Pharmakologie des Zentralen Nervensystems 1: Einführung, Glutamaterges und GABAerges System Ralf Stumm Institut für Pharmakologie und Toxikologie Drackendorfer Straße 1 07747 Jena 03641 – 9 – 325680 [email protected] 1.1 Einführung: Informationsprozessierung im ZNS 1. Das ZNS empfängt laufend Signale von der Außenwelt und vom Körper, welche schnell, präzise und reproduzierbar verarbeitet werden müssen. Das ZNS erreich dies insbesondere durch feststehende neuronale Verbindungen. Die synaptische Übertragung wird dort durch gleichbleibende Freisetzung kleiner Neurotransmitter (z.B. Glutamat) gesteuert, welche schnelle Ionenkanäle (z.B. Glutamatrezeptoren vom AMPA-Typ) kontrollieren. 2. Mit 1. ist untrennbar der Prozess der Gedächtnisbildung verbunden. Gedächtnis wird durch den (verglichen mit 1.) langsamen Prozess der neuronalen Plastizität erreicht: nach einem adäquaten Reiz kommt es zur persistenten Veränderung des neuronalen Funktionszustands. Hieran sind insbesondere a) die synaptische Plastizität (z. B. Langzeitpotenzierung) und b) die strukturelle Plastizität (Neubildung von spines/Synapsen) beteiligt. Plastizitätsvorgänge werden durch kleine Neurotransmitter, Peptide und andere Mediatoren vermittelt. Reprodizierbare Verarbeitung von Information Filterung von Information Gedächtnisbildung 1.2 Einführung: Zentrale Fragestellungen der Neuropharmakologie 1. Welche Mediatoren und welche Rezeptoren vermitteln welche Hirnfunktionen? 2. Wie lässt sich diese Information nutzen, um mit Wirkstoffen Funktionen/Dysfunktionen des Gehirns selektiv zu beeinflussen? Aminosäure Monoamine Glutamat GABA Acetylcholin Dopamin Serotonin •Epilepsie •Epilepsie •Parkinson •Parkinson •Narkose •Narkose/ Schlaf •Alzheimer •Schizophrenie •Stimmun g •Degenera -tion •Angst •Hormonsekretion •Belohnung Noradrenalin •Antrieb/ Vigilanz Histamin •Wachheit 1.3 Einführung: Chemische Mediatoren im ZNS Mediator-Typ Beispiel Kleinmolekulare M. Glu GABA ACh Monoamine Vorw. Hauptfunktion in Angriffsort/Rezeptort Neuronen yp Ionenkanäle, GPCR Schnelle synapt. Transmission meist GPCR Neuromodulation Neuropeptide Opioide Substanz P CRH... GPCR Neuromodulation Lipide Prostaglandine Endocannabinoide GPCR Neuromodulation Guanylatzyklase Neuromodulation Wachstum, Überleben und Plastizität NO Neurotrophine Zytokine NGF, BDNF IL-1, IL-6 Kinase-gekoppelte Rezeptoren Chemokine SDF-1/CXCL-12 GPCR Steroide Androgene Oestrogene Nukleäre Rezeptoren Plastizität 1.4 Einführung: Steuerung neuronaler Funktionen im ZNS Prozess Auswahl beteiligter Mediatoren Auswahl beteiligter Moleküle Zeitbedarf Impulsweiterleitung - Spannungsgesteuerte Kanäle ms Transmitterfreisetzung - [Ca2+]i, SNARE-Proteine ms Schnelle transsynaptische Übertragung Glu, GABA, ACh Ligandgesteuerte Kanäle ms Neuromodulation Monoamine, Peptide, Lipide, NO GPCRs s Synaptische Plastizität -Phosphorylierug -Protein up/downRegulation -Transkriptionsregulation Prinzipiell alle neuroaktiven Substanzen GPCRs, Kinase-gekoppelte Rezeptoren, Ubiquitin-Ligasen, Kinasen/Phosphatasen, Transkriptionsfaktoren, Histon- und DNA-modifizierende Enzyme min - h Strukturelle Plastizität - Bildung von Synapsen - Neurogenese - Neuroinflammation - Neurodegeneration Glutamat, Neuropeptide, Wachstumsfaktoren, Zytokine, Chemokine GPCRs, Kinase-gekoppelte Rezeptoren, Zytoskelettproteine, Wachstumsfaktoren (NFκB) Zelltodmaschinerie h, Tage, Monate 1.5 Einführung: Voraussetzungen der Neurotransmission Präsynapse P: Peptide axonaler Transport von Peptiden nach Synthese im ER/Golgi (Opioide, ….) P T: andere Transmitter (Acetylcholin, Amine, Aminosäuren, Nukleotide) Na+ AP P T T T t: Vorläufer von Transmittern Ca2+ T P,T t t Vesikelfusion Freisetzung T,P Transporter: Plasmamembran Vesikulär : Synthetisierende/ Abbauende Enzyme Auto-/HeteroRezeptoren Postsynapse Signaltransduktion (ionotrop, metabotrop) 2. Glutamat: der wichtigste exzitatorische Transmitter im ZNS Glutamaterge Hirnregionen 1 2 Darstellung glutamaterger Regionen im Gehirn der Ratte durch den Nachweis der VGLUT1 (F-H) und VGLUT2 (C-E) mRNA Expression. 