2=20-40h) Desalkylierung Nordazepam (T1/2=30-90h) Hydroxylierung Reduktion der Nitrogruppe (schafft eine Aminogruppw) Acetylierung der Aminogruppe Eliminierung Oxazepam (T1/2=6-12h) Glucuronidierung Eliminierung Triazolam (T1/2=2-5h) Midazolam (T1/2=1,5h-2,5h) Hydroxylierung, Glucuronidierung Eliminierung 3.8 Ausgewählte Benzodiazepine und ihre therapeutische Anwendung Substanz T1/2 Metabolisierung Anwendung Diazepam 20-40 h D-> Nordazepam (T1/2 30-90h) ANX, ZMR, AEP Clonazepam >30 h Oxazepam 6-12 h O ANX,SCH Temazepam 12-17h O SCH Flurazepam 1,5 h D-> akt. Metabolit (T1/2 40-250h) SCH Nitrazepam 20-48 h N SCH,AEP Flunitrazepam 10-20 h D,N-> akt.Metabolit (T1/2 20-30h) SCH Brotizolam 3-5 h T SCH Midazolam 1,5-2,5 h T AAN,SCH Lorazepam 11-18h ANX,SCH Flumazenil 1h BZV AEP D: Diazepamtyp; O: Oxazepamtyp; N: Nitrazepamtyp; T: Typ der Tetracyclischen ANX: Anxiolyse; ZMR: zentrale Muskelrelaxation; AEP: Antiepileptikum; SCH: Schlafmittel/Sedierung; AAN: Allgemeinanästhesie/ Narkoseeinleitung/Sedierung vor u. bei Eingriffen; BZV: Benzo.-Vergiftung 3.9 Benzodiazepine: unerwünschte Wirkungen (akut) - Schläfrigkeit - Reduzierte Aufmerksamkeit und reduziertes Reaktionsvermögen -> Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr und zum Bedienen von Maschinen gestört - Muskelrelaxation führt zu Stürzen – problematisch speziell bei Älteren - Anterograde Amnesie (keine Erinnerung an die Zeit direkt nach der Einnahme) - Atemdepression (vor allem nach i.v. Gabe und bei Kombination mit andern dämpfenden Wirkstoffen) 3.10 Benzodiazepine: unerwünschte Wirkungen (chronisch) Verflachung geistiger und körperlicher Leistungsfähigkeit: affektive und kognitive Einbußen; verwaschene Sprache, Schwindel, Muskelschwäche Toleranz: Mechanismus der Toleranz ist unklar. Abhängigkeit (psychisch und physisch): = wichtigster Nachteil! Meist nach 4 – 6 monatigem Gebrauch, bei hohen Dosen früher. Reduzierte Libido und gestörter weiblicher Zyklus. Erhöhter Appetit und Gewichtszunahme (mäßig). Nach chronischem Gebrauch führt abruptes Absetzen oft zu - Angst - Zittern - Krampfanfällen - Psychosen Benzodiazepin-Entzug kann Lebensgefährlich sein! Patienten finden es schwer, Benzodiazepinen aufzugeben (auch schone nach mehrwöchiger Einnahme) Ausschleichen, evtl. vorübergehende Umstellung auf langwirksames Benzo., evtl. stationäre Entwöhnung 3.11 Toxizität der Benzodiazepine toxicity of benzodiazepines Anxiolytische/hypnotische Wirkstoffe werden oft mit suizidaler Absicht eingenommen -> Benzodiazepinvergiftungen resultieren aus einer akuten Überdosis. Benzodiazepines sind viel sicherer als andere anxiolytische/hypnotische Stoffe wie Barbiturate. Bei Überdosierung induzieren die Benzodiazepine Schlaf ohne kritische kardiale oder respiratorische Depression. Flumazenil ist als effektiver Antagonist verfügbar -> Benzodiazepineffekte sind reversierbar. Cave: In Kombination mit anderen ZNS-dämpfenden Stoffen oder Alkohol können die Benzodiazepine eine lebensbedrohliche respiratorische Depression auslösen Death of the King of Pop Vor seinem Tod erhielt Michael Jackson wiederholt Benzodiazepine (Abhängigkeit? , Toleranz?) und Propofol. 