Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik I FS 1 Stereostatik — Statik starrer Körper Grundlagen der Vektorrechnung Definition des Vektors und Koordinatendarstellung Ein Vektor ~a beschreibt unabhängig vom Koordinatensystem eine gerichtete Strecke im Raum. Wird ein Koordinatensystem K aus Basisvektoren ~ex , ~ey , ~ez definiert, so lässt sich der Vektor ~a als Linearkombination dieser Basisvektoren darstellen. Die Faktoren ax , ay , az werden dabei als Koordinaten bezeichnet T und können zu einer Spaltenmatrix aK = [ax ay az ] zusammengefasst werden. Ausführliche Schreibweise T ~ex ax ~ey a ~a = ax~ex + ay~ey + az~ez = y ~ez az Grundoperationen z K ~a az ~ez x ax ay Kurzform wenn nur in einem Koordinatensystem gerechnet wird Kurzformen ax = ay az ax ay az xyz ax ay = = az K y ~ey ~ex Operation Vektorschreibweise Koordinatenschreibweise Betrag a = |~a| Vektoraddition ~c = ~a + ~b p a = a2x + a2y + a2z ax + b x cx c y = ay + b y az + b z cz λax cx cy = λay λaz cz T bx ax b y = ax b x + ay b y + az b z c = ay bz az ay b z − az b y cx c y = b x az − ax b z ax b y − ay b x cz Multiplikation mit Skalar ~c = λ~a Skalarprodukt c = ~a · ~b = |~a| |~b| cosα mit α = 6 (~a, ~b) Vektorprodukt ~c = ~a × ~b = −~b × ~a mit ~c⊥~a, ~c⊥~b, (~a × ~b) · ~c > 0 |~c | = |~a||~b| sinα, α = 6 (~a, ~b) Erweiterte Vektoroperationen und Identitäten Projektion: Spatprodukt: ~b ~a · ~b ~a · ~b ~ a = b~a = ~a ~a · ~a |~a|2 ~a α ~ba ( ~a × ~b ) · ~c = ( ~b × ~c ) · ~a = ( ~c × ~a ) · ~b Graßmann-Identität: Lagrange-Identität: ~a×( ~b×~c ) = ( ~a·~c ) ~b − ( ~a·~b ) ~c h = ~b ( ~a · ~c ) − ~c ( ~a · ~b ) ( ~a×~b )·( ~c×d~ ) = ( ~a·~c )( ~b·d~ ) − ( ~b·~c )( ~a·d~ ) i Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik I FS 2 Koordinatentransformation Vektor ~a ist eine physikalische Größe und daher unabhängig vom Koordinatensystem. Er kann jedoch als Linearkombination der Basisvektoren des Systems K {~ex , ~ey , ~ez } oder K′ {~e1 , ~e2 , ~e3 } dargestellt werden: y ~e1 ~ex T ~e2 ~ e = a ~a = aT ′ y K K ~e3 ~ez ~a ~ey ~e2 ~e1 Ebenso lassen sich die Basisvektoren im jeweils anderen Koordinatensystem darstellen: T e xK ′ ~ex ~e1 ~ey = eT ~e2 yK ′ ~ez ~e3 eT zK′ T e1K ~e1 ~ex ~e2 = eT ~ey 2K ~e3 ~ez eT 3K ~ez ~e3 z x ~ex Damit lässt sich der Zusammenhang zwischen den Koordinaten aK und aK′ des Vektors ~a herleiten: a K ′ = e x K ′ e yK ′ e z K ′ a K | {z } aK = e1K e2K e3K aK′ {z } | TK K ′ T K′ K ′ wobei T K bzw. T K als Transformationsmatrizen bezeichnet werden. e1K , e2K , e3K sind die KoorK K′ dinaten der Basisvektoren ~e1 , ~e2 , ~e3 dargestellt im Koordinatensystem K. Sind K und K′ kartesische Koordinatensysteme, so sind die Transformationsmatrizen orthonormal und es gilt: T −1 T = T T T = I T ′ K = T TK K′ K und damit folgt System gebundener Vektoren Resultierendes Moment bzgl. eines beliebigen Bezugspunktes P: Die Addition linienflüchtiger Vektoren führt auf einen Vektorwinder: ~ (O) ) : (~a, M ~a = X ~ (O) = ~ai , M i X ~ (P) = ~rPO × ~a + M ~ (O) M ~ri × ~ai i ~ (O) dessen resultierendes Moment bzgl. Dabei ist ~a der resultierende Vektor des Vektorsystems, und M des Bezugspunktes O. ~ R und Vektor ~a denselben Richtungssinn aufweisen wird VektorEin Vektorwinder dessen Moment M schraube genannt: ~ (O) ~ R = ~a · M ~a M ~a2 ~rQ = ~ (O) ~a × M ~a2 und der Schraubachse: ~r(λ) = ~rQ + λ~a, Schraubachse ~a1 Q1 ~r1 ~a2 Q2 ~ (O) M ~a ~R M O ~r2 gebundenes Vektorsystem Vektorwinder ~rQ ~a Q Vektorschraube Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik I FS 3 Schwerpunkt Linienschwerpunkt ~rSL 1 = L Z dL ~rdL, in Koordinaten: xSL , ySL , zSL L z ~r O Flächenschwerpunkt ~rSA 