3 Rote Pfeile deuten auf die Großhirnrinde (Cortex,1), den Thalamus (2) und den Hippocampus (3) Aus Fremau et al. (2001): Neuron Vol. 31, p247ff -> In fast allen Hirnregionen kommen zahlreiche Neurone vor, die Glutamat als Haupttransmitter verwenden (Ausnahme: zum Beispiel das Striatum/Cpu). Ungekehrt tragen vermutlich alle Neurone Glutamatrezeptoren. 2.1 Die glutamaterge Synapse Präsynapse Astrozyt Glutaminasen Transaminasen Glu Gln Gln Glutamintransporter Gln Glu EAAT: excitatory amino acid transporter VGLUT: vesicular glutamate transporter Glu Glutaminsynthetase Glu: Glutamat Vesikelfusion, Freisetzung Glu Glu Postsynapse Na+ K+ Kainat-R Na+ K+ AMPA-R Ca2+ K+ NMDA-R Gq mGluR Gln: Glutamin 2.2 Funktionen der Glutamatrezeptoren Functions of glutamate receptors Synaptische Aktivität mit geringer Frequenz: Synaptische Aktivität mit hoher Frequenz: wenig Glu viel Glu Mg2+ block AMPA-R Na+ NMDA-R Na+ Ca2+, Na+ mGluR Kurze Depolarisation Schnelle exzitatorische Transmission für„normale“ Hirnfunktion PKC beseitigt Mg2+ Block Anhaltende Depolarisation PKC IP3 [Ca2+]i Langzeitveränderungen (Genexpression), Gedächtnis, Exzitotoxizität 2.3 Substanzen, die an Glutamatrezeptoren angreifen drugs acting on glutamate receptors AMPA-Rezeptor-Antagonisten Hemmen zahlreiche ZNS-Funktionen -> Beeinträchtigung von Vitalfunktionen. (-> geringe therapeutische Breite). Kein klinischer Gebrauch. NMDA-Rezeptor-Antagonists und NMDA-Kanalblocker NMDA-Rezeptoren sind interessante Zielstrukturen bei neurologischen Erkrankungen mit Komponenten von Übererregung / Exzitotoxizität (Epilepsie, Schlaganfall). Bislang sind nur wenige der Substanzen in klinischem Gebrauch, weil sie Halluzinationen und andere unerwünschte Effekte hervorrufen. Beispiele für NMDA-Kanalblocker Ketamin: Einsatz zur Anaesthesie und Analgesie. Memantin: Bei Alzheimer´s disease und Parkinsons´ disease. Phencyclidin (PCP, angeldust): Zur Anaesthesie entwickelt. Hat schwere halluzinogene Effekte. An Ratten wurden neurotoxische Effekte gefunden. Kein klinischer Einsatz aber Missbrauch in der Drogenszene. 2.4 Angriffspunkte am NMDA-Rezeptor Ca2+ Na+ Rezeptorstelle NMDA-Antagonist + Modulatorische Stellen + + Glycin- bzw. PolyaminAntagonist Glycin Glu Polyamine Plasmamembran Mg2+ Stelle Mg2+ Stelle für Kanalblocker Kanalblocker 3. GABA: der wichtigste inhibitorische Transmitter im ZNS Präsynapse Glutaminsynthetase Glutaminase Transaminase Glu GABA Transporter VIAAT: vesikulärer Transporter inhibitorischer Aminosäuren Gln Glutamintransporter Glu GAD, Glutamatdecarboxylase Gln Gln Glu GABA Astrozyt GABA-Transaminase GABA GABA: γ-Aminobuttersäure Vesikelfusion, Freisetzung GABA Gln: Glutamin GABA Glu: Glutamat Cl- Postsynapse GABAA Rezeptor GABAB Rezeptor Gi 3.1 Angriffspunkte am GABAA-Rezeptor Cl- Rezeptorstelle + GABA-Antagonist Benzodiazepinstelle + GABA Benzodiazepinagonisten Benzodiazepinantagonisten Benzodiazepin inverse Agonisten Plasmamembran + Stelle für Kanalblocker Kanalblocker Hyperpolarisation Stelle für Kanalmodulatoren Ethanol, Anaesthetika 3.2 Substanzen, die am GABAA-Rezeptor angreifen Barbiturate: höhere Dosen öffnen den GABAA-Rezeptor direkt. Früher: vielverwendet als Schlafmittel. Heute: zur Narkoseeinleitung und als Reservemittel bei Epilepsie. Barbitursäure Grundstruktur Phenobarbital Benzodiazepine: erhöhen die Affinität für GABA. Sehr vielseitige Wirkstoffe: Anxiolytika, Antiepileptika, zentral wirkende Muskelrelaxantien, Schlafmitel (Hypnotika). BenzodiazepinGrundstruktur Etomidat: verlängert die GABA-Wirkung . Zur Narkoseeinleitung. Propofol: vergrößert den GABA-induzierten Chloridstrom. Zur Narkoseeinleitung und –aufrechterhaltung. 