4. Schlafmittel 10% der Bevölkerung klagen über anhaltende (> 3 Wochen) Schlafstörungen: - Einschlafstörungen - Durchschlafstörungen - Früherwachen Ursachen für Schlafstörungen umfassen u.A. psychische Belastung, psychiatrische Erkrankungen, organische Erkrankungen, Arzneimittelkonsum, Alkohol Der neuropharmakologische Ansatz (Schlafmittel) darf erst nach Ausschöpfung aller anderen Therapiemöglichkeiten zum Einsatz kommen. -> die wichtigsten Schlafmittel wirken über GABAA-Rezeptoren: - Barbiturate (heute obsolet) - heute Z-Substanzen und Benzodiazepine - aber auch Alkohol wirkt auf GABAA-Rezeptoren Hintergrund: GABA besitzt eine zentrale Rolle bei der Schlafregulation: bei einsetzender Müdigkeit werden GABA-Neurone im Thalamus aktiv, die den thalamo-kortikalen Informationsfluss hemmen. 4.1 Schlafmittel: Die benzodiazepinartigen „Z-Substanzen“ Zopiclon (T1/2=3-6 h) Zolpidem (T1/2=2 h) Zaleplon (T1/2=1-2 h) Keine Benzodiazepin-Struktur aber Bindung an BenzodiazepinStelle im GABAA-Rezeptor und Antagonisierung durch Flumazenil. Mittel der ersten Wahl bei Insomnien. Insbesondere Zolpidem scheint ein günstiges Profil zu besitzen: gut schlafanstoßend aber wenig anxiolytisch; kurze auf die Nacht beschränkte Wirkdauer; geringe Toleranz; geringer rebound-Effekt. Bei Durchschlafstörung kann mitten in der Nacht Zaleplon eingenommen werden. Wenn danach eine Ruhephase von 4 h garantiert ist, kommt es nicht zum hangover. 4.2 Weitere Schlafmittel (1) Klassische Benzodiazepine: bleiben Bestandteil der Schlafmitteltherapie, bergen aber ein etwas höheres Missbrauchs- und Suchtpotential als die Z-Substanzen. Empfohlen werden Lorazepam (T1/2 kurz bis mittel) und Brotizolam (kurze T1/2). B. führen oft zu Erwachen in den Morgenstunden und bergen relativ hohes rebound-Potential (Angst und Schlaflosigkeit nach Absetzen). Keine Verordnung von Flunitrazepam (hohes Missbrauchspotential). Antihistaminika (Diphenhydramin, Doxylamin): wirken leicht sedierend. Anticholinerge Nebenwirkungen. Sind frei verkäuflich. Werden auch in der Pädiatrie eingesetzt (Mittel gegen Erbrechen zugelassen bei Kindern ab 6 kg Körpergewicht). Sind zum Teil frei Verkäuflich. Achtung bei Älteren: - Anticholinerge Effekte können Demenzproblematik verstärken/ auslösen. 4.2 Weitere Schlafmittel (2) Sedierende Antidepressiva (z.B. Trimipramin, Amitryptilin): geringeres Suchtpotential als Benzodiazepine aber mehr unerwünschte Wirkungen. Einsatz bei Langzeitbehandlung – z.B. bei Schmerzpatienten.. Sedierende Neuroleptika (z.B. Pipamperon, Melperon,): bei psychiatrischen Grunderkrankungen. Pipamperon wird häufig bei geriatrischen Patienten eingesetzt – Melperon weniger wg. anticholinerger NW. Agomelatin: Agonist an Melatonin-Rezeptoren und Antagonist an 5HT2C-Rezeptoren. Ist ein Antidepressivum, das auch schlaffördernd wirkt (off-label Einsatz). Vorsicht bei Leberfunktionsstörung; A. erhöht die Transaminasen. Nicht zusammen mit CYP1A2-Hemmstoffen einsetzen (z.B.: Ciprofloxazin, Fluvoxamin). Baldrian: Frei verkäufliche Präparate. Achtung bei Alkoholgehalt! 