1 = A Z ~rdA, in Koordinaten: xSA , ySA , zSA SA A O Volumenschwerpunkt ~rSV y x A z 1 = V L SL Z dA ~r y x ~rdV , in Koordinaten: xSV , ySV , zSV V V z O Schwerpunkt zusammengesetzter Körper ~r dV SV y x Koordinaten des Flächenschwerpunkts, wenn eine Fläche aus mehreren Teilflächen zusammengesetzt ist (Analoges gilt für Körper- und Linienschwerpunkt): P P P xSi Ai ySi Ai zSi Ai xSA = P , yS A = P , z SA = P Ai Ai Ai Schwerpunkt bei Rotationskörpern, Guldinsche Regeln Regel zum Flächenschwerpunkt: xSA = V 2πA z Rotationsfläche A mit dem Volumen V des entstandenen Rotationskörpers bei Rotation um die z -Achse xS x Regel zum Linienschwerpunkt: xSL = O 2πU mit der Oberfläche O des entstandenen Rotationskörpers bei Rotation um die z -Achse Umfang U Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik I FS 4 Gleichgewicht am ruhenden Körper, Freischneiden Skizze Prinzipielle Vorgehensweise: F 1. Freischneiden aller Körper, actio=reactio 2. Äußere Kräfte und Momente an jedem Körper einzeichnen m 3. Koordinatensystem(e) einführen 4. Gleichgewichtsbedingungen für jeden Körper aufstellen P~ Fi = 0 und P ~ Mi = 0 5. Auflösen des Gleichungssystems Freischnittbild W Bemerkungen S S • gelenkig gelagerte, masselose, querkraftfreie Stange: Kraft nur in Stangenrichtung F • Seil: ausschließlich Zugkraft in Seilrichtung • Greifen an einem ruhenden Körper genau drei Kräfte an, die nicht parallel sind, so schneiden sich deren Wirkungslinien in einem Punkt und die drei Kräfte liegen in einer Ebene. mg • mehr Unbekannte als Gleichgewichtsbedingungen ⇒ Problem ist statisch unbestimmt ⇒ Elastostatik, Verformungsverhalten muss berücksichtigt werden N Statische Bestimmtheit • Notwendige Bedingung für ebenes und räumliches Problem X n – Anzahl der Körper bzw. Teilsysteme 3 n= ri ri – Wertigkeit des Lagers i 6 i Die Wertigkeit eines Lagers gibt die Anzahl der vom Lager eingeschränkten Freiheitsgrade an. • Hinreichende Bedingung a11 A1 + a12 A2 = b1 F1 a21 A1 + a22 A2 = b2 F2 a11 a12 6= 0 ⇒ det a21 a22 Ai – unbekannte Lagerreaktionen Fi – eingeprägte Kräfte statisch bestimmt Mechanisches System heißt statisch bestimmt gelagert, wenn die Lagerreaktionen eindeutig aus den Gleichgewichtsbedingungen berechnet werden können. Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik I FS 5 Berechnung von ebenen Fachwerken Statische Bestimmtheit • äußerlich statisch bestimmt, wenn sich alle Lagerreaktionen aus GGB bestimmen lassen • innerlich statisch bestimmt, wenn sich alle Stabkräfte aus GGB bestimmen lassen • notwendige Bedingung für statische Bestimmtheit (für ebenes und räumliches Problem) 2 3 K=S+ X i ri K – Anzahl der Knoten S – Anzahl der Stäbe ri – Wertigkeit des Lagers i Knotenpunktverfahren • Lagerreaktionen mit 3 GGB vorweg bestimmen • Knoten freischneiden und Stabkräfte als Zugkräfte einzeichnen • Je Knoten 2 GGB anschreiben + LGS lösen Nullstäbe 1. unbelasteter Knoten mit 2 Stäben, Stäbe nicht in gleiche Richtung F 2. belasteter Knoten mit 2 Stäben, ein Stab in Richtung der äußeren Kraft 3. unbelasteter Knoten, 3 Stäbe, 2 in gleiche Richtung Ritterschnittverfahren • Fachwerk in 2 Teile schneiden, so dass höchstens 3 Stäbe mit unbekannten Stabkräften geschnitten werden • Gleichgewicht des abgeschnittenen Fachwerks auswerten Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik I FS 6 Coulomb’sche Reibungsgesetze, Seilreibung Haftreibung Ein Körper haftet, so lange folgende Haftbedingung erfüllt ist H – Haftkraft aus GGB (Reaktionskraft!) µ0 – Haftreibungskoeffizient N – Normalkraft N > 0 |H| ≤ µ0 N Gleitreibung Sobald der Körper rutscht, tritt Gleitreibung auf und es wirkt die eingeprägte