3.3 Aufbau des GABAA-Rezeptors, Benzodiazepin-Bindung a) Eine Untereinheit durchzieht die Plasmamembran 4 mal . b) Der Rezeptor besteht aus 5 Untereinheiten, typischerweise 2x alpha, 2x beta und 1x gamma. Benzodiazepine (BZs; Agonisten, Antagonisten und inverse Agonisten) binden zwischen den alpha und gamma Untereinheiten. Die alpha-Untereinheiten zeigen im Gehirn ein regional-spezifisches Expressionsmuster. Forschungsziel: Entwicklung von Benzodiazepinen, die unterschiedliche alpha-Untereinheiten präferieren (-> Benzodiazepine mit selektiver Wirkung). 3.4 Wirkungsmechanismus der Benzodiazepin-Agonisten GABA-induzierter Strom selbst-limitierende-Aktion: kein toxischer Effekt Mit Benzodiazepin Ohne Benzodiazepin GABA-Konzentration 3.5 Benzodiazepine: Agonisten, Antagonisten und inverse Agonisten Ligand Kategorie intrinsische Aktivität Benzodiazepin Agonist positiv verstärkt Effekt von GABA Flumazenil Antagonist keine kompetitiert mit Benzodiazepin um Bindungsstelle Beta-Carbolin inverser Agonist negativ Aktion am GABAA Rezeptor reduziert Effekt von GABA Effekt z.B. Anxiolyse Blockiert Effekte der Benzodiazepine Anxiogen 3.6 Benzodiazepine: Dosisabhängige Wirkung Benzodiazepindosis Effekt alphaUntereinheit des GABAA Rezeptors HirnRegion Anxiolyse Muskelrelaxation antiepileptisch Sedierung 2,3 Limbisches System 2 Rückenmark 1-3 Zerebraler Kortex Basalganglien Schlaf 1 Hirnstamm Amnesie 1,5 Hippokampus Nach Möhler et al: Curr. Opin. Pharmacol; 2001,1:22-25 3.7 Benzodiazepine: Pharmakokinetik (1) Pharmacokinetics of benzodiazepines Benzodiazepine sind lipophile Substanzen mit hoher Bioverfügbarkeit (>80%) und hoher Plasmaproteinbindung (>80%). Metabolisierung ist die Hauptroute der Exkretion. Der Metabolismus der B. ist komplex und kann in 4 Subgruppen kategorisiert werden (nach der Leitsubstanz) 1. Diazepam-Typ (sehr langsam, mit aktiven Metaboliten) 2. Oxazepam-Typ (schnell) 3. Nitrazepam-Typ (langsam) 4. Typ der tetracyclischen Benzodiazepine (sehr schnell) 3.7 Benzodiazepine: Pharmakokinetik (2) Nitrazepam (T1/2=20-48h) Diazepam (T1/2=20-40h) Desalkylierung Nordazepam (T1/2=30-90h) Hydroxylierung Reduktion der Nitrogruppe (schafft eine Aminogruppw) Acetylierung der Aminogruppe Eliminierung Oxazepam (T1/2=6-12h) Glucuronidierung Eliminierung Triazolam (T1/2=2-5h) Midazolam (T1/2=1,5h-2,5h) Hydroxylierung, Glucuronidierung Eliminierung 3.8 Ausgewählte Benzodiazepine und ihre therapeutische Anwendung Substanz T1/2 Metabolisierung Anwendung Diazepam 20-40 h D-> Nordazepam (T1/2 30-90h) ANX, ZMR, AEP Clobazepam 10-30 h D-> akt. Metabolit (T1/2 30-90h) ANX, AEP Oxazepam 6-12 h O ANX Temazepam 12-17h O SCH Flurazepam 1,5 h D-> akt. Metabolit (T1/2 40-250h) SCH Nitrazepam 20-48 h N SCH Flunitrazepam 10-20 h D,N-> akt.Metabolit (T1/2 20-30h) SCH Triazolam 2-5 h T SCH Brotizolam 3-5 h T SCH Midazolam 1,5-2,5 h T AAN Flumazenil 1h D: Diazepamtyp; O: Oxazepamtyp; N: Nitrazepamtyp; T: Typ der Tetracyclischen ANX: Anxiolyse; ZMR: zentrale Muskelrelaxation; AEP: Antiepileptikum; SCH: Schlafmittel; AAN: Allgemeinanästhesie/ Narkoseeinleitung; BZV: Benzo.-Vergiftung BZV Dauert 75 min