4.3 Schlafmittel: 5-K-Regel Einsatz nur bei klarer Indikationsstellung Benutzen der kleinstmöglichen Dosis Kürzest mögliche Behandlungszeit Kein abruptes Absetzen Beachtung aller Kontraindikationen 5. Allgemeinanästhesie (Narkose) Allgemeinanästhesie bewirkt einen Zustand, in dem Patienten bei chirurgischen Eingriffen schmerzvolle Stimuli nicht wahrnehmen und nicht auf sie reagieren. Allgemeinanästhesie bewirkt - Bewusstlosigkeit - Verlust von Reflexen (Muskelrelaxation) - Analgesie Ein einzelnes Anästhetikum erfüllt oftmals nicht alle 3 Anforderungen -> Kombination von Anästhetika plus Einsatz neuromuskulär blockierender Stoffe. Beispiel für das Vorgehen bei einem chirurgischen Eingriff: - Herbeiführung der Bewusstlosigkeit mit einem Injektionsnarkotikum (z.B. Propofol) - Aufrechterhaltung der Narkose und Analgesie mit Inhalationsanästhetika (z.B. Lachgas/N2O plus Isofluran) - Lähmung mit Muskelrelaxans general anaesthetics 5.1 Allgemeinanästhetika Anästhetika Inhalative Wirkstoffe Lachgas/ Stickoxydul (N2O) Isofluran Desfluran Sevofluran Xenon Intravenöse Wirkstoffe Thiopental Etomidat Propofol Ketamin Midazolam 5.2 Inhalationsanästhetika: Verabreichung inhalation anaesthetics: mode of application Isofluran, Desfluran und Sevofluran sind Flüssigkeiten mit geringem Verdampfungspunkt. Sie werden in einem spezialisierten Verdampfer verdampft. Das Anteil von Isofluran in der Inhalationsmixtur beträgt etwa 0,75%. N2O and O2 sind Gase. Ihr relativer Anteil am Inhalationsgemisch wird von einem Flussmesser gesteuert (typischerweise 70% N2O und 30% O2). 5.3 Inhalationsanästhetikia: Substanzen N2O/ Distickstoffmonoxid/ Lachgas: Sehr schnelles Einsetzen/Abklingen der Wirkung. Verursacht effektive Analgesie aber schwache Narkose. Wird deshalb in Kombination mit einem zweiten Anästhetikum eingesetzt. Am Ende der Narkose erhält der Patient of reinen Sauerstoff. Unerwünschte Wirkung: Vitamin B12 wird geschädigt, dadurch Knochenmarksdepression möglich. Lachgas wird zunehmend durch Opioide ersetzt (Remifentanil). Isofluran, Desfluran, Sevofluran: Die wichtigsten inhalativen Allgemeinanästhetika. Unerwünschte Wirkungen: Haben alle einen gewissen muskelrelaxierenden Effekt und wirken alle atemdepressiv. Isofluran und Desfluran senken den peripheren Gefäßwiderstand (Blutdruckabfall), Erweiterung zerebraler Gefäße (-> nicht bei Raumforderung im Gehirn anwenden) Bei Patienten mit einer genetischen Prädisposition kann eine maligne Hyperthermie auftreten (seltenes Phänomen). Desfluran hat einen stechenden Geruch, es kann nicht zur Einleitung verwendet werden. 