Gleitreibungskraft R. Dabei gilt folgendes Reibungsgesetz (1D) R = −µN sgn(vrel ) R µ N – – – Gleitreibungskraft (eingeprägte Kraft!) Gleitreibungskoeffizient Normalkraft N > 0 1 für a ≥ 0 sgn(a) = −1 für a < 0 • i.A. gilt µ0 > µ • Die Gleitreibungskraft R ist vom Betrag µN und stets der Relativbewegung entgegengerichtet! Erweiterung des prinzipiellen Vorgehens: 1. Freischneiden aller Körper, actio=reactio 2. Äußere Kräfte und Momente an jedem Körper einzeichnen (Haftreibung als Reaktionskraft, Gleitreibung als eingeprägte Kraft) 3. Koordinatensystem(e) einführen 4. Gleichgewichtsbedingungen für jeden Körper aufstellen P~ Fi = 0 und P ~ Mi = 0 5. Auflösen des Gleichungssystems 6. Prüfen ob Haftbedingung erfüllt ist (Ungleichung auswerten) Seilhaftung, Seilreibung Die Haftbedingung eines Seils auf einer Riemenscheibe wird durch die Euler-Eytelwein-Formel beschrieben µ0 S1 ≤ S0 eϕµ0 ϕ • Es gilt: S1 > S0 • ϕ als Bogenmaß S1 S0 Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik I FS 7 Balkenstatik Bisher wurden die Schnittkräfte und -momente nur an Lagern und Stäben bestimmt. Nun werden die Schnittreaktionen im Innern von Körpern betrachtet. Innere Kräfte und Momente kennzeichnen die Materialbeanspruchung im Bauteil und finden Ihre Anwendung in der Festigkeitslehre (z.B. Dimensionierungsaufgaben). Als Anwendungsbeispiel wird im Folgenden der gerade, ebene, statisch bestimmt gelagerte Balken betrachtet. Balken unter allgemeiner Belastung Belastungen: Einzelkräfte F [N], Einzelmomente M [Nm], Streckenlasten q [N/m] I. Bestimmung der Lagerreaktionen über GGB am gesamten Balken (s. Blatt FS 4). Streckenlasten werden durch resultierende Ersatzkräfte berücksichtigt, die in den Schwerpunkten der jeweiligen Lastflächen angreifen. II. Bestimmung der inneren Kräfte und Momente Erste Möglichkeit: Stückweise Berechnung durch Freischneiden • Balken an der Stelle x freischneiden • Koordinatensystem einführen • Schnittkräfte und -momente einzeichnen. Vorzeichenkonvention: positiv, wenn am positiven Schnittufer in positiver Koordinatenrichtung Schnitt an Stelle x q(x) F M0 z x y x z neg. Schnittufer q(x) F M Q M M0 NN Q pos. Schnittufer • Für den betrachteten stetigen Bereich den Verlauf der Normalkraft N (x), Querkraft Q(x) und des Biegemoments M (x) berechnen und zeichnen. dQ(x) q Q M = −q(x) dx 0 konstant linear konstant linear quadratisch dM (x) = Q(x) linear quadratisch kubisch dx Zweite Möglichkeit: Unstetigkeitsbeschreibung mittels Föppl-Symbol 0 für x < a n Definition des Föppl-Symbols: hx − ai = n (x − a) für x > a II.1 Streckenlasten mit Föppl-Symbolen darstellen: quer zum Balken: q(x) entlang des Balkens: n(x) II.2 Kraftverläufe: R R P P Q(x) = − q(x)dx − i hx − xi i0 Fzi N (x) = − n(x)dx − i hx − xi i0 Fxi II.3 Momentenverlauf: R P M (x) = Q(x)dx − j hx − xj i0 Myj R f (x)dx bezeichnet die Stammfunktion von f (x). Die Integrationskonstanten werden in der Balkenstatik durch die Einzelkräfte und -momente erfasst. Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik Technische Mechanik I FS 8 Seilstatik Dieses Kapitel wird im Laufe des Semesters erstellt. Anhang Standardwinkel 0 0◦ sin x cos x tan x cot x 0 1 0 ±∞ 1 π 6 30◦ 1 2 √ 3 2 √ 3 3 √ 3 1 π 4 45◦ √ 2 2 √ 2 2 1 1 1 π 3 60◦ √ 3 2 1 2 √ 3 √ 3 3 1 π 2 90◦ 1 0 ±∞ 0 2 π 3 120◦ √ 3 2 − 12 √ − 3 √ − 33 3 π 4 135◦ √ 2 2 √ − 22 −1 −1 5 π 6 150◦ 1 2 √ 3 2 √ − 33 √ − 3 − π 180◦ 0 −1 0 ±∞ 7 π 6 210◦ − 12 − √ √ 3 2 3 3 √ 3 5 π 4 225◦ √ − 22 √ − 22 1 1 4 π 3 240◦ √ − 23 − 12 √ 3 π 2 270◦ −1 0 3 ±∞ 3 3 0 √ 5 π 3 300◦ √ − 23 1 2 √ − 3 √ − 33 7 π 4 315◦ √ − 22 √ 2 2 11 π 6 330◦ 2π 360◦ − 21 0 3 2 1 √ 3 3 0 √ −1 − −1 √ − 3 ±∞