5.4 Intravenöse Anästhetika (1) Intravenöse Anästhetika sind ideal zur Induktion der Anästhesie wegen des schnellen Wirkungsbeginns (20 Sekunden nach Injektion). Die Steuerbarkeit der Narkose ist aber schlecht (Ausnahme Propofol). Thiopental, Methohexital (Barbiturate) Der Effekt einer einzelnen Dosis dauert 5-10 min an. Die Stoffe werden zuerst in stark durchblutete Organe umverteilt und dann ins Fettgewebe. Matabolisierung von Thiopental erschafft aktive Metabolite, was das lange Nachwirken erklärt und warum wiederholte Applikation vermieden wird. Atemdepression, Blutdruckabfall, negativ inotrop, Senkung des intrakraniellen Drucks, Induktion von Leberenzymen. Etomidat Der Effekt einer einzelnen Dosis dauert 3-5 min an. Hat kaum Herz-Kreislaufwirkungen (-> Einsatz bei kardiovaskulären Risikopatienten). Kann unfreiwillige Bewegungen hervorrufen und postoperative Übelkeit. Hemmt Funktionen der Nebennierenrinde (Synthese von Kortisol). 5.5 Intravenöse Anästhetika (2) Propofol Zeigt sehr schnelle Metabolisierung (-> Steuerbarkeit möglich) Kann zur Aufrechterhaltung eingesetzt werden (totale intravenöse Anästhesie), sowie zur Langzeitsedierung auf ITS und zur Sedierung bei interventionellen Eingriffen (Endoskopie). Ausgeprägte Herz-Kreislaufwirkung (Blutdruckabfall, negativ inotrop). Bei Kindern kann ein Propofolinfusionssyndrom auftreten (metabol. Acidose, Rhabdomyolyse, Herz- und Nierenversagen). Keine Langzeitsedierung < 16 Jahren. Midazolam (ein Benzodiazepin) Der Effekt einer 2 – 3 mg Einmaldosis (i.v.) dauert 15 - 80 min an. Midazolam kann zur Anxiolyse/Sedierung vor einem Eingriff eingesetzt werden. Auch: zur Langzeitsedierung auf ITS. Ferner: Analgosedierung mit oder ohne Lokalanästhesie( bei diagnost. oder therapeut. Eingriffen). Die Substanz hat auch anxiolytische und muskelrelaxierende Effekte. Das Herz-Kreislaufsystem und die Atmung werden erst in hohen Dosen gehemmt. Bei Älteren kann es zu paradoxen Erregungszuständen kommen. Flumazenil ist ein Antagonist der zur Beendigung der Benzodiazepineffekte eingesetzt werden kann. 5.6 Intravenöse Anästhetika (3) Ketamin Die Wirkung hält etwa 10 – 15 min an. Ketamin wirkt als einziges Injektionsnarkotikum gut analgetisch. Es erzeugt eine dissoziative Anästhesie: thalamokortikale Bahnen werden gehemmt und limbische Areale aktiviert -> das Gehirn wird von der Außenwelt dissoziiert. Der Patient erlebt u.U. Alpträume, die er erinnern kann. Das Geschehen in der Außenwelt nimmt er hingegen nicht wahr. Alptraumeffekte werden durch gleichzeitige Gabe von z.B. einem Benzodiazepin gebessert. Einsatz zur Narkoseeinleitung und Analgesie (Notfallmedizin, traumatische Schmerzen!) Wirkt kreislaufstabilisierend (erhöht Blutdruck und Herzfrequenz). Macht jedoch Atemdepression bis hin zum Atemstillstand (bei schneller Injektion hoher Dosen). Die Barbiturate, Etomidat, Propofol, und Midazolam aktivieren GABAA-Rezeptoren Ketamin inhibiert den Na- and Ca-Einstrom durch NMDA-Rezeptoren durch Bindung an die Phencyclidin-Bindungsstelle des NMDA-Rezeptors. 6. Epilepsie Epilepsie (wiederkehrende Krampfanfälle) betreffen 0,5% der Bevölkerung. Folgende Formen müssen unterschieden werden: 1a Partieller Anfall mit Ausbreitungswegen (1-3) Fokus Symptome hängen von der betroffenen Hirnregion ab: (z.B. Regionen für motorische, sensorische,, autonome und emotionale Funktionen). Der Herd kann sich ausbreiten. 1b Sekundär generalisierter Anfall, Ausbreitung über thalamo-kortikale Verbindungen (4) 2 Primär generalisierter Anfall Fokus Ein partieller Anfall kann in einen generalisierten Anfall übergehen. Sofortiger Bewusstseinsverlust. z.B. tonisch/klonische Krämpfe Absencen 6.1 Partieller Krampf, Ursachen Paroxysmale (anfallsartige) Depolarisation eines kortikalen Neurons mit überlagertem Ausbruch von Aktionspotentialen. Die Depolarisation wird von einer Hyperpolarisation gefolgt. Bei einem klinisch auffälligen Fokus zeigen > 1000 Neurone synchron solche Depolarisationen. Glutamaterge Pyramidenzellen im Fokus (a,b) aktivieren GABAerge Neurone (grau), die Pyramidenzellen außerhalb des Fokus (c,d) hyperpolarisieren->„surround inhibition“. Verlust der „surround inhibition“ führt zum Wachstum und zur Ausbreitung des Fokus. 6.2 Tonisch-klonischer Krampf , Ursachen Tonische Phase Klonische Phase Verlust der Nachhyperpolarisation Die Nachhyperpolarisation setzt Entspricht der tonischen Phase der wieder ein. Entspricht der klonischen Muskelkontraktion. Phase der Muskelkontraktion. ´Klonus´ = ryhthmische Kontraktion von Muskelgruppen. 6.3 Ursachen eines Absence-Anfalls (primär generalisiert) Kortex Kortex Thalamus Thalamischer Umschaltkern (glutamaterg) Nucleus reticularis thalami (GABAerg) Hyperpolarisation (durch Kalium-Ströme und GABA) im thalamischen Umschaltkern aktiviert T-Typ Ca2+-Kanäle. Die Öffnung dieser Kanäle sowie Aktivierung von AMPA-Rezeptoren führt zur synchronen Depolarisation in Thalamus und Kortex. 6.4 Pharmakotherapie der Epilepsie (Standardsubstanzen) Es muss zwischen akuter (Durchbrechung eines Anfalls) und chronischer (Vermeidung von Anfällen) Therapie unterschieden werden. Akute Therapie: Insbesondere bei Status epilepticus (lebensbedrohlich). Man benötigt sichere und schnell wirksame Mittel: Benzodiazepine -> 1. Wahl: Diazepam (rektal), Clonazepam (Tropfen), Midazolam (bukkal od. nasal), -> 2. Wahl: Phenoarbital Chronische Therapie der generalisierten Epilepsie (Standard-Mittel): -> 1. Wahl: Valproat -> Auch: Lamotrigin, Ethosuximid (Absence-Epilepsien) Chronische Therapie der fokalen Epilepsie (Standard-Mittel): -> 1. Wahl: Carbamazepin -> Auch: Levetiracetam, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Valproat, Phenytoin, Bei nichtansprechender Therapie wird alternatives Mittel erprobt – und unter Umständen Kombinationstherapie (auch mit Nicht-Standardsubstanzen). 6.5 Angriffspunkte der Antiepileptika 1. Spannungsabhängige Na+-Kanäle: Carbamazepin Phenytoin Oxcarbazepin Lamotrigin Zonisamid Ca2+-Kanäle: 2. Ethosuximid (T-Typ) Lamotrigin (High-Voltage-Activated-Channels) 3. Glutamatrezeptoren: 4. GABAA-Rezeptoren: Benzodiazepine Barbiturate 5. Glutamat- und GABA-Stoffwechsel: Vigabatrin Tiagabin 6. Synaptische Vesikel: Levetiracetam (Protein SV2A) 7. Multiple Angriffsorte Valproat (1., 2., 5.) Topiramat (1., 3., 5.) Felbamat (1., 2., 3., 4.) Gabapentin (2.,5.) Pregabalin (2., 5.) Nach: Rogawski and Löscher, 2004: Nature Reviews Neurosci, 5, 553-564 Stafstrom, 2010: Current Opinion in Neurology, 23:157-163 6.6 Kanalblockierende Substanzen: Wirkung ist abhängig vom Kanal-Funktionszustand Warum beeinträchtigen kanalblockierende Antiepileptika die normale Hirnfunktion nicht (Phenytoin, Lamotrigin, Carbamazepin, Oxcarbazepin...) ? a) Lamotrigin hat keinen Einfluss auf ein ausgelöstes Aktionspotential (Kontrollbedingungen) b) Lamotrigin blockiert späte epileptiforme Entladungen (GABAerge Hemmung blockiert; Mg2+-Block der NMDA-Rezeptoren beseitigt) Die kanalblockierenden Substanzen wirken insbesondere in depolarisierten Neuronen und ihre Wirkung ist ´use-dependent´(der Kanalblock baut sich bei wiederholter und verlängerter Aktivität der Kanäle auf). 6.7 Valproat: „Breitband-Antiepileptikum“ Valproat ist Mittel 1. Wahl zur Behandlung von primär generalisierten Anfällen und von unklassifizierten Anfällen. Auch: sekundär generalisierte Anfälle und fokale Anfälle. Unerwünschte Wirkungen: - gute Verträglichkeit, schwere Nebenwirkungen sind sehr selten aber möglich: -> Lebertoxizität; Pankreas- und Gerinnungsstörungen; Enzephalopathie - Tremor - Reversibler Haarausfall - Polyzystisches Ovarialsyndrom - Gewichtszunahme - Teratogenität Wechselwirkungen: - Verdrängt andere Antiepileptika aus Plasmaeiweißbindung (Phenytoin, Carbamazepin, Phenobarbital) - Enzyminduzierende Antiepileptika (Carbamazepin, Phenytoin, barbiturate) reduzierem T1/2 von Valproat 6.8 Carbamazepin Carbamazepin ist Mittel 1. Wahl zur Behandlung von fokalen Anfällen und von sekundär generalisierten Anfällen. Nicht: Absencen und primär generalisierte Anfälle. Unerwünschte Wirkungen: - Müdigkeit - Leukopenie - Hautrötungen - Periphere Neuropathie - Kontraindiziert bei Arrythmie Wechselwirkungen: - Enzyminduzierend (z.B. Metabolismus von Kontrazeptiva, Valproat erhöht) - Erythromycin erhöht Carbamazepinspiegel Oxcarbazepin: In Strukture und Wirkung ähnlich dem Carbamazepin. Unterscheidet sich jedoch in Wirkung und Nebenwirkung – kein einfacher Ersatz von Carbamazepin durch Oxcarbazepin. 6.9 Lamotrigin Lamotrigin kommt sowohl bei fokalen Anfällen als auch bei sekundär generalisierten Anfällen zum Einsatz. Positive Wirkung auf Stimmung/Ausgeglichenheit. Unerwünschte Wirkungen: - Schwächegefühl - Kopfweh - Hautreaktionen Wechselwirkungen: - Deutliche Wechselwirkung mit lebermetabolisierten Substanzen: Halbwertszeit bei gleichzeitiger Gabe induzierender Substanzen verkürzt (z.B. Carbamazepin, Barbiturate; Phenytoin) - Valproat verlängert T1/2 6.10 Ethosuximid Ethosuximid: kommt insbesondere bei generalisierten Anfällen vom Absence-Typ zum Einsatz (Wirkung auf T-Typ Ca2+-Kanäle). Nicht bei generalisierten tonisch-klonischen Krämpfen. Unerwünschte Wirkungen: - Schlafstörungen - Psychische Symptome - Appetitlosigkeit, Übelkeit, Gewichtsabnahme - Provokation tonisch-klonischer Krämpfe Wechselwirkungen: - wenig Wechselwirkungen mit anderen Antiepileptika 6.11 Weitere Einsatzgebiete der Antiepileptika Antiepileptika werden auch bei - Chronischen Schmerzen – inbesondere bei neuropathischen Schmerzen – eingesetzt. Beispiel: Pregabalin bei neuropathischem Schmerz, Sowie bei - Bipolaren Störungen Beispiele: Valproat, Lamotrigin Carbamazepin.